Faschismus? Oder. Nicht und.

Kritik an meinem Gebrauch der Worte Faschismus und Neonazi für die globale, europäische, deutsche und lokale Entwicklung, an der Zuordnung von Aiwanger, Manfred Weber, Meloni, Orban und Erdögan, neben vielen anderen in die diversen Faschismen, ebenso wie diese Zuordnung zu Ereignissen und Politiken.

Auffällig an diesen Kritiken ist, dass mir keine Alternative angeboten wird, wenn nicht „faschistisch“, dann „…“, ja was: autoritär, diktatorisch, populistisch… all das kann Faschismus auch sein, KANN, muss aber nicht.

Ich habe keine Lust, der tausendbändigen Geschichte der Faschismen und des Nationalsozialismus noch ein langen Exkurs hinterherzuschicken, aber die Kritik verfolgt mich, weil sie mich begriffsarm machte, wäre sie berechtigt.

Ich habe viele Jahre an dem Wissen über und der Entäußerung zum Faschismus gearbeitet, immer stärker auf Bloch, Arendt, Paxton, Bataille, usw. beruhend, und mich scharf gegen den ideologisch verkürzten Antifaschismus des Realsozialismus gewehrt. Das Thema motiviert mich nicht als laienhafte allgemeine Bildung, sondern gehört zum Verständnis der späten Zivilisation – also mit der Überschreitung der Klimaschwelle. Die allerdings ist neu im Vergleich zu früheren Faschismen, während Fluchtbewegungen, Kolonialismus und Ethnophobie schon damals dazu gehörten. Alles ganz spannend zusammengefasst Faschismus – Wikipedia. Das ist aus einem bestimmten Punkt für mich besonders spannend, weil es nach dem Überblick über viele europäische und globale Faschismen die Frage gibt, ob der „Austrofaschismus“ (1933-1938) auch dazu zählt, der war ja gegen den deutschen Nationalsozialismus orientiert.

Diese Einleitung brauchte ich, um klarzumachen, warum ich der Meinung bin, dass wir in einer Renaissance von Faschismen sind, europaweit und in anderen Ländern, u.a. den USA und Israel; dass diese Faschismen nicht überall dominant sind, aber auch nicht marginal; dass das Erbe des Nationalsozialismus nicht deckungsgleich mit dem der anderen Faschismen ist. Und ganz wichtig: die teilweise künstlichen gegenseitigen Relativierungen von Faschismen und der Stalinismuspolitik sind sekundär.

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Die Frage ist, wie sich die neuen Faschismen durchsetzen, auf Populismen aufbauen und Terrain erobern, natürlich unter Benutzung neuer Kommunikationsformen, die es früher nicht gegeben hatte. Und für die „Bearbeitung“ des Themas ist es wichtig, die Begriffsbildung so weit voranzutreiben, dass sie der Kritik und der politischen wie kulturellen Bearbeitung zugänglich wird.

Nun wird nicht nur mir entgegengehalten, dass die Neuortung von Faschismen „neben“ der politischen Realität der Gegenwartsanalyse läge.

Diese Neuortung ist wichtiger als vieles. Die Analyse der Faschismen bedeutet nicht, dass wir eine Wiederholung in den alten – für Deutschland Weimarer und Naziformen – fürchten, sondern die Einpassung in die neuen Probleme bedenken müssen: „Weimar ist 90 Jahre entfernt, 2,5 Grad Erderwärmung fünfzehn Jahre“ (Hedwig Richter, FAZ, 21.6.2023). Das ist richtig, und ihre Kritik an der Kritik an der AfD weitgehend auch. Aber das ändert wenig daran, dass die antidemokratische Farce des Faschismus sich nicht auf die AfD beschränkt, sondern sich in der Hetze gegen die Grünen, gegen das Heizungsgesetz, gegen die Fahrradwege und alles, was zum Umsteuern = Überleben im Klimawandel – notwendig ist, manifestiert. Und da erscheint mir, neben dem Problemdruck der AfD, ihre Verweigerung der Problem-Lösungen die Gefahr des neu aufgelegten Faschismus.

Man kann zu Hedwig Richter hinzufügen:

a( die Selbstverkleinerung: die Protagonisten verzwergen sich selbst in harmloser Unscheinbarkeit („Ich bin kein böser Mensch“, sagt Aiwanger in der ZEIT vom 29.6.)

b) das Anlegen des Nazi-Vernichtsungsmaßstabs von 1933 bis 1945, der natürlich alle Schritte dahin unvergleichbar macht

c) der Widerstand gegen jede Faschisierung des Populismus – nicht alles, einem politisch nicht passt, ist schon deshalb faschistisch (das war ein Problem der 68er auch)

d) Unkenntnis und falsche Assoziationen der jungen Generation. Dazu bald mehr.

Georges Bataille hat früh darauf hingewiesen, dass Faschismus – der ja nicht eigentlich „Inhalte“ außer der Gegnerschaft zur Demokratie vertritt, die Verbindung von einander sonst gegnerischen Klassen herstellt, zB. nach dem 1. Weltkrieg die von funktionslos gewordener Aristokratie und subproletarischen Veteranen. Eine Fortführung dieses Gedankens findet sich überzeugend bei Stephan Malinowski (u.a. Lesung aus „Die Hohenzollern und die Nazis“, mit ausführlicher Diskussion, Potsdam, 29.6.2023):

Un-Sinn hilft den Nazis

Es gibt ein modernes Theater, das auf mehreren Bühnen gleichzeitig spielt, einer postmodernen Dramaturgie der vielseitigen Verwirrung der Menschen folgend. Wenn alles gleichzeitig abläuft, der Krieg gegen die Ukraine, die Wahl des AfD Neonazis in Senneberg, die Flüchtlingspolitik gegen die Menschen europaweit, das Grünenbashing durch die hirnarmen Freidemokraten und die verlogenen Christdemokraten…Wenn also das alles so aufblitzt und wieder abtaucht in der Urlaubsplanung und im gefährdeten Wohlbefinden, dann ermüdet das das Interesse an den Interessen, die man schon haben sollte, um sich irgendwie zu verorten.

…Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
dass wir nicht sehr verlässlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt…“
(aus Rilkes erster Elegie) 

Da bleiben wir lieber bei den Worten, die noch keine Begriffe sind, aber dafür Haltegriffe sind, um nicht dauernd nachfragen zu müssen, ob sie denn richtig gesetzt sind, ob man sie denn nicht durch andere ersetzen sollte, ob sie denn nicht vielleicht doch zu Begriffen sich verdichten.

Es gibt ja so viele Deuter, dass man an der Welt zweifeln könnte. Nach dem Fußballspiel haben wir Millionen Schiedsrichter, die das Ergebnis deuten, und das ist harmlos. Im Konflikt zwischen Putin und Prigoschin haben wir ganz viele, die uns spontan erklären, was sie und wir nicht wissen können, die Vermutung untergräbt selbst die Meinung, und die muss nicht nahe an der Wahrheit sein. Und nach dem Wahlsieg der Nazis in Thüringen überbieten sich viele Parteiunken mit Erklärungen, die nicht einfach vorschnell und blöde sind, sondern wie aufbewahrte, etwas ranzige Statements sich anhören, die man nur aus der Dose holt, weil jetzt mehr Leute hinhören. Natürlich sind die Grünen schuld, natürlich sind die Einfamilienhäusler, Ölheizer, Autobesitzer, und alle partikularinteressierten Pöbler dabei, sich zu erklären, was sie nicht verstehen – verstehen wollen, nicht nicht verstehen können.

Das Zerstören der Radwege in Berlin durch die CDU und die Zustimmung der sogenannten Koalitionspartner der SPD dazu sind Handlungen, die ein Zeichen für den anwachsenden Faschismus darstellen. Jetzt werden sich einige LeserInnen doch fragen, was das eine mit dem andern zu tun hat. Nicht jede Blödheit ist faschistisch…Was ich meine ist, dass viele Blödheiten nur gedeihen, wenn die Grenzen zum Faschismus durchlässig gemacht werden. Nicht das Verbrechen an den Radfahrern ist per se faschistisch. Weil aber die Stimmung im Volk in diese Richtung geht, bringt sich so eine Blödheit hier ein. Und aus den tausenden Splittern der Schneekönigin setzt sich der zunehmende Faschismus ja zusammen.

Ich kenne den Begriff gut genug, ich kann auch die besondere deutsche Nazigeschichte als besondere Variante von anderen Faschismen unterscheiden und ich denke nicht daran, mit den Begriffen zurückzuhalten, nur weil damit bestimmte Präjudize der Vergangenheit weichgemacht werden. Seit Jahren nehmen in Europa und anderen Teilen der Welt faschistische Grundhaltungen und Bewegungen zu, sie sind längst heimisch geworden, in den Regierungen und Parlamenten der EU, in der NATO, aber vor allem in den Bevölkerungen der sich selbst so rahmenden Demokratien. Manche sind stark genug, um ihre faschistischen Metastasen in Grenzen zu halten, zu isolieren, manchmal punktuell zu bekämpfen. Andere gehen mehr oder weniger leichtfertig pragmatische Bündnisse mit ihnen ein, wobei es den Faschisten und bei uns vielen Nazis egal ist, ob sich jemand von ihnen verbal distanziert, solange sie gemeinsame Ziele durchsetzen. Wenn man auf der falschen Seite der Brandmauer sitzt, schützt sie nicht wirklich.

Es ist ein billiges Vorurteil zu verlangen, dass radikale Kritik zugleich und sogleich mit Alternativen aufwarten sollte. Als ob die Position von Einzelnen – beispielsweise von mir hier – verallgemeinernd politisiert werden könnte oder ich jetzt auf Mission gehen müsste um zu beweisen, dass man die Demokratie doch verbessern oder retten kann. Es regiert der Diskurs des MAN, nicht nur bei diesem Beispiel. Das ist nicht einfach.

Kein faschistischer Überbau, keine Nazidoktrin, kein Stalinismus konnte jemals ohne beides auskommen: Brutale Gewalt UND Zustimmung, Unterstützung von Teilen der Bevölkerung, meist großen Teilen – das wird gern bei den Personalisierern übersehen.

Frühherbst – da stirbt man nicht

Wolkenlos, kühl, etwas Wind, – so sind wir das von Mitte September gewohnt, aber es ist erst Ende Ju8ni, die Pfützen vom Nachtgewitter glitzern noch, und es wäre ein schöner Tag. Selbst der Hund ist entspannt. Es wäre und nicht: es ist.

Man stirbt vom interessierten Pöbel ermuntert im Titanic Uboot, ausführlich und mit mehr Hypothesen als man glauben sollte. Mann stirbt hundert-, tausendfach im Mittelmeer, vom interessierten Pöbel beiseite geschoben, weil ja niemand (die XYZ unkorrekte Bezeichnungen) gerufen hat, sollen sie doch bleiben wo sie sind. Sag ich sonst nie, aber die Ignoranz provoziert. Dass bestimmte Medien, nicht nur die Springerpresse, das eifrig mitpöbeln, ist evident. Dass das innerhalb der EU nicht nur bei uns so ist, sondern schlimmer, viel schlimmer, in Ungarn, Polen, Bulgarien, Österreich…macht Deutschland nicht besser. Ist halt ein Führungsland unter den Trabanten.

Habt ihr keine anderen Sorgen?

Doch, sagen dann alle. Natürlich, wir haben Sorgen. Die Zerstörung der Demokratie statt ihrer Weiterentwicklung steht auf dem Programm der Neoliberalen FDP und der rechten Flügel der SPD. Zerstörung? Nun übertreiben sie nicht. Gemessen an anderen sind die doch gar nicht so schlecht. Fehler #1: Die eigne Demokratie kann man nicht am Zustand anderer Gesellschaften messen. Es fehlt an Republikanismus, unter anderem. Aber die Sorgen, von denen der Pöbel klagt, und die Futter für alle möglichen sozial- und psychowissenschaftlichen Erklärungen sind, drehen sich nur, oder überwiegend darum, die eigenen, für gut erachteten Lebensumstände nicht zu verlassen, Eigenheim, Urlaub, Auto und eben die eigene Erscheinung als zufriedene Bürger. Fehler #2: Die eigene Meinung zum guten Leben muss nicht richtig sein. Was hat, fragt der Pöbel, die Wärmepumpe und teureres Rindfleisch mit den ertrinkenden Flüchtlingen zu tun? Was geht mich die Weltpolitik an, solange ich entscheide, wem ich wie helfe? Die richtige Meinung zum guten Leben kann nur aus der Kommunikation entstehen, das ist trivial; aber die Kommunikation darf sich an der Oberfläche bewegen des längst nicht mehr realen Lebensablaufs, der Lebensführung am Rand des allgemeinen Abgrunds (Klima, Hunger, Krieg….nicht Hölle oder Fegefeuer oder Zufall).

Eigentlich wollte ich über den schönen Frühherbst schreiben, nach den zwei Regentagen ist es morgens kühl, etwas diesig, und bis Mittag kann man es gut aushalten, auch sind alle Blumen schon viel früher aufgegangen als in der Vergangenheit. Kein Grund zur Melancholie? Doch, wenn man an den heißen Sommer denkt, der gerade erst angefangen hat udn schon vorbei scheint.

Das hat mit Politik mehr zu tun als man glaubt. Viele Länder, nehmen das Ende nicht ernst, weil es nicht mit einem Event kommt. Selbst die Wagnersöldner sind nach 24 Stunden wieder weg, als ob dieser Event zur Aufklärung beigetragen hätte. Dass aber unser Alltag das Ende beschleunigt, wird vernebelt, „abgeschwächt“, wie die neoliberalen Trotteln sagen. Heizung # Lebensmittel # Beton # Geschwindigkeitsirrsinn # liberaler Individualismus …wenn das die Demokratie der FDP ist, muss man sie der AfD eingliedern. Die beiden Ebenen – das Uboot und die Ertrunkenen Flüchtlinge, Putin und Wagner, heute vollfressen, die Kinder früher sterben – das geht so vor sich als ob es draußen nicht blühte und uns über die Kürze der Zeit rettete. Nur keine Politik, nicht wahr?

P.S. Das ist mir wichtig: ich hätte diese Morgengedanken auch nicht schreiben müssen. Meine LeserInnen wissen das wohl selber. Aber dahinter steckt die Frage, warum meine Partei, die Grünen, das noch mitmachen. Nicht einfach zu erklären. Nicht nur vom Programm, sondern auch von der Qualität ihrer Regierungsmitglieder sollten sie jetzt besser allein regieren – aber das geht noch nicht, und mit AfD CDU(CSUund Linkspartei die Oppositionsbank drücken, oder auch ohne CDU(CSU … das erträgt keine gesunde Vorstellung. Oder ist alles nicht so schlimm? Doch, ist es, aber nicht schlimm genug. Der Pöbel tobt sich an den Grünen aus, die Medien (Springer, t-online, die Landpresse), und die so genannten Visionen bemühen oft die falschen Stellen aus der Apokalypse. Aber die hat ja nur Bestand, weil sie die Menschen zu spät sehen wollen, obwohl sie sie sehen können. So gehts mit dem Klima auch. Die Grünen sind zur Zeit die unscheinbaren Propheten, die sich mit der Apokalypse eben nicht abgeben, sondern Politik machen. Das kommt nicht gut an bei denen, die auf ihre Inseltouren nicht verzichten wollen.

Kleeblatt des Niedergangs

„Deutschland ist für mich im Sinkflug unterwegs, ein Absteigerland“ , sagt Günther Oettinger, und der ist von der CDU. Schöne Begriffsbildung, immerhin.

Eine Demokratie, die sich nicht demokratisch weiterentwickelt, bleibt keine. Das ist mit solchen Triggerworten so, wie Antifaschismus, Solidarität, Wohlstand…Immer wieder, nicht nur viel früher, gibt es Niedergangsideologien, manchmal Mythen. Oswald Spengler ist nur ein berühmtes Beispiel. Viele folgten, klügere und dümmere. In allen steckte eine kleine Wahrheit: nichts kann so bleiben, wie es gerade ist, bzw. wie es gerade wahrgenommen wird.

Dass Deutschland innerhalb Europas abrutscht, gehört zum üblichen kapitalistischen Wettbewerb. Dass deutsche Qualität keine Selbstverständlichkeit, kann man erklären. Dass das Bildungswesen klassenspezifisch schlecht ist und nachlässt, dass Verkehr, Versicherungen, Geszundheitswesen, Digitalisierung etc. typisch UNDEUTSCH sind, ist der Arroganz des gepäppelten Nachkriegslandes mit geschuldet, das wirklich meint, sehr viel sei auf eigene Leistung zurückzuführen, und nicht auf vielfältige Abhängigkeit.

Ich schreibe das als Doppelstaatsbürger. Als „Deutscher“, der meist hier wohnt, halte ich mich an Gesetze und die Regeln allgemeinen Verkehrs, aber nicht mit Kritik zurück, und schon gar nicht mit der Differenz zu Österreich, das ich als „Österreicher“ genauso, vielleicht schärfer, kritisiere. Dies ist wichtig, weil Deutschland weniger Jagd auf Nestbeschmutzer frönt als vielmehr ein schwer durchschaubares Selbstbewusstsein entwickelt hat, bei dem vieles – wie etwa die Folgen des Absturzes von öffentlicher Leistung an Bürgerinnen und Bürger, – schlicht ausgeklammert wird. Über Österreich ein andermal, nicht weniger kritisch, aber doch ganz anders.

Zurück zum deutschen Abgang, der kein Niedergang ist, sondern endlich auf das Plateau herabsinkt, wo „man“, gemessen an der globalen Machtverteilung und an den verschiedenen Wirkungsradien hingehört. Das ist eine Konstruktion, keine ideologische oder gar ethnische Forderung. Warum ich das heute schreibe: wenn ich an den verheerenden Einfluss der neoliberalen Betonköpfe Lindner und Wissing denke, wenn ich Frau Faesers Mitwirkung an der Abwehr hilfsbedürftiger Menschen nicht verstehen, gar billigen kann, wenn ich das Festhalten am Föderalismus bei gesamtstaatlichen Agenden – Bildung, Kriminalität, Gesundheit, Digitalisierung – für anachronistischen Irrsinn halte, dann wirft das auch kein gutes Licht auf mich, ich weiß. In diesen Tagen wüte ich, weil nur eines die an sich zerstrittenen Sektionen eint: das Bashing der Grünen, die Blindheit gegenüber Menschenrechten und Klima, und die Dummheit eines längst überwunden gegalubten staatlichen Selbstverständnisses. Ob es der Sportwagentaumler Lindner oder der cumex schweigende Scholz oder der faschistoide Aiwanger oder… sind, alle dürfen alles, solange sich nichts wesentliches ändert. Erinnert mich an Lampedusa im „Leopoarden“: „Man muss die Dinge ändern, damit sie die gleichen bleiben“.

Das heißt überhaupt nicht, dass alles falsch oder ungenügend ist. Das hat es nie geheißen, und dass es besser ist als unter der SPDCSUCDUGlocke bestreite ich nicht. Aber „besser“ heißt nicht, dass die kritische Marke der Änderung erreicht wäre. Das Bessere im Schlechten ist nur ungenügend. Das bedeutet auch den Aufschwung der Neonazis, teilweise unterstützt von den zerfallenden Linksradikalen, weil sich diese Extreme ganz notwendig beim Kampf gegen das System treffen müssen. Der Kampf gegen die AfD bleibt ein Narrativ, zeigt sich aber nicht im Handeln, das nicht nur die Bedürfnisse von Menschen erreicht, sondern ihnen auch Grenzen setzt, die der Pöbel eben nicht überschreiten darf, indem man ihn gewähren lässt, gar durch Grundrechte geschützt. Wozu, frage ich euch, hat man denn beides: einen Staat, um das zu veranlassen, und eine Zivilgesellschaft, um das durchzusetzen?

Dieser Zustand erinnert an vergangene Tage, wo die außerparlamentarische Opposition sich mit Wahrheiten der institutionalisierten Wirklichkeit gegenüberstellte. Oft Unrecht hat bzw. Unrecht tat, aber diese Wirklichkeit auch für so, SO, nicht tragbar erscheinen ließ.

Natürlich haben sich Mittel und Umstände gegenüber damals geändert. Natürlich ist die innenpolitische Konfrontation kein Kampfgebiet. Aber nicht nur die AfD neigt hier dazu, das Wort „noch“ einzufügen. .

PS: Zur Flüchtlingspolitik: man lässt hunderte Geflüchtete im Mittelmeer absaufen und biedert sich den Autokraten an, aber für 5 Verrückte in einem Titanic Uboot wird die Weltmacht aktiviert.

P.S. Was die Nähe zu den faschistoiden Populisten belegt, sind Aussagen des Urdeutschen Generalsekretärs der FDP: „FDP-Generalsekretär Djir-Sarai warnt vor „Gefahren von Sicherheitsrisiken“ im Afghanistan-Aufnahmeprogramm. Er sagt, wie er Pull-Faktoren für Migranten abschaffen würde und drängt die Grünen, endlich der Einstufung Moldaus und Georgiens als sichere Herkunftsstaaten zuzustimmen.“ (21.5.2023). Man sollte ihm eine geistige Erholung in Afghanistan widmen, oder ihn in Moldau im russisch dominierten Raubgebiet als Berichterstatter installieren.

Finis terrae: Ablenkung vom Ende

Bitte lest als erstes den Blog vom 26.8.2022: Frauen am Ende der Welt. Ich muss mich wiederholen, aber nicht alles wieder hereinholen, das schon bei euch gelandet ist.

Die Verweigerung vieler Menschen in unterschiedlichsten Gesellschaften, Milieus und Klassen gegenüber einem Ende der menschlichen Besiedlung der Erde ist bedenkenswert und bedenklich. Dabei ist es egal, ob die Dauer des Abgangs kurzfristig absehbar ist, ein paar Generationen, oder länger dauert. Die Nichtumkehrbarkeit – etwa durch den Klimawandel – kann sich im Jetzt verankern oder in die Illusion aufgelöst werden. Ob es 2° oder 1,5° sind, ist weniger wichtig als dass es keine 3° oder mehr sein dürfen; abgesehen vom Absaufen der Pazifikinseln oder in naher Zukunft auch von Teilen New Yorks.

Wozu man eine Regierung hat, scheint denen unklar zu sein, die meinen, man müsste alle Wünsche und Bedürfnisse aller Gruppen und Einzelpersonen einer Gesellschaft gleichermaßen berücksichtigen. Die AfD nahe Perversion des bayrischen Ministers Aiwanger, gestützt durch alle Betonköpfe unserer Zeit, ist eben kein blödsinniger Ausrutscher, sondern die Verweigerung gegenüber von Zukunft, jetzt schon. Aber heute nicht mein Thema.

Wenn wir nicht wissen, wie die letzten Stadien des Erdenlebens sich konkret abspielen, und wenn wir nicht erklären können, wie es zu diesem Endzeitleben kommt, dann sollten wir nicht zuviel spekulieren, eher unserer Vorstellung als unseren Kalkülen vertrauen. Wie wird es sein, wenn ein Atomschlag weite Teile der Erde verwüstet und alle verstrahlt haben wird? Wie wird es sein, wenn sich Diktaturen in der Endzeit selbst auslöschen, weil es niemanden gibt, der noch zusätzlich beherrschbar wird und niemandem vertraut werden kann? Was machen wir, wenn aus den unbewohnbaren Gebieten in die bewohnbaren ausgewandert wird, ohne Rücksicht auf die Flüchtlingspläne der Festung Europa odes Gulags irgendeiner Diktatur? Kurz: wie lebt man, wenn man nur überlebt, und das auch nur durch Zufall?

Der Zufall ist ein Schlüssel zu Harpmans Text: von einer unendlich großen Zahl von Gefängniszellen bleibt nur eine einzige unversperrt, als der Alarm die Diktatur auslöscht, was ja die Insassinnen des Gefängniskäfigs nicht wissen können. Sind sie jetzt frei? Sie lernen, über lange Zeit hinweg, den steinigen Pfad von der Befreiung zur Freiheit, und gerade von dem namenlosen „Mädchen“ angeleitet, das nicht der geschlechtlichen Reproduktion der Frauen, „aller Frauen“ unterliegt, sondern mit der eigenen Emanzipation erst dieses auch lernt, wie alles Gesellschaftliche.

Dass es 40 Frauen sind, die dem Gefängnis entkommen, und bis zum absehbaren Tod der Letzten, das Mädchen beschreibt die Evolution seit ihrem 14. Lebensjahr und wird demnächst mit etwas über 60 sterben, dass es 39 Frauen sind, mit allen möglichen, aber nicht hybriden Lebenserfahrungen, die den männlichen Wächtern und der Diktatur entkommen sind, wird aus der Sicht der letzten Überlebenden erzählt. Es bleibt beim Leben bis zum Sterben, es kommt kein Tod, der ein Jenseits erhoffen lässt, es kommt kein Trost als dass man in der kurzen Zeit des Überlebens, der Befreiung, vieles gelebt hat, mehr erlebt als man vermisst, mehr sich (erneut) sozialisiert als der Vergangenheit nachtrauert, wenn sie schon erinnerbar wird. Und das Mädchen wird, ungeplant, aber nicht zufällig, die Anführerin des Wegs in die Freiheit, weil sie von der Verengung durch die zivilisatorischen Traditionen von Ethik und sozialer Beschränkung nichts weiß. Nicht weiß – das ist eine heikle Frage, weil sie ja ihr Leben schreibt, nachdem sie zum Ende, schon allein, lesen und schreiben gelernt hat und Papier gefunden hat und die Muße, grundversorgt durch Funde in den Gefängnisbunkern, das festzuhalten für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand kommen wird, der die Aufzeichnungen findet und liest.

Es ist kein Zukunftsroman, eher eine Analyse einer möglichen Zukunft, die das Ende der Menschheit, nicht aber der Welt beschreibt, die die Einsamkeit des letzten überlebenden Menschen darstellt, aber die Frau hat in ihren letzten 50 Jahren so viel erinnert, dass sie bis zu ihrem sterbenskranken Endstadium sozusagen die „Welt“ mit sich trägt, deutlich macht, dass nicht alles erfreulich oder schrecklich war, dass vieles ebenso schwierig zu leben war – im Vergleich dazu ist das Sterben, auch weil es endgültig ist, nur deshalb unerfreulich, weil man nicht weiterleben kann. Verwoben in diese Geschichte ist auch die Selbstbestimmung des Sterbemoments, man will nicht von Suizid sprechen, wie ich leben konnte, so will ich auch das Sterben bestimmen, bevor ich vor Schmerzen oder Unglück eingehe.

Ethisch und psychologisch ein großartiges Buch. Aber das würde nicht ausreichen, es jetzt hier erneut anzupreisen. An einer Stelle vermutet die mittlerweile schon ältere Frau, dass vielleicht die grausamen männlichen Wächter selbst in ihre Verhaltensweise gezwungene, abhängige Unselbstständige waren, die so wenig wussten, warum sie die Frauen im Käfig barbarische bewacht hatten, wie diese rekonstruieren konnten, wie sie im Käfig gelandet waren, im ewigen Gefängnis.

Natürlich ist da auch eine Menge symbolischer Erzählung dabei, das ist nicht SciFi. Die beste Freundin des Mädchens, der namenlosen Frau, heißt Anthea. Gegen Ende, rekonstruiert die Frau ihre nicht ausgelebte Liebe zu ihr. Anthea, die Blütenreiche, Blumige, neben den anderen, völlig normalen, gebräuchlichen Namen der übrigen Frauen. Die eine hat keinen Namen, die andere einen besonderen…dass die Frau , seitdem sie „das Mädchen“ war, keinen Namen hat, deutet auf die soziale Herkunftsbedeutung der Namensgebung hin. Nur sie weiß nichts von Vater und Mutter, die andern erinnern neblige Bruchstücke, auch an Sex, Kinder, Familie, Arbeit…aber alles ist wie durch einen Vorhang, den sie zwangsweise durchschreiten mussten, um nicht fragen zu können, wie sie im Käfig gelandet sind. Und wie udn warum alle anderen Gefangenen, meist Frauen, bisweilen männliche Opfer, alle, ausnahmslos, in ihren Käfigen verhungert sind, nachdem die Wachen auf ein Sirenengeheul blitzartig verschwunden waren. Nur der eine Käfig war gerade, zufällig, offen. Dieser Zufall speilt eine entscheidende Rolle, als Gegengewicht zur religiösen oder mystischen Vorhersehung oder Bestimmung. Das hat schon etwas mit Freiheit zu tun.

Schön ist an dieser Evolutionsgeschichte auch, dass das Mädchen, dessen sexuelle Entwicklung halbwegs pubertär gestoppt wird, sich einen der jungen Wächter, der sie nicht ein Mal anschaut, „verschaut“, man kann nicht sagen verliebt, aber die genuine Attraktion ist wie ein Ornament auf dem Weg zur Reife – und zur Befreiung. Vorsicht, Zufall. Was wäre gewesen, wenn der junge Wächter an sie herangekommen wäre…? Aber das ist eine schwer tragbare Wahrheit, dass es außer den 40, außer der später Einen, keine lebenden Menschen mehr gab. Viele Details, die auch noch aufgearbeitet werden müssen, oder auch nicht: wenn das Ende der Menschen auf dieser Erde so aussieht.

Ich werde die Zitate auswerten und verwenden. Und an diesem Text weiterschreiben. Jetzt einmal:

Jacuqeline Harpman: Moi qui n’a pas connu les hommes, Paris 1995

I who have never known Men, Vintage 2019; die Frau, die die Männer nicht kannte, Hamburg 1995 (mE. keine gute Übersetzung, das Buch ist nicht frei verkäuflich, nur teuer antuquarisch. Dier englische Version ist gut, die französische natürlich auch)

Hetze gegen links, Balsam für die Faschos

„Eine Überemotionalität oder gar ausländerfeindliche Gesinnung“ sei nicht zu erkennen. So heißt es in einem Beschluss dreier Richterkollegen vom 24. Mai, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt.

Es sei auch kein Problem, heißt es in dem Beschluss weiter, dass Richter Scheffer im Jahr 2019 für die AfD einen Sitz im sächsischen Landeswahlausschuss wahrgenommen habe. Es gebe keine „objektiven Gründe“, an seiner „Unparteilichkeit“ zu zweifeln. Einen „Anschein der Befangenheit“ gebe es nicht – offenbar selbst dann nicht, wenn er die Flüchtlingspolitik von heute mit den Methoden des DDR-Regimes vergleicht. Ob Richter Scheffer selbst ein Parteibuch der AfD hat, ist unbekannt.

So darf der Jurist in Sachsen weiter über Asylfälle entscheiden. Wieder einmal Sachsen:…(SZ 13.6.2023)

Solange Richter faschistisches Verhalten, von anderen Richtern geschützt, seit Jahren und ungerührt begehen dürfen, solange ist von einer Balance gegen jede Art von „Extremismus“ keine Rede…UND DESHALB sollte man sich nicht in die Rechts-Links-Ornamentik einlassen, die einander nicht wie die Rahmen eines gesellschaftlichen Bildes gegenüberstehen. Es handelt sich NICHT UM BEGRIFFE; sondern um Worte, hinter denen sich Gewalt und eine Verachtung der Demokratie verbirgt. Wobei das Verbergen ja vielen Richtern Spaß macht, wenn sie selbst hinter dem Vorhang Bündnisse schließen, und sei es nur aus Überzeugung.

Unbequemer Sommer

Es wird heiß, es ist teilweise trocken oder ganz nass, man hält sich zurück. Was hat das Klima mit den Einfamilienhütten zu tun, mit dem Streit in der Ampel, mit dem genussvollen Nichtstun der Opposition? Mit dem Krieg der Russen gegen die Ukraine und gegen Europa? Mit der Reaktion des Westens, der längst mehrere Westen ist, auf diesen und andere Kriege?

Das Klima ist kein Joker, auch kein Joke, es trifft ja nur unsere Kinder und Enkel…Es hat schon viele Geflüchtete getroffen, die jetzt in die Faeserlager vor den EU Grenzen kommen, angeblich nicht unmenschlich, aber strikt. Was flüchten die Deppen auch vor ihrem Tod, komme er durch Diktatoren, Hunger oder – eben das Klima?

Es herrscht böses politisches Klima.

Da ich seit langem die Begriffe Nazi und faschistisch – nicht identisch! – verwende, wo die höflichen Sanftsprecher noch rechtsnational, ultrakonservativ oder extrem religiös sagen. Und das beibehalte, wiewohl gerade ich, und in diesem Blog, immer für mäßige Sprechformen eintrete, gerade gemäßigt als Teil der zivilisierten Landeshälfte. (Reichshälfte kann man zu Recht nicht sagen, aber da fangen die Probleme nicht erst an).

ABER: was man als wahr und richtig erachtet, erfordert keinen schönen Rahmen. Die Kritik am Ornament als Appeaser ist nicht neu, und nicht nur in der Kunstgeschichte oder Rhetorik (wo es passt, soll es das Bild einrahmen, das ist gar nicht so trivial).

Ich verwende die beiden Begriffe bewusst und belegbar. Europa, nicht nur Europa, steuert eine faschistische Korrektur der Mitte an, eine Mitnahme faschistischer Elemente in ihren teils noch funktionierenden, teils bereits sich auflösenden Demokratien. Man geht nach wie vor einigermaßen diplomatisch, gemäßigt miteinander um, sozusagen den Dogmen der Verfassungen, der demokratischen und vor allem republikanischen Staatstugenden verpflichtet und auf die Zivilgesellschaft hoffend. Und es ist ja noch nicht 1933. Und das NOCH bedeutet nicht Wiederholung oder Gleichklang, sondern der neue Schlauch füllt sich nicht nur mit altem Wein. Aber es sagen ja alle: Antisemitismus ist ubiquitär, nicht gleichgeblieben, sondern wuchernd; das Volk traut der Regierung nicht und ihr nichts zu, und die Opposition bleibt glaubwürdig leer, glaubwürdig, sie muss ja nicht regieren, und Kritik muss keine Tugend sein, wenn sie keinen Inhalt hat.

Damit meine ich nicht nur die fatale Zwangslage für die Geflüchteten. Dass es besser sei, die schlechte Variante zu wählen als mit besseren Vorschlägen den Faschisten in Ungarn und Polen und… ihre Politik zu lassen und selbst noch nicht einmal eine Außengrenze zu haben. Ja, das kann man isoliert so beschreiben, wie es Annalena Baerbock getan hat. Aber das ist ja kein Einzelfall der tektonischen Rechtsverschiebung in Europa. Schweden liefert Menschen an den Diktator und Faschisten Erdögan aus, per Gerichtsbeschluss, dafür darf es zu Erdögan in die NATO. Halt, auch zu uns.

Nun gibt es aber, das mag meine Leserinnen beruhigen, eine mindestens doppelte Wahrheit. Wir müssen, sollen, können auch mit faschistischen und faschistoiden Regimen gemeinsam die Ukraine unterstützen, und das ist nur das nächstliegende Beispiel. Und wir müssen, können, sollen, die faschistischen und faschistoiden Entwicklungen in Europa, gar global, bekämpfen, und zwar nicht nur rhetorisch.

Jetzt wird es heikel, und vor allem schwierig. Die Wortwahl Hubert Aiwangers und das Geblödel von Söder vor den applaudierenden Massen in Bayern wird zwar von der seriösen Presse zurecht kritisiert, aber der Pöbel freut sich über den Auftritt. Aiwanger mobilisiert den Demokratieschrott gegen die Demokratie, nicht unähnlich der deutschnationalen Wortwahl vor 1933, bis hin zu 1933. Noch kann man das als Marotte abtun. Ist auch hinreichned krisiert, weil NOCH nicht wirklich massenhaft. Vielzählig genug.

Auf größerer Ebene wirds analog heikel. Natürlich sagen auch Nazis und Faschisten nicht nur bisweilen etwas richtiges. Nicht alles Richtige ist auch wahr. Darum geht es auch. Können wir diese Ambivalenzen aushalten, sie wenigstens jenseits der Realpolitik zu Kompromissen verarbeiten, die uns noch eine richtige Zukunft erlauben? Viel von dieser Frage wird vom grinsenden Pöbel an den wirklichen Konflikten innerhalb der Grünen Partei beobachtet, und die andern Parteien putzen sich, Kanzler und Finanzminister im realpolitischen Tänzchen. Merke: „In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod“ (Friedrich von Logau, späterAlexander Kluge). Der Kompromiss ist kein Mittelweg, da hat Baerbock recht. Aber es gibt auch Grenzen für den Kompromiss. Nein, kein „Aber“, es gibt diese Grenzen. Sie überschreiten sollte nur, wer weiß, was er jenseits der sicheren realpolitischen Zone praktisch und politisch tun wird, kann, kurzfristig…es gibt keine Warteräume in den Aufnahmelagern. Es gibt auch keine Warteräume im Widerstand gegen den antidemokratischen Gärprozess in deutschen Pöbelinseln. Nicht die Basis ist die bessere demokratische Rahmung von Politik, sowenig wie die Regierung. DAZU haben wir eine entwickelte und in der Verfassung und der Realität funktionierende Demokratie, gewählt bitte, nicht empfangen. Basis muss, kann gehört, befragt werden. Aber wenn nicht gegen die Basis entscheiden werden darf, ist Demokratie nicht verstanden.

Zum Trost: lest nach den Unterschied zwischen Goldenem und Silbernem Zeitalter bei Ovid, und warum man im Gold keinen Staat braucht.

Abrüsten, bitte

Vorab: Das Strafurteil gegen Lina E. & ihre Gruppe (OLG Dresden) geht im Ausmaß und in der bekanntgewordenen Begründung, dass es keine Privatisierung von Justiz geben dürfe, in Ordnung. Dass es unter der Forderung der Staatsanwaltschaft geblieben ist, kann man ebenfalls begrüßen. Berichterstattung: SZ am 1.6., Ronen Steinke und Iris Mayer.

Sonst nichts.

Ausgerechnet Sachsen. Wo man die Nazis von der AfD jahrelang geradezu gepäppelt hat.

Leipzig verbietet Solidaritätsdemo für Lina E. Für Samstag ruft die linksradikale Szene überregional zur Teilnahme an einem großen „Tag X“ in Leipzig auf. Die Polizei befürchtet Ausschreitungen und bereitet einen Großeinsatz vor. Die nun verbotene Demo war die bisher einzig bekannte angemeldete Versammlung an jenem Tag. Wie viele Teilnehmer angemeldet waren, wurde zunächst nicht mitgeteilt. Grund für das Verbot seien die Gefahrenprognosen der Polizeidirektion Leipzig, die Lageeinschätzungen des Landesamts für Verfassungsschutz sowie weitere Erkenntnisse der Versammlungsbehörde. (Tagesspiegel 2.6.2023)

Ausgerechnet Faeser: der Tonfall gegen „linke“ Radikale“ ist ein anderer wie die Dämpfungspolitik gegen „rechts“.

Ausgerechnet die Medien: Die Welt, Merkur, t-online und andere trommeln hysterisch gegen die Grünen und für ein Überholen demokratischer Parteien durch die AfD.

Ausgerechnet die Bundesregierung: Die neoliberalen Luxusfahrer verhindern einen pragmatischen Dialog um umweltbezogene Politik, während der Kanzler lieber Erdögan gratuliert als wertebasierte Außenpolitik selbst zu betreiben.

Ausgerechnet Demoverbot in Leipzig: die Radikalisierung der Situation durch die Stadt führt zu weiterer, induzierter Radikalisierung.  

§ ist nicht Politik ist nicht Moral

Rahel Jaeggi hat einen hervorragenden Artikel geschrieben, gegen die Politik gegen den Klimaprotest: Radikal ist nur die Situation (Der Freitag, 1.6.2023, S.13). Sie analysiert die politische Strategie, die Letzte Generation als Kriminelle Vereinigung zu verdächtigen.

Man braucht „aktivistische Öffentlichkeitsarbeit und zivilen Ungehorsam“ um Aufmerksamkeit zu erregen…und dass sie eben nicht „der Sache schade“…Lest den ganzen Artikel, bestens zusammengefasst.

Nun sind die Aktionen der „Linken“ gegen die „Rechten“ nicht mit den Formen des Klimaprotests zu vergleichen, das weiß ich so gut wie Ihr. ABER das Säbelrasseln der scheinbar unparteiischen Staatsvertreter mit dem glücklichen Nebengefühl, dass es endlich gegen die „Linken“ geht, wenn man von terroristischen Vereinigungen faselt oder deren Nähe herbeiprovoziert, ist verdächtig. Und wenn schon dauernd das Wort Terrorismus auftacht, dann liegen Assoziationen nahe, die an der Wirklichkeit vorbeigehen, aber an den grauenvollen Terrorismus und seine Anfänge und ie Reaktion des Staates vor 50 Jahren hinweisen. Sprache ist verräterisch.

Geht’s gegen „rechts“, versucht man sich in Erklärungen, zB. warum die Nazis so viel Zuspruch wie die SPD haben (DLF 2.6.2023, 8.20). Geht’s gegen „links“, muss der Rechtsstaat auf sein Paragraphengeflecht und sonst nichts zurückgreifen.

Vorschlag: lest erst einmal Hannah Arendt zum Problem des Totalitarismus (1955), der rechts und links etwas andere Bedeutungen zumisst als der Alltagsjargon. Nein, heute konfrontiert sich nicht NS und Stalinismus, aber Analogien sind vorhanden. Lest auch E. J. Gumbel (1922 und später). Auch hier: keine Wiederholung. Aber auch hier erkennt man Analogien. Und immer wieder Ernst Jandl, Manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht / velwechsern. / werch ein illtum! (1966)

Analogien aktivieren das Denken um die Differenzen, darum geht’s mir.

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Appell an eine bestimmte ausufernde Gruppe von PolitikerInnen, Zivilgesellschaft und Empörte: Etwas abrüsten, und nicht die staatliche Exekutive mit der Justiz, nicht den Rechtsstaat mit Gerechtigkeit velwechsern, nicht die Rechten verharmlosen, weil sie so viele und in der Mitte der Gesellschaft sind, nicht die Linken vergrößern, wo sie selbst marginal sind.

Und in Sachsen, nicht nur dort, kann man Demokratie auch weiterentwickeln…