HA! Ausnahmsweise war ich früher. Aber die SZ von gestern hat nachgezogen: Deutschland im Stillstand. 2.7.2022). Aber lest trotzdem erst bei mir weiter.
Die Selbstverzwergung der europäischen Führungsmacht, vor der Alpenkulisse, im Verkehr, in den Medien, wäre ein Thema für eine gesellschaftliche Opposition, nicht einfach Nahrung für den Meinungsstreit. Da aber die Auseinandersetzung entweder in der Blase der regierenden Eliten incl. Opposition erfolgt oder sie in der „Breite der Bevölkerung“ oft grund- und bodenlos aufspritzt wie ein Geysir und dann schnell zusammenbricht, bleibt vom zurückbleibenden Deutschland der schale Geschmack einer sich abhängenden Nation.
VORSICHT: selbstverständlich gibt es personale Ausnahmen, PolitikerInnen, die das ähnlich sehen und auch aussprechen, Medienkommentare, die sich daran hängen…ABER der Mainstream faltet die Hände vor dem Wohlstandsbauch und wehrt sich dagegen, dass die Armen es besser haben sollen und die Wohlhabenden abnehmen müssen, und dass das mit der Zwergenperspektive sehr wohl ursächlich und logisch zu tun hat.
Solche Gedanken könnten innenpolitisch aus der Linken kommen, tun sie aber nicht. Der außenpolitische Zwerg hat sich wieder brav dem Transatlantik statt der EUROPA-Sicht der Krisen- und Kriegssituation untergeordnet.
VORSICHT: das ist kein Antiamerikanismus, sondern die Einsicht, dass die USA im Falle einer wirklichen Ausweitung des Kalten in einen Heissen Krieg von den russischen Atomwaffen weit genug entfernt sind, um sie in Deutschland und Europa zu stationieren. Sehr wohl ist meine AMERIKAKRITIK stärker geworden mit der Spaltung der USA in einen faschistischen Flügel, von der Gerichtsmehrheit bis hin zu den neuen Rassismen, und einer ungeordneten Verteilung von geschwächtem Vorbild an Demokratie. Diese Kritik ändert nichts an meiner ABLEHNUNG der russischen und chinesischen Diktaturen, also kein Einfallstor für die amerikafeindlichen Urdeutschen, die noch immer an den Vorsprung der deutschen Kultur vor dem Rest der westlichen Welt glauben, und in Putin auch das Opfer der früheren westlichen Aggression sehen (teilweise Frau Dardelen im DLF am 1.7.). Noch schlimmer aber ist, dass die Verhandlungsbefürworter (das sind WIR auch immer, wir nicht-Bellizisten) einfach vom Westen reden, als wäre das eine objektive Macht: Im Appell „Waffenstillstand jetzt!“ (ZEIT, 30.6.) ist dauernd vom Westen die Rede, da kommen wir so wenig vor wie die USA. DASS alle Forderungen der AppelliererInnen ganz gut sind, versteht sich. NUR wie die diplomatische Großoffensive zustande kommen soll, wenn es den herbeischwadronierten Westen SO nicht gibt…?).
Dieser Zugang ist nicht von mir gewählt, um das Land aus der Zwergenblase in die aufrechte Wunschgröße zu befreien, das wäre ein neuer Nationalismus. Bloß nicht. ABER wie kann Kritik zwischen dem erwünschten, aber nicht erwarteten Kosmopolitismus und einer erhofften nationalen Selbstbesinnung „richtig“ und breit verankert politische Perspektiven bieten, die über das Meinungsniveau hinausgehen?
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Ich bin da überhaupt nicht allein mit diesen Ansichten. Denn es ist kein monolithischer Block von Kritik, der sozusagen eine Politikwende fordern würde, sondern jedes Element am Zwergenmenu hat sein Thema und seine Alternative. Teile davon sind in den Medien, andere Teile richten sich gegen die Medien. Ich fange mit Beispielen zum letzteren an:
Da wird tatsächlich berichtet, wenn ein Mensch oder mehrere Dächer in Bayern durch ein Gewitter umkommen – und die hunderten, tausenden Toten im Krieg der Russen gegen die Ukraine werden vergleichsweise marginal erwähnt. Das ist nicht trivial und lässt sich analog vervielfältigen.
Zwergisch ist auch die deutsche, neoliberal ruinierte Coronapolitik, die nach wie vor mehr Tote in Kaufnimmt und noch nicht einmal eine auswertbare Statistik vorweisen kann.
Zwergisch ist die lächerliche, hinter der Dritten zurückgebliebene IT Politik, die auch auf einen Mangel an technisch-zukunftsorientierter Perspektive zurückgeht. Was wiederum auch auf
die zwergische Bildungspolitik zurückgeht: Deutschland investiert in Tankstellen, aber nicht in Bildung (–> OECD Übersichten), wir sind im Mittelfeld und werden nicht nur von wohlhabenden Ländern abgehängt.
Und so kann ich die Verzwergung an einer langen Liste weiterführen, aber ich bin kein Dichter und mache keine Märchen draus. Keiner bremst Lindner mit seiner blödsinnigen Klientelpolitik für die Reichen. Die Verarmung ist auch ein Ergebnis der Verhinderung von Konflikten, dort wo sie eigentlich hingehören: in die Öffentlichkeit. Das machen fast alle, und die Aufarbeitung, wo die Katastrophen und Zwergenlandschaften herkommen, lässt auf sich warten. Mehdorn läuft noch immer frei herum, und er ist nur ein Symbol für viele seinesgleichen. Geld für Hitler/Hindenburg (=Garnison)kirche in Potsdam ist in Millionenhöhe da, die Armen werden mit nichts abgespeist; und weil nicht einmal der Klassenkonflikt, sondern die Stimmung mitregiert, wird nicht wirklich und aufrichtig von einer Notwendigkeit der Wohlstandseinschränkung gesprochen, die nicht nur die Armen trifft, sondern die Vermögen der Vermögenden in einer der reichsten Gesellschaften der Welt (ob sie nun auch noch Geld in Westchina verdienen oder durch den Export von verdorbenem Fleisch in den globalen Süden, ist dann nur ein Element….). Es geht wirklich ums Ganze, und kaum jemand erinnert sich wirklich, wieviel die europäischen Siegermächte nach dem 2. Weltkrieg sozial erdulden mussten, so 1945-1950 ca., obwohl sie gesiegt und andere befreit hatten. Noch verdienen etliche am Krieg Putins gegen den Westen. Und dass es „den“ Westen längst nicht mehr gibt, sollte endlich auch ins Zwergenreich durchdringen, so wenig wie es Osten ja nie wirklich gegeben hat, polit-geographisch.
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Wie ich zu solchen Sätzen komme? Ich bin ja nicht so blöd, dass ich nicht wüsste um wieviel komplexer die Situation ist. Aber für die Zwerge ist das anders: da gehören Orban und Erdögan und noch ganz anderes Gesindel „dazu“, und bei der Frage, wozu dieses „Dazu“ eigentlich da ist, wird auf der abstrakten Ebene der Zeitenwende geantwortet und die Einigkeit vor dem Alpenpanorama. Ich bin dafür, diese Einfachheiten sofort zurückzunehmen, wenn die Komplexität auch angesprochen wird. (Übrigens: Habeck und Baerbock können das, es ist kein Zauberkunststück; aber wieweit dringen sie gegen das laissez-faire in den Grundsatzfragen des neuen Kriegs durch?). Vieles, das ich hier schreibe, findet sich in den Medien auch, ich erfinde nichts.
Und noch etwas wichtiges: Wenn ich diese Dinge, ausführlich und differenziert, mit anderen diskutiere, erklären mir manche, dass die Züge hier zwar zu spät sind, aber anderswo, in Vietnam und Kenia, noch viel mehr Verspätung haben; dass unser Internet zwar lückenhaft ist, aber man muss ja nicht alles digitalisieren; dass unsere Milde gegenüber der Korruption anderswo nur formal gekontert wird, bei uns aber alles doch relativ normal vor sich geht; „EIGENTLICH“ geht’s uns doch gut. Und dann werde ich ärgerlich, nicht wie in diesem Artikelchen. Ja, es geht uns gut, zu lasten anderer, und eigentlich heißt ja nur, dass wir die bestehenden Spaltungen nicht beseitigen wollen. In dieser, nur in dieser, Hinsicht sind mir die Konflikte in den USA in der politischen Praxis näher, weil sie noch etwas bewegen wollen, während wir eher nur befestigen.
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Im Bewusstsein, dass berechtigte Kritik an diesen Zeilen schon deshalb kommt, weil vieles an der Politik auch richtig (?) ist, sage ich jetzt nur noch, dass die Maßstäbe im Zwergenreich andere sind, wie bei der Spielzeugeisenbahn. Es macht keinen Spaß.