Eigentlich wollte ich, und werde ich, etwas tages-angemessnes zum 31.12. schreiben. Aber ich habe jetzt des WDR „Intendanten“ Erklärung für das Verbot des satirischen Videos im Ersten gesehen, und das verlangt ein Update: Buhrow sagt, Satire dürfe zwar einiges, aber sich nicht gegen eine ganze Bevölkerungsgruppe wenden, also z.B. die Alten. Die Alten – das sagt Angela Merkel völlig richtig – werden die Folgen des Klimawandels gar nicht mehr erleben. Das Vewrbot der Satire wendet sich also gegen alle Jungen. Buhrow entschuldigt sich „ohne wenn und aber“. „Ohne wenn und aber“ steht er aber auch hinter all seinen MitarbeiterInnen, wenn die wegen des Videos angegriffen werden. Ich finde, dieser Mann gehört ohne wenn und aber von seinem Posten entfernt und z.B. in die Satirewerkstatt des WDR versetzt. Er ist schlimmer als die notorisch hetzerische rechte Bildzeitung, die halt täglich einen Aufreger braucht. Der WDR ist eine öffentlich-rechtliche Anstalt, und keine journalistische Gosse. Die Satire in den Grenzen der kleinbürgerlichen, spießigen Unvernunft des Herrn Buhrow. Man hätte sicheinen besseren Jahresausklang gewünscht. * Selten eine so einfache und so komplizierte Sache spontan aufgegriffen. Um es gleich am Anfang zu sagen: ob sich Ältere („Oma“ als Metapher, nicht an Jahren gemessene Großmutter) beleidigt fühlen, ist eine Sache, die mich weniger interessiert. Ich bin selbst Opa, und intelligent genug, Satire von Berichterstattung oder Hetze zu unterscheiden. Dass die AfD und anderes Gesocks das nicht wollen und können, ist eine Sache. Eine andere ist die Reaktion von Herrn Buhrow, der vom Krankenbett seines umweltfreundlichen Vaters reagiert hat, und vielleicht einiges nicht versteht. Eine Dritte ist die Betonung von Oma, und nicht von Sau. Darauf ist in den Kommentaren kaum jemand eingegangen: auf die Tiere, und die Bedeutung der Tiermetapher in der deutschen Sprachgeschichte. Und gleich ganz deutlich: das Video muss wieder öffentlich werden, der WDR soll seine Entschuldigung zurückziehen und sich dafür entschuldigen, dass er sich entschuldigt hat, und ansonsten: fröhlichen Jahreswechsel in das Klimaverachtungsjahr öffentlich rechtlicher Heuchler. * Der Bericht: „Aufregung um „Oma als Umweltsau“: Nach einer vom WDR-Kinderchor gesungenen Umweltsatire über die „Oma als Umweltsau“ gab es Proteste vor dem Gebäude des Senders in Köln; einige Demonstranten hätten augenscheinlich zur rechten Szene gehört, sagte ein Polizeisprecher. Es gab eine spontane Gegendemonstration aus der linken Szene. Der Kinderchor singt in dem mittlerweile gelöschten Video zur Melodie von „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ davon, wie diese Oma dabei jeden Monat tausend Liter Sprit verbraucht, mit ihrem SUV „zwei Opis mit Rollator“ überfährt und sich jeden Tag ein Kotelett brät, weil „Discounterfleisch so gut wie gar nix kostet“. Der WDR hatte sich für die missglückte Aktion entschuldigt. tagesspiegel.de; sueddeutsche.de (Chorleiter Zeljo Davutovic)“ 30.12.2019 * Ich entschuldige mich für den WDR. Der entschuldigt sich, weil angeblich Ältere beleidigt worden waren. Dass die Aktion missglückt war, mag sein – warum eigentlich? Dass sich ein öffentlich-rechtlicher Sender dafür entschuldigt, darf nicht sein. Erfreulich: die Kontroverse um die Angelegenheit. Das Lied soll überall und vermehrt gespielt werden, und was die Geschmacklosigkeit betrifft, so gilt gerade hier: Satire darf alles. Auch den Geschmack verletzen. (Wer hat eigentlich protestiert, als der Rundfunk ausstrahlte „Hast du noch ein Mütterlein, dann sei gut zu ihr“?). Mir geht es um etwas anderes, um die TIERMETAPHER. Die UmweltSAU. Immer die Tiere. Umgangssprachlich würde man das hündische Bauchkriechen der Bundesregierung vor Trump oder Erdögan gerne bemäkeln, und einen dummen bayrischen Politiker auch einmal „du Aff‘“ nennen. Die Intrigantin ist eine Schlange, der devote Untergebene ist ein Wurm usw. So gesehen ist die Umweltsau ganz und gar in den deutschen Sprachgebrauch eingeschrieben. Einem Sprachgebrauch, der von seinen antijüdischen und antisemitischen Konnotationen nicht einfach abstrahieren kann, auch wenn bestimmte Tiere im Alltag nicht in diesem Kontext stehen, andere umso mehr. Eine ganz gute Übersicht dazu https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BC discher_Parasit . Aber noch viel genauer und stringenter bei Monika Urban: Zur Genealogie diskursiver Dehumanisierung – Tiersymbolisierungen in judenfeindlichen Diskursfragmenten im deutschen Sprachraum und ihre postfaschistischen Residuen“ (Oldenburg 2014). Vorsicht: ich wende mich jetzt NICHT GEGEN DAS WDR LIED, sondern stelle die TIERVERGLEICHE insgesamt in einen politischen Kontext. Ich gehe soweit zu sagen, dass der Tiervergleich, wenn überhaupt, nur in der Satire seinen Platz hat, und selbstverständlich auch außerhalb des antisemitischen Kontexts vorkommt und satirisch vorkommen kann. Aber hinter dem saublöd, Rampensau, Schweinehund, hinter hunderten Metaphern mit Tieren, bis hin zur Abhörwanze und Floh im Ohr, lauert die Geschichte. Nun, so gut wie sicher NICHT IM WDR CHORLIED. Warum bring ich das dann hier im Zusammenhang. Weil wir den Feinden der Satire und den Klimapolitikern, weil wir den Jungen wieder etwas aufzwingen, das wir eigentlich mit ihren Strategen bekämpfen sollten. Mit ihren ältlichen Strategen, Omas und Opas. Ich muss mich selbst oft zurückhalten, keinen Tiervergleich anzubringen, wo er sozusagen auf der Zunge läge. Das ist kein Geständnis, sondern eine Selbstbeobachtung, dass man (allgemein) und ich (konkret) außerhalb der Satire eben nicht öffentlich sagen soll, was auch anders verstanden werden kann in der Geschichte und Gegenwart der Sprache, die wir in allen Ebenen nutzen. Die „Sau“ hat sich schon engrammatisch in den Sprachgebrauch eingefügt, so ähnlich wie alle anderen Tiervergleiche. Der bayrische Witz: Wer einen Hund hat und frei herumläuft wird erschossen. Aber das ist missverständlich. Ach so: Wer einen Hund hat und frei herumläuft wird erschossen, der Hund. Die Realität: nicht der ungeprüfte Sprachgebrauch ist das Thema, sondern der Klimawandel, das Vergehen der älteren Generation an den nachkommenden Generationen, die Unsinnigkeit von SUVs, und das scheinbare Recht der Älteren, ihre Leben selbst zu bestimmen (Freiheit missbraucht), sei es zu Lasten der Nachkommenden. Und der WDR entschuldigt sich. * |
Monat: Dezember 2019
Rüstet euch nicht!
Das ist NICHT neu: die Rüstungsindustrie beherrscht einen Teil der legitimen Staatsverwaltung, ihre Lobby besticht Abgeordnete, ihre Berater dominieren die höher gelegenen Schreibtische des Bendler-Blocks, und die Gewerkschaften fürchten um Arbeitsplätze, sobald Rüstungsproduktionen eingeschränkt werden.
Nur wenn es so dreist ist wie zur Zeit, regt sich Unbehagen. Mehr ist es doch nicht. Mancher mag heucheln, dass man sich doch groko-isch auf Reduktion und mehr Kontrolle geeinigt hätte…Quatsch.
Dass Deutschland da nach vorne prescht, könnte zwei Ursachen in den Diskurs einbringen: a) die deutsche Technik ist halt besser als die anderer Produzenten, und deshalb sind unsere Produkte besser nachgefragt; b) unsere Politik ist glaubwürdiger, wir beliefern nicht die Kriege, sondern die Verteidigung, und überhaupt kommt es darauf an, aus welchen Motiven wir Waffen produzieren und exportieren, und es kommt nicht auf die Art der Waffen an.
Beide Argumente finden sich bei den Befürwortern und Gegner der amerikanischen National Rifle Association NRA auch. Beide sind falsch, aber nicht vereinbar. a) wird durch die miserable Ausrüstung der Bundeswehr, die nicht einsatzfähigen Flugzeuge, Kampfstiefel, Fregatten und Handbücher für den Ernstfall nachweisbar bestätigt – die Hoffnung besteht, dass dies durch europäische Zusammenarbeit besser wird; besser heißt zunächst für den Hausgebrauch, und dann für den Export – oder, Verdacht, sollten wir tauglichere Produkte lieber exportieren als sie dem eigenen Militär anvertrauen, weil die eh damit nichts anfangen können? B) ist die typische deutsche Heuchelei, dass wir – ausgerechnet wir – mit moralischer Überlegenheit noch jeden Unsinn sozusagen sittlich adeln (wenn wir den Verbrechern in S.A. etwas liefern, werden die geläutert, wenn wir den Ungar etwas liefern, bekehren die sich zur Demokratie, und jeder Transport nach Ägypten führt zur Freilassung von politischen Gefangenen? So etwa, etwas einfacher im Text, klang die Begründung des Staatssekretärs im Wirtschaftsministerium. Klar, Waffen sind nicht gleich Waffen, und zur Rüstung kann auch friedliches Minenräumgerät zählen oder Gebetbücher für die letzten Minuten an der Front.
Kein Missverständnis, bitte. Ich finde die unkontrollierte – de facto: unkontrolliert geförderte – Exportpolitik für Kriegswaffen schrecklich. Aber man kann ihr nicht begegnen mit einem schwarz-weißen Pazifismus, auch nicht mit Restriktionen, die immer ad hoc auswählen, wer deutsches Kriegsgut erhält, wer nicht, wer wo anders kaufen darf und wer nicht, und auch nicht mit einer geheuchelten Abscheu, die nur aus Schlupflöchern besteht.
Konsequent wären zur Zeit drei Schritte: bei deutschen Handelspartnern eine Kopie der Trumpschen Sanktionspolitik: wenn eines unserer engen Partnerländer in Kriegsgebiete liefert – Sanktionen! Klingt seltsam, ich weiß, aber wenn man Macht hat, in diesem Fall wirtschaftlich Druck ausüben kann, dann muss man ein Argument entkräften: dass, wenn wir nicht liefern, es ohnedies andere machen, und dann ist es doch besser wir machen‘s…umgekehrt wird ein Schuh draus.
Der nächste Schritt ist zu bestimmen, was die tatsächlichen Vorzüge einer europäischen, d.h. EU, Verteidigungspolitik außerhalb der NATO wären, und dazu auch die Möglichkeiten partieller oder schrittweiser Abrüstung konkret ausloten und nicht auf die Tyrannen der großen Drei warten.
Und drittens alle Rüstungsproduktion und -exportpolitik europäisch und nicht national gestalten.
Jetzt rümpfen die Experten und die radikalen Militärgegner die Nase, und sagen: ja, wenn es soooo einfach wäre. Die Komplexität der Abrüstungspolitik war zu keinem Zeitpunkt viel komplizierter, aber ihr Versagen wurde und wird hoch komplex und differenziert so kleingeredet, dass nichts mehr übrig bleibt.
Ein letztes: schaut, welche hinterhältigen abservierten deutschen Politiker heute Rüstungslobbyisten sind, wo sie herkommen und welchen Abgeordneten und Beamten sie das Leben versüßen. Dort muss man hineinagieren, naming, shaming, Konflikt; das ist neben Sabotage auch ein gangbarer Weg.
Polizei: bitte sei dazu still.
Als ob die deutsche Polizei nicht genug mit ihren rechtsradikalen Nestern und prekären Verhaltensweisen zu tun hätte. Jetzt äußert sich der ansonsten zu Recht unbekannte Präsident der Bundespolizei, ausländerfeindlich, asylrechtsfeindlich und – wenig intelligent, was dann auch wieder nicht verwundert:
„https://www.tagesschau.de/inland/abschiebungen-rueckgang-101.html: „
…Die Bundespolizei spricht von einer „Stagnation der Rückführungszahlen“ und nennt als Grund „ein erhebliches Maß“ an stornierten Abschiebungen durch die Bundesländer.
Bundespolizeipräsident Dieter Romann sieht deren Rolle kritisch: Die Bundesländer stellten zu wenige Abschiebehaftplätze zur Verfügung. „Gemessen an den rund 248.000 ausreisepflichtigen Drittstaatsangehörigen sind die 577 Abschiebehaftplätze, die es in den Ländern gibt, viel zu wenig“, sagte Romann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Dazu ein Bild:
Ein gefesselter Mann wird auf dem Frankfurter Flughafen zu einem Abschiebeflug nach Afghanistan gebracht.
Abgelehnte Asylbewerber häufig geduldet….“
Soweit der Ausschnitt aus dem Artikel bei der Tagesschau. Abgesehen davon, dass Polizisten sich der Politikerschelte dort enthalten sollten, wo sie ausführende Organe („Exekutive“) sind, redet Romann rechts- und menschenverachtenden Unsinn. Dass gerade die Duldung der abgelehnten Asylbewerber auf rechtsstaatlichen und humanitären Grundlagen unserer Gesellschaft beruht, macht u.a. den Unterschied zu Regimen wie dem ungarischen aus. Dass man gerade einen gefesselten Afghanen zeigt, ist aber auch ein Zeichen für die geradezu blödsinnige Ignoranz unserer Behörden gegenüber den wirklichen Zuständen in dem von uns mit „befriedeten“ Land. Nun ist Herr Romann die Spitze eines Eisbergs, der besser gesellschaftlichen Distanz als weiterer umworbener Integration bedürftig ist. Er spricht dem populistischen Popanz der Reinigung des Landers von unerwünschten Personen aus der Seele, und leider auch für 25% der Bevölkerung, die es auf diese Weise nie zum Volk schaffen wird, von dem das Recht ausgeht.
• Wir müssen ein Jahr beschließen, das zeigt, wie falsch und unaufrichtig unsere Flüchtlingspolitik ist, obwohl wir „besser“ als viele EU Staaten sind und obwohl wir tatsächlich sehr viel dafür zahlen, besser als die meisten dieser Staaten zu sein. (Wir zahlen mehr, weil wir das können).
„Besser“ heißt natürlich auch, dass unser Rechtsstaat noch besser intakt ist als der mancher illiberaler Demokratien oder neuer autoritärer Staaten; intakt trotz der populistischen Vorfeld Instanzen, und da ist keineswegs nur der Innenminister, da sind die Sicherheitsorgane, Geheimdienste, und ganz viele staatliche Instanzen, denen die Zustimmung der fatalen 25% wichtiger ist als ihre übertragene Aufgabe staatlicher Leistungen für das ganze Volk. (Ein Beispiel, das nichts mit Flüchtlingen zu tun hat: der Minister B. Scheuer lehnt Geschwindigkeitsbegrenzungen u.a. mit dem Argument ab, dass die Mehrheit der Bevölkerung dem wohl nicht zustimmen würde…da sind wir nicht weit von der Wiedereinführung der Todesstrafe, wenn nur 51% der Bevölkerung die halt mal an einem Montagmorgen gern wieder hätten. Gemein, gell, so mit dem Volkswillen zu spielen?). Zurück zu den Flüchtlingen. Ich wiederhole den gestrigen Blog: Habeck hat Recht. Holt wenigstens die Kinder raus aus den Flüchtlingslagern. Darin kann man übrigens auch messen, um wieviel besser unser Rechtsstaat ist als der in andern Ländern. (Und dass die Kirchen und andere humanitäre Organisationen Habecks Forderung unterstützen, sollte den Christlein im Lande zu denken geben).
Aber fast noch wichtiger ist mir zu untersuchen, warum es eine Reihe von EU-Ländern gibt (und solche außerhalb der EU), die eine so unmenschliche Asyl- und Flüchtlingspolitik betreiben. Ihr Argument, von Trump über Orban bis Erdögan, ist zuvörderst die nationale Sicherheit, eng gekoppelt an eine Identität, die vom Wortlaut her meist als faschistisch bezeichnet werden muss. Dass das z.B. in vielen östlichen EU-Staaten etwas mit der stalinistischen Nachkriegsordnung zu tun hat, auch und insbesondere in der DDR, haben wir schon 1989 gewusst, aber zu wenig beachtet. Dass das Nationale die unterdrückte Nationalstaatlichkeit ersetzen, kompensieren sollte, haben wir auch gewusst, aber versucht, wegzukaufen. Dass Flüchtlinge eine Leerstelle demokratischen und republikanischen Bewusstseins besetzen, so wie früher und teilweise auch heute jüdische Menschen, hätten wir spätestens 2014 wissen können, aber das ist ein heikles Feld, für viele zu heikel.
Unsere deutsche und eurowestliche Mitschuld an der miserablen Entwicklung des rechten Populismus, der sich oft mit so genanntem linken Populismus (zB. vor zwei Jahren: Sarah Wagenknecht-Frauke Petry) trifft, muss ein Thema sein. So, wie die Wiederaufnahme der post-kolonialen Debatte unabweisbar wird, und langsam in die Gänge kommt, so sollte auch bei uns die Aufarbeitung der Zeit nach 1989 sich aus dem infantilen Ost-West-Geplänkel in etwas rationalere und kritische Ebenen bewegen (Ein Beispiel, dass und wie das versucht wird, ist Ines Geipels “Umkämpfte Zone“, 2019, wobei es da nicht explizit um Flüchtlinge geht, aber die ganze Identitäts-Rhetorik auf den Prüfstand gestellt wird, und die Grenze zwischen dem öffentlichen und dem privaten Beschweigen konkret wird). Diese Art von Schuldbearbeitung unterscheidet sich von der Schuldzuweisung an die alten und neuen Diktaturen. Aber eben diese Differenz kann dazu führen, dass wir es besser machen: Ende der Abschiebung, Aufnahme der Kinder (was spricht dagegen Vorbild zu sein), Revision der Innenpolitik.
Komm, promiss. Darauf hoffen wir.
Liebe Leserinnen und Leser meines Blogs,
ich könnte versucht sein, mit den sozialen Netzwerken, Leitartikeln des Wochenendes, Titelseiten-Aufmachungen der Journale und Grußbotschaften vom Papst bis zum Gschaftlshuber um die Ecke zu konkurrieren, und meine Weihnachts-/Chanukka-/Friedens-Botschaft hier zum Besten zu geben. Aber ich bin kein Botschafter, und es ist schon ein Kompromiss, dass ich mich gegenüber anderen so benehme, dass ihre Weihnachtsfreude und Rituale keinen Schaden erleiden; natürlich ist es auch nicht falsch, an diesen Ritualen soweit teilzunehmen, dass man nicht am Meeresgrund der tiefsitzenden Gefühle dahingrundeln muss, um sich der hiesigen Kultur zugehörig zu fühlen – oder eben nicht.
Der Kompromiss besteht darin, die Rituale – Schenken, Beschenktwerden, keine christologischen Debatten anzetteln (wie der SPIEGEL), keine zusätzlichen Kontroversen zu den vorhandenen gerade heute aufs Tapet bringen (Die Situation in Betlehem am heutigen Abend und die israelische Besatzung, die Weihnachtsbäume und die Klimakatstrophe). Es gehört das zum notwendigen Repertoire beschränkter Wahrhaftigkeit, die noch nicht Heuchelei, aber eben nicht mehr Parrhesia ist (jene besondere nicht-rhetorische Wahrhaftigkeit, die dann wohl Folgen für einen selbst und andere hat).
Innerhalb dieser Einleitung: danke, dass ihr meinem Blog bisher gefolgt seid, ihn wohl regelmäßig lest; schade, dass ihr ihn nicht verbreitet (ich benutze keine sozialen Medien dafür, das ist ein wenig meine selbstgewählte Konzentration auf die, die den Blog eben lesen und damit machen, was sie wollen). Mit diesem Dank verbinde ich alle guten Wünsche, zum heutigen Tag, zu den diversen Lichterfesten und meinet wegen Silvesterknallern. Neben, jenseits, vor und nach diesen Wünschen kann ich auch Briefwechsel, Mailbotschaften fortsetzen oder begründen, aber, wie gesagt, das Ritual ist eines, das weniger schadet als dem nützt, was wir Miteinanderimgesprächbleiben nennen. (Wort mit 28 Buchstaben, fürs Neujahrsrätsel).
*
Was mich in diesen Tagen umtreibt, sind nicht die Feiertage und die familiäre Reflexion des Eindringens gesellschaftlicher Umbrüche in die lange geübten Festtagsrituale. Dies, obwohl ich zB. gegenüber meinen Enkelinnen und Töchtern und der weiteren Familie eine gewisse Dankbarkeit für die nicht-überhöhte Praxis dieser Tage hege…die ist dann authentischer als die sich öffentlich entblößenden Ansprachen (hier wird es schon politisch, weil nur weniger dieser Grußwörterer die Kritik am Nationalistischen und an der Zukunftsblindheit auch tatsächlich und verständlich äußern). Darum finde ich die Kritik an Fridays for future so unsäglich, weil die zu Recht die Generation der Großeltern, mich, attackieren, dass wir ihre Zukunft vergeigen (die Empörung kommt vor allem von denen, auf diese Kritik zutrifft).
Immerhin ist die globale Zivilisation in diesen Tagen geradezu endzeitlich ehrlicher als in weniger prekären Tagen: die Klimaverbrecher haben in Madrid nicht einmal geheuchelt, dass sie Fridays for future widerlegen wollen; die Ökonomen kriechen gegenüber Trump, erdögan und den Saudis auf dem Bauch – bitte sagt nie hündisch oder duckmäuserisch, weil die Viecher ja nichts für menschliche Niedertracht können – und anstatt Grenell rauszuschmeissen, verweist man auf diplomatische Gepflogenheiten, den Abgesandten des Herrschers anders zu behandeln als den der Unterworfenen; was zur Verachtung der Flüchtlinge zu sagen ist, habe ich im letzten Blog geschrieben: dazu kommt noch der Zynismus, dass man retten nur muss, wer in unmittelbarer Lebensgefahr ist – ach Seehofer, gut, dass es doch keinen christlichen Gott gibt. Bei solchen Beispielen wird mir klar, warum Hegel geschrieben hatte, das Einfachere sei das Abstrakte: wir verlieren uns in diesen konkreten Beispielen ja zu einem endlosen Lamento. Und diese Litanei nutzen die neuen Diktatoren, Trump besser als Putin oder Xi, zur Unterwerfung ganzer Gesellschaften – Darum ist der westliche Tyrann und seine Vasallen gefährlicher als die Tyrannen, von denen wir konkret nichts erwarten als dass sie ihre Untertanen funktional einsetzen. Trumps Diktatur ist eben nicht an ein einfaches, an ein abstraktes Konzept gebunden, sondern seine Maßnahmen sind willkürlich und gerade dadurch widersprechen sie den Ordnungsprinzipien der Demokratie, des verhandelnden Republikanismus etc.
Holla, muss ich heute da anfangen zu philosophieren? Ich fürchte ja, deshalb, weil die besinnlichen Atempausen wie der Freigang der Gefangenen nur unsere reduzierte Fähigkeit zum Widerstand umso deutlicher zeigen. Deshalb bin ich heute nicht trüber aufgelegt oder deprimierter als sonst, ich sag ja nur, dass mich dieser Hinblick auch dann nicht verlässt, wenn ich Geschenke auspacke oder jemandem Glück wünsche. Vielleicht stärkt so etwas ja sogar die Kraft zur Opposition. Klar denken, solange man NICHT unter der Folter sich beweisen muss – und das natürlich nicht kann. Es ist auch eine Folter, mit ansehen zu müssen, was man ändern muss und so, so jedenfalls?, nicht kann. Deshalb meine Rubrik Finis terrae, aber die sagt eben nicht alles, weil es daneben Politik,Ökonomie, Kunst, Privatleben, verspätete Züge, erfreuliche Begegnungen , und alles mögliche gibt, was für sich nicht darauf hinweist, wie spät es ist. Deshalb haben Habeck und Greta Thunberg recht, und deshalb haben die Hinauszögerer, die auf das „Rettende“ warten, unrecht.
Also, meine werten Blogleserinnen und Blogleser, machen wir uns wieder einmal auf den Weg in eine Zeit, die auf geheimnisvolle Weise „Zwischen den Tagen“ heißt, was in einfacher Sprache nur heißt, vor Neujahr fangen wir nichts an, und nach Weihnachten fällt uns nicht ein. Da kann man getrost auch einmal nichts tun oder ins Theater gehen oder gar etwas lesen und hören, und dazu wünsche ich euch n+1 Gelegenheiten.
4000 Kinder
Seehofers Kinder sind nicht dabei…wenn man Kinder aus Moria und anderen Flüchtlingsghettos rettet. Habecks Vorschlag, 4000 zu uns zu holen, ist richtig und praktikabel. Die eigentliche Frechheit des fremden Blindgängers Seehofers ist es, diesen Vorschlag als unredlich zu bezeichnen und jetzt plötzlich auf Europa zu verweisen. Dass sein Innenministerium eher eine recht feste rechte Burg ist, und nichts für andere Menschen tun möchte, kann man erklären, aber dass sich die Kanzlerin das gefallen lässt, ist nicht verständlich. Christlich sozial, mit neoliberaler Unterstützung von der FDP, gegen arme Kinder kämpfen, das ist so, wie Charles Dickens Bettler bezahlt hatte, die am Weihnachtsabend vor seiner Tür gejammert haben, das macht das wohlige gute Gewissen umso saftiger. Naja, Seehofer glaubt ja noch an ein ewiges Leben, und dann wird er vielleicht auf einer Insel ohne Nektar & Ambrosia verdämmern; zu gönnen wärs ihm.
*
Weg vom erbärmlichen Innenminister und seiner Gefolgschaft im Ministerium und in den christlichen Parteien. Der Widerspruch ist so absurd, dass man ihn zerlegen muss, um zu begreifen, wie Unmenschlichkeit zur Politik wird. Gegenargument gegen Habeck ist nicht, dass wir uns 4000 Flüchtlingskinder nicht leisten können – eine lächerlich kleine Zahl angesichts der bedrohten Arbeitsplätze in manchen Branchen, angesichts von Arbeitskräftemangel in anderen etc. Das alles kostet auch Geld, und die wohlstandsverwahrloste Klasse des aufwärts immer, abwärts nimmer meint noch heute, dass wir die gesellschaftlichen Umbrüche ohne persönliche Reduzierung von Wohlstand und Annehmlichkeiten überbrücken können – ins Nichts oder einen Neuanfang (welch letzteren sich niemand auszumalen getraut außer einige Visionäre der Ökodiktatur als Überlebens-Minimum.
Wenn Habeck Recht hat, das hat er, dann müssen wir jetzt und schnell handeln und nicht das Schicksal der 4000 Kinder ver-handeln, bis das Problem oder die Kinder weg sind. Manche Bundesländer und Städte tun das schon, schließt euch an, spendet, betreut und – seht das mindestens so politisch wie moralisch.
Flüchtlinge nach ihrem ökonomischen Wert zu sortieren, ist gute liberale Tradition. Krankenpflegerinnen in Mexiko rekrutieren oder auf den Philippinen oder in Osteuropa, aber die bei uns wartenden Asylbewerber drangsalieren und oft abschieben, ist keine Frage von Recht und Menschenrechten allein, sondern eben eine der politischen Ökonomie einer Regierung, die nur mehr in Monaten rechnet, wenn es um ihr Überleben geht (das nachher in die üppige Pension von Lobbyisten übergehen wird – wetten, dass Olaf Scholz und Scheuer und Maas auch Beraterverträge dort bekommen, wo sie nun wirklich nichts verstehen). So, jetzt könnte ein Jahresendrundumschlag erfolgen. Erfolgt aber nicht. Es geht um Kinder. Genauer: meist um unbegleitete Kinder oder solche, die im Lager geboren sind oder auf der Flucht in diese christlich soziale Welt einsteigen mussten. Diese Kinder werden als Coupons im Casino der Unverbindlichkeiten ans Roulette geworfen, damit endlich Mitleid in Osteuropa einzieht. Die Polen wollen ja auch nicht, die Slowaken auch nicht, nicht einmal die Österreicher, nur wir, wir dummen draufzahlenden Deutschen, wir sollen wieder aus Mitleid (Empathie), nicht Sympathie (mit brauchbaren Arbeitskräften), nur wir sollen wieder gut sein. Das verdirbt den Charakter im restlichen Europa. Nein, das ist nicht Seehofer allein. Das sind Millionen Wählerinnen und Wähler, die diesen nationalistischen Festungskurs unterstützen, nicht nur bei den Nazis der AfD. Die illiberale Demokratie braucht ihre Plattformen im so genannten Volk. Und unsere Überheblichkeit und moralische Vorbildrolle macht es einem antideutschen Ressentiment leicht. Vergessen ist, dass wir von der Griechenlandkrise profitiert haben, nicht etwa uns verausgabt hätten; vergessen ist, dass wir zum Flüchtlingsstrom aus Afghanistan beigetragen haben durch Fehler in unserer Interventionspolitik; vergessen ist, dass viele Flüchtlinge aus Syrien kommen, weil wir dort nicht eingegriffen haben, als es noch möglich war; vergessen ist, dass wir Afrika erst entdeckt haben als klar wurde, dass es sich um viele arme Länder handelt, die Opfer auch unserer Wirtschaftspolitik sind, und nicht um ein Land namens „A.“. (Und dabei kommt mir in Erinnerung, seit wie vielen Jahrzehnten sich die Fluchtkrise vorbereitet hat, sowohl was das Klima als auch was die Kriege und Zukunftslosigkeit betrifft, und welche Rolle wir immer dabei gespielt hatten (nie die eine Hauptrolle, aber immer wichtig). Und deshalb wäre es für die Empathie mit den Flüchtlingen, hier konkret mit den Kindern, die man innerhalb von Tagen und Wochen rausholen könnte, anzuraten, sich diese Geschichte wieder zu vergegenwärtigen. Wir sind nicht die gutherzigen Aufnehmer, sondern wir halten uns mehr oder manchmal weniger an die Menschenrechtskonventionen und sonstigen zivilisierten Regeln, und zu Recht kritisieren wir die Länder, die das nicht tun, aber zu Unrecht sehen wir uns in der moralischen Vorhand.
Anhang: Habeks Vorschlag und die Reaktion darauf: 23.12.2019
Union lehnt Forderung nach Aufnahme von Flüchtlingskindern ab: Innenstaatssekretär Günter Krings sagte der „Rheinischen Post“, einseitige Aufnahmeaktionen für bestimmte Gruppen seien keine Lösung und gingen an allen europäischen Rechtsregeln vorbei. Grünen-Chef Robert Habeck möchte Migranten aus Griechenland holen; er spricht von einem „Gebot der Humanität“. Holt als erstes die Kinder raus, sagte er in der FAZ. Ähnlich äußerte sich Staatssekretär Stephan Mayer. Er sagte, die Bundesregierung lehne einen Alleingang ab, auch weil sich sonst die anderen EU-Länder ihrer Verantwortung entzögen. Pro Asyl unterstützte Habecks Vorschlag dagegen; es sei unerträglich, dass tausende Flüchtlingskinder in griechischen Elendslagern ausharren müssten, während hier weihnachtliche Urlaubsstimmung einkehre.
tagesspiegel.de; faz.net (Habeck-Interview)
Menschenrechtsbeauftragte Kofler fordert Schutz für Flüchtlinge: Für die Flüchtlinge in den überfüllten griechischen Lagern müsse rasch Hilfe kommen. Nötig sei eine europäische Initiative, sagte die SPD-Politikerin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die neue EU-Kommission sollte schnell für eine faire Verteilung der Geflüchteten auf die EU-Staaten sorgen. Bärbel Kofler betonte, es habe sich gezeigt, dass die katastrophalen Zustände in den Lagern die Menschen nicht von der Flucht abhielten. Der CSU-Europa-Politiker Manfred Weber forderte einen neuen Anlauf zur Schaffung eines europäischen Asylsystems. Er sagte den Funke-Zeitungen, man müsse direkt auf den griechischen Inseln entscheiden, ob jemand in Europa bleiben dürfe oder nicht. Die Lager unter anderem auf Lesbos, Samos und Chios sind seit langer Zeit überfüllt. Anfang November sprach der Europarat von einer explosiven Situation.
tagesschau.de
Advenzkranzkerzenreiz
…Also rief in langen Nächten
einst die Welt, ein weites Grab.
(Aus einem Kirchenlied)
Ich möchte den Religionsgemeinschaften fluchen, die in einer Gesellschaft das Sagen haben. Sie sind menschenfeindlich schon aus ihrer Struktur. Die Hindus in Indien sind eine barbarische Gewalt der v.a. muslimfeindlichen Anmaßung. Die Buddhisten in Myanmar genauso. Die Muslime in der Türkei oder im Iran verfolgen die Christen. Die Christen sind islamophob und in weiten Teilen antisemitisch.
Gegeneinwände?
Es sei nicht die Religion, sondern ihre Integration in ein gewaltsames System.
Es sei nicht die Intention, andere zu verfolgen.
Die Religion muss sich gegenüber anderen Religionen behaupten.
Es gibt ja auch immer Gegenbewegungen und Befreiungstheologie.
…
Aber das ist ja alles Unsinn, denn diese Stufe voraufgeklärter Zivilisation sollten wir stark hinter uns haben. Haben wir aber nicht, da gibt es den polnischen Klerus, die jüdischen Ultras, die Muslimbrüder und anderes Gesocks, die die Menschen nicht frei sein lassen wollen.
Nun könnte man, könnte ich in die säkulare, anti- religiöse Haltung vieler aus dem 18. Und 19. zurückfallen. Die hatte den Vorteil fast unbedingter Klarheit. Sie führte aber auch, wie man am Kommunismus und anderen autoritären Systemen sieht, zur spiegelbildlichen Vergesellschaftung ebendieser Haltung. Eben darin liegt ein Problem. Haltung ist nicht schon Habitus, und der Habitus trägt die Schlacken und Stabilisatoren früherer Ordnungssysteme in sich, also auch, auch!, religiöser.
Religion ist ein soziales Ordnungselement, das mit anderen, Familie, Militär, Finanzamt, Schule….konkurriert und kommuniziert. Religion ist nicht „das Andere“, das geschützt werden muss. Weil aber fast alle Religion mit dem Glauben an Gott verwechseln (wollen, müssen), ist der Religion im Alltag schwer beizukommen.
(Liebe LeserInnen, ich weiß schon, dass und wie die Religionswissenschaft, die kritische zumal, diese einfache Gedanken zerlegt und differenziert aufgreift. Die Bücher stehen in Sichtweite, aber ein wenig ärgern sie mich, weil ihre Argumente erst greifen können, wenn die Einfachheit der Grundlagen zu einem durchgedrungen ist).
Religion hat fast immer mit Gott zu tun (wie wenig, sieht man an Scientology: die Freiheit der Religion ist immer ein Mittel zur Machterhaltung). Nebbich. Missionierung und Bekehrung unterscheiden in der Praxis die Inquisition von der Nazidiktatur, vom Stalinismus, von der Islamistischen Mission kaum.
Man kann Menschen mit vorgehaltener AK 47 zum Glauben zwingen. Sagt man. Und daraus alles ableiten, was eine Diktatur ausmacht.
*
Der Anlass zu dieser grolligen Predigt ist ein Interview mit einer hochgefeierten indischen Pop-Sängerin, die die Vernichtung der Muslime als Programm in ihren Beat umsetzt und die Charts bereichert. Der Anlass ist auch die jüngste Anschmiegung unserer Regierung an Saudi-Arabien, trotz Kashoggi-Mord (war ja nur ein Zeichen), weil man sich mit dieser Ökonomie noch etwas erhofft (lest bitte Finis terrae: die meisten Ergebnisse dieser Politik wird niemand erleben, der heute noch auf der Erde wandelt, schlafwandelt). Anlass ist auch, nicht erst ganz aktuell, dass und wie die USA ihre Gesellschaft klerikalisieren, auch mithilfe der Evangelikalen.
Es ist wie ein Selbstgespräch, das mich zur politischen, zur kulturellen, zur sozialen Handlung motivieren soll angesichts einer Welt zunehmender Diktaturen und Gewaltherrschaft. Und dass das die Religionen und das lächerliche Bekenntnis zu ihnen nicht ausschließen darf, versteht sich.
*
Ich habe nicht nur den aktuellen Anlass. Ich überlege auch, warum wir – fast alle – den Kompromiss machen, aus einer nicht gläubigen Position heraus die religiösen Rituale und Traditionen selbst dort befolgen, sarkastisch oft, und den kleinen Gott des Einzelhandels zu ertragen, um die Versprechungen dieser Tradition nicht einfach zu blasphemisieren. Das mag die Erkenntnis sein, dass sich alte Mythen nur ersetzen, aber nicht ersatzlos abschaffen lassen; vielleicht – und das wäre schon blasphemisch – liegt es daran, dass bestimmte Traditionen, Kerzen z.B. oder Tannenzweige, „jenseits“ der Religion ihre eigene Ästhetik entfalten. Das hat etwas mit den Freiheiten einer Kultur zu tun, nicht mit dem Glauben. Aber da soll man auch nicht gespielten nüchternen Asketismus vorgeben, der sucht sich dann seine Kompensation in den SM Kellern der Zivilisation.
Zurück zum Thema. So wichtig Religion bei uns war, und anderswo noch stärker ist: sie war und ist immer politisch und wird es bleiben. Das ist ihre Funktion: die Menschen über die Kämpfe dieser Welt hinwegzutragen: Klassen, Geschlechter, Geschmäcker, Lebenswelt halt. Hinwegzutragen zum Irrsinn der Jenseitshoffnung, weil diese den Herrschenden freiere Hand läßt. Damit sind Religionen im übrigen auch Antagonisten, Gegner einer lebenspraktischen Erinnerung. (Und die Widerstände in den Religionen, Revolutionstheologie, Kirche von unten, etc. sind nichts anderes als auch die Wahrheit des Gedächtnisses gegen Dogma und Verkündigung zu stellen).
Die Kunstfertigkeit der heimatlichen Weihnachtskrippen in Oberösterreich, wo ich aufgewachsen bin, kann ohne das Narrativ nicht erklärt werden, aber du musst der Geschichte nicht glauben, um die Darstellung schön und interessant oder eben nicht schön und interessant zu finden. Was da drin liegt, ist der Krippenbau, nicht die Idee der Erlösung.
Ähnlich geht’s mir in so genannten Gottesdiensten, in denen mich die Geschichte der festgelegten Wortfolgen und Körperbewegungen so fasziniert, dass ich dem Geratsche nicht inhaltlich folgen muss, obwohl ich den Eindruck habe, dass es nicht nur mir so geht.
Kein Wort über Glauben, bitte. Glaube ist unverfügbar, gehört jedem einzelnen Menschen und darf nicht ausgerichtet werden durch Eltern, Priester und Herrscher. Aber Glaube muss frei sein, und wer meint, er oder sie soll ihn an die Religion binden oder an die Partei, mags tun. Nur bitte nicht als Rechtfertigung für Folter, Gewalt, Ungleichheit und ein schweres Sterben.
*
Ich gehe durch die Fußgängerzone und verfolge diesen Gedanken weiter. Verflucht, legt sich auf meine Lippen, und zugleich: wenns den Menschen dabei gut geht, ist das Teil des Lebens, der Immanenz, wie man sagt. Da brauchts kein Teleskop ins Jenseits.
Finis terrae XXXII: Produziert bis ins Grab
Finis terrae XXXII: Produziert bis ins Grab
Dass die Wirtschaft nicht korreliert mit Profiten und Märkten, und dadurch gescheiter wird und an intelligenten Einsichten zulegt, wissen wir; das ist bei den Gewerkschaften und dem Lohnniveau auch so. Aber manche Tatsachen sollten schon zur Grundausstattung der politischen Argumentation gehören, sozusagen die Meisterpflicht im Nachdenken. Wir lesen heute:
Deutsche Industrie sieht sich durch EU-Klimaziele bedroht
(Spiegelonline 13.12.2019)
Die aaaarmä Industrie. Dass sie ihre Produkte nur an lebende Menschen verkaufen kann und nicht an die virtuellen Konsumenten hat sich herumgesprochen. Dass sie zum frühzeitigen Aussterben der Spezies beiträgt, wissen die Meisten, das ist ein Ergebnis von Nachdenken und Beobachten, vor allem ein Lernprozess.
Industriepräsident Kempf sieht die Industrie, Arbeitsplätze usw. gefährdet. Er braucht eine neue Brille.
Der Mann ist unmoralisch, uninformiert und/oder dumm.
Natürlich kann er weiter mit Millionen Arbeitskräften das produzieren, was den Aktionären heute Geld bringt. Nur werden die, wenn nicht schon tot, doch mit Atemnot ringen und die Autos werden keine Nutzer mehr finden.
Das Spannende beim Bemühen um das Überleben der Menschen ist, dass die sozialen, kulturellen, intellektuellen Unterschiede nicht erst im Jenseits, sondern schon hienieden eingeebnet werden. Kurz vor seinem Tod, schon auf dem Sterbelager, bestellte Friedrich der Große ein üppiges elf-gängiges Menü, – ob die Armen davon auch nur geträumt hätten? Aber das wird in den nächsten Jahrzehnten anders sein. Und auch die Askese der Reichen wird sie nicht älter werden lassen.
Klimakampf ist kein Klassenkampf (das werden manche bedauern). Aber verrecken werden die Ausbeuter wie die Proleten, der Pöbel wie die Eliten, und der Abstand zwischen dem Tod der Reichen und dem der Armen wird nicht größer, sondern kleiner. Auch die Todesursachen und die Beschreibung der Umstände des Ablebens werden sich annähern. Aber die Feuilletons der Endzeit werden eine Variante unmittelbarer Vorkriegsgeschichten drucken. Die Argumente der Industriepolitiker und mancher Gewerkschafter und vieler Exekutoren der älteren Generation in gehobenen Positionen reden so daher, als wären die Klimadiskurse ein Problem neben anderen. Und dann natürlich nicht ihr vordringliches.
Die wichtige Frage für uns alle ist eine des Überlebens. Es gibt einen ganz anderen Maßstab dieser verdrehten Realität: je mehr diese Menschen einen Kompromiss zwischen Ökonomie und Ökologie fordern, suchen oder anstreben, desto eher verfallen sie dem Urteil unwissend oder dumm.
Das gehört auch gestrigen Blog, Thema: wann darf, muss man bestimmte Menschen Verbrecher nennen, wann ist schon der Begriff ein Ausweg aus der Verrohung von Sitten und Sprache? Hier der Begriff Kompromiss.
Die wichtige Frage für uns alle, jetzt und in nächster Zukunft: wieviel muss man der Demokratie zumuten, damit die notwendigen Politiken mit ihr und nicht gegen sie durchgesetzt werden können. Jetzt, und nicht, wenn Herr Kempf sanft unter der Erde ruht. Das ist schwierig. Wenn der stoppelbärtige Anwalt der Besserverdienenden, Lindner, uns Grüne als Verbotspartei diskreditiert, dann müssen wir den Mut haben, bestimmte Verbote als Gebote zu vertreten, unabhängig davon, was das Salonbubi davon hält. Heute höre ich einen im Rundfunk, der schnelles Fahren mit dem Auto als Ausdruck von Freiheit versteht. Dem sollte man den Führerschein wegnehmen. Andere Praktiken kann man langsamer umbauen, sicher. Aber wer entscheidet, und wie?
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Das Problem kann man nicht am einzelnen Beispiel sinnvoll und weitgehend entfalten. Autofahren, Landwirtschaft, Atomenergie, Waldsterben, … Mülltrennen, Atmen.
Wir kommen hier auf eines der schwierigsten und kompliziertesten Probleme, das in der Rilkezeile zusammengefasst wird: „Du musst dein Leben ändern“. Da kann Sloterdijk und jeder grüne Ortsverein und jede kommerzielle Werbung gleichermaßen an dich herantreten. Man sollte, wenn schon nicht das ganze Gedicht aber bedenken, was davor steht: „…denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. / Du mußt dein Leben ändern“. (R.M.Rilke: Archaischer Torso Apollos“, 1908).
Wir stehen unter Beobachtung, unserer Kinder, unserer Enkel, aber auch der Flüchtlinge auf dem Mittelmeer und in den Wüsten, auch der Menschen, den der steigende Wasserspiegel die Füße nass macht, auch der Besitzer von Arbeitsplätzen, die ja wirklich fortfallen müssen.
Wir können jetzt Buß- und Fastenpredigen uns unterwerfen, weil es sich im warmen Wohnzimmer behaglich anfühlt, moralische Gedanken über die da draußen zu pflegen. Tun wir ja auch. Aber handeln heißt auch: verbieten, gebieten, und Umstände praktisch verändern – gegen den Willen von nur subjektiv betroffenen Menschen, wenn es denn sein soll (Abstand zu Windrädern…lass die Bürger protestieren; Geschwindigkeit reduzieren…lass die Automobilclubs toben…Wegwerfverbote für intakte Lebensmittel…lauter Kleinigkkeiten, die für sich nichts ändern, aber die Folgen ändern etweas: sie setzen nämlich Stimulatoren der Evolution in Bewegung, die durch die Umorganisation der Arbeit und der arbeitsfreien Zeit verkümmert sind. Degeneration ? – nicht mein Begriff. Aber die Verlangsamung der evolutionären Adaption hat damit zu tun. und die Politik, Demokratie aufrecht zu erhalten, wenn alle schon nicht mehr dran glauben.
Verbrecher Trump…und.
Liebe BlogLeserInnen: eine längere Ausführung heute, noch ist nicht Wochenende, also weder Einkauf noch Advenzkranzanzünden stehen an (z…z…z). Da ich nie getwittert habe und es auch nicht tun werde, muss ich weiter ausholen.
Die Spitzen unserer Elite & Regierung, von Steinmeier ganz oben bis zum Bodensatz plädieren gegen die VERROHUNG unserer gesellschaftlichen Kommunikation, sie fordern eine neue STREITKULTUR. Das ist löblich. Worin besteht nun die Verrohung? Es werden unziemliche Begriffe und Handlungen an die Stelle gebotener Ausdrucksweise und Aktionen gestellt. Roh kann auch heißen, dass man ungegarte Sachverhalte hinunterschlingt, sie im ursprünglichen Zustand verschlingt, und dann wird das Rülpsen zum ungeliebten Ausdruck.
Es gibt eine unheimliche Gefahr: Zensur durch Anstand. „Sehr geehrter Herr Mörder…mein lieber Vergewaltiger…und bitte, lassen Sie sich durch die Opfer nicht einschüchtern, dies ist ein freies Land…aber ich bitte Sie, Herr Scheuer, die Steuerzahler geben doch gerne in die Staatskasse für ein kleines Mautmalheur…“. Natürlich ist das nicht gemeint. Aber es kommt so rüber, vor allem, wenn bestimmte gesellschaftliche Gruppen und Klassen sich ihre Anstandsregeln nicht angreifen lassen, weil sonst der Schaden größer würde als der Nutzung aus Offenheit und Wahrhaftigkeit.
Die von mir ernsthaft geschätzte (nie gewählte und oft kritisierte) Kanzlerin und Trump in London bei der NATO. Wie soll sie sich denn anders verhalten? Das ist keine Frage des Augenblicks. Sondern eine Frage der politischen Kommunikation (Als Schröder den Verbrecher Berlusconi umarmte, habe ich das vor n+1 Jahren schon einmal diskutiert, etwas zähes ist da bei mir, das mich besonders anregt und aufregt).
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Mein eigenes Beispiel: ganz professionell, beruflich, hatte ich einige Zeit mit politischen Mördern zu tun. Ich konnte sie mir unbekleidet vorstellen mit Blut, sagen wir, bis zum Ellbogen. Statt dessen: Anzug, gute Essmanieren, vertrauensvolle Blicke. Die Sache, um die es ging, hatte mit den Untaten dieser Personen wenig zu tun. An solchen Tagen habe ich mich gefragt, was ich hätte anderes machen sollen. Ich weiß es nicht.
Heute unterscheide ich deutlicher, was ich als Wissenschaftler sagen kann und muss, und was als politisches Tier, Zoon politikon, das aktiv sich gesellschaftlich einmischt, und was als Privatier, und das kam nicht spontan. Da kommt jetzt eine bedeutsame Intervention: die Verrohung von Politikern in unserem größeren Bündnisumfeld, EU, NATO, Reste des Westens, berühren mich stärker als der rohe oder fragile Ton von Diktatoren anderswo (weil ich den erwarte und schon vorher analysiert habe). Aber Johnson, Trump, Orban, … na, die üblichen Namen hier, auch im Blog, die fordern mich heraus. Sie sonnen sich geradezu darin, als Bodensatz attaciert zu werden, weil sie dann die Eliten beschimpfen können, was beim Bodensatz gut ankommt, und die politische Ökonomie hinter dieser Tektonik vergessen lässt – es geht nur um Kommunikation.
Was anders soll ich sagen als dass Donald Trump ein Verbrecher ist. Kleine Verbrechen oder Untaten, sexistisch, rassistisch, steuerbetrügerisch, Lügen… folgenreich für andere Menschen, scheußlich, widerlich, ….Verbrechen sind dann einerseits sein HANDLUNGSRAHMEN, andererseits einige Entscheidungen wie der Verrat an den KURDEN, die Zerstörung von NATURRESERVEN in den USA.
Und dann sitzt man neben dem Verbündeten, und freut sich, dass uns die USA schützen. Darf ich mich von einem Verbrecher schützen lassen? Trump ist nicht die USA, aber er hat Macht über deren Gewaltapparat.
Jetzt lest:https://www.newsweek.com/donald-trump-accused-using-war-criminals-pardoned-political-props-florida-fundraiser-1476136?utm_source=email&utm_medium=morning_brief&utm_campaign=newsletter 2019/12/10
President Donald Trump has come under fire after appearing alongside a convicted war criminal at a closed-door fundraising event in Florida this weekend.
The president spoke at the Republican Party of Florida’s annual Statesman’s Dinner on Saturday night, the Miami Herald reported. During his speech, Trump invited First Lieutenant Clint Lorance and Major Matthew Golsteyn—both recipients of presidential pardons related to war crimes in Afghanistan—to join him on the stage.
Trump made headlines last month by pardoning three U.S. soldiers convicted or accused of war crimes, including Lorance and Golsteyn. He did so despite protests from the Pentagon and concerns from lawmakers on both sides of the aisle.
Lorance was serving a 19-year prison sentence before Trump pardoned him, having ordered his soldiers to shoot unarmed men in Afghanistan. Golsteyn was due to stand trial for the alleged 2010 extrajudicial killing of a suspected Taliban bomb-maker.
Many Twitter users expressed their disbelief and frustration that the president would appear alongside such figures, suggesting their involvement cast a shadow on Trump’s campaigning.
Bishop Garrison, an Iraq veteran who now works at the Human Rights First advocacy group and leads Veterans for American Ideals, said, „War criminals are now officially political props for the president. It took no time at all.“
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Trump ist Gott. Er pardoniert Mörder und Folterer, weil er alle pardonieren kann. Wir sitzen mit diesem Verbrecher und während Suppe, Vorspeise, Hauptgang und Dessert benehmen wir uns, wären wir einer Eliteuniversität an der Ostküste entsprungen (die Trump auch nicht mag). Gibt es bei diesen Essen eigentlich einen Vorkoster? Früher hätte man vielleicht zu Arsen gegriffen…das macht die Haare schöner.
Wir lassen uns alles gefallen: des Botschafters (ein Trump-Afterling) Interventionen bei der deutschen Wirtschaft (sollten wir einmal das Gleiche drüben versuchen, z.B. bei den amerikanischen Flugzeugen…?); die Sanktionen gegen die EU und Deutschland wegen des Iran (nur, weil wir dort auch, auch!?, einen Unrechtsstaat wissen, den zu schädigen nicht so schlimm ist?), die Zerstörung der WTO (nur weil wir nichts dagegen machen können, dass keine Richter von den USA ernannt werden können?); … wir lassen uns alles gefallen, weil wir nicht so verroht sind. Das ist die Lösung des Rätsels. Wer wird denn den Verbrecher nachahmen? Könnten wir gut, weil wir ohnedies weniger Macht haben…Aber die Mimesis, dieses nachahmerische Grundprinzip, spukt in unseren Köpfen, und was dann aus unserem Mund kommt, ist ROH.
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Wir steuern auf ein ehernes Zeitalter zu. Das ist, bitte schön, kein Witz. Mit der nachlassenden Bindungswirkung internationaler Verträge, Konventionen etc. bedienen wir die Globalisierung, und gegen die anzureden ist so sinnvoll wie die Erde wieder zur Scheibe zu erklären.
Es macht wenig Freude, den POTUS als Verbrecher zu bezeichnen. Aber da man mit ihm nicht auf Twitter befreundet ist, sondern über ihn, und nicht über die USA als Gesellschaft spricht, hat man keine Wahl. Er ist ein Verbrecher.
Nun stellt sich noch eine Frage: was ist dann Herr Seehofer, in kleinerem? – völkerrechtlich nicht, zahlenmäßig vielleicht – Maßstab: Kaum jemand spricht öffentlich über das schreckliche Schicksal der auf Seehofers Betreiben abgeschobenen Afghanen. Der Innenminister und seine Schreibtischtäter begehen Verbrechen gegen die Menschlichkeit. (Heute: DLF 7.45)
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Wenn wir Trump als Feind behandeln, was geboten wäre, sind wir noch lange nicht so verroht wie die, die ihn bewundern und nachahmen. Der Verbrecher in der Demokratie ist etwas anderes als der Verbrecher in der Diktatur.
Tag der Tage, Nacht der Nächte
Als Schüler mussten wir zum Tag der Fahne uns versammeln: 26. Oktober, Staatsfeiertag in Österreich, die letzten Besatzer waren heimgefahren.
Heute begehen wir den Internationalen Tag gegen Korruption.
Tag der Kinder. Internationaler Frauentag. Muttertag. Vatertag.
Tag des Ehrenamtes, des Kusses, des Bieres, der Toleranz, des deutschen Schlagers…
Hashtag.
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Jeden Tag mehr als ein Tag, an dem wir uns einer Sache, einer Erinnerung, einer Hoffnung besonders widmen.
In manchen Religionen ist der Namenstag wichtiger als der Geburtstag, weil man den vielleicht übersehen oder vergessen haben könnte, während der Tag des Namenspatrons in die Lebenswelt eingraviert ist.
Bei den Katholiken haben oft mehrere Heilige am gleichen Tag Namenstag, weil ja der oder die eine oder andere aus dem Heiligenkatalog auch wieder verschwinden könnte.
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Sagt die Frau in der Früh: so ein schöner Tag…immer wieder: so ein schöner Tag heute
Sagt der Mann: ja, stimmt ja, warum sagst denn immer so ein schöner Tag?
Sagt sie: eines schönen Tages werde ich dich verlassen, hab ich immer gesagt.
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Nicht einfach nur Assoziationen am heutigen Tag, dem Internationalen Tag gegen Korruption. Ein Tag im Jahr reicht, um eine kleine Gruppe von Menschen, ein Proponentenkomitee, eine Managementgruppe, ein Sponsorenteam….zur Vorbereitung und Ausrichtung eines dieser Tage einzusetzen. Geschaftlhuber nennt man diese Leute, aber ihre Würde erhalten und behalten sie, wenn der Tag gelingt. Weltnichtrauchertag – ab heute wird nicht mehr geraucht; Weltkeuschheitstag – ab heute wird nicht mehr gevögelt; Internationaler Tag der Jogginghose – die Wirtschaft zieht an, was wir anziehen; Tag der Straßenkinder – ab heute gehen wir alle heim; es gibt auch Dialektik: World Hijab Day versus No Hijab Day; Weltkrebstag – ab heute bleiben wir gesund; Tag der Kranken – wir sind noch nicht gesund….ich gehe die Liste nicht weiter durch, wir können gar nicht genug Feier-, Gedenk-, Ermahnungs-Tage begehen, viele mehrmals am Tag.
Die Herkunft dieser Tage aus dem Lebens- und Jahreszyklus und seiner Zerstörung durch die Gesellschaft, die andere Zyklen immer wiederkehrender Feste und Gedenkzeiten erzeugt, ist eine spannende Beschäftigung mit unserer Zivilisation. Ihre etwas harmlosere Alltagskritik eröffnet aber Abgründe politischer und kultureller Hilf- und Haltlosigkeit. Man begeht einen Tag, damit man ein gesellschaftliches Übel nicht vergisst…(Die meisten „Tage“ sind diesen Übeln gewidmet, nur wenige den Schönheiten des Lebens, könnte man ja auch, Valentine’s, … Mutter und Vater besonders übel…weil sich an diesen Feiertagen gerade nicht abspielt, was gemeint ist, z.B. intakte Familie…). Für die alten Feiertage hat es noch Verhaltensregeln gegeben, heute meist Habitus-verstärkende Veranstaltungen, bei denen „Berufene“ Bedeutung und Gewicht eben dieses Tages be- und hochschreiben, und so Gemeinschaft bilden, wo die gesellschaftlichen Strukturen nicht ausreichen.
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Den Tagen sind auch noch relativ viele Nächte zugeordnet: fast immer sind die lang. Lange Nacht der Kirchen, Museen, Wissenschaften….
Während ihr das lest, kommt euch in den Sinn, dass ich jetzt gleich den Tag des Nichts und die Lange Nacht der Leere fordern werde. Nur halb richtig…Ich suche den Augenblick der Zwischenräume, an dem man nichts begeht, damit er vorbeigeht, an dem man keine Vorsätze in einem Ethikbereich oder karitativen Konzept fasst, in dem man nur zwischen den Tagen und langen Nächten das macht, was man ohne Kalendereintrag auch machen würde. Jetzt hab ich die Blumen zum Internationalen Tag der Korruption vergessen, damit wollte ich meinen Freund bestechen, der mir außer der Reihe eine Karte für Richard III. besorgen sollte. Ohne Blumen keine Karte, ohne Korruption …aufhören, der Tag geht zu Ende, die Korruption ist ein klein wenig gefährlicher geworden, weil man sie nicht steigern konnte, während man ihrer gedachte.
Schiefe Türme für dürre Gedanken
Der neue PISA Bericht ist schlecht für Deutschland, das sich gerne als Avantgarde der Bildung sieht. Schon seit langem, seit dem Kaiserreich, seit Weimar, immer war das Volk der Dichter und Denker seiner lernfähigen Bildungsbasis bewusst. Warum das so war und ist, warum man immer meint, unser BILDUNGSSYSTEM sei so gut, dass man es nur adaptieren müsse, damit es zu den besten der Welt zählt, ist wohl eines der deutschen Unglücke.
Mich freut das schlechte Abschneiden Deutschlands bei PISA, und nicht erst seit der letzten Erhebung. Dass die Kurzatmigen die trottelige These: Schuld haben die Ausländer, trompeten, war zu erwarten; dass die Linken den Klassenkampf darauf reduzieren, dass die Oberschichte und obere Mittelschicht via Gymnasium den steilsten Bildungsaufstieg erreichen, ist eine Halbwahrheit, immerhin; dass die Reaktionäre, jenseits der Konservativen, glauben, mehr Selektion führe zu besseren Ergebnissen, ist der Unsinn, der Bildungsreformen seit den 60er Jahren behindert hat. Dass sich die Pädagogen sofort zu Wort melden und wahlweise Familienkritik, Kitakritik, Grundschulkritik betreiben, ist partiell immer richtig, aber die Zahl der intervenierenden Variablen ist schier unbegrenzt.
Und wer hinterfragt PISA? Einige. Dass China gut abschneidet, dass Macau und Singapur gut abschneiden, wundert auch dann nicht, wenn methodisch an der Erhebungs- und Fragemethode wissenschaftlich Kritik zu üben ist. Das PISA überwiegend Kompetenzen und nicht Wissen erforscht, liegt es im System dieser Länder…Dass Deutschland mit der Lesefähigkeit nachhinkt, könnte man an den erziehungswissenschaftlichen Irrwegen der nach-68er und der neuen Medien/Digitalentwicklung interpretieren, aber nicht nur. Und überhaupt, Interpretiert, interpretiert! Das ist Moses und die Propheten.
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Ich habe vier Erklärungen für das relativ schlechte Abschneiden:
- Der ganze Test basiert auf einer wettbewerbsorientierten Ideologie innerhalb der OECD, also der relativ am stärksten bedrohten weißen, nördlichen Wirtschaftsmächte, das muss nicht per se falsch sein, aber es verengt die Aussagekraft. Und, wie oben gesagt, Kompetenzen haben mit Wissen und Bildung nur anschlussmäßig, aber nicht kongruent zu tun.
- Der Konflikt zwischen der primordialen Bildungsgrundlage durch Familie oder durch Institutionen, von der Krippe bis zur Habilitation, verbraucht alle Energie einer gesellschaftlichen Bildungspolitik.
- Es wird jedenfalls seit vielen Jahrzehnten für den Lebensstil zu viel, für Erziehung, Bildung und Ausbildung zu wenig Volksvermögen investiert. Das zeigt eine mangelnde Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft, nicht sofort des Staates. Dazu kommt eine paradoxe Missachtung von Lehramts- und Wissenschaftsausbildung, eine Verachtung von Lehre gegenüber Forschung (Universitäten) und institutionellen Rahmenbedingungen (Die Ordnung der Erziehung). Das gilt für alle Bildungseinrichtungen, staatlich und privat, urban und ländlich.
- Wir nutzen weder den Föderalismus als Anreiz für differenzierte Bildungsmodelle noch die Chance einer nationalen Einheitlichkeit innerhalb von Europa, um Reformen nachhaltig auf den Weg zu bringen (Das Gezänk um den Bildungsrat gehört in die therapeutischen Abteilungen von Politik).
Da sind ziemlich viele Schuldzuweisungen eingepackt. So? Anderswo ist es besser? Nach meiner Erfahrung innerhalb der OECD (ca. 25 Länder kenne ich da einschlägig) und außerhalb (ca. 15 Länder) ist vieles anderswo besser, und die Finanzsituation ist eine relativ flexible Variable.
Klar, dass der deutsche Statusdünkel des auf Bildung der Kinder fixierten Bürgertums die Lesefähigkeit besonders mindert bei denen, die im Dünkel geschützt aufwachsen, aber das allein ist es nicht. Dennoch, diese Klassenkampfvariante ziehe ich mir heute noch an, und sie wird von den Gewerkschaften leider nur untief vertreten und ausgekämpft. Aber das allein ist es nicht.
Bildung schiebt sich vor und zwischen Erziehung, Sozialisation und Training, Formation. Sie ist letztlich ein philosophisch-anthropologischer Begriff jenseits politischer Realitäten (die können erfolgreiche oder gescheiterte Revolutionen sein, oder solche politischen Verhältnisse, die nicht auf die Einheit einer politischen Kultur, sondern ihre dynamische dialektische Entwicklung zielen). Wie sollte das in Deutschland vor 1871 je geschehen sein? In der Abstraktion kann man bei Hegel in den Gymnasialreden, bei Herbart, Pestalozzi (kein Deutscher), bei Stifter (kein Deutscher), bei Schleiermacher usw. unendlich viel, auch widersprüchlich kluges, finden, aber: die Realität unterhalb des bezeichneten Bürgertums war einfach ungeeignet, irgendeine Bildung zu vermitteln Der Hauslehrer mochte noch pädagogischer wirken als der Beinamputierte Unteroffizier, der eine Dorfschule dirigierte. Und auch nach 1871, wo die staatliche Einheit wenigstens formal hätte eine Entwicklung vorantreiben können, geschah zu wenig. Für mich am eindrücklichsten ein Film von Michael Haneke 2009: „Das weiße Band“. Natürlich gibt es viel Literatur zum Thema, und in den besten Werken ist der Blick auf das Dazwischen freigelegt: Wo bildet die Gesellschaft, die Erfahrung die Phantasie neben und mit der Familie, der Schule, den „Autoritäten“ den Habitus aus, der nicht nur in den Untertanen, den kleinen Leuten, den Halbgebildeten seinen Ausdruck findet (und der, fast klassenunabhängig, in anderen Gesellschaften „gebildeter“ erscheint, bei größeren oder gleichgroßen Anteilen des Gelernten). Kein Wort weiter, sonst verfalle ich in den Jargon, der mein Pädagogikstudium bis zum Doktorat mir vergällt hatte; auch noch Teile meiner hochschulwissenschaftlichen Forschung, die sich irgendwann in Soziologie aufgelöst hat, nur damit man im nach hinein doch Versäumtes wahrnimmt. Ich habe zum Thema nur mehr einen fast platten Satz variiert, dass es einen Vorrang des Wissens vor allen Kompetenzen geben solle, dass Weltwissen sich zum Kanon so verhält wie Wort zu Begriff (naja, Adorno hat nicht nur die Halbbildung, sondern auch die Begriffsbildung zum Thema, und da bekommt Bildung eine andere sprachliche Konnotation).
Das haben wir – pardon: irgendwie – 1968 gewusst, bevor wir‘s getan haben. Wir haben den Bildungsbegriff durch den Sozialisation ersetzt, wir haben einen realen “Theoriehunger“ (Michael Rutschky) mit einem Drang nach Veränderung (Handeln) verknüpft, der „Erfahrungshunger“ (auch Rutschky) kam danach erst als sich die Theorie nicht hinreichend praktisch, körperlich!, schnell umsetzbar herausstellte, wir waren Klugscheißer und lagen doch in der intuitiven Abkehr gegen den Bildungskanon richtig (konkreter: viele von uns, nicht nur ich, hatten viel und kluges gelernt, aber seine Einbettung in einen Habitus, den wir um jeden Preis los sein wollten, hat das fast in uns zerstört. Wir haben uns im Kampf um die Gesamtschule verkämpft, obwohl dieser Kampf als Klassenkampf heute noch richtig wäre, wir hatten den Kampf gegen den Kanon nur halb verständlich geführt (ich erinnere daran, dass wir z.B. Fichtes Wissenschaftslehre als Vorgänger von Marx mühselig als Raubdruck angefertigt hatten), aber dabei haben wir wirklich etwas gelernt. Unser größter Erfolg war es, hier und dort Projektstudien und fachübergreifende Themen einzuführen, sollte es heute noch sein (aber die Lehrplanrichtlinien für Projekte sind damit natürlich nicht gemeint).
Fehler waren, dass wir die notwendige Institutionalisierung der allgemeinen Bildung, d.h. für alle zugänglich und adaptierbar) mit der Trägerschaft verwechselten (Waldorf besser als die Staatsschule), dass wir die Schulpflicht mit der Lernfreiheit verwechselten, dass wir uns der Didaktik und den Medien zu zögerlich und spät, dann zu unkritisch zugewandt hatten – akademisch wie schulbezogen. Aber das ließe sich alles korrigieren. Aber nicht korrigieren lassen sich die Punkte 1-4 oben, die am Tag nach PISA den Besänftigungstherapeuten, Karlizeck an der Spitze wieder Auftrieb gibt.
Alles nicht schlimm,
so tönt es, versteht erst einmal die Beschränktheit von PISA, die methodischen Schwächen, die OECD Perspektive…Provinz kann eben nur provinziell.
Man möchte sagen: habt ihr noch alle? Die Unis haben die schlechteste Lehrorganisation, die man sich denken kann, der wissenschaftliche Nachwuchs dient im wahrsten Sinn des Wortes eher den außeruniversitären Forschungsinstituten als den Studierenden, die Hochschulautonomie ist stumpfsinnigen Kapazitätsverordnungen und dem verfassungsverächtlichen Ordinariengebot unterworfen wie weiland 1890, die Lehrerausbildung ist unattraktiv, Didaktik gilt so wenig als Wissenschaft wie Praxisnähe – bitte: es war die CDU, die die erstklassige Einphasige Lehrerausbildung in Oldenburg und Osnabrück gekillt hat, damals, im Diluvium – , die Lehrerinnen werden schlecht bezahlt, die Schulen zerfallen, gebildete Migrantinnen stehen bereit, dürfen aber nicht wegen des Innenministers Fremdenfeindlichkeit, und dabei ist Geld im Überfluss da – also. Ach ja, MINT ist wichtiger als Kunst, Musik, Sport, LER, dann sagen uns die Uni-MINT Leute, die können eh nichts, wir fangen von vorne an; Digitalunterricht verlangt die FDP, Börsenlehre kommt aus der Wirtschaft, und vielleicht bringt die SPD Abstimmungsverhalten in den Lehrplan.
Zurück zum Anfang. Wissen ordnet sich nicht nach Disziplinen. (Kompetenz ordnet sich nach Tätigkeiten).
Alles noch schlimmer,
sage ich.
Kurz nach diesen Zeilen eine Kontroverse im DLF zu offenem Unterricht versus psychischer Führung durch die Lehrperson. Sachlich, evidenzbegründet, und irgendwie abstrus – es kommt nicht darauf an, ein Modell gegen das andere durchzusetzen. Macht kleine Klassen, lasst die Schüler bis 14 oder 16 in einen Schultyp, eine Schule gehen, weg mit den Zugangsregulierung bei den Hochschulen, weg mit der so genannten Vergleichbarkeit (anhand der Ergebnisse). Ob und wenn die AbsolventInnen nach zwei Jahren einen der Ausbildung nahen Job haben, eine Tätigkeit, in der sie ihre Bildung einbringen können, und wenn sie zugleich gesellschaftlich aktiv und eingebunden sind…dann ist etwas richtig gelaufen. Abiturnoten, summa cum laude, second book statt Habilitation, Befristung statt geachteter Weiterarbeit, dafür mehr Lehrangebote für kleine Seminare > 10, das alles geht zu reformieren, man wills nur nicht.
Vergesst PISA.
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So einfache Dinge werden oft vergessen, wie dass Kinder keine Erwachsenen sind, dass ihre Vorstellungen von Moral und ihre Fähigkeit zur kritischen Meinungsbildung erst mit der Zeit und nicht so früh kommen können, dass sie – das ist mir so wichtig – die Welt nicht primär durch unsere Augen sehen; das Studierende immer weniger an den Aufstieg durch Bildung glauben, sondern vielmehr Wissenschaft und Studium auch zur Präzisierung ihrer Interessen nutzen, dass die Metaphern zu Fortschritt und Bewahren gleichermaßen schal geworden sind – soll ich fortfahren? (ja, wohin, in die Enzyklopädie einer perfekten Zukunft, die wir alle nicht erleben werden?).
Modell Fridays for Future: richtig: das eigene Recht derer, die nach uns kommen in der gestundeten Zeit zählt mehr als die Sozialpolitik für die abgehende Generation (siehe Seniorenheim SPD). Das heißt aber auch, dass Solidarität bedeutet sich aufzulehnen gegen die Autorität der politischen und kulturellen Führerschaft, die sich legitimiert wähnt, aber nicht weiß. Diesen Zusammenhang zu erkennen, ist Bildung. Über Erziehung lasse ich mit mir gerne reden, wenn es um den Pluralismus der Stile und Methoden geht. Aber wenn es um die welt-bürgerliche Entdeckung der eigenen Plätze im sozialen, im kulturellen Raum geht, in der Attacke auf die politische Ökonomie der Zukunftsverhinderer, keineswegs. Das Herauslösen aus den noch immer an uns herumhängenden Resten religiöser, nationaler, hochtönender Indoktrination ist eine komplexe Aufgabe, die auch eine Kenntnis dieser Reste notwendig macht (weshalb Selbstsozialisation fast gleich Volksverdummung ist). Das gilt nicht nur für die Kitas und Grundschulen, an der Universität ist es genauso angebracht. Was das praktisch bedeutet: den institutionellen Rahmen so gut und weit ausstatten, dass solche Prozesse möglich werden, und nicht vom relativen Ende her, dem Übergang in den heute avisierten Arbeitsmarkt, her bestimmen, wie das die Bildungspolitiker so dumm wie wortreich seit n+1 Jahren betreiben.
Wann kommen Sie denn zu den Inhalten, mein Herr? Wir sind schon drin. Klima, Gerechtigkeit, gutes Leben (Ethik), richtig Handeln (Moral), Handeln und Verhandeln (Politik), um all das Wissen, das Glück liegt auf der Straße.