Polizei: bitte sei dazu still.

Als ob die deutsche Polizei nicht genug mit ihren rechtsradikalen Nestern und prekären Verhaltensweisen zu tun hätte. Jetzt äußert sich der ansonsten zu Recht unbekannte Präsident der Bundespolizei, ausländerfeindlich, asylrechtsfeindlich und – wenig intelligent, was dann auch wieder nicht verwundert:

„https://www.tagesschau.de/inland/abschiebungen-rueckgang-101.html:       „
…Die Bundespolizei spricht von einer „Stagnation der Rückführungszahlen“ und nennt als Grund „ein erhebliches Maß“ an stornierten Abschiebungen durch die Bundesländer.
Bundespolizeipräsident Dieter Romann sieht deren Rolle kritisch: Die Bundesländer stellten zu wenige Abschiebehaftplätze zur Verfügung. „Gemessen an den rund 248.000 ausreisepflichtigen Drittstaatsangehörigen sind die 577 Abschiebehaftplätze, die es in den Ländern gibt, viel zu wenig“, sagte Romann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Dazu ein Bild:

Ein gefesselter Mann wird auf dem Frankfurter Flughafen zu einem Abschiebeflug nach Afghanistan gebracht.

Abgelehnte Asylbewerber häufig geduldet….“

Soweit der Ausschnitt aus dem Artikel bei der Tagesschau. Abgesehen davon, dass Polizisten sich der Politikerschelte dort enthalten sollten, wo sie ausführende Organe („Exekutive“) sind, redet Romann rechts- und menschenverachtenden Unsinn. Dass gerade die Duldung der abgelehnten Asylbewerber auf rechtsstaatlichen und humanitären Grundlagen unserer Gesellschaft beruht, macht u.a. den Unterschied zu Regimen wie dem ungarischen aus. Dass man gerade einen gefesselten Afghanen zeigt, ist aber auch ein Zeichen für die geradezu blödsinnige Ignoranz unserer Behörden gegenüber den wirklichen Zuständen in dem von uns mit „befriedeten“ Land. Nun ist Herr Romann die Spitze eines Eisbergs, der besser gesellschaftlichen Distanz als weiterer umworbener Integration bedürftig ist. Er spricht dem populistischen Popanz der Reinigung des Landers von unerwünschten Personen aus der Seele, und leider auch für 25% der Bevölkerung, die es auf diese Weise nie zum Volk schaffen wird, von dem das Recht ausgeht.

• Wir müssen ein Jahr beschließen, das zeigt, wie falsch und unaufrichtig unsere Flüchtlingspolitik ist, obwohl wir „besser“ als viele EU Staaten sind und obwohl wir tatsächlich sehr viel dafür zahlen, besser als die meisten dieser Staaten zu sein. (Wir zahlen mehr, weil wir das können).
„Besser“ heißt natürlich auch, dass unser Rechtsstaat noch besser intakt ist als der mancher illiberaler Demokratien oder neuer autoritärer Staaten; intakt trotz der populistischen Vorfeld Instanzen, und da ist keineswegs nur der Innenminister, da sind die Sicherheitsorgane, Geheimdienste, und ganz viele staatliche Instanzen, denen die Zustimmung der fatalen 25% wichtiger ist als ihre übertragene Aufgabe staatlicher Leistungen für das ganze Volk. (Ein Beispiel, das nichts mit Flüchtlingen zu tun hat: der Minister B. Scheuer lehnt Geschwindigkeitsbegrenzungen u.a. mit dem Argument ab, dass die Mehrheit der Bevölkerung dem wohl nicht zustimmen würde…da sind wir nicht weit von der Wiedereinführung der Todesstrafe, wenn nur 51% der Bevölkerung die halt mal an einem Montagmorgen gern wieder hätten. Gemein, gell, so mit dem Volkswillen zu spielen?). Zurück zu den Flüchtlingen. Ich wiederhole den gestrigen Blog: Habeck hat Recht. Holt wenigstens die Kinder raus aus den Flüchtlingslagern. Darin kann man übrigens auch messen, um wieviel besser unser Rechtsstaat ist als der in andern Ländern. (Und dass die Kirchen und andere humanitäre Organisationen Habecks Forderung unterstützen, sollte den Christlein im Lande zu denken geben).
Aber fast noch wichtiger ist mir zu untersuchen, warum es eine Reihe von EU-Ländern gibt (und solche außerhalb der EU), die eine so unmenschliche Asyl- und Flüchtlingspolitik betreiben. Ihr Argument, von Trump über Orban bis Erdögan, ist zuvörderst die nationale Sicherheit, eng gekoppelt an eine Identität, die vom Wortlaut her meist als faschistisch bezeichnet werden muss. Dass das z.B. in vielen östlichen EU-Staaten etwas mit der stalinistischen Nachkriegsordnung zu tun hat, auch und insbesondere in der DDR, haben wir schon 1989 gewusst, aber zu wenig beachtet. Dass das Nationale die unterdrückte Nationalstaatlichkeit ersetzen, kompensieren sollte, haben wir auch gewusst, aber versucht, wegzukaufen. Dass Flüchtlinge eine Leerstelle demokratischen und republikanischen Bewusstseins besetzen, so wie früher und teilweise auch heute jüdische Menschen, hätten wir spätestens 2014 wissen können, aber das ist ein heikles Feld, für viele zu heikel.
Unsere deutsche und eurowestliche Mitschuld an der miserablen Entwicklung des rechten Populismus, der sich oft mit so genanntem linken Populismus (zB. vor zwei Jahren: Sarah Wagenknecht-Frauke Petry) trifft, muss ein Thema sein. So, wie die Wiederaufnahme der post-kolonialen Debatte unabweisbar wird, und langsam in die Gänge kommt, so sollte auch bei uns die Aufarbeitung der Zeit nach 1989 sich aus dem infantilen Ost-West-Geplänkel in etwas rationalere und kritische Ebenen bewegen (Ein Beispiel, dass und wie das versucht wird, ist Ines Geipels “Umkämpfte Zone“, 2019, wobei es da nicht explizit um Flüchtlinge geht, aber die ganze Identitäts-Rhetorik auf den Prüfstand gestellt wird, und die Grenze zwischen dem öffentlichen und dem privaten Beschweigen konkret wird). Diese Art von Schuldbearbeitung unterscheidet sich von der Schuldzuweisung an die alten und neuen Diktaturen. Aber eben diese Differenz kann dazu führen, dass wir es besser machen: Ende der Abschiebung, Aufnahme der Kinder (was spricht dagegen Vorbild zu sein), Revision der Innenpolitik.

Erz, Blei, Stein oder Schlamm? Egal, die Zeit zeigt es

Es gibt so vieles am Zustand der globalen und der lokalen Verhältnisse zu kritisieren, dass manche einfach die Medien abstellen und meinen, dadurch sei früher alles besser gewesen. Wobei es ja auch darauf ankommt, wie lange man die Wellen der Zeit dehnt, um „früher“ bestimmen zu können.

Immer wieder denkt man, dass es vom Goldenen Zeitalter nur bergab geht (Ovid: Metamorphosen) oder dass ganz kurzfristig die Bleierne Zeit eintritt (Hölderlin, Margarethe von Trotha https://de.wikipedia.org/wiki/Die_bleierne_Zeit#Der_Titel) oder verwandeln sich die Feinde in Steine? Die Metaphern unterscheiden sich, aber es gibt offenbar keine Rückkehr, sei es ins Paradies oder in das jeweils ideologisch gepredigte beste Zeitalter. Wenn aber in der Gegenwart der Abstieg von einer guten Zeit noch so deutlich wird, sagen wir von 1989 bis 2021 (Corona), 2022 (Ukraine), 2023 (Gaza), usw. – da ist viel mehr – dann fragt sich a) wie es weitergehen kann, und b) wie man vom Abstieg umkehrt.

Die Privatphilosophie ist nicht schlechter als das dazu meist konservative Feuilleton. Viele, fast alle?, denken solche Abstiegsmetaphern, und sie setzen sich und ihre Gedanken ins Zentrum der Welt. Sie verwechseln Lebensgeschichten der Einzelnen mit dem Gang von Erde und Welt. Daraus können wir wieder ein einleuchtendes Bild machen mit vielen Beziehungen zu bereits verinnerlichten Metaphern, wer hat denn das schon so beschrieben, gemalt, vertont? Was mich daran stört, sind nicht diese Fragen, sondern warum nicht wirklich gefragt wird, wie man sich dagegen stemmt, wie man rauskommt…aus der bleiernen Zeit, oder, was ich eher meine, aus dem Schlamm.

warum mir das wichtig ist? Im Kleinen resigniert die Bundesregierung gegen die Umweltdeppen Lindner und Wissing, die bleifüßerne Zeit wird auch noch verlängert. Im Großen resignieren die europäischen Länder zunehmend vor dem um sich greifenden Faschismus, was ja pragmatisch erst recht der künftigen Generation auf die Füße fällt, nicht nur bei Umwelt und Flüchtlingen. Wenn bei uns die Ausländerfeinde sich durchsetzen, gibt es ohnedies bald keine Arbeitskräfte, und verdursten die Rechtsradikalen, – und leider auch angenehmere Menschen. Das schlammige Zeitalter verdorrt die Hirne, weil das Wasser ausgeht (Wer heute Atomstrom fordert, dessen Hirn IST schon verstrahlt). Ich habe auch keine Antwort auf die Frage, wieweit der Abstieg der Zeitalter noch geht und ob eine Umkehr möglich ist. Aber das ist doch eine falsche Denkart, wenn man so lange Wellen – Zeitalter! – als Maßstab nimmt. Umweltpolitik, Friedenspolitik, Sozialpolitik etc. sind alle Politik, und Politik ist es etwas anderes als sich in Mutmaßungen über Lauf der Geschichte jenseits unserer Phantasie, über die guten Zustände „früher“ zu ergehen. Man kann ja zum Beispiel weniger Kinder zeugen. Man kann ja zum Beispiel Fahrgeschwindigkeiten reduzieren. Man kann ja zum Beispiel Ernährungsgewohnheiten ändern. „Man kann“ ist nicht abstrakt, sondern wichtig gegen den neoliberalen globalen Individualismus des Verhaltens der privilegierten Klassen.

Klassenkampf? Ach was. Politik. Im Goldenen Zeitalter spielen die Götter noch eine Rolle, in der Bleiernen Zeit die irrwitzige Phantasie der Herrschaft, und wir brauchen für einige politische Handlungen nur die gegenseitige Mitteilung über Wahrnehmung und Nachdenken. Wenn eine Regierungserklärung sich darauf bezöge, wäre sie auch nicht schlank, aber verständlich. Und wenn sie politisches Handeln damit rechtfertigte, würden das die Menschen verstehen, anstatt sich den Pöbeleien der Realpolitik hinzugeben, die zwar jetzt nach rechts tendiert, aber links, und in der Mitte und oben und unten auch existiert. Dagegen kann man etwas tun.

? Gott und Politik ?

Gott und Faschismus, nicht neu…

Ich halte mich zurück, wenn es um Faschismus geht…wenn man alles, was schlecht ist oder der Kritik unterliegt, wird das F-Wort zum allgegenwärtigen zum Sprachbrei ohne begriffliche Bedeutung. Aber umgekehrt: wo der Faschismus nachweisbar ist, wo er sich ausbreitet oder wirkt, soll man auf den Begriff nicht verzichten. Ich habe mich mit dem Thema schon deshalb in letzter Zeit häufiger befasst, weil es auch das Judentum in Israel betrifft. Und Schweigen oft zur Unterstützung des Falschen gedeutet, missdeutet wird.

Am 8.5.2024 abends wurde ich im Rundfunk bestärkt: Die Verbindung des weiterhin aktuellen Carl Schmitt (1888 – 1985) zu der Verbindung antidemokratischer Verbindung von Religion und Herrschaft – heute, nicht nur in der Vergangenheit – wurde verständlich und gut belegt wieder ins Bewusstsein gebracht (Der widersprüchliche „Kronjurist des Dritten Reiches“ (deutschlandfunk.de), auch früher (Macht und Recht – Versuch über das Denken Carl Schmitts (deutschlandfunk.de) am 24.2.2019. Über Schmitt, der nach wie vor attraktiv in allen politischen Lagern ist, will ich hier nicht schreiben. Aber er war der Fokus einer Diskussion, bei der es darum ging, wie in vielen heutigen Diktaturen und autoritären Systemen (Russland, Türkei, …) sowie bei politischen Strömungen mit Macht (z.B. evangelikale Bewegungen in den USA), die Verbindung der Religion mit der Herrschaft darzustellen. Nicht neu, aber in den letzten Monaten hat mich die Situation in Israel und dem Nahen Osten nicht losgelassen, sie ist nicht abzulenken oder zu verdrängen. Das hat mit der oft antisemitischen Gleichsetzung des Angriffs der Hamas vom 7. Oktober 2023 und der Antwort Israels im Gazastreifen nur am Rand zu tun. Hier eine andere Frage vorweg: würde in Israel nicht das derzeitige Kabinett regieren, sondern eine klassische, liberale, vielleicht zionistische Regierung, wie würde sie auf den Angriff der Hamas reagiert haben? Das ist eine sensible Frage, deren Antwort ohne die Geschichte der Beziehungen der Menschen im Land, in der Region, ja, teilweise global nicht zu fassen ist. Aber das werde ich hier nicht ausführen. (Vgl. Edit Post ‹ Michael Daxner — WordPress.com Nr. 5515 7.5.2024). Mir geht es darum, dass die WIEDERHERSTELLUNG von Demokratie aus der Verbindung von Religion und Faschismus außerordentlich schwierig ist, wenn die Entstehung dieser Verbindung scheinbar auf demokratischen Verfahren beruhend oft unscheinbar erfolgt (aber auch die Wahlen haben ja ihre Vorgeschichte…).

Das Kabinett von Netanjahu ist teilweise faschistisch, religiös und durch den Siedler-Extremismus, und das wird nicht von heute auf morgen geschehen sein, sondern hat eine komplizierte Geschichte – dazu mache ich eine Lehrveranstaltung, aber das Prinzip der kritisierten Verbindung ist weitgehend überall das Gleiche. Sich auf einen so genannten „Gott“ zu berufen, um eine politische Zielsetzung zu legitimieren und durchzusetzen, hat es immer gegeben – heute in der Verbindung von Kyrill und Putin besonders deutlich, auch Erdögans islamistische Wende und die religiöse Mitbegründung der israelkritischen oder -feindlichen arabischen und palästinensischen Kräfte, auch im Iran usw. (in geringerem Maß hat es das auch in Europa, u.a. bei PIS so gegeben, diese Aspekte ein andermal). Man würde nur ungern öffentlich den jüdischen Kontext mit dem faschistischen in Verbindung bekommen, weil hier vorschnell immer der Nationalsozialismus als faschistische Extremum aufscheint).

Sozialanthropologisch, historisch, psychologisch, alltagsvernünftig…ist es unverständlich, warum „die Juden“ nicht wie alle anderen Menschen für Faschismus anfällig sein wollten. Aber das ist natürlich ein Tabu, innerhalb des Judentums, und, oft umgekehrt, außerhalb.

Das Teuflische an all dem ist nicht so sehr die diskursive Auslegung und die empirische Nachprüfung der einzelnen Erscheinungen, sondern ihre Deutung, die ist oft in der Tat antisemitisch und benutzt die jüdische Normalität geradezu als Trittbrett für Angriffe.

Wie das alles in diesen Tagen diskutiert wird, belastet, kränkt, verletzt oder manchmal belustigt mich. Das politisch-kulturell Ernsthafte dahinter wird nicht einfach im Gespräch von Interessierten erledigt, es hat weitreichende globale Folgen. z.B. in den so genannten „pro-palästinensischen“ Demonstrationen und Widerstandspolemiken – nicht zuletzt in den Universitäten, und oft in der Form lang zurückliegender Reaktion auf den Vietnamkrieg. Auch das kann man erklären, aber die Zeit zum Frieden drängt.

Schade, dass Amos Oz nicht mehr lebt, oder Jeshajahu Leibowitz, oder … viele wichtige Hinweise gibt Omri Boehm, siehe oben 7.5.2024, und aus Israel und teilweise aus dem europäischen Judentum kommen hinreichend klare Stimmen, dass es nicht um essenzielle und nicht umkehrbare ethnische und schon gar nicht religiöse Differenzen geht. Im Kontext sagt Boehm einmal, dass Freundschaft oft überbrückt, was rational nicht zu vereinbaren ist[1].

NACHWORT

Scheinbar habe ich den Titel zunehmend verpasst. Aber nicht wirklich. Dier Verbindung eines konstruierten Gottes mit realer Politik ist mir so fremd wie nur etwas, aber ihre Konsequenzen für die Politik sind gewaltig (Religion und Abtreibung, Religion und Bewaffnung, Religion und Geschlechterdiskriminierung etc.). Im konkreten Fall ist Religion ein scharfes Schwert für monotheistische Machtansprüche gegen die Demokratie (im übrigen auch für polytheistische). In der derzeitigen Weltkriegssituation ist das nicht unerheblich, weil die Vergangenheit wieder aufersteht, zumal sie nicht bewältigt wird. Der wohl kompetente Nahostexperte Gilles Kepel hat das in seinem neuen Buch deutlich ausgedrückt, es geht auch gegen den „Okzident“, etwa den „Westen“, und das hängt auch damit zusammen: Gilles Kepel: Israel, Gaza et la guerre contre l’Occident. Paris 2024, Plon – noch nicht übersetzt, kommt sicher bald.


[1] Religiös-philosophisch wird dies kritisiert, z.B. Christian Modehn, Freundschaft oder Brüderlichkeit? Wie den Universalismus durchsetzen? Eine Frage an Omri Boehm. – Religionsphilosophischer Salon (religionsphilosophischer-salon.de) 25.3.2024; ich kann mich der Kritik nicht anschließen. Aber einen Satz zu Ende des Buchs von Boehm „Radikaler Universalismus“ s.o. werde ich auch nicht los: Einerseits: „Deshalb brauchen wir unsere eigene, jüdische Politik, um zu überleben. Und wenn man diese Idee aus einer universalistischen Perspektive kritisiert, dann nur deshalb, weil man als privilegierter Nichtjude die jüdische Erfahrung gar nicht verstehen kann. Der Gedanke, man habe das Recht, über die Opfer zu urteilen, macht einen zum Antisemiten“ (S.152): das scheint einseitig pro-jüdisch zu sein, doch JETZT kommt Boehm auf die Palästinenser zu sprechen. Und mit einem Schluss, dass das Beharren auf der jeweiligen Identität zur wechselseitigen Auslöschung führt.

Nicht nur „Jude“, „jüdisch“ soll man sein

Ihr wisst, dass ich eine Lehrveranstaltung zur Geschichte Israels und Palästinas durchführe, und da spielt meine Haltung und Meinung keine große Rolle – die Studierenden sollen jenseits von Meinung Wissen und Politik lernen. Mit gutem Grund wird meine politische und kulturelle Geschichtslektion mit dem 6. Oktober 2023 erstmals abgeschlossen.

ABER

Die letzten Monate und Wochen sind voll von Beziehungen des aktuellen Geschehens zu seiner Entwicklung, und auch zur (nicht)nachvollziehbaren Differenzierung zwischen Kritik an der Hamas und der Kritik an Netanjahu, der Kritik an den Palästinensern und der Kritik an Israel. All das in Deutschland und Österreich mit einer besonderen Kante zum Antisemitismus, die es anderswo auch, aber anders gibt. Und die amerikanische Variante der Auseinandersetzung, die sich nicht auf Eliteuniversitäten als besonderen Schauplätzen beschränkt, kommt dazu.

ABER

Natürlich lassen sich die einzelnen Ereignisse nicht aus ihrer Geschichte lösen, sie sind aber jeweils auch nach ihrer Qualität (z.B. Grausamkeit, Unmenschlichkeit) und nach ihrer Logik und nach ihrer Wirkung zu beurteilen. Vielleicht weniger danach, was wir (Außenstehende, nicht direkt Beteiligte, Kommentatoren, Kritiker) für angemessen halten. Wenn man von der Entstehung des Konflikts absieht, dann sind besonders die Vergleiche zB. von Todesopfern – sagen wir, am 7. Oktober, sagen wir seither – mehr als peinlich. Plötzlich sind alle Kommentatoren Expertinnen und Experten. Ein Vorbild, Gaston Bachelard, fragte immer wieder nach „Woher weiß ich, was ich weiß?“ und hier ein Punkt um anzusetzen in der Kritik der Wirklichkeit. Der Frage gehe ich nicht erst seit den letzten Ereignissen nach, aber sie ist politisch, wenn ich mir manche Kommentare anhöre.

WAHRHEIT UND WIRKLICHKEIT

Wo immer auftritt, ist Philosoph Omri Boehm, viel geehrt, bekannt, hoffentlich auch gelesen, umstritten, v.a. für sein Buch „Radikaler Universalismus“ (Ullstein 2023), das sich auf die Gerechtigkeit VOR der Wahrheit, auf die Propheten und Kant bezieht, und eine sehr unbequeme Forderung an jüdisches Umdenken bezüglich der Situation in Israel und Nahost stellt. „Ist aber nicht überall Gerechtigkeit in Gefahr, wenn irgendwo Unrecht geschieht?“ (S. 150). Das bezieht sich auf alle Beteiligten, Juden und Palästinenser und andere aktive Politik im Konkreten – da wird der Philosoph praktisch. Und in Wien gibt es Unmut gegen Boehm von der falschen Seite: https://topos.orf.at/wiener-festwochen-omri-boehm100 (Wiener Festwochen: Eine Rede an Europa
Omri Bohem im Interview mit dem „Standard“
Omri Boehm und der Verlust der Mitte der Gesellschaft (ORF.at)
Omri Boehm bei Ullstein) Zu Omri Boehm noch etwas wichtiges, für mich: er ist zum EINSTAATEN Lösungsansatz zurückgekehrt, weil die 2-Staatenlösung im verloren erscheint. Das muss man jetzt nicht kommentieren, ich verweise nur darauf, dass vor Jahrzehnten (mein Freund) Tony Judt schon darauf Wert gelegt hatte.

Das ist für mich wichtig. Deshalb hier nur über Juden und jüdisch. Weil ich durchaus ethnisch, anthropologisch Juden „Juden“ sein lassen muss, aber „jüdisch“ ist ein Attribut oder Prädikat, das nicht humanbiologisch festgelegt ist, sondern moralisch, wenn man so will kulturell, sozial und in vielen Qualitäten abwandelbar ist, und hier kommt es darauf an, welche Qualität man wie einsetzt. Sind die israelischen Faschisten und Siedler „jüdisch“?

FORTSETZUNG FOLGT, ABER NICHT SOFORT

Rückschrittpolonaise & Fortschritt

Der erste Mai ist vorbei. Er hat so wenig Wunder gewirkt wie Erleuchtung den Betonköpfen gebracht, das müssen wir wohl auch jenseits von Pfingsten aufschieben, aber wer weiß, vielleicht kommt den Spartrotteln und Sportwagen DammElchen noch eine Eingebung aus menschlichem Angriff. Wer sich als liberal erklärt, kann schmerzlich stolpern. Ich fahre gerade mit dem Zug aus den Niederlanden (dort war er pünktlich) nach Berlin (jetzt ist es natürlich bahntypisch unpünktlich. Das stärkt angeblich die deutsche Identität und den Patriotismus. Aber ich habe andere Gedanken, angeregt von einer spannenden Diskussion an der RUG, Reichsuniversität Groningen, bei einem Kollegen von früher. Spannend unter anderem, weil viele jüngere KollegInnen nicht wie in Deutschland unter Zeitverträgen und dem Auslaufen ihrer Wissenschaftskarriere leiden, sich auf Lehre und Aufstiegsregeln in sozialer Sicherheit konzentrieren können. Das ent-spannt die Atmosphäre, plättet die Hierarchien – hat auch Schattenseiten, die mir weniger gravierend erscheinen. Und so war meine Abschiedsdiskussion zu Afghanistan auch ein gutes Ende langjähriger Arbeit mit und in diesem Land, ich habe gestern mein Archiv einem Kollegen übergeben – es wird weiter die Bindung an Afghanistan pflegen lassen. Abgesehen davon eine angenehme Stadt, Altbau und Moderne nicht kitschig getrennt, sondern verschränkt. Große StudentInnendichte, für manche Ureinwohner zu groß. Egal, die alte Partnerschaft mit Oldenburg Inspiriert…

Das ist also ein untheoretischer, ganz praktischer Alltagsbericht. Auf der Fahrt habe ich Berichte aus Israel und über Juden/jüdisch gelesen, und spät abends habe ich mich nicht mehr über Gaza informiert. Der endlose Konflikt und da drohende Ende des demokratischen unabhängigen Israel untergräbt die Vernetzung und Abwägung von Informationen. Ähnlich Ukraine, ähnlich Afghanistan. Sagt jemand zu mir: Sie haben den Sudan vergessen. Und noch mehr tragen zur unfriedlichen Korona bei. Ich gehe heute früh durch die schöne Altstadt zum Bahnhof, der Markt hat noch nicht offen, die alte Synagoge, die jetzt ein Museum ist, auch noch geschlossen, aber nicht wegen Schabbat. Auch manche Kirchen sind kulturell und museal umgewidmet, meist vorteilhaft. Aber auch hier hinreichend Stolpersteine.

Die Bahnkultur, auch Bahnhofskultur, erfreut den FReisenden ebenso wie ihn die Unterschiede bei Bewohnung agrarischer Praxis aus dem Fenster interessieren. Aber ohne Politik geht der Anblick dieser wohlhabenden Oberfläche nicht, der Faschist Wilders liegt bei 40%, deshalb wollen die demokratischen Menschen keine Neuwahlen, und ich frage mich, wo hier am Land die Armen sind, die man in den großen Städten schon wahrnimmt.

Die Strecke Osnabrück – Hannover bin ich ja hunderte Male gefahren seit 1974 und es hat sich für das Auge wenig geändert. Dichter bebaut, sonst nichts. aber die konkrete Erinnerung an Wanderungen zwischen Osnabrück und Melle, im Wiehen“gebirge“ und Teutoburger Wald, verwehen und sind verblasst, es gab ja keine nachhaltigen „Events“. Trotzdem hat diese Bahnstrecke mehr von erinnerter Heimat an sicvh als die von Oldenburg, es ja war ja mein beruflicher Anfang in Deutschland, einschließlich politischer Erstschritte incl. Usrula Pistorius in Osnabrück. Es wird keine melancholische oder retrospektive Fahrt, es war ein Frühlingseinschub, der ausschaut wie der frühe Juni. Und die Namen, die man erinnert, stehen meist auf einer Liste und nicht mehr im Adressbuch.

Warum zerbricht die Gesellschaft?

Im Titel ist schon eine These enthalten: die Gesellschaft, auch unsere, korrodiert, löst sich auf. Natürlich wissen wir, dass es immer eine Gesellschaft gibt. Aber als Produkt eines Zerfalls ist die dann sicher anders als eine konsolidierte, und bevor sie sich wieder stabilisiert muss einiges geschehen. Dazu gibt es eine Menge Theorien, aber mir kommt es auf die Beobachtung der vielen, kleinen Erscheinungen an. Die kann man nicht einfach mit „Zerfall“ bezeichnen, sozusagen eine negative Romantik, dass früher oder bisher alles besser gewesen war, und jetzt, aufgrund von…., wird es schlecht, alles zersetzt sich usw. Das meine ich nun gar nicht. Aber bestimmte Zusammenhänge, Brücken zwischen Unvereinbarkeiten, Kommuni-kation, Kritik, lösen sich auf, sie verschwinden nicht, aber ihre Zusammensetzung, ihre Bindungen lockern sich. Das ist nicht so sehr die Folge kultureller Eingriffe, sondern bewirkt auch deren Veränderung. Nicht nur die Politikwissenschaft, auch andere Disziplinen können erklären, warum das so ist – ich habe u.a. vom bereits eingetretenen dritten Weltkrieg gesprochen – aber was es bedeutet, sollte genauer durchdacht werden. Denn die vordergründigen Praktiken, den Pöbel und die Privilegierten zu stabilisieren durch bloßen Individualismus, durch weitere Trennung von Ökonomie und Politik etc., reicht nicht aus (etwas polemisch: Lindner und die FDP begreifen das so wenig wie die rechtsradikalen Eiferer).

Wenn Gesellschaften zerfallen, dann muss sich nicht nur der Staat stabilisieren und also verändern (Man muss die Dinge ändern, damit sie die gleichen bleiben – Lampedusa), es kommt auch darauf an, dass in der Zivilgesellschaft sich neue Strukturen so festigen, dass sie nicht wie Sandbänke weggeschwemmt oder abgetrieben werden. Mir kommt immer in den Sinn, wer mit wem sich austauschen oder kooperieren soll, damit die Grenzen der eigenen Expertise oder Routine nicht versteinern, – also selbst in Bewegung geraten, ist angesagt, anders als die Richtung des Zerfalls kommt es hier auf Verbindungen an, auf das Probieren des zuvor nicht praktizierten Handelns – mit der einzigen Begründung, dass es ohne diese Versuchsanordnung ohnedies beim Zerfall bleibt und uns dem Zufall überlässt)(das war ein Kalauer mit Sinn).

Diese Gedanken entwickle ich nicht aus meiner wissenschaftlichen Tagesarbeit, sondern bei der Wahrnehmung der Nachrichten, aus aller Welt, also auch von hier. Die Mischung aus Resignation (es ändert sich ja doch nichts) und Erwartung (jetzt muss sich doch etwas ändern) stört mich. Dass etwas geschehen muss, wäre ja die Folge davon, dass etwas getan wird (gerade bei der Umwelt kann man ja sehen, dass Verhinderer wie Wissing das Tun besser fundierter Politik zerstören, siehe oben…das wäre bei uns; im Großen kann man das ja an Netanjahu und seinem Kabinett sehen, die sich auf peinliche Weise mit den Terroristen gemein machen, und eben deshalb nichts Friedensstiftendes tun, sondern sich im Verhindern überbieten). Und das wird in den Nachrichten überdeutlich – ungewollt freilich – halbstündlich verbreitet. Es gibt da 9immer ein paar Ausnahmen, aber zu wenige.

*

Ich sehe mich, uns, sowohl auf Aktivitäten vorbereiten (Vorbilder gibt es da viele: zB. die Überlebenden geflüchteten Vertreterinnen der russischen Demokratie – externe Opposition mit befreiender Perspektive), als Reflexion, Überdenken dessen, was wir von einer Politik erwarten, in die wir uns einbringen müss(t)en. Es kann nicht jede(r) alles machen, aber etwas muss jede(r) tun. Und das ist Teil des Clous, dass man auch Positionen verlassen muss, wenn man sich noch so wohl da gefühlt haben sollte, weil man ja schon weiß, dass sie nicht haltbar sind (Lebenspraxis contra Umwelt, Kommunikation contra Wahrheit, Justiz contra Gerechtigkeit etc.), also – kurz – Politik im eigenen Leben wieder sich entfalten lassen.

Glanzloser Abstieg

Erst einmal eine wichtige Zusammenfassung:

1956 hat die Welt eine ähnliche Zäsur in einer Doppelkrise erlebt. Auch wenn der Vergleich hinkt, so haben damals Parallelereignisse im Nahen Osten und in Europa die Kräfteverhältnisse auf der Welt nachhaltig verändert. Die Niederschlagung des Ungarn-Aufstands durch die Sowjetunion und die Niederlage der Briten und Franzosen in der Suez-Krise haben binnen Wochen das Ende des Kolonialzeitalters markiert, die Sowjetunion als Akteur im Nahen Osten etabliert, den Kalten Krieg erweitert und Europa seinen geschrumpften Einfluss in der Welt aufgezeigt.

Die beiden Kriege dieser Tage haben das Potenzial, eine noch schlimmere Verheerung anzurichten. Statt der Kolonialmächte sind es diesmal die USA, die ihren Verdrängungsmoment erleben. Und Europa steht in der Gefahr, Opfer seiner Apathie und seiner Unfähigkeit zum Widerstand zu werden.

Die Staaten der EU haben ihren allemal geringen Einfluss im Nahostkonflikt schon lange verspielt. Die Regierung von Joe Biden hingegen steckt in einem Dilemma mit Benjamin Netanjahus Regierung, die sie fallen lassen will, aber aus innenpolitischen Motiven und strategischer Vernunft nicht fallen lassen kann. Europäer wie Amerikaner haben kapitale Fehler in der Einschätzung des iranischen Unrechtsregimes begangen. Nun finden die Europäer selbst im Augenblick höchster Schwäche nicht zur Wahrheit und damit zur politischen Klarheit gegenüber Iran wie auch der Regierung Netanjahu. (Stefan Kornelius, SZ 20.4.2024)

So deprimierend der letzte Satz ist, so wichtig ist er, indem er Wahrheit und Klarheit nicht auseinanderreißt (was ja ein klassischer linker Kurzschluss war). Wichtig auch in Bezug auf den Reflex, den dieser globale Konflikt auf unsere Gesellschaft, Innenpolitik, Kultur ausübt. Ein scheinbar weit hergeholter Eindruck ist, dass wir uns in einem neuen „Biedermeier“ bewegen, mit Ersatzschaubühnen moralischer und ästhetischer Zeigefinger auf Wokeness, SUV, Gendersternchen und populistische Verdrängung der Gesetze durch den so genannten Volkswillen, nicht nur im rückständigen Bayern. Europaweit. Das soll jetzt gerade nicht in das Lamento der nur scheinbar resilienten Fortschritts-Überreste einstimmen. Die reden immer gerne von der „Wiederherstellung“, also ob Demokratie, oder Umweltbewusstsein, oder kollektive Solidarität verloren oder preisgegeben worden wäre von, ja von wem? Meist doch von denen, die jetzt lamentieren. (und wie weit ICH, WIR da teilweise dabei waren, ist auch noch ein Problem).

*

Angesichts der indirekten Beteiligung des teilweise demokratischen, teilweise protofaschistischen Europa an einer globalen Konfliktbewegung, die man – dächte man nicht retro-eng – gar nicht anders als Weltkrieg bezeichnen kann, aber eben nicht metaphorisch als „Krieg der Welten“, gut versus böse, klug versus deppert, sondern als ein globaler Konfloikt, dessen Waffengänge an den unterschiedlichsten Orten aufleuchten oder im Grau gerade verschwinden. Da sagen die Einen ausatmend tiefe Überzeugung „Du musst dein Leben ändern“, während die Anderen sagen „Wir sollten die Welt um uns ändern“. (Daraus kann man wieder zehn Philosophiebücher für den Alltag machen, quasi Kochrezepte gegen die Betroffenheit, dass wir handeln müssen, auch wenn es für uns wenig zu verhandeln gibt).

Ich habe noch ein paar andere Themen auf Lager, die die scheinbar kriegsferne Realität unseres Lebens in Deutschland, Europa, betreffen, die kommen in den nächsten Nachrichten. Aber die Situation, einen Weltkrieg aus einer wenig kontroversen Zone mit Blick auf gewaltreiche Zonen fast zu ignorieren, ist wichtig, wenn man vernünftig leben will, was immer und nur sozial und nicht nur individuell möglich ist, und sich nicht der Kriegslogik hinzugeben. Die würde ja bedeuten, dass man sich darauf vorbereitet, vom akuten, gewaltsamen Krieg eingeholt zu werden, während man ihn jetzt ja nur indirekt, finanziell, ideologisch kommentiert, im Guten wie im Schlechten. Mit Friedenslogik kommt man auch nicht geradeaus weiter, weil wir sie nur mehr fragmentiert einsetzen können, es herrscht eben kein ganzer Friede. Den Krieg wahrnehmen und sich dennoch nicht seiner Logik fügen bedeutet Widerstand, Handeln. Das fäng5t natürlich immer bei uns selbst an und soll weitergegeben werden, sich ausbreiten. Das klingt so didaktisch, ist aber eher praktisch, fast bürgerbewegt gemeint: nicht sich auf die Friedensinsel im Krieg kaprizieren, sondern vor allem das tun, was man unter allem Umständen auch tun will, wenn es um Umwelt, Frieden etc. geht, sich also nicht bluffen lassen.

Jetzt fragt ihr, was das mit dem Zitat von Kornelius zu tun hat. Das ist mir wichtig – ob die Wirklichkeit nun kommentiert und erklärt wird, schert sie wenig, aber Unterstützer findet sie nur durch Kommunikation. Eine Form von Anwerbung. Dem können wir entgehen, nicht durch Abschalten der Medien, sondern indem wir uns mit ihnen konfrontieren, und durchaus mehrere Wahrheiten aushalten, die sich widersprechen, aber keine Unwahrheiten.

na gut, das klingt philosophisch, ist aber ganz praktisch. Es sind ja nicht nur Ereignisse, sondern Strukturen, aus denen wir einen Krieg erklären können. Das müssen wir schon selber tun.

Hat man zum Ende manchder politisch großen Perioden, die zu Ende gingen, geseufzt „Welch ein Sonnenuntergang“ (wenigstens), ist heute nur ein Abstieg von allen Seiten des Hochplateaus, auf dem wir uns befinden wollten. Ob es gestimmt hat? DAS ist wichtig zu beantworten.

Das weite Land

An einem Entwicklungsprojekt beteiligt, muss ich eine ganze Reihe von festgefahrenen Vorstellungen revidieren. Was wird in dem kleinen Ort, der aus sechs kleineren Orten besteht, in den nächsten 25 Jahren geschehen, und wie werden die BürgerInnen einbezogen? Details werde ich HIER nicht bringen, die kommen später. Es geht um die Bilder und Vorstellungen, die sich mit den Jahren festgelegt hatten, sozusagen eingerostet in meinem Bewusstsein verschraubt und schwer zu bewegen, zu revidieren – aber das ist notwendig um zu verstehen, was die BewohnerInnen des Ortes verstehen sollen, damit sie und nicht wir aktiv an der Entwicklung ihres Ortes beteiligt sein werden.

Stadt-Land, ein dauerndes Diskurspotenzial, nicht nur für Demographen, Wahlinterpreten und Kulturkritiker, für Verkehrsexperten und alle diejenigen, die ihre Welt gern von oben, vom Feldherrnhügel betrachten. Stadt-Land gibt es bei uns in Europa, konkret in Österreich, so wenig wie die Dyade Zivilisation-Kultur, oder Kultur-Natur. Das ist schon ein Aspekt: die Dyade, schwarz-weiß…man fährt mit einem schnellen, aber nicht eiligen Zug aus der Hauptstadt in den Ort, alle zwei Stunden ein direkter Zug, eine Stunde Fahrzeit. Von der Stadt aufs Land? Das sagen viele. Aber was ist das Land, das schneller erreichbar ist als ein Außenbezirk zum andern in der Stadt? Ich habe den naheliegenden Begriff Dorf oder Kleinstadt oder Landgemeinde nicht verwendet, weil man sich da etwas anderes darunter vorstellen kann als wirklich ist. Ein Pol ist sicher die Landwirtschaft, ein anderer die professionelle Auspendelei, man kommt ja schnell in die Bezirksstadt, in die Hauptstadt, und dort leben viele, die schon einmal hier gelebt hatten, Verwandte der nächsten und übernächsten Generation. Warum mich das irritiert, ist nicht, weil es so ist, sondern welche Bilder es verzerrt und demontiert, die einem mit Stadt vs. Land eingepflanzt wurden. Wer weiß in dem Ort, was „ANDERS“ ist als dort, wo man „herkommt“? Die Frage ist natürlich uralt und wurde von Generation zu Generation anders aber immer beantwortet. Aber es ist kaum übersehbar, wie stark die digitalisierte Kommunikation die Antworten verändert hat (das kann ich mit meinen Generationssprüngen schon feststellen, muss mir niemand erzählen). Was aber anders ist als in dem Ort, an dem ich als Kind, Jahre vor der Großstadt, aufgewachsen bin, ist Zusammenhalt und Kommunikation – Offenlegung und Verbergen – in einem überschaubaren Bereich, in dem fast jeder fast jeden „kennt“, und doch vielfach vom andern weniger und anderes weiß. Auf den ersten Blick ein wirklicher Unterschied zur ganz andersartigen Anonymität der Großstadt, und dann doch analog. Spannend. Zu dem „Anders“ gehört die falsche Idyllisierung und die falsche Abwertung der jeweils anderen Kultur, weil die ja nur partiell so anders ist. Und doch das, was dem Ort fehlt und die Stadt (noch, noch!) hat, untersuchenswert macht: nicht immer Ausweichen, eher anders entwickelt: kein Kino, (mehr), aber Fernsehen, wenige bis keine Kneipen (mehr), aber andere Treffpunkte, große Kommunikationsagenten durch Religion und Vereinsleben (nicht durch Glauben und Identitätserzeugung im Kollektiv) erzeugen ganz andere soziale Verbindungen als wir „gewohnt“ sind. Lohnt es, darüber nachzudenken? Für mich lohnt es, meine Werkzeuge, v.a. aus der Sozialwissenschaft und Kultur, zu überprüfen und justieren, weil ich vieles „kenne“, aber nicht mehr genau „weiß“. Und um die Wohnprojekte abzusprechen, etwas über die Vorstellung der älteren Einwohner zu erfahren, verlasse ich das System wissenschaftlichen Zuordnens, lasse mich in die Vorstellungen treiben, die meine Erinnerungen mitstrukturieren: zum Beispiel die andere Perspektive des Nahblicks und vor allem der Aussicht im und über das Land. Die anderen Farben, Proportionen und Strukturen – ist das nicht, fragen manche, genau die Differenz von LAND gegenüber der Erfahrung von STADT. Und da sage ich spontan „nein“, das eine und das andere sind längst eine Mischung. Und im Projekt besteht die Chance, die Menschen, die hier wohnen, in den Diskurs zu dieser Mischung einzubeziehen, für uns ist das learning by doing. Spannend, auch so etwas wie die „Land-Schaft“ zu rekonstruieren, ohne die Romantik des Rückblicks. Was möchte man mit den hier lebenden Menschen bewahrt wissen, was kann auch verändert werden (Lampedusa: Man muss die Dinge ändern, damit sie gleichen bleiben). Das kann für alle Beteiligten befreiend wirken, und schon einige Vorläufer dieser Befreiung sind für mich durchaus auch befreiend – von meinen Vorurteilen und festgefügten Vorstellungen: also – neu.

Und dann begibt man sich wieder in das Projekt, dessen Endergebnis ich wahrscheinlich nicht mehr oder kaum erleben werde, und der dem Ort die Gewissheit geben soll, bis dahin nicht verlassen oder reduziert zu sein. So, wie manche Grundbesitzer vor 200 Jahren Bäume gepflanzt haben, die erst zu Enkelzeiten groß waren und die Perspektiven auf das Land und im Land verändert hatten.

Kein Pardon…so einfach?

Der Iran hat es mit einem Angriff geschafft, vielen Menschen die Wirklichkeit der Auseinandersetzung in Nahost verständlich zu machen. Das war keine stumpfe Waffe als Antwort auf den Angriff – von wem? – in Damaskus, sondern ein weiteres Element einer sehr langen, global verspannten Auseinandersetzung. Viele Medien üben sich in Information und Aufklärung über die feindselige Konfrontation des Iran mit Israel. o weit, so wichtig sind die Nachrichten und Kommentare.

Aber da stört mich etwas, nicht einfach nebensächlich. Die Konfrontation hatte begonnen, als die Ayatollahs die Macht über den Iran an sich gerissen haben. Das hatte die Konfrontation geformt, aktiviert, differenziert. Diese Nachrichten kann man ganz genau nachvollziehen. Was war davor? Da sagen die meisten Medien, es hätte gute Beziehungen zwischen Israel und dem Schah von Persien gegeben. Wirtschaftlich hätten die beiden Länder sich gut vertragen. Das ist erklärungsarme Information.

Über die Geschichte dieses Diktators hatten wir im Studium und in der akademischen wie politischen Diskussion vieles erfahren und gewusst, auch die Umstände, unter denen er an die Macht kam. Das hat sich erheblich gebissen mit dem öffentlichen und oft privaten Interesse an seinen Gattinnen, zuerst und hochgeschrieben Soraya, dann Farah Diba. So arg kann doch ein Gatte nicht sein, wenn das kleinbürgerliche Herz mit Lebensstil, Fruchtbarkeit, Ehekrise und Oberfläche so rührend umging. Oder aber die Studentenbewegung, der Kampf gegen das Bild des Schahs und die Jubelperser, und die Hoffnungen und Erwartungen in seine Gegner, und dann war es soweit Ayatollah Chomeini statt Reza Pahlevi.

DAS KANN MAN GENAU NACHLESEN. Ich kommentiere die Fakten nicht und schon gar nicht den Strauß an Interpretationen.

Aber OFFENSICHTLICH weiß die Politik ziemlich genau, wie sich Beziehungen von Iran und Israel, und warum und wie, geändert und zu einer feindseligen Konfrontation geführt haben. Viele Fachleute verstehen, warum eine Reihe arabischer Länder in dieser Situation Israel unterstützen, bzw. unterstützt haben. Und zugleich vor einer Eskalation warnen.

Dazu braucht Ihr mich nicht. Aber ich brauche meine Erinnerungen, an die Studentenbewegung, an das Studium (was die Politikwissenschaft, Geschichte, Geographie, Kultur etc. ) – an die Vorfälle – Berlin, wisst Ihr noch? – an etliche Freundinnen und Freunde, damals und heute. Ich brauche diese Informationen aus meinem Gedächtnis um die Erinnerungen an den bundesweiten Soraya-FarahDiba-Diskurs auch wieder aufzurufen, warum ist das auch noch so klar, was war daran so wichtig?

Es lohnt, den Übergang vom Schah zu Khomeini genauer zu studieren, und es lohnt, den ernüchterten Lernprozess nachzuvollziehen, weil doch fast alle denkenden und kritischen Menschen das Abdanken des Schahs begrüßt hatten.

Und fragen wir euch und uns, was haben wir da bei Israel gesehen und übersehen?

https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundesregierung-iran-israel-100.html 17.10.2023

https://www.tagesschau.de/ausland/asien/iran-israel-102.html 21.10.2023

https://en.wikipedia.org/wiki/1953_Iranian_coup_d%27%C3%A9tat

https://www.american.edu/sis/news/20190408-40-years-later-iran-after-the-islamic-revolution.cfm

Und lesen Sie nach, was am 2. Juni 1967 geschah: Benno Ohnesorg. Dann versteht man sehr viel mehr von der damaligen deutschen Geschichte.

Klima vergiftet

Der FDP Minister kann sich freuen. Weiterhin wird der deutsche Autopöbel mit hoher Geschwindigkeit die Umwelt vergiften und die Welt wird darunter leiden, wenn der Mitverursacher endlich die mit seiner Sekte im Jenseits ewigen Stillstand erfährt. Warum man den Untam nicht mitsamt seiner liberalen Umweltmafia vom Hindenburgdamm in den Schlick der dumpfen Lebensart befördert hat? Weil er wie der lernäische Hydrant sofort 9 Köpfe nachwachsen lässt, wenn man ihm seinen gedankenlosen Betonkopf vor die Reifen legt. Machen wir natürlich nicht.

Warum die Grünen das Verkehrsdrama mitmachen? weil wir wahrscheinlich die FDP noch vor der Umweltkatastrophe dorthin befördern, wo sie der Umwelt nicht mehr schaden kann, außer durch blöde Drohungen – Sonntagsfahrverbot…wer kann dann dem Minister ans Bein fahren? Aber wenn es doch weniger Umweltfeinde im deutschen Pöbel gibt, dann bleiben diese Untams unter 5%. Gib die Hoffnung nicht auf.

Wenn nicht?

Noch ein Unglück mehr.