Der Haken mit dem Kreuz

http://de.euronews.com/2018/04/25/soder-und-kreuz-mit-dem-kruzifix-10-der-besten-tweets

Nehmt die Drohung Ernst.

Betretet Amtsgebäude mit dem bayrischen Kreuz, das einer lokalen Spielart des Christengottes geweiht ist, betretet sie und fragt, was anders als ein beschränktes Verständnis eines beschränkten Kleinstaates es zu bedeuten hat.

Einschub aus eigner Erfahrung.

Ich war lange Zeit Präsident der Carl von Ossietzly Universität gewesen. In meine Amtszeit fiel die Namensgebung. Der Name wurde am höchsten Turm angebracht. Im Zuge von Friedensaktivitäten haben Studierende und einige Lehrende dort auch eine weiße Taube angebracht, Picasso-Taube, Symbol der Friedensbewegung.  Ich habe sie zweimal abnehmenlassen, sie wurde wieder hingeklebt. Mein Argument: wenn wir anfangen, Symbole der Öffentlichkeit aufzudrücken, ohne dass diese Öffentlichkeit sich dagegen wehren kann oder aber in den Prozess einbezogen zu werden (zB. lag die Wahlbeteiligung bei Studierenden damals unter 10%), dann ist das symbolische Gewalt. Denn dann kann „jeder“ kommen, und sein Emblem anbringen.

(Selbst bei der staatlichen Heraldik gibt es rechtliche Grenzen).

Empörung reicht nicht

Söder meint mit seiner Maßnahme die Grundstimmung im Volk (s.d.) und ein klares Identitätssignal zuglerich aufzugreifen.  Mir san mir. Regt euch nicht auf, wenn überall so ein Kreuz an der Eingangstür hängt, dann verkommt das zur unreflektierten Alltäglichkeit. Bis es jemand abreißt oder sich weigert, in einem so gesegneten Amtshaus als Staatsbürger aktiv zu werden, seine Entfernung verlangt.   Geht das Ganze dann doch wieder einmal vor Gericht, wird der verhängnisvolle Einfluss der Kirchen, nicht nur der bayrischen  Sekte, auf unser Staatswesen noch deutlicher.

Ich habe mich immer für die Religionsfreiheit in den Grenzen des Rechtsstaats ausgesprochen. Der Staat in den Grenzen  religiöser Identität ist unmöglich. Deutschland ist kein christlicher Staat. auch kein agnostischer,  muslimischer oder sozialistischer, um gleich die Brücke zu Ideologien zu schlagen.

Empörung? Warum eigentlich? Wenn das Kreuz da hängt, legitimiert es alles, was im Amtshaus geschieht: Rechtspflege, Verwaltung, Schlendrian, Ehebruch und Korruption. In hoc signo vinces! Natürlich nur „symbolisch“. Obwohl, in Bayern weiß man nie…

Der Verweis auf die unsägliche Leitkulturdiskussion ist unvermeidlich. Dass sich der mildsabbernde evangelische Bischof Bedford-Strohm – ein christlicher, ein bayrischer Name? – glich für das Kreuzaufhängen ausgesprochen hat, wird er vielleicht bereuen, ich trau es ihm zu. Entschuldigung, Herr Bischof.

 

Vergessen wir nicht, das Kreuz kann auch andere Bedeutungen haben, es kommt zB. der bayrisch-christlichen Anwendung von Sharia nahe, weil alle weltliche Rechtssprechung im Islam, nach orthodoxer Auffassung, dem göttlichen Recht untergeordnet ist. Mir  jüdischem Spötter wiederum erlaubt das Kreuz in der  Amtsstube, dorthin nicht zu gehen und mich mit den Amtswaltern nebenan im Cafe zu treffen oder eben dort nicht zu verrichten, was man von mir erwartet. Oder wir kleben, nach Anteilen der Religionszugehörigkeit, kleiner Kirchensymbole neben das jetzt amtlich verordnete Kreuz, z.B. mit einer 2% Klausel. Ach, wie herrlich, dass die Bayern keine andern Sorgen haben.

Warum wehren sich die Christen nicht?

Nichts gegen Kreuze auf Kirchtürmen. Nichts gegen Kreuze in Religionsschulen, oder auch Halbvmonde und Davidsterne…oder doch? Die Diskussion ist nicht ganz beendet. Nun, der Söder hat ein vom Kardinal gesegnetes Kreuz in den Händen, das er anbringen lassen will. Ob ihm das hilft, seine bayrische Politik, z.B. bei Abschiebungen und gegen Ausländer und andere notleidende Menschen zu vermenschlichen? Man könnte daraus ableiten, dass nur gesegnete Kreuze angebracht werden dürfen, an  gesegneten Haken, die in geweihte Wände geschlagen werden. Soviel praktizierende Christen gibts ja gar nicht, dass die sich in Bayern wehren können. Immer mehr Menschen treten aus diesen Vereinen aus, immer weniger Priester segnen Kreuze, da springt jetzt die so genannte Staatsregierung ein. Der Gottesstaat ist nahe…

Gegenposition

Der groißartige israelische Schriftsteller Amos Oz berichtet glaubwürdig, wie sehr ihn die Jesuserzählungen des Neuen Testaments in seiner Jugend beeindruckt hätten. Das kann allemal von Nutzen für die Gesellschaft sein, wenn man sich im persönlichen Bereich bei den Anderen umschaut.

Hier wird Indoktrination betrieben, die das verhindert. Man könnte weit über alltägliche Toleranz hinaus von der Einsicht in die Verhältnisse von anderen Menschen lernen.

Die Rechten sagen, dass man in Bayren „Grüß Gott“ sagt. Nicht nur in Bayern. Ich habe den Gruß aus Österreich mit mir genommen, und sag ihn vor allem dort, wo er auf die verstörend wirkt, die nicht wissen, warum gerade ich das so sage. Vieles ehedem religiöse ist längst zur Alltagsformel verkommen und hat wenig Bedeutung über vielfältige Verhaltenscodes hinaus.

Aber Söder meint, eine sektiererische Ideologie zur Staatsreligion aufzuwerten, wenn ihre Symbole zum Teil des Staatseigentums werden. Das Schlimme ist, dass er gerade nicht der umfassenden, christlichen  oder sonstigen religionspluralen Kultur das Wort redet, sondern die Dominanz seiner Sekte etatisiert. Wer bezahlt eigentlich die Kreuze? Konjunkturförderung für das bayrische Handwerk, von meinen Steuern? (nein, es gibt ein Kooperationsverbot in der Verfassung, dass kirchliche Symbole und Karnevalsveranstaltungen in die Hoheit der Länder legt).

Wir denken beim Betreten bayrischer Amtsgebäude an den großen Dichter Ernst Jandl. Wir bezwetschgigen uns.

VETERANS

Das Buch ist da – The book is out!

Am 1. Mai 2018 wird das Buch „Conflict Veterans“ erscheinen. Auf Englisch, in Cambridge. Ich schreibe in eigener Sache , im Namen auch der Mitherausgeberinnen Silvia Nicola und Marion Näser-Lather. Die „eigene Sache“ ist eine der verdrängten Nischen von Politik von Öffentlichkeit, in denen sich Strukturwandel, Ressentiment und auch Perspektiven entwickeln, ohne in den öffentlichen Diskursen strukturiert zu werden.

Im Juli 1916 haben wir in Marburg den ersten wissenschaftzlichen Kongress zu Veteranen organisiert. Aus den Beiträgen dort und einigen neuen Überlegungen ist unser Buch entstanden. Es geht um Veteranen und Veteraninnen in Europa, mit einem Schwerpunkt auf Deutschland, das hier einen Sonderweg gegangen ist. Dänemark, Serbien, Russland werden in die Vergleiche einbezogen.

Vor allem geht es darum, den 300.000 unmittelbar betroffenen Veteran*innen ein gesellschaftliches Gesicht zu geben, ihr Umfeld – Familien, Freunde, Zivilberuf, Einsatzfolgen etc. – nicht aus den öffentlichen Diskursen auszugrenzen und damit auch einen kritischen Blick sowohl auf die Einsätze als auch auf die gegenwärtigen Konsequenzen zu ermöglichen: die Gefahren, dass überholte Traditionen, Bilder von Heldentum und Tod fürs Vaterland oder auch die Marginalisierung von Verletzten und Außenseitern, sind nicht gebannt. Veteran*innen sind vor allem Überlebende.

Kosovo, Afghanistan, Mail und sehr viel mehr Auslandseinsätze werden die Zahlen steigen lassen. Eine kritische und humane Veteranenpolitik muss entwickelt werden. Und bedenkt: Veteran oder Veteranin bleibt man ein Leben lang…

Ein neuer Blog, in englischer Sprache, von Sarah Bulmer und Nick Caddick, passt hier gut dazu: https://warandnarrative.wordpress.com/meet-the-editors/ kann man gut vernetzen! und Anschlussstellen an unsere Arbeit finden.

Die Buchanzeige erscheint, wenn Ihr http://www.cambridgescholars.com/conflict-veterans anklickt. Das Buch kann man direkt bei uns bestellen, wir geben den Autorenrabatt von 40% unmittelbar weiter.

Das Thema wird uns so schnell nicht verlassen.

VET

Natalie und Kippa – Gleich zwei JÜDISCHE EINSPRÜCHE

1.

Nicht zum ersten Mal beschäftige ich mich mit Israelkritik, antisemitischen Varianten dieser Kritik und notwendiger Kritik und Abgrenzung gegen die grenzwertig-rechtsradikale Regierung von Benjamin Netanjahu und seinem Kabinett und seiner blasphemischen Vergötzung von Donald Trump.  Es wird immer schlimmer, und vieles läuft parallel zu Deutschland und Europa: die Rechte wittert Morgenluft. Was Israel jetzt Natalie Portman antut, muss im Detail mitgeteilt werden, sonst versteht man es nicht in seiner Tragweite. Ich habe einige Passagen hervorgehoben um sie zu kommentieren. Erstmal der Grundtext:

http://www.deutschlandfunkkultur.de/natalie-portman-in-israel-in-der-kritik-vom-schwarzen.2156.de.html?dram:article_id=416314 23.4.2018

Natalie Portman in Israel in der Kritik: Vom schwarzen Schwan zum roten Tuch

Von Benjamin Hammer

Natalie Portman wurde in Israel geboren. Als Kind wanderte sie mit ihrer Familie aus. Nun sollte die Schauspielerin mit dem Genesis-Preis ausgezeichnet werden. Doch weil sie aus Protest gegen die Politik Israels die Teilnahme absagte, hagelt es Kritik.

Die US-amerikanische Schauspielerin Natalie Portman stammt ursprünglich aus Israel. In dem kleinen Land waren sie bisher mächtig stolz auf „ihren“ großen Star in Hollywood. Doch jetzt hat sich Portman erneut mit der israelischen Regierung angelegt. Sie lehnt es ab, im Sommer in Israel einen Preis entgegenzunehmen und begründet das mit ihrer Kritik an Premierminister Benjamin Netanjahu. Vor allem bei Politikern des rechten Spektrums trifft sie damit einen Nerv.

Natalie Portman in den israelischen Medien: ein Top-Thema, seit Tagen. Denn Portman ist nicht irgendeine US-Schauspielerin. Sie wurde in Jerusalem geboren, als Neta-Lee Herschlag. Als Kind wanderte sie mit ihrer Familie in die USA aus. Der einstige Stolz auf die jüdisch-israelisch-amerikanische Schauspielerin ist zumindest bei Politikern der rechts-nationalen Regierung in Israel verflogen. Eine der drastischsten Reaktionen kam von Oren Hasan, einem Parlamentsabgeordneten der Likud-Partei von Premierminister Benjamin Netanjahu.

Wer den Premierminister boykottiert, der boykottiert auch uns, den Staat Israel. Kritik ist eine Sache, aber Portman hat sich von einem schwarzen Schwan, den sie in einem Film spielte, in ein rotes Tuch verwandelt. Und das werden wir nicht schweigend hinnehmen. Ich rufe daher den Innenminister auf, ihr die Staatsbürgerschaft zu entziehen. Portman hat das Land mit vier Jahren verlassen und besitzt keine Verbindung mehr zu diesem Staat.“

  • Hervorhebungen von Michael Daxner. Siehe unten: „Kommentar“

Sie fühle sich nicht wohl, in Israel aufzutreten, schrieb Portman

Im Sommer sollte Portman in Israel der Genesis-Preis verliehen werden. Nach Aussage der Organisatoren so etwas wie der jüdische Nobelpreis. Portman habe mit ihrem Charisma die Herzen von Millionen berührt. Doch dann die Absage: Portman komme nicht, so der Veranstalter. Sie habe die jüngsten Ereignisse in Israel als extrem bedauerlich empfunden, sie fühle sich nicht wohl dabei, öffentlich in Israel aufzutreten. Später schrieb Portman auf Instagram:

„Ich komme nicht, weil ich nicht als Unterstützerin von Benjamin Netanjahu erscheinen will, der eine Rede auf der Preisverleihung halten wird. Die schlechte Behandlung jener, die heute leiden, deckt sich nicht mit meinen jüdischen Werten. Weil mir Israel so sehr am Herzen liegt, muss ich gegen Gewalt, Korruption, Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch meine Stimme erheben.“

Kommentar:

Was der Likud-Parlamentarier sagt, passt in Schablonen, die mit diesem Staat, mit Israel, das gerade Geburtstag hat, nichts zu tun haben dürfen. Wer den Premier boykottiert den Staat – hat den Oren Hasan noch seinen Verstand beisammen? Weder religiös noch aufgeklärt, weder patriotisch noch in Verteidigung der gesellschaftlichen Werte ist so ein Satz zulässig; unter keinen Umständen. Portmans Begründung geht zu Herzen,  ja, ihr Likkud und Besatzermarionetten, zu Herzen, nicht nur zu Verstand. Portman spricht zu Recht von jüdischen Werten (–> Vgl. Semitismus I und II von letzter Woche), und nicht von Juden. Und sie verteidigt Israel gegen die Politik von Netanjahu und Bennett. Wir sollten sie unterstützen und ihr den Rücken stärken. Eine Preisrede von Netanjahu, das ist wie ein Echo an Antisemiten.

Please read Natalie Portman‘s message on Instagram.

Lest auch https://www.tagesspiegel.de/politik/boykott-einer-preisverleihung-verbale-attacken-aus-israel-gegen-juedische-schauspielerin-natalie-portman/21204966.html

2.

ALS WÄRE DAS NICHT GENUG.

Die Meldung:

Die jüngsten Übergriffe auf zwei Kippa tragende Männer in Berlin haben auch den Zentralrat der Juden alarmiert. Dessen Präsident Schuster rät davon ab, als Einzelperson in Großstädten Kippa zu tragen.

Der Fall des Kippa-Trägers, der in Berlin von einem syrischen Flüchtling attackiert wurde, sorgt für Entsetzen und heftige Diskussionen. Alarmiert ist auch der Zentralrat der Juden in Deutschland. Präsident Josef Schuster rät Juden davon ab, sich in Großstädten öffentlich mit einer Kippa zu ihrer Religion zu bekennen.

„Trotzig bekennen wäre im Prinzip der richtige Weg“, sagte er dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB). „Trotzdem würde ich Einzelpersonen tatsächlich davon abraten müssen, sich offen mit einer Kippa im großstädtischen Milieu in Deutschland zu zeigen.“ Stattdessen solle man lieber „eine Basecap oder irgendetwas als Kopfbedeckung tragen“.

Er habe jedoch das Gefühl, dass „man im Großteil der Gesellschaft verstanden hat, dass wir auch an einem gewissen Wendepunkt angekommen sind“.

Schuster sagte weiter, wenn es nicht gelinge, offenem Antisemitismus entgegenzutreten, sei die Demokratie in Gefahr.

https://www.tagesschau.de/inland/kippa-123.html 24.4.2018

Die erste Reaktion ist ermutigend:

Jüdisches Forum @JFDA_eV

Es reicht! Jüdische und nicht-jüdische Menschen sollten gerade jetzt die Kippa tragen. Wir dürfen den öffentlichen Raum weder islamistischen noch rechtsextremen #Antisemiten überlassen. #BerlinträgtKippa #WirsindauchJuden https://t.co/QjOKv4B0fl

24.04.2018 11:53 Uhr via Twitter

Aber es ist grundsätzlich und leider noch weiterreichend:

Die Kippa zeigt an, dass ihr (männlicher) Träger jüdisch sich versteht. Heißt „jüdisch“ hier „gläubig“? Nicht notwendig. Es heißt bloß, dass man bestimmte Rituale aus Respekt, Traditionsbewusstsein oder indikativ (–> seht her, ich gehöre zu „denen“) mitmacht. Da Kleidungsvorschriften – in allen Religionen – ebenso wie bestimmte Rituale zur Erkennbarkeit der Religion und zur Zugehörigkeitspolitik von Machthabern und Mitgliedern gehören, kann man sie nie ohne Kontext anwenden.

Mein Beispiel: aus den oben genannten Gründen trage ich eine Kippa nur, wenn ich eine Synagoge oder einen jüdischen Friedhof betrete. Wenn ich in Jerusalem durch das ultra-orthodoxe Viertel Mea Shearim gehe, trage ich die Kippa („natürlich“) nicht. Ich entscheide, wem oder was ich Respekt zolle. Wenn Christen, v.a. im Österreich meiner Kindheit, an einer Kirche vorbeikamen, haben sie sich bekreuzigt. Heute hat das abgenommen. Zum Bekreuzigen ein wichtiger Satz: zweierlei handzeichen ich bekreuzige mich vor jeder kirche ich bezwetschkige mich vor jedem obstgarten wie ich ersteres tue weiß jeder katholik ich ich letzteres tue ich allein. (In: Laut und Luise, Bd. 2). © Luchterhand Literaturverlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, … Ja, das ist lustig. Oder aber sehr ernst.

Der Zentralrat spricht nicht für alle jüdischen Menschen, er spricht anstatt vieler jüdischer Menschen in Deutschland. Und er macht uns zu Opfern (das kommt gut, weil dann der Antisemitismus verkürzt wird auf die Reaktion gegenüber Erkennbarkeit, und Opfer muss man davor schützen, als Opfer in die Mangel genommen zu werden). Geht’s noch? Ich werde die Kippa dort tragen, wo ich erkannt werden möchte oder Solidarität zeigen kann. Der Zentralrat sollte sich einmal fragen, warum a) viele jüdische Israeli gerade nach Berlin kommen, Kippa hin oder her, b) warum die jüdische Erkennbarkeit immer nur mit der Opfergeschichte gekoppelt erscheinen kann. Nebeneffekt: beruhigend für viele, dass ein arabischer Flüchtling die Kippaträger angegriffen hat. Das freut die deutschen Antisemiten. Und erspart vielen die Auseinandersetzung, dass für die Verschleierung das gleiche gilt wie für die Kippa: nicht Gott, sondern die Machtausübung hat hier das Sagen.

 

 

 

Nazis in Österreich aktiv

Liebe Leser*innen,

ich weiß, es nervt. Immer die gleichen Themen, obwohl ich eigentlich anderes vorhabe weiter zu verbreiten. Aber wenn es um Österreich geht, bin ich so sensibel wie beim Thema Antisemitismus (beiden hängen zusammen, und mit meiner Erfahrung zusätzlich. Je älter ich werde, desto schmerzhafter ist das, und nicht etwa abgedeckt vom „Mantel der Geschichte“…).

Lesen Sie einmal:

https://derstandard.at/2000072943520/einzelfall-ausrutscher-fpoe-oevp-regierung

Ich verdanke diese ständig bei mir auflaufende Information Wiener Freunden, die mich auch bei der Diasporaarbeit, Flüchtlingspolitik und – dem allgemeinen politischen Lebenszeichen unterstützen.

A propos Nazis. Nicht jeder, der Nazi wird, ist es schon. Nicht jeder, der Nazi war, bleibt es. Gesellschaftliche Einzelfallprüfung ist das Gegenteil von Heimatmythos und Gott, Füher/Kaiser, Vaterland.

Bis mir meine jüdische Wirklichkeit allmählich klar wurde, so ungefähr nach dem 10. Lebensjahr, und diskontinuierlich, bin ich vielen mir nicht bewussten Demütigungen ausgesetzt gewesen, die mir nichts ausgemacht haben – weil ich sie nicht assoziieren konnte. Danach ging der Lernprozess durch die (vermeidbare?) Phase, die Vergangenheit so ruhen zu lassen, wie es Teile meiner Familie wollten und auch, wie die vielen Opfer der Nazis  in dieser Familie es ja taten, wirklich nicht mehr da zu sein. Wann bin ich aufgewacht und wach geblieben? Unter anderem, als die österreichischen Lügen über Österreich meinem Bewusstsein nicht mehr erträglich waren. Bis ich die Differenz von Austrofaschisten und Nazis verstanden habe, und deshalb mit den Begriffen sehr scharf umzugehen lernte. Bis ich verstand, dass eine österreichische Identität auch auf den Aschen von Mauthausen und Ebensee aufbaut, und die Weigerung zB. der FPÖ Nazis, über die Idiosynkrasie ihrer deutsch-österreichischen Identitätsdeutung auch nur nachzudenken.

 

 

 

https://derstandard.at/2000072943520/einzelfall-ausrutscher-fpoe-oevp-regierung

Kein Asyl für Kurz & Strache

Unbemerkt bleibt nichts: und was die österreichische Regierung mit ihrem starken Nazi- Partner FPÖ anfängt umzusetzen, passt in die beschleunigte Veränderung des Rechtsstaats, bevor sich die demokratische Opposition organisiert hat.
Thomas Ruttig verfolgt mit mir die Entwicklung:  www.afghanistan-analysts.org and https://thruttig.wordpress.com/
22.4.2018:
Schärferes Asylrecht in Österreich
Flüchtlinge sollen bei Einreise Hunderte Euro zahlen

Bis zu 840 Euro will der österreichische Kanzler Kurz illegal einreisenden Migranten abnehmen lassen. Auch Handys sollen ausgewertet werden – um die tatsächliche Fluchtroute zu ermitteln.

Kurz und Strache
Österreich verschärft seine Asylpolitik weiter. Die rechtskonservative Regierung aus ÖVP und FPÖ hat beschlossen, dass Flüchtlingen bei der Einreise bis zu 840 Euro abgenommen werden. So sollten die Asylbewerber einen eigenen Beitrag zu den Verfahrenskosten leisten, gaben ÖVP-Bundeskanzler Sebastian Kurz und FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache bekannt. 

Straffällig gewordene Migranten sollen umgehend in Abschiebehaft kommen und konsequent außer Landes gebracht werden, sagte Strache. Sollten Asylberechtigte „Urlaub im Heimatland“ machen, würden sie jegliches Bleiberecht in Österreich verlieren. Auch jugendliche Straftäter sollen abgeschoben werden.

Handys sollen Herkunft der Menschen verraten 
Mit diesen Regeln setzt die schwarz-blaue Regierung die Ende 2017 getroffenen Pläne aus dem Koalitionsvertrag um. (Hier können Sie die Pläne von ÖVP und FPÖ für Österreich nachlesen.)Deutsche Bundesländer – und beispielsweise auch Dänemark oder die Schweiz – nehmen ankommenden Flüchtlingen ebenfalls Geld ab. Wenn sie staatliche Leistungen in Anspruch nehmen, müssen sie wie Hartz-IV-Empfänger erst ihr eigenes Vermögen aufbrauchen.Künftig sollen durch das Auslesen von Handydaten zudem Hinweise auf Herkunft und Fluchtroute der Asylbewerber erlangt werden – sowie Informationen über etwaige kriminelle Handlungen. In Deutschland wird laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Analyse von mobilen Datenträgern als letztes mögliches Instrument betrachtet und nur in Einzelfällen in einem engen gesetzlichen Rahmen angewendet.

Die österreichische Bundesregierung sei mit dem Vorhaben angetreten, eine möglichst restriktive und effiziente Asylpolitik umzusetzen, teilte Innenminister Herbert Kickl mit. Im Januar hatte der FPÖ-Politiker im Duktus der Nazi-Zeit angeblich unabsichtlich angekündigt, er wolle Flüchtlinge an einem Ort „konzentrieren“.

Österreich hat seit 2016 eine Obergrenze bei Asylverfahren. 2018 liegt sie bei 30.000 Menschen. 

apr/dpa

Hier der Link zum Artikel von Spiegel-Online vom 18.04.2018 >>>
Schärferes Asylrecht in Österreich Flüchtlinge sollen bei Einreise Hunderte Euro zahlen / Spiegel-Online v. 18.04.2018

DER HINTERGRUND DER SORGE

Mit seiner staatlich organisierten Unmenschlichkeit, der Ankündigung von Konzentrationslagern u.ä. steht Österreich nicht allein. Im Unterschied zu osteuropäischen EU-Ländern mit autokratischen Machthabern gilt aber für mein Herkunftsland nicht, dass es nach dem zweiten Weltkrieg keine Entfaltung in einem demokratischen Nationalstaat gegeben hätte. Und es ghört zur Wahrheit, dass Österreich, ähnlich wie zunächst West- und danach Ganz-Deutschland ja diese Chance teilweise wunderbar genutzt hatte: es gibt eine demokratische Zivilgesellschaft, es gibt Umwelt- und Sozialbewsusstsein, es gibt auch historische Aufarbeitung – TEILÖSTERREICH war lange Zeit stärker als das Aufbegehren der antihumanen Kräfte – und ist es hoffentlich noch.

        Einschub für neue Leser*innen: ich habe mehrfach gebloggt, inwiefern Österreich   mit seiner austrofaschistischen und nationalsozialistischen Vergangenheit nur teilweise human und demokratisch umgegangen ist: 19.,21.,28.12.2017. Es spricht nicht gegen die Entwicklung, dass noch – noch?! – die Beteiligung der Nazis an der konservativen Regierung Kurz zu keinen größeren Katastrophen geführt hat, und dass es in der Bevölkerung tatsächlichen Widerstand gegen diese Regierung gibt. Nur: das war früher im Vorfeld von autoritären und faschistischen Umstürzen auch so. Und man sagte: noch sei es nicht so schlimm. „So“ ist ein Wort der angstvollen Erwartung: wie schlimm muss es werden, damit es schlimm ist. Der Einschub kommt nach dem Wort „antihuman“. Ich gebrauche, als Wissenschaftlicher und politischer Mensch, nicht als privater Eiferer, oft sehr viel schärfere Worte zur Benennung von Faschisten, Nazis, und anderen Feiden der Demokratie und der Republik. „Antihuman“ ist ein vergleichsweise sanftes Wort, das viel mit meinen Überlegungen zu finis terrae zu tun hat, mit der Endzeit von fortschrittsblinden Zuvilisationen, die sich – wie fast überall bildungsbürgerliche Segmente, oft Mehrheiten, auf ihre kritischen und kulturellen Fähigkeiten stützen, um das „Schlimmste“ abwehren zu können.

ASYL und MIGRATION sind nicht mehr so richtig auf der Tagesordnung. Es werden in nächster Zeit weniger Menschen bei uns Schutz suchen, mehr Menschen werden im Krieg und in der ausweglosen Armut und zugleich unter Diktaturen gestorben sein, bevor sie die Chance bekämen, in Österreich ausgeplündert und bei uns in D eutschland inDeportationsheimen entwürdigt zu werden.

Kurz und Strache, das klingt wie ein krampfhaftes Comedian-Team, das dackelhaft Männchen bei den neuen Diktatoren macht, von Putin bis Orban. Die Tatsache, dass die österreichische Regierung andere Teile des EU Kurses „mitmacht“, darf uns nicht blind machen. Natürlich sind wir nicht im Jahr 1933, und die Methoden und Strategien, wenn es die gibt?!, sind anders. Aber die Plattform wird gebaut, von der aus der Angriff auf die Republik und die öffentliche Sache gestartet werden kann.

Kein Asyl für Kurz und Strache, wenn die sich auf ihre Legitimation durch Wahlen berufen. Die Liste ihrer Vorganger ist lang. Und nachkarten nützt nichts (Welche Dummheit hat Millionen Türken bewogen, für ihre politische Kastration durch den Spätmuslim Erdögan zu stimmen – da darf man doch in Deutschland nicht der DITIB freie Hand lassen…welche Ignoranz hat den Österreichern eingeredet, jetzt würden sie durch die Schutzsuchenden überfremdet und gar überwältigt, wo doch Österreich NIE eine Nation war, NIE eine nationale Identität als ihre plurale Negation besessen hat, wo man in Deutschland hinnehmen muss, dass die Nazi-Partei AfD sich über Behinderte als Produkt von Migranteninzest lustig machen darf….(Auch die Afd ist demokratisch gewählt, auch die FPÖ hat lange nach den Spielregeln Stimmen gesammelt).

Was bedeutet „Asyl für Kurz und Strache“? Sie fliehen aus dem imaginären umfassenden Raum der Freiheit, der ja die Wirklichkeit eines gegenwärtigen und zukünftigen Europa sein könnte. Und man hat den Eindruck, dass solche Menschen, überall wo sie hinkommen, den gleichen verhängnisvollen Ansatz umsetzen wollen: Identität statt Wirklichkeit, Übereinstimmung mit dem Ressentiment statt Verhandlung der (oft unbequemen) Wahrheiten von Politik und Machtausübung. Deshalb darf es ihnen gegenüber keine Appeasementpolitik geben. Solange ihr „Entgegenkommen“ taktisch ist oder sich auf Nebenschauplätzen abspielt, sind sie Freiheitsflüchtlinge und die Fluchtursachen erlauben es nicht, ihnen Schutz für Unfreiheit zu gewähren.

Das wäre meines Erachtens auch eine richtige Umgangsform mit all den andern Autokraten und Neotyrannen im politischen Raum. Nicht Nicht-Reden, Nicht-Verhandeln, gar gewalttätige Konfrontation sind hier die Lösungen, sondern deutlich machen, wo die Handlungsräume an ein bestimmtes Grundverständnis von Rechten – Menschenrechten zumal – gebunden ist. Da kann keine EU, aber auch keine deutsche Regierung „neutral“ sein.  Strache und Kurz sind Symbolfiguren, oft frage ich mich, ob die beiden echt sind, d.h. wirklich existieren. Aber ein kurzer Blick in ihre Entourage sagt schon alles über die Realität, in die sie Österreich und Europa einwickeln wollen.

Mit der Asylpolitik ist es wie mit den „Juden“ im Antisemitismus (siehe Blogs Semitismus  letzte Woche). Nicht die wirklichen Migranten, die notleidenden Menschen sind das Problem, sondern die Macht der abwehrenden Diskurse, die Feinde erst erschafft und dann vernichtet. Bitte sagt jetzt nicht: noch ist es nicht soweit. Es darf nicht so weit kommen.

 

 

 

 

Semitismus II. Die Wiedergänger

Es gab einen Krieg der USA gegen den Irak. Hans Magnus Enzensberger, einer unserer großen, wenig älteren Politpoeten, schrieb: Hitlers Wiedergänger (Spiegel 6/1991)( http://www.spiegel.de /spiegel/print/d-13487378.html).Ein Artikel, den HME später wenn nicht widerrief, so doch bereute, obwohl er ganz lesenswerte und bedenkenswerte Passagen enthält, deren Mischung schlicht ungenießbar und folgenlos unsinnig ist, gleichwohl.

Ich nehme einen der bedenkenswerten Sätze heraus:

 „An den Deutschen hat es nicht gelegen, dass Hitler sein Programm nicht zu Ende führen konnte. Die Energie von Führer und Geführten hat zu unvorstellbaren Verbrechen gereicht und dazu, Europa in ein Trümmerfeld zu verwandeln. Doch trotz ihrer Entschlossenheit, auch noch den letzten Pimpf ins Feuer zu schicken, sind nicht nur die alliierten Sieger, sondern auch die Deutschen übriggeblieben. Die Nachwelt war jahrzehntelang damit beschäftigt, sich das Verhalten der Deutschen zu erklären.“.

Nazis wie Höcke von der AfD versuchen das gar nicht zu erklären. Sie sind ganz mit der Schuld der Opfer beschäftigt, um sich zu entsühnen, was den eigenen Todestrieb im Übrigen nicht ungesehen macht.  Wichtig erscheint mir, dass nicht Hitler die Deutschen (in ihrer Mehrheit) so zugerichtet hat, sondern die haben ihn geformt. Er ist das Zuchtprodukt einer Selektion von Eigenschaften, so wie ja Trump ohne seine Bevölkerung, so wie ja Orban nicht ohne seine Ungarn, so wie ja Kaczinsky ohne seine Polen nicht denkbar ist. Das ist so trivial wie es keineswegs banal ist.

*

Immerhin wissen die deutschen und arabischen Antisemiten, dass, wer eine „Kippa“ trägt, „Jude“ ist. Sie wissen nicht, was jüdisch ist. Das ist eines meiner Hauptargumente aus „Der Antisemitismus macht Juden“ (2006), erwähnt im Blog vom 20.4. Als jüdischer Deutscher/Österreicher geht es mir so, wie wohl Adorno schon 1951 gemeint hatte „Der Antisemitismus ist das Gerücht über Juden“. Gerücht – immer wieder neu aufgelegte fake-news.

Nicht anders geht der Faschist Victor Orban mit dem jüdischen Ungarn George Soros um.

Soros ist Shoah-Überlebender und früher Ungar, heute Amerikaner. Soros ist nicht in erster Linie Milliardär, sowenig wie auch Dissident, Revolutionär oder Spießer Berufsbezeichnun-gen sind.

Würde man im öffentlichen Raum Menschen danach klassifizieren, was sie tun, was sie getan haben oder zu tun beabsichtigen, dann kämen ihre ethnischen und genealogischen Merkmal erst weit hinten vor.

Wenn sie aber durch das Politik gewordene Ressentiment zum Juden, also zum Volksfeind, definiert und abgestempelt werden, um das eigene Wir, die so genannten Ungarn, vor ihnen und den Folgen ihres Tuns zu retten, dann ist das der erste Schritt zur Ausrottung, zur Vernichtung.

(So genannte Ungarn: die Ungarn gibt es so wenig wie die Deutschen oder Algerier oder Chinesen…aber dazu ein anderes Mal. Die Konstruktion der Ethnischen Essenzialität scheitert andauernd und in verschiedenen Formen, ist aber durch die Verschleifungen der vielfachen Charakteristika zu einer generischen Bezeichnung „Deutscher“, „Ungar“ etc. im Alltag oft unvermeidbar.

Und jetzt Klartext hier in Deutschland: so einem – Orban – gratuliert sein Gastgeber Seehofer herzlich, in einer Liga mit Le Pen. Seehofer trennt vom Faschismus nur wenig, und seine Spießgesellen an der Spitze der Partei dto. Sicher eines nicht: sein Christentum, das ja wie Orban benutzt wird, um gegen die Juden, Zigeuner, Flüchtlinge und andere Menschen Politik zu machen. Diese verlogene antisemitische Variante der Religion – die wir auch in Polen, in Kroatien, in Griechenland, und partiell auch in Deutschland erleben, gründet sich auf die Gewissheit, dass man dafür schon ein Volk finden wird, das dann einen Führer (Orban) oder eine Herrschaftsgruppe (CSU) oder eine Bewegung hochspülen wird (dann, erst dann, kann sie sich befestigen, deshalb ist die Abwiegelei, „noch sei das ja alles nicht so schlimm“, zweifelhaft). In den Argumenten sind sich das Parteichristentum der Seehofers.und der Salafisten bzw. deren Spielarten sehr ähnlich,  ja verwandt.

*

Das wird ja nicht nur von mir so gesehen, es verbreitet sich im politischen Raum die Erkenntnis, dass die Periode vor der Herrschaftsübernahme der Diktaturen – im konkreten Fall die Zwischenkriegszeit – ja noch die politischen Handlungsspielräume erlaubte, die dann schnell ausgeschaltet werden. Wie schnell, beweisen Erdögan und seine Bataillone, oder eben Orban und Kaczinsky und Fico und.. natürlich auch Strache und sein Anteil an der österreichischen Regierung, und viele andere. Nur, weil es im Zug der Zeit ist, muss man diese Bewegung zur staatlich gerahmten Unmenschlichkeit nicht „normalisieren“ [1].

Am Fall Orban gegen Soros und am Überfall auf die Kippaträger kann man mehrere Signifikanten dieser Unmenschlichkeit erkennen:

  1. Die EU billigt das Verhalten von Orban keineswegs, sie agiert aber so gut wie nicht und lässt den Faschisten gewähren. Erstens, weil sie Politik, Ökonomie und sie so genannten werte, die ihr, der EU, und dem westlich orientierten Nachkriegseuropa zugrunde lagen/liegen, nicht mehr sicher bei allen EU Mitgliedern vertreten und durchsetzen kann.
  2. Die Bundesregierung, nicht nur faulig am rechten Rand durch die CSU, agiert im Rahmen einer Appeasementpolitik, sodass man meinen könnte, sie wäre gar nicht gefragt (worden).
  3. Das Establishment – jetzt verwende ich diesen Begriff, streng soziologisch, und bedauernd – fürchtet nichts so sehr wie den Antisemitismusvorwurf, der schlimmer ist als der faktische Antisemitismus. (Vgl. dazu: Annette Großbongardt: Worte als Waffe, Spiegel 17/2018, 8). „Establishment“ meint hier die Verwalter des mehrheitlichen sozialen und kulturellen Kapitals, in der Überzeugung, dass man alles und jedes liberal bis libertär nach Innen kritisieren kann, solange nur die Strukturen nicht geändert werden. Der Wahlspruch nicht nur der GroKo in diesem Bereich ist der von Lampedusas Leoparden: „Man muss die Dinge ändern, damit sie die gleichen bleiben“.
  4. Berlin wird Hauptsitz der aus Ungarn vertriebenen Soros-Stiftung. Merkt denn niemand: das sind Flüchtlinge! Ach ja, der reiche Jude Soros, kann man es den armen Ungarn verdenken, dass sie ein Vorurteil gegen ihn haben? Dazu drei giftige Bemerkungen: 1 – Orban wünschte zu Imre Kertesz‘ Nobelpreis, dass endlich ein „Ungar“ diesen Preis bekomme, 2 – Der Commodore-Computer-Gründer, selbst KZ-Überlebender, sagte, auf seine Geschäftspolitik angesprochen, ihn dürfe niemand belehren, wie er sich moralisch zu verhalten habe, 3 – ohne Soros wäre das kluge und dynamische Ungarn nach 1989 noch wehr viel weiter zurückgefallen; und das vom Kommunismus befreite  Osteuropa, incl. Russlands genauso[2]. Aber „Anerkennung“ ist für staatliche Akteure auch des Westens keine starke Kategorie.
  5. Manche Deutsche, nicht allzu öffentlich, haben erleichtert aufgeseufzt, dass der Angreifer auf die Kippaträger arabisch und nicht deutsch war. Dass dies gleichermaßen ist, wird schon kaum mehr thematisiert.

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Ich schnüre das Päckchen enger, Deutschland und Österreich im Blick. Zwei Wege, Österreich ist auf dem Weg zur undemokratischen Republik schon weiter, mit seiner Nähe zu Putin und seiner Flüchtlingsberaubungspolitik: wer überlebt muss zahlen. Wäre er doch besser gestorben…meint hier der Nazipartner in der Wiener Politik (beileibe nicht alle Österreicher, aber viele…). Österreich geht einen Weg, den die Zwischenkriegszeit mit ihrem autoritären Staat im Vorfeld des teils bejubelten Einmarschs von Hitler 1938, recht genau vorgezeichnet hatte. Nicht durchgehend autoritär, nicht offen antisemitisch, meist offen klerikofaschistisch, aber mit „pockets“, in denen nicht nur nach Außen das Äußerste gerade nicht eingetreten ist, u.a. in der Kultur in Teilen des Sozialwesens. Abgesehen vom Kampf der dumpferen Provinz gegen Wien…aber wie haltbar der war, wissen wir auch.

Deutschland hingegen, hier schreibe ich,  scheint sich von dem langsam zu verabschieden, was eigentlich gegen Trump und Putin und die vielen Mezzanin-Faschisten im politischen zu verteidigen wäre. Ich nenne es sehr verkürzt den Westen.

Ich erweitere den Begriff der Wertegemeinschaft sogleich um eine Tugendgemeinschaft. Und nehme einen Umweg. In einer Basisorganisation meiner grünen Partei tun sich etliche Gesinnungsfanatiker hervor, indem sie den Westen kritisieren und die viel stabilere Völkerrechtsposition von Putin und Assad hervorheben (Nein, die Partei selbst wird von diesen Kleingeistern nicht affiziert, gottseidank). Wenn ich darauf aufmerksam mache, dass sie ihre Meinungs- und Kritikfreiheit genau diesem Westen zu verdanken haben, weichen sie aus. Zurück auf der Hauptstraße: Der Antisemitismus, der jetzt wieder sichtbar und agil scheint, war ja nie weg, aber lange Jahre hindurch auf dem Rückzug. Früher war gar nichts besser, könnte man den SPIEGEL persiflieren, wenigstens dieses Feld. Man könnte wagen, einiges zu erklären:

  • Zeitzeugen gibt es immer weniger, fast keine mehr, und deshalb taugt die Shoah als Großnarrativ gegen Judenhass immer weniger. Wäre der Antisemitismus ohne Auschwitz entschuldbarer?
  • Die Umschreibung der Jüdischen Geschichte wird komplizierter: Israelkritik als Schutzmantel für Antisemitismus (vor allem auch auf der Linken) und Kritik an der israelischen Politik haben eine hochpathologische Berührungsfläche, die wiederum
  • Den arabischen und den islamischen Antijudaismus im Diskurs geradezu petrifizierend stärkt. Ultra-orthodoxe jüdische und muslimische Stimmen wirken hier als Brandverstärker in einem komplexen Umfeld, das nicht aufzulösen ist. Die „christlich-jüdische“ Selbstverortung unserer Politik lässt sich nach der Shoa leicht behaupten, aber sie stimmt so nicht. Den drei Religionen hier die Stimme zu entziehen dürfte mehr Frieden den Boden bereiten als in so genannten Dialogen zu versuchen sie einzubinden. (Die Beweisführung für diese These ist fast ein Lebenswerk. Darum habe ich so überaus empfindlich reagiert, als die Garnisonkirchen Blasphemiker in Potsdam „Versöhnung“ posaunen; und deshalb mische ich mich in den Konflikt zwischen Glauben und Religion so humorlos und bitter ein: wir könnten schon weiter sein mit der Aufklärung….).
  • Der Antisemitismus und der antisemitische Diskurs sind intervenierende Variable in der großen Auseinandersetzung um den Fortbestand unserer Zivilisation. Sie sind weder Ursprung noch Ergebnis der derzeitigen überlagernden Konflikte. Aber sie sind Erscheinungen, die ein Höchstmaß an Empirie und Analyse bedeutsam machen, um Kritik wirklich folgenreich anbringen zu können.

Hier, bei uns, wird die Heimat verwaltet durch Seehofer & seine Genossen. Hier, bei denen, kann der Kampf gegen Orban beginnen. Und Unterstützung für Soros kann es auch geben. Er ist nicht der typische Jude. Den gibt es ohnedies nicht. Aber da er als Prototyp für das Ressentiment gegen die jüdischen Menschen missbraucht wird, sollte man die Vergewaltiger bestrafen und nicht die Opfer.

Die Wiedergänger sind, bis auf weniger Ausnahmen, noch nicht an der Herrschaft. Viele aber haben schon Anteil an der Macht, oft an der legitimen. –> Time of useful consciousness.

 

[1] In der Wissenschaft wäre der Zusammenhang wischen Normalismus und Normen, aber vor allem dem Normativen der Quantität hier einen eigenen Essay wert. Statt dessen die Empfehlung: lest die Zeitschrift „KultuRRevolution“ und Jürgen Link. v.a.Link, J. (2009). Versuch über den Normalismus. Wie Normalität erzeugt wird. Göttingen, Vandenhoek & Ruprecht.

[2] Ich kenne aus meiner Arbeit in der späten Sowjetunion, dem Kosovo, Westbalkan und Ungarn, v.a. im Bildungsbereich, die Soros-Aktivitäten aus Augenschein und Analyse. Kritik inbegriffen, macht ihm diese Philanthropie so schnell keiner nach.

Semitismus, dauernd

Heute ist Führers Geburtstag. Bis vor 10 Jahren wussten ganz viele Alte und Junge genau, was an diesem Tag besonderes ist. Ich hatte in meinen Seminaren immer wieder gefragt, wann Willi Brandts Geburtstag ist…wusste natürlich niemand. Heute wissen auch nur mehr wenige, was am 20.4. los ist.

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Seit Tagen brummt der Antisemitismus-Diskurs in Deutschland, und grenzüberschreitend. Es gibt, wie man so unpräzise sagt, „Vorfälle“. Die nehmen zu; der Zentralratsvorsitzende Schuster meinte heute (20.4.), er hätte sich vor zehn Jahren nicht vorstellen können, wie sich der Antisemitismus entwickeln und rote Linien überschreiten würde (Angriff auf Kippaträger am Prenzlberg). Er sagte dazu, dass ja nicht  automatisch der Blick auf arabische Täter fallen solle, es gäbe ja auch einen genuin deutschen Antisemitismus, mit den wiederaufgelegten Ressentiments über die Weisen von Zion.

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In diesen Tagen feiert Israel Jom Hazmauth, den Staatsfeiertag, 70 nach der Gründung, nach dem Freiheitskrieg, nach der Staat gewordenen Hoffnung. Es wird solidarisch gratuliert, es wird die Kritik an der Siedlungspolitik zeitweilig etwas zurückgenommen, es wird Netanjahus Politik für einen Tag hinter das Prinzip der Unterstützung für Israel zurückgestellt, und man ruft zu Frieden auf. Frieden, der der verlogene Unterstützer Israels, Trump, mit seiner Hauptstadtentscheidung weiter zu stören beabsichtigt. Aber all diese Äußerungen verdecken die in Deutschland, auf der Linken zumal, schnelle Überlagerung der Israelkritik mit einem alten Antisemitismus, der nicht deshalb neu geworden ist, weil er andere Medien und Diskursformen benutzt.

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Ich bin auch von den offenen und unterschwelligen Antisemitismen dieser Tage angefasst, aber nicht mehr als in den letzten sechzig Jahren in  Österreich und Deutschland. Was ich in Baden bei Wien bei Freunden gehört hatte (Freunde ohne „“, ich verstand damals noch nicht alles), war nicht anders als die Auschwitztexte der geehrten und dann decouvrierten Rapper. Hannah Arendt: „Vor dem Antisemitismus ist man nur auf dem Monde sicher“ (München2000, Aufsätze hrsg. Von ML. Knott).

Die Warnungen, reflexhaft nicht nur aus dem Zentralrat, sondern von Regierung und Parteien und öffentlichen Einsprechern geäußert, meinen, die Politik müsse mehr tun, um den Antisemitismus deutlich und wirkungsvoll zu bekämpfen, vor allem über frühe Erziehungsmaßnahmen in Schulen. Alle müssten Auschwitz oder Bergen Belsen besuchen…und sehr vorsichtig sagen einige, man müsse natürlich dem arabischen und/oder islamischen Antisemitismus entgegentreten, ohne anti-arabisch oder anti-muslimisch zu argumentieren.

Die Falle schnappt zu.

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Das Argument, dass Deutschland (und immer dabei Österreich) besonders verpflichtet sei, sich gegen Antisemitismus zu positionieren, ist so falsch wie richtig. Aber ich bestehe auf meiner Deutung, dass damit „Juden“ konstruiert werden, die die Folie für Antisemitismus ohne Ausweg erst werden können, wenn sie aus der Gesellschaft durch besondere Eigenschaft ausgegrenzt und erkennbar werden.

DER ANTISEMITISMUS MACHT JUDEN Hamburg 2006

Die Herstellung von Juden ist so prekär wie die Herstellung von Deutschen. Ich kann einigermaßen genau und nach vorne offen wissenschaftlich und historisch beschreiben und erklären, was JÜDISCH ist. Ich sollte dabei angeben können, in  welchem System ich den Begriff verwende – juristisch, ökonomisch, anthropologisch, ethnologisch….und immer wieder religiös. Wenn das nicht geschieht, ist das dauernde Verschieben von einem System ins andere das ideale Feld für Antisemitismus, v.a. zwischen Ethnokultur und Religion. Hier ist die Analogie zu  , der ebenso eine Tatsache ist wie der christliche. Weil bei den Muslimen und Christen genau das geschieht, was bei den Arabern, Türken und Deutschen auch geschieht: die Konstruktionsmerkmale instrumentell und opportunistisch so einzusetzen, dass immer der böse oder veropferte „Jude“ herauskommt.

HÖRT AUF MIT DEM ANTISEMITISMUS ZU SPIELEN

Weil es den Antisemitismus wirklich gibt, sollte man ihn weder übertreiben noch bagatellisieren. Aber er ist, etwas dürr formuliert, die „abhängige Variable“, die sich nicht selbst erklärt. Und aus dem Antisemitismus folgt häufig so wenig wie aus seiner Kritik. Die Erklärungen kommen aus unterschiedlichen Systemen: der anti-israelische Antisemitismus ist anders begründet als der religiöse, und natürlich sind Christentum und Islam antijüdisch, weil sie ja aus dem Judentum geboren sind. Religionskritik ist ebenso geboten wie die globalpolitische Ehrlichkeit gegenüber Israel. Das Land ist ja eine Last für die deutsche Außenpolitik, weil es eine Sprache erzwingt, die Tür  und Tor den Angriffen der AfD und dem Schuldvorwurf öffnet;  weil diese Last nicht mit dem Hinweis auf die deutsche Geschichte gemildert oder gerahmt wird, sondern die Aufrichtigkeit gegenüber der Geschichte zur Voraussetzung hätte (Man kann nicht in Potsdam eine Garnisonkirche wieder aufbauen und  dreist behaupten „man“ hätte aus der Geschichte gelernt).

Schickt die Kinder nicht in die KZs, bevor sie nicht verstehen, was hinter der Tatsache steckt, dass die Mehrzahl der deutschen „Deutschen“ (und nicht nur „Deutschen“, auch einer signifikanten Gruppe von  „Polen“, „Letten“ etc.) an der industriellen Vernichtung von jüdischen Menschen, aber auch von fahrenden Völkern („Zigeuner“), politischen Gegnern und Behinderten („lebensunwerten“) beteiligt waren. Sie zu beobachten heißt damals wie heute mitwirken.

Und benutzt, missbraucht, den Antisemitismus nicht als Separator zwischen dem legitimen und dem illegitimen Teil der Bevölkerung.

Liebe Leser*innen meines Blogs: ich bin ziemlich gut im Einstecken. Aber ich leide auch unter täglichen und aufdringlichen Antisemitismen.  Aber das Leiden erwarten die Spötter und Aggressiven, weil es ihnen Nahrung gitb für die Vermutung, wir seien auf ewig Opfer und zögen daraus Vorteile. Deshalb werde auch ich das Thema nicht los.

Gott blau-weiß

Eine schwierige Übung: ein Übermaß an Assoziationen, die ein einziges Foto und ein guter Zeitungsartikel ausgelöst haben, einzufangen in eine sehr spontane Improvisation zu einer ganzen Bibliothek. Impromptu.

Ein Bild: Dobrindt, Stoiber, Seehofer, Strauß-Angehörige…in der Kirchenbank knieend, verinnerlicht, die Augen offen oder weit gesenkt („eyes wide shut“). 2013, in Rott am Inn beim Gottesdienst zum Gedenken an F.J. Strauß (Die ZEIT #16, S. 43-44). Nun, was diese Menschen in jenem Augenblick glauben, ist unzugänglich, geht mich nichts an. Glaube ist unverfügbar. Aber so, wie sie da knien, verkörpern sie auch etwas anderes, Öffentliches, Religion. Die ist ein gesellschaftliches Ordnungssystem, wie Familie, Militär oder Finanzverwaltung, die ist verfügbar und geht mich, geht uns etwas an.

Ein Text: wie häufig, schreibt Thomas Assheuer dazu einen gut belegten Artikel. Seine These, den Unionsparteien, der CSU zumal, ist das Christentum ein Hindernis, eine Barriere auf dem Weg einer erneuten konservativen Wende zu einer ebensolchen Realpolitik. Mit einem Wort: diese Herrschaften können sich auf konservative, reaktionäre, bisweilen faschistische Texte berufen, aber nicht auf das neutestamentarische Christentum (jedenfalls in den meisten Fällen).

Da sich fast alle Religionen auf einen Gott, manche auf mehrere Götter, seltener auch Göttinnen berufen, muss man deren Existenz – und Existenzberechtigung – in Zweifel ziehen, wenn man ihre Herde betrachtet; da Gott (ich lass es beim Singular) die Konstruktion von Menschen ist, muss man fragen, welcher Gott sich solche Anbeter gefallen lässt. Die Antwort: jeder, solange seine Gefolgschaft genügend Herrschaft ausübt, um ihre Gegner auch im Namen dieses Gottes zu unterdrücken.

Keine Angst: die Theologie überlasse ich hier anderen, und über bestimmte Auswüchse des Christentums habe ich mich schon zur Garnisonkirche ausgelassen. Mir ist die öffentliche Ausstellung von Frömmigkeit durch die CSU Granden eher ein Anlass zu einer Reflexion, warum die Bayern sich einen so kleinen, blau-weißen Gott ausgesucht haben. Ich bin über das Bild nicht hinweggekommen.

Das Umfärben Gottes hat eine lange Tradition. Auch das nationale Bemalen der angeblichen Quelle aller gesellschaftlichen oder politischen „Werte“. Die Trias „Für Gott, Kaiser und Vaterland“, von der Potsdamer Garnisonkirche bis zu den Hackfleischfratzen der chargierten Verbindungsbrüder ist ein Hinweis auf die Einbindung Gottes. Und jetzt schaue ich da auf die knieenden Statthalter der Reaktion, wie sich vor aller Augen – mit eigenen gesenkten oder auf Fernsicht gestarrten Augen – präsentieren. Zu Ehren eines verstorbenen Menschen, der jedenfalls was seine erfahrbare Geschichte angeht, nicht aus Frömmigkeit der Politiker war, der er wirklich war. Sind es seine Werte, die mit dem christlichen Anstrich den hier ausgestellten Bayern Anerkennung und Autorität verleihen sollen?

Was kümmerts mich, den nicht-christlichen jüdischen Spötter? Es bekümmert mich tatsächlich, dass die heruntergekommene religionsaffine Verhaltensweise dieser Leute einer nicht kleinen Öffentlichkeit demonstrieren soll, hier säßen noch Repräsentanten von echter, nachvollziehbarer Frömmigkeit, durchdrungen von den richtigen Werten. (Ein kleiner Hinweis zu Assheuer: oft verweist er auf das Evangelium mit seinen Werten, wo aber Tugenden gemeint sind, und gerade an denen fehlt es ja den Dobrindts und Seehofers…). Mich kümmerts, weil das christlich-jüdische Abendland in Stellung gebracht wird gegen die Umvolkung durch Islam und andere, nicht christliche Einwanderer. (Der Flüchtling, der hier ankommt, ist kein Flüchtling mehr, seine oder ihre Flucht sollte hier zu Ende sein!).

Es ist eben nicht richtig, wenn sich Glaubensüberzeugung und Realpolitik gegenüberstehen, und letztere gewinnt, gewinnen muss…oder aber, wie beim Schwangerschaftsabbruch oder Beschneidung oder bei der Auslegung der Samstag/Sonntagsruhe, unmenschliche Züge im Namen von Grundüberzeugungen annimmt, die man gar nicht hinterfragen kann.

Politik kann, darf, soll mit Glauben nichts zu tun haben. Sie kann, darf, soll Religionsausübung in die Freiheitsrechte hineinnehmen, aber nirgendwo von ihr geleitet werden. Das ist eigentlich selbstverständlich, aber bei uns seit der ewigen Zahlpflicht aus der Enteignung von Kirchengütern schon ganz schön verschwiemelt.

Die Tugenden, die aus dem Glauben kommen (können), sind bei vielen Politikern in ihrer Praxis präsent und bemerkenswert. Die dahinter stehenden Werte sind, ähnlich wie bei Glaubensüberzeugungen, kaum direkt abfragbar, aber doch genauer zu hinterfragen.

Warum lassen sich die frumben Bayern beim Gedenken so fotografieren, wie sie es getan haben? Weil sie Politik machen, die den toten FJS ohnedies nicht erreicht. Weil sie sich auf Kataloge beziehen, die dem Volk, wenn nicht egal, so doch zweitrangig sind, wenn es um das richtige, das gute Leben geht.

Dazu wird der bayrische Gott blau und weiß umgefärbt, der gesamtdeutsche Gott ist da etwas komplizierter. Europa, das ist eben nicht das Abendland, und die Farbe seiner Götter hat eine andere Geschichte – und vor allem Zukunft.

Eine seltsame Auffälligkeit: wenn wir die nationalistische Kurzformel der Erklärung 2018 genau besehen, ist sie keinem christlichen Wert und keiner daraus abgeleiteten Lebenstugend zuzuordnen. „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“ https://www.erklaerung2018.de/[1] Nein, die bayrischen Beter haben das nicht mitverfasst; viele von ihnen sind mit der konservativen CD/CS-Fraktionierung vielleicht auch nicht einverstanden. Aber dann sind da die Grenzen unseres Landes, also auch die bayrisch-tschechische, bayrisch-österreichische Abfanglinie, die ja wahlkampftaktisch eine eigene Truppe fordert, damit „die rechtsstaatliche Ordnung“ wieder hergestellt wird. Die längst von den frommen Betern angegriffene Deformation des Rechtsstaats wird in der Kirche von Rottach nicht gerechtfertigt. In der bayrischen Praxis, im „Volk“, werden die Menschenrechte und die Geflüchteten oft viel besser behandelt als die gen Himmel gedrehten Augäpfel der CSU Granden und ihres Patrons befürchten lassen. Das lässt hoffen, dass der Gott der CSU mit dem Abendland und Europa doch nichts zu tun haben will, und Grenzen schon gar nicht.

Was hat das mit dem Bild zu tun?

Wie gesagt, dieser Blog ist auch ein Impromptu. Aber das kommt nicht aus dem Vagen, Ungefähren, sondern ist schon fundiert. Damit ein Foto mich rührt und berührt, bedarf es einigen Inhalts und einer starken Rezeption. Die betenden Christsozialen rühren mich nicht. Aber schon 2013 betreiben diese Charaktermasken eine Art christlicher Selbst-Bildstockisierung, in Österreich sagt man „Marterl“ dazu.  Ich würde meiner Abneigung gegen den bayrischen Sonderweg nicht weiter nachgeben, diese Grenzgänger zur AfD und anderen Rechtsextremen kann eine Demokratie schon verkraften…hoffentlich. Nun ist aber der fremde Blindgänger Seehofer Innen- UND Heimatminister, und schon droht er mit Lagern für Flüchtlinge. Und da platzt mir der Kragen: heute früh im DLF konnte man empathische, mitleidige, praktische und einfach verantwortliche Bayer*innen (zum Thema Bamberg) hören, die für die Linie der Landesregierung und des Bundesministers wenig Verständnis haben und sehr kundig in den Details der Situation sind. Die haben einen andern, einen besseren Gott als die Knieenden.

Das Bild wird sich einprägen. Der Kontext wird dynamisch bleiben. Und FJS wird aus dem Nirgendwo nichts  hinzufügen, das die Liddeckel klappern lässt.

[1] Die Gegenerklärung findet sich im Blog „2018 – Konfrontation und Antwort“ vom 12.4.2018: Die Menschenrechte enden an keiner Grenze dieser Welt. Wir solidarisieren uns mit allen Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und Armut in unserem Land Zuflucht suchen, und wenden uns gegen jede Ausgrenzung.

 

 

Arbeitsplatz Fetisch & Tabu I

Bedingungsloses Grundeinkommen, bedingtes Grundeinkommen bei gemeinnütziger Arbeit,  bessere Arbeitsbedingungen für die, die bereits Arbeit haben, kein Arbeitseinkommen für die, die keine Anstellung mehr bekommen, weil Arbeistplätze wegfallen, Abstand bei den Lebensbedingungen zwischen Arbeitsplatzbesitzern und Arbeitslosen, zwischen so genannten Deutschen und so genannten Ausländern, gar Flüchtlingen, Arbeitsverbot für die letzteren.

Die Diskurslandschaft ist vielfältig und breitet sich wie ein unübersichtliches zerklüftetes Land vor den Augen der Betrachter aus, die allesamt den Zustand der Arbeit in unserer Gesellschaft reflektieren, von den Problemen der Nicht-Arbeit aber wenig bis nicht betroffen sind.

Ich habe dies mehrfach WOHLSTANDSVERWAHRLOSUNG genannt und bin dafür geschoilten worden.

Ich weiß nicht sofort, warum mich diese Diskussionen so nerven, fast aggressiv machen. Sozialpolitik ist zentral für alle öffentliche, staatliche und auch private Politik, sie ist konstitutiv für unsere Gesellschaft; und wenn heute soviel vom Prekariat, von den Abgehängten, den Verlierern die Rede ist, dann kann einem die Spielart des Kapitalismus aggressiv machen, die zur Zeit erreichte Reformen gefährdet.

Philosophische, polit-ökonomische und kulturelle Rahmungen geben dem Begriff der Arbeit ein einatmend-erhabenes Gepräge. Das sei fern von diesem Blog. Ich denke mir, wir suchen etwas anderes: mit der veränderten Arbeit einen Bezug zum guten Leben, Grundlage jeder Ethik, und was das eine mit dem andern zu tun habe, wenn soviel schon vorgegeben ist.

Ein wenig Etymologie und Sprachgeschichte haben mich auf den Punkt meines gereizten Umgangs mit dem Thema gebracht:

„hard labour“ ist im Englischen Strafarbeit, Zwangsarbeit, „unfreie Arbeit“; Ergebnis eines Urteils. „Hard work“ ist schwere (körpelriche, oder geistige) Arbeit, immer kontextabhängig von der eigenen Konstitution und gesellschaftlichen Einbettung.

Was mich stört: Alle möglichen Interessengruppen knüpfen den deutschen Arbeitsbegriff recht willkürlich an die mit Arbeit verbundene Würde. Erhält der Mensch seine Würde wirklich durch die ihm auferlegte Strafe: Hard Labour ist die Strafe für Ada und Eva in Genesis 3. Die Würde kommt später…

Dass arbeiten zu unserem Leben gehört, kein Zweifel.  Dass sich zu reproduzieren, lebenswerte Umstände zu schaffen, angenehm, ja „gut“ zu leben, aufwändig ist, und oft unangenehmes „hard work“ ist, ebenfalls kein Zweifel. Im Kapitalismus und in der freien Lohnarbeit geht aber die Schere des Missvergnügens am Thema weit auf: die einen arbeiten, um zu überleben, und im Überleben steckt in der Tat die Menschenwürde. Die andern begnügen sich mit der Verantwortung dafür, dass die einen arbeiten, und ziehen daraus keine Würde, sondern schlicht Lebensumstände, die unmoralisch sind und zum Himmel stinken. Wer das nicht glaubt, soll einemal die Rechtfertigung für 10 mio € Jahreseinkommen des gerade gefeuerten VW Chefs Müller lesen, der ja wegen der Verantwortung soviel verdient…

Ich setze dem einen scheinbar naiven, aber sehr ernst gemeinten Ansatz entgegen, den ich in meine Evolutionskritik und Finis terrae einbauen wollte, aber dazu muss ein Vorsatz her. Das Leben vom hard labour zu befreien und hard work weniger hard zu machen, bedeutet, zu leben, und zwar frei. Die wirkliche Arbeit ist Leben, und dazu gehört jede Art von Anstrengung, aber nicht jede davon ist „frei“ im grotesken und ambigen Verhältnis der freien Lohnarbeit.

Daraus leite ich die Forderung nach dem bedingten Grundeinkommen ab, das an gemeinnützige – und nur solche – Arbeit geknüpft ist.

So, die Details kann ich mir hier sparen. Nicht aber das Prinzip. Mich regt die Situatio so auf, weil man Menschen, die hard work nicht können – können können, eigentlich, zu hard labour verurteilen möchte, und andere für die hard work eine Bereicherung oder gar Erlösung wäre (Ausländer in Berufen, für die sich Deutsche, incl. ihrer Gewerkschaften zu gut vorkommen, zur hard labour der Untätigkeit und Lebensverminderung verurteilt (AfD, CSU, deutsch-polarisierte Gewerkschaften).

Es ist wohl kein Paradox, dass wir erst über Leistung und leistungsorientierte Differenzierung sprechen können, wenn dieseUnterscheidung politisch sitzt.

(Teil II: Baut Arbeitsplätze ab, zB. in der Kohle, bei den Autos usw. – Konfrontiert die Menschen mit der Option, anders zu arbeiten oder eben nicht).

2018 Provokation und Antwort

http://antwort2018.hirnkost.de/

Darum geht es, das kann man unterzeichnen, und ich bitte darum. Die vier Zeilen sind nur ein Hilferuf, kein Manifest und kein Programm. Als ich die Namen der Unterzeichner*innen seit dem 29.3. las, fiel mir auf: ich kannte gerade  mal 10 dieser hunderten Petenten.

Der Text:

Die Menschenrechte enden an keiner Grenze dieser Welt. Wir solidarisieren uns mit allen Menschen,die vor Krieg, Verfolgung und Armut in unserem Land Zuflucht suchen,und wenden uns gegen jede Ausgrenzung. 

Donnerstag, 29. März 2018

Kein großer Text, fürwahr. Aber mit einem wichtigen Pronomen: es ist UNSER Land, in dem wir den Verfolgten Zuflucht gewähren wollen.

Dabei kann es nicht bleiben. Erstmals altera pars, die Auslöser:

DIE PROVOKATION:

Am 15.3.2018 ging eine Erklärung durch die Medien:

„Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird. Wir solidarisieren uns mit denjenigen, die friedlich dafür demonstrieren, dass die rechtsstaatliche Ordnung an den Grenzen unseres Landes wiederhergestellt wird.“ https://www.erklaerung2018.de/

Sprachlich nichts wert: „Wachsendes Befremden“ kann man deuten als Unbehagen mit der eigenen Wahrnehmung oder Unbehaustsein in unserer Republik. Die Illegale Masseneinwanderung ist so wenig Realität wie die Weisen von Zion. Und der zweite Satz ist eine Frechheit: man kann die rechtsstaatliche Ordnung, die auch an den Grenzen herrscht, kritisieren, wie das die Rechte tut (Dobrindt, Seehofer) oder wie wir das tun (Einwanderungsgesetz, humanitärer Vorrang vor populistischer Angstmache etc. Aber dass sie nicht existiere, ist dumpfer Nazisprech. (Tonfall Orban exakt antizipiert bzw. kopiert).

Nun ja, so wichtig ist dieser Unsinn nicht. Aber die Mistreiter dieser Erklärung sind mir unheimlich. Einige von den 12 Köpfen, die in der ZEIT Nr. 13, 22.3.2018, S. 45 abgebildet sind, kenne ich persönlich. Nur  drei wüßte ich nicht spontan einzuordnen. Zweien, ich nenne die Namen nicht – Bekanntschaftsscham – hätte ich dieses Milieu nicht zugetraut.

Auch nicht wichtig. Dass daraus eine Petition an den Bundestag geworden, dass sich die JUNGE FREIHEIT damit schmückt, ist halt so.

DIE ANTWORT

http://antwort2018.hirnkost.de/ – man kann und soll das unterschreiben. Sich in den Kreis der Personen einschreiben, die bestimmt nicht „DAS“ von den Populisten attackierte Establishment repräsentieren – Berufe auszählen lohnt. Eher ein Querschnittsbefund. Ist ja auch kein großer Text. Wenn man sich vornähme, nach der Unterschrift auch noch eine praktische Handlung mit Flüchtlingen, Verfolgten und Armen zusätzlich zu dem zu machen, was wir wahrscheinlich ohnedies tun, umso besser (ich bin kein Ratgeber oder Prediger, aber einen Trigger kann man schon setzen….).

Wenn wir die paar Zeilen genau anschauen, dann unterschreiben wir einen folgenschweren Satz: die Menschenrechte enden an keiner Grenze dieser Welt. Sie sind gültig, sie sind universell. Da empfehle ich eine sehr kurze, sehr klare Lektüre: Francois Jullien: Es gibt keine kulturelle Identität. Frankfurt 2017 (Suhrkamp). Da kann man eine Menge mehr lesen und lernen als über die Imagination der Identität, auch eine Geschichte der Denkfaulheit und des Sektierertums. Aber hier, für unser heutiges Thema reicht es.

Unterschreibt und macht bessere Texte.

p.s. von „hirnkost“ habe ich heute das erste Mal gehört. Bin kein Propagagtor dieses Netzwerks.