Erst einmal eine wichtige Zusammenfassung:
„1956 hat die Welt eine ähnliche Zäsur in einer Doppelkrise erlebt. Auch wenn der Vergleich hinkt, so haben damals Parallelereignisse im Nahen Osten und in Europa die Kräfteverhältnisse auf der Welt nachhaltig verändert. Die Niederschlagung des Ungarn-Aufstands durch die Sowjetunion und die Niederlage der Briten und Franzosen in der Suez-Krise haben binnen Wochen das Ende des Kolonialzeitalters markiert, die Sowjetunion als Akteur im Nahen Osten etabliert, den Kalten Krieg erweitert und Europa seinen geschrumpften Einfluss in der Welt aufgezeigt.
Die beiden Kriege dieser Tage haben das Potenzial, eine noch schlimmere Verheerung anzurichten. Statt der Kolonialmächte sind es diesmal die USA, die ihren Verdrängungsmoment erleben. Und Europa steht in der Gefahr, Opfer seiner Apathie und seiner Unfähigkeit zum Widerstand zu werden.
Die Staaten der EU haben ihren allemal geringen Einfluss im Nahostkonflikt schon lange verspielt. Die Regierung von Joe Biden hingegen steckt in einem Dilemma mit Benjamin Netanjahus Regierung, die sie fallen lassen will, aber aus innenpolitischen Motiven und strategischer Vernunft nicht fallen lassen kann. Europäer wie Amerikaner haben kapitale Fehler in der Einschätzung des iranischen Unrechtsregimes begangen. Nun finden die Europäer selbst im Augenblick höchster Schwäche nicht zur Wahrheit und damit zur politischen Klarheit gegenüber Iran wie auch der Regierung Netanjahu. (Stefan Kornelius, SZ 20.4.2024)
So deprimierend der letzte Satz ist, so wichtig ist er, indem er Wahrheit und Klarheit nicht auseinanderreißt (was ja ein klassischer linker Kurzschluss war). Wichtig auch in Bezug auf den Reflex, den dieser globale Konflikt auf unsere Gesellschaft, Innenpolitik, Kultur ausübt. Ein scheinbar weit hergeholter Eindruck ist, dass wir uns in einem neuen „Biedermeier“ bewegen, mit Ersatzschaubühnen moralischer und ästhetischer Zeigefinger auf Wokeness, SUV, Gendersternchen und populistische Verdrängung der Gesetze durch den so genannten Volkswillen, nicht nur im rückständigen Bayern. Europaweit. Das soll jetzt gerade nicht in das Lamento der nur scheinbar resilienten Fortschritts-Überreste einstimmen. Die reden immer gerne von der „Wiederherstellung“, also ob Demokratie, oder Umweltbewusstsein, oder kollektive Solidarität verloren oder preisgegeben worden wäre von, ja von wem? Meist doch von denen, die jetzt lamentieren. (und wie weit ICH, WIR da teilweise dabei waren, ist auch noch ein Problem).
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Angesichts der indirekten Beteiligung des teilweise demokratischen, teilweise protofaschistischen Europa an einer globalen Konfliktbewegung, die man – dächte man nicht retro-eng – gar nicht anders als Weltkrieg bezeichnen kann, aber eben nicht metaphorisch als „Krieg der Welten“, gut versus böse, klug versus deppert, sondern als ein globaler Konfloikt, dessen Waffengänge an den unterschiedlichsten Orten aufleuchten oder im Grau gerade verschwinden. Da sagen die Einen ausatmend tiefe Überzeugung „Du musst dein Leben ändern“, während die Anderen sagen „Wir sollten die Welt um uns ändern“. (Daraus kann man wieder zehn Philosophiebücher für den Alltag machen, quasi Kochrezepte gegen die Betroffenheit, dass wir handeln müssen, auch wenn es für uns wenig zu verhandeln gibt).
Ich habe noch ein paar andere Themen auf Lager, die die scheinbar kriegsferne Realität unseres Lebens in Deutschland, Europa, betreffen, die kommen in den nächsten Nachrichten. Aber die Situation, einen Weltkrieg aus einer wenig kontroversen Zone mit Blick auf gewaltreiche Zonen fast zu ignorieren, ist wichtig, wenn man vernünftig leben will, was immer und nur sozial und nicht nur individuell möglich ist, und sich nicht der Kriegslogik hinzugeben. Die würde ja bedeuten, dass man sich darauf vorbereitet, vom akuten, gewaltsamen Krieg eingeholt zu werden, während man ihn jetzt ja nur indirekt, finanziell, ideologisch kommentiert, im Guten wie im Schlechten. Mit Friedenslogik kommt man auch nicht geradeaus weiter, weil wir sie nur mehr fragmentiert einsetzen können, es herrscht eben kein ganzer Friede. Den Krieg wahrnehmen und sich dennoch nicht seiner Logik fügen bedeutet Widerstand, Handeln. Das fäng5t natürlich immer bei uns selbst an und soll weitergegeben werden, sich ausbreiten. Das klingt so didaktisch, ist aber eher praktisch, fast bürgerbewegt gemeint: nicht sich auf die Friedensinsel im Krieg kaprizieren, sondern vor allem das tun, was man unter allem Umständen auch tun will, wenn es um Umwelt, Frieden etc. geht, sich also nicht bluffen lassen.
Jetzt fragt ihr, was das mit dem Zitat von Kornelius zu tun hat. Das ist mir wichtig – ob die Wirklichkeit nun kommentiert und erklärt wird, schert sie wenig, aber Unterstützer findet sie nur durch Kommunikation. Eine Form von Anwerbung. Dem können wir entgehen, nicht durch Abschalten der Medien, sondern indem wir uns mit ihnen konfrontieren, und durchaus mehrere Wahrheiten aushalten, die sich widersprechen, aber keine Unwahrheiten.
na gut, das klingt philosophisch, ist aber ganz praktisch. Es sind ja nicht nur Ereignisse, sondern Strukturen, aus denen wir einen Krieg erklären können. Das müssen wir schon selber tun.
Hat man zum Ende manchder politisch großen Perioden, die zu Ende gingen, geseufzt „Welch ein Sonnenuntergang“ (wenigstens), ist heute nur ein Abstieg von allen Seiten des Hochplateaus, auf dem wir uns befinden wollten. Ob es gestimmt hat? DAS ist wichtig zu beantworten.