Da will ich schreiben, wie der Frühling in Wien die Stadt auch bei heftiger Arbeit und düsterer Stimmung schön macht. „Im Prater blühn wieder die Bäume“, naja fast, zwei drei Tage noch. (es muss nicht Peter Alexander sein, der das singt, aber ja, das kannte man) https://www.lyrix.at/t/robert-stolz-im-prater-bluh-n-wieder-die-baume-9bf
Da will ich schreiben, warum das Sterben um einen herum in Wien ein wenig anders als anderswo. „Der Tod, das muss ein Wiener gewesen sein“…(Georg Kreisler/Topsy Küppers…das war noch eine Sozialisation) oder…“Frag mi net, was für eine Numero der Tod hat“. (http://musecat.ru/music-album/ijhdcji/Helmut-Qualtinger-Singt-Schwarze-Lieder)
Da hebe ich zum wievielten Mal zum Lob der Straßenbahn und der Würstelstände und der Museen und der Ausstellungen an, und verabrede mich in dem einen Café, um ins andere zu gehen, und im dritten wieder auf die Freunde zu treffen. (Café Rathaus, Bräunerhof, Eiles, Schwarzenberg, mehrfach).
Und wen bitt’schön sollen diese Erzählungen interessieren, wenn rundherum alles sich zersplittert und auflöst?
Gerade deshalb. Nicht, weil es bleibt, oder gar tröstet. Sondern weil es zeigt, dass im Unglück die Stadt einem die Gelegenheit bietet, sich auszuruhen und zu sammeln, ohne gleich die Wirklichkeit zu verdrängen, die kommt ohnedies immer und überall durch die Poren … zum Beispiel, dass österreichische Kultur (Dirigenten, Komponisten, SängerInnen etc.) seit Kanzler Schüssel, nicht erst seit Sebastian Kurz, von Putinesken Oligarchen gesponsert werden, Ukrainekrieg hin oder her, davon rücken die Salzburger Festspiele und andere nicht ab…Ist ja nur Kunst.
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Die Berichte aus Wien wollte ich gerade beginnen, da kommt heute die nächste traurige Nachricht. Erhard Busek ist am 13. März gestorben. (geboren 1941). Mich triffts, wir gerade in der Mitte zwischen Freundschaft und guter Bekanntschaft waren, und obwohl ich ihn vor zehn Tagen nicht am Telefon erreicht hatte, um ihn wieder zu sehen, wie schon vor Wochen vereinbart. Busek war viel in seiner Laufbahn, ÖVP natürlich, aber doch Gegenspieler zu Schüssel, Wissenschaftsminister (da haben wir bisweilen verhandelt), Chef des IDM (Institut für den Donauraum und Mitteleuropa, da habe ich Seminare gehalten), und in der afghanischen Flüchtlingsproblematik ist er mir noch vor einem Jahr beigesprungen. Nach einem Skiunfall hatten wir auch über den Wintertourismus geredet. Aber Nachrufe sollen andere schreiben, ich erinnere Wienerisches. Wenn wir uns ab und an gesehen haben, dann meist zum Frühstück im Hotel Imperial verabredet. Einfacher geht es nicht. (https://en.wikipedia.org/wiki/Hotel_Imperial) – Einem der teuersten und besten Hotels der Stadt, weil aber das Frühstück kein Buffet hat in dem Raum, in dem wir uns getroffen haben, war das petit dejeuner billiger als in den meisten Touristentempeln – zwei Eier im Glas, mit Schnittlauch, zwei Schalen Café (Schalen bitte, nicht Tassen), – und man hat geredet und ich habe etwas von Österreichs Politik gelernt. Erhard war freundlich, immer konzentriert, scharfzüngig und – was Österreich betrifft, resigniert (als hätte er nicht seinen Beitrag gegen die Vernebelung der Vernunft durch zuviel Heurigen und Korruption geleistet). Schade, wieder einer, den ich im April nicht besuchen kann. (Lest einmal: Oliver Schreiber: Österreich die angezählte Republik. In: Falter 4/22, 14).
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Loben hat auch seine Grenzen, mittlerweile kenne ja alle das Verkehrsnetz und die Vorzüge von Straßenbahn, Ubahn und Bus. Du siehst vor allem, was dir sonst fehlt, in allen Stadtteilen und den meisten Straßen Geschäfte, kleine, kleinste, dazwischen die schnöden Supermärkte, die es auch in Deutschland hat, aber hier so viele Klitschen, von denen man nicht weiß, wovon sie leben, aber sie tun es schon seit langem und immer noch: etwa rund um die Davidgasse im 10. Bezirk, früher ein Arbeiterrevier, da kann man die Kleinteiligkeit des Immigrantenviertels studieren. Formal ist das Land wohl feindlicher und abweisender gegenüber Ausländern, aber in situ ist das ganz anders, mir scheint es besser zu gehen mit den Türkinnen, Albanerinnen, Liberianerinnen und sonstigen Innen der zweiten, dritten Generation. Das ist kein nostalgisches Schönreden, danach ist mir gar nicht. Aber ein zunehmend wachsender Groll auf Deutschland macht mich wach, hält mich aufmerksam. Ich laufe durch die endlose Davidgasse nach Osten zur Laxenburger Straße, die ein Muster für dieses Gemisch aus kleinen und großen Geschäften, Abriss und Neubau, Verkehr und Beruhigung ist. Die Bestattungsunternehmen auf der anderen Straßenseite konkurrieren mit der städtischen Bestattung im neugotischen Amtshaus, man denkt an Wolf Haas. Hochzeitskleider und schmale Smokings, die an Istanbul denken lassen. Und bei Smoking denke ich an eine ganzseitige Hommage an den Wiener Frack, der bei manchen Bällen noch immer getragen wird, und hier ist es eine unverhüllte Werbung für Knize, bei dem ich vor 20 Jahren meinen besten Anzug gekauft habe, Knize am Graben, nicht in Favoriten, ich war auf Urlaub aus dem Kosovo da. Wie so oft, war damals der Urlaub oft ein Wochenende. Jetzt substituiere ich meine Spaziergänge mit dem Hund mit langen Wanderungen durch eine Stadtlandschaft, die aus Unwahrscheinlichkeiten besteht. Geht man an der Laxenburger weiter, kommt man zum Südbahnhof, pardon, seit Jahren der Hauptbahnhof, anders als Berlin fertiggestellt und überdacht, Zugang zu einem Quartier aus mittleren Hochhäusern. Büroflächen, Hotels und dazwischen Grün für Spielplätze. Das wäre nichts Besonderes in einer Großstadt, aber da waren einmal Süd- und Ostbahnhof über Eck, da waren Bahnflächen und der unwegbare Übergang zum alten Arsenal, das jetzt auch reaktiviert ist als Museums-, Wohn- und Arbeitsquartier. Nicht alles schön, aber seltsam urban auch hier. Gehst du nach der anderen, abfallenden Seite, querst du eine große Kreuzung (da bin ich, aus Baden kommend, immer in den D eingestiegen, zur Innenstadt), und jenseits des Gitters: das Belvedere. Einer schönsten Barockpaläste, aus dem 17. Jahrhundert, mit einem Park zur Stadt, der einem diese Schüssel verdichteter Hauptstadt nahebringt, mit der Nadel des Steffl in der Mitte und den scheusslichen Türmen des AKH als Ausrutscher vergangener missratener Modernisierung. Im Gegenlicht des Nachmittags sieht man sie eh nicht, wenn sich der Schatten über den Kahlenberg legt. Da gehe ich runter zum Unteren Belvedere (Dali-Freud-Ausstellung!) und werde von einem grantigen Wiener angeschnauzt, weil ich einen Schritt im Rasen stehe. Recht hat er ja eigentlich, weil ich neben der Tafel stehe, wo genau dies wegen der Frühjahrsblumen verboten wird. Unten, an der Talsohle angekommen, kann man erkennen, was auch die Urbanität ausmacht: das eine Stockwerk höher als in den meisten Innenstädten, und dass es keine Stadtautobahnen ins Zentrum gibt, und dass Grün nicht unnötig die Häuserdichte am falschen Platz lockert (die Parks sind schön genug). Wer von da auf die Innenstadt zugeht, kommt notwendig am Russendenkmalvorbei, das zum Dank an die Befreiung durch die Rote Armee kurz nach dem Krieg eingeweiht wurde, Hinter den Kolonnaden hat es seinerzeit einen scheußlichen Sexualmord gegeben, das hat das Kind erinnert. Heute ist die Rückwand blau-gelb ukrainisch drapiert, aber am Monument vergreift sich niemand. Ich treffe gute Freunde um 5 im Café Schwarzenberg am Ring , um 5, das Konzert beginnt um halb 8. Gegenüber, im Café des Hotel Imperial, habe ich früher mit Erhard Busek immer gefrühstückt, das nenn ich Spleen, aber ohne Busek wäre ich nicht ins IDM gekommen, um über den Balkan zu lernen, und ohne IDM hätte ich nicht meinen Projektpartner hier kennengelernt, dann würde ich auch nicht in Favoriten, nahe meiner Trostkaserne, bei ihm wohnen…vor zwei Wochen war ich nicht traurig, aber jetzt, wegen Busek. Ich sitze im Schwarzenberg, abgegriffene Messingtischplatten, wie damals. 1967/68 gabs am Vormittag Uni oder Revolution, am Nachmittag Revolution oder Umziehen, und am Abend sind wir, keineswegs nur ich, auf den einen oder andern Ball gegangen, schon korrekt, also keine Verbindungsbälle oder erklärt rechtsradikale Tanzvergnügungen, aber halt Apothekerball, Zuckerbäckerball usw. Und danach ins Schwarzenberg, das machte um 6 in der Früh auf. Dazwischen also nach 4, durch den Burggarten oder irgendwo. Dann erst wurde entschieden, wann und wo man schwarz und weißablegte, und wann man wieder mit der Uni und der Revolution weiter machte. Nach der Jause im Schwarzenberg hinüber zum Musikverein, Violinkonzert von Alban Berg, Bruckner #7, zu schön, und diesmal verweise ich auf früheres Lob der Akustik im Musikverein, heute macht das Boulez in Berlin oder die Elphi, aber vor 140 Jahren…Keine Nostalgie kann aufkommen, die Ukraine bildet den grauen Vorhang des Tagesablaufs, sehr unerbittlich. Aber die Kommentare machen diesen Schleier auch nicht transparenter.
Wenn man von meinem Domizil im 10. Bezirk nach Süden weiter den Wienerberg hinaufgeht, kommt man an der Trostkaserne, benannt nach einem früheren, nicht dem faschistischen, Starhemberg vorbei, o Jugend, o Wachtmeister Soucek mit Familie, Gefreiter Himsel, Korporal Krbusek…die kenn ich noch, und das Haus meiner Freundin, die mit mir die Opernabende geschmückt hatte, ich in der lächerlichen Uniform für die Gratiskarten…so habe ich gelernt, was ich als Junger davor versäumt hatte. Geht man noch weiter, auf den breiten Rücken der Anhöhe, die die Schüssel begrenzt, die Wien so sinnvoll umgibt und einhegt, über die Raxstraße, durch eine Siedlung aus den 30ern, ergänzt um die 50er, dann Schrebergärten, Blick nach Süden, sehr hell, bei gutem Wetter bis zur Rax (darum heißt es hier ja auch Raxstraße), und nach Südwesten an die Thermenlinie, die Hügel sind de facto das Ende der Alpen. Ist aber jetzt egal, ich gehe ins Grüne, Hundeplatz, dann die Ziegelteiche, jetzt Badeseen, unten dann Autobahnen, Wohnsilos und Industrie, aber hier oben die Ruhe jenseits des Hauptkamms zur Stadt. Nur der Wasserturm und die Stele der Spinnerin am Kreuz verraten die Stadt, gleich dahinter wieder der soziale Wohnungsbau, der ja nun wirklich besser als anderswo seit 100 Jahren die Stadt so anders gut macht. Ein paar Hochhäuser am Kamm, wir sind ja schon weiter…Man kann sich hier erholen und mit Hunden reden oder mit HundehalterInnen. Es ist Frühling, kalt und windig.
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So könnte ich weiterschreiben, jeden Abend, und dabei das Gedächtnis prüfen, welche Erinnerungen sich beim Anblick oder Flanieren einstellen, und welche ich provozieren muss. Aber ich bin ja nicht mein Touristenführer durch Wien. Ein paar Tage später unterbreche ich meine Projektarbeit tatsächlich, aber als Stadtführer gehe ich, geht man ganz anders vor und mit der Stadt um. Da sortiert man aus dem, was man parat hat, das heraus, was den Geführten wichtig und interessant erscheinen soll, und dieser normative Ansatz unterscheidet die, die Stadt mögen, von denen, die sie um der Wiederholung dessen willen zeigen, was ohnehin im Baedecker steht. (Vor 30 Jahren hatte ich einmal eine Studigruppe hier, unendlich viel gelaufen in vier Tagen, und am fünften durften sie in die Innenstadt. Da kam es zu einem Kollaps, weil einige es nicht ertrugen, dass da noch ein Platz und noch einer und noch einer, und niemals derselbe war. Abbruch, Eis essen, Prater).
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Das ist jetzt zehn Tage her. Ohne Ukraine, ohne Covid, ohne die Neoliberalen, die in beiden Ländern ihre Chance wittern, über Öl und Gas die Klimapolitik zu torpedieren, ohne die objektiven Umstände (siehe: alles, was der Fall ist), wäre jetzt ein weiteres Loblied auf Wien richtig, weil man sich in diese Stadt versetzen kann, ohne gleich lebensendlich hier zu wohnen, was aber ansprechbar ist. Busek grätscht herein, und schiebt eine neue Kulisse der Erinnerung vor. Wen man alles nicht mehr sehen, treffen, sprechen kann, und erst die belebte Kulisse macht die urbane Erinnerung aus, die Personen, die aus der Anonymität heraustreten und sich wieder in diese zurückziehen. Nicht zufällig fahren die Schnellzüge gen Westen, sobald sie Wien verlassen, durch einen sehr langen Tunnel unter dem Wienerwald durch, und wenn sie wieder ans Tageslicht kommen ist das Österreich, aber nicht Wien.
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Man kann sich jetzt das ansehen: https://orf.at/stories/3252513/