Wer stirbt wie ein Hund?

Der geistesgestörte Präsident der USA, noch immer nach dem diplomatischen und internationalen Protokoll hofiert, beschreibt den Tod von IS Al-Baghdadi;

According to Trump, al-Baghdadi and a “large number” of his fighters were killed on Saturday night in Idlib Province, Syria, after a raid by U.S. Special Operations forces. Trump offered a dramatic narration of the raid, which he said he was able to watch and took “approximately two hours.” He gave a graphic account of the terrorist being chased down a tunnel by American troops “whimpering and crying and screaming all the way.”

“He reached the end of the tunnel as our dogs chased him down,” Trump said of Baghdadi. “He ignited the vest, killing himself and three of his children. “He died like a dog.”

(https://news.yahoo.com/trump-isis-syria-abu-bakr-al-baghdadi-140659854.html)

Hunde beleidigen ist eine unappetitliche Sache, aber leider wird das auch bei uns alltäglich gepflegt:

Blöder Hund, Dumme Sau, Du Affe

Wenn ein hochrangiger Politiker so redet, kann man sich einen Reim drauf machen: Herkunft, Ideologie, Weltanschauung, moralische Minderleistung etc. – aber Trump beweist, dass ein autoritärer Psychopath sich fast alles erlauben kann, solange er in seiner Machtausübung nicht als der Kaiser ohne Kleider behandelt wird. Er kann das,

  1. Weil er die Finger am Atomknopf hat
  2. Weil er tatsächlich unmittelbare exekutive transnationale Macht hat
  3. Weil er die Instinkte eines Teils der Bevölkerung bedient, die gerade nicht das Volk sind
  4. Weil er keine organisierten Gegner hat.

Die Diplomatie ist keine Ausrede dafür, mit diesem Menschen und über ihn in bezeichnenden Worten zu reden. Natürlich kann sie andere Begriffe als ich verwenden, aber was z.B. die Pathologie des Trump’schen Narzissmus betrifft, die keine verminderte Schuldfähigkeit bedeutet,  oder sein Sexismus, Rassismus und seine Verachtung, muss man schon ganz nahe an diesen Worten bleiben, damit sie verstanden werden, und man selbst.

He died like a dog. https://edition.cnn.com/videos/politics/2019/10/27/sotu-thornberry-partial.cnn: Ein republikanischer Abgeordneter schließt bei CNN daraus: „Congressman Mac Thornberry tells Jake Tapper that President Trump’s language gives less incentive to remaining ISIS fighters to retaliate” – weil der Hund im Islam und für IS ein verachtenswertes Tier ist? Oder weil Trump den Toten im Tod Kleiner macht, als er im Leben war? Nun, wer wird schon Al Baghdadi nachweinen? Wer würde Trump nachweinen? Nach—weinen ist eine Tätigkeit, die überhuapt fragwürdig ist. Zurück zum Hund. Wie stirbt der heldenhafte Hund, den Trump gefunden hat, damit er den IS Führer findet:

(Trumps Tweet):We have declassified a picture of the wonderful dog (name not declassified) that did such a GREAT JOB in capturing and killing the Leader of ISIS, Abu Bakr al-Baghdadi!

505.000 SPIEGEL ONLINE 21:02 – 28. Okt. 2019 (https://www.spiegel.de/panorama/donald-trump-lobt-den-hund-der-abu-bakr-al-baghdadi-bis-zuletzt-verfolgte-a-1293809.html) (29.10.2019)

Ich mache jetzt den gleichen Fehler, den die dauernde, meist kritische und fast immer korrekte Erwähnung der AfD in den deutschen Medien bewirkt. Durch ständige Hinweise auf die wirklich Bösen macht man das Böse populär, etwa so, wie die Meldung, dass es auf der B1 heute keinen Unfall gab, niemanden Interessiert, und das himmlische Harfenspiel weniger spannend ist als das teuflische Ziehharmonikaspiel (Gary Larsson).

Aber mich verfolgt der Hund, der in unserer Kultur mehr geschätzt werden sollte als in der des IS oder des Islam? Du Hund…naja, das kann ja liebevoll sein, aber doch auf eine etwas peinliche Art, wenn es um den Tod geht, um die Konstruktion des ewigen Kampfes – bei Trump der weißen Suprematie über alle anderen Menschen, Tiere, Geister und Frauen.

Trump wird man nicht so leicht durch ein Attentat los, da wachsen die Pences nach wie die Köpfe der Hydra. Trump wird man vielleicht durch Wahlen nicht mehr los, weil die US Demokratie schon hinlänglich beschädigt ist. Ein Attentat würde eine unsägliche Welle von Gewalt auslösen. Ein weiterer Wahlsieg wird die USA noch stärker ins Lager unserer Gegner abdrängen.

Um Demokratie bei uns zu verbessern und zu stärken, brauchen wir nicht Trump als Negativfolie, sondern uns als positive Akteure – was aber heißt, angesichts der knappen Zeit: finis terrae! – dass wir uns darum kümmern, wie wir leben wollen, nicht wie andere sterben sollen. Banal? Mein Hund schläft und kann keinen Twitter lesen.

 

Zensur oder: da kommt noch mehr.

Zensur und Politische Korrektheit – Benehmt euch schlecht!

So eine Überschrift würde schon Wasser auf die Mühlen derer sein, die die Verrohung der Sprache schon in der Verwendung dieser Begriffe orten.

Die Begriffshoheit über die political correctness changiert seit Jahrzehnten zwischen linken und rechten Außenpositionen. Zur Zeit macht sie sich die AfD zunutze, es ist  nicht lange her, dass eher die politische Linke und autonome Kommunikatoren sich über die PC beklagten. Wäre nicht weiter schlimm, weil man ja jenseits der PC bei uns öffentlich auftreten kann und die Meinungsfreiheit jedenfalls hier weit besser entwickelt ist als in anderen Ländern.

Zur Zeit wird das Thema hochgekocht. An falschen  Ereignissen, und in unzulässig verkürzter, oft taktischer Weise.

Zunächst: Meinungsfreiheit heißt nicht, dass jeder Mensch zu jeder Zeit an jedem Ort vor einem ausgewählten oder zufälligen Publikum reden oder präsentieren darf. Im  konkreten Fall ging es um eine Die Raum/Zeit-Koordinate ist in diesem Fall wichtiger als die rechts-links Koordinate oder PC.  Im konkreten Fall ging es um eine Universität. Natürlich ist es unzulässig, eine Lehrperson am Vortrag ihres Lehrprogramms zu hindern, egal, wie nahe stehend, widerlich, oder fachlich inkompetent oder kompetent diese Person ist. Die Meinungsfreit wird u.a. durch die Befugnis zu lehren hergestellt (Natürlich kann man in einer Lehrveranstaltung protestieren oder sie explizit gutheißen, aber immer im Rahmen der Tatsache, dass hier ein Mensch autorisiert ist, seine Meinung zu äußern – wobei die Grenzen des im Rahmen der Wissenschaft sagbaren unsagbar weit sind…übrigens, für meine linken studentischen Freunde: so argumentiert ihr seit 100 Jahren für das politische Mandat der Studierendenvertretung, nur so nebenbei). Das heißt natürlich nicht, dass Lehrende sagen können, was sie wollen und vor institutioneller Kritik geschützt sind, bzw. wegen ihrer Aussagen nicht in juristische und politische Haftung genommen werden können.

Seit dem Beginn meiner politischen Sozialisation war und ist diese Freiheit eines meiner Hauptthemen, bis hin zu meinen Erfahrungen mit wissenschaftlichen Aussagen bei der Exekutive der derzeitigen Politik.

Die Demonstration gegen einen Hochschullehrer – öffentlich, nachvollziehbar – muss sein können. In Österreich, ich war noch Gymnasiast, gab es die Affäre Borodajkewicz: https://en.wikipedia.org/wiki/Taras_Borodajkewycz (26.6.2019). Sie hat zu eben dieser Sozialisation beigetragen und auch gezeigt,  wer wie agieren kann, u.a. der spätere Bundespräsident Heinz Fischer und der spätere Finanzminister , Ferrdinand Lacina.Mit beiden war/bin ich befreundet.

„1962, Heinz Fischer, former President of Austria, attacked Borodajkewycz in a journal article over remarks made during a lecture, which he reported based on a fellow-student’s class notes. Since he did not want to identify the student (Ferdinand Lacina, later Austrian minister of finance, who had not graduated yet and might not have been able to do so had he been revealed), Fischer was successfully sued by Borodajkewycz for defamation, and had to pay a fine. Borodajkewycz felt encouraged by the verdict and disclosed his views more openly in his lectures from that time onwards.

The 1965 scandal

In March 1965, student groups, former resistance members, and unions organized a demonstration to call for Borodajkewycz’s removal. The demonstration clashed with a countermarch organized by the Ring Freiheitlicher Studenten, the student organization of the Freedom Party of Austria. Ernst Kirchweger, a former resistance member and concentration camp survivor, who was watching the demonstrations but not participating himself, was seriously injured by a right-wing demonstrator. He died some days after the demonstration, becoming the first political death of the Second Republic.

In April 1965, the defamation trial against Fischer was reopened, and he was acquitted on the basis of a testimony by Lacina, who had graduated in the meantime. An appeal by Borodajkewicz was rejected. Another lawsuit attempted to implicate Borodajkewicz in Kirchweger’s death, but he was exonerated.

Ultimately, Borodajkewycz was forced to take early retirement (with full salary), despite strong efforts by the minister of education, Theodor Piffl-Percevic, to defend him. During the following years, he continued to publish articles in right-wing journals.” (aus dem obigen)

Dies war der Anfang meiner eigenen Auseinandersetzung um die Meinungsfreiheit.  Bei Piffl saß ich als studentisches Mitglied später in der Hochschulreformkommission; Allmählich wurden die sehr konservativen Universitäten für die kontroverse öffentliche Debatte, übrigens auch für ihre satirische Variante, geöffnet. Und es war keineswegs eine linke oder studentische Domäne.

ABER:  es gab damals wie heute eine effektive Zensur, auch in der Wissenschaft, was in einer Lehrveranstaltung sagbar war und ist, wenn man die Veranstaltung oder nur ein Argument zu Ende führen möchte.

Ich erinnere mich wieder persönlich: als beständiger und aktiver Kritiker der RAF hatte ich einmal in einem Seminar über die pädagogischen Ansichten von Holger Meins gesprochen, eher analytisch, aber nicht die RAF in seine Gedanken projizierend. Das wurde in einer Prüfung so wiedergegeben, und der Mitprüfende, ein Schulrat, stellte mich peinlich zur Rede…

Wenn jetzt Lucke und de Maizière nicht reden können, weil sie von Studierenden daran gehindert werden, ist das falsch (nicht skandalös, zu gewöhnlich). Zu einfach macht es sich die Satire, die den zensierenden Studierenden einfach politische Blödheit und Grobheit vorwirft, wie Stefan Kuzmany im SPIEGEL 44/2019 „Das Recht der Lauteren“. Denn eigentlich könnte man die Meinungsbildung selbst bei extremen Ansichten extremer VertreterInnen getrost der kritischen Zuhörerschaft anvertrauen, wenn nicht, ja, wenn nicht die fatale Verführungskunst derer da wäre, die man zuerst nicht für voll nimmt (Rechte sind blöde), um dann aus dem Kontext gerissene Thesen doch für anerkennenswert zu halten oder in ihnen die Wiedergänger des Bösen zu erkennen.

Falsch war es auch, den Tierrechtler, Humanisten und kontroversen Philosophen Peter Singer, nicht sprechen zulassen (2015 und später) https://www.welt.de/politik/deutschland/article141455268/So-begruendet-Peter-Singer-Toetung-behinderter-Babys.html (26.10.2019); richtig ist es, ihn oder andere vor Ort, öffentlich und wenn es sein muss, mit scharfen Worten für dier Auffassung zu behinderten Kindern zu kritisieren, nicht aber, ausdrücklich für den Rahmen seiner Philosophie und Ethik. Bei Lucke wäre mir in der Wirtschaftsvorlesung weniger als bei de Maizière eingefallen, dafür hätte ich in Lucke in einer politischen Veranstaltung härter angegriffen, als dies in den späteren Auseinandersetzungen mit der AfD geschieht.

Worum es mir geht, kann man am Handke Nobelpreis ebenso studieren. Ein großartiger Schriftsteller, ich meine das, und er hätte den Nobelpreis nicht bekommen dürfen, weil er selbst die Trennlinie zwischen unsagbaren politischen Äußerungen und der Literarisierung von Zeitumständen nicht deutlich gemacht hatte, wo zu ihm jede Gelegenheit geboten wäre.

Die Freiheit der Wissenschaft hat andere Redefreiheiten als die der Kunst. Kunst kann sich durch sich selbst und den Kontext legitimieren. Wissenschaft muss sich aus sich selbst ausweisen, was Forschungsgegenstand, Methode, Ergebnis und Konsequenzen betrifft. Alle vier können kritisiert und abgewehrt werden, aber nicht pauschal in den moralischen Diskurs überführt werden, oder in den politischen. Die Hochschule ist jener republikanische Ort, an dem diese Rechtfertigung und das Sagen von Wahrheit – beide – stattfinden müssen, und zwar auch dann, wenn sich andere Menschen durch das Gesagte angegriffen oder beleidigt fühlen. Hier ist das Recht (juristisch, logisch und sachlich) immer bei der Wissenschaft, allenfalls gibt es Kompromisslinien bei der Ausdrucksform).

Bei Lucke geht es um eine Lehrveranstaltung. Das ist etwas anderes als ein Vortrag, der außerhalb des Curriculums von KollegInnen eingeladen wurde, oder noch anders, von Außen – ggf. bezahlt – innerhalb der akademischen Örtlichkeit angemeldet und gehalten wird. Wenn der Hausherr (Präsident, Rektor etc.) das verhindert, mag es politisch oder moralisch falsch sein, ist aber juristisch statthaft. Es gibt kein Recht als Nichtmitglied einer Hochschule in ihr zu reden, aber es kann gute und beste Gründe dafür geben, und das Vortragsereignis ist auszuhandeln. Wird auch meist so gemacht.

Wie es in den USA zugeht, wenn zB. der Präsident an einem Black College sprechen möchte: https://news.yahoo.com/in-trump-pitch-at-black-college-its-students-were-largely-absent-225444175.html?.tsrc=daily_mail&uh_test=1_04 (26.10.2019)

Vorhersehbare Gewalt ist ein Risiko, das man durch Auftrittsverbot vermeiden kann; antizipierte, aber nicht begründete Gewaltvorhersage ist oft eine Ausrede.

Um diese Ausrede geht es mir: politische und ideologische Kritik oder Gegenposition mit dem Gewaltrisiko zugleich zu überhöhen und zu verschieben. Und da ist mir lieber, ich höre einen wissenschaftlichen Gegner oder einen politischen Feind, auch den gibt es, als dass ich ihn durch seine Verhinderer kennen lerne. Kenne ich diesen Feind, kann es sein, dass ich auch versuche ihn fern zu halten.

Und hier beginnt die Diskussion um Zensur und politische Korrektheit.

 

Jüdischer Einspruch XII:wir sind keine Minderheit

Zunächst einige Absätze des sehr reflektierten Journalisten Richard Chaim Schneider aus Tel Aviv. Zu seinem Widerspruch dann weiter unten eine deprimierte Meinung:

Ein Kommentar von Richard C. Schneider

„Diese lächerlichen Mahnwachen vor Synagogen“

Immer dasselbe: Erst werden Juden attackiert, dann wird getrauert – spart euch eure Rituale! Richard C. Schneider erklärt, warum er als Jude nicht mehr in Deutschland leben will.

  1. Oktober 2019 DIE ZEIT Nr. 43/2019, 17. Oktober 2019 1.444 Kommentare

Als mich die Nachrichten aus Halle erreichten, war ich gerade in Paris. Ich saß bei einer jüdischen Freundin zu Hause. Es war Jom Kippur, und ich brach erst gar nicht zur Synagoge auf, da ich davon ausging, dass man sich auch in Paris, wie mittlerweile fast überall in Europa, aus Sicherheitsgründen vorher anmelden muss, wenn man als Nichtmitglied einer Gemeinde in eine Synagoge zum Gebet will. Jüdische Realität in Europa, 2019. …

…Seit Jahren warnen wir Juden vor den Entwicklungen. Und niemand hört uns zu. Wir warnen davor, dass Antisemitismus längst wieder salonfähig geworden ist, aber nur wenige glauben uns. Im Gegenteil, wir werden dann gern als „überempfindlich“ abgewertet. Doch Nichtjuden wollen selten einsehen, dass nur wir wirklich wissen, wie sich das Leben als Jude in Deutschland anfühlt. … Die Schamlosigkeit hat sich breitgemacht. Nicht nur bei Rechtsextremen und Neonazis, nicht nur bei rassistischen Linken, die in ihrem Hass auf Israel gerne antisemitische Klischees benutzen und nicht merken, dass sie keinen Deut besser sind als ihre NS-Vorfahren, von denen sie sich doch so gern unterscheiden möchten.

Der Antisemitismus ist längst wieder in der Mitte der Gesellschaft, nein, nicht „angekommen“, denn er war ja nie weg: Er ist einfach wieder hervorgekrochen aus seinen Löchern, er ist überall präsent, und wir sehen, lesen und hören ihn, egal, ob es sich um antisemitische Karikaturen, Klischeefotos oder Verschwörungstheorien in renommierten deutschen Tageszeitungen handelt, egal, ob in gepflegten Kreisen über die „Allmacht der jüdischen Lobby“ oder über unseren „unendlichen Reichtum“ fantasiert wird. Wir sind „die unbekannte Welt nebenan“, wie der Spiegel unlängst titelte, also auf keinen Fall Teil der deutschen Gesellschaft.

Man muss kein Jude sein, um zu wissen, was sich in Deutschland zusammenbraut

Bildungsbürger, Intellektuelle, Lehrer, die sich gern für vorurteilsfrei halten, glauben und reden denselben Unsinn wie der Attentäter von Halle. Lediglich sprachlich etwas gewählter und nicht mit der Absicht, am nächsten Tag loszuziehen und Juden in einer Synagoge oder sonst wo zu ermorden. Aber sie tun es inzwischen wieder laut und ohne Bedenken. Ob im Großraumwagen der Deutschen Bahn, in einem Restaurant oder in einem Buchladen. Und nur selten schreitet jemand ein, macht den Mund auf, sagt etwas. Ich habe das in den letzten Monaten und Jahren immer öfter erleben müssen.

…Als ich mich vor zweieinhalb Jahren entschied, unter anderem auch wegen des wachsenden Antisemitismus nach Israel zu ziehen, waren viele meiner nichtjüdischen Freunde entsetzt, hielten meine Entscheidung für überzogen. Ja, natürlich, es gebe Antisemitismus, das stritt niemand ab, aber so schlimm sei es ja nicht. Nur, wie schlimm muss es denn sein? Wie viele Juden müssen angegriffen, geprügelt oder gar getötet werden, damit die Mehrheitsgesellschaft endlich begreift? 6 Juden? 600, 6.000 oder gar: 6 Millionen?

Vieles von dem, was Schneider schreibt, geht mir täglich durch den Kopf. Nein, ich wandere nicht aus nach Israel, das hatte ich vage vor über 20 Jahren vor und wieder verworfen. Nein, ich bin nicht überzeugt davon, dass gleich die Mordzahlen steigen, wenn es schlimmer wird; aber es wird schlimmer werden.

Doch Nichtjuden wollen selten einsehen, dass nur wir wirklich wissen, wie sich das Leben als Jude in Deutschland anfühlt.“, schreibt Schneider. Das ist nicht richtig: viele nichtjüdische Menschen in Deutschland wissen um die Probleme sehr genau Bescheid, und viele jüdische Menschen sind blind, unempfindlich oder haben eine ganz andere Meinung zum Antisemitismus, der uns umgibt. Wir sind halt ganz normale Menschen…Aber natürlich nicht so normal, wenn es um bestimmte Aspekte unserer Vergangenheit geht, und die wird keineswegs nur durch die Shoah bestimmt, so wenig, wie der Antisemitismus erst mit ihr beginnt…es gibt ihn seit Jahrtausenden. Mit seinem letzten Satz macht Schneider einen komplizierten Fehler: „Wie viele Juden müssen angegriffen, geprügelt oder gar getötet werden, damit die Mehrheitsgesellschaft endlich begreift?“. Sind wir die Minderheitsgesellschaft? Sind wir dort, wo wir in den letzten Jahrzehnten gerade erreicht haben, dass es nicht mehr so ist: Deutsche und Juden, Mehrheit und Minderheit? Das „und“ war und ist antisemitisch im Kontext.  Wir sind Bestandteil dieser Gesellschaft, und die Mehrheiten und Minderheiten in ihr sind so vielfältig wie ihre sozialen, kulturellen und ökonomischen Strukturen sind, und ihre politischen Bandbreiten in den legitimen Korridoren. Was Schneider meint, ist wohl, dass wir anders sind, und andere Maßstäbe an unsere Sicherheit und unser Leben in dieser Gesellschaft anlegen. Aber dieses anders, das es ohne Zweifel nicht nur bei uns, sondern bei allen sozialen, ethnischen, religiösen…Gruppen gibt, ist kein grundsätzliches, sondern ein kontext- und situationsabhängiges, genauso wie in Israel.

Ich bin jüdisch und Teil der Mehrheitsgesellschaft. Die Antisemiten finden Gefallen daran, die Juden zur Minderheit zu machen, nicht nur um die Differenz hervorzuheben, sondern zu rechtfertigen was sie uns angetan haben und antun werden/wollen. Als Teil der Mehrheitsgesellschaft stelle ich mich ihnen entgegen und leisten Widerstand.

Das ist kein Widerspruch zu Hannah Arendts Meinung, wenn man als Jude angegriffen wird, müsse man sich als Jude wehren. Natürlich fühle ich jüdischer Mensch mich anders angegriffen als wenn ich mich politisch dagegen wehre, dass andere Gruppen angegriffen, weil der Angriff mir gilt. Andererseits gilt er der ganzen Gesellschaft, genau so,  wie wenn andere Gruppen oder Individuen angegriffen werden (nein, ich zähle sie jetzt nicht auf, denn die Angriffsflächen für die Rassisten, Xenophoben, religiösen Eiferer, Nationalisten, Sexisten etc. sind nicht eo einheitlich, wie man sich das wohl wünschen möchte…).

Es gibt Gefahren, die vom Antisemitismus ausgehen und z.T. Von den Sicherheitsorganen der Gesellschaft, die auch meine ist, vernachlässigt oder gar befördert werden. Oft sind die Ursprünge gar nicht antisemitisch, aber der Antisemitismus ist besonders geeignet, weitere Anhänger illegitimer Gewalt und Ausgrenzung zu finden, der Schoß bleibt wohl noch fruchtbar. Aber gerade dann muss ich Politik in diesem Staat machen.

(Ein Polizist vor der Synagoge ist da vielleicht ein falsches Signal?)

Schneider will da vielleicht nicht: aber versetzt uns hier in Deutschland in die potenzielle minoritäre Opferrolle. Die spielen wir nicht, und da spielen wir nicht mit.

 

Stellt mehr Flüchtlinge und Ausländer ein – Bahndebakel

Schmeisst den Vorstand der DB raus, nicht nur Pofalla.

Macht Mehdorn für diesen Schrottladen haftbar und fordert Schadenersatz.

Kauft ein neues Gebiss für die Fahrgastverbände.

Feuert alle unfähigen Disponenten und EntschuldigerInnen dieses Vereins.

Ich warte auf einen verspäteten ICE. 35 Minuten „Grund dafür ist ein technischer Defekt“. Bis der Zug kommt, andere Meldungen für andere Züge „Grund dafür ist verspätete Bereitstellung des Zuges“, „Grund dafür ist eine technische Überprüfung am Zug“. Im Zug dann „Die Geschwindigkeit unseres Zuges wird von 200 auf 160 km/h heruntergesetzt“. Sonst „Störungen im Betriebsablauf“.

Hab ich nichts besseres zu tun als mich über die Bahn zu beschweren. Nein. man würde sich ja freuen, wenn Züge an die Front verspätetet oder gar nicht führen. Aber sonst gibts wenig Grund zur Freude. Fahrpreiserstattung ist ja gut & schön, aber meine verlorene Lebenszeit, Terminkollisionen, Stress, – das alles ist den Leibeigenencharakteren des Bahnmanagements und Infrastrutkurpersonals gleichgültig. Prämien nur für Schaffner.

Die heutigen Ärgernisse waren die vierten in einer Woche. Der Infoschalter am Bahnhhof, umlagert, ahtte kurz entschlossen den Rolladen runtergelassen, wahrscheinlich suchte der einzige Mensch dort ein nicht verstopftes Klo. Bei einem andern Zug stand: „Der hintere Zugteil ist leer, die Wagen sind verschlossen“. Das freut die Stehplatzbesucher.

Mein Ärger verraucht, der Tag ist hin, aber was solls. Solange Scheuer im Amt und seine Vorgänger straffrei bleiben, sind wir im Reich der Freiheit noch nicht angekommen.

 

 

 

Finis terrae XX: Nichts tun. Tunix. Oder globaler Zwischenfaschismus

Ein schwieriger Blog. (Ich berichte eingangs, dass der fertige Text durch ein Versehen gelöscht wurde. Die Erinnerung muss korrigieren und erneut schreiben. Das ist gut so in Zeiten wegbrechender Gewissheiten).

Das Klimaziel – <2° C wird nicht erreicht. Unwiederbringlich wird diese bewohnbare Erde verschwinden. Die Dummköpfe, die noch immer die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie predigen, werden verstummt sein, wenn ihr Enkel längt um ihr Leben bangen. Der Dummheit wird kein Denkmal gesetzt, aber der Zorn der Enkel wird ihren Todeskampf nicht leichter machen. So viel steht fest.

Warum müssen dann in dieser schmalen Zeit zum Ende der Welt die bislang wenigen haltbaren Befestigungen unserer menschlichen Gesellschaften auch noch in Blut- und Gewaltorgien gefärbt werden. Die globalen Konflikte und die Beschränktheit der zunehmenden Zahl autoritärer Herrscher („Selbstherrscher“ hieß das einmal) lassen eine ungute Übergangszeit vor dem Schritt in den Abgrund erwarten. Keine Apokalypse, beileibe nicht, und keine Eschatologie kann da aushelfen. Ich zitiere auch keine Prophezeiungen oder Textstellen aus heiligen Büchern, die sind ja vergangen und gleichgültig.

Warum sind die Menschen (Gattungsmehrheit, nie alle, nie überall, aber verallgemeinerbar) so blöde? Erklärungen werden schon mal lauter und wenig geschliffen geliefert: die Evolution ist erschöpft, die Problem wachsen, aber wir können ihnen nicht mehr folgen und resignieren vor dem, das eintritt. (Also nicht die Frosch-Strategie, zu strampeln, bis wir wieder festeren Boden unter den Füßen haben; oder gerade die Froschstrategie, ohne an den Erfolg zu glauben (so zB. die deutsche GroKo mit ihrem Ziegenköddel-Klimapaketchen); oder die Eliten (nur wer im Überfluss lebt, imaginiert den Hunger Armen; oder ein spezieller Pöbel, der sich die Allüren der Oberschicht anmutet und nichts tut (Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist); oder die Eselstrategie, zwischen zwei Problemhaufen sich nicht entscheiden zu können und deshalb aufrecht zugrunde gehen, obwohl es bei richtiger Problemwahl eine Chance gegeben hätte, eine Chance, keine Sicherheit.

Ich denke, dass die erschöpfte Evolution noch die haltbarste Hypothese ist, aber es kann auch einen kontaminierten Mix aus mehreren Gründen für die Antwort geben.

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Auffällig oft wird in diesen Tagen Hölderlin zitiert, es „naht sich das Rettende auch“. Woher? Einzig plausible Begründung wäre, dass unsere Kapazität, uns als globale Spezies zu retten, plötzlich aus der lethargischen Destruktivität in ihr Gegenteil umschlüge. Das ist aber erkennbar unwahrscheinlich.

Vor dem Ende eine verheerende Endzeit anzukündigen, damit die Erlösung besser gefalle, ist ein altes Mittel der Jenseitsreligionen, den Abschied vom Leben zu versüßen: Brand, Mord, Vertreibung und Folter, das alles wird ein Ende haben, und dann, ja dann…Unsinn.

Tritt die angekündigte Endzeit ein, steigt die Hoffnung nicht, sie erodiert in eine moralische Gleichgültigkeit und praktische Barbarei. Wobei die Untaten der stärkeren Gewaltherrscher entsprechend größer, globaler sind als die der kleineren. Einen Orban kann man leichter aus dem Feld schlagen als einen Trump oder XI.

Wenn sich die Zukunft auf die Fortsetzung falscher Politik in die schlechte Unendlichkeit fortsetzt, dann ist das ein Argument für die Hypothese von der erschöpften Evolution (das Argument fehlt bei Hararis Homo Deus, der uns alt werden lässt, aber weder die Demenz noch die Unfähigkeit, aus der Reife Gewinn zu ziehen, hinreichend einbezieht).

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Die deutsche Jugend steht positiv zur Demokratie, aber sie traut der Politik (den Politikern) nicht (zu), die Probleme der Gesellschaft zu lösen. Das ist nicht unlogisch. Die Sensibilität für die Generationenfrage verlangt nach einem Regimechange. (D.h., dass auch brauchbare Erfahrung meiner Generation für die Future of Fridays diskreditiert ist, kein Bündnis in Sicht?). Sie verlangt auch nach anderen Mitteln, wohlgemerkt: der Demokratie, nicht nur dieser allerdings.  Implizit steht die gesellschaftliche Gewaltdrohung immer dort an, wo die Untätigkeit x Unfähigkeit der Regierenden so evident ist, dass die oben beschriebenen Probleme – Klima & Krieg – nicht angegriffen werden. Werden sie aber angegriffen – nicht, in dem man Fliegen um 10€ teurer macht oder Zufahren um 5€ billiger – werden sie ernsthaft angegriffen, bedeutet das Verzicht und Umdenken für alle, auf der materiellen Ebene ganz sicher wieder zulasten der Ärmeren. Davor schrecken die Sozialdemokraten zurück, die AfD Nazis profitieren davon, die Konservativen vermitteln. Das wird es auch bedeuten, wenn man nichts tut, aber viel brachialer und schmerzhafter. Aber so weit denken die meisten Menschen nicht in die Zukunft, weil ihnen das Schicksal ihrer Kinder und Enkel tatsächlich meist scheissegal ist. (Caveat: das gilt für so viele, dass ich verallgemeinere, wohl wissend, dass für mich nicht gilt und viele andere auch nicht…aber nehmen wir die Argumente der Kohlekumpel als ein Beispiel, dann wisst ihr, was ich meine). Anders gesagt, gegen die Parteiprogramme der alten Linken: Unsere Kinder können es nicht besser haben, unsere Enkel fechten es nicht aus, es sei denn…

Vor dem richtigen Handeln kommt die Politik, vor der Politik die Demokratie, vor der Demokratie die Einsicht, dass zumutbare Veränderungen unserer Lebenswelt nicht durch einfache Absagen an das System zu erzielen sind, also auch nicht durch seine Zerstörung – wie das die Nazis und Bolsonaros und Erdögans etc. gern hätten. Sie müssen verhandelt werden, also: Umdenken.

Einwurf meiner Kritiker und früherer Blogs: haben dann die Verfechter von Erziehungsdiktatur, incl. Herbert Marcuse, nicht doch recht, und muss man die notwendigen Maßnahmen nicht erzwingen, wo zum ausdiskutieren keine Zeit bleibt, und sei es mit Gewalt?

Selbst wenn wir uns alle mit guten Gründen für eine negative Antwort entscheiden: wie lauten die Alternativen?

*

Ich sagte oben: Klima & Krieg seinen die Wurzeln aller anderen globalen Probleme. Ein Fest für Ableitungsexperten und Ordnungsfanatiker. Um ans Klima heranzukommen, sollten wir die Krieger bekämpfen, wenn es sein muss, mit Gewalt.  Solange die Krieger nicht fürchten, ihre Macht zu verlieren, kommen nur unbrauchbare Placebos aus der Klimapolitik. Das haben z.B. die Rüstungsexportgespräche gegenüber den Mörderregimen Türkei oder Saudi Arabien deutlich gezeigt. Und da dürfen uns die Arbeitsplätze bei Krupp-Atlas, Heckler&Koch, Krauss Maffei etc. nicht stören.  Wir brauchen Menschen, die etwas anderes lernen und können, das Umschulen geht oft ganz fix, und natürlich: die Einkommen werden geringer, für alle dazu: dazu braucht man Sozialpolitik, hier reguliert der Markt nichts. Die Krieger sind stark und wirken in das hinein, was sie Volk nennen (meistens in Landsleute und Staatsbürger, das Volk, von dem das Recht ausgeht, gibt es in den meisten Fällen ja gerade noch nicht). Die blöden Fußballer, die zum Krieg salutieren, die deutschen Erdöganwähler und Ditib-Rattenfänger, um bei türkischen Beispielen zu bleiben, und beliebig viele andere,  das sind die Krieger – also, verallgemeinert, rund ums uns ganz viele zukunftslose Krieger.

Ich weiß, das klingt fatal nach retro, nach Polemos usw. Es ist nicht schwer, zu beweisen, dass der Kontext ein anderer ist, und ein anderes Wort gibt es nicht. Wenn sich die globalen Warlords auf die Geschichte berufen, dann finden sie immer frühere Schuldige (davor drücken wir uns). Deshalb sagte ich: Umdenken um radikale Praxis zu ermöglichen steht vor der Durchsetzung der großen Schmerzen.

Das kann sich überschneiden und geht nicht rein. Kann nicht rein funktionieren, weil es zu viele berechtigte Ansprüche an das gute Leben gibt. Endzeit-Governance. Darum machen wir Politik (im Kleinen: Das Bienen-Volksbegehren und die Ansprüche der Landwirtschaft; im Großen: Russland-Iran-Syrien-Türkei-Kurden-USA…haben England und Frankreich eigentlich für Ihre Vorkriegspolitik bezahlt? Nein, aber zur Konfliktanalyse braucht man die beiden…Das IST kompliziert, deshalb Bewusstsein, also Umdenken. Und dann, wenn wir schon beim Öl sind, kommen wir doch ganz schnell zum Klima.

  • Wir befinden uns in der Phase des Zwischenfaschismus. Dessen eines Ende ist die Klimakatastrophe, bei der es gleichgültig ist, welche Macht sich behauptet. Das andere Ende wäre die Befreiung. Die beginnt bei uns mit der Befreiung von der AfD und den Identitären, in Österreich von der FPÖ, in Ungarn von Fidesz, in Polen von PiS. Und von den Metastasen dieser Bewegungen in anderen Parteien und Politikfeldern. Dazu brauchen bei uns die Grünen Verbündete in anderen Lagern, und überall analog. Sozusagen kosmopolitische Rettungsbündnisse.
  • Beim Umdenken gibt es keine Kompromisse, sowenig wie bei den Maßnahmen, deren Wirksamkeit wir schon kennen. Die daraus entspringenden Forderungen müssen durchgesetzt werden, wenn nötig mit Verboten und staatlicher Gewalt. Die zu akzeptieren ist Bestandteil eines Umdenkens, das zu Verhandlungen führt, im öffentlichen Raum. (Zieht einmal Konsequenzen: https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/deutsche-bahn-warum-der-traum-vom-schlafwagen-in-deutschland-wohl-nicht-so-bald-wahr-wird/25108692.html?utm_source=pocket-newtab)
  • Demokratie ist es nicht, wenn über Maßnahmen abgestimmt wird, bevor man ihre Wirkung absehen kann (Brexit…10€ CO2…). Damit dieser Prozess nicht hinausgeschoben wird, bedarf es allerdings starken Drucks. In dieser Phase steht die Ethik der Gewalt(androhung) auf dem Prüfstand. Die Herausforderung, dies nicht nur in der eigenen Gesellschaft, sondern transnational zu gestalten, ist gewaltig. Vielleicht agieren wir vergeblich. Das ist auch nicht schlimmer als unterlassen.

Liebe Blogleserinnen und Blogleser. Nehmen Sie das so weit ernst, dass Sie mir eine Liste der Maßnahmen schicken, deren Wirkung wir schon kennen.Ich stelle sie zusammen und veröffentliche sie als Update hier. Danke.

OHNE MIT, bitte

(https://www.general-anzeiger-bonn.de/bonn/stadt-bonn/bonner-polizei-bewacht-synagoge-rund-um-die-uhr_aid-46416039)

Bonns Oberbürgermeister Ashok Sridharan erklärte: „Das Attentat auf die Synagoge in Halle erfüllt mich mit Abscheu und mit Trauer um die Toten. Ich weiß, dass ich im Namen der ganzen Stadt spreche, wenn ich Ihnen, den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern in Bonn, versichere, dass wir an Ihrer Seite stehen und uns Ihnen zutiefst verbunden fühlen.“

 

https://www.welt.de › Regionales › Bayern :

Welle der Solidarität mit jüdischen Mitbürgern

Nach der antisemitischen Gewalt in Halle zeigen sich viele Bayern solidarisch mit ihren jüdischen Mitbürgern.

https://www.sonntag-sachsen.de/bischof-rentzing-zeigt-solidaritaet-mit-opfern-und-juedischen-mitbuergern (20191010) :

Bischof Rentzing zeigt Solidarität mit Opfern und jüdischen Mitbürgern

 

Bischof Rentzing zeigt Solidarität mit Opfern und jüdischen Mitbürgern. Er fordert: Gefahren des Rechtsextremismus klar beim Namen nennen.

Ausgerechnet Rentzing: er tritt wegen rechtsradikaler Meinungen zurück: https://www.tagesschau.de/investigativ/bischof-rentzing-101.html

FÄLLT EUCH/IHNEN AN DIESEN TITELN ETWAS AUF?

Wir sind MIT-Bürger, MIT-Bürgerinnen. Ist ja wohl gut gemeint, diese Bekundung von Solidarität. Aber dieses MIT ist zutiefst falsch, war es immer schon. Mit wem sind wir Bürgerinnen und Bürger? Mit den „deutschen“ Bürgerinnen und Bürgern, mit den Einheimischen, mit den Staatsbürgern anderer Staatsangehörigkeit…So harmlos, das kleine Vorwörtchen – nicht wahr? Mitbürger sein, heisst akzeptiert sein von denen, die selbstverständlich hier sind. Wir sind hier um mit denen zu leben, die ohnedies hier sind.

Ich habe mich jahrelang über das UND bei Deutsche UND Juden aufgeregt. Zu Recht, wie ich denke. Es ist der oft gut gemeinte, oft gehässige Trennstrich entlang von Grenzen: ethnischen, politischen, sozialen und religiösen. (Auch wenn es nicht so scheint, wäre aus christlicher Sicht Christen und Juden leichter zu ertragen, schon bei den Israelis müsste man sagen: jüdische Israelis und jüdische Deutsche; oder staatsbürgerlich Israelis und Deutsche).

Wer einige weitere Argumente dazu lesen will: Rund um uns Millionen Nichtjuden. Vortrag am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt Universität zu Berlin am 25.6.1996 (kann ich aktivieren).

Mir ist sonst sehr zum Kalauern mit dieser Sprachflapse zumute, heute und aus dem Anlass von Halle nicht. Wir sind also Mitbürger. (Ein Gast zum Abendessen ist doch kein Mitesser im Kontrast zu den Familienmitgliedern, die immer hier essen, und wir sind auch keine Gäste, – und entgegen modischer Diversion sind wir durchaus integriert in eine Gesellschaft, in der wir uns gar nicht von Deutschen unterscheiden können, weil wir welche sind. (In der Mehrzahl. Die jüdische Minderheit anderer Staatsbürgerschaft würde ja nicht als Mitbürgertum bezeichnet). Nun reden all die solidarischen und gutmeinenden Sympathisanten ja gar nicht von Staatsbürgern. Die Konstruktion der Bürgergesellschaft besteht aus „Gruppen“, denen in unterschiedlichem Maß die Bürgerqualität zugesprochen wird, und Mit- ist pejorativ, abwertend (Vorsicht: bei Mitschülern heißt „Mit-„ einfach auch…aber „auch Bürger“ würde die Abwertung ja offenkundig machen).

Ein Vergleich: Toleranz ist eine Tugend. Wenn die Mächtigen, die Herrschenden sie ausüben, ist das aber etwas anderes als übten sie die Schwachen, die Unterlegenen, die Ausgegrenzten aus.

Wann wird der Mitbürger zum Bürger, die Mitbürgerin zur Bürgerin?

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Bin ich zu empfindlich. Typisch jüdische Haarspalterei. Ja, ich bin da sehr empfindlich, weil ein Vorfall – das Attentat – unbewusst ausgenutzt wird, um andere Botschaften im Subtext mit unterzubringen.

Jüdischer Einspruch XIa: wir sind nicht 9/11 – und es gibt keine Zeitenwende

Halle ist kein 9/11.

Literaturempfehlung und Medien: Süddeutsche Zeitung vom 11.10., DLF 10.10. und 11.10., vor allem Markus Pindur. Vor allem auch Hajo Funke https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/das-kann-niemand-dulden-100.html sowie https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/antisemitischer-anschlag-in-halle-gastbeitrag-von-max-czollek-a-1290955.html

Fortsetzung von gestern. Sehr jüdischer Einspruch.

Zunächst eine Korrektur: gestern hatte ich Steinmeier mit seinem Rekurs auf die deutsche Geschichte kritisch zitiert. Am Abend habe ich ihn dann bei einer jüdischen Festveranstaltung gehört, und da war er wie ausgewechselt: seine Wut gegen den Attentäter und dessen Umfeld war angemessen, das war nicht jene Betroffenheit, die alle zu jedem Thema empfinden können. Das war konkrete, ich nenne es „gesellschaftliche“ Wut, die ja vor dem Art. 20 des Grundgesetzes steht und den Feinden der Demokratie zu gelten hat.

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Das Umfeld des Täters – virtuell, digital, kommunikativ, – stellt andere Beziehungen zu den Opfern her als die konfrontative Gewalt in ihrer Unmittelbarkeit. Außerdem gibt es einen anderen Bezug von Sprache, Sinn und Handlung. Funke sagt zu Recht: Sicherheitsorgane UND Öffentlichkeit sind gefragt. Die Polizei, der Verfassungsschutz haben bei NSU und leider auch danach bewiesen, dass sie keineswegs geschlossen gegen die Extremisten andenken und handeln wollen (mein böses Wort von den rechtsextremen Vorfeldorganisationen in Teilen halte ich aufrecht, trotz spontan gewandelter Sprache und neuen Absichten, aus dem Hause Seehofer u.a.). Mich aber bewegt die Öffentlichkeit:

Die Empfänglichkeit für die Hassbotschaften ist nicht einfach aus der Omnipräsenz der digitalen Medien abzuleiten. Die Urheberschaft der Hatespeech und Fakenews muss ja aus dem Unbewussten der autoritären Subtexte und Denkstrukturen, wohl auch aus dem unreflektierten Gefühlshaushalt in die Sprache und das Bild kommen, bevor sie von dort „objektiv“ zurückkommen und millionenfach „geteilt“ werden.

Die Frage, ob jüdische Menschen in Deutschland sicher leben können, ist so fragwürdig falsch wie das Wiederaufkommen des Hinweises: solltet ihr nicht doch nach Israel auswandern? Da sagte eine mutige Stimme gestern, so nebenbei gäbe es ja auch in Israel Terrorismus…damit wird aber ein anderes Problem nicht nur berührt: auch wenn es Hass und Angriffe gegen jüdische Menschen in Deutschland gibt, geht es doch nicht nur gegen „Juden“ (Ihr wisst, warum ich „Juden nur in „“ setze…). Es bestätigt sich meine These, dass die identifizierten,  sozusagen festgenagelten Juden auch ein Produkt des Antisemitismus sind, genauer auch der Antisemiten – und die zielen ja nur exemplarisch auf jüdische Menschen, sie zielen auf alle solidarischen und kommunikativen Menschen, über denen es eben keine ausgewählte Rasse mit Herrschaftsanspruch geben darf.

Nein, wir dürfen nicht fliehen, denn bekanntlich setzt der Feind nach und wir haben ihn im Rücken.

Nein, wer eine Kippa tragen will, soll sie tragen, wo immer er will (das gilt für das Kopftuch bei Frauen genauso, manche Muslime haben das offiziell so verstanden, und es geht nicht um die Vollverschleierung).  Nur tragen halt viele jüdische Menschen, auch religiöse, die Kippa nicht oder selten.

Das Problem ist nur marginal zu lösen, wenn Synagogen und jüdische Einrichtungen geschützt werden, auch bei Restaurants und Geschäften mit erkennbar jüdischem Personal ist das nicht viel anders. Das Problem ist die behauptete Erkennbarkeit „der Juden“ (der „Araber“, der „Schwulen“ etc.) und die Fähigkeit, sie zu erkennen, die aus dem längst unbewusst gebunkerten Tatwissen ans Tageslicht kommt, durch vieles provoziert und bereitwillig angewandt. Oder anders: der Antisemitismus ist nicht neu, er verwendet nur andere Vehikel zu seiner Mobilität und Ausbreitung.

Wir brauchen kein Coming out. Es gibt Situationen, da spreche ich mit meiner jüdischen Stimme, andere Situationen verlangen andere Eigenschaft. Jüdisch kann wichtig sein, dominant, aber es nicht ausschließlich. Kein Mensch ist ausschließlich jüdisch. Kein jüdischer Mensch kann seine anderen Eigenheit aufs „Jüdische“ reduzieren. Das scheint mir ein Problem zu sein, wenn Deutsche durchaus ihren lebensweltlichen Pluralismus ausleben – sozusagen intern ethnopluralistisch sind – aber auf den Juden in seiner Singularität – Eine wie alle, „alle Juden sind…“ – hinweisen (noch schlimmer, wenn dann der Jude schon Opfer ist, bevor der Diskurs historisch renoviert wird).

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Halle ist kein 9/11. Nein seit vorgestern  ist keine Zeitenwende eingetreten, es ist „nicht alles anders“, wie mehrere Stimmen sagen. Es ist nur deutlich geworden, dass es zuviele gibt, die nicht wollen, dass wir in diese Gesellschaft so integriert sind wie andere Menschen, fast möchte ich sagen: wie alle. Aber das stimmt nicht: die Mörder und die Schreibtischtäter, deutsch oder nicht, begeben sich selbst ihrer Würde, und dann sind sie unsere Gegner und wir müssen ihnen Widerstand entgegenbringen, obwohl sie unter uns sind.

Jüdischer Einspruch XI: Yom Kippur 5780

Nicht schon wieder Opfer.

Das Schema passt zu schön. „Die Juden“ dürfen nicht (schon) wieder Opfer werden. Das ist der Tenor vieler Stellungnahmen nach dem Mord von Halle.

Anmerkung für meine Leser*innen: „Die Juden“ immer in „“ bei mir, weil ich mich gegen die Ontologisierung einer ethnisch, kulturell, religiös durchaus uneinheitlich entwickelten sozialen Gruppe wende, und getreu meiner Buchthese Der Antisemitismus macht Juden (2006) nur das Attribut oder Adverb jüdisch gebrauche. Dem allgemeinen Diskurs folgend, muss ich hier von „Juden“ sprechen.

Für Ent-Schuldung und Entschuldigung ist es bequem, aus dem zunehmend wahrgenommenen Antisemitismus die Opfer-Rolle den Juden zuzuweisen, weil man sie dann schützen kann und der Anlass – Antisemitismus – hinter der Schutzpolitik zurücktritt.

Es ist ja gut, dass wir endlich wahrnehmen, wieviel antijüdischer Diskurs und wieviel praktischer Antisemitismus rund ums ist und sich entwickelt hat. Dass diese späte Wahrnehmung, noch nach den NSU Morden und den vielen tätlichen Angriffen auch ein Hinweis darauf ist, dass es sich bei ethnischen und religiösen (und sozialen, und kulturellen, und psychologischen) Opfer-Zuschreibungen immer auch darum handelt, dass das wahrnehmende Subjekt die Deutschen sind. Womit man einerseits sich in die Definitionsbestrebungen der Höckes oder der Staatsbürgerschafts-Interpreten oder der Historiker in vielfältigen Kontexten einfügt, was dann oft (nicht bei Höcke) schwierig zu dekonstruieren ist. Welche Deutschen sprechen mit welcher Legitimation von der Besonderen Verpflichtung gegenüber den Juden, also den Nachkommen der Opfer aus der Shoah oder als einer sozialen Gruppe, die nie wieder Opfer werden soll. Was indirekt, und das hat sich nach Halle schon im Subtext angedeutet, dass es möglich wäre, jüdische Menschen in Deutschland als latente oder potenzielle Opfer zu platzieren. Hier? Bei uns? Ungläubig bis empört, die Reaktion. Besserer Schutz wird gefordert –  ein flexibler Begriff. Ja, eine Synagoge zu bewachen ist nicht so schwierig, oder das Jüdische Museum oder eine jüdische Einrichtung. Aber die nicht als solche erkennbaren jüdischen Menschen zu schützen, würde bedeuten, sie vor den Auswirkungen des Antisemitismus zu schützen. Oder diesen selbst bekämpfen. Ersteres ist einfacher, aber auch nicht wirklich einfach. Die Auswirkungen des Antisemitismus kann man eng fassen: er richtet sich gegen „die Juden“ (siehe oben). Es gibt hier Überschneidungen zur Israelkritik aus Antisemitismus, und da wiederum Überschneidungen mit dem arabischen Antijudaismus, auch bei uns. Man kann sie auch weit fassen, dann geht dieser Antisemitismus in die Textur der wichtigen Diskurse unserer Gesellschaft ein, richtet sich nicht mehr gegen Menschen, sondern gegen eine Gesellschaft, die „diesen Juden“ nicht wehrt oder ihnen einen Platz in unserer Gesellschaft gibt, gewährt. Womit logisch die Gesellschaft selbst als Objekt unseres Nachdenkens wird, in dem „die Juden“ für einige –  die aktiven Antisemiten – eine präfigurierte Rolle spielen. (Das ist etwa ein Tenor der Berichterstattungen zu Halle am Tag danach). Kampf gegen den Antisemitismus: das setzt voraus, dass wir seine Wurzeln, Ursachen, und seine pertinente Nachhaltigkeit verstehen. Und ess hätte im besten Fall zur Konsequenz, dass der Erfolg daran gemessen werden kann, dass es immer weniger „Juden“ gibt (keinesfalls jüdische Menschen, Kultur, Kommunikation). Denn solange wir dem Antisemitismus überlassen, letztlich die Juden zu identifizieren, haben wir ein wichtiges Kampfmittel aus der Hand gegeben. Die AfD solidarisiert sich mit den jüdischen Opfern von Halle oder ihrer Gemeinschaft. (DLF 12.30). Das schiebt die Diskussion auf die Auswirkungen.

Ich brauche nicht weiter auszuführen, was diese Politik für Folgen hat: man lässt den Antisemitismus wo und wie er ist, es dürfen „nur“ bestimmte Handlungen nicht vorkommen. So umkleidet man sich selbst mit der Unschuldsvermutung, die wiederum gestattet, andere zu Opfern zu machen ohne selbst Täter zu werden.

Ich erinnere mich an meine Einlassungen zum Konflikt zwischen Martin Walser und Ignaz Bubis anlässlich der Paulskirchenrede (In Gänze: Universitas, 53. Jg., Dezember 1998, #630).  Walser würde heute diese Rede nicht mehr halten, vor allem seine Erklärungen, und ihm würde eher Unverständnis als Verharmlosung der Geschichte vorgeworfen. Weiter reicht die Beziehung zu heute, zu Halle, nicht direkt. Aber Walsers hartnäckige Beziehung der Täter und Opfer und der relativen Nähe oder Distanz zu den Opfern ist angezeigt zu diskutieren. Was mir damals gar noch nicht so aufgefallen ist wie 20 Jahre später: die jüdischen Menschen politisch und gesellschaftlich zu verengen auf die Schoah allein, und nicht diese als Produkt eines langwierigen und antisemitischen Prozesses (und nicht als ein „Entwicklung“) zu verstehen. Das verkleinert oder verharmlost die Schoah nicht, aber die ist ja kein Solitär der Geschichte, einmalig, aber nicht vereinzelt. Heute und schon gestern in den Medien wurde dauernd darauf verwiesen: „Angesichts der besonderen deutschen Geschichte…“ (Steinmeier: „In einem Land wie dem unseren…“). Das hilft, sich als deutscher Opferanwalt zu machen.

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Ich bitte alle, jetzt noch einmal weiter oben ein zweites Mal zu lesen: über die Auswirkungen des Antisemitismus zu denken, und zu analysieren, wie politisch und kritisch wir die Ursachen erkennen und erforschen und wissen können.

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Yom Kippur: ich bin versucht, nicht meine Überzeugung, sondern religionswissenschaftlich und -kritisch auszubreiten, was es mit diesem Tag auf sich hat. In einem ist die jüdische Religion aber eindeutig: um die Vergebung eines Gottes zu beten/bitten, macht nur Sinn, wenn sich zwischen den Menschen die Bedingungen der Versöhnung erfüllen. (Dazu braucht es keines Rituals). Wenn dies ernst genommen wird, dann hat der Mörder darauf aufmerksam gemacht, wie gering diese Bedingungen heute geachtet werden. Das stärkt die Antisemiten mehr als vieles andere und ermutigt weitere Gewalt. Wer will uns davor schützen?

Wenn nicht auch wir selbst.

Gut gestorben?

Vor Jahrzehnten, auf einer hochgelegenen Berghütte, plärrte das Radio, und verkündete den Tod von Herbert von Karajan (1908-1989). Ich erinnere mich, dass ich spontan sagte: Gott sei Dank. Laut, deutlich. Meine Begleiterin und einige Gäste starrten mich entsetzt, dann feindselig an. Mit einigen kam ich in eine Diskussion, und rechtfertigte meinen spontanen Ausbruch.

Karajan war ein Feind. Da ich auch familiäre Gründe hatte, ihn nicht zu mögen, zählten die die musikalische Größe und sein Ruhm als Dirigent und Festspielmaestro wenig.  Ich werde auch heute zu seiner von mir wenig geschätzten Kunst nichts sagen, obwohl ich mir da einiges Urteil zutraue. Ich würde überlegt, prämeditiert, niemandes Tod öffentlich so „begrüßen“, auch wenn mich dieses Ereignis, wenn schon nicht freut, so doch nichts bedauern lässt. Ist das richtig, moralisch wodurch gerechtfertigt, wo ist die Wahrheit?

Umweg. Immer wieder zitiere ich meinen Grundsatz – Es gibt keinen Tod, es gibt nur mich der stirbt (André Malraux).

Darin ist meisterhaft knapp die Tatsache festgeschrieben, dass der Tod eine Konstruktion ist. Geboren werden, leben, sterben ist wirklich.

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Attentate: bei welchen Attentaten reagieren wir mit Erleichterung, Sympathie, Abscheu, Gleichgültigkeit? Hier geht es um Tod, nicht darum, wie sich die letzten Augenblicke des Getöteten (also Gestorbenen) auf dieser Erde gestalten. Dieser Gedanken sind so wenig trivial, wie die aus dem Unbewussten ins Bewusste drängenden Wünsche, dass ein bestimmter Mensch sterben möge – um seinem Wirken ein Ende zu setzen, vom Tyrannenmord bis zum Widersacher aus Eifersucht.

Es handelt sich um psychische Emanationen, die sich, weil spontan und aus dem Unbewussten, nicht sofort um die Folgen eines gelungenen Attentats kümmern (können).  Wenn das zeitnah nachgeholt wird, tritt die Überlegung in eine andere gedankliche und politische Sphäre: was wäre, wenn … die Namen, die einem spontan einfallen, werden gereiht, in eine variable Hierarchie eingebracht, je nachdem, welche Information uns gerade aufregt. Ein Übeltäter in einer Demokratie, ein Gefährder unserer politischen Überzeugungen, nötigt uns andere Überlegungen auf, Trump oder Orban eher als Putin oder Xi (denn in einer Diktatur sind Attentate kein Anlass zu einem Systemwechsel). In einer Demokratie wird der meist charismatische Führer  ersetzt, fast wie durch die nachwachsenden Köpfe der lernäischen Hydra. Also braucht man sie nicht gleich beseitigen… Ja, wenn das alles so einfach wäre.

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Der Todeskult erzeugt Märtyrer oder eine schreckliche Erinnerungskultur; das kann man gut in Polen beobachten, aber auch bei uns, und nicht nur am „rechten“ Flügel. Todeskult („Patria o muerte“, zum Beispiel), ersetzt die Empathie und das Mitleid mit dem Sterben, mit dem unzeitigen Ableben von Menschen durch eine Zeitlosigkeit, die die Todeskonstruktionen zu einem wichtigen Instrument totalitärer Herrschaft machen. Denkmäler, Schulbücher, Schutz der als „heimatlich“ geprägten Gedenkpolitik. Auch ohne Attentat sterben Menschen oft gewaltsam. Aber die erzwungene Abdankung durch ein Attentat, durch Folter, oder durch Absaufen lassen im Mittelmeer, ist Teil einer Politik, die die Todeskonstruktion einer lebensnahen Praxis vorzieht.

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Auf den Tod des Generalbundesanwalts Siegfried Buback schreibt mein Freund Erich Fried: zitiert in einer langen Kritik von Walter Hinderer an Kritiker Sepp Binder gegen Erich Fried:

Der für den Zusammenhang entscheidende Kommentar steht in der sechsten Strophe: „Sein Tod wird helfen / das Denken / auf ihn abzulenken / und so zu verdecken das Unrecht / von dem dieser Mensch / nur ein Teil war / Schon darum / kann ich nicht ja sagen / zu seinem Tod / vor dem mir fast so sehr graut / wie vor seinem Leben.“ Diese dialektisch formulierte Aussage variiert die siebte und letzte Strophe: „Es wäre besser gewesen / so ein Mensch / wäre nicht so gestorben / Es wäre besser gewesen / ein Mensch / hätte nicht so gelebt.“

https://www.zeit.de/1980/51/von-der-unfaehigkeit-zu-lesen

Mir ist wichtig, auch mich daran zu erinnern, dass die Schmähkritik an Fried ihm unterstellte, er hätte geschrieben: „Es wäre besser gewesen / so ein Mensch / hätte nicht gelebt“. Der Kalauer lag den Fried-Gegnern, und nicht nur ihnen auf der Zunge. So ein Satz erinnert an die Folgen des spontanen Ausrufs: „Sieh da, sieh da, Timotheus, /die Kraniche des Ibykus“, nur eben in einem anderen Kontext. Fried soll einer Täterschaft geziehen werden, die er einem Toten nicht, sondern seinen Mördern nur teilweise zuspricht. Und noch etwas: vor dem Leben eines anderen Menschen darf, kann einem immer grauen; besser, man überlegt sich eine Rechtfertigung dazu.

Nur mit der Todeskonstruktion kann man so umgehen, der Vorgang des Sterbens, des das Leben Aushauchens, des Übergangs aus dem Leben, lässt sich so nicht fassen. Wo Tod gesagt wird, ist es nicht politisch, oder nur, wie ein Bild oder ein Gedicht politisch sein kann; Sterben ist dann politisch, wenn es durch Unrecht und zur Unzeit geschieht. Auch sterben lassen, im Mittelmeer, durch Hunger, Verdursten, durch Waffenlieferungen und unterlassene Hilfeleistung, ist politisch.

(Das müssen nicht nur klassische Schreibtischtäter sein.)

Wenn ein verhasster Mensch stirbt, löst das andere Gefühle aus als wenn ein geliebter oder geschätzter Mensch stirbt, jedenfalls, wenn er einem etwas sagt. Die meisten sterben, ohne uns irgendetwas zu sagen, und wir finden sie bestenfalls in den Statistiken wieder, die allerdings Auskunft geben über viele, die wir in die Todesursachen involviert sehen. So schließt sich ein Kreis, nur sage ich heute nicht mehr Gottseidank, oder vielleicht doch, wenn es aus dem Unbewussten kommt. Nur, mit dem kann man die Welt schlecht verändern.

 

 

 

 

Finis terrae XXX: Na vreme, s’ist Zeit

 

Nur ein Atemholen. Ihr kennt das alle.

Na vreme, so hieß vor längerer Zeit eine NGO, an der ich beteiligt war. Es ist an der Zeit.

Das sagen uns auch alle, die in seriöseren Medien zu den drei großen Problemen schreiben oder reden, die zum Überleben jedenfalls wichtig sind: Klima, Gewalt, Migration. Weltprobleme, für die es einen Winkel gibt, der Abtauchen, Verstecken oder auch nur Schatten erlaubt. Und es hat den Eindruck, dass in den Ländern, wo freie Medien noch existieren und beachtet werden, ein fragendes Erwachen vor sich ginge: da wird nicht nur argumentiert, sondern auch abgewogen und – es wird gesagt, was getan werden muss. In den meisten Gesellschaften, die unfrei sind, werden diese Themen mit der Politik von Opposition, Widerstand, und dem Nachweis, was denn so ein Problem die Agitierenden anginge, behandelt.

Das Muster ist ziemlich abwechslungsarm. Zunächst wird der Alarmzustand – Notstand – bestätigt und ausgemalt, meist handelt es sich jetzt ums Klima, vor ein paar Jahren waren es die Flüchtlinge, und der Krieg, die Gewalt, im nahen oder weiten Sinn, bricht thematisch immer wieder herein. Dann wird beschrieben, wer was gegen die drohende Gefahr unternehmen soll, will, kann. Wie groß das Risiko des Nichthandelns in Überschaubaren Zeiträumen ist. Warum das, was manche tun, falsch, was andere tun ungenügend ist, und wie es vielleicht richtig sein könnte.

Ekelhaft ist das Argument, wie wenig es der Erde hilft, wenn nur wir in Deutschland, ja nur wir in der EU, ja wir in den entwickelten Ländern etwas tun, wenn die Diktaturen und Zwangsherrschaften ohnedies weiter machen, was sie wollen. (So nach dem Motto, Gott soll doch die größten Sündern zuerst und besonders streng strafen…tut er aber nicht).

Auch ist die Dummheit, wie sie die Große Koalition in Deutschland praktiziert, nahe an diesem ekelhaften Argument. Beim Klima – viel machen, um niemandem weh zu tun. Was tönt aus den Lobbyetagen, die ja längst Minister und Abgeordnete in ihrem Sold haben: Arbeitsplätze erhalten, die Armen am Konsum nicht noch mehr zu benachteiligen, Investitionen nicht gefährden. Alle diese Argumente sind falsch.

Arbeitsplätze gehen durch eine neue Klimapolitik nicht verloren, es werden mehr und diverse gebraucht. Nur nicht in der Autoindustrie… na und? Wenn die Mobilität als bürgerliche Tugend so hochgeliebt wird, dann gibt es auch eine Mobilität bei Qualifikation und beruflicher Tätigkeit. Die Hochlohnkulaken der Braunkohleindustrie brauchen unsere Solidarität nicht.

Der Konsum ist ein Problem, was die Lebenswelt mit ihren Regeln und den Lebensstil mit seinen Präferenzen betrifft (und er ist ein Problem der Mehrheit, denn tatsächlich können nur die Bewohner der oberen Etagen der sozialen Struktur tatsächlich auf etwas verzichten, ohne weiteren Schaden anzurichten  –  das sind wir, und wir sind gar nicht so wenig). Da geht es in der Tat um Binnenflüge, Kreuzfahrten, SUVs, übertriebenen Fleischkonsum, um die Attitüden der Wegwerfgesellschaft, um andere Formen der sozialen Beteiligung an Gegenmaßnahmen gegen den Klimawandel… (Solidarität ist nicht ein Prinzip, das verordnet werden kann, sondern eine Tugend, die angeeignet und kommuniziert werden kann, praktisch).

Investitionen… dass ich nicht lache: es wurde in den vergangenen Jahren eben nicht investiert. So lange, wie Deutschland braucht, um eine Stromleitung von Nord nach Süd zu legen, so lange, wie Bahnhofsneubau braucht,  so unfähig, wie die Öffnung des Nahverkehrs sich gestaltet, so wenig, wie zur Wiederaufforstung getan wird, so gewaltig, wie nur die Rüstungsindustrie und der Todesexport nach Saudiarabien und anderen Diktaturen gefördert wird, kann man nicht von Investitionslenkung, sondern von Marktversagen sprechen.

Ich spreche nicht nur vom Klima. Die Flüchtlingsströme werden anwachsen, so oder so, und viele werden zu uns kommen… wenn nicht legal, dann illegal, und vielen Illegalen wird man dabei helfen müssen, anzukommen… Schleyerfahndung hin oder her. Die Gewalt anderswo hängt vielleicht doch mit unserem Leben hier zusammen? Der Faschist Bolsonaro ruiniert den Regenwald. Ja, aber auch, weil wegen des Sojaanbaus und des Fleischkonsums hier, bei uns. Der Verbrecher Trump ruiniert die Handelsbeziehungen und zugleich ökologische Technologien. Ja, aber auch weil wir viele der amerikanischen Produkte bewusstlos übernehmen, anstatt uns ihnen gegenüber zu positionieren. Von den Diktatoren erwarten wir jetzt einmal nichts. Von den Demokratien, von der EU sehr wohl.

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Wie? Kennen wir alles? Ja, in der ZEIT, im SPIEGEL, in der SZ…in den Kulturprogrammen ist das alles zu finden.  Und?  Wird schon weitergehen, und lieber kleine machbare Schritte zu unternehmen als gar nichts zu machen, seid schön brav, Thunberg-Follower (aber kopiert nicht ihre Anständigkeit und ihren Mut).

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In der Diskussion wird oft gefragt, wer auf wieviel verzichten muss, um bestimmte Ziele – sagen wir 1,5 Grad C – noch zu erreichen; wieviel an Demokratie wir opfern müssen, damit die richtige Politik umgesetzt werden kann; wie schlecht unser Leben sein wird, wenn wir tatsächlich beim Klima Erfolge haben werden. Die Frage ist berechtigt, aber unzureichend.

Für alle drei Probleme gilt: wer die sogenannte Schöpfung bewahren will, muss dafür sorgen, dass die Menschen so schnell wie möglich aus ihr verschwinden, sondern wird sie viele Arten und Erscheinungen einbüßen, bevor sie beginnt sich zu regenerieren. Wer an den Unsinn nicht glaubt, aber die Natur erhalten will, die auch unsere Lebensgrundlage ist, steht hier vor einem Dilemma insoweit, als es keine Politik, keine Handlung nicht geben darf. Finis terrae oder weiter leben. Dass und nicht wie.

So, wie die Klimakatstrophe die unabhängige Variable größter Dimension für das Überleben ist, und Krieg und Migration besonders wirksame intervenierende Faktoren sind, bleibt uns nur: selbst richtig zu handeln (wie zB. die Grünen jetzt beim Klimapaket) UND Druck auf die andern auszuüben. Das kann unangenehm werden.

Und noch eines: diejenigen, die jetzt um Arbeitsplätze, Märkte und Kooperation barmen, werden (Gott sei Dank, möchte man sagen) nicht mehr erleben, wie ihre Enkel ersticken oder ertrinken. Das kann man leider nicht umkehren.