Dobrindterwahnsinn

„Sie sind ja so klug, sie sollten sich auf die Verkehrsdebatte beschränken!“. So stutzte Herbert Wehner einen Abgeordneten, der sich in großer Politik versuchte, auf Normalmaß.

Nun wissen wir, dass Verkehr mit Umwelt zu tun hat, und dass die Bundesregierung in manchen Ressorts längst von Lobbys reglementiert wird. Dieselverbrecher in der Autoindustrie sind so schlimm wie die Kohlegangster. Unsere Kinder werden das ausbaden, wenn wir das noch überleben, unsere Enkel werden leiden; aber das ist ja den Lobbyzwergen in der Regierung gleichgültig, die fahren leichter in saubere Luft ihrer Ressorts (Wellness für Erstickende).

Zu Recht kritisieren EUROPAFREUNDE nicht nur das deutsche Gewicht innerhalb der EU, sondern vor allem die ANMAßUNG, alles zu verhindern, was  Brüssel gegen die Macht der Lobbys unternimmt.

Das gilt für andere Länder auch, nur haben die nicht so viel Macht.

Euroskeptiker werden die EU-Vorschläge zur stärkeren Regelung der Abgaswerte von Autos wahrscheinlich nicht zur Priorität machen.

Es bleibt ein deutsches Thema. Der Umweltminister aus Baden-Württemberg sagt heute, 25.4.2017, ganz deutlich, dass es in vielen Umweltbereichen zwar Richtlinien gibt, dass aber Länder ihre Regulierung verzögern. Nun hat wieder mal der kluge Herr Dobrindt die Agenda auf dem Tisch, gemeinsam mit der mächtigen Ministerin für Umwelt. Dem Volk ist das noch egal. Es steht lieber täglich im hunderte-Kilometer-Stau, und behauptet, mit hohen Abgaswerten seien seine Arbeitsplätze und die Freiheit zum Stau sicher.

Gegen den Dobrindterwahnsinn gibt es nur ein Medikament: Vernunft: die würde die deutschen Autos binnen eines Jahres umbauen.

Widerstand und Loyalität

Ich war schon versucht, meine unerfreuliche Finis-terrae-Serie zu unterbrechen und mich den hoffnungsvollen Entwicklungen zuzuwenden, z.B. den Europademonstrationen an jedem Sonntag um 14 Uhr. Aber nicht nur die Anschläge in Schweden und Deutschland, die irrsinnige Bombenlust des wahnsinnigen US Präsidenten, die heimtückische Mordallianz von Putin und Assad, die Unverfrorenheit des Erdögan und die Duldungsstarre unserer Regierung und der EU gegen die Übeltäter in Polen, Ungarn usw. lassen nicht zu, eine Art innenpolitisch-kultureller Selbstbeschränkung sich und mir aufzuerlegen.

Aber mir ist sarkastisch zumute. Ich bin fast physisch verärgert über einen Tsunami an Gesinnungen, hinter denen verantwortbare Praktiken zurückfallen, im Privaten wie im Öffentlichen. Womit ich in einer Falle bin, weil ich die Verantwortungsethik in der Politik aus einer Gesinnung heraus fordere, die auf Vernunft baut, aber natürlich nicht voraussetzungslos vernünftig ist. Dann lieber Short-cut:

  1. Widerstand gegen Schwachsinn als Einsatz

Vereinbarkeit von Ökonomie und Ökologie. Kommt darauf an, wer das sagt und was daraus gemacht wird.

Wegen einer Störung im Betriebsablauf gibt es eine Verspätung von X Minuten. Evidenter Blödsinn, er auch nicht mehr schadet als Weichenstörungen, Signalstörungen, fehlende Wagen. Ist der Zug, der kürzlich ohne zu Halten durchgefahren ist, eine Störung im Betriebsablauf.

Das sind Beispiele für harmlosen Schwachsinn. Widerstand aber ist angezeigt, wenn die Blödheit zum Prinzip wird: Freiheit und Sicherheit müssen in ein vertretbares Verhältnis gebracht werden. Das ist eine Zusammenfassung, ähnlich unsinnige Schablonen zur Grundlage hat, wie soviel Sicherheit wie nötig, soviel Freiheit wie möglich…. Unzählige Variationen dieses Satzes zwingen uns nach jedem Anschlag und nach jeder Gesetzesverschärfung das Verhältnis von F und S zu überdenken.

Nachweislich hat keine Gesetzesverschärfung besseren oder dauerhaften Schutz vor Gewalt gebracht, vor allem sind die Risiken gegen Terror und terroristische Gewalt nicht gesunken, weil die Angreifer die Versicherheitlichung der staatlichen und teilweise privaten Politik ausnützen. Zugleich hat die staatlich angeordnete und teilweise privat betriebene Überwachung unserer Lebenswelten ungeahnte Ausmaße angenommen. Sie trifft sich mit einem seit dreißig Jahren gesunkenen Bewusstsein für sensible Daten und den Schutz der Persönlichkeit – was im Übrigen eine massive Erneuerung unserer gesellschaftlichen Diskussion um Privatheit und Öffentlichkeit, res publica, bewirken sollte.

  1. Plädoyer für das unsichere Leben

Erstaunlich viele Intellektuelle und Kulturkritiker entdecken ein scheinbares Paradoxon: je unsinniger die offizielle Politik, die Rhetorik des „Establishments“ (nie ohne „“ à Trump!), die Wahlkämpfer aller Richtungen auf SICHERHEIT konzentrieren, desto unglaubwürdiger werden sie. GLEICHZEITIG – Das ist wichtig – bemerken wir eine neue POLITISERUNG der Jugend (von Kindheit an, behaupten gar einige kluge Beobachter), einen neuen Widerstand gegen die UNMITTELBARKEIT DER MACHT, die Sicherheit verspricht und Freiheiten einschränkt.

Erdögan scheint zu merken, dass sein dünner Wahlsieg auch 45% oder mehr an Opposition verspricht. Trumps verlogener Schwachsinn provoziert Widerstand bei den vom Staat stark abhängigen forschenden Wissenschaftler*innen.  Gegen den Abschiebungsunsinn der deutschen Innenminister und Ämter wehren sich nicht nur Ehrenamtliche.

DA ALLE POLITISCHEN HANDLUNGEN ZUNEHMEND MIT SICHERHEIT BEGRÜNDET WERDEN, IST DER WIDERSTAND GEGEN DIE VERSICHERHEITLICHUNG UNSERES LEBENS ZUGLEICH EIN PLÄDOYER FÜR UNSICHERES WEITERLEBEN, ALSO FÜR DIE FREIHEIT.

Nein, der Staat soll nicht aufhören, in Ausübung seines Gewaltmonopols uns, seine Bürger*innen zu schützen. Wenn er dazu aber die Rechte anderer Menschen missbraucht, um „uns sicherer“ zu machen, und dazu noch unsere Freiheiten einschränkt, verdient er ILLOYALITÄT.

Als nach dem Radikalenerlass die noch recht altdeutschen Gerichte die FDGO (Freiheitlich demokratische Grundordnung, für die jüngeren unter meinen Leser*innen) auslegten, da wurde immer gefordert, man dürfe nicht einfach gesetzes- und verfassungstreu aus kühler Distanz sein, man müsse engagiert und glaubwürdig zu den diktierten Werten stehen (die ohne das Diktat schon ganz annehmbar gewesen wären und bis heute sind).

Die Zeit blieb nicht stehen, Demokratie, Freizügigkeit und Grundrechte sind heute besser etabliert als damals, der Prozress des Widerstands und der Aufklärung ist ja nicht Ende. Aber zugleich wachsen nicht nur von rechts-außen, auch vom linken Rand und aus der sich selbst-verlierenden Mitte, Opposition gegen die Freiheit, weil man Angst hat, sie zu gebrauchen.

Ja, es gibt Terroristen und Wirtschaftsverbrecher und andere Gewalttäter. Ihre ideologischen und religiösen Wurzeln zu leugnen, wäre so dumm wie die negativen Auswirkungen unserer Wohlstandsverwahrlosung auf die ärmeren, die weniger arrivierten und erfolgreichen Schichten zu leugnen. Bei sogenannten Kulturskandalen kann man das besonders gut studieren, das wird bald ein neuer Blog. Nein, die besseren Umstände sind nie heile Welt gewesen, und werden es auch nicht.

Aber Freiheit bedeutet fast notwendig LEBEN IN UND MIT UNSICHERHEIT. Wer frei ist, exponiert sich. Denn jede Gewalttat, mit Hannah Arendt: jede Lüge, ist ein Angriff auf die Freiheit, nicht abstrakt, ganz konkret. LEBEN MIT UNSICHERHEIT heißt für uns, keine Freiheiten dafür preiszugeben, dass das Risiko, Opfer politischer Gewalt zu werden, um ein paar Promillepunkte fällt.

(Jetzt höre ich die Abschiebefanatiker schmunzeln: dann sei es ja nicht so schlimm, Afghan*innen in die Unsicherheit ihrer Heimat abzuschieben. Falsch: man schiebt sie ja in die UNFREIHEIT ab, und das bedeutet Sicherheit etwas anderes).

Es scheint, dass viele in der ZIVILGESELLSCHAFT dies so gut begriffen haben, dass die faschistischen und gewaltbereiten Machthaber, nicht nur in Russland und der Türkei, sondern auch in der EU, natürlich wissen, wieviel Widerstand, aber vor allem wieviel ILLOYALITÄT in ihren Gesellschaften gegenüber dem Staat bereist EXISTIERT. Sie wehren sich, mit unlauteren Mitteln. Sie polarisieren.

So ist es bei uns nicht. Ich sage auch nicht, dass es bei uns NOCH NICHT so weit sei. Aber ein paar Lehren aus der Vergangenheit wird man doch ziehen dürfen. Loyalität ist eine Tugend, die verdient werden will, nicht um den Preis uneinlösbarer Sicherheitsversprechen angeordnet.

 

 

 

INTERVENTIONSGESELLSCHAFT

In eigener Sache, und doch nicht. Seit 14 Jahren bin ich in und für Afghanistan tätig. Hunderte Seiten Tagebücher, mehrere Forschungsprojekte, mehr als 30 Veröffentlichungen, und eine starke persönlich Bindung an das Land, seine Menschen und das Thema haben einen ganz anständigen Teil meines Lebens geprägt. Dabei hat mich quer zu den Disziplinen am meisten interessiert, wie eine Intervention  die Gesellschaft des intervenierten Landes verändert und die der Intervenierenden dazu. Das hatte ich schon im Kosovo die Anthropologie von Interventionen genannt. Nun habe ich – nachdem ich aus Sicherheitsgründen selbst nicht mehr nach Afghanistan fahre und mich mehr mit den Flüchtlingen und der Diaspora hier in Deutschland befasse – eine Monographie abgeschlossen, die das Thema der INTERVENTIONSGESELLSCHAFT theoretisch fundiert und anhand von AFGHANISTAN verdeutlicht. Ein Essay, der sich nicht mehr um akademische Konkurrenz oder Reputation kümmern muss und einen vorläufigen Abschluss meiner Arbeiten zu Afghanistan bildet.

Im Juni wird das Buch vorgestellt, dazu werde ich noch gesondert einladen. Man kann das Buch ab sofort bestellen, es ist in englischer Sprache geschrieben, um auch in den angelsächsischen Ländern Verbreitung zu finden.

AUS DER ANKÜNDIGUNG DES BIS VERLAGS DER UNIVERSITÄT OLDENBURG:

„Militärische Interventionen aus humanitären Gründen sind ein Normalfall internationaler Politik. Oft sollen sie Frieden erzwingen, wo ein Staat nicht mehr in der Lage ist, seine Konflikte zu regulieren; häufig dienen sie auch der Auswechslung von Regierungen, Verfassungen oder dem Schutz von Minderheiten resp. ausgegrenzten Teilen der Bevölkerung. Ich spreche nicht von Eroberungskriegen oder Gewaltmaßnahmen zur Ausweitung der eigenen Einflusssphäre, obwohl solche
Interessen immer auch eine Rolle spielen. Interventionen sollen Konflikte in einem Land beenden oder einhegen. Aber sie bringen auch selbst Konflikte mit sich. Aus diesen entstehen neue Gesellschaftsformen, die ich INTERVENTIONSGESELLSCHAFTEN
nenne.“

Michael Daxner
A SOCIETY OF INTERVENTION
An Essay on Conflicts in Afghanistan
and other Military Interventions
BIS-Verlag
Oldenburg 2017
263 Seiten
ISBN 978-3-8142-2358-2
€ 22,80
BIS-Verlag
der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Postfach 2541
26015 Oldenburg
E-Mail: bisverlag@uni-oldenburg.de
Internet: http://www.bis-verlag.de
A SOCIETY OF INTERVENTION
EINE INTERVENTIONSGESELLSCHAFT
Michael Daxner
A SOCIETY OF INTERVENTION
An Essay on Conflicts in Afghanistan and other Military Interventions

Ein Essay über Konflikte in Afghanistan und
bei anderen militärischen Interventionen

Informationen über die offizielle Buchvorstellung schicken wir
Ihnen gerne per E-Mail zu.
Ihre Rezensionen und Bestellungen schicken Sie bitte an:

E-Mail: bisverlag@uni-oldenburg.de
Internet: http://www.bis-verlag.de

Erscheint im Juni 2017

Michael Daxner:
„Deutschland war an der Schaffung einer sehr typischen Interventionsgesellschaft im Kosovo beteiligt (ab 1999) und hat sich massiv an der Intervention in Afghanistan nach 2001 beteiligt. Damit übernimmt Deutschland Verantwortung und Haftung für das intervenierte Land. Deshalb ist es wichtig, zu wissen, was in der afghanischen Gesellschaft, aber auch bei uns geschieht, wenn wir uns an derartigen Interventionen beteiligen.
In Afghanistan können wir die verschiedenen Erscheinungsformen und Ausprägungen einer Interventionsgesellschaft besonders gut studieren. Die letzte Intervention, die dem Land hoffentlich eine stabile und friedliche Zukunft bringen wird, ist nicht die erste für dieses von Gewalt, Bürgerkrieg, Vertreibung, Flucht und Rückkehr gezeichnete arme Land. In meinem Essay beschreibe ich die Situation der GESELLSCHAFT, die in allen Teilen durch die Intervention betroffen und gezeichnet ist. Dazu entwickle ich ein Konzept von Interventionsgesellschaften, das ich dann für Afghanistan und andere Intervention umsetze. Nicht STAAT und Staatlichkeit interessieren mich dabei vorrangig, sondern das Entstehen einer neuen Form von Gesellschaft, an der die Intervenierenden ihren Anteil haben. Es ist eine Verschränkung und keine eindimensionale Herrschaft wie in Kolonialzeiten, obwohl die Machtverhältnisse natürlich nicht ausgeglichen sind.
Ich versuche unter anderem zu erklären, warum und wie eine neue Mittelschicht entsteht, die weder authentisch afghanisch noch importiert westlich ist, sondern eben „neu“ aus der Erfahrung von Gewalt und Krieg entsteht und sich von anderen Klassen, Eliten oben und Arme unten, absetzt. Dabei kommen Themen wie Urbanisierung, Säkularisierung und Widersprüche in der Kommunikation zur Sprache.
Ich nenne diesen Text einen Essay, weil er der Versuch ist, aus allen Disziplinen und Blickwinkeln zu argumentieren und sich nicht in eine fachliche Engführung pressen lässt. Es bleibt der Versuch, nach 14 Jahren Arbeit in Afghanistan und mit afghanischen Menschen eine Situation zu beschreiben, in der die gute Zukunft für das Land alles andere als gewiss ist.
Wenn militärische Interventionen den Aufbau eines neuen Staates begleiten, so können sie ihn doch niemals leisten, bestenfalls können sie helfen, das Gewaltmonopol dieses Staates zu festigen.
Auch die Entwicklungszusammenarbeit kann nur Beiträge leisten, aber einen solchen Staat nicht nach Plan befestigen. Eine friedliche Entwicklung kann es nur geben, wenn die Menschen für sie – nicht für uns! – gültige Antworten finden auf die Frage: Wie wollen wir leben? Ohne diese Antwort werden sie ihr Land verlassen oder wieder in Gewalt versinken.“

Aus dem Inhalt:
Es wird ein theoriegeleitetes und durch praktische Erfahrung angereichertes Konzept von Interventionsgesellschaften entwickelt. Dabei greift Daxner auf Forschungen im Zusammenhang mit der Langzeitstudie zu Sicherheit und Entwicklung des Sonderforschungsbereichs 700 an der Freien Universität Berlin zurück und baut auf jahrelange Vorarbeiten im Bereich der Konfliktforschung. Rückwirkungen von militärischen Interventionen auf die Diskurse zu Hause werden ebenfalls wieder aufgegriffen („Heimatdiskurs“).
Daran schließt sich die Frage, was die Intervention mit den Praktiken der Machtverteilung und Regierungsführung zu tun hat. Dabei geht es vor allem darum, die Anschlussstelle zwischen regelsetzenden Institutionen und der Lebenswelt der wirklichen Menschen, also der Bevölkerung, im Schatten der Intervention zu finden.
Ein großer Abschnitt zielt auf die neue Sozialstruktur; vor allem auf den Ersatz der alten Mittelschicht durch eine neue, junge, städtische Mittelklasse, die durchaus das Rückgrat gesellschaftlicher Erneuerung wird bilden können – oder aber den Rückzug in alte Strukturen antreten wird.
Es gibt keinen Bereich des Landes, in dem die Intervention nicht wirkt – sie hat die neue Gesellschaft tief imprägniert. Wir können das nur verstehen, wenn wir einen empathischen Blick auf die Lebensumstände der Menschen in Afghanistan werfen und ständig unsere Haftung als Mitglieder der Intervenierenden im Auge behalten.

Michael Daxner: A Society of Intervention
BIS-Verlag der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg | E-Mail: bisverlag@uni-oldenburg.de

ICH WERDE DIESEN BLOG SOFORT BEI ERSCHEINEN DES BUCHES AUF DEM MARKT AKTUALISIEREN. BESTELLEN UND REZENSIONSEXEMPLARE ANFORDERN KANN MAN JETZT SCHON.

Ich bitte auch Verrständnis dafür, dass einige Menschen diese Werbung mehrfach erhalten.