Was ist schon rechts…?

Mich ärgert vieles, das geht wohl vielen so; aber es kommt darauf, wie man reagiert. Nebbich. Was zur Zeit umgeht: man schaut und hört nicht hin, bei den wichtigen Sachen: da gibt es in Afghanistan eine Umweltkatastrophe, und Deutschland war an der Niederlage der afghanischen Demokratie beteiligt…jetzt wird das Ganze zur Naturkatastrophe zurückgestuft. Da steht die Ukraine am Rand eines Desasters im Krieg der Russen gegen dieses Land und Europa. Deutschland verspricht viel und liefert weniger oder zu spät . Da riskiert Israel seine Existenz durch eine untragbare Regierung Netanjahu, und wir reagieren schwach, die so genannte Staatsräson kann schlecht zwischen Nation, Staat, Regierung und Bevölkerung unterscheiden. Über all das kann man kritisch und analytisch, moralisch und genau, streiten.

Was man nicht sollte, ist wegschauen, weghören, Augen Ohren Mund zu und sich als humanistisches Affentrio gebärden. Selten war die politische Intelligenz der denkenden Zivilbevölkerung so herausgefordert angesichts mancher schwarzer Löcher im Koalitionsuniversum. DAS verfolgen die Menschen zwar intensiver, aber sie beurteilen es persönlich und nicht strukturell. Scholz, Lindner, Söder sind ja nur die Spitzen von Eisbergen, deren Unter-Welt schon die Menschen sind, mit und ohne Ehrentitel „BürgerInnen“.

Das ist keine abstrakte Morgenübung, ich zeigs an einem Beispiel, wie wichtig das ist. In den letzten Tagen wird die Presse geflutet von teilweise absurden, oft hetzerischen Kommentaren der rechtsradikalen Presse, z.B. Bild gegen das Professorenstatement. Das Problem ist, dass man sich dann mit einer möglichen Kritik zurückhält, um nicht die Falschen zu honorieren. Ähnlich bei den Kommentaren zu den Demonstrationen unter der Palästinaflagge, da ist es schon so, dass was immer man sagt, von einer Sektion mindestens als Angriff, antisemitisch, rassistisch, oder auch, bei der Gegenposition, proisraelisch, gar USAkonform usw. ausgegeben wird. Sachlichkeit würde, oft unangenehm, ausführliche Bewertungen erforderlich machen, und die wieder minimale Geschichtskenntnisse…

Vor 40 Jahren hätte ich das in die politische Erziehungswissenschaft, später in die Soziologie eingebaut. Zur Zeit, ich hatte behauptet, der Weltkrieg sei schon akut, zur Zeit also bleibt wenig Zeit, was nicht zur Oberflächlichkeit verführen darf. Aber vielleicht zu einer Nachdenkpause vor einem weiteren Statement.

(Früher hätten manche gesagt, das sei „didaktisch“. Kann es auch sein. Ich meine aber nur, dass der Kommentar, der keine praktischen Folgen hat und vor allem wenig Empathie für die Opfer der Politik zeigt, auch mal unterlassen werden kann. Verglei8cht die Kritik am israelischen Gazakurs mit der Analyse und Sympathie mit den Opfern vom 7. Oktober, dann wisst Ihr, was ich meine).

ORTSKRÄFTE IN AFGHANISTAN SCHÜTZEN – HERHOLEN UND UNTERSTÜTZEN!!!

LIEBE BLOG-LESERINNEN UND LESER!!! Sie lesen hier einen sehr dringenden Aufruf zur Unterstützung von Ortskräften in Afghanistan.

Initiative zur Unterstützung der Aufnahme afghanischer Ortskräfte


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Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan: Afghanische Ortskräfte in Sicherheit bringen!
Der Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan hat begonnen und soll voraussichtlich Anfang Juli
2021 beendet sein. Das Bundesverteidigungsministerium hat erklärt, dass es in der Abzugsphase zu
einer größeren Gefährdung der Soldatinnen und Soldaten kommen könne. Medien zitierten unter
Berufung auf einen vertraulichen Bericht des Auswärtigen Amtes und des
Bundesverteidigungsministeriums, dass die Bundesregierung eine weitere erhebliche
Verschlechterung der Sicherheitslage nach dem Abzug erwarte. Während die Truppe unter
verstärkten Sicherheitsvorkehrungen längst bei den Vorbereitungen zur Rückkehr ist, wachsen die
Befürchtungen der afghanischen Ortskräfte, die oft viele Jahre für die Bundeswehr, die deutsche
Polizeiausbildungsmission, diplomatische Missionen und die staatlichen Zwecke der
Entwicklungszusammenarbeit u.a. tätig waren – als Dolmetscherinnen und Dolmetscher,
qualifiziertes Fachpersonal, Wachleute und Hilfskräfte. Sie fürchten um ihre Sicherheit und ihr Leben

  • wie auch um das ihrer Familienangehörigen.
    Wir fordern eine unbürokratische und schnelle Aufnahme der Betroffenen in Deutschland parallel
    zum Abzug!
    Die Taliban haben immer wieder deutlich gemacht, dass sie diese Ortskräfte als Kollaborateure des
    Westens begreifen, die sie als Unterstützer eines militärischen Besatzungsregimes zur Verantwortung
    ziehen wollen. Über Anschläge auf und Morde an Ortskräften wird seit Jahren berichtet, u.a. aus
    britischen, deutschen und US-amerikanischen Quellen. Letztere berichten von etwa 300 getöteten
    US-Ortskräften. Viele Ortskräfte haben versucht, sich Bedrohungen durch Umzug in andere Regionen
    Afghanistans zu entziehen, was aber nur selten eine dauerhafte Lösung und das Ende der
    Gefährdung ist.
    Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hat Mitte April von einer tiefen
    Verpflichtung der Bundesrepublik gesprochen, die afghanischen Ortskräfte jetzt nicht schutzlos
    zurückzulassen. Zu befürchten ist aber: Genau das geschieht. Wer die effektive Aufnahme wirklich
    will, der kann in den verbleibenden Wochen nur eine unbürokratische Prozedur für all die Ortskräfte
    und ihre Angehörigen umsetzen, die für deutsche Stellen gearbeitet haben: Öffentliche Bekanntgabe
    des Aufnahmeprogramms, Registrierung, Vorbereitung der Ausreise, die möglichst geschehen muss,
    solange die Bundeswehr noch im Lande ist, ggf. Durchführung von Charterflügen.
    Der Verweis auf das bisherige Aufnahmeprogramm für afghanische Ortskräfte mit Abgabe einer
    individuellen Gefährdungsanzeige bei Vorgesetzten, in der nachgewiesen werden muss, dass für
    Bedrohungen durch die Taliban die Tätigkeit für deutsche Stellen entscheidend ist, ist angesichts der
    neuen Sicherheitslage nicht mehr zielführend. Das bisherige Verfahren ist viel zu zeitintensiv,
    insbesondere seit die Kapazitäten des deutschen Kontingentes im Lande mit dem beginnenden
    Abzug Woche für Woche schwinden.
    Seit 2013 wurden nach Zahlen des Verteidigungsministeriums knapp 800 Ortskräfte (plus
    Familienangehörige) in Deutschland aufgenommen, fast alle jedoch innerhalb eines kurzen
    Zeitraums, nachdem das Programm diese Chance eröffnet hatte. Zwischen 2014 und 2021 sind dann
    gerade einmal 15 zusätzliche Aufnahmen hinzugekommen – trotz einer in diesem Zeitraum immer
    weiter sich verschlechternden Sicherheitslage. Initiative zur Unterstützung der Aufnahme afghanischer Ortskräfte

2
Zügige Aufnahme statt untauglicher Vorschläge
Das Bundesinnenministerium verweist wenige Wochen vor dem Truppenabzug die Ortskräfte auf das
alte Prüfungsverfahren mit seinem bürokratischen Aufwand, was in der Kürze der Zeit nicht
praktikabel ist. So steht zu befürchten, dass es kein effektives Aufnahmeprogramm, sondern lediglich
ein Pseudo-Prüfungsprogramm geben wird. Der ehemalige Wehrbeauftragte des Bundestages
Reinhold Robbe hat schon vor Jahren den Umgang mit den Ortskräften als „beschämend“ und
„unwürdig“ bezeichnet (vgl. bundeswehr-journal v. 17.10.2014). Diese Diagnose gilt bis heute. Wer
seinen Dienst als Ortskraft vor mehr als zwei Jahren beendet hat, der soll von der Aufnahme in
Deutschland ausgeschlossen bleiben. Im Ernstfall werden sich die Verfolger bei den Taliban wohl
kaum an dieser Frist orientieren. Und noch nicht einmal die zuletzt beschäftigten ca. 500 Ortskräfte,
die nicht pro forma bereits wegen dieser Ausschlussregelung aus dem Programm herausfallen,
sollten sich darauf verlassen, dass aus der Ankündigung der Bundesverteidigungsministerin und guter
Absicht praktische Hilfe wird.
Ein Büro für afghanische Ortskräfte in Kabul und evtl. an einem anderen Ort, so das BMI, soll
eingerichtet werden, wo das umständliche Prüfungsverfahren zur Aufnahme stattfinden soll – als ob
man sich nicht in einem Land befände, in dem längst ein Großteil der Regionen nicht mehr von der
Regierung kontrolliert wird, Reisen riskant sind und selbst die deutsche Botschaft nur noch
eingeschränkt operieren kann. Zu befürchten ist, dass ein solches Büro für die Taliban ein
vorrangiges Anschlagsziel werden könnte, insbesondere wenn sich die Sicherheitslage weiter
verschärft.
Waren die Ortskräfte in den Jahren 2014/15, als der größte Teil derer nach Deutschland kamen, die
eine Aufnahmezusage erhalten hatten, eine Gruppe, die unter den Geflüchteten hierzulande oft
übersehen wurden, so haben sich in den Jahren danach Solidaritäts- und Unterstützungsstrukturen
herausgebildet, nicht zuletzt auch ein Patenschaftsnetzwerk der Bundeswehr. Denn auch dort
vertraten viele die Auffassung, dass denen, die die Einsatzrisiken mit deutschen Soldatinnen und
Soldaten geteilt hatten und ohne die insbesondere die Verständigung in Afghanistan kaum möglich
gewesen wäre, in bedrängter Situation geholfen werden müsse. Und für deren Integration wollte
man sich einsetzen.
Anlässlich der Vorstellung eines Buches der Bundeszentrale für Politische Bildung im Dezember 2019,
in dem die Rolle der afghanischen Ortskräfte dargestellt und gewürdigt wurde, brachte es einer der
Mitautoren des Buches und langjähriger Bundestagsabgeordneter auf den Punkt: “(…) die
Schlüsselrolle der afghanischen Ortskräfte: Ohne sie wäre der Einsatz unmöglich und von
vorneherein aussichtslos gewesen. Mit ihrem Dienst für deutsche Einsatzkräfte meinten viele, ihrem
Land am besten dienen zu können. Sie nahmen dafür hohe Belastungen und Risiken in Kauf. Dafür
gebührt ihnen von deutscher Politik und Gesellschaft Aufmerksamkeit, Dank, Anerkennung nicht nur
verbal (…) sondern auch praktisch. Wo Ortskräfte von sozialen und existenziellen Einsatzfolgen
betroffen sind, an Leib und Leben, oft zusammen mit ihren Familien, da steht die Bundesrepublik
Deutschland (…) in einer selbstverständlichen Fürsorgepflicht. Das ist ein Gebot der Verlässlichkeit,
der Glaubwürdigkeit und auch der politischen Klugheit.“
Ähnlich sehen es auch US-Militärs: Ex-US-General David Petraeus hat sich zusammen mit der
Nichtregierungsorganisation No One Left Behind Ende April in einem Brief an US-Außenminister Initiative zur Unterstützung der Aufnahme afghanischer Ortskräfte


3
Antony Blinken dafür eingesetzt, alle notwendigen Ressourcen aufzubieten, um die afghanischen
Ortskräfte aus Afghanistan herauszuholen, bevor die letzten US-Truppen das Land verlassen.
Zwar haben einige andere Truppenstellerstaaten, die z.T. schon vor langer Zeit aus Afghanistan
abgezogen sind, ihre Fürsorgepflicht für die Ortskräfte ebenso verstanden und einigen „ihrer“
Ortskräfte Aufnahme gewährt. Demgegenüber waren andere Staaten zögerlich und stehen nun
ebenfalls, wie die Bundesrepublik, vor der Situation, von Absichtserklärungen, die nicht eingelöst
wurden, zu wirksamen Verfahren zu kommen. Jetzt, wo der vorzeitige und bedingungslose Abzug der
US-Armee wie des deutschen Kontingentes die Risiken dramatisch erhöht hat, wäre ein anständiges
und großzügiges Verhalten der Bundesregierung mehr denn je nötig. Wie sollten sonst diejenigen,
die Unterstützerinnen in gefährlicher Situation zurücklassen, künftig erwarten können, als verlässliche Partner in allen Bereichen der internationalen zivilen und militärischen Zusammenarbeit angesehen zu werden? Angesichts der akuten Bedrohung bisheriger Ortskräfte an Leib und Leben und bezugnehmend auf die Wertegebundenheit deutscher Krisenengagements (s. Leitlinien „Krisen verhindern“ der Bundesregierung 2017) erheben wir eindringlich die folgenden Forderungen: Zügige und unbürokratische Aufnahme afghanischer Ortskräfte und ihrer Familienangehörigen parallel zum laufenden Abzug des deutschen Kontingentes. Öffentliche Verbreitung von Informationen über ein zu diesem Zweck vereinfachtes Verfahren für (ehemalige) Ortskräfte in Afghanistan. Verzicht auf Prüfungsprozeduren, die in der Praxis weitgehend unmöglich oder für die Antragstellerinnen unzumutbar sind.
Verzicht auf Ausschlusskriterien, die der Realität nicht gerecht werden, wie die Beschränkung auf
Personen, die in den letzten zwei Jahren als Ortskräfte tätig waren.
Berlin, 11.05.2021
Erstunterzeichnende
• Prof. Dr. Michael Daxner, Berater des afghanischen Hochschulministers 2003-2006, Leiter des
Afghanistan-Projekts im SFB 700 FU Berlin bis 2018
• Bernd Mesovic, Mitarbeiter von PRO ASYL a.D.
• Winfried Nachtwei, MdB a.D.
• Thomas Ruttig, Afghanistan-Analyst, UNSMA/UNAMA 2000-03, Stellv. des EUSondergesandten für Afghanistan 2003/04Initiative zur Unterstützung der Aufnahme afghanischer Ortskräfte


4
• Pfr. Albrecht Bähr, Sprecher der Geschäftsführung der Arbeitsgemeinschaft Diakonie in
Rheinland-Pfalz
• Prof. Dr. Ingeborg Baldauf, Afghanistan-Forscherin an der Humboldt-Universität zu Berlin
• Dr. Hans-Peter Bartels, MdB 1998-2015, Wehrbeauftragter 2015-20
• bee4change e.V., Hamburg
• Hannah Birkenkötter, Mitglied des Bundesvorstandes der Deutschen Gesellschaft für die
Vereinten Nationen
• Prof. Dr. Thorsten Bonacker, Zentrum für Konfliktforschung, Philipps-Universität Marburg
• Eberhard Brecht, MdB und Mitglied des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für die
Vereinten Nationen
• Dr. Doris Buddenberg, Leiterin des UNODC-Büros Afghanistan 2004-06
• Hans-Jörg Deleré, Neustadt-Pelzerhaken, DIPL.Bau-Ing. Straßenbau, als Sohn eines deutschen
Beraters des afgh. Ministeriums für Öffentl. Arbeiten in Kabul aufgewachsen (1951-57) und
2006-09 im Auftrag der GIZ und des AA in Afghanistan tätig
• Bernhard Drescher, Oberstleutnant a.D., Bundesvorsitzender Bund Deutscher
EinsatzVeteranen e.V.
• Detlef Dzembritzki, MdB i.R., Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten
Nationen
• Stefan Feller, Senior Adviser Auswärtiges Amt zur Kleinwaffenkontrolle, Leiter
Polizeiabteilung im Rat der EU 2008-12, Leitender Polizeiberater des Generalsekretärs der
Vereinten Nationen 2013-17
• Botschafter a.D. Dr. Karl Fischer, Stabschef United Nations Assistance Mission in Afghanistan
2001-04
• Marga Flader, für Afghanistan-Schulen e.V.
• Freundeskreis Afghanistan e.V., der seit 1982 Selbsthilfeinitiativen im Land fördert
• Alexander Gunther Friedrich, UN Executive Secretary (rtd)
• Thomas Gebauer, Mitglied im Kuratorium der stiftung medico international
• Rainer L. Glatz, Generalleutnant a.D., Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der
Bundeswehr 2009-13
• Kristóf Gosztonyi, Forscher und Berater internat. Organisationen in Afghanistan, z.Zt. Univ.
Osnabrück
• Angelika Graf MdB a.D., Ehrenvorsitzende der SPD-Arbeitsgemeinschaft 60 plus, Vorsitzende
des Vereins „Gesicht zeigen – Rosenheimer Bündnis gegen rechts“ und Ombudsperson der
Hilfsorganisation HELP
• Antje Grawe, UNAMA 2006, 2008-10 und 2018/19
• Marcus Grotian, Erster Vorsitzender Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte
• Heike Hänsel, MdB und Mitglied des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten
Nationen
• Matthias Heimer, Militärgeneraldekan, Leiter des Evangelischen Kirchenamtes für die
Bundeswehr
• Generalleutnant a.D. Norbert van Heyst, 3. Kommandeur der International Security
Assistance Force (ISAF) in Kabul von 10.02. – 11.08.2003
• Dr. Haschmat Hossaini, Literatur- und Sprachwissenschaftler (Iranistik), Berlin
• Prof. Dr. Klaus Hüfner, Präsident a.D., Deutsche UNESCO-Kommission
• Dr. Margret Johannsen, Senior Research Fellow am Institut für Friedensforschung und
Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH)
• Jürgen Kanne, 2. Vorsitzender Afghanic e.V.
• Hans Peter von Kirchbach, General a.D. und ehem. Generalinspekteur der Bundeswehr
• Dr. Anne Koch, Forschungsgruppe Globale Fragen, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin
• Susanne Koelbl, Journalistin „Der Spiegel“, Initiatorin des Poetry Project mit afghanischen
FlüchtlingenInitiative zur Unterstützung der Aufnahme afghanischer Ortskräfte


5
• Tom Koenigs, MdB i.R., UN-Sondergesandter für Afghanistan 2006-07
• Karin Kortmann, Vize-Präsidentin des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZDK)
• Gerald Knaus, Gründungsvorsitzender European Stability Initiative (ESI), Wien/Berlin
• Prof. Dr. rer.pol. Dr. h. c. theol. Klaus Leisinger
• Dr. Kerstin Leitner, Beigeordnete Generaldirektorin, WHO, Genf
• Dr. Thomas Loy, Oriental Institute, Czech Academy of Sciences, Prag
• Daniel Lücking, Redakteur ND.Der Tag, Offizier ISAF Kunduz/Masar-e-Sharif, 2005-08
• Klaus Ludwig, Bundespolizeibeamter a.D., langjährige Erfahrung am Flughafen Ffm; seit 2016
ehrenamtliches Engagement in der Betreuung afgh. Flüchtlinge
• Eckhard Maurer, Kriminalhauptkommissar i.R., Garbsen, leitete 10 Jahre lang khyberchild e.V.
mit Projekten in Afghanistan
• Kerstin Müller, MdB 1994-2013, Staatsministerin im Auswärtigen Amt 2002-05
• Botschafter a.D. Bernd Mützelburg, Leiter Abteilung Außen- und Sicherheitspolitik im
Bundeskanzleramt 2002-05, Sonderbeauftragter des Auswärtigen Amtes für Afghanistan und
Pakistan 2009-10
• Nanette Nadolski, Marketing- und Kommunikationsberaterin u. Afghanistan-Netzwerk bei
matteo e.V., Weichs
• Prof. Dr. Sönke Neitzel, Universität Potsdam
• Dr. Hannah Neumann, MdEP
• Prof. Dr. Christine Nölle-Karimi, Wien, Stellvertretende Direktorin, Institut für Iranistik,
Österreichische Akademie der Wissenschaften
• Karin Nordmeyer, Präsidiumsmitglied der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen
• Dr. med. Thomas Nowotny, Arzt, Stephanskirchen, Initiator http://www.change.org\nodeportation
• Johannes Pflug, MdB i.R., stellv. Sprecher für Außenpolitik der SPD-Bundestagsfraktion sowie
Vorsitzender der SPD Task Force Afghanistan/Pakistan 2009-13
• Maximilian Pichl, Wissenschaftl. Mitarbeiter am Fachbereich
Rechtswissenschaft Goethe-Universität Frankfurt am Main
• Ruprecht Polenz, MdB 1994-2013, Vors. des Auswärtigen Ausschusses 2005-13
• Nadia Qani, Inhaberin des kultursensiblen Pflegedienstes in Frankfurt/Main und Autorin
• General a.D. Egon Ramms, Oberbefehlshaber Allied Joint Force Command der NATO in
Brunssum 2007-10
• Generalleutnant a.D. Friedrich Riechmann, erster Befehlshaber des
Einsatzführungskommandos der Bundeswehr 2001-04
• Reinhold Robbe,MdB 1994-2005, Wehrbeauftragter 2005-10
• Dr. Lutz Rzehak, Privatdozent, Zentralasien-Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin
• Narwan Sayed, Hamburg
• Klaus-Hermann Scharf, Vorsitzender Fachbereich Zivile Beschäftigte im Bundesvorstand des
Deutschen BundeswehrVerbandes
• Niklas Schenck, Autor und Filmemacher
• Prof. Dr. Conrad Schetter, Professor für Friedens- und Konfliktforschung, Universität Bonn,
und Direktor des Bonn International Center for Conversion (BICC)
• General a.D. Wolfgang Schneiderhan, 14. Generalinspekteur der Bundeswehr 2002-09
• Wolfgang Schomburg, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof und den UN-Tribunalen für
das frühere Jugoslawien und Ruanda
• Georg Schramm, Kabarettist (ZDF-Sendung „Neues aus der Anstalt“)
• Ulrike Schultz, Journalistin, Mitarbeiterin der Hanns-Seidel-Stiftung Islamabad und Kabul
2001-09
• Dr. Hans-Ulrich Seidt, Deutscher Botschafter in Afghanistan 2006-08
• Dr. Anja Seiffert, Bundeswehr-Forscherin, Leiterin für die sozialwissenschaftliche Begleitung
des Afghanistaneinsatzes seit 2009
• Kava Spartak, Berlin
• Dr. Rainald Steck, Deutscher Botschafter in Afghanistan, 2004-06
• Andrea Thies, European Police Mission in Afghanistan, 2008-15Initiative zur Unterstützung der Aufnahme afghanischer Ortskräfte


6
• Uwe Trittmann, Studienleiter Evangelische Akademie Villigst / Berlin (Villigster AfghanistanTagung)
• Verband afghanischer Organisation in Deutschland e.V., Berlin
• Dr. Kira Vinke, Sprecherin des Beirats Zivile Krisenprävention und Friedensförderung der
Bundesregierung
• Dieter Wehe, Inspekteur der Polizei NRW (2002-15) a.D., Vorsitzender der Bund-Länder
Arbeitsgruppe Internat. Polizeimissionen (AG IPM) 2002 -20
• Thomas Wiegold, Journalist, Berlin
• Dr. Almut Wieland-Karimi, Leiterin des Landesbüros Afghanistan der Friedrich-Ebert-Stiftung
2002-05
• Kathrin Willemsen, Unterstützer:innen-Initiative Oranienburg
• Ronja von Wurmb-Seibel, Autorin und Filmemacherin
• Oberstleutnant Andre Wüstner, Bundesvorsitzender des Deutschen BundeswehrVerbandes
• YAAR e.V., Berlin
• ZAN e.V., Frankfurt am Main
• Massieh Zare, Bremen
• Prof. Dr. Christoph Zöpel, MdB a.D., Staatsminister im Auswärtigen Amt, 1999-2002

Stand 13.5.2021, 18:00

WIR HABEN DIES AN DIE ZUSTÄNDIGEN MINISTERIEN UND PARLAMENTARISCHEN STELLEN GESCHICKT UND DIE MEDIEN INFORMIERT:

MELDUNG IM DEUTSCHLANDFUNK HEUTE UM 9:30 an ERSTER STELLE:

Nach dem Beginn des internationalen Truppenabzugs aus Afghanistan wächst die Sorge um den Schutz der afghanischen Ortskräfte.

Afghanen, die als Dolmetscher, Wachleute oder Helfer unter anderem für die Bundeswehr tätig gewesen seien, fürchteten um ihre Sicherheit und ihr Leben, heißt es in einem Offenen Brief an die Bundesregierung, der dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“ vorliegt. Zu den Unterzeichnern gehören rund 80 frühere Diplomaten, Bundeswehr-Führungskräfte, Politiker und Wissenschaftler. Sie fordern, diese Menschen und ihre Familien zügig und unbürokratisch in Deutschland aufzunehmen. Bundesverteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer hatte in dieser Frage bereits eine unbürokratische Lösung zugesagt. Sie empfinde es als tiefe Verpflichtung, diese Menschen nicht schutzlos zurückzulassen, erklärte die CDU-Politikerin per Twitter.

Der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan hatte offiziell am 1. Mai begonnen und soll bis spätestens 11. September beendet sein. Bis dahin sollen alle internationalen Truppen das Land am Hindukusch verlassen haben.

Diese Nachricht wurde am 14.05.2021 im Programm Deutschlandfunk gesendet.

BITTE LEST AUCH

http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1694

UND ALLE AKTUELLEN MELDUNGEN BEI https://www.afghanistan-analysts.org/en/

Wir dürfen Afghanistan und den deutschen Anteil an der situation dort nicht vergessen. WEITERE INFORMATIONEN FOLGEN.

Wir, „Wir“ ? und die „Anderen“ ?

Es ist schon sehr begründungsbedürftig, warum es dem Bund in der Coronakrise binnen weniger Tage gelingt, mehr als 170.000 Urlauber aus allen Teilen der Welt heimzufliegen und es zugleich nicht gelingt, die Geflüchteten auf Lesbos aus ihrer unerträglichen Situation zu befreien und nach Deutschland zu holen“, sagt Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Sollte die Bundesregierung weiter untätig bleiben, will das Land in „eher Stunden als Tagen“ aktiv werden und gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen 500 bis 1.500 Menschen ausfliegen. 20.000 Geflüchtete sitzen aktuell auf Lesbos fest – unter unmenschlichsten Bedingungen. (Tagesspiegel online 31.3.2020)    

HÖRT NICHT AUF DAS ZU FORDERN – FLIEGT DIE FLÜCHTLINGE AUS LESBOS UND SAMOS AUS.

Das Verhalten Deutschlands ist alles andere als weitherzig und humanitär großzügig (die paar Kranken aus Italien und Frankreich zu versorgen ist gut – aber der Propagandawirbel um diese wenigen Maßnahmen entwertet sie angesichts dessen, was wir tun können und uns leisten können – keineswegs nur der Staat, auch Private und die Zivilgesellschaft, das oft beschworene „Wir“. .

<<Eigentlich wollte ich heute einen ganz anderen Blog schreiben, weit ab von Corona und der faschistoiden Machtergreifung von Viktor Orban und dem starren Schweigen der EU dazu…aber dann habe ich mich von der Aktualität selbst hinreissen lassen>>

Vieles ist ist unseren Nachbarländern und fast überall in der EU und fast weltweit ähnlich, fast nie eindeutig kopiert oder schlicht von außen aufgezwungen, und doch ist der Trend, sind die Zeitläufte nicht notwendig so, wie sie offenbar sind: eher zum Abbau von Demokratie, zur Einschränkung von Grundrechten und Freiheiten, zur Versammlung um Führer und Institutionen neigend als zum eigenen, verantwortungsbewussten und solidarischen Handeln. Nicht einfach der Staat wird wieder in eine mächtigere Position eingesetzt, sondern ein bestimmter Typus von Staat.

Dazu Yuval Harari: „Wer glaubt, dass Diktaturen besser mit dieser Art von Krisen umgehen können als Demokratien, liegt falsch. Das Gegenteil ist der Fall. Eine gut informierte Bevölkerung, die versteht, was getan werden muss und die mit den Behörden freiwillig kooperiert, ermöglicht eine viel effizientere Abwehr als eine schlecht informierte Bevölkerung, die von der Polizei überwacht werden muss. Man kann ja nicht in jede Wohnung einen Polizisten abkommandieren, der kontrolliert, ob man die Hände gut genug wäscht.“ (Handelsblatt 1.4.2020)

Ein kluger Freund vom andern Ende der Welt schreibt mir: Es sei festzustellen, dass „die autoritären Reflexe bei uns noch funktionieren und viele Mitmenschen gar nicht genug Staat bei der Lösung der Probleme haben können“. Es geht dabei nicht um den Rechtsstaat, den Sozialstaat, den Versorgungsstaat oder den Gewährleistungsstaat, sondern um den Anordnungsstaat. Es geht vielen darum, dass Verantwortung von den Menschen abgezogen und höheren Instanzen zugesprochen wird, wo nicht Gott – der sich beharrlich weigert zugunsten von Menschen einzugreifen – so doch denen, die scheinbar legitim anordnen dürfen, was man auch genauso gut und genauso schnell verhandeln hätte können. (Das wird bestritten, mit dem Argument, dass erst wenn autoritär durchgegriffen wird, die Leute parieren; dreht die Logik um, dann wird ein Schuh draus: wir – in der übergroßen Mehrheit – wir, fast alle, würden den wichtigsten Maßnahmen, Intensivmedizin – Kontaktbeschränkung, Abstandhalten, Hygiene, Quarantäne für Infizierte oder unklare Fälle – ohnedies folgen, wenn diese Maßnahmen nicht im Duktus und der Rhetorik der Ausnahme erfolgen würden, sondern eben Ergebnis dessen sind, was wir von einer Regierung erwarten dürfen – dass sie regiert und das wäre Normalität und nicht Ausnahme. Dafür, dass eine Regierung handelt, muss man weder dankbar sein, noch ein quid pro quo nach dem andern geben). Ist aber nicht so: die Regierung hat jahrelang nicht gehandelt (in der Seuchenprävention nachweislich nicht seit 2012), sie hat weder bei den Flüchtlingen noch den Renten verantwortungsbewusst gehandelt, sie hat aber die Grenzen geschlossen (nicht die deutsche Regierung allein…aus Brüssel kommt nur fast nichts einigendes mehr).

Also, nochmals klar: wir, das sind die, die sich aus Vernunft und Einsicht so verhalten, wie die Fachleute empfehlen und der Staat anordnet. Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit.

(Ich kanns nicht abdrucken, weil es zu lang ist, aber lest das nach: Gesine Palmer: Über die Einsicht in die Notwendigkeit. DLF https://www.deutschlandfunkkultur.de/ueber-die-einsicht-in-die-notwendigkeit.1005.de.html?dram:article_id=224662#top Ein Text von 2012).

Und wer sind die Anderen? Die Seehofers, Kurz‘, vor allem die Orbans und Kaczynskis, bei uns in Europa (ich rede jetzt nicht von den Irren und Diktatoren in anderen Weltgegenden). Nein, bei uns in Europa. Und damit auch in Deutschland. Ein ganz und gar nicht einfacher Gedanke: die, die oben vom Freund zitiert, nach dem Staat lechzen – unterwerfungssüchtig oder autoritär- und die, die dem Staat sein republikanisches Recht geben, zu regieren nach den Regeln der Demokratie, – sind zwei Gruppen, die bei gleichen Handlungen unterschiedlicher nicht sein könnten.

Wenn diese Krise – die Anlasskrise Corona – vorbei ist, fürchte ich, dass die Grenzen geschlossen bleiben, dass viele Einschränkungen von Rechten und Freiheiten weiter bestehen, und wenn die Flüchtlinge in Lesbos noch leben sollten, was wir wünschen, werden sie trotzdem im Elend des ungeschützten Verlassenseins von den Nationalisten in der EU behalten, als das Außen, das wir durch Schutz der Außengrenzen von uns, vom Innen fernhalten. Nochmals klar: ich sage nicht, dass ein Land alle Flüchtlinge aufnehmen muss, ich sage nicht, dass es nicht Regeln für die Rettung von Menschen geben muss, außer bei unmittelbarer lebensgefährlicher Not, ich sage nicht einmal, dass alle Geretteten bleiben müssen – Migration ist komplizierter – aber ich sage, dass die Menschenleben und ihre Verteilung auf alle Mitglieder der EU Vorrang vor allen nationalen Interessen, einschließlich des nationalen Vorrangs der Staatsbürger vor der Bürgerschaft in der EU, Citizenship, haben sollte. Bislang demonstriert man dies bei den LKWs, die sogar an der polnischen und ungarischen Grenze durchgewunken werden, um die Lieferketten nicht zu unterbrechen. 1994 hat Klaus Bade bei Beck das Manifest der 60: Deutschland und die Einwanderung herausgegeben. Seit damals spätestens kann niemand sagen, er wüsste nicht, worum es wirklich geht.

Die Ursachenkrise der EU ist auch eine Moral, der Kultur und der Menschlichkeit.

Wenn sich die meisten Reichen, Deutschland, Niederland, Österreich, gegen Eurobonds wehren, dann ist das hart an der Grenze von jener autoritären  Unterwerfung unter die Ökonomie, die bei denen, die ich oben als die Anderen bezeichnet habe, zur Unterwerfung unter den Staat führt. Wenn die Grenzen geschlossen bleiben, genauso.

Die Grenze zwischen Loyalität und Widerstand ist keine Berliner Mauer. Sie wird täglich neu gezogen.

Waffen zum Frühstück

Waffenfähige Chemikalien sollen aus Deutschland nach Syrien gelangt sein: Deutsche Konzerne waren während des laufenden Kriegs und trotz EU-Sanktionen am Export von waffenfähigen Chemikalien nach Syrien beteiligt. „Süddeutsche Zeitung“, Bayerischer Rundfunk und das Schweizer Tamedia-Medienhaus berichteten, der Essener Chemiegroßhändler Brenntag habe die Stoffe Isopropanol und Diethylamin an ein syrisches Pharmaunternehmen verkauft, das Verbindungen zum Regime von Syriens Machthaber Baschar al-Assad unterhalte. Die Staatsanwaltschaft Essen leitete nach Angaben einer Sprecherin ein Verfahren ein und prüft die Aufnahme von Ermittlungen. Zuvor hatten drei Nichtregierungsorganisationen Strafanzeige gestellt: die New Yorker Open Society Justice Initiative, das Berliner Syrian Archive und die Schweizer Organisation Trial International. Die Beteiligung deutscher Konzerne ist besonders brisant, weil 2014 zeitgleich syrische Chemiewaffenbestände in einer international koordinierten Aktion vernichtet wurden.
tagesschau.de, spiegel.de (Tagesspiegel online 26.6.2019)Das wundert mich nicht. Die deutsche Rüstungsindustrie, auch andere Wirtschaftszweige, kümmern sich nicht um Exportbeschränkungen oder gar um Politik. Ich wiederhole die alte Leier nicht, die wird bei jedem Anlass folgenlos im Bundestag gespielt, und die Lobbys sitzen derweil beim Business-Lunch.  Mir geht es vielmehr um die ja klassische Trennung von Staat und Wirtschaft, welch letztere der Gesellschaft zugeschlagen wird, und im so genannten liberalen System ja so sein muss.

Alles Blödsinn, denn natürlich heizt der Staat diese Exportwirtschaft für den Tod an, auch wenn er nicht offiziell in die Kriegshandlungen der anderen Staaten eingreift, siehe Saudi-Arabien. Und natürlich lässt sich die Waffenindustrie im weitesten Sinn, nicht nur Hardware, über jedes Dual-Use-Produkt, auch eine gehörige Subvention zukommen.

Was mich wundert: dass wir das alles wissen; dass es bestens belegt ist, durch Wissenschaft und durch aktuellen Journalismus; dass in den verschiedenen Friednescamps der demokratischen Parteien auch bekannt ist und diskutiert wird – heiß nur dort, wo die Frage Was tun? ernsthaft gestellt wird.

Ich habe zwei einander nicht verträgliche Ausblicke: der eine ist äußerst sensibel und nicht leicht zu vermitteln. Er verteidigt die staatliche Militärstrategie insoweit, als ihr Rückzug der Private Security Tür und Tor öffnete, jener unkontrollierten Gewaltarena, die ohnedies am Rand der legalen staatlichen Militärs immer breiter agiert. Das wäre, durchaus positiv und ohne Ironie, ein Plädoyer für den Vorrang des Politischen vor dem privat-militärischen und privat-wirtschaftlichen. Wir wissen, wie vielfältig und teils kriminell das durch die Beraterpolitik des Verteidigungsministeriums und durch die Lobbys unterlaufen wird. Weil natürlich Staat und Gesellschaft, Politik und Wirtschaft nicht entlang ethischer Linien zu trennen sind. Und auch deshalb exportieren wir munter weiter zur Kontinuität des Sterbens im Krieg beitragend. Lacht nicht: auch hier gibt es den linken Zuspruch zu einer arbeitsplatzverträglichen Strategie, und außerdem muss ja die eigene Bundeswehr auch ausgerüstet werden.

Der andere Ausblick: effektive Rüstungs- und vor allem Exportkontrolle ist nicht so schwierig, vor allem, wenn die Geheimdienste da mitspielen und nicht den Rechtsstaat unterlaufen. Der Nachteil für einige Wirtschaftszweige hält sich in Grenzen, aber natürlich gibt es ihn. Der Vorteil einer politisch stärkeren Position der eigenen Regierung liegt immer dort, wo man sich als Vermittler und neutral anbieten kann, ohne dass die eigenen Todesexporte einem an den Lippen kleben. Nun geht das selbstverständlich nicht ohne transnationale Politik, muss auch in der NATO so gehen, sollte in Europa Einigkeit produzieren – idealerweise gar nicht so gewaltiger Aufwand, aber schon: es muss etwas geschehen…nur bei dieser GroKo nicht einmal als Tagesordnungspunkt ernsthaft zu erwarten. Die Kaninchen können eine Schlange nicht erkennen und starren ins Leere. Nur: zu einer effektiven Politik gehören Verträge und Kontrollmechanismen, sie einzuhalten. Und da ist es natürlich prekär, den verrückten Rechtsbrecher Trump noch immer als Verbündeten zu behandeln. Die Außenpolitik darf hier nicht piepsen, sie muss sprechen, und sie hat etwas zu sagen. Aber dann muss sie natürlich auch die, die sich an Verträge halten, nicht weiter oder zusätzlich bestrafen.

*

Ich höre jetzt meine Kritiker aufseufzen, wie unterkomplex meine Argumente sind. Sind sie. Und wer zustimmt, kann so wenig wie ich sagen, wie man die Regierung, das Parlament und etliche der Lobbys davon überzeugt, eine effektive Rüstungsbeschränkung durchzusetzen, um dem auch von uns unterstützten Massensterben wenigstens ein wenig Einhalt zu gebieten.

Das ist nicht ganz so wenig, wie ich tiefstaple. Nicht nur im Nachhinein finde ich, dass seit den Ostermärschen vor 500 Jahren auch die Friedensbewegung unterkomplex war und teilweise, in ihren Residuen, noch ist. Was mich so früh am Tag bewegt, ist etwas anderes. Wir können uns nur auf den Frieden konzentrieren, wenn wir die richtigen Konfliktregulierungen politisch durchsetzen. Und da geschieht politisch zu wenig, da ist nicht nur die Wirtschaft noch zu weit entfernt davon, auch die Zivilgesellschaft betet lieber für den Frieden als dass sie sich auf die Konflikte einlässt, die anstehen: friedlich lässt sich Rüstungsbeschränkung wahrscheinlich nicht durchsetzen, wenn wir die Rahmenbedingungen nicht ändern. Das ist nicht komplex und passt auf eine Programmseite einer demokratischen Partei. Sozusagen eine Übertragung der Fridays for Future in diesen Bereich.

 

Ost – West, Nachtgedanken

Gebannt starren alle westlichen und etliche global verteilte Politiker auf den amerikanischen Machthaber. Wird er das Iran Abkommen für die USA kündigen und welche Strafen wird er den anderen Signataren – also uns – zukommen lassen, wenn wir weiter auf seiner Grundlage mit dem Iran umgehen?In zwei Stunden wissen wir mehr, deshalb dazu nur ein Kommentar über die Faszination, die dieser psychopathische, sexistische Wahlbetrüger auf uns im Westen ausübt. Er scheint noch schlimmer als Putin und Assad, er scheint auch schlimmer als Xi Jinping und Kim, er scheint schlimmer als alle anderen – weil er zum Westen gehört. Ich werde jetzt argumentieren, dass das nicht der Fall ist und wir den Konflikt suchen sollen. Aber Vorsicht: das kann wehtun.

Heute hat sich der Diktator Putin erneut krönen lassen. Er gehört einer politischen Kultur an, die wir jedenfalls auch dann nicht übernehmen, wenn wir dauerhafte und solide Verträge mit ihm schließen. Er erfüllt die Kriterien westlicher Tugenden so wenig wie Trump, aber aus anderen Gründen. Die werte, auf denen seine Politik beruht, sind nahe an der unmittelbaren Herrschaft, wie sie im Endeffekt Stalin oder Hitler ausgeübt hatten, er ist noch unterstützt von einer otlichen Kirche, die sich wie ein nationalistisches Verbrechersyndikat aufspielt. Dem Volk in Russland gefällts: so muss die Mehrheit für ihre (kurze) Lebenserwartung wenigstens keine Verantwortung übernehmen.

Trump hat sich in ein System hineingedrängt, unterstützt von allem, was der Westen zulässt oder nicht entschieden genug bekämpft. „White Trash“ ist ein Schmähwort, das ich nie proaktiv verwende, aber was es meint, sollten wir bedenken: die soziale Schicht, die gerade nicht abgehängt ist vom „System“, sondern zugleich Mitursache und Folge eben dieser kapitalistischen Variante von bruchreif geschossener Demokratie. Weil aber die USA, lang erprobt, innerhalb des Kapitalismus schon eine Gewaltenteilung und eine Menge von Freiheiten haben, die notwendig sind, um einem Volk immer wieder zu ermöglichen, sich als solches zu konstituieren, wären die USA mit ihrem Präsidenten ein nicht nur historisch verständlicher Verbündeter, sondern auch in einem Tugendkreis nachhaltiger Republik.

Sie aber nur ohne diesen Präsidenten, ohne seine Regierung und im Widerspruch zu seiner Politik. Der Westen sind wir, und er ist da nicht drin.

Ein ganz wichtiger Vergleich: auch Netanjahu, und schon gar Naftali Bennet, gehören da nicht dazu, aber Israel schon (dies auch gegen die linken Antisemiten gesagt). Netanjahu ist der schäbige Steigbügelhalter Trumps bei seinen irrationalen Aktionen. Aber Vorsicht, zum zweiten Mal: das entlastet natürlich die potenzielle Rolle des Iran gegenüber Israel und die reale Rolle des Iran im Libanon und in Syrien nicht. Nur: das wäre auch ohne Trump so. Und deshalb muss weiter verhandelt werden. Kein Vertrag, dessen konfliktreiche Folgen nicht wieder reguliert werden müssen.

Wenn Trump nicht zum Westen gehört, aber wir der Westen sind, dann kann man die Konfrontation suchen – und wird sie finden. Nicht mit Zöllen, wir sind ja keine Mikromanager veralteter Weltökonomie.  Nein: politisch müssen wir auf Trumps unlautere Ökonomie reagieren. Erster Schhritt: Visapflicht für US Staatsbürger. (ahc, das schadet unserem Tourismus? ich habe ja gesagt, dass die Konfrontation uns auch etwas kosten wird). Einladung von Trump-kritischen Kultur- und Umweltaktivist*innen (man kann ja Visa erteilen, oder sie ablehnen). Letzteres, ich muss es wiederholen:  absolut keine Einreise von Mitgliedern der NRA, und dauerhaftes Einreiseverbot für den neuen Präsidenten der NRA, den Verbrecher North (erinnert euch: Iran-Contra-Affäre). Da die USA ohnedies Visapflicht auch für uns haben, können wir jetzt dahin fahren, und vorsichtig – wir wissen, wie schnell die töten – Kultur und Politik vermitteln, wie wir das für richtig halten (wir sind ja Verbündete in der wertegemeinschaft der NATO, zum Beispiel).

Ja, und mit dem Iran muss weiter verhandelt werden. Und mit den andern auch.

Was wir nicht vergessen sollen: Die Mehrheit der Amerikaner hat Trump nicht gewählt; sie sind das am Westen, was wir vielleicht als tugendhafte Inspiration auffassen können – denkt an die Selbstheilungskräfte nach McCarthy, nach Vietnam, an die Proteste im Rahmen der Meinungs- und Pressefreiheit….dass da die „Andern“ da sind, die, die nicht abgehängt sind, sondern uns global abhängen wollen, können wir gar nicht vergessen, Trump erinnert uns daran.

*

Wozu ich das schreibe. Eine schnelle Fingerübung, zwei Stunden vor der Vertragsentscheidung durch den Trump. Ich bin aber kein Journalist, der/die könnte diesen ersten Teil viel besser und klarer schreiben. Aber ich habe halt keine Zeitung und keinen Chefredakteur zur Hand.

Jetzt zum Argument aus anderer Sicht. Die andere Sicht ist nicht „hoch“-wissenschaftlich, das wäre kein Widerspruch zum Journalismus. Die andere Sicht ist ein Selbstgespräch zum Zustand einer globalen Politik, die nicht weltbürgerlich, nicht international(istisch), nicht rational ist und stärker als seit langem auf den Gebrauch von Macht, nicht ihren Einsatz als ein Werkzeug zielt: auf illegitime Herrschaft.

Das ist unter anderem möglich geworden, weil die Werte und Tugenden, die wir mit dem Westen verbinden, eben schlruig und unachtsam Einzelpolitiken und -Interessen gewichen sind, manchmal geopfert wurden. MENSCHEN ERMÜDEN NICHT SO OHNE WEITERES AN DER DEMOKRATIE. Aber wenn sie an der fatigue de democracie erkrankt sind, dann fällt der nächste Stein. Und das gilt für die großen Akteure global, wie es für die vielen kleinen und weniger wichtigen gilt. Der schnelle linke Kurzschluss ist: so ist nun einmal der Kapitalismus (die letzten Tage zum Marx Geburtstag waren grässlich diesbezüglich). Der schnelle rechte Kurzschluss: das kommt davon, wenn man die Heimat aufgibt. Beiden gemeinsam, und von Trump bis Seehofer und von Putin bis Orban:  Angst verbreiten und Wirklichkeit ausblenden. Seehofer und Orban sind dumme Funzeln im Vergleich zu den Tyrannen, aber die Methoden brauchen keine Zaren – ich glaube Tucholsky hat einmal sinngemäß gesagt, die (Deutschen) – gilt für alle – möchten gerne hinter einem Schreibtisch sitzen, aber die meisten stehen davor. Übertragt das.

Wie wurde Hannah Arendt für die Banalität des Bösen gescholten. Die Banalität des Trump, die Banalität der 150 unerträglichen Regime und der Einbrüche in die Erträglichkeit beim Rest, diese Banalität wollen wir nicht: wir suchen noch Sinn in der Folter (u.a. Trumpregierung), im Unrecht (u.a. im System Putin), in der Unterdrückung (die Griechen sind selber schuld). Unsere Heimat wird immer mehr, wo Widerstand ist.

…so, und jetzt schau ich mir Trumps Entscheidung an…ich hab nicht drauf gewartet. Aber mit dem Iran müssen wir verhandeln.

21.00 Uhr:

NACHTGEDANKEN

Nicht das erste Mal. Jetzt Ohnmacht an sich festzustellen, wäre fast Desertion. Was ist geschehen: die Sichtbarkeit des Weltkriegs, in dem wir uns schon befinden, wird wieder ein Stück erhöht. Die lauteste und aufdringlichste Stimme ist Netanjahu: das wundert nicht, zeigt aber, wie schwierig das alles ist. Denn „der Westen“, d.h. der richtige, wir, haben den Iran an dieser Ebene nicht richtig verbindlich gefordert (auch was seine Rolle in Syrien und Jemen betrifft), und da spielen jetzt Bibi und sein Team mit den Ängsten der Israeli. Dass Netanjahu zugleich allen antisemitisch-antiisraelischen Ressentiments neue Nahrung gibt, ist eine Nebenwirkung. Also ist Macrons Position richtig, mit dem Iran weiter – längerfristig wirksam – zu verhandeln. Nur nicht aussteigen, wie der neue amerikanische Botschafter heute von der deutschen Wirtschaft verlangt hatte: da muss man hart bleiben, was aber die Konfliktsituation weiter verschärft.

Ausweglos? Alternativlos? Jede Situation im Krieg, für sich genommen, ist so.

Nur ist der Krieg keine Perlenschnur aus Situationen. Die Nachtgedanken sind die Inseln, in denen sich reflektieren lässt, was um uns schon geschieht, aber noch beobachtbar ist, weil wir gerade weder kämpfen noch angegriffen werden. Das trifft immer auf ganz viele zu, nur manche sind dauernd in der Feuerzone. Lest Bachmanns „Alle Tage“, immer wieder.

Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache
ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.

Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.

Er wird verliehen
für die Flucht von den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.

(1952)

Ich schreib dieses Gedicht immer wieder ab, ich komme von der Beschreibung des fortgesetzten Kriegs nicht los, weil der „Westen“ es ja besser schaffen hätte können, ihn zu verschieben als alle andern. Aber sie bleiben zusammen, globalisiert, der Schatten ewiger Rüstung fällt auf uns.

Aber jetzt rezitieren, ist der falsche Zeitpunkt. Jetzt geht es darum, dem Iran zu sagen, wo es lang geht (und nicht dem Trump). Dafür stehen die Chancen nicht schlecht, mit der Nichtachtung jeglichen Befehls können wir schon heute beginnen.

 

 

 

„Linker Frieden“ – Staatliche Gewalt

Man bekommt leicht Ärger, wenn man bestimmte Glaubenspositionen in Zweifel zieht. Eine bestimmte Form von Pazifismus bezeichnet sich selbst als links, und nimmt diese Marke als richtige Plattform für politische und moralische Aussagen für sich in Anspruch. Ich habe das immer bekämpft, weil der Anspruch eine Kontroverse provoziert, die unnötig, aber destruktiv ist: wer gegen die tatsächlich eingenommenen Positionen von „links“ ist, ist dann was? Rechts, konservativ, wenn es um Frieden geht gar militaristisch? (Ist man dann einr echter Militarist?)

Ein Beispiel für missverstandenes „links“ ist der Pazifismus selbst, dessen Geschichte eher eine von Gewalt und Gegengewalt ist. Ein Irrtum linker Rhetorik ist, dass die illegitime Gewalt immer in irgendeiner Form bewaffnet auftritt, und der Frieden ohne Waffen geschaffen werden muss/kann. Empirisch sind alle Befreiungsbewegungen auch mithilfe von Gewalt aufgetreten und erfolgreich/erfolglos gewesen, und nicht jedes illegitime Regime hat seine Herrschaft (bloß) auf Waffengewalt gestützt, oder (bloß) auf Folter und Gesinnungsterror, ebenso wenig wie die Befreiungsbewegungen auf diese Instrumente durchgängig verzichtet haben.

„Links“ bin ich selbst genug, um das sozialpolitisch, kulturpolitisch, ethisch hinlänglich zu begründen, stärker an Marx, Bourdieu, Hannah Arendt oder Bloch  orientiert als an irgendeiner so genannten sozialistischen Staatserfahrung. Aber Widerstand gegen falsche Politik, in diesem Fall gewaltsame Außenpolitik (bestimmte Interventionen) oder Innenpolitik (Abschiebungen von Geflüchteten) ist nicht links, auch nicht rechts. „Richtig“ wäre der Widerstand durch die übergeordneten Prinzipien zu beschreiben, die einem zu politischen Handeln bewegen, also aus der kommentierenden in die aktive Rolle bewegen. War Ghandi links? In gewissem Sinn nein. War der Vietcong pazifistisch? In gewissem Sinn ja. Das kann man erklären, analysieren usw. Worauf es mir ankommt, ist die Rhetorik und den rechthaberischen Duktus der richtigen Fraktion innerhalb politischer Bewegungen zu dekonstruieren.

Wie die Beispiele der Marx-Gedenkfeiern zeigen, gibt es bei „linken“ PolitikerInnen ein Unbehagen: Marx‘ Theorien seien nicht für Gräuel des Kommunismus verantwortlich (Wagenknecht), aber sie seien konstitutiv für die Sozialdemokratie (Nahles). Beides stimmt, hat aber mit links nichts zu tun. Links kann eine bestimmte Sozialpolitik sein, ein bestimmtes Gesetz, ein bestimmter Rechtsrahmen, wenn man links als generischen Begriff für Solidarität, Gerechtigkeit, Republikanismus und demokratische Verfahren versteht. Aber es gibt eine Menge von Herrschaftsformen, die das eine oder andere Produkt durchsetzen, das wir für richtig erachten, das aber keineswegs alle vier Bestimmungsstücke enthält. Und die müssen natürlich immer wieder aus den Konflikten und ihrer Regulierung neu entstehen. Womit wir beim „Frieden“ sind. Innerhalb meiner eigenen politischen Gruppe strebe ich immer an, Frieden nicht als existenzielles Ziel oder eine Vision anzusehen, sondern als temporäres und bestenfalls zeitweise nachhaltiges Produkt von Konfliktregulierung. Die kann, muss aber nicht, gewaltsam erfolgen – Frieden schaffen, nicht herbeireden… – und sie kann das Ergebnis von Kompromissen sein, die nur wenig mit den vier genannten Prinzipien zu tun haben.

(Ein Einschub: man kann diese Prinzipien erweitern, kein Problem, wenn es in Richtung Gender-Gleichheit, Minderheitenschutz, oder noch prinzipieller Überleben im Sinne der Klimapolitik geht. Man kann diese Prinzipien auch durch Ausbildung bestimmter Tugenden, erhaltensweisen, versuchter Habitusänderungen herbeizuführen. Aber lassen wir es bei den einfachen Prinzipien, die auf einem Primat der Freiheit beruhen, über die Umstände friedlichen Lebens zu verhandeln und dabei seine eigenen Position, auch Macht- oder Ohnmachtspositionen, deutlich zu machen).

Wenn jetzt über Krieg & Frieden diskutiert wird, dann ist die Frage nicht so sehr was wünschbar ist, sondern welche Konfliktregulierung angestrebt und gemacht werden soll und kann. Die kann nicht abstrakt – ich sage oft böse „vom Sofa aus“ – gefördert werden, sondern muss sich in der eigenen Sichtbarkeit und dem Ausgesetztsein der wirklichen Machtstrukturen sozusagen anbieten, um als Partner in der Friedenspolitik wahrgenommen und akzeptierbar zu werden.

Ein Beispiel, subjektiv: meines. Wenn ich in der Flüchtlingsarbeit mich für von Abschiebung betroffene Menschen einsetze, bin ich zugleich im Widerstand gegen die unmenschliche und verachtungsvolle Politik von Seehofer, Dobrindt und Söder UND in einer Auseinandersetzung, die jenseits des persönlichen Schicksals die Fluchtursachen nicht nur in Armut, Entrechtung und Gewalt sieht, sondern auch in der Politik, die unser Land und alle anderen global vernetzt tatsächlich machen. Dann muss zugleich er- und geklärt werden, warum Afghan*innen und Syrer*innen im gleichen Lager aufeinander losgehen, warum die Abschiebungspolitik zu einer Spaltung von Justiz und Außenpolitik führt, und wie es sich mit den Rüstungsexporten in bestimmte Länder mit bestimmten Adressaten verhält. Aber das wird ja nicht in der Alltagspraxis meines Umgangs mit einem bestimmten Menschen erörtert. Wenn der unsägliche Herr Dobrindt die Klagen gegen Abschiebungen mit Abschiebungsbusiness bezeichnet (6.5.2018, DLF Nachrichten), dann assoziiere ich „Shoah-Business“ und schon erhöht sich die Komplexität meines politischen Nachdenkens eines ansonsten klaren und sehr beschränkten Sachverhalts.

Ein anderes Beispiel ist komplexer und politisch wirklich sensibel. Die linke Kritik an der israelischen Politik ist bisweilen offen, bisweilen verdeckt antisemitisch, und zwar ohne emprisch belegbare Not. Natürlich kann und muss man, nicht nur pazifistisch, die Besatzungspolitik Israels und dieDiskriminierung von Palästinensern kritisieren, wie man das in jedem anderen Konfliktgebiet auch täte. Aber schon das Changieren der Bezeichnungen über die Herkunft der Kritik (antizionistisch ist nicht antisemitisch, Israel gleich „Juden“, die Anführungszeichen sind Ausdruck von Unsicherheit der Kritiker, die gewollte Unkenntnis der Geschichte, und die Entschuldigung aller Untaten der Palästinenser und ihrer Hintermänner als aus der Opferperspektive verständlich – das ist für mich ziemlich entsetzich, wenn es auch in der demokratischen Friedensbewegung geschieht. Man möchte sagne: Dank sei Abbas, der seinen Antisemitismus vor dreißig Jahren so deutlich ausgesprochen hatte wie letzte Woche – und da fehlt mir die präzise Reaktion der Linken aller Schattierungen so weit, als dies nicht auf einen Persönlichkeitsfehler reduziert werden kann, der dem eher moderaten Palästinenserführer anzulasten sei. (Das hat man vorher nicht gewusst?) Von hier zur Diskussion des islamischen wie des arabischen Antisemitismus ist ein harter und „linker“, d.h. aufgeklärter Weg zu beschreiten, der aus der rechten Opferideologie und den Kontrapunkten Shoa und Nakba endlich ausbricht. Dann, – vielleicht? Nur dann – kann man auch die Kippadiskussion der letzten Tage politisch führen.

Am Rüstungsbeispiel kann man deutlich aufzeigen, dass es zwar völlig richtig ist, Rüstungsexporte zu beenden, aber das würde keineswegs das Ende der Rüstungsindustrie bedeuten. Denn die Forderung „…ohne Waffen“ ist ja nicht politisch, wenn man nicht auf spontane Erleuchtung oder Zwang von Oben spekuliert, sondern bedarf der Gewalt gegen die Waffenproduzenten und ihre Lobbys…Damit kommen wir aber ganz nahe an das Problem, dass Gewalt oft die unbedingte Voraussetzung gewaltfreier, ziviler und zivilisierter Regeln ist. Also nicht ohne eigene Gefährdung angewendet werden kann und selten das produziert, was sie provozieren möchte. Die Gleisbesetzungen in Gorleben sind so ein Moment, oder die Belagerung der Atomwaffenstützpunkte. Sie fordert die Anwendung der legitimen Anwendung des staatlichen Gewaltmonopols dort heraus, wo sie seine Schwächen zeigt. Wieweit das in der globalen Friedenspolitik ebenso sinnvoll und möglich ist, ist eine delikate Frage. Wie sähe denn die Gewalt aus, die die Verhältnisse so zum Tanzen brächte, dass am Ende eine Friedenslösung oder ein „Westfälischer Friede“ (metaphorisch, eine neue Vereinbarung müsste natürlich anders aussehen) stünde.

Die „linke“ Politik stützt sich oft auf ein anti-kapitalistisches Element, dem aber kein Gegenentwurf, sondern die Kritik entgegensteht, die in der Überwindung der Erscheinungen des Kapitalismus das Terrain öffnen möchte, in dem dann die richtige, freie, demokratische Politik möglich wäre, ein Glacis sozusagen. Nicht übel, aber auch nicht praktisch. (Insofern ist der letzte Spiegel-Leitartikel nicht so schlecht).

Hier könnte man in der Friedenspolitik einmal den Kontrast zur „rechten“ Politik deutlich machen, die ja in vielen Spielarten Befriedung als maximale Stabilität ohne die Freiheiten der angestrebten gesellschaftlichen Entwicklung (Menschrechte, Grundrechte, Gleichheit vor dem Gesetz, Leben oberhalb der Subsistenzgrenze….) anstrebt. Hauptsache, der Bürgerkrieg wird beendet; Hauptsache, das sinnlose Morden hört auf; Hauptsache, wir haben jemanden, mit dem wir die Beziehungen wieder aufnehmen oder aushandeln können…“. Das ist „rechts“? in gewisser Weise ja, weil es Stabilität ohne Demokratie, also genau das System Orban, Kaczinksy, Zeman, Putin etc. aufzeigt – unterschiedliche Mittel zur Ausübung der Herrschaft lassen friedenspolitische Ansätze nicht homogen formulieren. Den Russen die Krim wegzunehmen, wird schwierig. Wäre aber nicht falsch. Den Ungarn die Freiheit der NGOs zurückzugeben, ist machbar, aber mit ausgeübter legitimer Gewalt durch die EU, ähnlich die Grundlagen der Verfassung in Polen. Dem Seehofer die Idee seiner unmenschlichen Ankerzentren wegzunehmen, wird innenpolitisch schwierig, darauf müssen wir aktiv drängen, nicht den einzelnen Polizeieinsatz „für sich“ kritisieren oder akzeptieren. (Die Ellwangen-Analyse ist in diesem Fall wichtiger als die Beschreibung angemessener oder unangemessener Gewalt der beteiligten Gruppen).

Neben dieser Hinführung zu einem Ende der rechts-links Selbsttäuschungsdebatte ein Grundsatz: die Atomwaffendiskussion muss unbedingt wieder aufgenommen werden, und hier werden wohl Grenzüberschreitungen gegen Nuklearwaffen und-rüstung unvermeidlich sein. In diesem Licht ist die Atompolitik der Atomwaffenbesitzer ebenso wie die der Atomwaffen-Anstreber ins Zentrum zu rücken, und da steht als erstes die Aufklärung. Wir Älteren haben die Auswirkungen des Atomkriegs noch direkter mitbekommen, für die Jüngeren ist das ein wenig abstrakt, was es heißt, „taktische“ Atomwaffen einzusetzen, von den großen Bomben gar nicht zu reden. Und so wie wir uns weitgehend einig darüber sind, dass die sog. Zivile Atomkraft (Energie)  zu Ende gebracht werden muss, so prioritär sollte das Gleiche mit den militärischen Atomwaffen sein. Das kann politisch dann gelingen, wenn die Autorität regelsetzender Institutionen, z.B. der Vereinten Nationen, wieder hergestellt werden soll, und dahin sollte unser Land seinen jetzt drohenden Sitz im Sicherheitsrat verwenden (woraufhin zu arbeiten wäre, politisch und öffentlich und aufklärend).

Unser Staat wendet oft unnötig Gewalt gegen die Schwächsten an, um die Gemüter der politisch Schwachen, ich sage der Rechten, ruhig zu stellen. Beispiel Bayern und Sachsen. Es gehört auch Friedenspolitik, legitime und illegitime Gewalt auseinander zu halten und hier Stellung zu beziehen.

VETERANS

Das Buch ist da – The book is out!

Am 1. Mai 2018 wird das Buch „Conflict Veterans“ erscheinen. Auf Englisch, in Cambridge. Ich schreibe in eigener Sache , im Namen auch der Mitherausgeberinnen Silvia Nicola und Marion Näser-Lather. Die „eigene Sache“ ist eine der verdrängten Nischen von Politik von Öffentlichkeit, in denen sich Strukturwandel, Ressentiment und auch Perspektiven entwickeln, ohne in den öffentlichen Diskursen strukturiert zu werden.

Im Juli 1916 haben wir in Marburg den ersten wissenschaftzlichen Kongress zu Veteranen organisiert. Aus den Beiträgen dort und einigen neuen Überlegungen ist unser Buch entstanden. Es geht um Veteranen und Veteraninnen in Europa, mit einem Schwerpunkt auf Deutschland, das hier einen Sonderweg gegangen ist. Dänemark, Serbien, Russland werden in die Vergleiche einbezogen.

Vor allem geht es darum, den 300.000 unmittelbar betroffenen Veteran*innen ein gesellschaftliches Gesicht zu geben, ihr Umfeld – Familien, Freunde, Zivilberuf, Einsatzfolgen etc. – nicht aus den öffentlichen Diskursen auszugrenzen und damit auch einen kritischen Blick sowohl auf die Einsätze als auch auf die gegenwärtigen Konsequenzen zu ermöglichen: die Gefahren, dass überholte Traditionen, Bilder von Heldentum und Tod fürs Vaterland oder auch die Marginalisierung von Verletzten und Außenseitern, sind nicht gebannt. Veteran*innen sind vor allem Überlebende.

Kosovo, Afghanistan, Mail und sehr viel mehr Auslandseinsätze werden die Zahlen steigen lassen. Eine kritische und humane Veteranenpolitik muss entwickelt werden. Und bedenkt: Veteran oder Veteranin bleibt man ein Leben lang…

Ein neuer Blog, in englischer Sprache, von Sarah Bulmer und Nick Caddick, passt hier gut dazu: https://warandnarrative.wordpress.com/meet-the-editors/ kann man gut vernetzen! und Anschlussstellen an unsere Arbeit finden.

Die Buchanzeige erscheint, wenn Ihr http://www.cambridgescholars.com/conflict-veterans anklickt. Das Buch kann man direkt bei uns bestellen, wir geben den Autorenrabatt von 40% unmittelbar weiter.

Das Thema wird uns so schnell nicht verlassen.

VET

Naming & Shaming Lechts & Rinks

 

 

  1. Akt

Du sollst nicht schimpfen, wenn deinen Flüchen keine Erfüllung folgt. Außer es erleichtert dich…aber die Wirkung dieser Droge hält nicht lange an.

Wie viele Politiker, auch Politikerinnen…, habe ich sagen hören: „so ein Arschloch“, „dieser Idiot“, „das Schwein“…um mit dem so Bezeichneten Augenblicke später in der Öffentlichkeit einigermaßern zivil Worte zu wechseln, zu turteln oder ernsthaft zu verhandeln. Und selber: kommt einer zu schnell um die Ecke gefahren, sagt einer unsäglichen Blödsinn, kontrolliert ein unfähiger BVG-Mensch zum dritten Mal am Tag meinen Rentnerausweis, benimmt sich ein Amtsschimmel wie seine Produkte…klar: ich schimpfe, manchmal halblaut: o Pardon, da haben Sie sich verhört.. Oder zu einem Dritten. Ich bin erstaunt, wie meine zivilisiertesten Freunde in grandiose Flüche ausraten können, bei geringem oder großem Anlass.

Die amerikanischen Exporte „Naming & Shaming“ sind erfolgreich, man muss sich nur trauen. Oft sind sie wirksam. Um sie anzuwenden, muss man ein wenig Systemtheorie kennen und zugleich sollte man ein wenig recherchiert und Abstand gewonnen haben: was im Justizsystem strafbar ist –„der Müller ist ein Verbrecher, der OGH steht auf der Seite der Autorenn-Mörder, der Bahnvorstand besteht nur aus Trotteln etc.“ – kann in der anlassbezogenen Kommunikation der Nachprüfung standhalten. Pöbeln a la Nahles kann für Nichtpolitiker gefährlich werden, und der Nazijargon der AfD infiziert Zuhörer, Nachahmer und Zurückschläger. Also Vorsicht, mehr noch bei Flüchen, bei denen das Risiko der Erfüllung naheliegt: einem ersichtlich Herzkranken zu wünschen „Der Schlag soll dich treffen“, ist vielleicht perfide, obwohl der Fluch an sich eine recht verständliche übertragene Bedeutung hat.

Ach, so eine lange, unanwendbare Einleitung, so pädagogisch sanft…Mitnichten. Ich möchte über Naming & Shaming in angemessener Form etwas erreichen, möchte Rede und Gegenrede provozieren.

Wir ein prominenter Mensch wegen einer bestimmten Tat öffentlich benannt, und die Tat konkret beschrieben,  kann er aus einem Portfolio von Erwiderungen wählen, aber semper aliquid haeret: etwas bleibt meistens hängen, und wenn nicht, dann weil es durch ein Schlimmeres abgelöst wird.

Der VW Vorstand wir genannt, wenn es um diebstahlartige Gehaltserhöhungen in Millionenhöhe geht. Er rechtfertigt sich, dabei kommt aber der Betrug beim Diesel wieder ins Gespräch. Frage: darf ich so einen „Verbrecher“ nennen? Kontextabhängig: ja, meistens ja. Nur nicht mit Paragraphen argumentieren, sondern mit Tatbeständen und der Bereitschaft, das Verbrechen verständlich zu erklären.

Ich halte hier keine Vorlesung. Ich habe einen Grund, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Mehrere Gründe, aber gemach.

„Sie schreiben so kluge Wissenschaft, aber wenn man in Ihren Blog schaut, dann beschimpfen Sie die Politiker als Nazis, Fremdgänger und Trotteln…“ Nun ja, ich hab halt ein breiteres Repertoire, das mir Ausflüge aus der anerzogenen Contenance erlaubt. Aber hinter den Namen steckt noch mehr:

  • Seit frühester Zeit haben Namen eine Bedeutung, sie verweisen auf den Schutzpatron oder eine besondere Eigenschaft, sie sind der Mensch, der sie trägt. Das hat sich verändert, gewiss, ist rationaler geworden. Aber da sind dann neuerdings wieder die jüdischen Namen, und, „natürlich“ im Umfeld von Trump, „lauter Juden“. Ist das schon oder noch antisemitisch? (Nebengleis: das ist sehr häufig, und wird doch kaum offen wahrgenommen).
  • Kevin bekommt beim gleichen Lehrer schlechtere Noten als Matthias. (Oder Chantal und Johanna). Das wissen wir. Wie kann man das ändern?

Das ist der erste Schritt. Der nächste macht alles schon noch politischer. „Meinen Namen sollt Ihr nie erfahren. Ich bin der Kaiser Josef“ heißt es beim Dichter Herzmanovsky-Orlando. Witzig, ja, und auch alltäglich. Man weiß den Namen, darf ihn aber nicht öffentlich sagen, aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes….Das ist gut, denkt man. Aber ist es immer richtig? Das bringt uns zum Shaming. Wenn der weithin unbekannte Herr X oder die Frau Y etwas falsches, böses , unappetitliches getan haben sollen, und man postet ihre Namen + Tat in der Nachbarschaft an die Wände, kann das Lebenszusammenhänge verletzen, zerstören, schreckliche Folgen haben. Die Reaktion ist oft „aber wenn es stimmt….?!“. Wenn es um Personen des öffentlichen Lebens geht, gilt das nicht mehr. Es fragt sich nur, ob es klug ist, die Beschämung zum Appell der Öffentlichkeit zu machen. Ich denke, manchmal muss das sein, manchmal sollte man es unterlassen. Trump ist ein pathologischer verbrecherischer Verletzer von Menschenrechten, ein Rassist, Sexist. So bezeichne ich ihn und würde für jedes Epitheton mir zutrauen, das vor einem Gericht analytisch und auf den konkreten Fall bezogen, nachzuweisen.  Nur komme ich nicht vor Gericht. Wäre ich Diplomat, würde ich das so wahrscheinlich nicht sagen, aber Bier trinken muss ich mit ihm und seiner Entourage deshalb noch lange nicht. Es gibt da andere Wege. Aber im Ernstfall ist der Wahrheitsbeweis das beste Mittel, die Preisgabe des Namens zu rechtfertigen. Trump selber sagt solche Dinge, zu Unrecht, von anderen Politikern oder wichtigen Personen aus dem politischen Raum. Weil er Macht hat und herrscht. Die von ihm beleidigten können kaum chancenreich klagen, und wo sollten sie es tun?

Die neuen Nazis nennen oft keine Namen, außer sie wissen, dass es gute Gründe der Angesprochenen gibt, sie nicht zu verklagen. Die Nazis reden vom System. Das System hat keinen Namen, es heißt ja nicht Kapitalismus oder Lügenpresse.  Und jeder Name, der diesem System zugeordnet wird, sitzt. Umgekehrt, wenn wir den Höcke „Nazi“ nennen, dann hat er/das einen Namen, und den will er nicht tragen, will ihn loswerden. Damit kann man ihn zwingen, etwas von sich, seiner Politik preiszugeben – wenn da etwas ist.

Mit Naming&Shaming kann man die Festungsmauern der herrschaftlichen Privatsphäre oder der öffentlichen Zudringlichkeit unterminieren. Man muss dabei selbst erreichbar und kenntlich sein. Das ist eine Hürde, und die andere ist: keinen Fehler zu machen. Der zu Unrecht Stigmatisierte wird nie wieder oder nur um einen hohen Preis befreit.

Ich habe Trump und die Nazis als Beispiele gebracht. Bei den Verbrechern könnte ich auf politischer Ebene die ganze Prozession immer wieder herbeilaufen lassen, von Putin bis Orban und Erdögan. Da lohnt es übrigens…beim Dorfbürgermeister lohnt es nur im Dorf. Und nicht jeder Trottel oder Gangster verdient es, soviel Öffentlichkeit zu bekommen. Naming & Shaming ist eine scharfe Waffe, kein Gesellschaftsspiel.

Das wäre ein politisch korrekter Anstoß, sich mit der Sache zu beschäftigen, ich habe das seit 40 Jahren getan, vor allem in der Wissenschaft. Z.B. im Kontext jüdischer Namen. Heute geht es mir aber um etwas anderes.

  1. Akt

In der Letzten ZEIT (#13, 22.3.2018) gibt es mehrere, lesenswerte Artikel zur Frage: was ist konservativ, was ist rechts, rechtsradikal….und wer ist es? Lesenswert, weil differenziert, aufmerksam und kontrovers. Wieder einmal ein Beispiel, wie gut unsere Medien auch sein können.

Dann stolpere ich: es wird behauptet, „rechts“ dürfe einer auf keinen Fall sein, heute würde das ausgrenzen, das Stigma hätte kein Pendant auf der linken, links-liberalen Seite. Und dies erkläre sich aus der deutschen Geschichte. Und aus der Ost-West-Spaltung usw. Die fünf Beiträge von Jens Jessen, Martin Machowecz, Ulrich Greiner, Mariam Lau und Adam Soboczinski sind allesamt lesenswert und nich in einer Schablone verengt. 12 Gesichter mit Namen werden am Titelblatt des Feuilletons gezeigt. Einige davon kenne ich persönlich, zwei Namen sind mir neu. Von den anderen „weiß man“. Ich sag jetzt nicht, bei wem es mich „gekränkt“ hat, sie hier zu sehen, obwohl die Zuordnung nicht falsch ist. Früher waren die anders…

Was mich zum stolpern bringt:

  1. Noch nicht so lange her, dann war man, als links gelabelt, raus, ausgegrenzt, bis zum Berufsverbot. (nicht nur im öffentlichen Dienst).
  2. Gerade ich, der ich die links-rechts-Koordinate seit langem in Frage stelle, frage mich, was denn das Gegenstück zu „konservativ“ sei, und wo der Übergang von „konservativ“ zu rechts sei. Die Frage ist nicht trivial, denn vor dreißig Jahren mühte sich die Linke, sich wieder zu verorten, nachdem sie ausgefranst nichts mehr als ein Dogma ohne Begriff geworden war. Übung: was ist das gegenstück zum heftig angegriffenen „Westen“? Warum drängen die Rechten sich wieder meist nach Osten, zu Putin & co., ohne dass es einen „Osten“ gibt.
  3. Nirgendwo wird der Extremismus der Mitte auch nur erwähnt, der doch so deutlich wird (Der Begriff ist im Internet mit Wissenschaft (Lipset, Parsons, Rehberg) und mit Beobachtungen zur Herkunft extremer Ideologien überreichlich dokumentiert. In der Mitte an sich und für sich ist nochg kein Heil zu finden). Wenn aber die Extremisten die konservativen Kommunikationsformen der „alten Mitte“ annehmen, ist das etwas anderes, nunmehr beim rechten Salon der Erklärung 2018. Diese Umgangsformen kann man ihnen ja nicht vorwerfen, den Sarrazins, Lengsfelds, Weissmanns und Broders, um ein paar Namen aus der Liste zu nennen. Da muss man schon ihre Texte lesen, sie agitieren sehen und hören, und vor allem sehen, wen sie jeweils in ihre Netze aufnehmen.
  4. Wie war das damals „Ich habe abgetrieben“ https://www.emma.de/artikel/wir-haben-abgetrieben-265457 (über den 6. Juni 1971). Das waren doch keine „Linken“, aber im Vergleich zu den meisten Konservativen und Rechten doch wieder.
  5. „Um 1980 wurde es nötig, das Argument-Konzept zu reformulieren, schon um den Zusammenhang dieser ausgefalteten Aktivitäten deutlich zu machen. „Das Verlagsprogramm“, heißt es nun, „soll der Entwicklung der theoretischen Kultur der Linken dienen. Wissenschaftliche Zuarbeit zu den sozialen Bewegungen: den Kräften der Arbeit, der Wissenschaft und der Kultur, der Frauenbefreiung, der Naturbewahrung und der Friedensbewegung. Zuarbeit zu einem sozialistischen Projekt, das diese Bewegungen aneinanderlagert.“ So wird im Nachhinein die Diskussion in der einmal so wichtigen linken Zeitschrift DAS ARGUMENT zusammengefasst: https://www.linksnet.de/organisation/das-argument.

Was hat das mit den Namen zu tun? Ganz viel. Die Linke hatte es, aus sehr vielen Gründen, sich zu exponieren, kenntlich zu werden, weil die Mitte sich im Zweifel nicht exponierte oder konservativ blieb. Was explizit kein Vorwurf ist. Aber von da her kommt der Vorwurf, von Trump, von den amerikanischen Republikanern, von der AfD und von deutschen Rechten, dass die öffentliche Meinung und Kommunikation links- und linksliberal dominiert seien, und man konservativ-rechts nur aus der marginalisierten Position her angreifen könne. (Und weniger kluge „Linke“ verteidigen sich, indem sie sagen: das sei nicht so). Doch, es IST SO, weil die Politiken der aufgeklärten, solidarischen, auch linken, auch konservativen Opposition gegen das erstarrte Deutschland ERFOLGREICH WAREN, und das wollen wir, sollen wir uns nicht nehmen lassen.

Und dazu muss man kenntlich sein, also einen Namen haben, und den Namen derer, die man mit Widerstand bekämpft, auch nennen. Und wenn man die beschämt – dann sei das so. Eine harte Arbeit.

Tag von Potsdam, die Garnison der Unbelehrbaren – und Widerstand

Ich hatte schon mehrfach zur Garnisonkirche Potsdam geschrieben – und eigentlich wollte ich mit diesem Kriegerdenkmal nicht mehr auseinandersetzen. Es gibt wichtigeres zur Zeit: die Deportation von Flüchtlingen, die Verwerfungen mit Russland, Amerika, China, der Türkei und und…, die Armut vor der Haustür, die Lobbyarbeit der Ganoven in dne Vorständen der Autoindustrie etc.

Aber da die Stiftung und der Förderverein unbeirrt durch sachliche Argumente und durch Politik an ihrem Bauvorhaben der Wallfahrtskirche festhält, muss man immer wieder, ebenso unbeirrt,Widerstand leisten, auf allen Ebenen.

Vorgestern, am 21.3., war der –> Tag von Potsdam –> s.d. ausführlich im Internet, bei Matthias Grünzig, in der Potsdamer Presse. Teilweise mit guten, kritischen und nachdenkenswerten Veranstaltungen. Am Tag darauf veranstaltete eine kleine evangeische „Profilgemeinde“ ein Podiumsgespräch, zu dem ich auch eingeladen war. Eine kleine Gruppe, deren politische und weltanschauliche Affiliationen an diesem Tag nicht zu erkennen waren, hat über den Stand der im Bau befindlichen Wallfahrtskirche – naja, bisher wird nur der Turm gebaut –  diskutiert. Ich drucke hier meinen Beitrag mit einer Bemerkung: ich halte mich aus religiösen Diskursen meistens heraus, und hänge auch die jüdische Sicht auf die Dinge nicht wie eine Fahne raus. Aber hier geht es um das Grundprinzip der Versöhnung, die durch die Kirchenbaumeister verhöhnt wird. Und da fängt man am besten mit der jüdischen Tradition an, und mit der jüdischen Auslegung (Philosophisch zB. mit Levinas, politisch mit Hannah Arendt). Potsdam wird für immer durch den Handschlag von Hitler und Hindenburg auch gekennzeichnet sein, und dieses AUCH ist es, was uns zu Politik zwingt.

GARNISONKIRCHE DER NATION – GESEGNETE KRIEGE VOR 1933

Veranstaltung zum Tag von Potsdam

Altes Rathaus, 22.3.2018

DIESE ART VON VERSÖHNUNG LEHNE ICH AB

Ich nehme an dieser Veranstaltung teil, weil ich vehement gegen den Neubau des Turms der ehemaligen Garnisonkirche bin. Ich bin der Einladung zu diesem Podium gerne gefolgt, habe aber weder mit den anderen beteiligten Personen oder Vereinen je Verbindungen gehabt, werde also Neues erfahren, lernen, vielleicht auch Dissens haben. Mit der Profilgemeinde bin ich durch  Frau Pastorin Rugenstein und Frau Paul vertraut, gehöre der Gemeinde aber als jüdischer Deutscher nicht an. Von Frau Rugensteins ziviler Courage bin ich beeindruckt und überzeugt, ebenso wie von den Veranstaltern.

*

Dies soll eine Gedenkveranstaltung zum Tag von Potsdam sein. Gedenken hat meist einen pathetischen oder erhabenen Beigeschmack. Es ist tatsächlich nicht wichtig, wie sich der Tagesablauf dieses schrecklichen Tages abgespielt hat, im historischen Gedächtnis nicht nur unseres Landes ist er mit Potsdam und der Garnisonkirche dauerhaft verbunden, und seine Bedeutung ist natürlich nicht im Händedruck des Generals mit dem Diktator begrenzt, sondern in dem von beiden davor und erst recht danach produzierten Schrecken und Verbrechen. Das Bauwerk kann nichts dafür, oder vielleicht doch, aber die Garnisonkirche, die es ja nicht mehr gibt, ersteht bei jeder Erwähnung, jedem Gedenken an den Tag von Potsdam neu und immer wieder. Ohne diesen Tag könnte man noch immer streiten, ob die Hinzufügung einer weiteren Kulisse der Kulissenstadt Potsdam gut täte, aber dazu will ich mich heute nicht äußern; ebenso wenig zu den städtebaulichen und touristischen Erwägungen, obwohl die sehr einseitig sind und oft die soziale und kulturelle Situation der Innenstadt verzerren.

Martin Sabrow bringt vieles auf den Punkt: „Allerdings habe sich in den Tagen danach gezeigt, „dass am Ende die Nazis den Nutzen auch aus einer zunächst verunglückt wirkenden Veranstaltung zogen – weil die Bewegung, die sie trug, ihre Stärke und Begeisterung nicht aus inszenierter Verführung zog, sondern aus einer nationalistischen Erlösungshoffnung“, sagt Sabrow. Schon 1934 wurden Gedenkmünzen für den „Tag von Potsdam“ geprägt, auf denen die Garnisonkirche abgebildet ist.

Das Foto vom Händedruck, das der US-amerikanische Journalist Theo Eisenhart für die New York Times anfertigte, sei indes erst nach 1945 zum Symbolbild für den „Tag von Potsdam“ geworden – weil auf dem Bild die an jenem Tag jubelnden Massen und alle damit verbundenen Fragen zu eigener Mitverantwortung oder Schuld ausgeblendet werden, so Sabrows These“. (PNN 20.3.2018)

 

Ich konzentriere mich auf einen Absatz aus dem Programm der Stiftung Garnisonkirche.

Zweck und Ziel der gegründeten Stiftung ist der Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche als Kultur- und Baudenkmal. – Wenn das der Zweck ist, muss alles, was danach kommt, als Ornament gelten. Die wieder gewonnene Garnisonkirche …– wie wurde sie verloren, wem ist sie verloren gegangen, und wer setzt sich als legitimer Erbe ein? Sie soll zukünftig als offene Stadtkirche, als Symbolkirche und als Schule des Gewissens genutzt werden – also ein Gotteshaus. Zu diesem Gott komme ich noch, und stelle schon hier fest, dass ich mit dem Gott dieser Kirche als jüdischer Deutscher nichts zu tun haben will. Dann aber der unerträgliche Satz: „Es geht um die Heilung der offenen Wunde im Stadtbild Potsdams und um den christlichen Auftrag, Botschafter der Versöhnung an Christi statt zu sein.“

Ich bin Wissenschaftler, jüdischer Deutscher und Österreicher, Potsdamer seit 12 Jahren. Bei diesen Zeilen lese ich Verhöhnung, nicht Versöhnung. Sich an Stelle des eigenen Gottes zu setzen und dann Fakten statt Versöhnung zu schaffen, ist Blasphemie. Das sollen die Christen untereinander ausmachen, es trifft jenseits der Religion.

Aber ich frage mich: wer ist legitimiert, Versöhnung anzubieten? Wem gilt das Angebot? Und wie kann es realisiert werden? Große Worte sagen wenig. So wenig, wie die sozialistischen Friedenskonferenzen dem Frieden gedient hatten, so wenig dient die Stiftungsprogrammatik der Versöhnung. Ich weise das Angebot zurück, es kommt mir vor wie ein marktliberales Bündnis von reichen Spendern und ideologisch geschichtslosen Demagogen.

Nun aber zur Versöhnung. Was bedeutet das eigentlich, wenn wir von der Alltagsformel einmal ausgehen: vertragen wir uns wieder? Nach einem Streit, oder einer kontroversen Entscheidung. Doch ja, wir vertragen uns, zwar sitzen die Nazis in unseren Parlamenten, aber die Demokratie in diesem Land ist ziemlich stabil, und Deutschland hat in der Tat aus der Geschichte gelernt – einiges zumindest.

Wir müssen davon ausgehen, dass sowohl theologische als auch wissenschaftliche Auslegungen des Begriffs davon ausgehen, dass Menschen sich mit den Umständen – mit ganz konkreten Umständen, versöhnen, sie also hinnehmen. Das ist nicht einfach, wenn man den Anlass zur Versöhnung als Erklärung nimmt: wenn einer Unrecht tut und dem andern wird Unrecht getan, was heißt dann: hinnehmen?

Erster wichtiger Hinweis: es geht nicht um Entschuldigung oder Verzeihung. Darauf können wir vielleicht noch eingehen.

Schon eher kommen wir dem Problem auf die Spur, wenn es um etwas geht, das nicht wieder gut zu machen ist, das nicht zu heilen ist[1]. Was wollen denn die Garnisonkirchenbaumeister wieder gut machen? Doch nicht einfach, dass alle Welt einen schönen Anblick, eine schöne Kulisse erhält (an die alte können sich kaum mehr Menschen erinnern)[2]. Wenn das ehemalige Reichsluftfahrtministerium, in der DDR Haus der Ministerien, heute Finanzministerium, nicht an Göring und die Nazi-Zeit erinnerte, wozu steht dann noch so da? Es könnte erhalten geblieben sein, um auch daran zu erinnern, wie man sich mit der Geschichte kritisch ausgesöhnt hatte. Aber hätte man das Gebäude nach 1945 oder nach 1989 in seiner alten Kubatur neu aufgebaut? Nochmals: es handelt sich nicht um Wiederaufbau, sondern den Neubau des Alten, und der wird auf absehbare Zeit, für uns Lebende auf ewig, mit dem Tag von Potsdam und Auschwitz verbunden sein. Was natürlich die preußischen Militaristen und die Anhänger der frühen Nazis nicht so vorausgesehen haben, aber doch so ähnlich, und zwar millionenfach. Wer bietet also Versöhnung an? Die Stiftung. Sie schafft Fakten, indem sie baut, und dann soll sich wer womit versöhnen, an Christi statt? Was hat der damit zu tun?

Ich werde hier nicht theologisch oder exegetisch. Aber schon die Tora und Maimonides und fast alle jüdischen Ethiker bis jetzt verlangen, dass der Versöhnung mit Gott die Versöhnung mit den Menschen vorausgehe[3]. Das ist nicht der Akt des Angebots, sondern der aktiven, solidarischen, kollektiven Praxis, an der mitwirken muss, wer einbezogen werden will. Für das nicht-erlöste Volk sind Buße und Leiden zwei Modi eines Wegs, der nicht schon vorgezeichnet ist. Wenn das Leiden in einem Gedenken instrumentalisiert wird, das einem ganz anderen Zweck dient, also zum Beispiel die städtebauliche Wunde zu schließen oder einen würdigen Gedenkort zu haben, dann ist das die Umkehrung der Möglichkeit von Versöhnung. Ich belasse es bei diesem Hinweis, meine aber, dass er diskutiert werden sollte, zumal so viele christliche Kleriker ja in diesem Konflikt kontrovers tätig sind.

*

Zunächst: ich bestreite der Stiftung das Recht, Versöhnung irgendjemand Anderem anzubieten außer sich selbst. Wenn sich die Herrschaften mit sich selbst versöhnen wollen, bleibt es hermetisch und die Wirklichkeit der gedenkwürdigen Vergangenheit wird zum Fakenews einer Wallfahrt in die schuldbeladene Vergangenheit zurück. Aber mir, uns, den Nachkommen der Naziopfer, den Widerständigen aller Diktaturen, Versöhnung anzubieten? Vielleicht, im Nachhinein, mit den Globkes und all denen, die neue Demokratie noch Jahrzehnte mit sich geschleppt hatte?[4] Natürlich intendieren das die wenigsten Mitglieder der Stiftung, aber warum machen die anderen mit? Ich habe eine einfache, aber erschreckende Formel. Der verstorbene Psychiater und Gelehrte Aron Bodenheimer, ein Freund und Lehrer, hat mit mir immer sich ausgetauscht über den Satz: „Nur wer vergessen will, darf sich erinnern“. Das bringt uns näher an die Versöhnung, weil das Wollen, etwas zu vergessen, das man nicht vergessen kann, der erste Schritt ist. Dazu schaffen Sie aber bereits das nicht überwindbare Bollwerk des neuen Turms, ob Sie da fromm oder klug sich erinnern werden, ist egal. Denn um sich erinnern zu dürfen, müssen Sie sagen, was Sie wirklich vergessen wollen: doch nicht die dutzendfach barocke Architektur, sondern den Tag von Potsdam. Es wäre besser, es hätte ihn nie gegeben, aber es hat ihn gegeben, und zwar so, wie er erinnert wird, denn so war er dann und so ist er im kulturellen Gedächtnis[5] unserer Gesellschaft. Für immer. Selbst wenn Sie sich mit sich selbst derart versöhnen wollen, was hat das mit uns zu tun? Warum sollen wir dafür zahlen, warum sollen wir uns diese Wallfahrtsstätte der Geschichtsvergessenheit anschauen? Sie kommen mir ein wenig vor wie die gerade aktuelle polnische Diskussion über Schuld und Mitschuld. Ich kenne einige Mitglieder ihrer Stiftung, ich unterstelle diesen nicht, dass sie die Täter mit sich selbst versöhnen wollen, weil sie keine Täter sind und diese auch nicht in Schutz nehmen wollen. Aber warum sind sie dann dabei, an diesem Versöhnungswerk mitzuwirken? Darum werden Sie von mir keine Anklage hören, aber Verweigerung gegenüber dem Versöhnungsangebot.

Ich nehme eine sehr klare Definition zum säkularen, existenziellen Ausgangspunkt:

„Versöhnung mit dem Andern ist zwar kein Scheinvorgang, denn sie gibt nicht vor, Unmögliches zu leisten – verspricht nicht die Entlastung des Andern. Das heißt, er stellt Gleichheit wieder her. Dadurch ist Versöhnung das genaue Gegenteil der Verzeihung, die Ungleichheit herstellt und spielt nicht eigene Unbelastetheit – aber dafür geschieht auch in der Versöhnung verzweifelt wenig: der sich Versöhnende lädt sich einfach die Last, die der Andere ohnehin trägt, freiwillig mit auf die Schultern.[6]

Dieser Satz, in seiner Konsequenz zu Ende gedacht heißt, dass „Wirklichkeit nicht in Möglichkeitzurückgedacht werden kann (H.A. ebenda, S. 6); und: dass ich der Taten fähig gewesen wäre, die die Fakten geschaffen haben, mit denen ich mich jetzt auseinandersetzen muss. Mit den Widerstandskämpfern gegen Hitler muss ich mich nicht versöhnen (lange genug haben sich Nachfolger der Täter geweigert, dies zu tun). Mit den Widerstandskämpfern gegen die DDR muss ich mich auch nicht versöhnen. Mit wem oder was dann? Ich sage es vorläufig und erstmals nur für mich: ich sollte mich mit denen versöhnen können, die mich auch mit ihrer Geschichte belasten, damit wir sie gemeinsam, solidarisch so bearbeiten, dass sie keine Rolle mehr spielt, wenn wir sie künftig erinnern.  Vorher müssen wir ihrer gedenken. Gar nicht so einfach, wenn man Hitler und Hindenburg und eine Kirche zusammenbinden möchte.

Aber nehmen wir zu Gunsten der Stiftung an, sie suche Versöhnung unter Gleichen. Nehmen wir an, Sie, Stiftung und Förderer, suchen weder Verzeihung, weil Sie sich tatsächlich an die Stelle der Täter setzten, was die Opfer und ihre Nachkommen zur Richtern machte; noch suchen Sie Rehabilitation all derer, die im Preußen und in den Tagen vor 1933 auch das Gute sehen wollen, klar sehend, wohin es geführt und was es nicht geändert hatte. Wie machen Sie uns gleich, wenn wir bereits täglich diesen Turm sehen, der ja nur die Eitelkeit der Stifter und die Selbstreinigung der Anbieter repräsentiert, aber auch in einer Ausstellung oder tausend Traktaten den Umgang mit dem Tag von Potsdam nichts aus dem Subtext an die Öffentlichkeit bringt.

Hannah Arendt macht es uns da schwerer und leichter zugleich. Sie meint, richtig handeln könne man nur bei gegenseitigem Verzeihen, „das in der Politik Versöhnung heißt“ (303f.). Das widerspricht nicht dem oben Gesagten. Das „gegenseitige Verzeihen“ ist ja gar nicht angedacht im Schaffen von harten Fakten aus Gips und Beton. Die Ungleichheit bleibt.

Nun werden Sie fragen, ob diese lächerliche Kirche, eingezwängt zwischen mäßig hässlichen Plattenbauten, die Diskussion lohnt. Auch anderswo sind urbane Wunden eher schlecht als gut bepflastert, wie am Eingang der Humboldtstraße in Potsdam oder beim Berliner Stadtschloss. Die Debatte muss aber bleiben, sie muss wachsen, und sie ist ja schon aus Potsdam hinausgegangen, nach Europa und in die Welt. Die New York Times und Le Monde sind ein Anfang, und es wird mehr werden.  Denkende Medien sind mehrheitlich der Auffassung, dass dieses Denkmal mehr spalten wird als einigen.

Denn da war der Tag von Potsdam, der keinen Abend kennt. Der Historiker Kellerhoff hat gestern (21.3.2018) dargestellt, wie die Menschen, die Parteimitglieder, 1933 Politik machen konnten, indem sie die Partei unterstützten, wo die Funktionäre allein keine Erfolge hätten haben können. Bevlkerug, gerade nicht das Volk, von dem das Recht ausgeht. Aufmarschiert waren auch die Veteranen aus den deutschen Angriffskriegen davor, Deutschland hatte schon damals eine fatale Neigung zur Kontinuität seiner Selbstvorstellung.

Primo Levi, Auschwitzüberlebender, Journalist, Chemiker und Suizidär, schreibt 1960, was heute noch gilt:

Es ist schwer, das Herz eines Volkes abzuhorchen. Wer heute nach Deutschland reist, scheint dort Verhältnisse anzutreffen, wie man sie überall antrifft: wachsenden Wohlstand, friedliebende Menschen, kleine und große Intrigen, kaum Aufruhrstimmung…und doch liegt etwas in der Luft, das man anderswo nicht findet. Wer ihnen die schrecklichen Tatsachen der jüngeren Geschichte vorhält, trifft ganz selten auf Reue oder auch nur auf kritisches Bewußtsein. Sehr viel häufiger begegnet er unschlüssigen Reaktionen, in die hinein sich Schuldgefühle, Revanchegelüste und eine hartnäckige und anmaßende Ignoranz vermengen[7].

Diese Ignoranz sehe ich auch im Versöhnungsangebot im Kontext des Stiftungsprogramms. Das „Kultur- und Baudenkmal“ steht an erster Stelle, und die „offene Wunde im Stadtbild“.

Was mich als Potsdamer noch irritiert ist der Hinweis ehrenwerter Bewohner, wie sehr sich die Einwohner der Stadt über die Sprengung der Überreste der beschädigten Kirche gekränkt hätten. Nicht, dass ich diese Sprengung guthieße, sie war dumm und unmoralisch. Aber wenn es keine anderen Gründe gegeben hätte, sich über das Regime zu ärgern oder sich kulturell zu kränken, dann muss es eine glückliche Zeit gewesen sein.

Zurück und zum Abschluss: Versöhnung kann nicht angeboten werden. Sie muss ausgehandelt werden, im öffentlichen Raum und ohne Vorbedingungen. Wenn erst einmal das Kriegerdenkmal Garnisonkirche, einem seltsamen Gott geweiht, wieder steht, ist diese Bedingung unerfüllbar. Ja, ich spreche von einem Kriegerdenkmal unseliger deutscher Angriffskriege. Heute früh, im Deutschlandfunk, gab es einen Bericht über Hadamar, dem Vergasungszentrum für Opfer der Euthanasieprogramme der Nazis. Dort, in Nordhessen, steht auch ein Kriegerdenkmal im Zentrum des Ortes, und kein Hinweis auf die Gedenkstätte, an die Opfer.

Wer diesen Turm, er wird ja kein Gotteshaus, denn da gibt es keinen Gott, der diese Art von Gedenken annehmen könnte, wer also diesen Turm aufbaut, baut keine „Kultur des Friedens“. Und wie man Versöhnung lebt, erkläre mir jemand, der nur mit sich selbst versöhnt ist.

 

Anmerkungen:

[1] Emanuel Levinas: Vom Sakralen zum Heiligen, Fünf neue Talmud-Lesungen. Frankfurt 1998: Neue Kritik. Traktat Baba Kama, S. 60a-60b (150ff.): hier geht um die Verantwortung dessen, der das vernichtende Feuer gelegt hat, und dass „Gerechte und Frevler“ gleichermaßen vernichtet werden, in der Gemara dazu steht der wichtige Satz „Die Guten werden hinweggerafft, ehe das Unglück hereinbricht (Jes.57,1). Levinas geht auf das Problem des „Wiederaufbaus“ sehr scharf ein, und verbindet die Zahlung der Kriegsverbrecher mit dem Wiederaufbau Zions.

[2] Vgl. Birgit Seemann: Potsdam – Die schöne Unbekannte. In: Eisenhuth/Sabrow: Schattenorte. Göttingen 2017: Wallstein, S. 174ff.

[3] Vgl. Die vielen Interpretationen, die auf Lev. 16, 29ff. zurückgehen; Emmanuel Levinas: Schwierige Freiheit, Frankfurt 1992: Suhrkamp, v.a. 70-80; ders.: Vier Talmud-Lesungen. Frankfurt 1993: Neue Kritik, 23-55, betr. Joma 85a-85b. Das ist harte Kost, als Levinas u.a. erklärt u.a. „Wir haben dafür nicht auf die Evangelien gewartet“ (52). Der Kontext ist hier, indirekt, die Verantwortung der Nachkommen für die „Fehler“ der Eltern, wenn ein „Fremder Unrecht erleidet“.

[4] Schauen Sie die ZDF-Fernsehserie Ku’damm 59. Wie lange hat die NS-Zeit ins bürgerliche Leben noch als Vorbild oder wenigstens als Bestimmung nachgewirkt?

[5] Vgl. Aleida Assmann: Erinnerungsräume. München 2006: Beck. U.v.m. mit ihrem Mann Jan Assmann

[6] Hannah Arendt: Denktagebücher, Bd. I. München 2003: Piper. S. 4. Dazu auch die folgenden Seiten, über politische und christliche Versöhnung.

[7] Primo Levi: Der Kommandant von Auschwitz. 23.12.1960. In: Die dritte Seite. Frankfurt 1992: Stroemfeld, S.13

Antisemitismus zum Nulltarif

Vice-President, der lasterhafte Trump-Stellvertreter, verspricht den Israelis die Hauptstadt bis 2019 nach Jerusalem zu verlegen. Zitiert nageblich dabei dauernd die Bibel (Einschub: die CSU nennt sich auch christlich, ist aber noch nicht so tief gesunken). Nun weißman, dass Pence evangelikal, somit antisemitisch seit den amerikanischen Gründungsvätern ist: lasst euch nicht durch die Ideologie der USA als da „neue Zion“ bluffen, hier geht es seit Jahrhunderten auch um den Kampf gegen die Juden, bis hin zur Unterstützung der Schaffung von Israel, um dieselben von den USA fernzuhalten. Der amerikanische Antisemitismus war auch nach 1945 nicht zum Stillstand gekommen (vgl. kontroverse Position bei Arthur Hertzberg: The Jews of America, NY 1989, 301ff., Paul Johnson: A History of the Jews, NY 1988, 524ff. u.v.m.). Pence ist so sehr Freund Israels wie Trump, also ein Brandstifter. Lasst euch nicht von der kleinen Israel-Lobby irreführen, die mit dem überwiegend liberalen, oft säkularen Judentum der USA wenig zu tun hat.

Nun, käme die Hauptstadt, würde eine Ein-Staaten-Lösung verwirklicht, und die Israelis (als jüdische Mehrheit) würden spüren, was sich verändert, wenn die Israelis (als Staatsnation) plötzlich eine Opposition von 40% verkraften müssen, die kein externer Effekt islamischer Judenfeindschaft und arabischen Auslöschungswillens allein wäre. Sondern Opposition gegen Unrecht. Wenn die „Nationalreligiösen“ und andere Siedlergruppen die Annexion fordern, tappen sie genau in diese Falle).

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Dies beobachte ich und dann lese ich zunehmend viele Analysen über den wachsenden Antisemitismus in Deutschland und Europa, im Westen v.a. in Frankreich, in den osteuropäischen Ländern, auch bei uns. Die Dämme sind längst löchrig, die Nazi-Mitregierung in Österreich macht ganze Arbeit, die anti-israelischen Amalgame mit dem islamischen Antisemitismus haben natürlich auch Migrantengruppen erfasst, und die Shoah erweist sich als weitgehend stumpfes Argument bei der dritten und vierten Nachkriegsgeneration. Weil natürlich viele Opfer von Ungerechtigkeit, Folter, Vertreibung etc. sich den israelischen Anspruch „Nie wieder Opfer zu sein“ leicht aneignen können und in diesem Fall Differenz zu bilden fast allen überflüssig erscheint. Das wiederum ist vielen Nachdenklichen Grund, die verpflichtende Exkursion nach Auschwitz für ankommende Flüchtlinge und Migranten nicht einzuführen. Ihre eigenen Opfer-Erfahrungen lägen ja zeitlich und in der Erfahrung so viel näher.

Das ist ein wichtiges Argument. Antisemitismus stellt erst die „Juden“ her, die dann wegen ihrer andauernden Selbst-Veropferung angegriffen werden und deren Wunsch, nie mehr Opfer zu sein, eine Form der Rechtfertigung dafür zu sein scheint, die natürlich bei Verletzungen der Menschen- und Völkerrechte für Israel so wenig gilt wie für jede andere Verletzung. Aber wenn man Israel als Beispiel imer wieder rauspickt, könnte man psychoanalytisch folgern, dass dahinter der Wunsch steht, die „andere Seite“ hoffe auf soviel Rückenstäkrung der Israel Gegner, dass dieses Land, dieses Ärgernis, diese Nation, dass die Juden endlich verschwinden mögen. Eine solche imaginäre Tilgung von der Landkarte geht ja bei anderen Ethnien, Religionsgemeinschaften oder politischen Gruppen nicht.Aber es scheint ein diskursiver Zweck zu sein, die Juden erst so zu konstruieren, dass ihre Auslöschung im Bereich des wünschbar-Möglichen liegt.

Das entschuldigt keine Fehler der israelischen Regierung. Aber stellt euch vor, wieviel besser der Diskurs würde, könnte man dem Problem des Antisemitismus so empathisch nahetreten wie zur Zeit den syrischen Kurden, oder den Rohynga. Da höre ich: aber der Vergleich hinkt, Israel ist ja mächtig stark und wird von den USA beschützt…letzteres ist einfach falsch, es wird nicht beschützt, sondern benutzt, zT. mit üblen antisemitischen Bündnispartnern, und ersteres stimmt, sonst gäbe es kein Israel. Das heißt nicht, dass es kein jüdisches Leben auf der Welt gäbe, aber einen Ort, den sich seine Träger ausgewählt haben, gäbe es auch nicht.

Geschrieben, um a) vor allem deutsche sich „links“ verstehende Debattenteilnehmer etwas aufzuwecken – studiert den Zeitraum 1917-1948 in der Region und dekonstruiert eure Ressentiments gegen alles Jüdische hinter den vielen Vorhängen ideologischer Absicherungen. Die Rechten sind ohnedies wieder auf dem Vormarsch, und aus Österreich scheint wieder eine Avantgarde des neuen Antisemitismus zu kommen.

Wieso zum „Nulltarif“? Hinter dem Stirnrunzeln über Trump-Pence geht der Antisemitismus als Thema fast verloren. Der Einsatz dagegen ist aber nicht umsonst zu haben.