Kein Ende. Der Krieg macht nicht gescheit, nur klug.

Dass wir in Deutschland IM KRIEG sind und uns nicht einfach davor hüten, IN DEN KRIEG zu geraten, ist ein umstrittener und bestreitbarer Satz. Oft wird darüber gestritten oder diskutiert, wo die rote Linie ist, die, wenn überschritten, uns zur Kriegspartei macht. Das sind einmal klügere, einmal flachere Diskussionen, bei denen eines fast immer zu kurz kommt: die Antwort auf die Frage, wer sind WIR? In einer ausführlichen Auseinandersetzung um diese Antwort, im Kontext des Kriegs um Afghanistan, habe ich mich damit auseinandergesetzt. (A Society of Intervention – An Essay on Conflicts in Afghanistan and other Military Interventions, Oldenburg 2017, v.a. S. 32: „Wir“-Deutschland, Deutsche, Beteiligte an Politik oder Militär, NATO Mitglieder o.ä., moralisch oder kulturell als Gemeinschaft usw.). Wer hier von einer Definition zur nächsten springt, kann viel Unsicherheit und Verwirrung, aber auch Fehldeutung verursachen. Nun habe ich seit Monaten nicht kommentiert, was die einzelnen Narrative zur deutschen Rolle bedeuten, weil ich einiges schlicht nicht weiß UND weil es zu dieser Verunsicherung beiträgt, sich im „Wir“ zu verorten. Wer bin ich, mich dazu wem gegenüber zu äußern, „Öffentlichkeit“ ist da zu unscharf. Aber ich will mich zu einigen Aspekten der mich, uns, umgebenden Kommentare äußern, weil sie über den Krieg hinausgehende Bedeutung und Wirkung haben.

Nach einem Bundesligatag gibt es geschätzt 1 Million sachkundiger Schiedsrichter, die die Ergebnisse bewerten und korrigieren. Das überbrückt die Schlucht zwischen Laien und Experten, belebt den Stammtisch und den Konsum. Seit Beginn des Kriegs von Russland gegen die Ukraine gibt es von mir geschätzt ca. 5-10 Millionen Militärexperten (die meisten männlich), deren Kommentare mich an die 60er Jahre erinnern, wo ich im Lateinunterricht und auch sonst häufig zu Stalingrad und den ruhmreichen Aktionen der Wehrmacht informiert wurde. Woher diese Experten ihr Wissen haben…? Medien reichen dazu so wenig wie die private Entzifferung der Fake News. Ich bleibe dabei, dass humanitäre Hilfe in beschränktem Maß sinnvoll und möglich ist, dass sollten alle aktiv machen, und dass die eigene Meinungsbildung erst dann aus sich heraus gehen sollte, wenn es eine Schnittstelle zur Politik gibt.

Interessant sind für mich einige Diskurslinien, die auf den ersten Blick nicht gleich zu erkennen sind. Eine ist die globale Faschisierung, die die Demokratie in vielen Ländern zurückdrängt, und einen massiven Hintergrund der nationalen gesellschaftlichen Einstellung zur Kriegswirklichkeit bildet, aber je nach Opportunität verkleinert wird (Faschistische Regierungen in der EU, bzw. starke faschistische Kräfte in den Mitgliedsländern; faschistische Bewegungen unterschiedlicher Art in der Türkei, in Israel, in…die Liste ist lang, auch die rechtsradikalen evangelikalen Bewegungen in den USA spielen hier ein Rolle, wie Religion überhaupt, und der Widerstand der Demokratie, die in Gefahr ist). Diese Faschismusdebatte muss geführt werden, damit wir neben und um den Krieg Russlands gegen die Ukraine herum nicht die globalen Wirkungen der Asyl- und Rettungsfeindlichkeit der sich bildenden Festung Europa übersehen, die wiederum von einigen der genannten EU Mitglieder, Italien, Ungarn, Österreich etc. missbraucht werden, auch wenn diese zumeist die Position Brüssels gegen Moskau stützen, aber nicht selten um den Preis der Nachgiebigkeit gegenüber anderen Verfehlungen (Klima, Justiz, Asyl).

Ein anderer Aspekt ist die Fortsetzung des Kalten Kriegs in die schlechte Unendlichkeit hinein. Man kann die Debatte um Habermas´ Verhandlungsappell (SZ 14.2.2023) und sein neues Buch und seine Kommentare zum Krieg als nicht abstrakten Disput lesen, den ich den Kampf der Wirklichkeit mit Wahrheiten unterschiedlicher Grundlage nenne: Jürgen Habermas: Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik, Berlin 2022, Suhrkamp. Da schließen sich viele kritische Kommentare an (zB. Cohn-Bendit und Leggewie TAZ 14.2.2023), besonders klar der letzte Artikel: Peter Neumann: Seine Sorge, ZEIT 23.3.2023, S. 51. Da ich Habermas sehr schätze und seit Jahrzehnten auch lese, umso wichtiger: es geht doch nicht darum, dass irgendjemand Nachdenkender NICHT VERHANDELN möchte, sondern darum, WER das mit mit welcher Legitimation sein kann und welche Folgen das haben kann für die angegriffene ukrainische Gesellschaft – dort sind die gemordeten Toten, Vergewaltigten, Zerstörungen, nicht hier – und welche Folgen es für UNS hat, siehe oben, wer sind wir? (Diese Fragen wurden bei der so genannten Friedensdemonstration von Wagenknecht und anderen im Rechtsmittlinks-Bündnis am 25. 2. nicht gestellt bzw. beantwortet). Und alle, die verhandeln wollen, – richtig – sollen wenigstens vorschlagen, WER das tun soll, und nicht nur Institutionen nennen, wenn überhaupt.

Die vielen und genauen Berichte und Schilderungen des Erlebten, Durchlittenen kann man auch, auch!, überprüfen wollen, aber zunächst gebietet es die Ethik, ihnen mehr zu glauben als den staatlichen, „von oben“ geprägten Informationen: in dem Glauben steckt auch unsere Moral, unsere – siehe oben.

Dass dieser Krieg auch Opfer von uns verlangt, nicht einfach die finanziellen der Verteidigungswaffen, sondern soziale, ökonomische, kulturelle…bedeutet nur, dass wir über diesen Krieg wissen müssen, um handeln zu können. Meinungen reichen nicht aus.

Wenn wir auf die Zukunft einer freien UND befreiten Ukraine setzen, und auf ein von russischem und anderem Druck befreites Europa, dann ist der erste Schritt immer der von der Meinung zur Politik, d.h. in die Praxis der demokratischen Willens- (und nicht nur Meinungs-)bildung und das fängt nicht nur bei uns immer bei den konkreten Problemen des Überlebens an, Klima, Ernährung, Grundrechte im Konkreten – nicht nur so allgemein.

Dann (und nur dann?) erlangen wir das Wissen, das uns auch erlaubt, mitzureden.

Juden – gibts nicht

Heute schreiben viele zum einjährigen Krieg der Russen gegen die Ukraine, und die Klügeren gehen unter die Oberfläche, um Ursachen, Anlässe, Mythen und Realitäten genauer zu erkunden als einfache Parteinahme zu wiederholen. Ich halte zunächst den Atem an, und versuche, einfach darüber nachzudenken, was ich morgen oder in einem Jahr dazu zu sagen habe und was ich fordere und wofür ich aktiv bin. Spontaneität ist dann oft gefährlich, wenn man – ich – ohnedies eine feste Überzeugung hat über die Wirklichkeit des Krieges und über gebotene oder wenigstens mögliche Handlungen, reale und symbolische.

Was hat das mit Juden zu tun? Putin – ein Wiedergänger Hitlers – denunziert die Ukraine als Naziregime, das vom Westen auf die Zerstückelung des russischen Reichs benutzt wird. Gegen die wahre Geschichte nicht nur des Zweiten Weltkriegs, sondern gegen die antisemitische europäische Geschichte der letzten Jahrhunderte wird hier eine neue Front verfestigt. Und wieder, immer wieder sind die Juden Schuld, sagen wir: auch Schuld.

Und das wirkt nicht nur in Russland nach, es hat in vielen Ländern unterschiedlich nachgewirkt. Und es wirkt bei uns, in Deutschland nach – obwohl wir doch das Musterland der Vergangenheitsbewältigung, der Aufarbeitung, der Judenfreundlichkeit sind. Naja, Musterland, man wird doch relativieren dürfen.

Nicht wahr, Herr Staatsanwalt. Ronen Steinke spießt auf, was mich seit Stunden von anderen wichtigen Themen ablenkt: „Die Staatsanwaltschaft Braunschweig sieht in der Tirade eines rechtsextremen Politikers keine Volksverhetzung. Begründung: Sie habe sich lediglich gegen Journalisten gerichtet und sei nicht als Hetze gegen Juden zu werten. Doch daran entzündet sich Kritik.“ SZ 24.2.2023. Zu Recht. Nun geht es mir nicht um einen antisemitischen oder dummen Staatsanwalt. Zu häufig gibt es eine gewisse Blindheit gegen die antisemitischen Aussagen, die sich im Schutz der Meinu8ngsfreiheitn ausleben dürfen. Zunächst ein Konjunktiv: Sagte ich, der rechtsradikale Braunschweiger Staatsanwalt sei ein Antisemit und dürfe neonazistische Volksverhetzung von der Anklage befreien, könnte mich das strafrechtlich einiges kosten, wenn es im Indikativ und feststellend beschrieben wäre. Ist es nicht. Rechtsstaat. Danach aber eine schärfere Vermutung: noch immer gibt es eine Minderheit im deutschen Justizwesen, die gegenüber rechten, faschistoiden, nazistischen Aussagen eine größere Toleranz walten lässt als gegen alle anderen, nicht nur linken Auslotungen der Meinungsfreiheit. Kennt ihr die Texte von Emil Julius Gumbel? Es lohnt, sich die Darstellung und Analyse anzuschauen, und ich muss immer daran denken, wenn ich Ausflüchte der juristischen Minderheit zur Freigabe rechtsradikaler Meinungen lese. Denn darum geht es mir: Meinungen, das Haben von Meinungen, ihre Freiheit…werden immer dann dem Grundrechtkatalog vorangestellt, wenn man partout ihre Herkunft und vor allem ihre Wirkung nicht beurteilen möchte, obwohl man beides kann. Kritik am Einzelfall ist am obigen Beispiel sicher gerechtfertigt. Aber wie Jusristen, Staatsanwälte, heute noch dazu kommen, hat etwas mit der noch nicht abgeschlossenen Geschichte demokratischen Bewusstseins in der Republik zu tun.

Und dem Braunschweiger Staatsanwalt kann man nur zurufen, dass es noch nicht zu spät ist, sich in die nicht-abgeschlossene Vergangenheitsbewältigung zu begeben, solange es noch „Juden“ gibt, die im Bewusstsein der Rechten, nicht des Rechtsstaats, kein offenbar keine Menschen sind, wie wir alle.

https://de.wikipedia.org/wiki/Emil_Julius_Gumbel

Wirklich und wahr: Marlenes klare Schrift

Nichts ist vorbei. Was wir jetzt durchleben, trägt immer auch Vergangenes, Erinnertes, erwünscht Erinnertes und wirkliches, mit sich. Sonst könnte ja niemand die Zukunft aus der schlechten Vergangenheit lösen. Was war da mit CoVid? was war da mit verschiedenen Temperaturen von Wohlstand und Sorgen um Verarmung, oder auch Sorgen um Gesundheit und Körper? Wie erreicht uns der erneute Krieg, der andere Waffengänge überdeckt, und wo lässt er sich nicht oder doch ausblenden?

Solche Fragen lösen sich berufen Fühlende meist durch Einblenden bekannter Namen, die manchmal wie „Leuchttürme“ repräsentieren, worüber Antworten gesucht werden. Weniger sensibel heißt das auch, dass sich viele Diskurse nur innerhalb von Eliten oder Personen im Rampenlicht verstehen lassen, vom großen Rest der Informierten soll es eben geglaubt werden oder hingenommen. Manchmal mit, meist ohne Protest.

Marlene Streeruwitz, unbeirrt und genau, geht einen anderen Weg, nicht zum ersten Mal, aber genauer und hautnah an der Wirklichkeit. Es ist ein Einblick in die Normalität, wie selten geglückt. Mutter und Tochter, auch die Großmütter, auch einige andere in unmittelbarer oder erinnerter oder vorgestellter Kommunikation. Tage im Mai. So heißt das Buch (Fischer, 2023), so wird es in die Zeitläufte eingeschrieben. Die meisten Rezensionen geben ganz gut wieder, was hier abläuft. Aber kaum erfahren wir darin, was mich so fasziniert: Marlene Streeruwitz beschreibt normale Menschen in einer Welt, die wie eh und je von Normalität weit entfernt ist, aber in Wellen besseren oder weniger guten Extremen sich nähert.

Normalität heißt zum einen, dass alle Menschen, deren Tage und Nächte hier beschrieben werden, ihre Besonderheiten mit sich tragen, mehr oder weniger bewusst oder reflektiert: Mutter Konstanze und Tochter Veronica wie ein Zwillingsgestirn in einem Sternbild, das einen guten Ausschnitt aus der Wirklichkeit darstellt, aber unbegrenzt endlich ist. Endlich, weil alle sternemüssen, die in der menschlichen Gesellschaft leben, weil das den Überlebenden zu bedenken nicht erspart bleibt, und doch müssen sie weiter leben. Normal. Nicht zusätzlich herausgehoben. Denn das macht diesen Text so faszinierend, gerade bei den Normalen ist das, wir oft pathetisch menschlich nennen, nicht durch die Wirkung, durch die ständig neuen Kleider sichtbar.

Mich hat dieses Buch enorm erleichtert. Das muss ich kurz erklären. Zur Zeit sind introspektive Lebenserinnerungen jeder Art, Deutungen aus sich heraus, angesagt. Das hebt die Textfabrikation von der Normalität der Wirklichkeit ab, macht die Schreibenden und Erzählenden zu „Besonderen“. Ich mag das nicht, schon, weil es mich vom genauen Beobachten der beschriebenen individualisierten Wirklichkeit ablenkt und ich mir diesen besonderen Menschen zusätzlich vorstellen muss.

Bei Marlene Streeruwitz kann ich innerhalb der Grenzen des Normalen vergleichen: das kenne ich, das ist wahrscheinlich, das tut mir in der Übertragung weh, das ist so. Als hätte ich. Als wäre ich dabei.

Wenn Mutter und Tochter beim Anschauen einer Telenovela „Tango para Estrellas“, Kapitel II, beisammen sind, und die Bedeutungsknappheit der Kommunikation gerade nicht stattfindet, dann ist Inhalt insofern schon bedeutend, als er die schlechte Unendlichkeit einer nicht selbst erlebten Wirklichkeit Folge für Folge für Folge anbietet. Man kann auch vieles überspringen, das Grundmuster bleibt erhalten. Wer dann nicht lachen kann, wenn „Lippen schweigen, flüstern Geigen…“ in englischer Übersetzung erklingt, und die weiße und die schwarze Francine sich in Lehàrn wiegen, der oder dem ist nicht zu helfen.

Aber nach dem Lachen kann man zum Beispiel genau und materialreich erkunden, warum die Telenovelas ein wichtiger Bestandteil einer uns nur oberflächlich bewussten „anderen“ Kultur sind, einer Normalität in anderem Gewand.

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Was mich an diesem Buch noch mehr als an früheren von Marlene Streeruwitz so fasziniert ist die Kunst uns auf die Wahrheitssuche zu schicken, indem sie die Wirklichkeit, die Normalität wirklicher Menschen, darstellt. Es gibt da nicht die überlegene Bosheit eines überlegenen Draufschauens nach dem Motto, wir hätten andere Probleme. Diese Kunst.

Aufmerksame Rezensionen erwähnen in diesem Zusammenhang Marlene Streeruwitz´ Vorlesungen von 2021 Geschlecht. Zahl. Fall. (Fischer). Zu Recht. Denn der Humanismus der geschlechtszugewandten, feministischen, Wahrnehmung ist so wichtig wie die Kritik am Singular der herausgehobenen und damit kommunikationsdefekten Individuen (ich baue die Brücke zu den „unnormalen“ Persönlichkeiten). Und schon vor dem jetzigen Krieg wird die Kritik am kulturellen, unter der Haut nistenden Bellizismus deutlich, die auch in den Vorträgen und Vorlesungen seitdem immer wieder deutlich wird. Der Krieg wird nicht durch Friedenserklärungen gebannt.

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Für jedes gute Buch ist man dankbar. Hier kommen aber noch Augmente der Hoffnung dazu. Die normale, also nicht ganzheitliche Kommunikation, nicht nur zwischen Mutter und Tochter, ist so wichtig gegenüber allen, die das Ungenügen gerne in die unmögliche Utopie des so-könnte-sollte-müsste-es doch sein verlagern. Und sich dann auch noch opportunistisch im Ungenügen einrichten, besser als nichts.

Die Hoffnung besteht in den Tagen im Mai unter anderem darin, dass im Reden, vor allem von Konstanze und Veronica, aber auch in anderen Wortwechseln, die Brüchigkeit, das geringe Trefferpotenzial der gewechselten Worte, die oft keine Begriffe deutlich wird. ABER. Die beiden haben sich eine Menge zu sagen. Mein Freund Aron Bodenheimer hat vor Jahrzehnten shon auf diese Differenz hingewiesen, und wenn sich Menschen etwas zu sagen haben, muss man sich nicht auf die Rede verlassen. Was sich beiden zu sagen haben, wird so unheimlich deutlich im Dialog der letzten beiden Seiten, dass einen gerade herausreißt aus der selbstmitleidigen Gegenwart und zu einer vita activa auffordert, für die wir vielleicht noch nicht richtigen Worte haben. Das ist normal.

Es splittert nach dem Karneval

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Hannes Benedetto Pircher: Sorella Morte. Über den Tod und das gute Leben. Die Betrachtungen eines Grabredners kommen für alle zur richtigen Zeit, als lebendige LeserIn legt man dieses Buch nicht weg. 25,00 € + 3,00 € Porto

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Faschismus? Nicht schon wieder…

Soll man vom Faschismus sprechen und damit frühere faschistische Wirklichkeiten abmildern oder gar ignorieren? Soll man das Wort – auch den Begriff „Nazi“smus vermeiden, um den Vergleich mit der deutschen Besonderheit nicht am falschen Objekt zu verschleissen?

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine und den Westen ist nur einer der derzeit ausufernden Kriege. Ich habe seit längerem Putin in der Nachfolge Hitlers und Stalins beschrieben und ich habe bewusst und ohne konkreten konfrontativen Gegner die Entwicklung eines europäischen, vielleicht globalen Faschismus nicht nur in/mit den Nukleardiktaturen verglichen. Das wird bisweilen belächelt, seltener kritisiert und fast nie mit Argumenten angegriffen, weil es egal ist, was ein privater Akteur jenseits der Meinungsdiskussion zur Situation sagt.

Es kommt darauf an, zu erklären, was man mit Faschismus meint, und auch, was ich am realsozialistischen und stalinistischen Begriff des Antifaschismus immer zurückgewiesen habe. Erich Fried: Aber ein Antifaschist, der nicht sehr viel mehr als ein Antifaschist ist, ist vielleicht kein Antifaschist. (1983). Was ich mit Faschismus meine – von Mussolini über Dollfuss bis Ceaucescu – setzt sich fort in Orban, Erdögan und in Staatssystemen, bei denen es weniger auf namentliche Akteure als auf systemische, schwer zurückzuholende Maßnahmen handelt, wie zur Zeit in Israel. Damit sind auch europäische Staaten gemeint, solche, die innerhalb der grundsätzlich demokratischen und rechtsstaatlichen EU faschistische Rhizome sich verbreiten lassen oder solche Strukturen pflanzen, Italien, Schweden, auch mein Österreich. Das ist, werte LeserInnen, nicht abschließend. Auch Entwicklungen in den USA sind hier festzuhalten, und natürlich China, bei dem die Faschisierung etwas anders verläuft, v.a. wegen der Ökonomie. Ich kann die Liste noch länger machen.

Die Abwehr des Begriffs ist massiv, wenn es um Hinweise auf den rechtsstaatlichen, demokratischen Charakter der so kritisierten Gesellschaften geht. Das ist im Übrigen ein wichtiger Punkt der Erkenntnis, dass es nicht nur um die staatliche, mehr oder weniger legitime, Vertikale von Macht geht, sondern auch um den Willen und die Meinung großer Teile von Bevölkerungen, die sich oft weniger um die demokratische Durchsetzung ihres Willens und um die Mittel, die angewandt werden, als um Ziele kümmern, die gar nicht zur Fragwürdigkeit reifen dürfen. Auch die Tatsache, dass z.B. innerhalb der NATO offen und latent faschistische Staaten ein Bündnis bewahren, das der Idee des „Westens“ so wenig entspricht, wie die Kritik des neuen „Ostens“ daran unsinnig ist, sollte man nicht übersehen.

Kurz, es geht mir darum, das, was evident vor unser aller Augen sich ereignet, so klar und ggf. zugespitzt auch zu sagen.

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Sagen ist mehr und etwas anderes als einfach „über etwas zu sprechen“. Es bedeutet, sich auszusetzen der Kritik wie der Zustimmung, es ist sozusagen eine Voraussetzung mit Dialog nicht einfach mitzureden, sondern etwas zu sagen zu haben, das die Wirklichkeit zu verändern oder zu bestätigen bestimmt wäre, wenn es auf aktive Gegenüber stieße. Also nicht einfach eine Meinung äußern, sondern darüber hinaus in die Politik kommunizieren. Wenn ich also wünsche, eine Ansage zum Faschismus zu machen, dann auch um den postmodernen Grauschleier von einem Begriff wegzuziehen, bei dem der Streit um seine Wahrheit nur zu oft von der Wirklichkeit – es gibt ihn ja, diesen Faschismus – ablenkt. Manche fürchten, dass den schrecklichen Faschismus und die Nazizeit verkleinert oder relativiert, wenn man den Begriff weiter und erneut verwendet und formiert. Dabei ist eine gewisse Arroganz dabei, dass man selbst das Fürchterliche besser erkennt und benennt als andere. Und wer sagt, dass viel Schreckliches nicht immer wieder kommen kann, in anderem Gewand allerdings.

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Viele Einlassungen zur derzeitigen politischen Situation, der Krieg der Russen, Postcovid, Erdbeben usw. lassen die wirklichen Probleme der Politik augenscheinlich an den Rand drücken oder verkleinern. Als ob die Umwelt, das Klima, der Hunger mehr „Zeit“ hätten, in „“, weil oft so getan wird, als wäre es in unserer Hand, Entscheidungen mal fünf, mal zwanzig Jahre hinauszuschieben. Das hat mit dem sich ausbreitenden Faschismus insofern etwas zu tun, als der ja u.a. darin besteht, demokratische Strukturen zugunsten einer alternativlos verordneten Politik=Machtausübung + Entscheidung abzubauen. Dass das nicht allen Menschen auffällt, kann man erklären; dass es sie nichts angeht, solange der Wagen rollt, ist nicht so leicht verständlich. Und das Leisereden der faschistoiden Herrschaft(en) macht die Dinge nicht besser. Orban, Meloni & al. werden durch Besäuseln nicht besser.

Was tun?

Nichts weiter als das tun, was man unter weniger faschistoiden Randbedingungen auch tun würde, müsste, sollte. Klimapolitik, Migrationspolitik, Verkehrspolitik, Friedenspolitik…immer Politik, nicht Meinungsaustausch bis zum Weltuntergang.

Ja, aber geschieht das nicht ohnehin? – Nein, es geschieht nicht hinreichend und vor allem deutlich. Deutlich heißt, dass die Folgen und erwartbaren Ergebnisse auch benannt werden. Ein unerfreuliches Beispiel: Ich habe, anstatt eine rechtslastige Kritik des „Westens“ zu unterstützen, einige massive Vorbehalte gegen die USA und die NATO konkret, z.B. ihr Mitglied Türkei. Ich denke, eine europäische Verteidigungspolitik sollte diese Realität aufheben, übersteigen. ABER das wird teuer und vielleicht andere Grundprinzipien, die scheinbar unsere globale Politik ausmachen, verändern. Ein anderes Beispiel: Anstatt Abschiebepolitik zu betreiben, kann man eine unethnische Integrationspolitik betreiben, die zwar die soziokulturellen Zusammensetzungen unserer Nationen verändert, aber mehr als nur Arbeitsplätze schafft. ABER das wird teuer und vielleicht andere Institutionen, wie unsere Bildungspolitik nachhaltig verändern.

Na und?

Angesichts der globalen Bedrohung kein unüberwindbares Hindernis. Dass es uns nicht bessergehen wird, ist vielleicht eine Meinung, aber kann man das wirklich so sagen? Was heißt schon, dass es uns gut geht und nicht schlechter gehen soll?

Leben und Sterben, nicht Tod

Drei gaunze Schüleng kosts aussi zun Grematorium…

So beginnt eines der Wiener Todeslieder. (Natürlich von Helmut Qualtinger – Marcia Funebre / Drei gaunze Schüleng (Drei ganze Schillinge) lyrics | AZ Lyrics.az). Nur die Straßenbahn zum Zentralfriedhof ist teurer geworden…

Keineswegs lustig oder ironisch gestimmt, versuche ich die geballten Erfahrungen der letzten Monate zu „entsubjektivieren“, d.h. es geht mir in der Überlegung nicht darum, wer konkret wann wie gestorben ist, beerdigt wurde, das beschäftigt mich zwar mehr als vieles andere, aber es bietet auch einen Anlass, über „mein“ Thema nachzudenken und zu schreiben. Mein Thema, lebensbestimmend seit ich vielleicht sechzehn war, und bis heute sollte man dieses Wort LEBENSbestimmend lesen, es geht ums Leben, nicht um den Tod.

Zwei Eckpunkte. In der Bibliothek des philosophischen Onkels gab es von Hans Nossack „Das Testament des Lucius Eurinus“, eine Reflexion über den Tod, das Christentum, und die persönliche Haltung, kein besonderer Autor, kein besonderes Buch, aber es hat sich eingeprägt, seit über 50 Jahren. Und der 11.2.2023, also gestern, als eine Potsdamer Bekannte, Politikerin und Performatorin aus Anlass ihres neuen Berufs als Trauerrednerin eine Proberede hielt, bei einem von ihr gestalteten Kulturevent: „Auf das Leben“ – im Programmheft heißt sie uns willkommen und sagt: „Es folgt eine Trauerrede ohne Trauerfall und anschließend lade ich dich ein, auf das Leben zu tanzen oder den Abend bei Getränken und Gesprächen zu verbringen“ (www.jennypoeller.com)

Der eine bindet den Tod an die Religion, und – der Inhalt ist bei mir jedenfalls völlig vergessen, nur dass ich das Buch inhaliert habe, weiß ich noch. Das gestrige Erlebnis war ein weiterer Anstoß, über dieses Thema zu reflektieren und etwas zu sagen, Jenny Poeller animiert die Erinnerung als Zugang zur Trauer.

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Über den TOD gibt es unzählige Texte, Lieder, Bilder, ohne TOD gäbs wahrscheinlich keine Kunst, und seine Konstruktion gehört zur Evolution wie zur Zivilisation. Über das STERBEN hingegen gibt es zwar auch viel, aber verglichen mit dem Tod fast nichts. Was man erinnert, auch nicht zufällig, „Die Weise von Liebe und Tod“ (Von Rilke 1899 in einer Nacht geschrieben und 1912 auf dem Markt), oder „Romeo und Julia“. Aber um diese bekannten Todesanrufungen geht es mir weniger als darum, dass der Todesdiskurs den Weg der einzelnen Menschen von ihrer Geburt bis zu ihrem Sterben zudeckt.

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Der von mir geschätzte Charles Baudelaire schreibt einmal „Es ist der Tod, der tröstet und belebt, / in dem wir einzig ziel und hoffnung sehn, …“ (1821). Der weniger geschätzte Stefan George hat das herausgebracht: George, Stefan: Baudelaire. Gesamt-Ausgabe der Werke, Band 13/14, Berlin 1930, S. 181-182. Es heißt „Der Tod der Armen“ und sagt nichts darüber aus, wie die armen Menschen wirklich sterben, sondern in welchen konstruierten Kontext sie eingebettet sind. Und darum geht’s mir in diesen Tagen, wo sich meine Erinnerungen mit der Wirklichkeit von Sterbefällen, Abschieden, Trauerereignissen (nicht „Feiern“, dazu auch noch später) in ungewohnt heftiger Art auftürmen.

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Manchmal möchte ich sprachkritisch eingreifen, wenn Todestag das Sterbedatum markieren. Es gibt so viel Sterben, wie es Menschen gibt, vermehrt um die Teilhabe anderer Menschen an diesem einen Akt des Übergangs vom Leben ins NICHT. Der Begriff ist sehr schwierig, weil die Meisten vom „Nichts“ sprechen, das aber den Gegenpol des „Etwas“ hat, und das wäre ja drüben oder als Weiterbestehen des Gestorbenen als Molekül im Pazifik o.ä. Nein, mit dem Sterben eines Menschen geht dieser Mensch ins Nicht, und wir bleiben zurück, wir LEBENDEN: Das wäre und ist für das Moment, das „tröstet und belebt“, weil wir konkret den oder die Gestorbenen überleben. „Recht haben die Überlebenden“, sagt Jean Améry, der Immerhin KZ und Tod überlebt hatte. Damit meint er nicht allein sich, WIR überleben.

Jetzt kreuzen sich zwei Wege: Einerseits. Meine Gedanken und Gefühle bei denen, die gerade verstorben oder begraben sind, bei denen, kurz vor dem Sterben sind, und bei der momentanen etwas verblassenden Sprachmasse des Todes. Andererseits. Mehr als andere, ebenso schreckliche gegenwärtige Kriege, trägt der Krieg der Russen gegen die Ukraine eben zu dieser Situation des belebten Sterbens bei wie das Erbeben in der Türkei und Syrien. Belebtes Sterben heißt, dass es uns, wenn wir helfen, spenden, mitwirken wollen, um jeden einzelnen konkreten, wirklichen Menschen gehen muss. Und dabei können und dürfen die Ursachen, Anlässe und Umstände seines und ihres Todes nicht aus den Augen verloren werden, gerade wenn es uns um das Überleben dieses konkreten Menschen, dieser wirklichen Menschen geht.

Die Kreuzung verhindert, dass sich das alles einseitig in Sentimentalität oder dem Selbstmitleid verliert, das durch Trauer genährt wird. Wir leben, das bedeutet auch, dass wir erinnern können, dass wir denen zur Seite stehen (müssen, sollen, dürfen), die unerinnert auf den Schlachtfeldern geopfert werden oder unter den Erdstößen verloren gehen. Dass zur Humanität auch gehört, die Erinnerung zu bewahren oder gar sie herzustellen.

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Wenn das zum Krieg, zum Erdbeben, zum Hunger, zur Verwüstung gehört, dann geht es, so paradox es klingt, nicht gleich um den massenhaften Tod, der als Konstruktion der Mächtigen Lebenden immer vom Sterben des einzelnen Menschen absehen muss, um eine Botschaft der Lebenden an die Lebenden zu senden. Dazu passen Kunst und Literatur, damit muss man keine Probleme haben. Das ist die „Geschichte des Todes“, wie das Ariès richtig nannte. Das ist auch Teil der nach wie vor gepflegten Rituale, Totenmessen, Trauerreden.

Einschub. Zufällig beginnt heute in manchen Regionen der Karneval. Carne vale. Kurz vor der Fastenzeit bemüht sich das Leben, alles Mögliche in sich hereinzuholen, bevor es jenseitsorientierten Buße oder auch nur Schubumkehr des Lebendigen anvertraut wird, auch jenseits der religiösen Dogmen oder Religion schlechthin. Kann man, nicht nur „ich“, kann man das mit der Erinnerung und präsenten Trauer, vor jeder Erinnerung, in Einklang bringen? Die Frage ist nicht abstrakt, auch nicht philosophisch gestellt. Worin zeigt sich denn die trauernde Einstellung, die ja die Erinnerung aufbaut und in bestimmter Weise sortiert: jetzt kannst du nicht mehr einfach auswählen, woran du dich bei den Verstorbenen erinnern willst. Jetzt gilt das Gedächtnis der Überlebenden, das Subjekt lebt eben nicht weiter, sie oder sind im NICHT. Sind nicht.

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Der Krieg, die Kriege, das Erdbeben, erlauben es, ein wenig Abstand zum Kitsch des Todesdiskurses zu gewinnen. Der massenhafte Verlust der Welt an Leben ist eben nicht vom Tod durch natürliche Willkür oder durch den Tod fürs Vaterland oder gar zur Ehre eines Gottes zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Vielleicht kann man sich ein wenig besser, d.h. konkreter, in die Trauer der Überlebenden einfühlen, die auch, wie wir, leben, überleben. Das wäre schon ein Gewinn für den Rest des Lebens von jedem und jeder von uns.

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Nachsatz: Jenny Poeller schreibt im Programmheft: „So ein Abend lässt sich, wie das Leben selbst, nicht allein denken, gestalten, und erleben“. Wer das Leben nicht mehr hat, kann nicht mehr fragen, warum, unter welchen Umständen. Wir Überlebenden müssen das fragen, müssen es wenigstens fragen lernen, und sei es beim Abschied.

Ach, vom Frieden reden .

Nichts leichter, als Frieden fordern. Nichts eingängiger, als Verhandlungen anzumahnen. Nichts gelegener, als populistisch populär zu werden, wenn man ins Rampenlicht möchte.

Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer haben sich ein Manifest gebaut, dem sich gleich eine Menge mehr oder weniger bekannter öffentlicher Menschen angeschlossen haben, von Kässmann bis Chrupalla.

Die Argumente kennen wir. Sie waren schon besser und differenzierter. Der hier vorgetragene Humanismus ist putinophil und antiwestlich, das kennen wir auch. Vieles erinnert an die antiwestliche Geschichte der deutschen Kultur gegen die Zivilisation vor mehr als hundert Jahren.

Man bräuchte dieses Manifest gar nicht mehr kommentieren, wenn nicht unter diesem Propagandatext einige wichtige, wirklich wichtige Fragen lagerten. Zunächst: wer soll wie mit wem verhandeln? Die Frage ist nicht trivial, weil erstens die Legitimation von Verhandlungen und die Verwirklichung eines friedensförderlichen Ergebnisses keineswegs auf konkreter Ebene benannt werden kann, und weil zweitens die Drohung mit dem Nuklearkrieg, ausgehend von Russland, implizit bedeutet, dass man Kompromisse „auf beiden Seiten“ (Manifest) machen muss, damit es nicht zu einem nuklearen Weltkrieg kommt. Wörtlich heisst es da „

Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern. Das meinen auch wir, meint auch die Hälfte der deutschen Bevölkerung. Es ist Zeit, uns zuzuhören!

Wir Bürgerinnen und Bürger Deutschlands können nicht direkt auf Amerika und Russland oder auf unsere europäischen Nachbarn einwirken. Doch wir können und müssen unsere Regierung und den Kanzler in die Pflicht nehmen und ihn an seinen Schwur erinnern: „Schaden vom deutschen Volk wenden“. Und Schaden von den Menschen in der Ukraine abzuwenden, und Schaden von der russischen Lebenswelt abzuwenden, und Schaden von der friedlichen Kooperation als Ergebnis von Verhandlungen abzuwenden?

Das Manifest ist eine entpolitisierende appellative Form eines Aufrufs, der uns weder als Akteure noch als einflussreiche Vermittler sieht. Die Täter-Opfer-Balance ist ein probates Mittel, die Schuld und damit die Richtung von Politik – parteiergreifender, vermittelnder, oder sich ausblendender Politik – zu vernebeln.

*

Ich kenne einige der Erstunterzeichner, manche finde ich politisch besser als andere, das ist nicht wichtig. Wichtig ist mir, dass die Kritik am Manifest nicht eine schwarzweiß Umkehrung der Argumentation ist. Das bedeutet zum Beispiel, nicht mit der Möglichkeit des Kriegs zu drohen (wenn ihr nicht so verhandelt, wie wir es für richtig finden…), sondern die Realität zur Kenntnis zu nehmen und so zu vermitteln, dass man wissen kann, wer unter welchen Umständen mit wem worüber verhandeln kann. Wenn die Manifestler einerseits Deutschland als Kriegsakteur marginalisieren, andererseits aber Russland und die Ukraine als die beiden Seiten des Kriegs einander gleichsetzen, dann ist die Frage schon, was das mit Deutschland de facto zu tun hat.

Würde man ernsthafter an diese Frage herangehen, könnte man erstens die Differenz zwischen Wirklichkeit – Russlands Angriffskrieg und Verbrechen, Ukraines Verteidigung und Reaktion – wirklichkeitsnah benennen, – wenn man das kann. Das ließe niemanden aus der Kritik herausnehmen, würde aber eben differenziert urteilen. Zweitens spricht m.W. weder historisch noch pragmatisch etwas dagegen, dass während der Krieges verhandelt wird, und zwar um die Anerkennung der Mittler durch beide Seiten und um die Bedingungen für einen Waffenstillstand. Dessen Garantien sind entscheidend, ob der Kampf unterbrochen wird, oder absehbar beendet. Jetzt mit dem Kompromiss zu wedeln, der – vielleicht? – das Ergebnis sein kann, ist zynisch.

Es war immer schon ein probates Mittel, antiwestliche Ressentiments als Instrument des politischen Dazwischenredens zu verwenden. „Immer schon“ heißt seit dem Ende der Monarchie, konkret zu belegen. Dass es die westlichen demokratischen Diskurse, bei aller Kritik am Westen und besonders den USA (Vietnam etc.) dennoch vermochten, die politische Meinungs- und Willensbildung stärker zu prägen und zu beeinflussen als das weniger fassbare, östliche Narrativ, sollen die Kritiker bedenken. Oder befinden wir uns bereits im Drei-Staaten-Weltkrieg von „1984“?

Zufrieden im Krieg?

Eine Mehrheit in Deutschland sieht nicht, dass wir seit längerem IM KRIEG SIND, sondern befürchten, dass wir IN DEN KRIEG hineingezogen werden. Zum Beispiel durch die Lieferung von Panzern.

Die Gegenposition wäre, dass wir seit längerem im Krieg sind. Beide Seiten argumentieren mit scheinbaren Evidenzen. Scheinbar, denn die Evidenzen sind meistens Konstruktionen aus einer Mischung von Geschichtswissen, Vermutung, eigenen und fremdgesteurten Meinungen und auch ernsthaften Ergebnissen von Nachdenken und Analysen.

Wenn ein Land bestimmte Aktionen gegenüber kriegführenden anderen Ländern tut oder unterlässt, ist es im Kriege oder eben nicht. Vor fast einem Jahr habe ich gesagt, dass die Kriegslogik eine andere ist als die Friedenslogik, und wenn man schon eine Meinung dazu hat, sollte man auch auf die angewandte Logik und die Konsequenzen hinweisen. Ich habe auch darauf hingewiesen, dass die Meinungen dazu nicht ausreichen, um sich nachhaltig in diesem Diskurs zu behaupten, obwohl es natürlich wichtig ist, sich erst einmal Meinungen zu bilden und dann aus diesen politische Auffassungen, moralische Urteile etc. zu entwickeln, sich also aus der laienhaften selbst zugeschriebenen Unschuld heraus zu entwickeln. Je nachdem, ob man sich „quantenlogisch“ im Frieden befindet oder im Krieg, fallen die Urteile unterschiedlich aus. Was den Quantensprung bewirkt bzw. wahrnehmbar macht, ist eine komplizierte Fülle von Ereignissen. Die wiederum etwas Sachverstand braucht, um zu vernünftigen Urteilen und Ergebnissen zu kommen. Ich habe den Sachverstand im Einzelfall nicht, darum auch keinen Kommentar zu einzelnen Waffen, es gibt ja nicht nur Leopard2.

Mir geht es um etwas anderes. Wenn meine These von März letzten Jahres stimmt, dass WIR IM KRIEG sind und dass Krieg nicht nur aus sinnlich wahrnehmbaren Kämpfen, Schlachten, Verwundeten, Toten, Gefangenen, Angriffen und Verteidigung besteht; wenn also diese These stimmt, dann sollte man analysieren, wie lange man die Situation unseres Landes ALS IM FRIEDEN SIMULIEREN KANN. Umgekehrt, habe ich Unrecht, dann fragt sich, wie wir mit dem FRIEDEN IM KRIEG vor unserer Haustür umgehen. Vielfältig die Blogs und Statements und Diskussionsrunden, die Verhandlungen, Initiativen fordern, um dort den Krieg zu beenden, wo er hier nicht herrscht. Ich erweitere meine These, dass man sehr wohl aus dem Krieg heraus verhandeln kann, um Waffenstillstand oder eine Struktur von gegenseitiger Übereinstimmung zu erzielen, vielleicht weitreichend, vielleicht nur ganz punktuell. Geschieht ja dauernd, Gefangenenaustausch als Beispiel. Die kompliziertere Frage, nicht These, ist, ob man aus dem Frieden heraus in die Kriegsdiskurse eingreifen kann. Natürlich tun wir das längst durch Sanktionen, Wirtschaftshilfe, auch durch Informationspolitik und versuchte Beeinflussung. Vieles daran ist durtchschaubar und richtig, manches falsch.

Mein Problem, dass viel von dem Leid, das Russland verursacht hat, im Verlauf des Krieges „verallgemeinert“ wird, d.h. man schaut auf den Krieg als solchen und dann sieht man nur mehr Tote, Verwundete, Folter, Zerstörung, – aber man „entpolitisiert und entmoralisiert“ die Situation. Die „“ sollen nur aufmerksam machen, dass das eine sehr verkürzte Begriffsbildung ist. Frühere Kriege haben solche Haltungen hervorgebracht, das ist gut belegt. Was diesmal – seit 1945 wohl das erste Mal? – irritiert, ist die geringe Reflexion der eigenen Situation als nichtkämpfende, aber aktiv im Krieg sich bewegende Gesellschaft und staatliche Einheit.

Das hat, scheinbar paradox, auch mit Schuld zu tun, mehrfacher Schuld. Von Russland wird durch Missbrauch des Nazismusbegriffs die Wiederholung von Hitlers Krieg simuliert, und die Ukraine als Vorhut eines Angriffs aus dem Westen diffamiert, – zugleich will man sie zerstören, unabhängig von der Souveränität eines befreiten Staates. Es hat auch mit der selbst zugeschriebenen Schuld zu tun, eigentlich nicht genau zu wissen, was man jetzt tun sollte, und von wem man sich anleiten ließe, könnte man nicht selbst entscheiden.

Wohlgemerkt: das sind keine politikwissenschaftlichen oder philosophischen Überlegungen, sondern Reflexe auf das, was ich „mitbekomme“, wenn ich das Geschehen verfolge, und dann, hoffentlich, mit darüber Information hole und Gedanken mache (nicht umgekehrt). Und, das beunruhigt mich schon, 15 Jahre habe ich mir solche Gedanken in Afghanistan und gegenüber dem Geschehen dort gemacht. Man kann froh sein, nicht kämpfen zu müssen, nicht in unmittelbarer Sterbensgefahr sich zu befinden, ausweglos: aber deshalb steht man noch lange nicht außerhalb eines Geschehens, das eben auch KRIEG ist. Auch, das heißt, FRIEDEN wird weiterhin möglich sein, und schrecklich genug, auch als Ergebnis von Sieg, Niederlage oder Erschöpfung. Und dann soll niemand sagen, wir wären gottseidank draußen geblieben, weil wir ja drin gewesen sind, lebendig.

NACHSATZ: Das alles bedeutet nicht, selbstmitleidige Resignation oder zynischen Beobachterstatus einzunehmen. Es heißt „nur“, schwer genug, sich jenseits der Meinungsbildung über die eigne Position im Klaren zu sein.

Österarm

Einer der blöden Witze, Österreich ist auch regen- und Ärzte-REICH, und tatsächlich wirtschaftlich teilweise REICHER als sein deutscher Nachbar, das Land ist korrupter im Vergleich, künstlerisch und intellektuell profilierter, im Krieg der Russen gegen die Ukraine vorsichtiger gegenüber Moskau, verbal bösartiger gegen Geflüchtete, oft in der Praxis humaner, und, das merke ich auf Schritt und Tritt, wenigstens in Wien so multiethnisch wie wenige andere Städte in Europa.

Jetzt gab es Wahlen, die drei großen Parteien ÖVP, FPÖ und SPÖ liefern sich einen absurden Schattenkampf, die kleinen Grünen und NEOs im großen Bundesland Niederösterreich sind noch keine Zünglein an der vagen Waage. Es wird schwarz-rot, was den Blauen auftrieb geben wird. Dass die Braunen blau sich färben ist so absurd wie die Landesfarben von NÖ blau-gelb sind. Dass die Braunen so stark geworden sind – 25% – liegt an der Asylfrage – Unmenschlichkeit hat eine Tradition, solange man nicht betroffen ist, und ander durch die FPÖ vereinnahmten Covidpolitik, sie haben zu wenig Opfert der Seuche in ihren Reihen zu beklagen…vielleicht. Aber der Grund für die Schwiemligkeit und Korruptionsanfälligkeit der drei Großen geht weiter zurück. Viel weiter. Bis zum Ende des II. Weltkriegs. Trotz vieler und herausragender intellektueller und künstlerischer Vergangenheitsbewältigung wachsen der Köpfe der faschistoiden Hydra immer wieder nach, austro- und NS, oft vermischt, oft gegeneinander, und die Selbstabschaffung der Sozialdemokratie nach der Ära Kreisky ist noch einmal komplizierter, aber evident. Das alles wird in vielen Medien rauf und runter dekliniert. Aber es ist ein Kennzeichen dieser öffentlichen Politik, dass das SAGEN schon ausreicht, um nicht HANDELN zu müssen.

Der Bundespräsident AvB (van der Bellen für Unkundige) ist die rühmliche Ausnahme, Fels in der Brandung, demokratischer Fels in einer populistischen Brandung.

UND unterhalb dieser unguten rechts-schwappenden Realität gibt es eine Menge weltoffener, kritischer, produktiver Metastasen, die sozusagen das bessere Abbild einer möglichen Politik abgeben, einer möglichen Kultur, einer möglichen Sozialreform etc., die halt eben nur noch nicht wirklich ist. In diesem Möglichkeitsareal fühlt man, fühle ich mich wohl; aber auch wenn wohler als anderswo, jederzeit kann es wieder zu einem Einbruch der Wirklichkeit, faschistoider innenpolitischer Praktiken usw. geben – das kann man an realen Fällen belegen, immer wieder.

Nach einer Woche harter Arbeit, Freundschaftsbesuchen, Diskussion, Projektentwicklung, Burgtheater („Zauberberg“, super), und endlich gutem Essen, nach dieser Woche schaue ich wie auf einen kleinen Planeten, den ich regelmäßig verlassen muss, um meiner Wien- und Alpensehnsucht nachgeben zu dürfen.

Keine Heimattümlei, Heymaththümeley, sondern Ausleben der Differenz. Schaut euch die Armut auch an, z.B. in ländlichen Regionen, wo kleinste Orte weder Lebensmittel, noch Ärzte, noch Gasthäuser, noch ÖPNV-Anschlüsse haben, schaut euch den Wohlstand an, der in viele Poren nicht eindringt und andere aufbläst, und – darum geht es mir – vergleicht. Sozialstatus, Rentenpolitik, Wohnbaupolitik, Tourismus, und vor allem Klimapolitik. Die Skala besser-schlechter ist unsinnig, Differenz bedeutet auch, dass ich immer wieder nach Wien kommen muss.

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Ich finde es lustig, dass vieles von dieser Zusammenfassung auch in kritischen Fremdenführern, Projekten, Diskussionen aufscheint. Man muss nur Musils „Möglichkeitssinn“ studieren, um die Menschen ohne Eigenschaften zu verstehen.