Grüner Ausblick: Ö

Der letzte Tag im September. Endlich Regen in Brandenburg, kann gar nicht genug sein. Die Erinnerung an den Alpenhimmel in Südtirol ist lebendig, langsam schiebt sich die Wirklichkeit wieder zwischen die Assoziationen von gelungener Atempause und Erholung … Mein Bewusstsein hat noch nichts von Trumps Patriotismusfanfare angenommen, aber ich fühle mich wie ein Doppeladler, der nach Österreich schaut, aber in Deutschland Politik machen soll. (So fühlen sich Doppelstaatsbürger halt…).

Die konservative ÖVP hat in Österreich eine Wahl gewonnen, die einem überwiegend konservativen Land durchaus realistisch zusteht. Die Grünen haben den Sozialdemokraten mit 13% gegenüber 22% (vorläufig) zwar noch nicht den Rang, aber endlich die Tendenz abgelaufen, es wurde Zeit.  Dass so viele Nazis in der FPÖ sich zu der strotzenden ÖVP geflüchtet haben oder daheim geblieben sind, ist nicht nur erfreulich, wirklichen Gesinnungswandel kann man nicht erkennen, und ob es zu einer rechten Spaltung wie damals in Knittelfeld kommen wird, ist fraglich. Ob die Nazis wieder mitregieren, ist glücklicherweise zweifelhaft bis unwahrscheinlich, aber ob der Magen des langen Kurz groß genug ist, die vernünftigen Kröten der möglichen Partner: Asyl, Klima, Soziale Gerechtigkeit, wenigstens teilweise aufzunehmen, von verdauen reden wir jetzt noch nicht, ist auch fraglich.  Noch ist Österreich nicht verloren, das müsste ebenso in Polen, Ungarn, Rumänien, Kroatien, und anderswo ähnlich angestimmt werden. Vom Gipfel der schneefreien Berge aus ist Grün eine wichtige Zukunftsfarbe, aber es gilt auch viel Braunes, Schwarzes, Rostrotes wegzuputzen, und das sagte der österreichische Grünenchef Kogler etwas Interessantes: wir sind (Partei und) wieder eine Bewegung. Genau das abgelegt zu haben, hat den deutschen Grünen ihren Höhenflug beschert, da sollte man die Unterschiede analysieren, warum Österreich mit seinem festgefügten Korporatismus eine Bewegung braucht, – übrigens ist und bleibt der Begriff ambivalent, also Vorsicht. Aber dass die Partei etwas und jemanden bewegt, ist die gute Nachricht. Die weniger gute ist eine niedrige Wahlbeteiligung, wobei man viele Rechte und auch sich abgehängt Fühlende im Lager der passiv Verdrückten vermuten muss. Wenn man sich die Wahlkreisverteilung in Wien anschaut, dann sieht man eines: grün verträgt keinen Linksruck. Grün ist eben nicht rot.  Sondern allenfalls, wenn‘s ökologisch und ökonomisch stimmt, eine Koalition mit Links. Das gilt in Deutschland auch und wird von den meisten auch so verstanden. Die Alternative ist eine andere Form der Bündnisse in der Mitte, die eher die rechten Parteien dorthin drängen, als ihnen nach rechts folgen.

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Dass man trotzdem heute nicht froh ist, sondern nur ein wenig erleichtert, hat viele Gründe. Kurz würde man ja noch weniger wählen wollen als die CDU, bei aller Merkel. Aber – und deshalb hat Kogler mit der Bewegung recht – unter der dünnen Oberflächenhaut ist die soziale Lava in Bewegung geraten. Auch hier stimmt die Rechts-Links-Dominante als Dimension nicht mehr.

Ich mache keine Prognose für eine Koalition. Ich hoffe, man wird dem menschen- und europafeindlichen Grenzregime von Bayern aus Österreich Widerstand entgegen setzen, man wird den Brenner frei halten und mit Immigranten wieder menschlicher umgehen. Dann schaun wir einmal…nur eines wird man seltener hören, des Wieners Lieblingsspruch: „Konnst eh nix mochen“.

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Gut, dass ich zwei Köpfe habe.

 

 

Sag, was du weißt – schweig nicht zur Gewalt

Ein seltsamer Titel, ich weiß. Ich habe in diesem Blog immer wieder zu verschiedenen Formen des Widerstands aufgerufen oder von ihnen abgeraten. Das Risiko des wahr Sagens besteht und kann sehr groß sein, und das Rsiko, dass die Verstümmelung von Wahrheit zum staatlichen, rechtlichen, oft moralischen Prinzip, oder zu einem Urteil wird, ist ebenso groß. Dass sich die Beschädigung von Personen und der Gesellschaft hinter den ganz großen Begriffen wie Freiheit versteckt, ist geradezu ein Prinzip der Gewalt. Wenn sich diese Gewalt hinter einer wichtigen Instanz unserer staatlich verfassten Gesellschaft versteckt, hinter der Justiz, dann ist das gefährlich. Für uns, für jede(n) Einzelne(n), für alle. Gewalttätige Urteile sind keine Ausrutscherm, sondern ein für viele fast unvermeidliche Begleiterscheinung eines eigentlich ganz ordentlichen Systems von Gewaltenteilung und Rechtsstaat. Für mich nicht: sie sind Anzeichen einer Erosion, die nur selten so bizarr wie im Fall Gewalt gegen Künast anzutreffen ist. Gewalt im Einzelfall lenkt auch ab von der Gewalt im allgemeinen gesellschaftlichen Gefüge.

 

Eigentlich ist ein Wort, das selbst seine Tücken hat. Eigentlich möchte man zur Blödheit des Bundeskabinetts mit seinen Klima-Katastrophen-Beschlüssen und den Folgen für die demokratischen und republikanischen Staatsbürgerinnen ausführlich und genau Stellung nehmen. Eigentlich möchte man zu gerade wieder erneuerten und erschreckenden Beobachtungen zu Gletscherschwund und absehbaren endgültigen Verstümmelungen von Landschaft und Sozialstruktur Stellung nehmen (was am Beispiel einiger Wochen in Südtirol ohne Pathos, eher resigniert möglich ist); eigentlich möchte man aber auch zurückkehren zu den Friedens- und Konfliktpolitiken, die auch den Rahmen für Finis terrae in diesem Blog geben. Eigentlich möchte man den Jargon der Eigentlichkeit[1] nicht anreichern, aber dann lese ich:

In einem Land, in dem man „nichts mehr sagen darf“, sind laut Berliner Landesgericht folgende Äußerungen gegenüber der Grünen-Politikerin Renate Künast erlaubt: Drecksfotze / Stück Scheiße / Schlampe / Sondermüll / Geisteskranke / Knatter sie doch mal so richtig durch, bis sie wieder normal wird / vielleicht als Kind ein wenig zu viel ge… Sie bewegen sich „haarscharf an der Grenze des noch Hinnehmbaren“, werden als „zulässige Meinungsäußerungen“, „mit dem Stilmittel der Polemik geäußerte Kritik“, „überspitzt, aber nicht unzulässig“ und „Auseinandersetzung in der Sache“ gewertet (mehr zu Fall & Begründung hier). Gegen den Beschluss will die Politikerin Beschwerde einreichen.

„Man darf das nicht so stehen lassen“, sagte Renate Künast dem Checkpoint am Donnerstagabend. „Es geht hier um den Kern unserer Demokratie und darum, wie mit Menschen umgegangen werden darf, die sich öffentlich engagieren.“ Ziel der Hetzer sei eine systematische Sprachverschiebung, sagte Künast. „Wenn man Dinge nur oft genug sagt, glauben die Leute sie irgendwann, auch wenn sie vollkommen falsch sind. Genau darauf setzen die Rechten.“ Die Politikerin will, wenn nötig, bis vor den Bundesgerichtshof ziehen. „Es wird Zeit, dass sich die höchstrichterliche Rechtsprechung mit der Frage auseinandersetzt, was gesagt werden darf und wo Grenzen zu ziehen sind.“ Grenzen, die vielleicht längst überschritten wurden.

Tagesspiegel Online 20.9.19

Es haben sich auch schon andere über die Blödsinnigkeit der beiden Richterinnen und des Richters am Landgericht Berlin aufgeregt. Man  muss diesen schrecklichen Juristen nicht gleich alle bösen Absichten der ewig-gestrigen Abkömmlige der deutschen Nationaljustiz unterstellen, die trauen sich nur nicht zu sagen, wo und unter welchen Umstände es Grenzen der Meinungsäußerung geben muss. Es muss sie geben und man sollte gegen sie im konkreten Fall ankämpfen können,  nicht so wie hier: keine Grenze setzen und sich dann über die Folgen der Freizügigkeit von Hass und Diffamierung wundern (wenn deutsche Richter sich wundern können…). Frau Künast ist keine Nebenperson der deutschen Politik. Sie muss unterstützt werden in ihrem Revisionsverfahren, aber man muss auch der liederlichen Fraktion der Justiz auf die Finger und aufs Maul schauen. Dazu im Tagesspiegel vom 28.9.2019: siehe Anhang:

  • Was die andern Themen angeht, geht es darum, nicht etwas eigentlich zu sagen und zu tun, sondern es zu sagen und zu handeln.

Die beiden Bereiche hängen zusammen. Allenthalben wird von vielen, auch selbst aktiv Betroffenen oder passiv Betroffenen (also auch Teil-Hassern, Beschimpfern und Drohern, Beschimpften, Gehassten und Bedrohten) die Verrohung der Gesellschaft durch und in ihrer Sprache beklagt oder angeprangert. Was damit gemeint ist, versteht sich im Alltag sofort…wird aber bei genauem Hinsehen kompliziert. Man sagt eben nicht öffentlich zu einer oder einem Anderen Du Arschloch, Sie Drecksfotze, Ihr Lügner etc. Das Problem liegt nicht im Wort,  sondern im „Man“. Die rechtlichen Grenzen der Freiheit, sich gegenüber anderen zu äußern, sind ganz andere als die moralischen, politischen und die, die zur Lebenswelt und eben nicht zum System gehören. Das Diktat des Man, betreffend was man darf und nicht darf, sind so komplex und vielschichtig, dass sich die Richter und die politischen Kommentatoren leicht dahinter verschanzen können, das Man zieht eine unsichtbare Grenze und ist selbst nicht auffindbar. Und doch wissen wir ziemlich genau, was geht und was nicht. Woher wir diese Gewissheiten haben, ist auch nicht einfach darzustellen, aber es gibt internalisierte Regeln, deren Einhaltung den Zusammenhang von Gesellschaft ebenso garantieren wie bei anderer Gelegenheit der Regelbruch, die Tabu- und Normenverletzung. Wer wann was sagen kann und darf, sollte zwar rechtlich in einem weiten freiheitlichen Rahmen geregelt werden, aber eben unter der steten Gewissheit dieses Grundsatzes. Wann ein Konflikt virulent wird, gezeigt werden muss, und wann er so geregelt werden muss, dass er nicht akut ausbricht und zur Gewalt  – oder zur irreversiblen Beschädigung von attackierten Menschen wird – ist bisweilen vorhersehbar – oft aber nicht. (Nebensatz: dazu ist es ganz gut, wenn sich Soziologie, Anthropologie, Sprachforschung etc. in die Erforschung von Konflikten gemeinsam einbringen).

Das Hinnehmen des Man ist eine Kapitulation vor der Macht derjenigen, die nicht Man sind, sondern ihre Macht als Herrschaft, als Hegemonie ausüben.

Der Widerstand dagegen muss sich oft den Vorwurf gefallen lassen, er arbeite mit den gleichen Mitteln wie die, die er angreift. Für mich muss das KEIN Vorwurf sein, richtig, auch ich denunziere, beschimpfe, drohe etc. bisweilen, aber eben nicht aus der Position der Macht heraus. Wenn die Sprache trotzdem wirkt, in dem sie das Denken und Handeln anderer aktiviert, habe ich einen politischen Zweck erreicht, den ich auch verantworten muss.

Künasts Richter haben mich abgelenkt. Wir können sie nur bestrafen, indem wir eine Justiz kritisieren, die solche Urteile ja gefördert hat, durch Ausbildung, Diskurs-Hegemonie und die Feigheit vor der Wahrheit. Die drei sind wahrscheinlich nur moralische Hohlköpfe, die Angst haben vor der Umkehr ihrer Argumentation: die Angreifer durften Frau Künast nicht so beschimpfen, weil… und dann in der Begründung die Grenze des Sagbaren benennen, ohne dass dies die Freit der Äußerung beschränkt. Das Sagendürfen der Gewalt ist ja oft keine Freiheit.

Und zurück zur Einleitung, zum Eigentlichen: Was wir wissen, müssen wir nicht zurücknehmen, nur weil es einem nicht tragfähigen Rechtssatz widerspricht. Das kann Konsequenzen haben. Auch für uns. Davon lebt die Gesellschaft und ihr Zusammenhalt: dass der Widerstand gegen ihre zurück gebliebenen Grundsätze sie immer wieder nach vorne, a jour, bringt.  Das Eigentlich verflacht dieses Prinzip.

ANHANG zum Fall Künast: Tagesspiegel online 28.9.2019

Dass die Grünen-Politikerin Renate Künast Beleidigungen wie „Drecks Fotze“ hinnehmen müsse, wie das Berliner Landgericht vergangene Woche urteilte, hat längst nicht nur Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble schockiert. Die Anwälte der Kanzlei Bernhard Korn und Partner gehen noch einen Schritt weiter: Sie haben jetzt Strafanzeige gegen die verantwortlichen Richter gestellt.

Zur Begründung schreiben sie auf ihrer Webseite: „Das Urteil hat uns geradezu empört, weil der Verdacht naheliegt, dass sich die Richter aufgrund ihrer politischen Überzeugungen zu einem schlicht unvertretbaren Urteil entschieden haben.

 
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[1] Adorno 1964.Ich möchte den Widerwillen gegen den Begriff der Eigentlichkeit nicht soweit in die theoretische Sphäre heben, aber vieles an Adornos Kritik schwingt hier mit und lässt einen überprüfen, was man eigentlich sagen wollte…

Deutschland erwacht – halbwegs?

Lest einmal die Liedfassung von 1937, von Bruno Schestak gereimt und vertont, Hitler gewidmet.

Ich schreibe sie hier nicht auf, sie ist zu gräulich. Interessant ist, wo man den Text im Netz findet, in welcher Nachbarschaft sich der Hass breit macht. Die Beziehungen zu älteren Liedtexten und Melodien (Sturmlied: https://en.wikipedia.org/wiki/Sturmlied) sind nachgewiesen.

Oder vielleicht doch die zweite Strophe von Schestak: (http://ingeb.org/Lieder/deutsche.html)

. All diese Heuchler, wir werfen sie hinaus,
Juda entweiche aus unserm deutschen Haus!
|: Ist erst die Scholle gesäubert und rein,
Werden wir einig und glücklich sein! 😐

Das klingt wie Beatrix von Storch, wie Höcke, wie Kalbitz….wie ein ganze Menge von AfD Politikern. Und die lässt man reden.

In einem Einwanderungsland wie der Bundesrepublik können wir Juda durch Millionen Menschen, die als MigrantInnen zu UNS gekommen sind, ersetzen, gleichzeitig einen ethno-rassistischen Antisemitismus weiter hinnehmen, und dann der Verheißung folgen: Wir werden einig und glücklich sein. Dass jüdische Menschen in der Regel gerade die Scholle nicht  besessen haben, war den Menschen 1937 wohl entfallen; und dass das Verschwinden der jüdischen Deutschen, später der jüdischen Europäer Einigkeit und Glück gebracht hätte, wird niemand unterstellen. „Verschwinden“ = Wir töten sie.

Nun überlasse ich Deutschland nicht den Nazis von NPD, AfD und Identitären. Langsam wachen die wachen Geister auf und verstehen, dass es sich bei diesen Menschen und Parteien nicht um zurückgelassene verängstigte Abgehängte handelt, sondern um a) Nazis, wie sie VOR 1933 zunehmend den Ton angegeben haben, b) um deren geistig-moralische Gefolgschaft, die vor 1933 und dann im „Reich“ und dann danach unter allen Lebensumständen die Ideologie der Protagonisten nicht verstehen konnten, weil sie sie nicht verstehen wollten, c) um solche,  die das alles sehr wohl verstehen und sich Erfolge oder Positionen für die Zukunft erhoffen.. mit der Gruppe d) den Verführten, Eingeschüchterten, dem Missverstehen anheim Gegebenen wollen die Politiker reden, die selbst, als Demokraten, Wahlen verlieren und sich Legitimität zurückholen wollen…reden, reden, reden.

Nun, die Kommentare der Wissenschaft werden erfreulicherweise immer deutlicher.  Ein gutes Beispiel ist Matthias Quent; es gibt deren mehrere. Es ist nicht selbstverständlich, dass die Wissenschaft der Politik politisch voraus ist.

*

Die Nazis sind keine neuen Nazis, es sind Nazis, und ihr Gedankengut ist, mit den zeitbedingten Verschiebungen und kommunikativen Modernisierungen, so identitär grundständig wie eben die früheren Nazis auch nicht homogen waren. (Das war im übrigen eine ausnutzbare Stärke der Nazis, gegenüber relativer Engführung der kommunistischen Fokussierung). Und dass gemäßigte oder so genannte Bürgerliche bei den AfD und Identitären jedes Potenzial zur illegitimen Gewalt, zum Rassismus, zur Diskriminierung leugnen – Meuthen etwa, das war früher auch so: der osmotische Rand verbrecherischer Organisationen ist sozusagen die Systemumgebung der Faschisten, aus der sie ihre Ressourcen ständig beziehen und erneuern.

Damals wollten sie, dass Deutschland zur Diktatur erwache, sie also nicht einfach von oben geschehen lässt. (was ja auch geschähe, könnte die AfD mitregieren und im demokratischen Rahmen mit entscheiden, was ja einigen Ortes bereits der Fall ist…).

Die Demokratie muss hinnehmen, dass sich ihre Feinde artikulieren. Sie muss den Versuch der Teilhabe an der Herrschaft nicht hinnehmen und damit sind auch die Grenzen der Meinungsfreiheit für diese Nazis deutlich gezogen. Die Frage, ob „man“ mit ihnen reden dürfe, diskutieren, ob sie in der öffentlichen Meinungsvielfalt adäquat „vorkommen“ dürfen, entscheidet sich nicht schematisch, das ist wirklich ein Problem. Muss die AfD bei jedem Thema in jeder Talkshow „vorkommen? Der heikle Punkt ist, dass das Vorkommen der Nazis nicht ausschließlich das Ergebnis einer Wahl, eines Ergebnisse von 20-30% sein kann. Womit wir wieder bei a)-c) sind. Die oft geforderte klare Kante besteht nicht in pauschaler Ablehnung und eigener (demokratischer?) Redebereitschaft oder Kommunikationsverweigerung. Zuerst müssen die nebeligen Begriffe beiseite geräumt werden, dann kann man auch leichter mit Gruppe d) reden.  Aber Nazis sind eben Nazis und keine Rechtspopulisten, Gewalt- und Hassprediger sind eben nicht nur Übertreiber, Abgehängte sollen sagen, worin sie abgehängt sind, bevor man sich ihrer Sorgen annimmt…Da können wir Wissenschaftler schon mehr an Beiträgen leisten als jetzt der Fall ist.

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Ich lege hier meine eigene Latte hoch: Klima und Nazis sind die Twintowers. Dazu: die Nazis sind nicht immer Nazis im historischen Sinn, Trump steht ihnen geschichtlich näher, auf niedriger Ebene Orban oder Kaczynski, aber die andern Selbstherrscher sind da nicht weit weg. Test für arrivierte Lehrende an der Oberstufe: Nazitexte, Stalintexte, in manchen Fällen Texte des Vatikan, und solche von Subalterndiktatoren: mischt sie, und lasst die SchülerInnen und StudentInnen herausfinden, woher der Sound kommt. Die DDR war groß im Verwerfen der Totalitarismustheorie und  hat sie doch nur gefestigt; die USA, auch von uns lang gepflegter Verbündeter in Recht und Entwicklungszusammenarbeit, sind mit China, Russland und einigen andern Weltmarktführer in Folter, Todesstrafe, Vertragsbruch. Messen wir andere Gesellschaften an dem, was wir zur Gewaltherrschaft und zum Klima tun, wie wir handeln, gibt uns eine Reflexionsebene ab.

Zwischenfazit: zum ersten Teil dieses Blogs ein kleiner Aufruf: Stellt euch auf den weitern,  langwierigen und langfristigen Umgang mit Nazis ein, gebt ihnen nicht nach, und zwingt sie in den Diskurs-Zusammenhang, der Demokratie lebendig hält, also widersprüchlich und unabgeschlossen. Vor allem, wenn sie glauben, sie seien erwacht, heißt das noch lange nicht, dass wir schlafen.

Zum zweiten Teil: auch wir haben unseren Anteil am Erstarken einer Bewegung, die wir gut kennen sollten (ich erspare mir das „eigentlich“, wie gut wir sie kennen sollten). A) bis c) kann man nicht bekehren, und soll sie nicht bekehren wollen: man muss sie bekämpfen. D) ist die Zielgruppe, die soviel faschistisches, nazistisches, stalinistisches, klerikales, unaufgeklärtes Potenzial in sich trägt, das für alle Parteien reicht und in allen gilt.

 

 

Damals 1933 1989 2019

Damals wie heuteWir sind das Volk – plakatiert die AfD, und abgesetzt darunter: 1989 / 2019 Vollende die Wende!

Nach den für die Nazis erfolgreichen Landtagswahlen vom 1.9. war mein erster Impetus: hört auf, die AfD hochzuschreiben. Andere, demokratische Kräfte kommen kaum mehr vor im öffentlichen Diskurs. Sarah Wagenknecht, spätstalinistische Hofdichterin der desaströs abgestürzten Linkspartei, sucht die Schuld bei der eigenen Partei, von der früher das Wahlvolk ähnlich motiviert war wie heute von der AfD, und wohl aus diesem Grund massenhaft übergelaufen ist…was sie damit wirklich sagt, ist ziemlich furchtbar: nämlich das Eingeständnis, dass die Linkspartei/vorher PDS/vorher SED, nun tatsächlich das Spiegelbild der Protestpartei von Systemgegnern war (und ist). Furchtbar, weil sich z.B. in Brandenburg gerade die Linkspartei von ihren Stasi-Altvorderen teilweise mit dem Stimmzettel massiv getrennt hat. Das macht sie etwas demokratischer und etwas weniger wurzelgrundhaft populistisch. Wagenknechts Intention ist natürlich eine andere: hört aufs Volk, seid nicht abgehoben, sondern versteht die Ängste, Sorgen, Verlustgefühle…und bitte, überprüft ja nicht deren Berechtigung und Inhalt. Kubicki, von der anderen kleinen Verliererpartei, sagt ähnliches, mit der Nuance, dass nicht alle WählerInnen der Nazis selbst Nazis sind. (Es gab auch WählerInnen der NSDAP, die keine Nazis waren, so wie es KPD WählerInnen gab, die keine Stalinisten waren. Dennoch muss man von Nazis und Stalinisten sprechen…). Damals wie heute: die AfD sagt 1989, und meint 1933.

Ob ich da nicht übertreibe? Wenn man dem gemäßigten Parteivorsitzenden Meuthen glaubt, übertreibe ich und sorge dafür, dass polarisierte Plebejer jetzt erst recht AfD wählen. Wenn man den Weidels, Gaulands, Höckes, von Storchen und Kalbitzen zuhört, dann übertreibe ich nicht. Kalbitz, erwiesenen rechtsradikalen Ursprungs, bemüht sich, nicht nur wie Himmler auszuschauen, sondern auch seine Diktion und seinen Habitus dem anzugleichen…Vor 1933 hatten die Nazis zwischen einem Drittel und der Hälfte der Deutschen vor sich hergetrieben, heute ist es noch nicht so arg, aber bei 25% liegt gesamteuropäisch und auch in Deutschland das Nazipotenzial.

Zwei Vergleiche müssen sein: der mit den Nazis vor 1933 und der mit anderen faschistischen Parteien in Europa.

Letzteres ist einfach: überall wo „rechte“ Parteien an der Regierung oder stark in den Parlamenten sind, werden populistische, rassistische, oft sexistische, ethnopluralistische Argumente immer neu zusammengesetzt. Es gibt keinen einheitlichen Faschismus, hat es nie gegeben, und es gibt keine stichhaltigen Polarisierungen an den Extremen der Rechts-Links-Koordinate. Dabei ist allerdings wichtig, dass dies auch nicht bedeutet, es gäbe eine akzeptable Mitte, z.B. eine Liberale. Die Achse ist falsch, und alle Positionen auf ihr tragen nicht.

Die Nazis vor 1933 waren auch nicht homogen (übrigens danach auch nur in Maßen). Die AfD hat –  selbstverständlich und „natürlich“, wenn man die „Natur“ der politischen Rahmenbedingungen nimmt – einige andere Schwerpunkte, Anlässe, Events, Trigger und mediale Methoden. Aber keine grundsätzlichen Differenzen, selbst die Spaltung in einen völkisch-ethnonationalen und einen staatlich-faschistischen Flügel hat es bei den Nazis schon früh gegeben.

Wenn jetzt die Woidkes, Wagenknechts, Kubickis etc. uns auffordern, mit den Leuten zu reden, kann das verschiedene Dimensionen haben. Bekehren wollen kann man sie durch Zuhören und Reden nicht. Die Abkehr vom nazistischen und völkischen Gedankengut erfordert eine Abtrennung der Gefolgschaft von den Leitfiguren, die ja keinen geringen Druck auf die Einzelnen ausüben. Und es erfordert eine andere Diskursebene als die Konfrontation dessen, was wir von der AfD halten. Zum einen – keine Bußübung, bitte – sollten wir überprüfen, von welcher Position aus wir die AfD kritisieren. Die AfD schädigt gewiss die Parteiendemokratie weniger als das republikanische Grundverständnis der demokratischen Gesellschaft. Als Partei bedient sie sich der Propaganda, Lüge, Versprechungen, Verschleierungen von Einnahmen – vielleicht schlimmer als andere Parteien – aber nicht grundsätzlich anders. Als politische Kraft, d.h. als soziale Gruppe mit unscharfem Rand und machtvollen Strukturen im sozialen Raum, hingegen können wir sie rigoros ablehnen,  weil sie weder mit dem Buchstaben noch dem Geist des Grundgesetzes einher geht – ohne dass wir bereits über jede Kritik in dieser Richtung erhaben sind. Der Rassistische und völkische Kern, der Ethnozentrismus und die Zivilreligion des Volks an sich, das sind die Punkte, an denen wir sie angreifen müssen, zur Gegengewalt  bereit sein können – und eine andere Politik auf Gebieten machen, wo die AfD tatsächlich populistisch Schwachstellen aufgreift – das haben autoritäre Parteien immer so gemacht und machen es in ganz Europa weiter so.

Damals ist kein Zufallswort und kein Gag. 1989 in die Tradition von 1933 zu stellen, ist so „konsequent“, wenn man will, wie den Widerstand der Weißen Rose oder Willi Brandt zu vereinnahmen – nicht einfach taktisch klug. Man bemächtigt sich unseres Selbstverständnisses, um selbst keines herstellen zu müssen. Was tun wir? Verteidigen die Geschwister Scholl oder Willi Brandt, anstatt ihren Vergewaltigern die Luft der Kommunikation abzudrehen. Sagt sich leicht, ich weiß, und ist schwer. Aber man muss diese Typen angreifen und ihnen nicht den Pluralismus der Demontage jenes Bodens gestatten, auf dem wir und unsere Kinder stehen. Was mich zurückbringt zur notwendigen Analyse des Rahmens, aus dem heraus wir politisch argumentieren.

Die Wahlanalyse zeigt: die AfD kann in Zukunft nicht noch einmal so viele bisherige Nichtwähler mobilisieren. Das ist gut so, aber wir müssen uns um die auch kümmern. SPD und CDU dürfen sich nicht auf ihren Status als Volksparteien berufen, wenn sie nicht bereit sind zur Konstituierung des Volkes aus der Bevölkerung heraus einen demokratischen Beitrag zu leisten, in der Sozialpolitik, in der Klimapolitik (Woidke und seine Braunkohle), aber auch in der Bildungspolitik (die kam im Wahlkampf so gut wie nicht vor); wir, die Grünen, haben das besser gemacht, aber es fehlt noch etwas im Konzipieren einer Politik, die nicht jetzt die roten Linien benennt und dann nicht über sie hinaus kann…lass die andern mal, wo sie sind.

Vor 1933 haben – aufgrund anderer Umstände als heute – viele Menschen nicht mehr an die Kraft der repräsentativen Demokratie zur Ordnung der gesellschaftlichen Verhältnisse geglaubt und sind der autoritären Zielvision gefolgt, dass es eine Herrschaft schon wird richten können. Damals wie in der Nazizeit, wie in der Sowjetunion, wie in der DDR hat sich solches Denken in starken Residuen erhalten, ist gar neu aufgekommen. Man kann es nicht durch das bessere Argumente abtöten, sondern nur durch richtiges politisches Handeln. Und was auf der Hand liegt, dieser Katalog, ist ja da.

Warum tun wirs nicht, wenn wir das Geld, das Mandat und die Instrumente haben? weil wir WählerInnen verlieren, weil wir Menschen abhängen, weil Menschen in ihren Ängsten bestätigt werden, weil es niemand versteht als die Eliten da oben….? alles nicht gänzlich falsch und doch in Gänze falsch. Die Macht, das zu tun, was, auch wenn es weh tut, jetzt gemacht werden muss, braucht legitime Macht, die wir ausüben können, also eine andere Herrschaft,  und keine Furcht vor den Gespenstern der Geisterbahn des Volkes, das es gar nicht gibt. Des deutschen Volkes schon gar nicht….