Meinst du „frei“?

Es gibt eine alltägliche Meinung, dass Meinungsfreiheit zu den herausragenden Freiheiten unserer Gesellschaft zählt. Das kann „man“ so sehen, wenn „man“ eine Hohe Meinung von der Meinung hat. Welche Meinung nun jemand, ein einzelner Mensch hat, erfährt man, wenn dieser Mensch sich äußert. Das darf und kann fast jeder. Und? Schon die Äußerung ist eine niedrige Hürde, aber immerhin erspart sie den anderen zu rätseln, welche Meinung denn der Eine hat, der jetzt seine Meinung kundtut. Das alles ist verfassungsrechtlich gut verankert, und erfreut uns, nicht wahr?

Kein Seminar zur Meinungsäußerung oder Kommunikation. Aber ich muss einen folgenreichen Ärger loswerden. In den letzten Wochen wurde die Meinung zu Kanzler Scholz‘ folgenreicher Ukraine-Panzer-Politik wie ein Mosaikschirm über dem Land verteilt. Ich hatte natürlich auch eine „Meinung“ dazu, ABER.

Das Haben einer Meinung ist nebbich. klar, jeder kann zu allem eine oder mehrere Meinungen haben. Auch darf sie jeder äußernm, in sehr weiten Grenzen, und nur ganz wenige Auffassungen dürfen nicht oder nicht so, wie sie unserem Hirn wuchern, geäußert werden. Gut so. ABER: muss man sagen, was man sagen kann, und zu wem und wie und zu jeder Zeit, vor allem, ohne dass auf einen selbst zurück geschlossen wird, und die Folgen der eigenen Meinungsäußerung haben ja auch eine politische und mentale und andere Wirkung. „Sind Sie jetzt für die Panzerlieferung in die Ukraine, an die Ukraine?“.

Kann man sagen, ja, und kann man sagen, nein. Dafür oder Dagegen. Meinungsumfragen geben dann ein Bild dazu ab. Jetzt erst wird es spannend: warum haben manche die pro-Meinung, andere die kontra-Meinung? und schon bei den einfachsten Differenzierungen der jeweiligen Meinung verwirrt sich das Bild. Da geht es nicht nur um Krieg und Frieden, und in wessen Hände die Panzergehören, da geht es um komplizierte ethnische, ethische, politische, aber auch finanzielle Urteile. Ist doch gut, wenn das aus Meinungsfreiheit sich so entwickelt, ein bunter Strauß von Meinungen, das nenn ich frei. Seit Wochen denke ich darüber nach, was die Meinungsträger über die Panzer wissen, was ich weiß. Ich kann mich informieren. Wirklich? Was wissen wir vom Krieg, in dem wir uns schon befinden, Leo hin, Leo her.

Schon die medialen morgendlichen Pressespiegel zerpflücken den Strauß, aber was können wir daraus lernen? Was sollen wir wissen, um unsere Meinung in die Politik einzubringen, angesichts der Tatsache, dass das VERTRAUEN allein in solchen Situationen vielleicht zu wenig ist (In anderen reicht es, gut so). Vertrauen in wen? in Scholz, in die Regierung, in die Bundeswehr, in die Amerikaner etc.? Der bunte Strauß ist ja ein Zeichen dafür, wie frei unsere Meinungsbildung ist, aber, darauf will ich hinaus, Meinungen sind oft weit weg vom Wissen, und selbst wenn man viel weiß über Strategie, Taktik und die Funktionalität des Panzers – selbst dann ist es nicht leicht, ein Urteil zu fällen, und kommt es auf mein, unser Urteil überhaupt an?

Doch, ja. Aber wem sage ich dazu was und wo, wenn mein eingegrenzter themenbezogener Verstand noch ziemlich laienhaft ist, weil ich ja noch nicht einmal die nicht kriegerischen Aspekte des Kriegs am eigenen Leib, in meiner Umgebung so richtig wahrnehme. Ja, da sind Geflüchtete, meiste Frauen, Kinder, Ältere aus der Ukraine. Ja, da kann man sich karitativ entlasten. Gekämpft, gestorben, getötet wird woanders. Das zeigt auch die Vergleiche auf, die wir gegenüber den unterschiedlichen Kriegen je nach Kriegsort und beteiligten Ethnien und politischen, religiösen Akteuren unentwegt ziehen und daraus unsere Meinungen formen und umformen und unterschiedlich gewichten.

Bedeutet das, dass wir – gesellschaftlich – dass viele Einzelne doch eine Menge von den Kriegen der Gegenwart wissen? oder gar in der Lage sind, mit Kriegen der Vergangenheit zu vergleichen? Und dass sich daraus, jenseits einzelner Meinungen, Strömungen, nationale oder lokale, klassenmäßige oder Umgebungs-bestimmte Ansichten, vor allem Einstellungen zu bestimmten Kriegen ergeben, die durch Religion, Indoktrination, zT. durch Bildung, durch Medieninformation etc. zusammen gesetzt sind und dann eine gewisse WIRKUNG entfalten, die oft gar nicht beabsichtigt und bewusst ist.

Das alles geht mir bei der Frage nach Scholz‘ Politik durch den Kopf. Und darum äußere ich mich nicht zu den Panzern.

Damit nicht genüg. Würde meine Meinung zum Leo-KOMPLEX etwas an meiner Auffassung zum Krieg der Russen gegen die Ukraine, zur Verteidigung der Ukraine zur Verteidigung des Westens gegen Russlands etc. beitragen, und sei es nur für mich und meine Gesprächspartner? Und ist diese Auffassung für irgendjemanden oder gar gezielt für die Politik mitteilbar und mitteilungsbedürftig? Ist die Auffassung nichts weiter als eine reflektierte Meinung? Das ist wichtig, zB. für parteiinterne Meinungsbilder oder folgenreiche Abstimmungen, oder für Konfrontationen innerhalb der folgenreichen Politik.

Damit bin ich ungewollt dort, wohin ich nicht wollte. Jetzt fängt das Auflösung der Meinung nicht nur in Haltung, Stil und Wahrnehmung an, sondern auch in Praxis, in Handeln? Aber ich werde ja nicht zu den Waffen gerufen, ich sowieso als Alter nicht, aber auch andere, Jüngere nicht. Aber ist es richtig, in diesem konkreten Krieg Ukrainer am Panzer auszubildenden. Ich habe auch dazu eine Meinung, aber kommt es auf sie an? In welchem Kontext?

Der Krieg macht eine bestimmte Form von Bildung, eine Anlage von Wissen notwendig, wie andere große, globale Probleme, bei denen die Grenze von Expertentum und Laienkultur eher nicht gilt, wie im kleinteiligen Alltag.

Und da sind die Meinungen vielleicht geschützt und frei, aber auch nicht so wichtig, solange sie nicht zu wirksamen, begründbaren Auffassungen werden, die andere erreichen.

Anvers – Antwerpen

Ein Besuch. Es ist kalt an der Schelde, aber schön.

DéDée d’Anvers – Antwerpen neu

Vorspiel:

Ich sitze mit meinem Alter Ego im ICE nach Brüssel. Nicht unerwartet, gibt der deutsche Zug zwischen Aachen und Brüssel in Louvain seinen Geist auf. Wir springen instinktgeleitet in einen lokalen Zug nach Antwerpen statt in den Ersatzzug nach Brüssel, fahren durch die belgische Flachlandschaft und einige Dörfer, und sind 30 Minuten früher dort als mit den Schnellzügen, obwohl wir „durch Menschen im Gleis“ aufgehalten wurden. Ankunft in Antwerpen um 14.00, es ist klirrend kalt, aber es regnet nicht.

Vorspiel 2:

Dèdée d’Anvers, die Schenke zum Vollmond. Dédée d’Anvers – Wikipedia Dieser Film mit den jungen Bernard Blier und Simone Signoret hat mich nachhaltig beeinflusst, geprägt möchte ich sagen – und auf der Fahrt nach Antwerpen kam mir der Film wieder ins Gedächtnis…und noch einmal in der Innenstadt in einer der Hurengassen. Und natürlich hat mich auch „vorbereitet“ das Buch Austerlitz meines Freundes W.G. Sebald, das ja in Antwerpen mit seinem gewaltigen Bahnhof beginnt. Da kommt man an, und die gewaltige Halle, mit Kolonialgeld gebaut, ist schon beeindruckend, auch wenn der heutige Bahnhof vier Stockwerke umfasst und die Einheitlichkeit des gewaltigen Baus zerlegt.

Endlich da.

Zugegeben, man fährt lange aus Berlin da hin, und so schön ist die Landschaft meist auch nicht. Aber die Stadt nimmt einen sofort gefangen, und es wird sich zeigen, warum sie mich sofort an Wien erinnert und erfreut. Wir gehen nach einer mageren Wegbeschreibung zu unserem Hotel: Citybox, Molenbergstraße, gleich jenseits der Ringstraße. Sehr einfach und ohne viel Personal, man kann alles mit Karte und Computer machen. Gute Zimmer, ohne Telefon und TV. Aber alles Sanitäre ist da und sauber. Das Frühstück wird von einer eigenen Truppe sehr freundlich und günstig zubereitet. Der Hinweis ist wichtig, weil die Preis im Touristenzentrum an der Kathedrale schon eher absurd sind, aber da muss man ja nicht essen oder gar wohnen.

Wir haben die nächsten Tage fast alles zu Fuß gemacht, was sich sehr lohnt, wenn man nicht von den Radfahrern überrollt wird, Achtung! Es gibt viele Straßenbahnen und kaum rechtwinkelige Verkehrswege, eben urban.

Am Weg ins Zentrum des Zentrums fällt schon auf, dass viele alte Häuser gemischt mit neueren und ganz neuen eben jene Urbanität ausmachen, die mir gefällt. Wir kommen an vielen kleinen Plätzen und kleinen Parks vorbei und sind schnell an der St. Jakobskirche. Die hat was Besonderes, außer der typischen Jesuitenfassade: Innen gar nicht so schöne Gotik, aber wo man die alte Apsis sieht, merkt man erst bei genauem Hinschauen, dass es ein Trompe-l’oeil ist, ein Vorhang, der die Renovierung verdeckt. Hier ist Rubens begraben, auch Bilder von ihm und prächtiges Geschnitz ist zu sehen, und überall die Jakobsmuschel für die Pilger nach Santiago de Compostela. Gleich weiter zur Schelde, wir gehen zum ersten Mal auf der Meir. Das ist eine Einkaufsstraße, die den Bahnhof mit der Altstadt verbindet, die Mode zeigt und alle Filialketten, die es bei uns auch gibt, plus die belgischen Bonbonnieren, die wirklich gut sind. Nach der herausragenden Mode muss und kann man suchen, auch in den Nebenstraßen, aber wir wollen ja erst einmal die Stadt sehen, also bis zur Schelde, die schon breit ist wie die Donau, neben der alten Burg (Touristenbüro und Stadtmuseum) ein Riesenrad, immerhin 70m, die Anlegestelle für die Schiffe, halb Ausflug-, halb normale Transporter in die Vorstädte, und etwas weiter der unzugängliche Fußgängertunnel, da wird gerade alles aufgehübscht, weil an der Uferstraße sehr teure Wohnungen mit Blick über den Fluss stehen – die alten Hafenhallen sind jetzt Parkplätze, es gibt auch hier noch ein paar schöne Gebäude. Wir gehen durch die Innenstadt, schauen uns die Öffnungszeiten an, der große Platz vor dem Rathaus ist schon beeindruckend, Der abgenadelte Weihnachtsbaum wird von einem Künstler zur bunten Skulptur, die Kathedrale von Häusern eingebaut, wie es sich gehört, und in vielen Nebengassen ist das mit einigem Abstand zum Zentralpunkt schon ganz erbaulich. In der Jesusstraße essen wir Hawaiisch, weil wir nichts afrikanisches gefunden haben, und von den vielen Italienern uns abgewandt haben. Die Bowls waren schmackhaftes Gemisch aus allem.

Eiskalt, aber.

Am nächsten Morgen wolkenlos. Wir gehen lange durch bürgerliche Viertel nach Süden, über den Markt, zum königlichen Kunst-Museum KMSKA, das grade erst eröffnet hat. Wieder ein Vergleich mit Wien, nicht so groß wie das Kunsthistorische, aber ähnliche Ausstellungsräume, natürlich wieder viel Rubens, dazu andere Maler der ersten (Breughel) und zweiten Reihe, keine Rembrandts, und mit guten Einfällen – nicht nur für Kinder werden Gestalten, Tiere, aus besonders markanten Bildern im Raum nachgebaut, am schönsten das Kamel, und zwischen den Gemälden der Renaissance und des Barock sind bewusst Margrittes und ein paar andere Moderne eingesetzt. Das lohnt, ermüdet in seiner Reichhaltigkeit, und ist ein anziehendes Museum. Die Sonderausstellung ist ein Gegenpol: ein amerikanischer Fotograph hat alle Orte von Weltausstellungen seit 1850 aufgesucht, wie schaut das heute aus…und dazu liegen Stadtpläne aus und man kann sich vorstellen, wie welche Gesellschaft mit ihrer Kulturgeschichte umgeht. Auch das ist Globalität. Und eine Ensor-Ausstellung zeigt, wie der im fortgeschrittenen Zustand alte Bilder verfremdet nachgemalt hat. Nach einiger Zeit wird es hungrig: geht nicht ins Museumscafé, das ist  astronomisch teuer und karg. Vor dem Museum wäre eine Frittenbude gewesen. Man lernt nie aus. Wir wandern an die Schelde und zurück zum Zentrum, ein wenig wie am Donaukanal. Wir steigen ins falsche Touristenboot und fahren flussaufwärts, nicht wirklich lang, an Fabriken entlang, riesige Windräder werden da montiert, weiter draußen wohnen dann die Vorstädter. Ein Zwischenfall: die Strömung ist so stark, dass die Schiffsallzweckbesatzerin, die Einzige, mit einer Axt ein Tau zerhauen muss, weil es beim Zwischen-Anlegen nicht geklappt hat…. Wieder zurück steigen wir ins Riesenrad. Jetzt guter Blick auf Altstadt und die Umgebung, auch da ist es noch kalt. Wir wärmen uns in einer essenlosen Kneipe billigst auf. Dann suchen wir das Rubenshaus auf, das ist aber bis 2027 gesperrt und wird renoviert. Die Meir hinaus, als Gegenpunkt zum Museum Kuchen im Unterschichtkaufhaus, auch ganz gut, und dann länglich in die Bahnhofsnähe und von dort ins Chinesenviertel. Unvorstellbar vollbesetzte Restaurants, erst im letzten in der Reihe bekommen wir einen Platz, es lohnt. Vor der Rückkehr in die Kälter schauen wir noch Fussball und Billard, sehr britisch im TV.

Noch am nächsten Tag wirkt das Museum, wirken die Rubenskoordinaten nach. Wir gehen wieder zum Anleger und fahren flussabwärts. An vielen Raffinerien vorbei, aber wir sehen kein einziges Hochseeschiff, nur ein paar Flusskähne. Das enttäuscht uns. Später, auf der Karte, sehen wir, dass der zweitgrößte Hafen Europas hinter zwei Inseln und Schleusen erst beginnt, da kommt die Flusslinie gar nicht hin. Macht nichts, als einzige Passagiere sind wir privilegiert im kalten Nebel. Dann aber! Erst die Kathedrale von Innen. Das Eintrittsgeld lohnt, und es wird eine stundenlange Tour. Besonders, neben der Architektur, die Rubensbilder, v.a. die Kreuzaufstellung und -abnahme – und besonders die Holzschnitzereien in den Chorgestühlen und die Kanzel. Beichtstühle en masse, mit beziehungsreichen Skulpturen, ob man sich die Sünden aussuchen darf. Ein moderner goldener Kreuzträger kontrastiert das Programm.

Wir wandern westwärts zum MAS. Dieses Museum muss nicht einfach beschrieben werden, es ist ein Erlebnis, innen wie außen. Montag geschlossen, sonst 10 bis 17 Uhr. @masantwerpen . Es gibt da eine lokale Dauerausstellung, die einen Einblicke in die Kulturgeschichte und ihre Verarbeitung ermöglicht. Vieles dreht sich um den Mommedag, Karneval, sehr lustig. Auch viele Bilder, die die Produktionsbedingungen vor den Toren der Stadt zeigen. Jetzt, wo die Wälle weg sind und der Straßenring stattdessen befahren wird, merkt man erst, wie klein die Innenstadt geblieben ist und wie riesig die fast-Millionenstadt heute ist. Dazu kommt eine auch für Kinder großartige ethnologische und mit Sagen und Geschichten angereicherte Ausstellung (u.a. die Geschichte der Elsa von Brabant), eine Wirtschafts- und Sozialgeschichte incl. Kulinarische Anregungen.

Ein Paar Tage zuvor hatte ich die Serie über Maximilian I von Habsburg und Marie von Burgund gesehen: Burgund ist ein Schlüssel zur geschichtlichen Erkenntnis. Und noch drei Stockwerke drüber, die einen weiteren Halbtag gebraucht hätten. Architektonisch lohnt das Gebäude auch, also: einen Tag dafür reservieren. Wir schwanken erfreut zurück ins Zentrum, an allen eher harmlosen Nuttenstraßen vorbei, und weniger harmlos wäre, sähen wir Antwerpen als europäische Kokainhauptstadt – sehen wir aber nicht. Erneute Einkehr bei Hawaii…aber davor, endlich, belgische Fritten, die sind wirklich gut.

Am Tag unserer Abfahrt gehen wir sehr früh noch einmal den Bahnhof inspizieren: da hat man in das klassische Gebäude vier Stockwerke hinauf- und hinuntergebaut, es geht – nicht schön, aber praktisch. Wenige Geschäfte. Es ist ein kombinierter Kopf- und Tunneldurchfahrtsbahnhof geworden, so hätte man es in Stuttgart auch machen können. Daneben der Zoo, schöner Eingang, die Kamelskulpturen vermehren sich. Wir gehen entlang der endlosen Viadukthalle an den noch geschlossenen Diamantengeschäften weiter, immer mehr ultraorthodoxe kommen uns in langen Mänteln, mit Pejes und großen Hüten entgegen, offenbar auf dem Weg zum Gebet oder um ihre kleinen Kinder in die Kita zu bringen. Wir fragen einen nach der portugiesischen Synagoge, kennt er nicht, aber eine kleine Schul gibt’s. Nicht so spannend wie die Bäckerei, wo ich neben drei Frommen Golatschen kaufe und nicht genug bekommen hätte. Zurück im Diamantenviertel, ist jetzt fast alles offen, aber nicht wirklich antörnend. Man muss aufpassen, dass man in jüdische/Juden-Viertel nicht seine Vorurteile mitnimmt, aber auch nicht blind ist. Das Wahlverhalten der jüdischen Bevölkerung hier ist nicht erhebend.

Wir wärmen uns in einem billigen, gut ausgerüsteten Café auf, neben der Oper: die ist umgeben von Spielsalons, Busbahnhof, in einem eher runtergekommenem Viertel – für eine Vorstellung gestern hätten wir 100 Euro zahlen müssen…Zeitungen, Proviant, pünktliche Abfahrt. Nach Amsterdam, außerhalb der Städte ist die dichte Besiedlung nicht so attraktiv, je dichter, desto ordentlicher. Nach Deutschland kommt Belgien, die Niederlande haben schon doppelt so viele Einwohner pro km². Das merkt man.

Wir sind noch immer voll von Antwerpen und dankbar.

EIGENWERBUNG: NEUE BÜCHER

Manchmal schreiben wir Bücher und fragen uns, wie schnell sie an die Leserinnen und Leser kommen. Wir freuen uns, wenn die Bestellungen, Kritiken und Kommentare uns erreichen, und wenn es einen besonderen Weg gibt, unsere Bücher bekannt zu machen, dann ist es auch der Blog:

Eigenwerbung und Ankündigung.

Meine Frau, Birgit Katharine Seemann, und ich, veröffentlichen beide bei edition splitter (Batya Horn) in Wien – ein feiner Verlag mit seinen Besonderheiten. Da findet man den Verlag mit Galerie im Herzen Wiens: Edition Splitter & Splitter Art – Batya Horn1010 Wien, Salvatorgasse 10, +43 (0)664 4030172, horn@splitter.co.at

Zu den Besonderheiten gehört, dass der Verlag NICHT bei amazon ausliefert. Mit guten Gründen. Zu meinen Besonderheiten gehört, dass ich für den Verlag im Auftrag und ohne Provision oder Aufschlag die folgenden Bücher

NUR IN DEUTSCHLAND

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Der traurige Mörder von Sanssouci

Birgit-Katharine Seemann

Roman, 288 Seiten

Nachwort: Otto Hans Ressler

ISBN 978-3-9504404-9-6, 28,00 € + 3,50 € Porto

Ein bekannter Künstler, der seinen Kopf verliert. Ein Mörder, der ein Opfer ist. Ein fast Hundertjähriger, der nicht sterben kann. Eine Professorin unter Mordverdacht. Was sie vereint? Ein Netz aus Leidenschaft und Gewalt, dessen Enden Kontinente und Jahrhunderte miteinander verbinden. Im Mittelpunkt: ein weltberühmtes Gemälde aus der Bildergalerie von Sanssouci.

Kardinal und Hure

Otto Hans Ressler

256 Seiten

Vorwort: Christian Rainer 

ISBN 978-3-9504404-7-8, 28,00 € + 3,50 € Porto

Österreich hat sich fremdes Eigentum unter den Nagel gerissen – und sich eine perfide wie plumpe, den Besatzern anbiedernde Deutungshoheit der Geschichte angeeignet: die Opfer-Rolle. So konnten die selbsternannten Opfer den wirklichen Opfern stehlen, was ihnen schon genommen worden war. Österreich tat ja nur seine Pflicht, das gestohlene Eigentum in seinen Museen zu bewahren. Und einige profitierten individuell davon, weil sie zwar scharfe Augen für die Verbrechen anderer hatten, sich selbst aber einen trüben Blick auf die eigenen Diebhaftigkeit bewahrten. (Christian Rainer, Chefredakteur des Profil)

UND IM MÄRZ 2023 ERSCHEINT: Vorbestellungen an den Verlag oder michaeldaxner@yahoo.com

FLANIEREN IM MYTHOS – SEXUALITÄT UND GEWALT

Michael Daxner

Essay mit Illustrationen, ca. 160 Seiten, ca. 28,00 € + 3,50 €

Nachwort: Marlene Streeruwitz

ISBN 978-3-9504404-8-5

Wenn ich durch das Labyrinth des Mythos flaniere, sind die Dimensionen von Raum und Zeit ungewöhnlich. Vor und zurück, keine Wegweiser, immer wieder stoße ich auf dieselben markanten Stellen – Plätze des Nachdenkens, Erregens, Weglaufens. An vielen Kreuzungen treffe ich Sex und Macht an, aber auf der Suche nach den besonderen Orten läuft es sich nicht geradewegs: Liebe, Glück, Wahrheit, Freiheit, Tod, Hybris, die alle suche ich, und sie sind so im Mythos zuhause wie sie ihn erst herstellen. Und sie alle haben ihren Ausgang bei Sex und Macht. Darum drücken sich viele um das Thema. Ich habe mir das ja nicht ausgesucht.

Ich finde meinen Weg, indem ich meine Erinnerungen sammle, seit der Kindheit, und indem ich meine Bücher und Musik und Begegnungen und Beziehungen aufrufe, – und sieh da, sie stehen in der Landschaft des Mythos herum, verweisen aufeinander oder wenden sich voneinander ab. Deshalb ist mein Text auch nicht geradlinig, wie mit einer Buslinie abzufahren. Namen stehen in der Mythenlandschaft, manche oft (WG Sebald, Ernst Bloch, Hannah Arendt, Peter Weiss), manche selten. Flanieren im Labyrinth des Mythos, ohne den roten Faden, der zum Minotaurus führt. Manches übersieht der Flaneur, anderes springt überraschend ins Auge.

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Drum RECHTs zwo drei, RECHTs zwo drei…

…wo unser Platz, Genossen ist…Kennt ihr das Lied noch? Links zwo drei?

Nun, nicht nur in Deutschland, europa- und vielleicht weltweit entwickelt sich ein antidemokratisches Moment „rechter“ Politik- und Zeitenwenden. Das kann man erklären, wenn auch nicht wirklich verstehen. Und was rechts, was dagegen links ist, was die neue radikale Mitte macht, das alles wird zwar von den Wissenschaften und Stammtischen gleichermaßen analysiert und filetiert, aber was es für unsere Wirklichkeit bedeutet, ist nicht so klar.

Wirklich ist der Klimawandel. Wirklich sind die Kräfte, die sich gegen eine wirkliche weltweite, nationale, lokale Umweltinitiative als Schlüssel für Frieden und das ÜBERLEBEN DER NÄCHSTEN GENERATIONEN wenden. Wirklich sind die im Deutschen so penetranten Widersprüche zwischen Recht, Gerechtigkeit, Rechthaben – nicht nur in Lützerath. Und besonders wirklich sind die verlogenen Verteidiger des Rechtsstaats, wenn sie ihn plötzlich hochhalten, obwohl sie selbst, als Politiker, Wirtschaftslenker, Stammtischler, Konsumenten v.a. der ÄLTEREN GENERATION an der Klimakatstrophe fleißig mitgewirkt haben.

Keine Angst vor meiner Heuchelei. Ich gehöre dazu, nicht prominent, aber doch jahrelang nicht ökoaktiv genug, jahrzehntelang leider, und vieler meiner grünen Freundinnen und Freunde. Jetzt aber wird es nicht ernst, es ist ernst.

Da beschimpfen die Alten die Jungen in Lützerath. Man darf die Welt nur im Rahmen des Rechtsstaats verbessern. Man darf nur mit Bahnsteigkarte den Zug in Zukunft betreten. Und wenn heute die Masken provokativ seltener getragen werden, dann wird die Ursache des Widerstands oft falsch verortet.

Wenn zwei einander oppositionelle Kräfte gleichermaßen „Recht haben“, dann geht es nicht um Kompromisse, die sind nicht möglich. Die Gesetzgebung und Rechtsprechung in NRW zur Braunkohle waren selbst ein Kompromiss, aber im Rahmen des Möglichen Richtig, pro Krischer heute, pro Mona Neubauer heute, pro Grünenvorstand.

Wenn die Grüne Jugend, wenn Greta Thunberg, wenn die Demonstrationen am Rande des Reviers gegen den weiteren Abbau kämpfen, haben sie aber auch Recht. Sie haben ihre Zukunft und damit die Gerechtigkeit auf ihrer Seite, was Gerichte, Unternehmen, Politik oft nicht verstehen – schaut euch deren Ausbildung, Denkweise, Machinstinkt an.

ABER: Rechthaben heißt nicht, dass die Mittel alle RICHTIG sind. Ich muss mich arg zurückhalten, wenn ich lächerliche Baumhausromantik der Ökoscouts und ihre Methoden anschaue, aber, siehe oben: die Infantilisierung der Ökopolitik – Umwelt retten, Wohlstand bewahren, seine Lebensweisen beibehalten, und so die Welt im letzten Moment sanieren? Ja, wo sind wir denn?

Hat jemand erwartet, dass im Kapitalismus, udn da leben wir ja, die RWE nicht an ihre Profite denkt? Hat jemand gegalubt, dass die Landes- und Bundespolitik nicht nur ihre Fehler bearbeitet, sondern ihre Machtpositionen widerstandslos räumt? Widerstandslos, nicht unbedingt kampflos.

Glaubt jemand, der § 218 wäre verändert worden ohne die Kampgane ICH HABE ABGETRIEBEN? Glaubt jemand, die Kohleverstromung findet ein Ende und die regenerativen Energien erleben einen Boom ohne Opfer und Verzicht von vielen, zB. Grundbesitzern, Einfamilienhäuslern im Schatten der Turbinen, Landschaftsästheten? Der Rechtsstaat ist grundsolide bei uns, anderswo weniger, aber holt auch IMMER nach,w as die Gesellschaft vorgegeben hat. Er antizipiert normalerweise die Zukunft nicht, außer VIELLEICHT in solchen Krisenzeiten wie heute. DAS sollten die Jungen, die LETZTEN GENERATIONEN – weg mit dem Singular! – der Politik, den Gerichten, dem Stammtisch sagen.

UND DANN NOCH MEHR TUN, als sie ohnedies machen. Es geschieht ja tatsächlich viel, Habeck, Nouripur haben da schon Recht; hier ist die Kritik der Baumhäusler oft ungerecht oder gar halbblind. TUN muss man nicht zeigen, man kann, aber das ist zweitrangig. Und die Umweltpolitik darf sich nicht am „FALL LÜTZERATH“ aufhängen, sondern ihn wie vieles zum Moratorium drängen, und ob da der Rechtsstaat nur gnädig nickt…ach ja, das persönliche Risiko kann nicht immer auf das Man der Risikogruppen abgewälzt werden. Und bei weniger wichtigen Agenden als dem limawandel heißt Handeln auch: DEN RECHTSSTAAT SCHÜTZEN UND ANERKENNEN

Alltag, alle Tage, jeden Tag

Am 14.1.2023 schreibt Carolin Emcke einen Kommentar in der SZ, der an die Bachmann und an Elias Canetti erinnert: Die Meute, es geht um die Nachsylvestertumultohysterie. Ich hätte diesen Text gern vor meinen Blog gesetzt, jetzt könnt ihr ihn nachlesen.

Kann es in diesen Tagen Alltag geben, soll es ihn geben, und wenn ja, wie können wir alltäglich leben, umgeben von den Schrecken und Ungewissheiten jeden Tages? Eine uralte Frage, immer wieder auch wissenschaftlich untersucht: Normalität versus Ausnahmezustand.

Ihr kennt mein wichtigtes Gedicht, begleitet mich seit Jahrzehnten, jeden Tag, von Ingeborg Bachmann:

Alle Tage

Der Krieg wird nicht mehr erklärt,
sondern fortgesetzt. Das Unerhörte
ist alltäglich geworden. Der Held
bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache
ist in die Feuerzonen gerückt.
Die Uniform des Tages ist die Geduld,
die Auszeichnung der armselige Stern
der Hoffnung über dem Herzen.

Er wird verliehen,
wenn nichts mehr geschieht,
wenn das Trommelfeuer verstummt,
wenn der Feind unsichtbar geworden ist
und der Schatten ewiger Rüstung
den Himmel bedeckt.

Er wird verliehen
für die Flucht von den Fahnen,
für die Tapferkeit vor dem Freund,
für den Verrat unwürdiger Geheimnisse
und die Nichtachtung
jeglichen Befehls.

Diese Begleitung kann über literaturwissenschaftliche, philosophische und biographische Deutungen hinausgehen, sie muss es, weil sie ja den Alltag, meinen Alltag begleitet, und dann mich fragen lässt, wer der Feind ist, welche Geheimnisse unwürdig sind, wer mir keine Befehle geben darf. Und natürlich, was daraus folgt, wenn ich mich an diese Leitlinie des Alltags halte.

*

Zum Alltag gehört, etwas über sich selbst zu wissen, d.h. aus der eigenen Lebensgeschichte auch zu präparieren, was normal und was Ausnahme ist. Beispiel: Wir SIND IM KRIEG, es wird nur HIER nicht mit den Kriegswaffen gekämpft, sondern DORT, in der von Russland bedrohten Ukraine. Aber natürlich sind wir wirtschaftlich, sozial, kulturell an diesem Krieg beteiligt. Das berechtigt schon bei sich selbst nachzufragen, ob man denn die Ursachen teilweise selbst erlebt hat. Was haben wir, was habe ich damit zu tun? Und ich kann mich nicht auf die Kommentare als Beobachter hinausreden, denn ob ich jetzt das Geschehen kommentiere, ändert wohl herzlich wenig. Aber was kann ich denn dann der Politik, der Öffentlichkeit sagen?

Dass Meinungen zu wenig sind, um wirksam zu agieren. Dass Lektionen des Gedächtnis vielleicht mehr an Politik schaffen.

Heute erfahre ich, dass der letzte König von Griechenland, Konstantin, mit 81 im Exil verstorben ist. Mein letztes Erlebnis als Pfadfinder war das 21. Welt Jamboree 1963 in Marathon, 1.-11. August 1963, Griechenland. Konstantin, damals Kronprinz, war Schirmherr. Und täglich vor Ort. Der Alltag der Pfadfinder hatte sich schon damals erschöpft, und heute dominiert ihre kritische, postkoloniale Geschichte, nicht so sehr ihr praktischer Alltag. Um damals nach Marathon zu kommen, musste ich mit dem Zug und den Mitscouts durch Jugoslawien, durch Skopje, am Tag nach dem großen Erdbeben fahren. Jahre später habe ich die ganze Geschichte der Stadt und des Erdbebens gelernt, damals war der Eindruck flüchtig, bedrückend, nicht normal. Das Jamboree war aber normal, Marathon als Ort sagte uns nichts, weil wir die Historisierung des Ortes und seine nationale Symbolik nicht verstanden. Von 1967 bis 1984 war Griechenland eine Militärdiktatur. Die hatte sich schon abgezeichnet. Als ich dann während dieser Zeit dort war, habe ich den Alltag und den Ausnahmezustand besser verstanden, und auch da stellte sich schon die Frage, die heute aktuell ist: unter welchen Umständen kann man in einer Diktatur Urlaub machen, und wann auf keinen Fall? Die Erinnerung kann näher an die Wahrheit gebracht werden als das aktuelle gegenwärtige Erleben, aber das prägt auch. Und muss mit dem Erinnerten in Beziehung gebracht werden, so wie damalige Beziehungen ein anderes Licht bekommen.

Mehr noch stimmt das für Skopje. Da war ich oft während meiner hochrangigen Zeit im Kosovo 1970-1973, dienstlich und privat. Und habe die autoritäre Gegenwart mit den Erinnerungen an 1963 vor Ort verbunden, es gab und gibt Geschichtspfade. Skopje hat meine Arbeit im Kosovo und die Nacharbeitung politischer und kultureller Art beeinflusst, und das hat 1963 begonnen, als wir durstig aus dem Zugfenster auf Getränke gewartet haben, und dass der Zug endlich weiterfährt.

Ich denke, wir müssen immer beides verbinden: unseren Alltag und den der uns in engeren und weiteren Kreisen umgebenden Wirklichkeit, diesen Alltag erst einordnen lässt. Nicht nur Urlaubsorte, nicht nur Ökobedenken gegen Kreuzfahrten, nicht nur selbstkritische Fragen an die Freizeit, in gewissem Sinn geht es um alles, d.h. das, was für unseren Alltag herausgefiltert ankommt in unserem Bewusstsein. Manches rumort schon im Augenblick in unserem Unterbewusstsein, anderes noch gar nicht. Noch.

Globaler Faschismus

Selbst habe ich immer gewarnt vor zu schnellem Gebrauch nicht-hintergehbarer Begriffe, Faschismus, Nazi, Stalinisten…Wenn man sie anwendet, dann entsteht eine Leere dahinter, die oft nicht mehr mit Worten, mit Begriffen, fortgesetzt werden kann, sondern nur mit Handlungen, mit aggressiver Politik, mit Gewalt.

Es gibt jedoch Anlässe, diese Begriffe zu schärfen, sie überprüft und mit Adjektiven versehen, zu gebrauchen.

Meine These ist, dass ein globaler Faschismus sich ausbreitet, nicht nur in Europa.

(Wenn Putin die Nazi-Variante gebraucht, lenkt er so von sich ab, wie andere Diktatoren sich versteigen, indem sie sich selbst mit den Grundbegriffen, freier Gesellschaften schmücken, vor allem mit Demokratie und Freiheit). Den Sprachkurs machen wir außerhalb dieses Blogs.

Es gibt in allen Gesellschaften faschistische Aktivitäten und Ideologien. Aber in den meisten demokratischen Gesellschaften werden sie in Schach gehalten, isoliert, aufgelöst, – ungeachtet der Tatsache ihrer Regeneration. Die Schwächen der Demokratie sind u.a., dass sie in der Wahl der Mittel nicht zuvorderst die Gewalt und die Einschüchterung wählen können und dürfen, was den Diktaturen immer einen soliden Standpunkt verleiht.

*

Im Iran wird die Todesstrafe demonstrativ exekutiert. Zu Recht wird das kritisiert.

Zeitgleich gibt es Hinrichtungen im US Justizsystem, die kaum Erwähnung finden, obwohl ihre Anlässe auch nicht rechtsstaatlich sind, wenn man schon die Todesstrafe nicht generell als unmenschlich ablehnt.

*

Auch wenn der Faschismus in den USA auf dem Vormarsch ist, herrscht dort kein faschistisches „System“. Aber es herrscht neben Russland und China innerhalb der EU, deutlich in Ungarn, und im Wachsen in Italien, Schweden, auf dem Balkan. „Rechtskonservativ“ ist dann die nette Vokabel der Medien. Ob diese Länder faschistisch werden, kommt darauf, welche roten Linien die Demokratien in ihren Beziehungen ziehen.

Das ist bei Israel nach der Regierungsbildung nicht mehr möglich. Faschisten sind in diesem Staat an der Regierung maßgeblich beteiligt. Jetzt müsste man darüber diskutieren, wieweit das mit einem jüdischen Staat vereinbar ist, und wieweit das die Demokratie nachhaltig ausschaltet. Ich nehme das Beispiel, weil ich, jüdisch, nicht schon deshalb und aus der Kritik heraus die Politik und Praxis der Hamas und anderer arabischer Gruppen in einem milderen Licht sehe oder relativiere. Faschistische Bewegungen sind nicht homogen und befreundet zu einander, das waren sie nicht bei Dollfuss und Hitler, das sind die NATO-Staaten nicht gegenüber der Türkei etc.

Also sollten wir den Begriff nicht unerklärt und verdeutlicht gebrauchen. Aber ihn auch nicht verharmlosen.

*

Mein Problem mit dem Begriff des Antifaschismus ist noch größer, weil sich Faschismus ziemlich genau bestimmen lässt, während der Anti-F zu einem volatilen Instrument der Selbstbestätigung wurde und wird, keineswegs nur in der DDR und im realen Sozialismus. Zu all dem gibt es unendlich viel Literatur, von sehr gut bis unbrauchbar, aber wo die antifaschistischen Wahrheiten verkündet werden, ist es noch ein weiter Weg zur Bekämpfung der Wirklichkeit des Faschismus. Diese Wirklichkeit findet sich heute – tatsächlich: heute, in diesen Tagen – in der Begründung vieler Politiker, Medien und Stammtische gegen die Angriffe auf Staatsorgane in der Silvesternacht, wo es mehr gegen die ethnische Herkunft als gegen die soziokulturellen Ursachen von Gewaltbereitschaft und mangelndem Respekt vor staatlichen Institutionen geht.

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Die ungleich verteilte Toleranz auch demokratischer Regierungen, Staatsorgane und Meinungsbildung mit faschistischen und faschistoiden Wirklichkeiten ist immer auch ein Hinweis auf Schwachstellen in der eigenen Demokratie.

Die Strafjustiz ist ein meist ungeeignetes und wirkungsarmes Mittel, durch Bestrafung von Tätern die Ursachen und Versäumnisse des Staates und der Zivilgesellschaft gegenüber der Jungen Generation, gegenüber Migrantengruppen etc. zu vernebeln. (Das Strafrecht gilt ohnedies). Aber die soziokulturellen Verbesserungen der Politik gegenüber dieser großen und nicht hinreichend betreuten und geschützten Gruppen unserer Bevölkerung helfen der Demokratie mehr als das Geblöke des Fremdenfeindes Söder, der erst einmal in Deutschland ankommen soll. Dazu gehört im übrigen auch, keine übertriebene Rücksicht gegenüber dem religiösen Hintergrund von Gewalttätern zu üben. Religion ist oft nur ein besonders wirksames Mittel gegen Demokratie, wie nicht nur Kyrill und der betende Putin beweisen, sondern auch Teile unserer Glaubensheuchler…aber das ist ein anderes Kapitel.

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Die globalen Angriffe auf die Demokratie sind nicht einfach ein Phänomen Rechts gegen Links. Demokratie wird oft hinderlich und unwirksam erachtet, wenn es um die Lösung von echten oder vermeintlichen Problemen geht. Oft ist die Kritik aus dem faschistischen Lager gegenüber den Erscheinungen der Schwäche gar nicht falsch, wohl aber die fast fanatische Verweigerung gegenüber demokratischer Fehlerbehebung.

Diesem Satz haben sich viele widersetzt, weil er zu undeutlich scheint. Also: natürlich – selbstverständlich – haben alle politischen Gruppierungen, auch Nazis, Faschisten, Stalinisten usw., selbst wenn sie entsetzlich waren und sind, nicht nur „Falsches“ gesagt und getan. Dass es falsch war, ergibt sich aus dem Kontext und den Handlungen. Konkret: Natürlich kann die AfD, manchmal auch die Linkspartei, kritische oder fehlerhafte Handlungen der demokratischen Regierung und Opposition nachvollziehbar benennen, ohne Rücksicht auf Gefolgschaft und Klientel. Aber die Verweigerung, Abhilfe mit den Mitteln der Demokratie zu schaffen, macht die Kritik fragwürdig. Das geschieht teilweise auch innerhalb der demokratischen Parteien und ist nicht nur eine der strukturellen Schwächen jeder Demokratie, sondern auch eine Aufforderung zur ständigen Reform derselben.

Übermaß und Kargheit

Wenn alles zu viel wird, blenden manche ihre Wahrnehmung aus, sehen eine impressionistische Welt voller Ereignisse, die zu ordnen es nicht lohnt, es sind zu viele und sie blitzen auf und verschwinden und überlagern sich und löschen einander aus…da findet man sich besser gar nicht zurecht. Auch ein Vorsatz fürs neue Jahr?

Was rückt uns so heftig ans Gemüt, dass wir anderes gerne ablegen im Archiv unserer erlebten, wenn nicht gelebten Welt? Weil nur vieles mit vielem, aber nicht alles mit allem zusammenhängt, werden die seltsamsten Bestsellerlisten im Gemüt angelegt. Überhaupt: was heißt Gemüt? Ich verwende den Ausdruck für das Unscharfe, bei näherem Hinsehen weniger leicht erklärbare der Fokussierung von Interessen, anders als Begriffe für das Konkrete, wenn nicht Eindeutige. Zum Klimawandel oder zum Krieg der Russen gegen die Ukraine und Europa kann man, sollte man nicht schwiemeln.

Aber schon bei den Angriffen der Jahreswechsler auf Polizei und Feuerwehr fragt man sich, woher welche Kommentare ihre Vorurteile und vorgefassten Meinungen beziehen. Wenn tatsächlich viele, keineswegs alle, Attackierenden Migrationshintergrund haben, dann ist die Frage nach den Ursachen und Folgen der Immigration nach Deutschland doch viel spannender als die Tatsache von geringschätzendem, etwas pöbelhaften Verhalten. Letzteres kann man rechtlich ahnden. Aber warum verhalten sich viele junge Deutsche mit und ohne Migrationsgeschichte so deppert?

Die Anzahl der Gründe ist groß und vielfältig. Aber fällt den vorlauten PolitikerInnen und Kommentaristen nicht auf, wie viele Ursachen und Konsequenzen aus dem pöbelnden Verhalten der nur scheinbar liberalen Politik des Wegschauens oder Gewährenlassens abgeleitet werden. Das trifft sich mit der sehr deutschen Unart, am ehesten bei der Kultur, bei den sozialen Umfeldern zu sparen, und sich dann zu wundern, wenn es keine next generation im Licht der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, sondern nur die Last Generation. Die Gewaltaktionen sind das Ergebnis, nicht die Voraussetzung für die Nichtachtung gesellschaftlicher minimaler Bindungskräfte.

Es gibt Zusammenhänge, die werden als marginal abgetan. Wenn ich behaupte, dass die dummen Pläne des Freidemokraten Wissing, noch mehr Straßen zu bauen und das Land weiter zu betonieren, in einem mehrschichtigen Zusammenhang mit der Böllergewalt stehen, werden viele sagen, DAS müsse ich ihnen erst einmal beweisen. Erst einmal…Wissing hat Macht, er übt Gewalt aus, indem er legal, aber illegitim in diesem Fall regiert. Und die Jungen reagieren. Jetzt, nach zwei Jahren Covid, hätte man die Böller einfach verbieten können, aber das hätte die Gewalt nur verlagert, wenn es auch die Umwelt geschont hätte. Nicht die Böller und die Angriffe sind da Problem, sondern ihre massive Grundlage in einer Politik der falschen Handlungen.

Mit vielen unredlichen Mitteln wurde und wird Integration verhindert und keine Ausgrenzungs-Prävention, sondern Ausgrenzung durch Sanktionen betrieben. Noch immer beschwert sich der rechte Schmutzrand unserer Politik, dass zu viele Migrationskinder „schon“ die deutsche Staatsbürgerschaft haben und deshalb nicht mehr abschiebbar sind. Was wollt ihr denn, ich christozialdemokratischen Patrioten? Sklaven? Na, na, übertreiben Sie nicht, sagen jetzt manche, man kann doch nicht leugnen, dass viele der Jungen (Angreifer, Zuschauer, Abwesende) die „Deutsche“ sind, sich aber nicht richtig verhalten, zumal, wenn sie muslimischen oder arabischen Hintergrund haben. Und was hat die deutsche Obrigkeit getan, damit die sich richtig verhalten? Auf die Multikultur hindreschen, ohne sagen zu wollen, was „richtig“ ist. Wie gesagt, bei der Kultur sparen und dann sich beschweren, wenn es keine Integration gibt.

Die Beispiele guter Integration sind zahlreich und beweisen, dass Zusammenleben in der Multikultur möglich und sinnvoll ist. Kultur ist nicht gleichbedeutend mit religiöser Identität das müssen die so genannten Christen und die so genannten Muslime bei uns verstehen, ebenso wie die jüdischen Orthodoxen in Israel. In einem Einwanderungsland wie Deutschland wirbt man um Fachkräfte aus dem Ausland, verwöhnt und belohnt sie. Deren Kinder aber greifen deutsche Sicherheitsorgane an. Deutsche Fachkräfte wandern ab, und Kinder zeugt die arische Rasse ohnedies immer weniger. Pardon, ist mir da ein Vorurteil ausgerutscht? So viele ethnisch Deutsche gibt es ja gar nicht mehr. Viele haben Migrationshintergrund und leben bestens integriert bis in die Spitzen demokratischer Parteien hinein. Dagegen ist die Böllerei ein Nebenschauplatz.

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Das Übermaß an identitärer Selbstbezogenheit von Politik und Verwaltung und die Kargheit der immer nur formal beschworenen Argumente für Menschlichkeit verdecken den Blick darauf, dass Staatsbürgerschaft keine Bedeutung für menschliche Ethik und humanitäres Verhalten, für Solidarität und Kompromiss hat.