Jüdischer Einspruch VI: zur Kritik muss man nicht Antisemit sein, zur Migration kein Nationalist

Es geht in diesem Blog um zwei anscheinend weit voneinander liegende Probleme. Eine sich „links“ gerierende Israelkritik, die ich als antisemitisch empfinde; und die skandalöse nationalistische Interpretation des UN Migrationspaktes.

Beides hängt zusammen, enger als man denkt. Wie ein großes, müdes Wasserrad dreht sich eine Welle des Antisemitismus aus dem linken Lager seit vielen Jahrzehnten, in unterschiedlicher Verpackung und durchwirkt von allen möglichen gesellschaftlichen Machtstrukturen. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, schöpft  dieses Rad neue Nahrung in einen politischen Organismus, der keineswegs ein „neuer“ Antisemitismus, sondern stets in neuen Erscheinungsformen die ursprüngliche Aversion regeneriert. Zu all dem gibt es soviel wissenschaftliche fundierte Forschung und Erkenntnis, dass es reicht, ausgewählte Erkenntnisse – weitgehend gesichertes Wissen – anzuwenden um in den Diskurs einzusteigen.

Der UN Migrationspakt ist ein groß angelegtes kluges Kompromisspapier, das im Grunde alle rationalen und ethischen Voraussetzungen einer globalen Migrations- und Fluchtdiskussion bietet, die eine ebensolche globale Politik rahmen können und sollen. Das Beharren von Nationalisten auf nationalen Entscheidungen ist ein Bumerang: wenn globale Lösungen abgelehnt werden, sind Konfrontationen die notwendige und nicht nur eine mögliche Folge. Auch dazu können wir fast alles wissen.

Die Themen verbinden sich. Der Nahe Osten, genauer die Landbrücke zwischen Ägypten, der Türkei und „Arabien“, ist ein ständig von Migration durchzogenes Land, aber seit 150 Jahren ein ausgesprochenes Einwanderungsgebiet. Nicht nur jüdische, auch arabische Eiwanderer haben sich im zerfallenden osmanischen Reich dort sesshaft gemacht. Die Zahlen sind oft nicht vergleichbar, auch die Zeiträume und Intensitäten schwanken, aber die Siedlungsgeschichte ist eindeutig. Der Unterschied mag für die immigrierenden Menschen oft gering erscheinen, für die kollektive jüdische Einwanderung – mit und ohne Zionismus als Leitbild – war sie eine andere Form von endgültiger Flucht als für die Araber. Nicht besser, nicht schlechter, nur sehr anders (oder doch nicht?).

Aus unserer Kulturerzählung sind das jüdische Exil, die Judenverfolgungen, der staatstragende Antisemitismus und die gesellschaftliche Diskriminierung ein dominantes Element des europäischen – wenn man will, des westlichen kulturellen Gedächtnisses. Die jeweiligen Verfolgungen, Migrationswellen und Fluchtziele im arabischen bzw. muslimischen Raum sind Element von anderen Narrativen, die sich durchaus mit dem jüdischen Strang berühren, aber ganz andere Grundlagen haben.

Ich hatte diesen Blog schon zu schreiben begonnen, da kam die neue ZEIT, und im Magazin lese ich die Geschichte von dem jungen Mann mit Kippa, der zusammengeschlagen wurde. Und ein Framing zum Antisemitismus. Das passt ganz gut, bis auf die Tendenz, bei den Fallbeispielen von Antisemitismus die Aggressoren irgendwie rechts zu verorten, die linke Israelkritik kommt da nicht vor, und deren Beziehung zum Antisemitismus auch nicht. Na gut, passt auch nicht zur Story. Aber etwas anderes fällt auf: wenn man die Geschichte der jüdischen, arabischen, israelischen, palästinensischer „Herkunft“/“Heimat“/“Selbstzuordnung“ der handelnden Personen durchliest, dann bleibt nichts klares, konturiertes und gegeneinander profiliertes übrig.

Verlasst den Text, lest die Ethnogeschichte von Hebräern und Arabern, Ivrim und Aravim („Juden“, Yehudim, das kommt später), lest die Sprachgeschichte der Bezeichnungen und ein bisschen dazu. Warum die einen so und die andern so? (und scheinbar haben ja die Israeli mit ihrem jüdischen Staat gesiegt in einem Konflikt, der so gar nicht in die Zivilisationsgeschichte passt –  ich sage scheinbar, weil es darum nicht geht).

Ja, und dann lese ich bei einer linken Gruppe alle die Vorurteile, die wir den Arabern zutrauen, und wie immer vermischen sich bei Rechten wie Linken religiöse, ethnische und kulturelle Vorurteile zu einem festgefügten Panzer von Ressentiments. Unterschiedslos, bis auf die Differenz, dass die linken Antisemiten aus scheinbarer Empathie mit den Palästinensern gegen Israel sich positionieren, während die rechten Antisemiten um Israel werben, um nicht ausgegrenzt zu werden (wie jüngst die österreichischen Nazis von der FPÖ).

Zurück zum ZEIT-Text, wo alle vorkommen, Juden, Christen, Muslime, Israeli, Marokkaner, Deutsche, Syrer etc.

Die Geschichte des Staates Israel ist auch die Geschichte eines Jahrtausende währenden Migrations- und Flucht- und Vertreibungsprozesses. Die Geschichte arabischer Migrationen hängt stärker mit der Verbreitung einer Religion ab dem 7. Jh. zu. Zusammen, die der jüdischen jedenfalls nicht mit der Mission des konkurrierenden Monotheismus – das wäre der christlich-muslimische Konflikt, der nur teilweise in der Gegend spielt. Aber diese Differenz kann doch nicht zum antisemitischen Versteinerungsprozess des Ressentiments geführt haben? Hat sie auch nur sehr marginal.

Bevor ich zum Bundestag und Migrationspakt komme, kurz zum Anlass für diesen Blog: eine kleine Gruppen sich links verortender politischer Netzwerker*innen einer demokratischen Partei dreht an einem Verstärkerrad der Art, dass sie sich in ihrer Kritik an Israel schon vor dem ersten Argument absichern, sie seien nicht antisemitisch, und damit wollten sie sagen, dass, wer ihnen dies unterstellt, in Wirklichkeit ihre linke Position in der Partei marginalisiere. Kompliziert? Wenn Linke Israel kritisieren – das wird man doch noch sagen dürfen?! Äh?! – dann ist das über den Verdacht des Antisemitismus erhaben, der ja den Rechten anhaftet. In der Psychologie nennt man das Double-Bind: wann hören Sie auf, Ihre Frau zu schlagen?

Wann ist nicht-antisemitische Israelkritik, wenn sie von links kommt, von anderer Israelkritik abzuheben? Kein Zögern: schaut mal, worin diese Kritik besteht,  oder lest meinen Jüdischen Einspruch #1-5 oder…da gibt es genug. Jetzt aber zum Migrationspakt.

Es gibt kaum eine soziale Gruppe oder ein Volk, das sich derart durch Migration und Exil, durch Flucht und Assimilation oder aber Dissimilation, konstituiert und am Leben erhalten hat wie die/das jüdische. (Warum ich hier nicht von Juden spreche: vgl. meine Argumente in „Der Antisemitismus macht Juden“, 2006, und die letzten Einsprüche). Es gibt aber neben der jüdischen auch eine Vielzahl anderer Migrationswirklichkeiten und Narrative. Und dann stehen ein paar Stiesel, auch von der CDU/CSU, auf und betonen, dass der Migrationspakt die nationale Souveränität nicht schmälern oder binden dürfe. Wenn das die armen Länder sagen oder die stalinistischen Diktaturen oder andere Schurkenländer, dann heißt das Ausreiseverbot (Kennen die Deutschen bis 1989 gut). Wenn die reichen Länder aber nur Einreisen verbieten, dann nennen sie das Souveränität. Man mag das der Unbildung zuschreiben, die auch im Parlament um sich greift, aber man kann auch sagen, dass dies der Konstitution eines absterbenden Herrschaftsvolkes dient – weil ja ohne Migration in Deutschland keine Babys mehr gezeugt werden und kein Spargel gestochen wird, dazu sind sich die Nationalisten zu fein. Die 26 Stimmen der GroKo, die gegen den UN Migrationsppakt gestimmt haben, sollten deportiert werden. Erstmal nach Bayern, und wenn das nicht hilft, in ein Kikl-Lager in Niederösterreich.

Und zurück zur Israelkritik. Wer die Migrationsgeschichte des jüdischen Volkes nicht begreift, sollte zu Israel ganz leise sein. Wer die Nachgeschichte der Nakba nicht akzeptiert, sollte erst ihre Vorgeschichte studieren, ab den Massakern von Ramle 1929, aber jedenfalls 1947/48. Dann, und nur dann, kann man solidarisch mit den Palästinensern sein, und Israels Okkupationspolitik kritisieren, ohne den Antisemitismus zu brauchen. Aber scheinbar ist der ein wirksames und notwendiges Instrument für bestimmte Linke. Für die Rechten sowieso.

Nachtrag: In der Psychoanalyse geht der Spruch: wenn der Analysand alle Frauen aufzählt, aber sagt: die Mutter wars ganz bestimmt nicht, dann war es die Mutter. Wenn einer sagt,  ich bin gewiss kein Antisemit, aber das und jenes an Israel kritisiere ich, dann ist dieser ein Antisemit, sonst braucht man das nicht dazu sagen.

 

 

Zurück, ihr Wiedergänger!

Wenn einer der Wiedergänger eines anderen ist, und dieser furchtbar war, der neue aber furchtbarer – oder lächerlich, dann kommen die Vergleichsforscher und verweisen auf die Unterschiede; die politischen Menschen konzentrieren sich eher auf die Gemeinsamkeiten.

Da hatte HME einmal daneben gegriffen, bei Hitler und Saddam Hussein (Der Spiegel 6/1991, 4.2.1991 http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13487378.html (28.11.2018), aber als kluger Analytiker nicht ganz. Und sein Abschluss schwingt oft mit: Woran Hitler und Saddam gescheitert sind, am Endsieg, das heißt, an der Endlösung – ihrem nächsten Wiedergänger könnte sie gelingen.

Saddam und Hitler, schräge Vergleiche und schräge Schlussfolgerungen, aber dann doch: wem kann die Endlösung aller Endsiege gelingen? Ich wüsste heute mehr zu nennen als Enzensberger damals zur Verfügung standen, Finis terrae allemal.

*

Wiedergänger sind ja beliebte Figuren: bei der einen Tür raus, bei der andern wieder rein. Trotz des gruseligen Themas habe ich eine Farce entdeckt, die an drastischer Komik kaum zu überbieten ist, traurig aber wahr. Der Seehofer, natürlich, der fremde Blindgänger, hat als Minister plakatieren lassen, Migranten, geht zurück in eure Heimat, wir zahlen euch dort ein Jahr lang die Wohnung und wollen ja nur, dass  ihr dort für eure Heimat etwas macht, etwas richtig gutes.

Sagt eine junge Frau: Stehe hier und möchte mich bei jedem Passanten, der verstört auf das Plakat sieht und sich adressiert fühlt, entschuldigen. #Fremdschämen für meine derzeitige Regierung und die Tage bis zur nächsten Wahl zählen.

 

An vielen Bahnhöfen kann man die Plakate finden: „Dein Land. Deine Zukunft. JETZT!“ – mit dieser Werbebotschaft will die Bundesregierung Geflüchtete zur Ausreise bewegen.

 

Dabei ist das ganze ja ein wunderbares Missverständnis. Der Seehofer will Migranten loswerden, damit sie das, was sie in Deutschland gelernt haben, in ihrer Heimat vergessen oder anwenden, er kanns ja nicht lenken und kontrollieren. Dafür bezahlt er jedem/r ein Jahr lang die Miete, z.B. in Aleppo, Kabul oder Mali. Dann vergisst er den Einzelfall, es zählt ja nur die Nummer des Transports. Der Migrant wird zum Brain Gain für seine Heimat, bevor der Mietvertrag ausläuft; danach wird er zum Brain Drain und will wieder nach Deutschland. Recht hat er, die deutsche Wirtschaft ruft ja nach ihm oder ihr. Schließen waren die ja alle einmal in Deutschland ausgebildet. Und deshalb plakatiert der Seehofer, oder sein Parteifreund, der Müller, in den Fluchtherkunftsländern: geht nach Deutschland, dort bekommt ihr Arbeit! Aus den Wiedergängern werden Wiederkommer. Und Wohnungen können wir denen doch auch anbieten, die nehmen wir nämlich den Deutschen weg, die für dieses Geld ohnedies nicht arbeiten wollen.

Und darüber regen sich jetzt auf a) die Migranten (undankbar) b) die Deutschen (Gutmenschen), c) die Wirtschaft (Transaktionskosten steigen), d) die Polizei (die kommen ja alle wieder, jetzt als Billiglöhner, Gefährder oder Attachés).

Ich find den Seehofer gut, tätige Reue: hält die Zirkulation des Humankapitals am Laufen. Drehtür: Haut ab – kommt her – haut ab – kommt her!

*

Aber da ging es doch zuerst um Hitlers Wiedergänger. Neue Saddams gibt es dutzendweise. Neue Hitlers ? – wissen wir nicht so genau, die entpuppen sich, wenn es zu spät ist. Und was hat das eine mit dem andern zu tun? Das ist der Grund, warum ich so begonnen habe und jetzt weiterschreibe.

Keiner kommt so wieder, wie er gegangen war. Natürlich nicht, sagt die Biologie, und die Metaphysik der zyklischen Geschichtsverständnisse möchte wenigstens, dass er in anderer Gestalt wiederkommt, ob er sich nun weiß oder nicht. Wissen wir so genau, wie unterschiedlich die Gemütsverfassung eines Orban oder Putin oder Trump sich zum jeweiligen Vorgänger verhält, wissen wir das wirklich? Eine Menge von Paralytikern hatte sich zu Zeiten für Napoleon, Goethe oder auch Gott gehalten. Eine Menge von Diktatoren möchte heute vollenden, was die Frühvollendeten übrig gelassen haben. Viele aufmerksame, sensible!, Beobachter nehmen die „andere Gestalt“ besorgt, verängstigt wahr.

Einschub: eine recht konservative Dame, Jg.  1928, pflegte zu stöhnen, dass es „so etwas unter dem Hitler nicht gegeben hätte“, z.B. Taschendiebstahl, Prostitution und herumlungernde Jugendliche (alles falsch, aber richtig erinnert…). Nun sagt deren Wiedergängerin vielleicht, da komme einer daher, unter dem dies alles wieder nicht geben solle – und der erfährt es, und fühlt sich bestätigt. „So etwas“ ändert sich weniger als die Erscheinungsform der Wiedergänger. Sehr dialektisch: an den Objekten könnt ihr erkennen, wessen Herrschaft gewünscht wird. Taschendiebstahl, Pornographie, unpünktliche Züge…und was es alles damals nicht gegeben hatte.

Gegen die Wiedergänger helfen die Wiederkommer. Leute, wir schaffen das.

Nachtrag:

Die Frage, wie ich Hitler/Saddam/Enzensberger mit dem angstblühenden deutschen Innenminister in Beziehung bringen kann, hat viele Antworten, je nachdem, wie tief jemand gräbt. Seehofer ist kein Hitler, kein Saddam, kein Nazi…obwohl, wer wusste wann, was aus jemandem werden konnte? Nein, dass ich beiden Erzählungen verzwirbelte, hat andere Gründe, nicht zuletzt um die Aufmerksamkeit zu schärfen. Nicht nur, warum ist etwas gekommen, sondern: was wird werden?

Des weiteren: heute vor 125 Jahren wurde Ernst Toller geboren. Im DLF wurde anlässlich der Werkausgabe bei Wallstein, eine sehr gute biographische Darstellung. Und zentral für meine Argumente ist eine Schrift in der Weltbühne 1930:

7. Oktober: In der „Weltbühne“ erscheint Tollers Artikel „Reichskanzler Hitler“, der die Ereignisse ab 1933 vorwegnimmt.Und fast alles, was kurz danach geschah, wird dort vorweggenommen. Von wegen: wir hätten das nicht erwartet, wie denn auch? So, Herr Seehofer, Herr Salvini? So, ihr dünnbrettigen nationalen Kleinstgeister (über 100 Stimmen im Bundestag heute beschwören die Unverbindlichkeit des UN Migrationspakts, und natürlich lehnen die Nazis von der AfD ihn ab; die meine ich nicht, die anderen, so genannten Demokraten,  – ich wünsche diesen Menschen, dass sie  in ihrem Leben noch einmal flüchten müssen und dann auf sich selber stoßen. und zwar in  den von Herrjn Seehofer angebotenen Deportationsländern.

Prüde, zur Sonne, zur Freiheit

Aufgrund eines seltsamen Bündnisses von strenggläubigen Leitkulturaposteln und gendersensiblen Korrektheitseliten hat die Bundesregierung mit der Zustimmung aller Parteien und vor allem dem Schamgefühl der Bevölkerung beschlossen, zusätzlich zur Sozialgesetzgebung endlich die Sexualgesetzgebung in die Hand zu nehmen und Sexualgesetzbuch zu verfassen. Kleinen Minderheiten gegen dieses Vorgehen steht natürlich im Rahmen der Meinungsfreiheit Widerspruch zu, der aber in züchtig angemessener Form vorzutragen und zu den Akten zu legen ist. Protest ist auch im Rahmen der sittlichen Priorität durch Veröffentlichung von Namen und Wohnort der Kritiker gesellschaftlich abzusichern.

Kerngedanke ist, die Sexualität, ein wilder Überrest der Evolution von Säugetieren, gegenüber der Zeugungsverantwortung des Homo Postsapiens abzugrenzen. Weshalb die Maxime lautet: Fortpflanzung darf nur in vitro und ohne direkten geschlechtlichen Kontakt zwischen den Elternteilen erfolgen. Leihmutterschaft ist zu begünstigen. Kinder, die durch die veraltete traditionelle Methode des –> Geschlechtsverkehrs gezeugt werden, sind entweder Halbmenschen i.S. der Wortwahl von –> Lewitscharoff[1], und damit vom Erbrecht ausgeschlossen, oder werden als Gefährder in Abschiebeprozeduren eingepasst, sofern ein oder beide Elternteile nicht deutschen Blutes sind.

Die Verhinderung geschlechtlicher Kontakte im Zusammenhang mit der erwünschten Vertiefung sozialer Bindungen schließt begehrensgestützte Kommunikation („Flirt“) aus. Deshalb  ist der zweite Grundsatz ein generelles Flirtverbot. Dies muss natürlich strafrechtlich ausgestattet werden, z.B. durch § 6969 StgB: „Wer mit anderen flirtet oder diese zum Flirten verleitet, oder sich verleitet dem Flirten hingibt, wird mit nicht unter zwei Wochen Rosamunde Pilcher bestraft“. Die sogenannte Anmache wird dann schnell ein Ende haben, und die verlogene MeToo! Debatte ebenfalls: die will ja nur den Missbrauch, aber nicht den Gebrauch der Geschlechtseigenschaften beenden und ist verkappter Feminismus, also ein Angriff auf die Manneswürde.  (Immanuel Kant: Ehe (matrimonium), das ist die Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften. (Metaphysik der Sitten I))[2] (Derselbe: Das Weib wird durch die Ehe frei; der Mann verliert dadurch seine Freiheit. (Anthropologie 2, B), Na, das ist ja eine Freiheit…Das sind doch schöne Aussichten. Aber wie kommen die beiden, Mann und Weib, von den anderen  gar nicht, zusammen? Ganz einfach: entweder durch unzugängliche Vorsehung und Geschick: Rousseau hat seine fünf Kinder mit Therese Levasseur eher durch die Enge der Umstände gezeugt und wohl deshalb ins Waisenhaus gebracht (wogegen ja nichts spricht?)[3] oder aber durch eine leitkulturgesättigte Politik, die zusammenfügt, was zusammen gehört. Steuerlich begünstigt wird hier nur die so genannte Initialehe, d.h. geheiratet wird die erste Kontaktperson, weil ja mathematisch jede spätere ohnedies nicht besser wäre (man kann hier auch ein Auswahlverfahren a la  Paris ins Auge fassen: bei seiner Wahl war ja Flirt auch nicht vorgesehen. Für Verfassungsrechtler ein weites Feld….).  Kontaktanbahnung entweder traditionell (landbesitzende Cousins/Cousinen) oder urban (man trifft sich vor der Sonntagsmesse und geht danach zu den Schwiegereltern) oder naturalistisch (Als sie am Morgen erwachten, war sie schwanger und er noch  da).

Die neue Verordnung reinigt endlich auch die Literatur: Ulysses, Lolita, Lady Chatterley, und ca. 5412  lieferbare Titel werden verboten oder in gereinigter Form (z.B. die Mutzenbacherin als Bambi und nicht nur wie Bambi) einem erwachsenen Markt angeboten (ab 23 Jahren, mit Leumund des Vaters). Geschlechtsteile und Augenwimpern werden im Film und TV geschnitten und durch Sinnsprüche ersetzt. Z.B. Matth. 5, 28: Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen (Textbibel 1899). Ist doch klar, senkt eure Blicke, und die Sittenpolizei wird euch wohlgefällig weitergehen lassen.

Die Verordnung wird weiterhin ein Verhüllungsgebot beinhalten. Das hat allerdings den Nachteil, dass man, wenn es nun zu einer Enthüllung kommen muss, zB. beim Autofahren oder beim Arzt, zu Überraschungen kommen kann, denen Menschen mit dem Flirtroulette – man flirtet sozusagen auf Verdacht – zu entgehen suchen, welches also auch bestraft werden muss.

*

Dafür habe ich euch am 11.11. um 11 Uhr einigen Spaß vorenthalten.

[1] „Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas.“ http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/lewitscharoff-ueber-kuenstliche-befruchtung-halb-mensch-halb-kuenstliches-weissnichtwas-12834554.html (26.11.2018)

[2] https://www.aphorismen.de/suche?f_rubrik=Aphorismen&f_thema=Ehe&f_autor=1993_Immanuel+Kant

[3] https://300jahrerousseau.wordpress.com/start/wer-war-therese-levasseur/, Zu diesem Problem sollte man weniger die formalen Biographen zu Rate ziehen als vielmehr Ludwig Harigs Kapitel: Rousseau und Therese Levasseur schlafen in einem Bett in: L.H. Rousseau – Der Roman vom Ursprung der Natur im Gehirn, München 1981 (dtv), 85-99

Universität findet statt. Republik auch.

Kaum zu glauben, wie sehr Worte und Begriffe gesellschaftliche Begebenheit überbauen.  1968 ist in vieler Munde, als Jubiläum (hä….?), als Anlass Geschichte zu korrigieren, auch die eigene, als Merkposten in der Gegenwartsdiagnose. Ein Wort hat sich eingegraben: „Studentenbewegung“. Weltweit, europäisch, vor Ort. Studenten haben sich bewegt, Ho-Ho-Ho-Chi Min skandiert oder andere rhytmische Chöre den Bewegungen ihrer studentischen Körper angepasst.

Das alles hat mit einem der Ausgangspunkte – Orten in meist urbanem Umfeld – zu tun: den Universitäten. Darüber wurde einiges geschrieben, geforscht und vergessen, und in diesem Jubiläumsjahr: 1918 steht da vorne, 1968 ist ein wichtiges Datum, es gibt ohnedies kein Jahr ohne Gedenken, in diesem Jubiläumsjahr wird also auch der Universität gedacht, die nach 1968 nie mehr so werden sollte wie sie davor war. Ein willkürliches Datum,  je nach Staat, Gesellschaft und Hochschulsystem variabel, aber dann zusammengefasst in einem Jahr, das scheinbare Gleichzeitigkeit und deshalb Wirkung anbot.

Studenten, das konnte man damals noch sagen, heute ist man korrekter bei Studierenden, Student*innen usw., auch das Gendern begann irgendwann im Nachzug der Studentenbewegung.

Nicht mein Thema heute. Sondern: gabs außer den Studis nicht noch andere – Assistenten, Professoren, Verwaltungsmenschen, Hochschulpolitiker, – und natürlich gab es Hochschulpolitik. Die Trennung von Bildungspolitik und Hochschulpolitik wurde weder systematisch noch logisch stringent gemacht, und Rollenwechsel im Kontext – man könnte von einem „Theater“ sprechen – waren an der Tagordnung. Auch bei mir.

Vor mir liegen zwei Bücher, die mich sozusagen einholen. In beiden setzen sich die Autoren als wichtioge Akteure – damals – und Interpreten – heute in Szene.  Ich kenne beide ziemlich gut, deshalb ist das Folgende weniger eine Rezension als eine Überlegung zu zwei Thesen, je einer von Jürgen Lüthje und Ulrich Teichler.

Lüthje nennt die Anthologie seiner Reden und Aufsätze „Die Universität als Republik“ (Berlin-Hamburg 2018, Reimer). Teichler holt aus: „Der studentische Protest der 1960er Jahre und die Entstehung der Hochschulforschung in der Bundesrepublik Deutschland“, in Hechler/Pasternack 2018, 179-203[1].

Ich bin parteilicher Leser. Lüthje wurde 1991 Präsident der Universität Hamburg, nachdem er 1986-1991 „mein“ Kanzler an der Universität Oldenburg gewesen war. Davor war er dort schon Kanzler gewesen, hatte mit meinem Vorgänger um die Unileitung konkurriert, und war noch früher ein wichtiger Hochschulpolitiker und Reformer im Umfeld der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und der Bundesassistentenkonferenz. Teichler, ein maßgeblicher und jahrzehntelang dominierender Hochschulforscher, hatte einen ähnlichen gewerkschaftlichen Hintergrund, war am MPI für Bildungsforschung in Berlin und später an der  Gesamthochschule Kassel tätig.

Teichler kommt selbst aus der Friedensbewegung und sein erster beruflicher Lebenslauf vom Studenten hin zum und im MPI für Bildungsforschung unter Dietrich Goldschmidt ist nicht untypisch. Goldschmidt war nun ein Professor und Präzeptor der Hochschulforschung. Teichlers Hauptthese ist, punktuell gut belegt, dass die spezielle Hochschulforschung aus der studentischen Politik hervorging – und die Verfasser von Hochschule in der Demokratie (1965) allesamt später Professuren erhielten. (am ehesten war noch Wolfgang Nitsch ein Hochschulforscher, UK Preuss und Claus Offe gewiss nicht, Uta Gerhardt in between).  Im Lauf der historisch differenzierten Darstellung verschiebt sich der Fokus: das protestgestützte Anvisieren der Hochschule durch die Studenten hatte schon früher begonnen, und begann nach 1968 zu dissoziieren, während der Hochschulforschung diesen Protest als Katalysator und nicht kausal nutzte. Ich empfinde die Darstellung als etwas einseitig, weil sie einerseits die Hochschuldidaktik zwar erwähnt, aber als ein Korrelat zur polit-ökonomischen Reformpolitik ab den 1960er Jahren die wichtige Differenzierung zwischen Hochschul- und Wissenschaftssystem nicht wahrnimmt: diese Differenz, die sich im etwas sinnarmen „Forschung und Lehre“ deutscher Tradition niederschlägt (anstatt Forschung und Studium  zu einander in Beziehung zu setzen). Teichler war ein großer Bildungsökonom und hat ein ganzes Forschungsfeld auch der vergleichenden Hochschulforschung und ihrer Schnittstelle mit der wissenschaftlich fundierten (Berufs)tätigkeit geöffnet. Teichler vermag weniger die kausale Linie von Studentenbewegung und Hochschulforschung zu präzisieren als er einen tiefen und wichtigen Einblick dazu gibt, wie die Hochschule als Problem zum Thema ihrer selbst wird und dort institutionell sich verankert, um Wahrnehmung, Anerkennung und Wirkung mit anderen konkurriert. Wenn man die meisten der hier erwähnten Akteur*innen kennt – und auch die nicht erwähnten in ihrem Handeln und ihrer Wirkung einbezieht – hat Teichler einen sozialen Raum geschaffen, in dem auch die Akteur*innen ihre Machtpositionen und ihre Marginalisierung erfahren. Liest man sehr genau, erkennt man, warum sich an deutschen Hochschulen einiges verändert hat, wir aber im Wissen um den Antagonismus von Wissenschaft, Forschung, Studium und Statuszuweisung eher nicht an der Spitze der marktgängigen Rankings sind.

Der Diskurs, das verästelte Reden über die Universität, in allen Fasern der Gesellschaft, kommt hier zu wenig vor: aber er bringt ja auch eine Generation nach der nächsten von Studierenden und ihren Lehrenden hervor, und hält sich unheimlich starr am Leben. In meiner Zeit in Oldenburg gabs einmal eine Studiliste, die sich „Links und unbelehrbar“ nannte, naja, nicht erfolgreich, das waren aber die andern Listen auch nicht. Und die Lebensbedingungen mit der Wissenschaft, an und um die Hochschulen herum, also die Kultur und den gesellschaftlichen Austausch, hatte Teichler früher einprägsam mit dem „Eigentlichen“ und dem „Uneigentlichen“ der Hochschule beschrieben.

Hier setzt der Titel von Lüthje an, die Universität als Republik. In dem Jahr, als Lüthjes Textsammlung einsetzte, erschien bei der Heinrich Böll Stiftung ein kleiner Band: Mein Beitrag im Titel lautete: „Entstaatlichung und Veröffentlichung. Die Hochschule als republikanischer Ort“, Jürgen Lüthje und Henning Schrimpf steuerten das Programm bei: „Eine neue Hochschulpolitik: ökologisch, demokratisch, sozial“ (Daxner 1991). Von daher, nicht zufällig,  Lüthjes Titel zur Republik. Mich hatte das Thema nie verlassen, und in meinem wichtigsten Buch zur Hochschulreform heißt ein Kapitel Programmatik: republikanisch, ökologisch, sozial (Daxner 1993). Das Motto meint ein republikanisches Prinzip, formuliert von Alfred Grosser, bei einem Vortrag in Oldenburg: „Der Bürger muss sich regierend denken, um zu wissen, was er von der Regierung fordern kann“ (S. 54). Dies ist auch ein Motiv für Lüthje, der ja immer an der Schnittstelle von Politik, Verwaltung und Wissenschaft nicht aus der letzteren kam, sondern in sie hineinwirkte. Es ist sehr schade, dass Lüthjes Texte mit einer Ausnahme (Wissenschaftsfreiheit durch Mitbestimmung 1970) alle erst im Vorfeld von und mit seiner Präsidentschaft in Hamburg beginnen. Seine Hochschulreformvorstellungen sind in einem komplizierten Vermittlungsprozess eingebettet, in dem er der Stadt Hamburg  klar machen will und muss, was sie an der Universität hat und was sie von ihr wollen soll. Angesichts der seit 100 Jahren vorherrschenden Skepsis des gehobenen Wirtschaftsbürgertums gegenüber einer Universität kein leichtes Unterfangen. Lüthje kommt zugute, dass er nicht aus der Wissenschaft, sondern in sie hinein politisiert, ihr eine „Form“ geben will, die demokratische, partizipative, republikanische – und dazu eben dieses Bürgertum braucht. In seinem Buch steht ein Katalog von Forderungen an Staat und Gesellschaft, aus dem Teichlers Hochschulforschung ihre Themen und Aufträge nur zum Teil erhält. Der andere Teil geht in die Wissenschaften, für die die Hochschule ein Objekt, aber nicht ihre lebensweltliche Wirklichkeit ist. Was mir an diesem Buch fehlt ist die Geschichte, wie Jürgen Lüthje Präsident einer Universität werden wollte und konnte. Denn da steht ja der Anspruch des politischen Bürgers, dorthinein regieren zu wollen, wo sich Elfenbeinturm oder professionelle Wissensvermarktung ihre Domänen so gerne sichern.

*

Das liest man beides mit dem etwas grantigen Interesse, nach 45 Jahren Wissenschaft und Universität die Veränderungen des Systems Hochschule sich so wenig verändern zu sehen; sie ist halt ein langsames System, in dessen Fugen und Brüchen unentwegt interveniert wird – von Politik, von Partikularinteressen, von Verlagen, studentenfreien Forschungsinstituten, Think Tanks, der Presse, aber auch Eltern, Berufsverbänden, Fachgesellschaften und einer unglaublich zählebigen Verwaltung, die ihren Habitus so langsam ändert wie der Homo Academicus (Bourdieu 1988). Dass der noch immer gültige Grundlagenliteratur zum Verständnis der Universität ist, stimmt so wenig fröhlich wie die Tatsache, dass die Wissenschaftsfreiheit und die Autonomie der Hochschule zwei Seiten einer Medaille sind, die im nationalen und supranationalen Verständnis noch immer an staatliche Regeln gebunden sind, die zu wenig Republik und zu viel Machterhalt zeigen.

Lüthje hatte in seiner Amtszeit den Vorteil, dass er die Sozio-Ökonomie und die Politökonomie einer Universität besser verstand als viele seiner Professor*innen. Das hatte er in den langen Jahren des studentischen Protests, der parteipolitischen Wissenschaftspolitik, der Arbeit in der Verwaltung von Wissenschaft gelernt und vor allem praktiziert.  In den hanseatischen Habitus und den einer großen und erfolgreichen Universität einzusteigen, war sicher schwierig und durfte in den seltensten Fällen gezeigt werden. Die Stadt-Republik ist noch etwas anderes als die Uni-Republik, und die Osmose habe ich oft selbst miterlebt.

Die Reformschwäche der deutschen Universität ist nicht nur teilweise selbst verschuldet, sie geht systemisch auf den großen Humboldt zurück, dessen Reformen ja auch darauf gerichtet waren, in der preußischen Monarchie eine französische Revolution zu verhindern, ohne auf die Aufklärung verzichten zu müssen. Das war über lange Zeit ganz erfolgreich, hat aber das Unsichere, das Risikoreiche, und zugleich das fundamental Widerspenstige des wissenschaftlichen Denkens nie aus der staatlichen Kontrolle entlassen, bis heute gilt der Artikel 5 (3) des Grundgesetzes als Garant eben dieses Verhältnisses. Lüthje und Teichler haben auf ihre Art dazu beigetragen, dass sich der Klammergriff etwas lockert, aber bei Haushalt und Berufungen sitzt der Staat noch immer im Wächterhäuschen. Heute sehe ich viel gefährlicher an, dass die außeruniversitäre Forschung die Hochschulen zunehmend austrocknet, dass die Studienbedingungen den erwachsenen Student*innen von heute in Deutschland schlechter gerecht werden, als anderswo, dass die bibliometrische Hysterie und der Kontrollzwang der Reviews  jede Eventualität marktgerecht reduzieren, und dass alles in formalisierten Verfahren aufgelöst wird, die nicht mehr, sondern weniger legitimieren. Dazu kommt der Klassenkampf, dass nichtstudierte Bevölkerungsmehrheiten durch ihre Steuern ein kostenloses (und auch deshalb schlechteres) Studium finanzieren, dessen Ergebnisse sich oft gegen sie wenden…Mit einer bloßen Steigerung der Immatrikulationen kann man dem nicht begegnen.

Die Republik in der Republik. Mehr Beteiligung der Bürger*innen an der Wissenschaft, mehr Autorität der Wissenschaft gegenüber den Regierenden (Klimawandel!), weniger restaurative Professorenabschottung gegenüber denen, die ihnen folgen müssen und doch kein Nachwuchs sind, sondern Wissenschaftler*innen wie sie selbst…Go back to square one. Viele verlorene Jahre und wenig stabile Erfolge…naja, ein paar Sachen sind schon gelungen: die Genderfrage ist offenbar, das Nichteigentliche der Hochschule, also das lebensweltliche Umfeld, ist bedeutsamer geworden, und der Legitimationsdruck auf die Wissenschaft wächst – zu Recht. Schade nur, dass vieles erkauft wurde, statt gut republikanisch im öffentlichen Raumausgehandelt worden zu sein.

 

 

Bourdieu, P. (1988). Homo academicus. Frankfurt am Main, Suhrkamp.

Daxner, M. (1991). Entstaatlichung und Veröffentlichung: die Hochschule als republikanischer Ort. Köln, Heinrich-Böll-Stiftung.

Daxner, M. (1993). Die Wiederherstellung der Hochschule: Plädoyer für eine Rückkehr der Hochschulen in die Politik und die Gesellschaft. Köln, Heinrich-Böll-Stiftung.

 

[1] Die Zeitschrift „die hochschule“ erscheint im 27. Jahrgang,Heft1-2/2018 befasst sich mit dem Verhältnis von „Innen“ und „Außen“ der Hochschule  unter dem Titel „Arbeit an den Grenzen“. Herausgeber Peer Pasternack kommt aus der ostdeutschen Studentenpolitik und hat u.a. bei mir promoviert. Das HoF (=Institut für Hochschulforschung) Halle-Wittenberg hat eine von der westdeutschen stark abweichende Geschichte, die von Pasternack nachdrücklich geprägt wurde und ein seltsames Produkt der Vereinigung ist.

Finis terrae XXV: Was zu tun ist – und wie

Was tun? Fragte der Terroragent und Revolutionär Lenin. Und gab selbst die Antworten, die Millionen Menschen das Leben kosteten. (hatte er 1902 geschrieben, wurde später von anderen, Tschernyschewsky, immer wieder neu aufgelegt). Ist ja nicht falsch, die Frage. Aber unsinnig,wenn wir nicht die Adressaten und das Problem mit benennen. Da unterscheiden wir uns hoffentlich von Lenin.

Über die wunderbaren Zeilen von Jandl kann man lachen oder auch nicht lachen:

die revolution die schneevolution die teevolution der schnee der tee die rehe

Es kommt darauf an, was man aus der Frage macht.

*

WENN alles, was in Finis terrae schon steht und ausgeführt wird, bezüglich der Zukunft unseres Lebens auf dieser Erde stimmt, wenn wir also nur 30 bis 40 Jahre Zeit haben, etwas wirklich zu ändern, dann sind die Antworten auf die Frage WAS TUN? andere als sie im Prozess der linearen Zeit seit Anbeginn des Fortschritts gewesen waren. Das ist trivial. Und wie alles Triviale, erscheint es unerträglich schwierig.

Wir hatten gestern im Rahmen unserer Global Citizenship Alliance

(GCA: www.globalcitizenshipalliance.org ) (Wir:Jochen Fried und ich)

ine interessante Diskussion, die Fragebetreffend, wie denn Weltbürgerschaft (Global Citizenship) angesichts der

  • Time of useful consciousness
  • Absehbaren Versäumnisse, das Klimaziel < 1,5 Grad Erderwärmung zu erreichen
  • Unzugänglichkeit von Verständnis und Handlungsdruck durch den Gefahrendiskurs und die Rettungsillusionen (Hoffnung auf Gott oder spontane Einsichten).

Zu den ersten beiden findet ihr hier im Blog ganz viele Einträge. Der letzte Pfeil umfasst ein Universum an Aufklärung, Wissenschaft, Vermittlung und Generationenvoraussicht.

Bitte lest noch einmal den vorletzten Blog („Schluss mit dem Gejammere“), wenn euch nicht einleuchtet, dass es für Kassandra, also die negative Gegenwartsanalyse, zu spät it. Warnungen schaffen kein Curriculum, wenn die Lernziele ernst sind. Wenn also vorhersehbar ist, dass die Jüngeren unter uns das Kippen der Welt noch erleben werden, und unsere Enkel und Urenkel, die ja schon leben, wahrscheinlich in diesen Zustand hinleben und überleben werden müssen, bei viel geringeren Freiheitsspielräumen als wir sie haben.

Manche haben einiges sehr gut verstanden: aus den Milleniumzielen der Vereinten Nationen von 2000 sind Ziele für nachhaltige Entwicklung geworden, die sich nicht mehr an Regierungen als Hauptakteure wenden, sondern an die Zivilgesellschaften aller Länder. Das ist eine indirekte Aufforderung zum Widerstand. (sie erfordert Widerstand gegen die staatlichen Akteure, wo diese Ökonomie mit dem Überleben, der Ökologie „versöhnen“ wollen, gegen Gewerkschaften, die das Ersticken ihrer Arbeitskraftklientel der Transformation der Arbeitsplätze vorziehen, aber auch Widerstand gegen Lebensgewohnheiten in der eigenen Lebenswelt, die absehbare Folgen haben.).

Das letztere Element ist besonders schwierig, weil es sowohl am Habitus vieler Einzelner und Gruppen kratzt, als auch die Dogmatik der liberalen Gesellschaft angreift. So sinnvoll Widerstand gegen SUVs und schnelle Autos mit Verbrennungsmotoren ist, so fern liegt diesem Sinn der Angriff auf das Mobilitätsaxiom der Gesellschaft, wonach Mobilität selbst die Grundrechte und Freiheit maßgeblich bedeutet. Solche Beispiele sind zahlreich: man kann sie leichter anhand von asymmetrischen Polarisierungen entdecken, wie Gesundheit/Krankheit oder Arbeit/Freizeit. Der Populismus von links und rechts und der aus der Mitte verkürzen das Problem durch Herstellung einer falschen Symmetrie: Sicherheit und Freiheit. Ich denke da auch immer an die fatale Funktion des UND bei  Deutsche und Juden.

Wir sind uns einig darin, dass alles, was wir nicht tun, zum beschleunigten Ende führt. Wir sind uns auch einig darin, dass viele Politiken das Risiko bergen, auch nicht dieses Ende abhalten zu können, also den Stein des Sysiphos beim Runterrollen zu bremsen.

Der Widerstand gegen das Weiterbetreiben von Kohlekraftwerken oder die Verweigerung von bestimmten Verkehrspraktiken oder von einseitigen Agrarhandelspraktiken mit Ländern der Dritten Welt haben ohne Zweifel Auswirkungen auf das Klima, sie sind „globalist“, wie das Lieblingsschimpfwort des verrückten Verbrechers in Washington lautet. Andere Schurken halten von solchen Auswirkungen und ihren Ursachen auch wenig, sie sagen es nur nicht so ungeniert.

Wieweit alltägliche Lebenspraktiken, weit darunter in Ausmaß, Risiko und Logistik, auch direkte und indirekte Auswirkungen haben, ist schwer nachzuweisen, und Müll trennen wir hoffentlich nicht nur um unser Gewissen zu beruhigen.

Entscheidend ist etwas anderes: massenhaft das eigene Leben zu ändern, geht nur überindividuell, aber nicht einfach zwangskollektiviert. Der „dritte“ Zustand zwischen diesen beiden – individuell und kollektiv – ist das Ergebnis einer Einsicht in die Notwendigkeit, die ein gewisser Hegel als Freiheit definiert hat (Übrigens, lacht, lächelt, wie dieser Satz durch die linken Jahrhunderte umgedeutet wurde…). Wir sind so frei zu handeln, oder wir lassens bleiben, resignierte Bohemiens im Theater des Untergangs. Und wenn es weiterhin stimmt, dass sich alle globalen Fährnisse direkt oder indirekt lokal auswirken, dann heißt das noch lange nicht, dass sich alles lokale Handeln global auswirkt. Wenn wir aber die Freiheit und den Widerstand nutzen, solche Dinge in unserer Lebenswelt anzupacken – „wir schaffen es!“, war so ein Beispiel – die sehr wohl globale Auswirkungen haben können, dann bedeutet das auch, Dinge, dies nicht haben etwas rücksichtsloser lokal zu regeln, nur damit sie von unserem Tisch weg sind.

Weltbürger, Global Citizen wird man nicht, wenn man Globalisierung der Finanz- und Warenströme als unumkehrbar einschätzt und sich dementsprechend verhält. Man ist kein Weltbürger nur deshalb, weil man in allen Städten, die man bereist, auf erwartbar oder erhofft Bekanntes stößt. Sondern wenn man die Migrantenströme, die Flüchtlinge, die Folteropfer, die Frustrierten und Beleidigten, die Opfer des Staates und der herrschenden Manager des Machtmissbrauchs, wenn man gegen all diese so sich aufstellt, dass sie einen nicht mitreißen.

Macht euch keine Illusionen. Oft ist einfacher, Fluchtfolgen zu mindern und gar umzudrehen in neue Chancen für die Menschen auf der Flucht, als Fluchtursachen zu kennen und zu beseitigen. Unterschiedliche Formen und Regeln zur Gewalt und Konfliktregulierung gelten für beide Aspekte (und wir müssen natürlich in beiden handeln). Wenn wir nachschlagen, was wer zur Notwendigkeit und Freiheit gesagt hat, kommt meistens schnell die Ablehnung des Staates als Garant oder Anbieter von Freiheit ins Spiel, oft zu schnell. Aber das macht den Widerstand nicht einfacher, sondern noch riskanter, wenn wir den Staat daran hindern., uns an der Freiheit zu hindern. Probiert es einmal an einem Polizisten aus, der den Staat gegen das Gesetz vertritt und auch noch von beiden geschützt wird. Ohne dass wir dabei das Gesetz in die eigene Hand nehmen…(übrigens ein wirklich relevanter Punkt, die Zivilcourage gegen jeden Regimeübermut, ob bei uns oder in weit ärgeren Gesellschaften, zu entwickeln).

Das ist also kein Plädoyer für Anarchie, keines gegen den Staat, sondern dafür, den Staat in seine Schranken zu weisen,  wo immer er die Freiheit gefährdet. (Indem er sie z.B. gegen Sicherheit ausspielt, die er auch zu schützen verpflichtet ist). Das Problem ist so global, wie die Freiheit, die time of useful consciousness zu nutzen, bevor wir am Sauerstoffmangel krepieren oder Halluzinationen erleiden.

*

Was machen wir eigentlich, wenn wir nichts machen und 2035 sind die 1,5 Grad erreicht? Was machen wir und was erwarten wir, dass andere machen? Das ist das Programm der Wissenschaften, aller Wissenschaften, zu beantworten. So helfen wir, Global Citzens, Weltbürger entstehen zu lassen.

 

 

Zeitalter der Schurken 20181121

„• President Trump stands with Saudi Arabia.
Mr. Trump declared his loyalty to Saudi Arabia’s crown prince and said that the prince’s culpability in the killing of Jamal Khashoggi, above, might never be known.
“It could very well be that the crown prince had knowledge of this tragic event — maybe he did and maybe he didn’t!” Mr. Trump said in a statement that appeared calculated to end debate over the American response to the killing.
This comes despite the C.I.A.’s conclusion that Crown Prince Mohammed bin Salman, the kingdom’s de facto leader, ordered the murder. The president’s position speaks to how deeply Mr. Trump has invested in the 33-year-old heir, who has become the fulcrum of the administration’s strategy in the Middle East.“
_____

(NYT 21.11.2018)

TRUMP IST NICHT ALLEIN: Aber die USA sind immerhin ein Verbündeter und Sicherheitsgarant für Deutschland. Umso  schlimmer. Trump begründet seine Bindung an die Kashoggi-Mörder mit den Arbeitsplätzen, die seine Rüstungsexporte an die Saudis sichern, America first.

Natürlich trägt kein normaler Mensch eine solche Argumentation mit. Aber Vorsicht.

Gestern, 20.11.: die Medien verbreiten ein Folter- und Gewaltvideo aus russischen Gefängnissen.

Gestern, 20.11.: Israel will das Vermietunternehmen air bnB bestrafen, weil das sich aus den Siedlungen auf der Westbank zurückziehen möchte.

Gestern, 20.11.: Rumänien setzt kriminelle oder korrupte Politiker wieder ins Kabinett, Tage bevor die EU den Ratsvorsitz vorbereiten soll.

Gestern, 20.11.: Israel und Australien, nach Polen, nach Österreich,  nach Ungarn…ziehen sich aus dem UN Migrationsplan  zurück. In Deutschland trommelt Jens Spahn gegen Flüchtlinge und Migranten.

Gestern, 20.11.: Der CSU Prätendent für den EU Kommissionsvorsitz, Weber, will sich nicht vom Diktator Orban aus Ungarn trennen, wenn er die EVP weiter anführt.

Lest meinen gestrigen Blog. Ich bin dagegen, zu lamentieren, wenn wir diese Realität wahrnehmen.

Wenn ganze Gesellschaften oder Staaten erodieren, und die Bevölkerungen – abwartend, sanft abwehrend, gleichgültig – mit der Faust in der Tasche oder mit Nebel im Hirn, das alles mitmachen, dass man die auch bestehenden Widerstände daneben und dagegen kaum wahrnimmt; wenn das alles also geschieht, dann hilft auch eines: Illoyalität. Die darf nicht allgemein, umfassend, und als Prinzip gelten, sondern muss gezielt sein. Das setzt Politik voraus, und es muss eine praktische Aktivität sein. Also thematische Illoyalität.

Beispiele: gegen die Kumpanei zwischen Staatsanwaltschaften und bürgerfeindlichen Polizeikräften; gegen die weitere Untätigkeit der Industrie bei erwiesen umwelt- und klimaschädlichen Produktionen; gegen das Arbeitsplatzargument der Gewerkschaften in diesem Zusammenhang; gegen die Abschiebungen in unsichere Länder, in den möglichen Tod; gegen die bedingungsarme Loyalität zu NATO; Das gilt für Deutschland. Ich sage ja nicht,  Germany first. Aber ich sage: Germany first, wenn es um Menschenrechte, um Europa, um Lebensbedingungen geht – dieses first ist kein nationales. Wir können durch Widerstand etwas verändern, und dazu zählt Illoyalität als ein Instrument.

*

Na, da dreht aber ein Alter auf, sagt ihr jetzt, vom Schreibtisch aus  gibt er Ratschläge, die in der Praxis auf Konfrontation hinauslaufen.  Ich weiß das, und kann doch nicht anders als das zunächst einmal sagen. Gesagt, ist noch nicht getan.

Gesellschaftlich und global sind wir in einem Zeitalter, das nach den Gräueln des 20. Jahrhunderts niemand erwartet hatte? Niemand? Nach 1945 gab es hinreichend viele autoritäre, diktatorische,  illiberale, undemokratische Entwicklungen. Manches wurd mancherorts besser – „früher war alles schlechter“, macht der SPIEGEL in seiner Kolumne geltend –  und hat in vieler Hinsicht Recht.  Dazu ist Loyalität geboten, wenn es um Frauenrechte, Arbeitssicherheit, Sozialgesetze etc. geht – bei uns, in der EU, in den neuen Demokratien. Das ist keine Loyalo-Dialektik, sondern bedingt einander. NUR wenn wir uns dazu stark machen, Reformen zu verteidigen und zu befestigen, haben wir das Recht, zu anderen Entwicklungen und – wichtig! – Personen illoyal zu sein. Selbst Deutschland kann im globalen Vergleich in vieler Hinsicht nicht vorne mithalten, bei der Bildung, in der Migration etc. Das Mittelfeld ist ein typisches Medikament für Normalisierer, es betäubt leicht.

„In Gefahr und höchster Not/bringt der Mittelweg den Tod“. (Alexander Kluge/Edgar Reitz 1974).

Über die Methoden illoyalen Handelns aus moralischen und politischen Gründen muss man konkret sprechen. Konkret heißt, die Projekte und Maßnahmen unterstützen, auch wenn es nur Nadelstiche in die Schurkenglobalisierung sind.

Globalisierung ist keine Ausrede. Sowenig wie der Nicht-Umkehrbarkeit des Klimawandels. Nur können wir natürlich auch dort grenzüberschreitend, transnational  handeln, zB. keine Urlaube in Schurkenstaaten, dafür Förderung oppositioneller Kultur in diesen Ländern, keine Einreise aus Schurkenstaaten (zB. Einreiseverbot für Amerikaner, die Mitglieder der NRA sind), Ausweitung des Konsums, wo die Produkte wirklich den bedürftigen Ländern zugute kommt, also viel mehr wirtschaftspolitische Illoyalität im Alltag.

Erster Schritt: diese Entscheidung zur partiellen Illoyalität in den Diskurs aufnehmen. Nicht abschrecken lassen.

  • Es gab einmal vier Zeitalter, angefangen mit dem goldenen…Wenn wir im eisernen angelangt sind, ist es zu spät. Politik angesichts des drohenden ZU SPÄT kann man sich nicht selbst rausziehen, und etwas bei den „Anderen“ vermuten, das uns überleben hilft. Wenn wir nur mehr überleben wollen, dann ist es zu spät.

 

 

Schluss jetzt mit dem Gejammere

Es ist ja nicht zum Aushalten, die Tsunamiwellen der Katastrophen geben ja kaum Luft zum Atmen. Dabei vermischt sich Furchtbares, Lächerliches und Alltägliches zu einem stumpfen Brei, der genau das bewirkt, was die Verbrecher aller Spielarten nur wollen: dass wir endlich aufhören, die Situation ernst zu nehmen. Wer am Abgrund regiert, möchte die Angstlust bis zum letzten Atemzug auskosten, denn danach kommt gar nichts mehr…

 

Aber wenn auch ob’n schon alles kracht,
Herunt’ is was, was mir noch Hoffnung macht.

Wenn auch ’s meiste verkehrt wird, bald drent und bald drüb’n,
Ihre Güte ist stets unverändert geblieb´n;          Ihr seid angesprochen, das Publikum
Drum sag’ i, aus sein’ Gleis’ wird erst dann alles flieg’n,
Wenn Sie Ihre Nachsicht und Huld uns entzieh’n.
Da wurd’ ein’ erst recht angst und bang,
denn dann stund’ d’Welt g’wiß nicht mehr lang.

Refrain (viele Strophen davor: Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang, lang, lang, lang, lang, lang).

(Johann Nestroy, Lumpazivagabundus, 1833)

Nun beschreibe ich ja selbst und mit Absicht die letzten Dinge, Finis terrae, weil sie so sind. Aber ich frage auch, ob man im Schützengraben Witze erzählen durfte, ob man sich in Auschwitz verlieben konnte, ob man – anstatt Luthersche Apfelbäumchen zu pflanzen – mit dem gut zu leben versteht, was da ist, schon deshalb, weil es im Nichts danach ja ohnedies keine Erinnerung an das gibt, was man hätte erhalten müssen.

*

Auf diese Gedanken bin ich gekommen, nicht erst heute, bei der Anordnung der täglichen Nachrichten. Wir sind das Publikum, und vor uns spielen sie, als ob es einen Vorhang geben könnte, und dann geht das gute Leben weiter. Wir können uns schnell darauf einigen, dass der Verzicht auf Kritik, Widerstand und Selbstbewusstsein die abschüssige Bahn nur steiler macht. Den Stein des Sysiphos beim Runterrollen zu bremsen, ist nicht sinnlos. Die Kohlkraftwerke abzustellen, eine CO2 Steuer zu erheben, Fahrverbote zu erlassen, … das ganze Parteiprogramm der Grünen zu exerzieren und noch ein paar gescheite Gedanken von den anderen, all das zu tun, verlängert die à Time of useful Consciousness.

Philosophisch wäre das die Hoffnung ohne Zuversicht. Empirisch spricht fast nichts dagegen, hedonistisch und möglichst individuell ein Maximum an Carpe diem zu betreiben und achselzuckend den Restgeschehen zu lassen. Aber Carpe diem, nutze den Tag, kann ja auch etwas anderes bedeuten: Nutze den Tag, um den Stein zu bremsen, oder nutze ihn, um die Enkelfrist auf die Urenkel auszudehnen, oder auch, um die Verbrecher großer Dimension auszuschalten, was ebenfalls lebensverlängernd wirken kann.

Ich denke nämlich, dass uns diese Verbrecher zu viel an kostbarer Lebenszeit kosten, indem sie diese mutwillig verkürzen. Das kann man übrigens empirisch nachweisen, das ist kein Satz aus der gefühlten Moralwolke. Bolsonaro und der Regenwald, Duterte und die peripheren Armen, Trump und die nichtweißen Menschen, Putin und die Regimegegner, … schreibt das weiter fort, liebe Leser*innen, verbindet erst einmal mit jedem Namen nur ein Verbrechen. Die Liste wird, lang, und sie droht einen zu überfluten, wenn die globalen Perspektiven mit dem, was wir in unserer Umgebung, Um-Welt nicht umhin können wahrzunehmen. Die Psychologen raten einem dazu immer, „abzuschichten“, andere raten zu triangulieren, Komplexität zu reduzieren, oder aber immer wieder Prioritäten neu zu ordnen. Man kann natürlich auch zum Mülleimer Modell von à Cohen, March und Olsen greifen (1972). Ich führe das nicht weiter aus. Denn im Grunde sind alle diese Methoden, wachsendes und unkontrolliertes/unkontrolliertes Chaos zu ordnen, wenig hilfreich unter dem Aspekt der schwindenden Zeit. Der bereits öfter zitierte Yuval Harari (à Homo Deus) mutmaßt sogar, dass die uns überholenden künstlichen und autonomen Intelligenzen uns vom anthropozentrischen Herrschaftsanspruch abbringen…

(Nebensatz: diese Überlegungen nehmen in letzter Zeit erheblich zu, sie werden schon im Theater und in der Belletristik weiterentwickelt, und das alles ist nicht mehr nur Science Fiction (zB. à „ex machina“), sondern verlangt nach einem anderen, neuen Realismus der Unrettbarkeit, in die Zuversicht nicht mehr auf Algorithmen aufbaut, und die Hoffnung nur in uns begründet sein kann, aber nicht in äußeren Erscheinungen, die allzu viele Optionen zulassen. Ich bin also mit diesen Gedanken gar nicht allein; aber das tröstet nicht).

Nur das dauernde Klagen nervt, weil es an die Zeiten erinnert, wo bei hinreichend lauter Klage die Götter eingreifen oder man eben heroisch untergeht. Und die Variante, „heimlich“ darauf zu hoffen, dass sich „das Rettende“ gerade noch rechtzeitig wird zeigen oder aber, dass es doch ein „Jenseits“ nach der nicht abgewendeten Katastrophe wird geben, ist doch eine Variante des Lamentierens.

*

Um beim Stein zu bleiben: es macht mehr Sinn, ihn beim Runterrollen zu bremsen als andauernd neue Mechanismen zu ersinnen, die das Hinaufrollen einfacher machen: das wäre der Fordismus in der Philosophie.

*

Mir kommt der Katastrophenüberschuss vor wie eine politische Homöopathie: wirkungslos, aber für einfache Gemüter plausibel, soll er uns abhalten davon, Dinge zu ändern angesichts der Tatsache, dass die Welt ohnedies nicht mehr lang, lang, lang…besteht. Andererseits ist die schulmedizinische Strategie, einzelne Katastrophen rauszupicken, Konflikte zu regeln, nicht per se falsch, sondern erzeugt falsche Hoffnungen, also Illusionen, dass man durch Abarbeiten den Berg abschmelzen könnte. Das wäre empirisch widerlegt.

Mich überrascht, dass einige Einsichten gar nicht in diesen eschatologische Diskursen nicht vorkommen: z.B. dass bestimmte Phänomene zum normalen Erscheinungsbild der jeweiligen Systeme gehören, und deshalb innerhalb der Politik bearbeitet werden können. Bestimmte Verbrechen gehören zum Kapitalismus, dazu haben wir Demokratie, Strafrecht und entsprechende Qualifikation der Akteure. Das hält den Weltuntergang weder auf noch beschleunigt es ihn. (Wir können das überprüfen, aber dann dürfen nicht darauf vertrauen, dass der Rechtsstaat von “allein“ in die Gänge kommt. Andere Verbrechen gehören zu den Diktaturen, die uns umgeben: Folter in Russland, der Türkei, in vielen Ländern…die sind für diese Art der Herrschaft „normal“, und was die Außenpolitik, die Militärstrategie, und die transnationale Politik damit macht, und wieder liegt es daran, ob oder ob nicht Politik gemacht wird. Über die Flüchtlings- und Migrationspolitik kann man sich aufregen, die Katastrophe ist nicht die Migration, ist nicht der Flüchtlingstreck, sondern die Flucht- und Migrationsursache.

Oder anders, natürlich sehr verkürzt, argumentiert: was politisch regulierbar ist, unter Anwendung aller demokratischen Mittel, – leider oft auch mit Gewalt -, muss nicht endzeitlich beklagt werden. Damit sage ich, dass der Klimawandel, die wirklich mit den Umwelt- und Lebensbedingungen verbundenen Katastrophen mit Politik allein nicht gebremst, gar gestoppt werden können. Oder: Politik ist nicht alles, auch wenn alles politisch ist.

Wir hatten das Thema schon, die Doppeldeutigkeit des Lebens, das wir ändern müssen. Die Privatisierung der Endzeit setzt entweder Zynismus oder Jenseitsglauben voraus. Dann ist es gleichgültig, was geschieht. Die Vergesellschaftung der Endzeit aber ist notwendig, und nur ein Ausdruck dafür, dass der Prozess der Zivilisation noch nicht abgeschlossen ist.

Das widerspricht meinen eigenen Befunden, dass dies – möglicherweise – ein verspäteter Befund ist. Es widerspricht nicht den Überholungshypothesen von Homo Deus und der Wissenschaftsphilosophen, es widerspricht auch nicht der Angstlust der Tänzer auf dem Vulkan. Aber wenn es zu spät  ist, dann hindert uns nichts und niemand daran, beides zu tun: politisch zu agieren, wo es notwendig ist. Republik, Menschenrechte, Republik, Solidarität sind allesamt nicht auf den Weltuntergang ausgerichtet, sondern auf einen Zeitstrahl sich entwickelnder Zivilisation. Und jenseits der Politik, nie ohne sie allerdings, sich eben dieser Zivilisation zuzuwenden.  Nicht ihre Defizite zu beklagen, sondern die Tragfähigkeit ihrer Grundlagen auszutesten und zu verstärken. Das soziale Apriori auszubauen, sich individuell erkennbar zu machen in eben dieser Kommunikation, und das heißt, bestimmte Formen der Herrschaft in Frage zu stellen.

Zu schwierig? In Frage  stellen heißt immer, die falsche Versöhnung abzulehnen, also die zwischen Ökonomie und Ökologie, die zwischen Eigentumsrechten und Sozialverpflichtung etc. (Das haben andere vor uns gewollt, Attac zum Beispiel, Amnesty, Greenpeace, tausende NGOs; richtig, diese – oft als Zivilgesellschaft oder Teil derselben genannten – sollen aus der Katastrophik in die Zivilisationsarbeit viel direkter einsteigen. Das wäre die Reform der Reformierer – und ein klarer Blick auf den Stein, den es zu bremsen gilt).

Zu einfach? Der Maßnahmenkatalog kann, er muss, immer in die Politik eingehen, deren Raum wir uns schaffen. Test: überprüft Wahlprogramme, wo dies möglich ist.

 

 

Seehofer: das Töten geht weiter

DLF 18.11.2018 hats gemeldet.

Aus dem Innenministerium wird bekannt, dass weitere – unmenschliche, unsinnige und politisch fatale – Programme zur leichteren Abschiebung von Menschen geplant sind. Unbeirrt bleibt der christliche und soziale Menschenverächter Seehofer in seinem Amt, unangefochten, bis ihn der Teufel holt.

Besondere Pikanterie: die Flugtickets für die Deportierten werden ohne Namen ausgestellt, damit man solche, die sich in den Untergrund gerettet haben, durch andere ersetzen kann. Das kennt man sonst nur aus Diktaturen. aber soziale Christen mögen das…wenns nur beim Weißwurstessen nicht stört.

Es gibt kaum mehr Proteste gegen die Abschiebungen. Das liegt nicht nur an der Routine der Deportationen, an der Fehlkonstruktion der „sicheren Herkunftsländer“, ander Routine des Wegschauens (ob  in Libyen gefoltert wird, ist doch egal…hauptsache, bei uns wird es nicht so offensichtlich). Dabei könnte man das Problem straffälliger Migrant*innen oder von „Gefährdern“ einfach regeln: Straftäter sid Straftäter,  also sperren wir sie hier ein. Und Unschuldige sind  unschuuldig, sogar wenn sie keine Deutschen sind…HIER lliegt eine fatale Konspiration von Justizorganen (Staatsanwaltschaften, Polizei, Boulevardpresse…) und eine Neigung, das Volksempfinden mit der vielfältigen Wahrnehmung durch 82 Millionen Menschen zu verwechseln.

Seehofer ist selbst kein Verbrecher, er ist genau dieser Handlangertyp der Demokratie- und Republikzerstörer, die immer ein Kreuz und einen Schreibtisch zwischen sich und der Wirklichkeit, um selbst nicht belangt zu werden. Sein Ministerium ist, was der Volksmund „Saftladen“ nennt, nicht erst seit seiner Amtsübernahme. Eine Heimat, die dort verwaltet wird, kann einem gestohlen bleiben. Aber für die Asylsuchenden, Geflüchteten, Nichtdeutschen, die hier leben wollen, noch immer ein gutes Land. Daran vergeht sich der fremde Blingänger Seehofer.

Nachtrag: der bayrische Innenminister möchte nach Syrien abschieben. Soigar das AA ist dagegen. und der sehr hirnschräge Herr Spahn intrigiert gegen den UN Migrationsplan, mit fakenews…und hat nicht nur die AfD auf seiner Seite, sondern auch ein paar asoziale Christen aus seiner Partei (Carsten Linnemann z.B.). Es bleibt nichts anderes übrig, als diese Bande zu denunzieren, wo immer es geht. Naming & Shaming.

Nur kein Vaterland. Europa bleibt ohne Tod

Die AfD baut in ihrem Europawahlkampf auf die Vaterländer. Man kann das als blöde Rhetorik abtun, sollte man aber nicht. Vaterland ist ein Begriff, der vielfach untersucht, dekonstruiert, umgedeutet wurde; er hat – und das ist ein Fortschritt seit 1945, oder seit der weiteren Demokratisierung Deutschlands in der Folge – keine verbindliche Bedeutung mehr. Man verbindet mit ihm weder einen Kaiser, noch einen Führer; man lässt Gott endlich aus einem Spiel, bei dem er immer nur dem Sterben im Krieg zugeschaut hat, wenn überhaupt; und – für mich besonders wichtig – aus der Liebe zum Vaterland kann man den Patriotismus zur Verfassung, zur Demokratie, nicht ableiten.

  • Amor patriae: die Liebe zum Vaterland, oder die Liebe des Vaterlands…schon seit 2000 Jahren ein Problem, diese Kippfigur
  • Dulce et decorum es pro patria mori: süß und ehrenvoll ist es fürs Vaterland zu sterben (Horaz).
  • Europa der Vaterländer: Charles de Gaulle 1962 bis zu seinem Tod: Absage an die Supranationalität.

Das reicht zum Einstieg. Die Nazis in der AfD, oder die Mehrheit der Nazipartei AfD, haben den Begriff auf ihrem Europa-Parteitag wieder aktiviert (16.-18.11.2018). Sie gehen ins Europaparlament, um es zu zerstören. Sie berauschen sich an der Anbetung der leeren Hülle, die Vaterland heißt, aber keinen Inhalt hat. Und, wenn wir uns schon sprachlich verständigen, nicht einmal die Gleichung Vaterland = Heimat, geht auf; wobei wir der Rhetorik in den Heimatdiskursen schon Aufmerksamkeit schenken sollen.

*

Die Hilflosigkeit, mit der viele politische Gruppen, Parteien und Intellektuelle der AfD gegenüberstehen, ist vielfältig. Sie ist immer falsch, wenn es nur, ausschließlich, um Rückführung der Wählerstimmen in ihr Lager geht, wie das Friedrich Merz will (AfD „halbieren“). Sie ist auch falsch, wenn man die AfD mit den Nazis an der Macht vergleicht. Die AfD sind eine Neuauflage der Nationalsoziallisten zwischen 1923 und 1933, natürlich mit vielen Unterschieden in der Form, Sprache und anderen Schwerpunkten, denn manche haben die Nazis an der Macht schon erledigt…(Die AfD erklärt die österreichischen Nazis als Verbündete – die wollen Konzentrationslager für Migranten schaffen und haben die Innenpolitik bereits weitgehend mit ihren Truppen durchsetzt; auch der Faschist Orban zählt zu den Freunden der AfD – und die CDU/CSU sitzt noch immer mit seiner Partei in derselben Fraktion, von wegen halbieren).

*

Ein Europa der Vaterländer meint auch das, was Trump praktiziert: bilaterale Bindungen zum Vorteil des Stärkeren. Nun ist der Anspruch der AfD aber, Vergleich zur Zwischenkriegszeit, eher auf die innenpolitische Umfärbung gerichtet, wie der sächsische EU-Kandidat richtig sagt: wer im Frühjahr AfD für Europa wählt, wählt im Herbst AfD in Sachsen.

*

Eine Absage an den Patriotismus fällt den Vertretern des „Verfassungspatriotismus“ schwer, weil dieser ja das Gegenteil vom Patriotismus der Dreifaltigkeit Führung-Gott-Nation meint. Der Begriff wurde um des Gegenteils willen geboren. Da ging es um die Republik, um eine durch die Verfassung geeinte Nation, nicht um ihre Ableitung aus höheren Werten.

*

Es lohnt sich in die Geschichte des Begriffs Nation Europa einzuarbeiten. Der Begriff schaut doch zunächst eher erleichternd aus. Wenn wir sein Zentralorgan gleichen Namens lesen (https://en.wikipedia.org/wiki/Nation_Europa), verstehen wir, warum Identitäre, Neonazis, aber auch „Abendländler“ aller Schattierung in den anderen Parteien hier gefährlichen Mutterboden finden. Schaut euch auch die Autorenliste an. Ein Umweg über Österreich lohnt. Andreas Mölzer, ein „Deutsch-„Österreicher, der ohne Zweifel zu den intellektuell und journalistisch best profilierten Rechten gehört, ist ein Beispiel für den Rahmen dieses Vaterlandsdiskurses: https://de.wikipedia.org/wiki/Andreas_M%C3%B6lzer Es handelt sich hier um eine reflektierte Radikalität, deren Gefahr darin liegt, dass Mölzer nicht eine platte deutschtümelnde Europafeindlichkeit predigt, sondern ein anderes, in seiner Form über scheinbare Kulturhoheit abgegrenztes Europa skizziert, in dem eine Reichisdee mit der obigen Dreifaltigkeit durchscheint (nicht nur die Titel sprechen für sich oder seine Herkunft aus dem Corps Vandalia und seine Entwicklung zur Zeitschrift „Zur Zeit“ incl. seinem Blog).  Lest eine Probe der Zeitung, ganz neu: http://zurzeit.eu/artikel/fuer-volk-und-vaterland-_2663?SID=70199eb1c9024e7 4bcbeea2e84a2a0f97736324 . Das ist eine „rechte Dialektik“, die nicht einfach auf pro- und contra-Parolen reduzierbar ist. Fazit: die neuen Nazis sind keine „Neos“, sondern Nazis. Das heißt nicht, dass sie dumm sind. Und Österreich ist leider einen Schritt zu weit nach vorn gegangen….gut für Deutschland? In der AfD gibt es eine ähnliche Linie, übrigens mit Verbindungen zu „Zur Zeit“: Andre Poggenburg, Björn Höcke, Götz Kubitschek. (Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki /G%C3%B6tz_Kubitschek). Der Antaios-Verlag ist keine Klitsche, da wird der gewaltsame Boden für Aktion und nicht nur Meditation bereitet.

Warum gehe ich da in die Tiefen des denkenden Untergrunds? Noch steht in Deutschland,  auch Österreich oder Italien, keine Beschleunigungsdynamik wie zwischen 1931 und 1933 an; aber es wäre töricht, ihre potenzielle Heraufkunft zu ignorieren. Besser sie kommt nicht als in Angstlust zu erstarren. Es ist diese Angstlust, die uns auch dem Diskurs unterwirft, der die AfD nach oben trägt. Zufällig gerade während dieses Blogs höre ich Anatol Stefanowitsch im Deutschlandfunk. Und es ist fast ein Analogerlebnis, seine Analyse der politischen Korrektheit und der lebendigen wie der inszenierten politischen Sprache, einschließlich ihrer kritischen Herkunft, zu hören. Dass die AfD sich im Namen der Meinungsfreiheit die Begriffshoheit holen möchte, und oft bestätigt erhält, gehört dazu. (DLF 18.11.2018, 9.30-10.00).

*

Wir hatten den Republikanern den Begriff Republik überlassen. Wir haben den völkischen Diskurs und die Vergröberung des Volksbegriffs selbst zugelassen, schon damals, als zwischen wir sind das Volk und wir sind ein Volk nicht mehr unterschieden wurde. Nein, wir sind keins. Aber die immer wieder aufstellte Forderung, dass das Recht nur dem sich konstituierenden Volk ausgehen kann, nicht von einer sich amorph politisch gebärdenden Bevölkerung, stellt unablässig die Frage nach den legitimen demokratischen Verfahren dieser Konstitution: z.B. der diskriminierungsfreien Konkurrenz um die Wahrheit im öffentlichen Raum (à Parrhesia). Meinungsfreiheit bis zum Grad, an dem aus der Meinung Gewalt und Aktion wird (9.11.1938) oder aber Widerstand und Politik.

*

Lebe droben, o Vaterland,
Und zähle nicht die Toten.
Dir ist, liebes, nicht einer zuviel gefallen.

(Friedrich Hölderlin)

Dieses Gedicht, bzw. diese drei Zeilen, im Kontext der französischen Revolution am Ende einer sechsstrophigen Ode 1800 geschrieben, wurde – „natürlich“, das ist das fatale – von den Nazis missbraucht. Und als ich das noch nicht wusste, habe ich einmal – 1975 – diesen Text ganz positiv im widerständigen Sinn selbst gebraucht. Die Wiedergutmachung fiel mir nicht schwer, aber sie war und ist mit einer wichtigen Verallgemeinerung verbunden: die Geschichte des Vaterlands ist so wenig kontextfrei zu behandeln wie irgendeine Geschichte. Und so wird die „natürliche“ Verwendung des Vaterlandes für die Zwecke der Nazis und ihres Planetengürtels zu einer für uns problematischen und wichtigen Herausforderung.  Einfach einen neuen Patriotismus auf demokratischer Grundlage zu fordern, klingt einfacher als es ist. Gott ist da nicht mehr im Bild, ein Führer auch nicht, und die tatsächlichen, uns korrumpierenden Mächte sind schwer zu fassen (Alle Lobbys, alle Verbrecher in den Industrievorständen, alle Klimaleugner, alle Shoah-Leugner, alle Mafias von Sportverbänden bis zu Landgrabbern, alle…Partikularen, die uns hindern eine offene Nation im Konzert supranationaler Gewaltenteilung zu werden: ist das der Kapitalismus, den wir an das politische erwachsene „Volk“ unter seiner Verfassung vermitteln können?). Um  diese Vermittlung aber geht es. Stellt den Kontext in den Hintergrund und bedenkt:

Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden?

(Shakespeare, Hamlet)

Nicht nur feststellen, worin die „See von Plagen“ besteht (Vermittlung), sondern worin der Widerstand bestehen kann (Politik). Den Plagen der Globalisierung kann man nicht mit ihrer Ablehnung begegnen, sondern nur durch ihre politische Umgestaltung, was wiederum nicht durch eine gradlinige Gewalt geschehen kann (globalisierter Terrorismus), sondern durch das politische Agieren jenseits des Vaterlandes, das immer ein Spielball eben dessen bleibt, was es auch zu bekämpfen vorgibt.

*

Wie man für die europäischen Vaterländer gut und gerne stirbt, hat der Erste Weltkrieg gezeigt. Wie man Vaterländer ausradiert, um eines zur Suprematie zu bringen, stand auch im Zweiten Weltkrieg an, dann gab es mehrere Ansprüche auf den Führungsplatz. Und heute haben wir dieser die „First“-Ideologie. Soeweit sind wir von den Schrecken der Folgen dieser Ideologie nicht entfernt.

 

Normale Nazis und ein Ausweg?

Die Angriffe sind begründet, aber taktisch und strategisch falsch. Die Parteispenden-Affaire der AfD ist natürlich wichtig und ein Angriffspunkt, aber die Kampflinie verläuft doch ganz woanders. Alle Parteien hatten in unterschiedlichem Ausmaß ihre Spendenaffairen, manche größer, manche lokal und kleiner. Wenn man hier in der Kritik an der AfD über die Stränge schlägt, hilft man der Partei, normal zu werden – und das ist politisch falsch. Taktisch, weil es sicher auch bei anderen Parteien wieder zu Unregelmäßigkeiten kommen wird, – das ist nicht gut, aber wir sind im Antikorruptionsindex nicht außerhalb der Maßstäbe. Und strategisch – haben wir nicht besseres zu tun? Überlassen wir den Fall der Bundestagsverwaltung.

Gaulands „Vogelschiss“-Bemerkung ist auch in ein Debattenendstadium getreten. Die Staatsanwaltschaft hat die Frage nach Volksverhetzung u.ä., verneint, weil im Kontext der Rede so ein Begriff durch die Meinungsfreiheit gedeckt sei (kann man so sehen), auch wenn Begriff und Rede in der Wahrnehmung der Kritiker beleidigend und strafwürdig empfunden wurden.  Recht basiert eben nicht auf Empfindungen (muss man so sehen). Man kann und soll die Rede weiter kritisieren, sich aber nicht an dem aufhängen, was Sache der Nazis, aber nicht unsere ist.

*

Nazis haben vor 1933 auf mehreren Instrumenten gleichzeitig gespielt und so viele Milieus und Gefolgsleute angesprochen. So entstehen auch Volksparteien. Es gibt immer mehr Vergleiche zwischen Weimar und der Berliner Republik, viele von ihnen Kenntnis- und Analogie-reich. Nur wer vergleicht, kann Unterschiede ausmachen. Das ist wichtig, weil ja die Nazis von heute in ihrer Erscheinung nur teilweise den Nazis von damals ähneln.

Ein wichtiger Unterschied wird leichtfertig aufs Spiel gesetzt: Nicht nur in der Bundesrepublik, auch weithin in Europa und vielen Ländern anderer Kontinente sind die Grundlagen demokratischer Republik einem großen Teil der Bevölkerung durchaus bewusst, weshalb die Kritik gegen das völkische und rassistische Empfinden auch substanzieller ist als in Weimar, der „Republik ohne Republikaner“ (Ossietzky). Der Populismus ist ein Sammelbegriff für viele politische Extremismen, auch die der „Mitte“. Er setzt die Rechts-Links-Koordinate außer Kraft. Und – wichtiger – er eint Nazis (AfD, FPÖ, Fidesz, PIS etc.) mit glaubwürdigen Nazigegnern, weshalb es so schwierig ist, zu vermitteln, dass im Kern die Nazis tatsächlich und ohne „Neo-„ Präfix vorhanden sind. Wir waren vielleicht in den 60er Jahren, vor und zu 1968 hin, etwas zu naiv zu glauben, dass Demokratie als Struktur bereits gegen die Ideologie immunisiert, die sich im Nazismus und im Stalinismus und etlichen anderen System, nennen wir sie autokratisch oder faschistisch oder schlicht diktatorisch). Der Republikanismus war damals noch nicht weit genug entwickelt, und die heute auch bei uns breite Abwehr gegen Demokratie als Grundlage von Regierung und Entscheidungsprozessen hat auch hier ihre Wurzeln. Wenn man das alles nur auf den globalen Kapitalismus schiebt, dann hat man wahrscheinlich grosso modo Recht, nur ist es unsinnig, die Kritik daran bereits als Ausweg zu sehen. Da sehe ich ein gefährliches Einfallstor geschwächten Widerstands, wenn man das rechte Muster in ein linkes verwandelt. Die Rechten sind gegen das System. (Das waren die radikalen Linken immer). Die Systemkritik möchte a) die Demokratie austauschen gegen die Unmittelbarkeit von Volksempfinden, und bei den Nazis, von völkischem Empfinden, auszutauschen  (Betonung auf unmittelbar und repräsentiert durch ein Führersystem: Trump,  Orban, Erdögan); b) die Menschen unter der neuen Leitkultur ständig gegen den Feind positionieren (da ist natürlich Carl Schmitt ideologisch präsent, wie übrigens früher auch bei manchen Linken). Darum taugt „Rechts-Links“ hier nicht, und der Ersatz von repräsentativer durch plebiszitäre Demokratie auch nicht.

Wie  also mit den Nazis umgehen? Im ersten Ansatz gar nicht.  Wie wir mit uns umgehen und wie wir uns im öffentlichen Raum verhalten, den wir immer wieder, täglich, neu schaffen müssen. (andere, auch konservative Geister, die aber den Nazis nicht sich anmuten, haben dieses Motiv „Du musst dein Leben ändern“ schon ebenso früh aufgegriffen wie frühe Flügel der Grünen. Sloterdijk nimmt das Motiv von Rilke und stellt unsere Gesellschaft in den Status ständiger Einübung und Selbstbeschäftigung. Rilkes Gedicht endet „…denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht/ du musst dein Leben ändern“.  (Peter Sloterdijk: Du mußt dein Leben ändern. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009), Das ist verführerisch, weil es auch zur hamsterradartigen Selbstbeschäftigung unter Außerachtlassung von sozialer Struktur, Macht, Herrschaft und Ungleichheit führen kann, formuliert durch die (selbst)bewusste Elite. Aber das Öffnen der hermetischen Gewissheiten über unsere menschliche Verfassung (Condition humaine) um derer Willen, die dieser Herrschaft unterworfen – das alte aufgeklärte, humanistische, oft revolutionäre Widerstandsargument, das auch einmal „links“ hieß, kann natürlich einen Ausweg bezeichnen, von dem wir nicht wissen, wohin er führt, weil er fast nur mehr im Verhindern besteht: eben der Klimakatastrophe, eben der milliardenfachen Hungersnot, eben der zivilisatorischen Retroaktion, eben des finis terrae – auch wenn es absurd wäre, dieses Ende aufhalten zu wollen, weil man es nicht kann.

*

Lohnt es, sich mit den Nazis auseinanderzusetzen. Ja, wenn es um die politische Besetzung von Positionen im sozialen Raum geht. Nein, wenn wir selbst nicht verstanden haben, dass wir die „Einzigen“ sind, die Demokratie weiter und die Republik stabiler entwickeln können. Anstatt diesen Trotteln die Meinungsfreiht zu bestreiten, müssen wir uns darum bemühen, in diesem „Wir“ erkennbar zu werden und zu bleiben. Auch dazu kann jede( r) das Leben ändern, seins und seiner Gesellschaft.

Dann kann man Gauland und Weidel und die 130.000 €  vergessen.

Zurück in die Politik. Rechts ist nicht unwidersprochen, gerade in Österreich, wo ja die Nazis maßgeblich mitregieren, ist auch der Widerstand artikuliert: Lest doch

Globaler Rechtsruck: „Etwas geht gerade weltweit schief“

Interview Bert Rebhandl 7. November 2018, 06:25 https://derstandard.at/2000090755265/Globaler-Rechtsruck-Etwas-geht-gerade-weltweit-schief

Wenn, wie in der Folge ausgeführt wird, die Mehrheit die „illiberale Demokratie“ ablehnt, aber die Mitte sich selbst nach rechts verschiebt, was hat das mit „UNS“ zu tun, dem lebenden Widerstandspotenzial, das sich nur nicht als politischer und kultureller Widerstand positioniert, sondern meist nur mitreden will?

Wir können uns nicht passiv gegen die Übernahme der Macht durch die unaufgeklärten Endprodukte einer Entwicklung wehren, die ja nicht aufgehört zu existieren, als die Aufklärung angetreten war. Aktiv heißt aber auch, nicht nur das eigene Leben städnig überprüfen, sondern die Umstände des Lebens der Anderen abhängig machen davon, wie wir Politik machen.