Sagt es nur, weil ihr es ja schon wisst!

Das Aussprechen der unangenehmen Wahrheiten hat etwas Beschwörendes und etwas Konspiratives an sich: als würde man das Unglück geradezu herbeizitieren – die Nazis kommen wirklich – und als würden wir Verrat übern an den Unwissenden und Ungewissen.

Chemnitz hat die Nerven zum Flattern gebracht, obwohl wir wissen,  dass sich die Nazis und andere rechtsextreme Gruppen in Bayern und Sachsen konzentrieren. Das kann und soll man  so sagen, und dann analysieren: Sachsen ist das reichste Land im Osten, Bayern das Zweitreichste im Westen. Aus Not und sozialer Abhängungsfurcht wählen die Menschen nicht AfD, demonstrieren sie nicht mit Pegida und NPD, lassen sie das sektiererische Kreuz nicht in ihre Amtsstuben. Das kann man auch sagen.

Die Sicherheitsorgane – Polizei, Verfassungsschutz, LKA und BKA, sind teilweise Vorfeldorganisationen der Rechtsextremen. Wir wissen das, die Misshandlung der Journalisten in Sachsen, der V Mann von BVS Mann Maassen, die Veröffentlichung von Haftbefehlen, die öffentlich beschützten Treibjagden, und länger schon her, die Devianz beim Schutz des NSU (anstatt ihn zu verfolgen), all das verstärkt unsere Gewissheit. Die kann man auch aussprechen.

Dass der Jargon der Unions-Extremisten, meist aus der CSU, sich sprachlich nicht wesentlich von der AfD unterscheidet, kann man jeden Tag hören. Wenn sich die bayrischen Wahlkämpfer von der AfD absetzen, ist das so, wie in Weimar die DNVP von der NSDAP in den späten 20er und frühen 30er Jahren abgesetzt hatte. Seehofer, Dobrindt, Söder, Hermann, aber auch Reul aus NRW sprechen diesen Jargon. Also sagen wir es.

Dazu gehört kein Mut, wenigstens bei uns. Bei den von unserer Regierung notwendig hofierten Diktatoren könnte man das nicht gefahrlos genau so sagen, bei Puti-n, Erdögan und wirkungslos bleibt es bei den Aftermietern der neuen Diktaturen, bei Kaczinsky, Orban, Strache und Salvini … Aber es ist schon schwieriger, sich öffentlich über diese Begriffe auseinanderzusetzen, und Nazi zu sagen und nicht Rechtspopulist. Und kriminell zu sagen anstatt nur extremistisch.

Noch schwieriger ist es zu sagen, dass wir vermutlich in ein neues, faschistisches oder nationalsozialistisches (also mehr staats- oder mehr volks-orientiertes) Gesamteuropa steuern, mit Avantgarden und  Nachzüglern, auch beschränkt sich diese globale Situation nicht mehr auf Europa. Man kann auch sagen: solange man dies auszusprechen keinen Mut braucht, soll man es sagen.

Man muss geradezu Wahlen fürchten, die zum Grundbestandteil von Demokratie gehören. Man muss fürchten, mit all denen zusammenarbeiten zu müssen, die sich gegen diese braune Bewegung stemmen, auch wenn man mit ihnen wenig Konsens hat. (z.B. ich mit der Linkspartei oder der heutigen FDP). Aber darum darf man ja (noch) differenziert Politik machen. Oder man kann hoffen, dass sich aus solcher Kooperation eine neue, demokratische Dynamik ergeben wird. Darüber muss man öffentlich sprechen und verhandeln. Damit auch an den Rändern, z.B. bei sehr Linken, sich nicht der Kreis zu den ganz Rechten sofort schließt. Das ist eben nicht Volksfront, die nicht zugunsten der offenen Demokratie sich entwickelt hat. Und auch keine „Bewegung“, mag sie nun Aufstehen oder Sitzenbleiben heißen. Parteien in der Demokratie brauchen immer Bewegungen als Input. Aber sie dürfen sich nicht zurückentwickeln zu Bewegungen.

Ist das alles nicht selbstverständlich? Offenbar nicht,  sonst würden nicht manche wache Mahner davor warnen, dass sich die autoritären und undemokratischen Habitus „schleichend“ entwickelten. Wieso schleichend? Wenn ein CDU Innenminister an das Volksempfinden appelliert, um die Justiz zu desavouieren, dann ist das Nazisprech und kein „Missverständnis“. Auch wenn Reul kein Nazi ist, was ich annehme, so muss er sich nicht für das Missverständnis entschuldigen, sondern für die Dekontextualisierung, in der er einen Zusammenhang aus dem Unbewussten heraufholt, um einen neuen Kontext zu konstituieren – schleichend, sozusagen.

Es gab auch beim Verfassungsschutz und NSU keine Missverständnisse oder bei der Journalistenabfuhr in Sachsen oder bei der Ausländerjagd…es ist das wohl verstandene Verständnis der Täter für ihre Tat – auch wenn sie die nicht als Missetat verstehen. Aber sie sind Täter und wir müssen den Rechtsstaat gegen sie einsetzen. Und ihn nicht mit ihnen versöhnen.

+

Und nu?  Zuerst einmal wieder die Sprache finden. Nicht, was einen andern beleidigen könnte, ist zu vermeiden – sondern was einen selbst beleidigt, wenn man es anwendet. Und da gibt es ein Repertoire von sprachlichen Möglichkeiten, das dieselbe Wahrheit ganz unterschiedlich ausdrücken kann. Ob und wie jemand diplomatisch oder sachlich oder sarkastisch oder … etwas sagt, kommt auf den Kontext an und die Absicht, etwas Bestimmtes zu sagen. Darauf kommt es an: etwas zu sagen, das man zu sagen hat, nicht einfach zu reden, „damit wir miteinander und nicht übereinander reden“. (Billige, letztlich hohle Formel).

Ich sage etwas, um die Flüchtlinge und andere Menschen vor Seehofers Beschimpfungen in Schutz zu nehmen. Ich verwende Seehofers Terminologie, um ihn z.B. aus der Reserve zu locken. Aber ich muss mich fragen, ob es dafür steht, wofür es überhaupt steht. Die Antworten dürfen wir schon sagen.

Ich variiere hier ein Thema von à Aron R. Bodenheimer. Der hat diese Trias von reden Sprechen Sagen psychoanalytisch gedreht und gewendet. Das etwas zu sagen haben bedarf keines Mutes; erst einmal muss einer nachdenken, bevor er/sie etwas zu sagen hat.

*

Ich verwende bewusst oft Ausdrücke, die MAN nicht so ohne weiteres gebraucht. Zugleich wende ICH mich dagegen, einfach zu schimpfen. Wie geht das zusammen? Das ist die politische Wendung im Repertoire verschiedener Ausdrucksweisen – nicht um die Kritisierten zu provozieren, sondern diejenigen, die mit ihnen einverstanden sind. Einwand: aber die lesen ja deinen Blog nicht. Nein, aber siekönnte ihn lesen, und oft bekomme ich Reaktionen von unerwarteter Seite.

Da schleicht sich die Apologetik des guten Benehmens ein, genau dessen, was die Gaulands, Dobrindts, von Storchs, etc. bewusst vermissen lassen, um dem An-Schleichen der Verrohung Vorschub zu leisten. Aber das ist politisch nicht unerheblich. Nahles‘ Pöbelei „in die Fresse“ hat sich zum Beispiel eingegraben als ein Ausruf plebejischer Fehleinschätzung der Umgebung. Nein, die ist gar nicht rechtsradikal, aber gut war der Spruch trotzdem nicht.  Vor allem war sein Kontext ein anderer als der der „Vogelschiss“-Behauptung von Gauland zur Nazizeit. Natürlich ist schlechtes Benehmen kein Privileg der Rechten, oft ist es ein falsches Signal auch von Links. Aber es kommt in allen Fällen darauf an, welche Folgen ein solches Benehmen hat, und deshalb kann ich jede Schimpfaktion nach dem positiven oder negativen Provokationseffekt dekonstruieren. Muss ich? Ja, meistens.

Nur: im Alltag ist das Problem sprachlicher Sensibilität und Deutungskonsequenzen nicht unmittelbar präsent. Deshalb könnte man Regeln entwerfen, in deren Rahmen jeweils die roten Linien (inflationärer Wortgebrauch) festgelegt werden. Demokraten müssen mehr ertragen als ihre Feinde. Aber die können sich natürlich nicht in allem, was sie sagen, auf die Meinungsfreiheit berufen. Wenn wir uns darauf berufen, dann ist es sehr wohl selbstverständlich, solange wir uns auch an die andern Regeln der Demokratie halten.

Deshalb müssen wir sagen, was ist. Daran misst sich jedes Benehmen.

 

Kein Arbeitszwang, aber sinnvolle Arbeit für alle

Die Älteren werden bei der Überschrift vielleicht sofort an den RAD denken: REICHARBEITSDIENST. Man kann sich da schnell informieren.

 

https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsarbeitsdienst

https://www.dhm.de/lemo/kapitel/ns-regime/ns…/reichsarbeitsdienst.html

http://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/lebensstationen/ns_8.htm

https://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/der-reichsarbeitsdienst-rad/

www.bundesarchiv.de/…Reichsarbeitsdienst/vom-braunen-in-den-grauen-rock-der-rei

 

Als integraler Bestandteil des nationalsozialistischen Sozialisations- und Arbeitssystems, aber auch der Jugendpolitik und nicht zuletzt der Reproduktionsideologie wurde der RAD zu einem Merkmal des NS-Regimes.

 

Die Arbeitspflicht hatte eindeutig auch ökonomische Zielrichtungen, aber sie war mit der Zwangsarbeit der Konzentrationslager und der Gefangenen bzw. der Organisation derselben in den eroberten Gebieten nicht identisch.

 

Was die subjektiven Narrative derer, die im RAD gearbeitet hatten, betrifft, so sind die Botschaften gemischt: Ältere Jahrgänge berichten voller Abscheu oder aber voller Begeisterung von diesem Jahr, es hing stark von den Umständen im den Folgen nach dem Pflichtjahr ab. Verallgemeinerungen entlang einer Rechts-links-Achse lassen sich nicht machen (Begeisterte RAD Leistende treffe ich auch auf der äußersten Linken und in der Mitte, und Abscheu bei traditionell oder neuerdings ganz rechts Stehenden).

 

*

 

Die Jüngeren werden diese Assoziation nicht automatisch haben, wenn es heute wieder um die Erwägung von Dienstpflichten im sozialen Raum unserer Gesellschaft geht. Da wird einerseits das Zwangsarbeitsverbot des Grundgesetzes, auch die freie Berufswahl angeführt, andererseits sind die Stimmen zur Verpflichtung auf gemeinnützige Arbeit nicht einer bestimmten politischen Position zuzuordnen.

 

*

 

Zivildienst als Ersatz für die Wehrpflicht, Bundesfreiwilligendienst, Freiwilliges soziales oder kulturelles Jahr…das alles sind Elemente einer polit-ökonomischen + kulturpolitischen + ideologischen Verbindung von Argumenten, die untereinander nicht zur Deckung zu bringen sind.

 

Dass jetzt, nicht nur aus der CDU, Vorschläge zu einer „Dienstpflicht“ auf den Tisch kommen, überrascht nicht.

Dass dabei an beide Geschlechter – pardon: an 2+n Geschlechter – gedacht wird, ist folgerichtig, die Zeiten haben sich gewandelt.

Dass Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge da integriert werden sollen, unterstützt die Einwanderungsgesetzgebung und steht gegen die Deportationspolitik der deutschen Rechten.

Auch dass ein Zusammenhang mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht diskutiert wird, ist folgerichtig.

 

*

 

Mich treibt das Thema seit Jahren um. Dabei waren für mich zwei Aspekte, zunächst unverbunden, leitend. Der eine ist einfach, der andere allerdings gar nicht.

Der eine ist die Wehrpflicht: ich war einer der wenigen, die in meinem Umfeld gegen die Aussetzung der Wehrpflicht argumentiert hatten, und dies bis heute so halte: meine Befürchtung ist, dass die freiwillige professionelle Armee der Private Security und der weiteren Abkehr des Militärs von der Gesellschaft Vorschub leisten. Leider sollte ich Recht behalten. Leider, weil wir noch nicht bei einer europäischen, EU-getragenen Verteidigung und der Ablösung der NATO sind, und weil sich die Re-Nationalisierung in ganz Europa eindeutig gegen die Staatsbürger in Uniform richtet. Abgesehen davon war mir wichtig, dass auch Frauen in vollem Umfang in die Wehrpflicht einbezogen werden, und die Verweigerung nicht deutlich (auch) klassen- und habitusmäßige Diskriminierung zur Grundlage hatte.

Derm andere Aspekt ist die Gemeinschaftsargumentation. (Ich bin Soziologe, bitte belhrt mich nicht über den Unterschied zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft).  Es geht dabei um eine Form der Gemeinschaftsbildung, die der Gesellschaft etwas gibt (nicht unbedingt „zurück-„gibt als Dankesschuld für gelungene Sozialisation und staatlich organisierte Bildung).

In den verschiedenen Zivildiensten, Bufdi etc. findet sich diese Vergemeinschaftung, von der ich spreche.

Es gibt eine Menge von Aufgaben, die die meisten für sinnvoll, notwendig und machbar halten. Es findet sich nur niemand, der sie macht.

 

Ein  ironischer, böser Einschub. Deutsche essen gern Spargel. Über lange Jahre haben Hilfsarbeiter*innen aus Polen und Rumänien den Spargel gestochen, Deutsche fanden sich dafür niicht,  auch wenn sie von der Arbeitsverwaltung da hin geschickt wurden. Fragt einmal nach den Gründen…Jetzt gibt es ein Problem bei der Spargelernte, das sich nicht mit höheren Stundenlöhnen beheben lässt. (Auch hört man: Deutsche tun das nicht, sie können es nicht, und nach zwei Tagen sind sie krank geschrieben…) Das Thema „Harte Arbeit“ verfolgt mich seit 30 Jahren, seit Michael Walzer (Walzer 1984), der großartige Kommunitarist (obwohl ich den Kommunitarismus sonst nicht sehr mag) in seinem Buch „Sphären der Gerechtigkeit“ das gleichnamige sechste Kapitel diesem Thema gewidmet hat:  „grob, unangenehm, widerwärtig und schwer erträglich“ (S.244). Walzer erkennt, wie stark die Zuteilung von Arbeit von Geschlecht, Herkunft (in den USA „Rasse“), Bildungsstand, Intelligenz etc. abhängig ist. Sklaverei gibt es bei uns nicht mehr, aber Staatssklaven, zB. Gefangene, gibt es in fast allen Ländern, und dann wäre Arbeit das, was sie „als Strafe verdient“ hätten…

Nun darum geht es hier nicht unmittelbar, aber es besteht ein Zusammenhang. Geht mal Spargel stechen und geht mal mit mir Spargel essen.

 

Wir müssen sehr klar fragen: was ist für die Gesellschaft sinnvoll, notwendig und machbar zu leisten, und nicht für die Gemeinschaften (Volks-, Glaubens-, Ideen-Gemeinschaften) oder den Staat (JF Kennedy).

 

Konkret sind das gemeinnützige Arbeiten, die öffentlich verhandelt werden müssen. Wir erkennen unschwer, dass es sich um Dienstleistungen in Bereichen wie Bildung, Sozialarbeit, Integration, Betreuung von Ausgegrenzten usw. handeln wird, und nicht um die Substitution von Regelarbeit (selbst wenn man für die nicht ohne weiteres Arbeitskräfte findet. Und dann soll jeder und jede Bürger*in, nicht nur Staatsbürger*innen, die hier dauerhaft leben, wählen, welche Tätigkeit er oder sie für ein Jahr macht:

  • Hinreichend bezahlt
  • Hinreichend (sozial, kranken-) versichert
  • Hinreichend anerkannt

Hinreichend heißt: hier geht es nicht um die tariflichen und arbeitnehmer-orientierten Organisationsformen des Arbeitsmarktes. Hier geht es um die staatlich garantierten Bedingungen für gemeinnützige Tätigkeiten.

 

Für ein solches Konzept sprechen auch viele Veränderungen der letzten Jahrzehnte in den Bereichen von Familienstruktur, Adoleszenz (Wegfall und Änderung des „Moratoriums“, Hikikomori-Tendenz[1], stark gebrochene Aufstiegsgewissheit bzw. Zweifel an dem Erhalt von Status und Habitus etc.).

 

*

 

Für mich persönlich gi-bt es zwei besonders starke Motive, dieses Thema offen, öffentlich und praktisch anzugehen:

  • In meinem nächsten Umfeld erlebe ich, wie persönlichkeitsprägend und weltoffen Tätigkeiten, die die drei Bedingungen erfüllen und die drei Merkmale von Arbeit tragen, die oben beschrieben wurden;
  • Füe Flüchtlinge aller Art ist dies der beste Weg nicht nur zu einer teilweisen Integration, sondern auch zu einer starken Motivation der „Ansässigen“, ihren Status gegenüber den Arbeitsformen zu überdenken.

Also: keine Assoziationen mit dem Reichsarbeitsdienst und der Zwangsarbeit, sondern mit Gendergerechtigkeit, Gleichverteilung gesellschaftlicher Lasten und  der gemeinschaftlichen Bewältigung von Arbeiten, die gesellschaftlich sinnvoll, notwendig und machbar sind.

Damit das nicht sooo harmonisch klingt: es gibt das Phänomen der Wohlstandsverwahrlosung, und es gibt das Problem des „Verschwindens“ von Jugend in der ewigen Adoleszenz. Dazu ein andermal.

 

 

 

 

Walzer, M. (1984). Spheres of Justice, Basic Books.

 

[1] Vgl. nur ein Beispiel für Deutschland: https://www.br.de/…/1000-arten-regen-zu-beschreiben-neuer-kinofilm-von-isa-prahl-…(26.8.2018)

 

Das RECHTE Vorfeld

Schade, dass das RECHT nicht LINK heißt, darum ist der Rechtsstaat so doppeldeutig.

Am Grunde der Moldau wandern die Steine Es liegen drei Kaiser begraben in Prag. Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine. (Brecht)

1968 geht nicht zu Ende. Damals wurde sozialistische Reform endgültig begraben, und die begrabene Hoffnung vom Grunde der Moldau wird jedenfalls nicht im nationalen sozialistischen Staat nie mehr auferstehen (von wegen „Aufstehen“).

1968 haben wir agitierten und agitierenden Studenten die Gefahr einer Wiederkehr des Faschismus und der Nazis drastisch beschworen (sollten glücklicherweise Unrecht behalten), aber die Bilder dieser Befürchtung habe ich noch vor Augen.

1968 hat für die gesamte Gesellschaft die Intensität, Differenzierung und Konsequenzen der Vergangenheitsbewältigung geöffnet: nein, früher war nicht alles besser.

Im Zuge dieser Fortschritte wurde die Rechts-Links-Koordinate zunehmend obsolet. Und dennoch ist Bevölkerung bei uns merkwürdig ungerührt durch etwas, das sowohl sprachgeschichtlich als auch im Alltagsverständnis nur als RECHTS bezeichnet werden kann, allerdings nicht auf rechte Parteien  (AfD, CSU) beschränkt ist, sondern auch in Teilen der Linkspartei und an Rändern der SPD und CDU zu finden ist. (Uns Grüne kann ich hier weitgehend ausnehmen, die FDP ist ein Flickenteppich).

*

Ich bekam böse Kommentare, als ich Teile – Teile! – der Sicherheitsorgane (Innenministerium, Bundes- und Landesverfassungsschutz, BKA/LKA etc.) als VORFELDORGANISATIONEN DER RECHTEN GEWALT im Zuge der Aufklärung des NSU bezeichnet habe. Ich bleibe dabei.  Nicht nur die sächsische Polizei, nicht nur das bayrische Polizeigesetz, nicht nur die gewalttätige Deportation gut integrierter Flüchtlinge – das sind EHEMALIGE Flüchtlinge, eigentlich schon Bürgerinnen und Bürger – sind Anzeichen RECHTER NORMALISIERUNG und mehrheitsfähiger Unterminierung des republikanischen Grundkonsenses der Demokratie. Rechts, das ist nicht einfach konservativ, sowenig wie Links einfach fortschrittlich ist.  Es geht um Modi Politik zu machen.

Rechts ist politisches Handeln gegen bessere Einsicht:

  • Freigabe von Glyphosat durch einen abgemeierten Minister, ohne dass er aus der Regierung entfernt wird (
  • Schutz von Kohleproduktion mit lügenhaften und falschen Argumenten angesichts beschleunigten Klimawandels (da sind zB. Gewerkschaften und linke Parteien auch auf der prekären Seite)
  • Die bedingungslose Unterwerfung großer Industrieunternehmen die Diktate der Iranpolitik des amerikanischen Psychopathen

Rechts ist die Dominanz virtueller nationaler Interessen vor transnationalen Menschenrechts- und Wirtschaftsräumen

Deutschland ist noch eine – im Großen und Ganzen – positive Ausnahme gegenüber vielen unserer Nachbarn und einer Vielzahl faschistischer Mitregierungen innerhalb der EU. Aber ungeniert vertreten auch die Vorstände der CSU und politisch wichtige Einzelpersonen jenen Nationalsprech, der oft an die Nazis VOR 1933 erinnert. (Vorsicht: ich habe diese Leute nie mit den Nazis NACH 1933 gleichgesetzt, sowenig ich die ANKERZENTREN  als Vernichtungslager bezeichnet habe, wohl aber mit Konzentrationslagern vergleiche).

Wie  man mit den Autokraten großer und starker Staaten und Militärmächte umgeht, ist heikel, weil man sehr wohl mit diesen Gegners reden muss, ohne ihnen in der Sache ohne Gegenleistung entgegen zu kommen. Diese Leistung ist keineswegs nur wirtschaftlich (aber auch), sie ist an Menschenrechte und politische Gegenseitigkeit gebunden (und das bedeutet, dass wir an unseren Politiken gemessen werden).

Hier liegt einiges im Argen. Nicht nur der bibelignorante Behörden-Kreuzler Söder und der Annstands-Lehrbub Kretschmer, nicht nur der verkommene Dobrindt und der Deportationsminister Seehofer – deren innerstaatliche Feinderklärung haben wir schon verstanden. Nein, im langsamen und schleichenden Abwenden von der aufgeklärten,  „empirischen“  Gegenwartsdiagnose einschließlich einer fast Trumpischen Behandlung von Medien und Wahrsagenden: Parrhesia tut not (das erlaubt den Übergang von Meinung zu Denken, von Meinungsfreiheit zu Praxis aus politischem Denken).

Die sächsische Peinlichkeit – einen pöbelnden Sicherheitsrechtsradikalen, einen staatlichen Vertreter des Vorfelds – ist ein Signal, kein Umsturz.

In diesem Vorfeld müssen wir nicht nur handeln, das heißt, gegenüber diesen Sicherheitsorganen transparente Illoyalität üben. Dazu kann man sich natürlich auf die Mehrheit der demokratischen Sicherheitsorgane stützen, aber warum legt man auch Hetzern wie dem Polizeigewerkschaftschef Wendt – schaut euch dessen Biographie genau an, und seine Zitate – und warum wird dem Deportationsminister nicht eine glückliche Altersruhezeit im Heim verordnet: der Pflegenotstand wird bewirken, dass ihm niemand mehr zuhört).

Faschistische und Nazi-Beteiligungen an Regierungen wie in Österreich, Italien, Ungarn etc. brauchen eine gesamteuropäische Politik gegen Rechts, also Aufklärung+Praxis (die kann am besten in den Bereichen Klima uund Gewaltenteilung machen).

Das bedeutet oft eine Verschärfung des Tons. Die rhetorische Sozialpartnerschaft ist oft ein Appeasement, eine Befriedungspolitik. Das will erklärt werden: NOCH spürt man die Nazis in Österreichs Regierung nur in der systematischen Besetzung von Polizei, Bundesheer, Medien etc., aber es lebt sich wie früher, und das „System“ ist keineswegs faschistisch, nur schlecht bis peinlich regiert. Aber an der Südtirol-Nationalitätenfrage kann man sehen, wohin die Nazis streben (Kneissl, die so genannte Außenministerin, tanzt mit Putin, und die Bomben  aus dem Alto Adige sind vergessen (schaut nach unter Ebensee 1963 https://diepresse.com/home/…/Vor-50-Jahren_Bombenanschlaege-erschuettern-Ebensee…; zufällig bin ich Kind und Jugendlicher dort aufgewachsenen, und habe richtige Linke und dauerhafte Nazis gleichermaßen kennen gelernt).Der scharfe Ton ist nicht diplomatisch,  aber er soll auch nicht dort verwunden, wo nicht gekämpft wird.

Er soll schmerzen. Auch die jetzige Regierung. Auch die Nutznießer des wirtschaftlichen Zwischenschlaraffenlandes. Auch uns.

Dem rechten Vorfeld der Nazis in Europa kann man nur begegnen, wenn die Nation dekonstruiert wird, wenn es nicht erlaubt sein soll, dass Christentum und Islam oder ethnische Erfindungen über dem Recht stehen.  (Der NRW Innenminister pocht auf das gesunde Volksempfinden. Seine Entschuldigung ist so krank wie sein Satz, der kein Ausrutscher war).

1968, das Schimpfwort der Rechten, ist noch nicht fertig. Aber ein guter Schritt wäre es, einmal die Archive und Dokumente von Damals und ihre Wirkungen anzuschauen. Früher war nicht alles besser.

PS: wie gut es den Nazis in Österreich geht, zeigt folgende Meldung des ORF von heute:

Ermittlungen in NS-Liederbuchaffäre eingestellt

Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt (Niederösterreich) hat das Ermittlungsverfahren wegen Paragraf 3g Verbotsgesetz gegen vier Personen, die für die Zusammenstellung und Illustration der sichergestellten Liederbücher der Burschenschaft Germania Wiener Neustadt verantwortlich zeichneten, eingestellt. Die Anklagebehörde verwies heute auf die in Ansehung des Verlags- und Ausgabezeitpunktes im Jahr 1997 eingetretene Verjährung.

Mehr dazu in noe.ORF.at

Mit der Einstellung des Ermittlungserfahrens stehe Landbauer die Rückkehr in die Politik offen, sagte FPÖ-Landesparteiobmann Walter Rosenkranz heute gegenüber der APA. Er würde sich über ein Comeback freuen, zumal der 32-Jährige aus seiner Sicht „für die FPÖ Niederösterreich unverzichtbar“ sei. Eine Rückkehr könne in wenigen Tagen vollzogen sein.

Verjährung mag juristisch in Ordnung sein – Unsinn: das Buch wird ja von den Nazis bis heute verwendet. Aber dass der Nazi Landauer für die Nazis von der FPÖ UNVERZICHTBAR ist, zeigt die Verzichtethik  künftiger Verbrecher.

 

 

 

Die Wende von Prag

 

Am 21.8.1968 marschierten die Sowjets, unterstützt von den Ostblocksatelliten, in Prag ein, um das Experiment des Prager Frühlings brutal abzubrechen. Es finden aus diesem Anlass heute viele Veranstaltungen statt, auch in Tschechien und der Slowakei, auch hier in Deutschland. Prag ist der Wendepunkt, nach dem niemand mehr dem so genannten Sozialismus, der so genannten Sowjetunion, den Vorschuss an utopischer Glaubwürdigkeit geben konnte – außer den heutigen Nationalisten in Ungarn, Polen, …. Der andere Sozialismus – der mit menschlichem Antlitz – hatte sich nicht verwirklichen lassen und ließ sich nicht verwirklichen, und die sozialdemokratischen Alternativen haben mit diesem Sozialismus ohnedies nichts zu tun. Links ist anders, das hatten viele von uns damals schon kapiert und die meisten etwas später. Vorläufer des Aufstands gegen den Kommunismus, 17. Juli, Ungarn 1956, wurden zu Vorboten dieser Einsichten, für mich kamen sie zu früh (obwohl ich ein Vokabular ab meinem 9. Lebensjahr, Ungarn, anlegte – damals aber nicht verstehen konnte, worum es ging, außer gegen die Sowjetunion).

Ich war ein paar Tage, vom 1. August 1968 an, in Prag, nicht zufällig mit einem Lehrer, der Mentor und später Freund in politicis und Kultur werden sollte. Was kommen würde, lag in der Luft. Verzweifelte, als Verhandlungen getarnte Treffen der Reformführung mit den Russen. Obwohl uns ein Spitzel abzuhalten versuchte, waren wir am Altstädter Ring, als Josef Smrkovsky aus Cierna nad Tissu zurückkam, spät abends, erschöpft, und eine Rede an die Tausenden hielt, die schon mehr Angst und Hoffnung hatten. Aber natürlich, die Hoffnung hatte ja festen Grund in den Monaten davor gehabt. Die Menschen intonierten „Swoboda“, Freiheit, der Name des Präsidenten.

Die Ereignisse sind hinreichend und präzise beschrieben. In meinen Tagebüchern steht zu wenig davon. Deshalb die österreichische Verzweigung.

Schon vor dem Einmarsch war Wien das Zentrum der ausländischen Vermittlung des Prager Frühlings und anderer Ostblock Dissidenz. Und in Wien wiederum eine sagenhafte gute Zeitschrift, das NEUE FORUM, herausgegeben von Günther Nenning,  einem christlichen Sozialismus und einem „mehr Demokratie“ wagen avant la lettre verschrieben, auch Organ der Paulus-Gesellschaft und Treffpunkt eben der Leute aus Prag, mit den Polen, Ungarn und westlichen Intellektuellen und Hoffnungsträgern. Ein paar von vielen Namen, um den damaligen Pluralismus einer wirklichen „Sammlungsbewegung“ mit einem Focus noch in der Sozialdemokratie, und einem andern in der Zukunft, zu beschreiben: Ernst Bloch, dauernd, Cohn-Bendit, Hans Kelsen, Thomas Bernhard, Herbert Marcus, Sartre…u.v.m. Und ich insofern mittendrin, als ich in der Reaktion ein und ausging, eine Art Hilfskraft im freiwilligen Studienbegleitdienst, zeitweise sogar mit einem Bett in einem Büroraum.  Und da waren sie, die Prager (die wichtige Unterscheidung zwischen dem Prager und dem slowakischen Frühling lasse ich jetzt weg).

Für die, die das schon wissen: überschlagt die nächsten Absätze. Im Internationalen Komitee des DIALOG-Teil des NEUEN FORUM saßen u.a. Eduard Goldstücker, Josef Hromadka, Robert Kalivoda, Milan Machovec u.a., alle aus Prag. 1967/68 wird  unter anderem berichtet und geschrieben

  • Dieses Jahr in Marienbad: 9 prominente Beiträge zu einer Tagung: April/Mai 1967
  • Milan Prucha: Marxismus als Philosophie menschlicher Existenz (Nov/Dez. 1967)
  • Aus Anlass des Prager Schriftstellerkongresses: Brief eines tschechischen Schriftstellers an einen Freund. Darin ein Zitat von Ludvik Vakulic:

Die Kongressdiskussion soll sich auf folgendes Problem konzentrieren: Den wirklichen Stand der Menschlichen Freiheit in einem System, das zur Wahrung der menschlichen Freiheit konstruiert worden ist! Es gibt kein wichtigeres Thema. Für niemanden.

Der Kongress endete übrigens mit Parteiverfahren gegen Vaclav Havel, Pavel Kohout, Ludvik Vakulic und Klima.

  • Frühling in Prag: Gesammelte Pressestimmen, u.a. mit Artikeln von Smrkovsky, Mlynar, Ota Sik, Eduard Goldstücker, u.a. März/April 1968
  • Karel Capek (1938): Tschechisches Nachtgebet, (zum Münchner Abkommen) Nov/Dez 1968
  • Vaclav Havel: Zwei Gedichte aus Listy: Zweierlei Auffassungen der Normalisierung und o.T.

Danach war Wien natürlich voll von Analysen, Reminiszenzen, Bewertung, auch Streit, über den Prager Frühling. Wie es mich freute, Havel noch einmal zu treffen, da war er Präsident und aht eine Hochschulkonferenz begrüßt.

Im Forum stand übrigens ein kurzer sehr scharfer Artikel von Hannah Arendt: Die Räte des Volkes, warum die Sowjetunion ihren Namen zu Unrecht trug, und Rätedemokratie das probate Mittel gegen Parteiendiktatur ist (Oktober 1966): soweit zur Konstitution des Volks, das auch UK Preuss immer wieder anmahnt. Ende des Forum-Exkurses.

*

August 1968., zurück in Österreich. Der Inspirator unserer Studentengruppe „Aktion Wien“, Bernhard Frankfurter, wohnte damals bei uns in Salzburg und wir verfassten einen Brief an die Ostblockbotschaften mit Protesten  gegen das sowjetische Vorgehen. Der Brief lag keine zwei Stunden im Postkasten, da waren wir schon bei der Polizei vorgeführt. Wie die an die Briefe gekommen sind? Meinen Namen kannten sie in Salzburg, wir wurden ermahnt…schließlich hätte Österreich den Russen seine Freiheit zu verdanken (1955 Staatsvertrag!).

Zurück in Wien, Demonstrationen. Der Genosse Dworzak schrie: „Nie leuchtete die Fahne des Sozialismus so (herrlich?) wie heute“ und der Protest gegen die Russen war universell und bunt. Um mir zu zeigen, was Sicherheit ist, wurde ich nach einem kurzen Aufruf in englischer und französischer Sprache an die Touristen vom Ma. Theresiendenkmal herunter zur Polizei geladen, – solche Aufrufe seien verboten – aber eher um mich einzuschüchtern: man wusste alles über mich, und erschreckte mich in der Tat damit. Das aber war nicht der Grund, warum ich nicht bei den Realsozialisten gelandet war, sondern nach Jahren in der SPÖ bei Sozialisten Büro und später bei den Grünen. Ohne Prag wäre das schwieriger gewesen.

*

Worin lag für mich die Wende von Prag? Persönlich im Anschauen dessen, was ich bisher nur aus Erzählungen, Studium und Interpretationen aus zweiter Hand kannte: Wie sehr Politik in das Leben von Individuen und Gruppen eingreift, wie sie einen auch zur Persönlichkeit formt (etwa, dass Beziehungen auch an den politischen Brüchen zerbrechen oder aber sich an ihrer Überwindung stabilisieren).

Am tatsächlichen Studium der Staatstheorien und Gesellschaftskonzepte von Sozialismus, Marxismus und ihrer Antagonisten. Dazu war Prag – nicht nur im Neuen Forum – eine Plattform und ein lange nachwirkendes Zeichen dafür, wie die brutale Herrschaft jede auf kritische Praxis gerichtete Denkanstrengung zunichte machen kann, und meist macht.

Der Prager Spitzel, ein dürftiger alter Mann, hatte uns die herrlichsten bürgerlichen Sammlungen tschechischer Glaskunst gezeigt, vielleicht weil er früher an ihnen Teil hatte? Das brachte mich zu mehr Interesse an der Geschichte staatlicher Akteure, mindestens in die Zwischenkriegszeit. Die sollte ja in den heute uns kaum vermittelbaren unglaublichen Konflikten in der SPÖ eine Rolle spielen, die Ende der 60er Jahre Sozialismus, Sozialdemokratie und nicht-sozialistisches Linkssein zerfaserten. Aus all dem ist eine Gewissheit für Ungleichzeitigkeit(en) herausgekommen, die von der Philosophie Ernst Blochs formuliert, aber in ihrer politischen Tragweite erst erkannt werden will. Die man heute noch bei jedem Pragbesuch erfahren kann.

*

Ich höre mir heute Abend Zeitzeugen an, zum Einmarsch.

Eine kleine Nostalgie: wenn man das Neue Forum der späten 60er liest in seiner üppigen Textbreite, und im Anzeigenteil der Zeitschrift die Ankündigung von sechs, acht weiteren klugen Journalen, und Werbung für Ereignisse aus Kultur und Politik, dann weiß man, was heute nicht mehr, sondern weniger geworden ist.

Tipp: Schaut ARD Startseite im Internet und Programmankündigung für heute 21.30

 

 

Afghanistan – Interventionsgesellschaft

In eigener Sache.

Mein Buch A Society of Intervention ist im vorigen Jahr im Universitätsverlag Oldenbug (BIS) erschienen.

A Society of Intervention. BIS-Univ. Oldenburg. ISBN978-3-8142-2358-2. Orders and  Information: bisverlag@uni-oldenburg.de, or in good bookstores. €22.50

Nach 12 Monaten haben wir uns entschlossen, das Buch auch open access zu stellen.

http://oops.uni-oldenburg.de/3684/

Hier finden Sie das Buch ungekürzt.

*

Ich möchte dazu etwas erklären: Für gewöhnlich schreibe ich meine Texte auf deutsch, wenn sie sich an ein Fachpublikum im deutschsprachigen Raum wenden; oder auf englisch, v.a. in Fachzeitschriften und mit internationaler Verbreitung. Dieses Buch, das die politischen Überlegungen zu Afghanistan aus über einem Jahrzehnt zusammenfasst, ist eine original auf englisch verfasste Monographie, die sich auch an Leser*innen im amerikanischen, englischen und afghanischen Sprachraum richtet, also keine Übersetzung aus dem Deutschen. Das Buch auf deutsch zu schreiben, wäre einfacher gewasen, aber weniger authentisch, denn so ist die globale Politik: anglophon. Und eine Rückübersetzung wollte kein ausländischer Verlag unternehmen.

Ich mache hier keine Werbung in dem Sinn, dass ich auf die freundlichen und kritischen Stimmen zum Buch eingehe.  Aber ich werbe dafür, dass  Sie und Ihr das Buch lest, verbreitet – und vielleicht auch noch kauft, um was anzustreichen, zu kommentieren oder zu verschenken.

Aber ich sage auch mit einigem Selbstbewusstsein, dass es in der Fülle der politikwissenschaftlichen oder militärhistorischen Literatur so ein Buch, das auf einer Interventionstheorie beruht, noch nicht gibt, und deshalb will ich es gerade jetzt verbreiten, wo Afghanistan im Strudel der aktuelleren Ereignisse vergessen zu werden droht.

Und vor allem: Rückmeldungen, Feedback, Kritik – hier, an den Blog.

Danke.

 

 

 

 

Es wird deportiert: deutsche Leitkultur

Heute wurden wieder 46 Afghan*innen aus Bayern im 25. Deportationsflug nach Kabul abtransportiert.

Deutschland war in der Vergangenheit so wenig ein humanitäres Beispiel wie die anderen europäischen Länder, es gab Ausnahmen, aber wenige. Das sollte sich nach 1945 langsam ändern, und nach 1989 konnte man die Hoffnung haben, dass das Lernen aus der eigenen Geschichte von Schuld und Haftung nicht nur bestimmten Ereignissen galt, sondern auch nachhaltig wirken würde.

Am Beispiel der Deportationspolitik können wir das Gegenteil belegen, nicht flächendeckend, aber signifikant und von der ganzen Bundesregierung geteilt – es ist nicht nur die CSU – die mit ihrem Sektenchristus vor allem -, auch CDU und SPD machen mit, getrieben von den Nazis im Parlament und in der Bevölkerung.

Wer nach Afghanistan abschiebt, nimmt den Tod und weitere Verfolgung von Deportierten billigend in Kauf, man könnte bedingten Vorsatz unterstellen, denn die Situation dort ist bekannt. (Die Beschwichtigungen durch das AA sind unglaubwürdig, weil das Ministerium gar keine Leute vor Ort hat und unsere Dienste schlechter informieren und informiert sind als die Expert*innen der verbliebenen humanitären Institutionen).

Um des bayrischen Wahlkamps willen werden Menschen in den Tod geschickt.  (Das Argument, dass ja nicht alle in Lebensgefahr geraten, ist so unsinnig wie die Aussage, dass es ruhigere Zonen im Land – ES GIBT KEINE SICHERE GEGEND IN AFGHANISTAN. Aber wenn die Taliban, der IS, kriminelle Banden die Rückgekehrten bedrohen, töten oder weiter vertreiben – was kümmert es den deutschen Rechtsstaat in der Interpretation von Seehofer, Hermann & Konsorten.

Nun ist es richtig: der Rechtsstaat ist selten auf Menschlichkeit aufgebaut; aber die Normen, die ihn konstituieren, sollten es sein.

Eine Hoffnung. Die Tage des Angstblütlers Seehofer und seiner Kumpanen sind ohnedies gezählt, da brauchen wir gar nicht auf Entführung oder anderweitige rechtsstaatliche Verbringung nach Afghanistan zu hoffen, Bayern in seinen dunkelsten Regionen reicht da schon.

Eine Hoffnung weniger: Faschistische, nationalistische, unmenschliche Regierungen formen immer stärker die Regime europäischer und weltweiter Governance. Da ist Deutschland eine Ausnahme, im Inneren noch – NOCH – sogar eine bessere Option als vielerorts. Darum arbeiten wir ja hier politisch und nicht subversiv.  Aber die Ruhe, mit der man Deportationen geschehen lässt, erinnert nicht nur an die Konferenz von Evian, sie erinnert nicht nur an das Schweigen zu den regierungsamtlichen Nazis der Nachkriegszeit, sie erinnert nicht nur an die wiedergängerischen Wellen  nationalistischer Selbstzerstörung – genannt Leitkultur von den Unzivilisierten.

Deportiert, damit ihr in Zukunft deportiert werdet. Das wäre eine Variante von Söders stupender Bibelkenntnis.

Im Ernst: die 46 Opfer von Seehofers 69er Barbarei sind nur die Spitze dieser unzivilisierten Harmonie einer Regierung, die sich selbst des Angriffs auf die Demokratie und den Rechtsstaat schuldig macht.

*

Ich versuche, trotz dieser ernst gemeinten Worte nicht zu agitieren. Denn ich habe in Forschung, Beratung und Vermittlungsarbeit immer wieder auch darauf hingewiesen, dass es Maßnahmen und Politiken geben kann, mit denen z.B. Afghan*innen in ihr Land zurückkehren können. Diese werden aber nicht ergriffen – man hat andere Sorgen, nicht nur in Bayern.

Jüdischer Einspruch IV: Israel und der Dritte Weltkrieg

Kassandra hat sich schon dadurch unbeliebt gemacht, dass ihre düsteren Visionen keine schwarze Zukunft,  sondern eine ebensolche Gegenwart aufgerufen haben – nur hat das niemand so richtig verstehen wollen.

H.C.Artmann, einer meiner großen Dichter, schreibt 1966: (Sämtliche Gedichte 2003, S. 203)

Frog me ned

Wos fia r a numara

Da dod hod

De numa r is owa

Scho soo schwoazz

Das e s ned lesen kau

Wan e a woit!

 

Gib liawa

Die frogarei auf

Sunzt dales e s aum end

No wiaklech…

 

Muss ich übersetzen? Frag mich nicht welche Nummer der Tod hat…Die Nummer (auf der Mütze, MD) ist aber schon so schwarz, dass ich sie nicht lesen könnte, wenn ichs auch wollte. Gib lieber die Fragerei auf, sonst lese ich es am Ende noch wirklich…

 

Nicht hinschauen, nicht genau hinschauen. Den Heißsommer abhaken, die Heisszeit ignorieren, wenn der Regen kommt, die Schockstarre dieser Bundesregierung ist keine Duldungsstarre (wenn das Kabinett zum Beispiel von der Vernunft begattet würde), sondern die Politik nicht nur bei uns steht unter dem Eindruck völligen Ausgeliefertseins eines bereits beschlossenen (die letzten  Gottgläubigen) oder unabwendbaren (die letzten Rationalisten) Geschehens. Zwischen Klimawandel und Drittem Weltkrieg.

 

(Ein kleiner Einschub, der aber wichtig ist: einer meiner Leitphilosophen, Hans Ebeling, schreibt über unsere Zeit, im Kontext von Kriegsführung zunächst, dass „der dritte (Weltkrieg) gar nicht mehr zu geschehen braucht, um ganz ins Bewusstsein als Selbstbewusstsein der Gattung zu treten“. Wir wissen es schon…(aber frag mich nicht). Wenn es um das Leben „aller“ geht, dann sind Politiken, die die Rettung einer Weniger, die den Neuanfang wagen könnten, Unsinn. Der begriff des Holozids, also weiter als Suizid und Genozid zusammen, ist erschreckend, und bei genauem Hinsehen auch ganz wirklich (H.E.: Vernunft und Widerstand, 54-61).)

Ich lass mir natürlich keine machokassandrogene Rhetorik nachsagen, aber gerade dann ist zu fragen, was zur Zeit eigentlich geschieht.

 

*

 

Dieser Blog ist weiterhin ein jüdischer Einspruch, und nicht gleich wieder Finis terrae XXII. Das Durchdenken des unbedacht, ethnozentrischen, gotteslästerlichen (das ist mir egal) und kriegsförderlichen Nationalitätengesetzes in Israel hat viel Böses geschaffen, von dem wir vielleicht hoffen können, dass entfesselt auch einige Machthaber zum Umdenken bewegt. Aber solche zynische Dialektik kann nur die  Philosophie spinnen. Ob und wie Israel ein jüdischer Staat ist, ist die rhetorische Form einer Politik, die vielleicht folgendes behaupten kann: regt euch nicht auf, für das Alltagsleben der allermeisten – auch der Araber, Drusen Palästinenser in Israel – wird sich nichts ändern; wir werden gestützt auf dieses Gesetz die Annexion der Westbank fortsetzen, und lieber palästinensische Arbeiter beschäftigen als importierte aus Asien – ein eigenes Kapitel israelischen Ethnozentrismus, nicht hier – und schließlich: wir wollen ja nur, dass der jüdische Staat jüdisch bleibt, ist das so illegal? Und dieser Rhetorik stimmen wahrscheinlich fast alle zu, aus zwei von einander unterschiedlichen Positionen: die neuen Nazis, Faschisten, Populisten links wie rechts aus dem Grund, dass ja der Ethnopluralismus die stärkste Waffe gegen den Aufbruch in kosmopolitische Demokratie ist, und die Verluste, die wir durch durchgesetzte Leitkulturen erleiden, allesamt durch nationales Bewusstsein kompensiert werden: All, weltweit, verarmen, aber dafür selbstbewusst. DAS ist die Analogie zwischen dem Ganef Netanjahu und dem Irren Trump. Israel hatte lang vor Trump mit diesem Gesetz begonnen, die orthodoxen Rabbiner haben die Landnahme befördert, und die Israeli, die mit der Shoah nichts mehr verbinden, müssen sich auf sie als raison d’etre auch nicht berufen. Gar nicht unlogisch, wenn damit Israel ein ganz normaler Staat -nicht unbedingt ein jüdischer – Staat werden würde, eine Einstaatenlösung, die für alle noch immer besser als das Leben in den umliegenden arabischen Ländern wäre.

Wohlgemerkt, ich habe einen moderaten, nicht siedlungsaffinen und nicht ultra-orthodoxen israelischen Likudmenschen simuliert (Vgl. dazu heute Alexandra Föderl-Schmid: Land im Stress, 9.8.2018, S. 3). Kritisieren kann ich ja nicht den Pragmatismus des ethnischen Herrschaftsvolks, das ja nach 1945 eben deshalb auch einen Staat gründen konnte, den es sonst als ethnobasierte Demokratie nirgendwo gehabt hätte – kritisieren kann ich den Verlust an Menschenrechten, an Unabhängigkeit der Justiz, an faktischer Diskriminierung – das kritisiere ich und wundere mich über die zaghaften Proteste hier in Deutschland. Die Israelis sind da viel couragierter, nicht nur die nicht-jüdischen…Und ich kann kritisieren, dass mit diesem eher symbolischen Gesetz es noch schwieriger wird, der terroristischen Hamas Herr zu werden, was an der Zeit ist; und ich kann kritisieren, dass das Gesetz Antisemiten aller Couleurs Auftrieb gibt (Dazu gibt es spannende Briefwechsel, u.a. lässt ein deutscher Linker verlauten, dass Barenboims Protest gegen das Gesetz ja wohl „nicht antisemitisch“ sei, als ob DAS jemand behauptet hätte…ich erspare euch diese Kommunikation).

 

Das Auflösen der als sicher geglaubten Plattformen staatlicher Einbund von demokratischen Gesellschaften bedeutet aber, dass man gar nicht mehr an den Klimawandel und die tatsächlichen Kriege denkt, das eigene Volk steht einem ja natürlich viel näher…so ein Volk waren wir jüdischen Menschen aber nie und werden es hoffentlich nicht sein. Unterstützt den Protest gegen dieses unmenschliche Gesetz in Israel, lest israelische Autoren (es gibt keinen, der schreiben kann, der das Gesetz unterstützt) und schaut euch an, wie die AfD, die CSU und andere Kriegstreiber der Form dieses Gesetzes sich annähern. Ja, Kriegstreiber: wer dem Ethnos Raum gibt gegen die demokratische Republik, riskiert, dass der Dritte Weltkrieg manifest wird.

Verbrecher, Irre, Beleidigungen und Politik

So ist das, kaum freut man sich, freiwillig gegen ein strafbewehrtes Beleidigungsverbot gegen Staatsoberhäupter verstoßen zu wollen – schon wird der § 103 StGB als „entbehrlich“ abgeschafft. Noch einmal Böhmermann – nein. Es reicht, Potentaten, Wirtschaftsverbrecher, Übeltäter aller Art nach den gleichen Regeln zu bestrafen oder freizusprechen. Aber die Begrenztheit des Rechtssystems im Angesicht des Sozialsystems, der Wissenschaft und der Moral wird schon deutlich, wenn wir in die Diskurse hineingehen und schauen, wie man beleidigen kann, weil man die Wahrheit sagen muss, und dann eben Strafe in Kauf nimmt, oder wie man sich der Wahrheit enthält, damit kein Staatsanwalt ein Haar in der Suppe findet.

Als Wissenschaftler würde ich vor Gericht aussagen, dass nach meinem Dafürhalten und einer Vielzahl von Quellen, Dokumenten, Aussagen und eigenen Überlegungen ich

Donald Trump für einen voll verantwortlichen, unheilbar pathologischen Sexisten und Rassisten halte, der in der Lage ist, Gewaltexzesse und gar Kriege zu provozieren;

Waldimir Putin für einen völkerrechtlich verantwortlichen Verbrecher halte, der ebenfalls in der Lage ist, Kriege zu provozieren;

die Vorstände von Daimler und den Industrieunternehmen, die sich Trump unterwerfen und aus dem Iran zurückziehen, für verantwortungslose Zerstörer von demokratischer Glaubwürdigkeit halte, gegen die der Staat und vor allem ein Käuferboykott rasant vorgehen müsse;

Horst Seehofer für einen nicht mehr voll, nur teilweise verantwortlichen pathologischen Fall von „Angstblüte“ (Metaphorisch à ) halte, der mit seiner Politik die legitimen Grenzen seines Ministeramtes missbraucht und deshalb umgehend aus dem Amt entfernt werden sollte.

Solches und hunderte möglicher weiterer Antworten würde ich, wie gesagt, aufd meine wissenschaftliche Erkenntnis und meinePosition in den moralischen und sozialen Systemen unserer Gesellschaft ungeschützt äußern, wie auch außerhalb des Gerichts, bei Veranstaltungen, Panels, Dialogen, oder zum Beispiel hier im Blog.

Wenn ich rüberwechsle in die Politik, würde dies eher mit Vorschlägen für empfindliche Warnungen verbunden sein und nicht mit den Invektiven:

Also zB.  Zollfreien Handel mit Autos über den Atlantik, weil die Europäer den US Schrott eh nicht kaufen; Visapflicht bzw. Abweisungen für NRA Mitglieder; Binnenboycott für Mercedes und alle großen Firmen, die sich den Trump Sanktionen für den Iran beugen. Also eine ganze Reihe von Maßnahmen, die niedrigschwellig sich dem Würgegriff der Irren und der Diktatoren entwinden. Aber dabei die eigene Bevölkerung nicht mitnehmen mit einem neuen nationalen „First“, nicht einmal „EU first“, sondern mit global equity.

 

SO EINFACH IST DAS?

 

Ich mache ja nur schale Witze,  denk ich mir. Schaut mal auf den Iran. Wäre es NICHT um das GUTE UND RICHTIGE ATOMABKOMMEN, so müsste man doch fast alle Anschuldigungen, die nicht nur die USA machen, unterstützen? Und was dann? Alles neu verhandeln. Am Ende hat der Iran zwar die Bombe, aber die anderen Missetaten wären abgeräumt, incl. Unterstützung von Hamas und Hizbollah. Das ist nur ein Beispiel, dass man Komplexität nicht straffrei reduzieren darf, dass es also der Politik bedarf (Denken!) und nicht einfach der näherliegenden Meinung eine Gasse hauen.

Schaut mal auf unsere Staatsgäste: Jeder Verbrecher bekommt eine Bundeswehrparade, einen roten Teppich, ein Staatsbankett. Aber auch jeder politische Freund und Verbündete. Die Proteste gegen den ersten Fall sind verständlich, aber sie würden uns in eine Reihe mit dem Rüpel von US Botschafter stellen (den hätte man übrigens sofort ausweisen müssen, nach dem gleichen Reglement…traut man sich nicht, oder?). Oder anders: die Lasten zivilisierten demokratischen Umgangs enthalten auch Formen und Verhaltensweisen. Aber,  auch wenn Erdögan als und wie ein Mensch neben Steinmeier essen darf: kumpeln sollte man mit ihm nicht und  keinen Finger breit an einer Kultur teilhaben lassen, die er bekämpft. (Das hat Schröder so widerlich mit Berlusconi gemacht, naja, bei Fussball…).

WOFÜR DAS EIN PLÄDOYER IST?

Für die Wissenschaft, paradox, aber praktisch. Denn nur wir können uns noch den Freiraum erlauben, Wahrheiten nicht nur zu wissen, sondern auch auszusprechen, solange wir sie nicht gleich exekutieren wollen oder müssen. Das bedeutet nicht, sich jeder Gefahr zu entziehen: bei den Putins oder Erdögans ist die Wahrheit lebensgefährlich, bei den Trumps noch nicht, aber bald. Bei europäischen Nazi- und Faschisten-Mitregierungen (Österreich, Italien, Ungarn Polen, Dänemark…) gibt es noch Schutzwälle. Aber Wissenschaftsfreiheit ist mehr als Meinungsfreiheit. Sie bedeutet die Pflicht sich einzumischen kontra jedem privaten Interesse (Klimawandel so gut wie Menschenrechte), und im Vorfeld neuer Kriege und Diktaturen hilft Konformismus gar nicht. Er wird nicht belohnt.

Deshalb: die Irren, die Verbrecher, die Gewalttäter als genau das bezeichnen, was sie sind. Verhandeln kann man mit ihnen aber nicht über ihre Namen, sondern ihre Praktiken, und die muss man kennen und analysieren können. Siehe Beispiel Iran.

 

Angst Wut Ohnmacht Resignation

Eine Metadiskussion ist eine, in der Menschen darüber diskutieren, worüber Menschen diskutieren; und zwar intensiv, aggressiv, widersprüchlich, mit oft bösen Folgen für die Politik, aber auch für das alltägliche Leben. Die Quadriga ANGST WUT OHNMACHT RESIGNATION hat dazu geführt, dass täglich über sie in den Medien, in Panels, Seminaren, Tagungen, etc. diskutiert wird, und die Anlässe selbst schon „meta“ sind, d.h. ihr wirkliches Substrat – Menschen, Situationen, Handlungswege etc.- ausblenden.  „Flüchtlinge“ sind dann eine Chiffre, oder „Handelskrieg“, oder auch nur das heiße Wetter, das den „Klimawandel“ begrifflich näher rückt, aber fern von konkreten Verhaltensänderungen (außer wieder einmal Subventionen zur Kompensation der Eigentümer) ist.

Ich gehe zunächst auf die Quadriga ein:

Die Angst der Bürger vor allem ist mit Händen zu greifen. Aber das alles gibt es nicht. Sie haben wirkliche Angst vor Ereignissen und Dingen, die sie erst glauben müssen – also von anderen erfahren – oder die sie selbst konstruieren. Da gibt es einiges, vor dem man Angst haben kann, aber das meiste ist, wie gesagt, eine Vorstellung, der die Wirklichkeit standhält – oder auch nicht. Mein Vorschlag:

  1. Lesen: Heinz Bude: Gesellschaft der Angst, Hamburger Edition 2014. Bude ist kein Psychologe, und Angst als soziales Phänomen ist politisch wichtig. Aber wie gesagt: lesen.
  2. Ich sage wie vor Jahren politisch: ich nehme die Angst, die Ängste, vieler Menschen zur Kenntnis, aber nicht ernst oder nicht wichtig. D.h., die bloße Tatsache, dass jemand Angst hat vor etwas sagt noch nicht, dass ich Empathie entwickeln muss, und schon gar nicht, dass ich handeln muss, weil und wie diese Angst auftritt.
  3. Die Gegenstände dieser Angst sollten uns allen politisch angelegen sein, d.h. wovor die Menschen vorgeben, Angst zu haben (Abgehängt sein, Ziele nicht erreichen, abgestuft zu werden…). Hier kommt die Politik zum Tragen, gegen die Sorgen in Abwägung ihrer Legitimität und gegen die instrumentalisierten Ängste.

Wer mir jetzt selbst einen zu kalten Pragmatismus vorwirft möge bedenken, dass ich in der Kommunikation, in der Wahrnehmung von Menschen, die Angst zu haben ausdrücken, schon ernsthaft damit umgehen möchte; aber aus der Konstruktion ein Politikfeld machen, führt zur Diktatur.

*

Wenn die Angst zu groß wird, werden die Bürger wütend, weil ihnen niemand einen Weg raus aus der Angst zeigt, sie nicht anleitet. Peter Brückner erzählte mir einmal die Anekdote vom italienischen Reisenden, der bei einem endlose Gewitter hoch im Apennin, als natürlich kein Zug kam, die Fäuste ballte und zum Himmel schrie: „Verdammter Staat“. So kommen mir viele vor, die jetzt Wutbürger heißen, was für sich schon eine Verschiebung der Bedeutung ist: wenn er einer konkret über etwas wütend zu sein das Recht hat, dann ist es dieses Konkrete, das Anlass zur Aktion sein kann – die Bahn zum Beispiel, die einen mit Recht wütend macht; und hier ist Staatsversagen ein Anlass zu Kritik, die aber mit dem „Staat“ nicht so viel zu tun hat, so wenig wie ein Gewitter (wenigstens bislang).Wut ist oft hilflos, und ebenso oft ungenau gezielt auf Hass- und Abwehrobjekte, die ohnedies schon im negativen Fokus waren: Ausländer, Flüchtlinge, Nichtweiße, Nichtkonforme, überhaupt Nicht-e. Damit werden Leerstellen geschaffen, in die die Demagogen, auch Populisten, beliebig ideologische Reizwörter einsetzen können – und drehen damit an der Angst-Wut Spirale.

*

Die Ohnmacht ist ein Zustand, ein Gefühl, nichts tun zu können, das das Unheil aufhält, es abhält. Sie kann auch die Umsetzung der Gewissheit, des Bewusstseins von der Aussichtslosigkeit sein. Und hat gerade noch Kraft genug, zur Wut zurückzukehren, die sich gegen die richtet, die uns ohnmächtig gemacht haben. Daraus kommt der Affekt, jenes Vitamin des Populismus, das sich gegen eine virtuelle Elite und jenen Teil des Establishments richtet, dem man gerade nicht angehört. Ein Teil der Ohnmacht ist dem pseudoliberalen Individualismus geschuldet, der die Bildung von solidarischen Kollektiven geradezu verhindert. Pseudoliberal deshalb, weil „liberal“ dieses ursprünglich keineswegs ausschließt, sondern schon in der Verhandlung gemeinsamer Interessen diese Ich-Dogmatik von Lindner bis Trump ausschließt. Ohnmacht ist das Gegenteil von Macht und Ermächtigung, von aktiver Mitgestaltung der Welt….auch im Kleinen, Mikro-Sozialen. Die Ohnmacht-Wut Spirale ist die zweite Drehung, die uns atemlos macht. Die Frage: aber was kann man denn machen? Und die Frage: aber was soll man denn machen? Sind nicht deckungsgleich. Aber in beiden Fällen geht’s mir darum, Politik zu machen und nicht Gesinnung. (Deshalb ist die Initiative der erfolglosen Linken „Aufstehen“ kein Ausweg aus der Ohnmacht, sondern nur die Hoffnung, dass sich aus der Ohnmacht etwas formuliert wie das „Rettende“, das bekanntlich auftaucht, wenn die Gefahr groß ist. Bekanntlich taucht es nicht auf, und wenn man Wagenknecht hört, geht’s mehr um Erlösung als um Rettung.

*

Resignation ist die Folge der Akzeptanz von Ohnmacht, die Versöhnung mit ihr. Dann wirft man sich in Armes des unendlichen Geschicks und merkt gar nicht, wie sich alle Ethik, alle Ästhetik, alle Moral, aber auch jeder Antrieb zur Politik in die Versorgungsmentalität der Henkersmahlzeit verwandelt: wenigstens noch einmal gut essen, einmal noch unbeschwert auf Urlaub fahren, einmal noch…

WARUM SCHREIBE ICH DIESE ALLGEMEINEN ÜBERLEGUNGEN NOCH EINMAL AUF?

Weil ich denke, dass sie hinreichend klar sagen, warum die Angst für unsere Politik keine hinreichend klare und folgenreiche Kategorie sein kann. Wer mit Angst Politik macht oder sich von ihr leiten lässt, kommt nicht einfach um, sondern produziert die Anlässe zur Angst mit. Sich dem Druck  Trumps in der Wirtschaft zu beugen, als Angst um Dividende und Absatzmärkte, heißt sich abhängig machen – und davor müsste man Angst haben, aber nicht nur in den verrotteten Vorstandsetagen der Autobauer. Es handelt sich um eine politische Psychologie der Angst und um eine politische Soziologie, und alles auf der Ebene der Diskurse. Denn vieles würde sich anders darstellen, wenn begründbare Besorgnisse politisiert würden, während Angst ja schwer zu begründen ist, wenn sie in den politischen Raum hineindrängt.

Würde ich hier ausbreiten, wovor ich Angst habe, viele würden wahlweise lachen oder sich wundern. Aber schon es nicht zu tun, hat die Funktion, nicht durch Veröffentlichung etwas zu kommunizieren, was so nicht gesellschaftlich vermittelt werden kann.

Das Geschäft mit der Angst blüht, das wissen wir. Wenn man es an Sicherheit koppelt, oder an soziale Stabilität, dann kann man in die Gefühlsebene und die Wahrnehmungen gut hineinschauen, aber meist sind die Anlässe von den möglichen Begründungen genau um den Abstand entfernt, in dem Politik ansetzen kann.

Ich habe eingangs Heinz Bude zu lesen empfohlen. Das letzte Kapitel seines Buchs zeigt einige wichtige Ansätze, den begriff nicht einfach verachtungsvoll wegzulegen, weil er angeeignet wird von denen, die uns ausnützen. Fast unscheinbar kommt eine Methode daher, vor der ich z.B. Angst habe: „Das äußere Mitmachen ohne innere Beteiligung ist hier die Methode, sich der Angst um sich selbst zu entledigen“ (156). „Hier“ meint Konformismus. Und schon die sprachliche wichtige Differenzierung der Angst um und der Angst vor hilft weiter.  Vor dem Klimawandel darf man keine Angst haben, sondern muss ihn bekämpfen, käme er sowieso ohne unser Zutun, müssten wir Angst haben, dass unsere Enkel nichts mehr von dem sehen, was uns weiter leben hilft.