Terror der Aktualität – Angst vor der Wirklichkeit

Oft zitiere ich Jeran Améry mit dem Terror der Aktualität; was allzunahe liegt, verdeckt, was vielleicht wirklich wichtiger oder auch bedrohlicher. ist Die rhetorischen Kriegsvorbereitungern zur Ukraine decken sich nur teilweise mit wirklichen Interessenkonflikten, und wer sich ein wenig distanziert von der auch voyeuristischen Hysterie wird die Gefahr nicht leugnen, aber sich nicht der Risikoprognose hingeben. Im Schatten dieser Krise verblassen die Klimagefahren, die Risiken, dass es uns in zwei, drei Generationen so nicht mehr geben wird, und das „anders Geben“ vielleicht unlebbar wird…auch verdceckt diese Krise andere Gefahren, die ebenfalls hunderttausende Tote bedeuten können – ich greife nur heraus: Das Verhungern von Menschen in Afghanistan, im Jemen. Das menschliche Hirn ist noch nicht so entwickelt, sich von der instinktiven Befassung mit dem Naheliegenden, mit der anscheinenden Aktualität, zu lösen.

Die Gleichzeitigkeit der Themen und Probleme überfordert, und so wird symbolisch gereiht. Das entfernt uns von der Wirklichkeit. Oft sind die privaten Meinungen zu Krieg und Frieden ähnlich unsinnig wie die Covidleugnung oder die – im größeren – die Klimablindheit und die Insensibilitätä gegenüber Korruption und Lüge.

Wenn wir die Interessenkonflikte im Fall der Ukraine analysieren, dann gibt es kaum einen Bereich, in dem die internationalen Akteure nicht alle entweder wirtschaftiche und machtpolitische Interessen durch scheinbare moralische und ideologische, auch nationalistische oder bündnissorientierte durc h Überdecken (coating) aufsetzen. Wir haben den Diktaturen – und Russland ist eine Diktatur – nichts als eine brüchige Demokratie entegegnzusetzen, und die ist der Fokus. Das gilt auch für die angemessene Distanz zu den USA, die ja leicht reden haben jenseits des Atlantik, und das gilt in Zuzkunft auch für die NATO, der wir eine europäische Vergteidgung entegensetzen müssen, die wird auch teuer, und kostet mehr als 2%. Aber man kann nicht alles haben. Jetzt aber steht nur eines an: Helsinki II.

Ich mache keine Prognosen, ob und wann welche Annektionen geschehen, wann und wie welche Drohung wirkt, wann und wie welches Unternehmen seine Dividende über die Menschenrechte durchsetzt (scheinheilig sind sie alle). Aber ich bekämpfe die Hysterie aus politischer Aktualität, in mir und und um mich herum. Das politische Coronavirus ist gefährlicher als Covid.

Komm, süßer Tod, und stirb nicht.

So ein trauriger Titel…? Nein, gar nicht traurig. Wenn jemand stirbt, ist es für diesen Menschen fast immer nicht besonders schön, nur selten eine Erleichterung oder eine Erlösung, und für die anderen meist etwas, das man so genau nicht wissen will. Deshalb hat man ja den Tod. Den gibt es zwar nicht, aber füllt die Gedichtsammlungen, Romane, Religions- und Gesetzestafeln, die Bildergalerien und vieles im Alltag, bis hin zur Todesstrafe (obwohl man gerade den Tod nicht bestrafen kann).

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In diesen Tagen der reifen Covidpolitik geht es den meisten Politikern, aber auch den Impfgegnern und Verschwörern, und schon gar dem protestierenden Pöbel nicht ums Sterben, also nicht um das Leid konkreter Menschen, das sie mitverursachen (ob sie das so wollen oder nicht, hat wenig zu sagen). Längst hat der Diskurs abgehoben und lungert über uns herum wie eine große, graue Wolke. Eines macht mir, wenn ich das schreibe, Sorge: was immer man dazu sagt, knallt wie eine Schleuder zurück, und sagt man nichts, gilt es als Einverständnis mit sehr viel dummen Sprüchen. Die ich längst nicht mehr sammle…

Nun wird von einem weiteren Tod gesprochen, der auch näher an ein massenhaftes Sterben heranrückt, hinter einem Vorhang, auf dem Kriegsgefahr grell aufgemalt ist. Man soll nicht so tun, als wäre der Aufenthaltsort von hunderttausenden Soldaten der Russen und zehntausenden des Westens weit ab von jeder Gefahr, solange sie jeweils dort bleiben, wo sie sind. Denn in fast jedem denkenden Menschen gibt es hier Assoziationen, aus den Geschichtsbüchern oder aus der Erinnerung, und wenn es bei den Zeitzeugen, den wenigen, dann noch Erleben war…1914, 1939, 1968, oder ganz einfach bestimmte „Ereignisse“, die wahlweise als Krieg, Gegenwehr oder Ordnung bezeichnet werden. Auch eine Assoziation kann Gewalt vorbereiten oder zurückdrängen, es kommt also darauf an, in welchem Kontext man sie durchdenkt.

In manchen Diskursen erkenne ich die moderne Fassung des gordischen Knotens: Lieber Krieg und die Entscheidung über Leben und Tod anstatt unentwegt vor sich hinzu dümpeln, zu atmen, aber ausweglos unlebendig nicht zu tun, was zur Entscheidung ansteht. Das war vor dem ersten Weltkrieg ganz häufig angesagt und später immer wieder…meistens, aber nicht immer ganz rechts oder ganz philosophisch verbrämt.

Es ist der Tod der tröstet und belebt · In dem wir einzig ziel und hoffen sehn …“ übersetzt Stefan George Baudelaire, 1901…Viele haben sich von der Todesattraktion abgewandt, als sie mit dem Sterben, und davor mit Hunger, Not und Unterdrückung konfrontiert waren.

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Im Tod eine Hoffnung zu sehen, weil man nicht tut, was man weiß, dass es notwendig ist, oder weil man sich nicht entscheiden kann, das zu tun, was am nächsten oder am Übernächsten liegt. So einfach machen es einem nur die Philosophen nicht, aber in der Politik wäre das schlimm genug; ist es.

Um den Tod zu umzirkeln, solange er nicht massenhaft da ist, Seuche oder Krieg, redet man sich die Kehle von Freiheit(en) heiß, die man nicht mehr begründen kann (lächerlich, sie mit Masken in Verbindung zu bringen oder mit der Entscheidungen des Einzeln, ob er andere anstecken, also töten, will oder nicht; oder auch, ob man den Krieg heranzieht, weil er ein freies Vorfeld für neue, frische Entscheidungen schafft – so oder so: lächerlich, Nordstream 2 noch im Gefangenenlager behalten zu wollen).

Das Sterben wird verdrängt, abgeschoben, auch, weil man weiß, es ist ein Weg ohne Umkehr, während der Tod ja als Murmeltier immer wieder aufgerufen werden kann, von den Jenseitsschwurblern und den Heldengedenksteinsetzern … nur die Toten können sich nicht wehren, die Sterbenden schreien wenigstens noch oder seufzen…

Oder einfach einmal das pathetische Gebrabbel der vernünftigen Praxisverweigerung abschalten; am besten beides.

Es ist den geneigten LeserInnen nicht entgangen, dass es in diesem Blog einen thematischen Bruch gibt. Mir geht es nicht um Covid oder die Ukraine, d.h. es geht mir schon um beides, aber dazu reicht ein momentaner Blog nicht. Mir geht es darum, dass mir bestimmte brandgefährliche Diskurse und Diskussionen auf die Nerven gehen, weil sie reale Gefahren schon als Farce abbilden, bevor die Wirklichkeit uns keine Wahl lässt.

Dazu gehört auch das Geschwätz von Freiheit, das den Begriff und seine Bedeutung auf das Ebene von Discountern und Pöbel herunterstuft. Da kann man gut nachhören, wie dem zu begegnen ist, – Lindner und der AfD zum Trotz.

Schale Freiheit – Nachdenken über einen zerfledderten Sachverhalt von Jean Pierre Wils, DLF 13.2.2022 9.30

Ernste Lage, sehr flach

Beim Diktat kommt es darauf an, dass die Schulkinder auch das schreiben, was angesagt wird.

Wenn eine Diktatur noch so viele Befehle erteilt, heißt das noch lange nicht, dass sie befolgt werden. Darum muss sie aufgerüstet sein, um ihre Befehle durchzusetzen – auf das Ergebnis der Befolgung hat sie nicht so viel Einfluss, da muss noch etwas dazukommen: die Nachhaltigkeit der Unterdrückung. Irgendwann geht diese in die Normalität über, ein wichtiges Forschungsgebiet und eine ständige Beunruhigung derer, die noch nicht in der Diktatur überleben. Oder der Widerstand zeigt sich erfolgreich, und dann wird die Diktatur (zu) schnell vergessen, man fühlt sich ja frei.

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Auf den Inhalt der erlassenen Dekrete kommt es nur marginal an. Auch die Festigung der Gewaltherrschaft kann nicht auf rationale Maßnahmen verzichten (es gibt leider Ausnahmen, die Enden in Massensterben, Verhungern und Auslöschung). Das rechtfertigt keineswegs „mildere“ Diktaturen, die mit einfacherer Unterdrückung ihre Ziele erreichen.

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Wenn bei uns Populisten und radikale an den Rändern und in der Mitte der Gesellschaft, also nicht nur die Nazis von der AfD, von Diktatur faseln und ihre Freiheit eingeschränkt sehen, wenn sie eine Maske tragen müssen, ist das eine Vorstufe einer anderen Art von Gewaltherrschaft, die im Ergebnis nichts anderes sein würde als die behauptete Diktatur.

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Dem treten wir entschieden entgegen. Die Leitung der Regierung unter Helena Lindenschloz hat den Streit, ob Hunde und/oder Katzen in die Covidregeln eingeschlossen werden sollen genutzt, um dem Bundestag ein 3monatiges Moratorium aufzuerlegen und die Demokratie, die ja nicht nur aus Wahlen, sondern auch Maßnahmen besteht, wieder zu beleben. Die Regierung erlässt 10 Dekrete, deren Reihenfolge nicht nummeriert ist, damit Verschwörer keine Hierarchie herauslesen können.

  • Die Einreise von US Republikanern, Angehörigen des KuKluxKlan, HipHop, und einer Gruppe geheimer Deutschenhasser, und von Familienmitgliedern von Donald Trump wird verboten.
  • Russische Bankkonten werden eingefroren, zur Hälfte gehen ihre Aktiva in Bundesbesitz über. Der amerikanische Dollar und die Feinunze Gold werden nicht konvertiert, sondern zwangsumgetauscht in Groschen, Piaster und DM.
  • Chinesische Muslime erhalten kostenlose Imamausbildung für beide Geschlechter an deutschen Hochschulen. Die dazu nötigen Stellen werden aus der Moscheesteuer bezahlt.
  • Das Heimatland jedes ausländischen Hackers wird mir sofortigem Handelsembargo für 6 Monate bestraft, unabhängig von der Auslieferung der Schuldigen. Diese werden zum biologischen Ernteeinsatz herangezogen. Damit weiß man auch gut marxistisch, dass Hacken von der Handarbeit im deutschen Boden kommt.
  • Motorboote auf Binnenseen, Einfamilienhäuser und Storchenfleisch werden verboten. Hingegen werden Paddelbretter, Holzhochhäuser und vegane Steakmenus subventioniert.
  • Die katholische Kirche muss den Zölibat aufrechterhalten, weil nur so der Spaß an der Unkeuschheit für die Kleriker gewahrt bleibt. Gleichzeitig wird der Ausschank von Most und Mate in Beichtstühlen verpflichtend gemacht.
  • Nordstream 1 + 2 werden zum Export von überschüssiger Biogülle umgepolt; Russland darf als Kompensation Gulagtränen in Matrioschkas senden. Natürlich darf die Gülle auch in die USA und Liechtenstein transportiert werden.
  • Das chinesische Sozialpunktesystem wird kopiert, aus Gründen der Transparenz werden die Punkte offen an der Kopfbedeckung getragen, aus Gründen des Datenschutzes darf man keinen Personalausweis mehr bei sich tragen, und aus Gründen der Überprüfung muss jederzeit das Handy mit einem Link zum Personenbegleitamtsschutzbeauftragten eingeschaltet bleiben.
  • Die Genderparität bei allem anstehenden Wahlen ist HLGBTY 3:3:1:1:1:1 bei den Kandidaturen einzuhalten. Ausnahmen werden durch das geheim tagende IFABRUMLYZ-Gremium betroffen (Preisfrage: wer weiß, wo die Abkürzung herkommt?)
  • Zu Cancel Culture, Woke und anderen Kulturerrungenschaften kommt noch das wichtigste: um Missverständnissen vorzubeugen, ist Lachen oder Lächeln über etwas verboten. Wer hingegen bei nichtlustigen Ansagen ernst schaut, begeht eine Ordnungswidrigkeit.

Alle demokratischen Parteien haben diesem Vorhaben begeistert zugestimmt und fühlen sich von der Nachdenk- und Abstimmpflicht befreit. Die nichtdemokratischen Parteien zitieren das Grundgesetz und schauen von der Tribüne zu.

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Aufgewacht, sehe ich die 10 Erlasse und drehe mich zur Seite. Wie sagen die Wiener: a so a Schaaaß. Dann sagen sie: Da muas was gescheng. Und dann: Konnst eh nix mochn.

Mein Gegner – kein Feind

Schon wenn man nicht reagieren muss, verliert der Terror der Aktualität (Améry 1971) an Macht. Ob ich heute nicht wahrgenommen werde oder erst morgen, ist keine ironische Selbstverkleinerung, es ist ein Kompromiss zwischen narzisstischen Phantasien des Ego und einer realen Aufmerksamkeitslücke zwischen mir und der Welt. Kompromiss, natürlich hat man etwas zu sagen, aber keine Macht darüber, von wem gehört und bedacht zu werden.

Wäre es doch nur eine Rezension zu Eva Menasses „Gedankenspiele über den Kompromiss“ (Menasse 2020), dann könnte man dieses kluge schmale Bändchen zerlegen, empfehlen und die verarbeitete Literatur (v.a. Margalit) weiterverfolgen. Genug, ich empfehle es  Was mich in diesen Tagen umtreibt, ist die kompromisslose Rhetorik der politischen und ideologischen Protagonisten, die reale Konflikte erst imaginierten, um sie dann mit Drohungen und Warnungen in die Wirklichkeit zurückzuholen.

In diesen Spielen haben Diktaturen und Mächtige mit Drohpotenzial (Atomwaffen) immer bessere Positionen als abwägende und angriffsschwache Beobachter oder Seitenakteure – was nichts darüber aussagt, welche Akteure in welcher Konstellation Recht haben und welche Unrecht. Das weiß man, oder man kann es wissen, und deshalb besteht das diskursive Spiel aus der Schuldzuweisung an die, die mit diesem Wissen nichts anfangen können. Eine Variation von Biedermann oder Die Brandstifter.  Dass die normale Stärke der Demokratien in der Schwäche liegt, diesen Schuldzuweisungen nicht ohne Selbstbeschädigung Kontra zu bieten, kann man an der EU im Verhältnis zu Ungarn, Polen, Slowenien, u.a. sehen. Diese Normalität gegenüber Diktaturen (Russland, China) und geschwächten Demokratien (USA) ist nicht haltbar, wenn es um die Lebenswirklichkeit der jeweils in diesen Ländern lebenden Menschen geht. Natürlich lebt es sich im Westen im Durchschnitt besser als in den genannten Diktaturen, und zwar nicht nur statistisch. Aber die Marginalisierten, die Ausgegrenzten, die in ihren wirklichen Freiheiten Behinderten bieten den Diktatoren Angriffspunkte, deren Objekte nicht zu widerlegen sind; während umgekehrt von außen, also von uns aus, der Angriff auf die Diktatur nur strukturell, „ganzheitlich“ erfolgen kann, wenn es z.B. um Meinungsfreiheit, Gulag, kriminelle Justiz usw. geht. Die einflussreichen „Influencer“ der Diktatoren benutzen die Meinungsfreiheit, um die Bedrohung denen zuzuschreiben, die sich gegen die Diktatur wehren – auf zwei Ebenen: in jedem Einzelfall der menschenunwürdigen Politik des Westens wird dies zum System verallgemeinert (Guantanamo, Republikanische Partei). Und die eigene Wirklichkeit wird verdeckt, geleugnet oder ignoriert (Uiguren, Memorial, Nawalny, Gulag, Donbass). Das ist eigentlich das Bild des Kalten Kriegs, das wir überwunden glaubten. Es funktioniert immer zugunsten der Diktaturen, weil wir uns nicht mit den gleichen Mitteln wehren können. Eine Erklärung ist nicht angenehm zu durchdenken: Die neoliberale Verkürzung der Freiheitsrechte auf die Bedürfnisse von einzelnen Menschen, die es sich leisten können, ist nicht die Freiheit, die man sich nehmen muss, weil sie einem niemand geben kann. Das Bündnis der Neoliberalen mit den Rechtsradikalen ist unausweichlich sichtbar, auch wenn man sich abwenden möchte.

Eine zweite Erklärung ist komplizierter. Norbert Frei hat die freien Angriffe des Antisemiten Reinhard (4.2.2022 SZ) gegen die Erinnerungskultur an die Shoah attackiert, öffentlich, mehrfach, auch bei honorigen Bildungseinrichtungen. Dahinter steckt nicht nur das Paradigma „Deutsche gegen Juden“, das bis heute fortlebt, sondern ein Strukturmerkmal übergreifender Art, das über Frei hinausgeht: Das Verlangen nach einer autoritären Ordnung gegen die Optionen und Kompromisse der Demokratie; bei all jenen, die sich in ihrer selbstischen Individualität eingeschränkt oder gehindert fühlen, und das als gesellschaftlichen, ja politischen Makel empfinden. Die Kompromisse der Demokratie sind aber kein nettes Treffen „in der Mitte“ der Auseinandersetzung (Alexander Kluge: „In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod“). Sondern es geht erstmals darum, genau zu erkennen, wer oder was Gegner sind – und wer oder was Feinde. Und mit Gegnern kann und muss es Kompromisse geben, weil sie auf Augenhöhe der eigenen „Nichtabsolutheit“ (mein schlechtes Wort, pardon) agieren und ihre Diskurse jeweils alternativlos angeben (Menasse). Ich könnte das jetzt am Beispiel der EU Taxonomie entfalten, worin Deutschland eine wichtige Rolle spielt: das geht es aber nicht einfach um die Mehrheit für oder gegen Kernkraft, für oder gegen Gas; da geht es auch um die Macht dieses EU Mitglieds, um Herrschaftsansprüche auf dem Markt und die moralische Blödheit zu glauben, dass die eigene Überzeugung rational alle anderen mit Reue oder Unterwerfung ergreift, nur weil man selbst richtig liegt. Hier liegen komplexe Gegnerschaften vor, die eben moralisch kaum, und politisch nur mühsam auszugleichen sind. Es gibt im Konflikt mit Gegnern keine Alternativlosigkeit.

Menasse greift zurecht das Modell der „Farm der Tiere“ von Orwell als Beispiel der Gewalt durch Sprache auf, die Ungleichheit ontologisiert, zur unveränderlichen Seinswirklichkeit gewaltsam erklärt (Putin: „feindliche Agenten“). Die globale Konstellation erinnert an einen anderen Orwell: 1984, wo in jeder der drei Diktaturen schon kleinste Abweichungen brutal geahndet werden, wie wir das heute u.a. im wohlständigen China ja als normal erfahren. Sie erinnert, aber da haben sich gegenüber dem Modell Dinge verändert: Diktaturen wie Russland und China im Großen, gewalttätige Regime in Ost und West, Schwellen zur Diktatur in unserer unmittelbaren Nähe und innenpolitische Feinderklärungen haben ein anscheinend unübersichtliches Chaos geschaffen, das zu ordnen ebenso anscheinend ein Bedürfnis wie scheinbar eine Unmöglichkeit außerhalb gewaltsamer Eliminierung ist. Das kann man anhand der Ukrainekrise bis ins Detail verfolgen. Die Sprache der meisten Akteure geht dem Sterben voraus.

Sagt der Mensch am Schreibtisch: sind die alle wahnsinnig und drohen mit Atomkrieg, wo die Klimakrise ohnedies mit ihren Kindern, spätestens Enkeln aufräumt? Das ist logisch, aber nicht SO vermittelbar. Auch ein Problem. Die diskursive Abschwächung der Differenz von Gegnern und Feinden ist ein beliebter Trick von Scheinkompromissen.

Eine Anekdote, verkürzt, die Urheberin kann ich nicht mehr rekonstruieren. Eine junge Frau war sexuell bedrängt und vergewaltigt worden. Sie versucht sich wieder zu stabilisieren und macht einen Karatekurs zur Stärkung ihrer physischen Abwehrkräfte. Ihr Vergewaltigter verklagt sie als Bedrohung seiner Unabhängigkeit.

Klar?

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In der Globalpolitik wäre es angebracht, die eigene Selbstgewissheit, z.B. „zum Westen zu gehören“, oder sich wechselseitig Vertragsbruch und Angriffsvorbereitung vorzuwerfen, etwas abzurüsten. Die paar NATO-Militärs, die nach Osteuropa verlegt werden, können natürlich gegen die Russen nichts ausrichten, wenn die wirklich die Ukraine überfallen oder sich, wie die Krim, ein Stück Land aneignen. Die amerikanische Konferenz von 2021 hat natürlich keinen Zusammenhalt von Demokratien gegen den Westen bewirkt, – wenn man bedenkt, wer dabei war und wer nicht eingeladen war. Die olympischen Spiele sind nicht einfach eine chinesisch-russische  Showeinlage, peinlich genug, sondern auch Spielfeld für kriminelle Organisation wie das IOC, den teutschen Bach an der Spitze. Das letztere bedeutet für Deutschland u.a. sich von diesem Verein auch materiell zu distanzieren, also von der Gegner- zur Feinderklärung. Das ist kein Sprachspiel. Man tut es so wenig wie die sog. „Wirtschaft“ sich nicht aus den Uigurenprovinzen zurückzieht. Die EU weiterhin sollte sich von den USA als untergebenes Machtrevier lösen: die werden keine Feinde, sind aber vielfach Gegner, und keineswegs unsere Verbündeten in einem sicherheitspolitisch definierten Westen. Darum übrigens bin ich für eine europäische Verteidigungsgemeinschaft, und kein weiteres Ausbreiten der NATO….Die Botschafter von Putin nutzen genau diese Komplikation aus, das kann man im Schulterschluss der west-kritischen sogenannten Linken mit dem alten rechten Modell Kultur versus Zivilisation von vor hundert Jahren sehen (ha, da werden einige schreiben: Beweis! Beweis!). Ich halte dem entgegen: Nachdenken.

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Eine der Konsequenzen dieser Gedanken. Es kann und darf keine Symmetrie zwischen Demokratien und Tyranneien geben, seien die einen noch so defizitär, und hätten die andern nicht scheinbare Inseln der Freiheit, (die zB. in Belarus mi tausenden Toten und Häftlingen bezahlt wurden – o, ihr im Grundgesetz eingehüllten Kritiker des Westens und Freisprecher der Diktaturen). Man wünscht dieses Gesindel so wenig auf Urlaub in den Gulag, wie man Impfverweigerer nicht unbehandelt lassen möchte, aber genau diese Begründung wird unbarmherzig ausgenützt.

Deshalb hat der Kompromiss mit Feinden wenig Sinn.