Finis Terrae III

Um sich der Situation zu nähern, in der wir verzweifeln müssen, um weiter leben zu können, um als Menschen im öffentlichen Raum handeln zu können, als Personen kenntlich zu sein, kann ich keinen Kompromiss erkennen, bevor ich nicht weiß, zwischen welchen unvereinbaren Positionen er geschlossen wird. Der Erdögan kommt mir in die Quere, die aktuelle Demütigung der Demokratie lässt daran zweifeln, ob nicht das darüber hinausgehende Nachdenken nur eine besänftigende Arabeske ist. Aber nein, ich versuche mich zu widersetzen. Carl Améry hat einmal vom Terror der Aktualität gesprochen, und so schiebe ich diesen Alptraum von Tagesverletzung weg von mir, wissend dass er mich morgen bei einer politischen Veranstaltung und in ein paar Tagen an der täglichen Arbeit wieder einholen wird. Ganz punktuell ist dieser Einbruch in unsere begrenzten Freiheitsräume ja ohnedies nicht, da die EU-Kommission auch mit anderen Diktatoren und Mördern freundliche Abkommen zur Flüchtlingsabschiebung treffen möchte, wohl in der Annahme, dass jeder doch am besten dort stirbt, woher er oder sie kommt.

Der Zeitstrahl in die bessere Zukunft ist jedenfalls weiter geknickt, was sich vielleicht auflösen oder umlenken lassen wird. Dass es soweit kommen musste, ist folgerichtig, und die Spiegelhälften der totalitären europäischen Grundvoraussetzungen nähern sich wieder erschreckend an. Das 19. Jahrhundert galt als ewig, weil es in das 20. so weit hineinragte, dass es nicht zu Ende gebracht wurde, und jetzt setzen sich die Formen des letzten Jahrhunderts, die Zeit auch vor dem Zweiten Weltkrieg, vor dem Kalten Krieg, vor der Entkolonisierung bei uns fest. Ich sage bewusst nicht „wieder“, vieles hat nie aufgehört, unter der Hoffnung durch zu tauchen, mit angehaltenem Atem. Schrecklich, dass es nur wenige Verschiebungen an Begriffen und Metaphern geben muss, um die Nivellierung unserer europäischen Schweinwelt („Werte“) und aller irgendwie opportun erscheinenden Diktaturen und Mordregime zu bemänteln; schrecklich, dass lächerlich geringe Zahlen – 3 Millionen Flüchtlinge – schon ausreichen, um die Masken von unseren zufriedenen Gesichtern der Mitte zu erodieren.

Nicht wirklich souveräne Nationalstaaten besinnen sich darauf, dass sie als Nationalstaaten vielleicht besser führen als in Staatenbünden, schon gar als der Bundesstaat, der wir längst sein müssten, um die Krise des dissoziativen Zerfalls abzuwehren. Es gibt Gründe, warum die osteuropäischen Länder nach zwei Diktaturen dem Sirenenruf des ethnischen, religiösen, faschistoiden Nationalismus nachgeben, Gründe, die man weder billigen noch dulden sollte, die man aber verstehen muss, um sie bekämpfen zu können. Und es gibt gar keinen Grund, warum Länder wie Österreich, die Niederlande oder die Skandinavier sich in einen Nationalismus einüben, der ihnen nur schaden kann; die Politik muss man so wenig respektieren wie die Ängste der Bürger vor den imaginären Flüchtlingen. Beide Nationalismen sind nicht einfach Rückfälle, sie signalisieren die Normalität einer Evolutionsstufe von Rechtsstaat und Freiheit, die nirgendwo so gefestigt ist, wie man sie beim Betriebsausflug ins bessre Land seit den 60er Jahren gesehen hätte. Die USA sind so wenig unser Verbündeter in Sachen Freiheit und Werte wie die Anrufung Europas noch irgend einen tieferen Sinn ergibt angesichts der Prioritäten des Zusammenhalts, als da sind Abwehr und Rückzug aus den bereits erreichten Standards abgebauter nationalstaatlicher Souveränität.

Der Nationalismus geht der Nation voraus. Er kann dem Staatenbund nicht vorausgehen, weil der nicht einfach aus Nationen besteht. Deshalb lehnen ihn die meisten der EU Gegner auch ab. Berufen auf eine Demokratie, der die Mehrheiten müde sind und deren Repräsentanten sich in schlechtem Beispiel überbieten, hilft wenig. Vor allem kann die Demokratie mit Mehrheitsentscheidungen zu Deutschtum, Türkentum, auch Europäertum, nichts anfangen; was fehlt, ist eine republikanischer Grundton in allen politischen Denkakten, auch für die Schaffung eines „Europäischen öffentlichen Raums“. Vgl. auch Finis terrae II. Da dieses Anliegen weder neu noch originell ist, kann es leicht durch alle möglichen ideologischen oder auch kleinstteiligen Aktionen und Diskurse verdeckt werden, als wäre es nicht die Grundlage für die Aktivierung demokratischer Prozeduren. Die Verachtung dieser Prozeduren, die Abkürzung durch die Selbstzuweisung der Position des „Volkes“ – wir sind es, auch wenn wir gegen es sind: Pegida, AfD, aber auch mancher Stammtisch der Mitte, und in ganz vielen Interessengruppen, Vereinen und der Basisorganisation des Volkes als sich vergessen fühlende Bürgerinnen und Bürger  – diese Verachtung ist eine Trotzreaktion, die nicht verstehen will, was für Mühe Demokratie im Gegensatz zu Unterwerfung macht, machen muss.

Wie das alles zusammenhängt, ist nicht einfach, aber leistbar zu vermitteln. Die Selbst-Entmächtigung der Demokratiemüden durch die falsche, aber eingängige Behauptung, „die Politik“ würde sie nicht wahrnehmen erregt auch bei mir Wut, aber gespalten in die Verzweiflung darüber, dass sich die politischen Mandatare nicht wehren und in die Aggression, die auf das Mitleid und Verständnis derer hoffen, die nichts dazu tun, diesen Entsolidarisierungsprozess zum Programm zu machen. Man kann das auch Stimmungsdemokratie nennen (Heinz Bude ist ein verlässlicher Analytiker). Oder auch Teilherrschaft von Gefühl und Empfindung, kontrafaktische Entmachtung der Vernünftigkeit von Argumenten und Prozeduren. Dadurch, dass viele Politiker*innen sich nicht gegen ihre Entmachtung durch den Volksmund wehren, ja, diesen sogar als legitimen Ort von Angst quasi in eine Verständniskoalition bringen, entmündigen sie ihre Handlungsfähigkeit[1]. Die müssen sie aber haben, wenn sie gewählt werden als Garanten der Durchsetzung der Regeln, die wir uns selbst geben. Statt von den Politikern zu fordern, was ihres Amtes ist, fördern wir sie durch ihre Auslieferung an Lobbys und die Angst der Übeltäter.

Das Volk ist keine Volksgemeinschaft. Die meisten Kritiker der Situation beklagen, dass die Menschen  – viele Menschen – das Gefühl für Zugehörigkeit, „belonging to“, verloren hätten. Man kann aber einer Volksgemeinschaft nicht zugehören, oder ihr beitreten, weil sie schon schicksalhaft einen in die Hierarchie – meist rassistisch, aber auch kulturell und sozial – einordnet. Man ist schon eine Karteikarte (Im Bericht über die neuen Nazis Götz Kubitschek und Ellen Kositza haben das Bender/Bingener (16.4.2016) gut herausgearbeitet, vor allem, wie Wahlen und Demokratie den „einheitlichen Volkswillen privatisieren“ (das geht auf Carl Schmitt zurück). Der Demos, das Volk, auf dessen Souveränität Demokratie aufbauen, ist niemals eine Volksgemeinschaft, weil die Vergesellschaft erst dadurch geschehen kann, dass die Menschen sich selbst zugehören. Das ist die Bedingung für Republik. Und daran fehlt es.

Aron Bodenheimer, Freund, gelehrter Analytiker und aufbegehrender jüdischer Gelehrter, hat an entscheidender Stelle von unserem Stamm gesagt „Teilnehmen und nicht dazu gehören“. Dieses Schicksal kann ich verallgemeinern: die Zugehörigkeit kann nicht verliehen werden, aber die Teilhabe sollten wir erarbeitet, wo immer wir sind. Den Raumschaffen, dessen Öffentlichkeit unsere Vergesellschaftung mit einbezieht, nicht unser Wir dem Sie der Macht entgegenstellen. Nun hilft das nicht gegen die Verzweiflung und es hilft nicht unbedingt für die weitere Analyse. Oder doch: wenn wir in viele, scheinbar unendlich viele, Zugehörigkeiten uns aufspalten lassen, aus dem scheinbaren Pluralismus der Eigenartigkeit jeder Besonderheit, und jede Eigenart ihren unverrückbaren Platz in einem göttlichen oder auch nur parteipolitischen Heilsplan hat, dann steht uns niemand mehr nahe, der sich dieser Besonderheit unterwirft. Die Bescheidung auf die kleinstmögliche Zelle der Vergemeinschaftung erfordert für diese totalitäre Autorität über die Gruppe, wir da draußen sollen, dürfen an nichts teilhaben, was drinnen geschieht. Das ist das Ende der Weltgesellschaft, das sich hier im Kleinen abzeichnet. Noch nicht festgefügt, aber im Wachsen.

Es würde zu weit gehen, zu behaupten unter diesem kosmopolitischen Blickwinkel gäbe es „kein“ Polen, Ungarn Deutschland, aber die Bedeutung dieser Bezeichnung geht nicht annähernd im Blickwinkel auf, unter dem wir Unterschiede wahrnehmen. Das gleiche gälte für politische und kulturelle Systeme, die plötzlich als gleich und mit Eigenart versehen würden, egal wie unmenschlich, uneffektiv und ungerecht sie seien. Dieser vermeintliche Pluralismus bedeutet nichts anderes, als dass jeder Machthaber in seinem Bereich herrschen kann, wie er will. Trivial?

Erst die Einmischungspflicht, die Teilhabe, ermöglicht Analyse, Verständnis und vielfach auch die Erklärung. So geht’s weiter, und ermöglicht eine Fortsetzung.

[1] Diesen Absatz lese ich gerade durch, als auf einer Parteiveranstaltung der Grünen in einem Vortrag genau dieser Sachverhalt empirisch belegt für das kleinteilige Ressentiment gebracht wurde. Die Gegenwehr über Kommunikation ist ein überzeugender Beitrag gegen die Resignation. Und es wäre gut, reagierten Politiker schnell auf vorausschauende Vorbereitung auf Flüchtlinge, die noch kommen werden. Stattdessen bekommt man Dank ohne Anerkennung. Der Vortrag der Vertreterin Frauke Postel von „Tolerantes Brandenburg“ (16.4.2016) sollte im Detail nachgedacht werden, als starke Dosis gegen die Verzweiflung, auch in der Verteidigung der repräsentativen Demokratie. wenn die Volksgemeinschaft sich der Plebiszite annimmt, dann fällt mehr als nur das Verbot der Todesstrafe, dann fällt die Europäische Vorstellung eines friedlichen Staatenbundes.

Nazis? Nicht schon wieder…

 

  1. Ein Problem: Wissenschaft und Satire.

Satire darf alles. Ich bleibe bei Tucholskys Satz, und zwar ohne Abstriche. Über Geschmack streite ich, jederzeit, aber nicht über die Freiheit ihn zu verletzen. Denn die Beleidigung trifft nicht die Menschenwürde, sondern die Ehre. Und Ehre ist eine analytische Kategorie, die eine Variable bezeichnet, des einen Ehre ist des andern Schande, und oft steht Ehre für Macht oder ersetzt Ohnmacht. Satire verweist auf die Wirklichkeit, die oft anders nicht zu sehen ist als durch ihren Angriff.

Wissenschaft darf auch alles. Sie verweist ebenfalls auf die Wirklichkeit, ihre Ergebnisse sind aber nicht dem Augenschein, sondern der Analyse und Theorie geschuldet, also der Wahrheit. Wissenschaft muss beleidigen, wo sie das angreift, was – aus schlechten Gründen oder Unwissenheit oder Täuschung, – für wahr gehalten wird. Sie ist aus den gleichen Gründen angreifbar, darf nicht beleidigt reagieren, wenn sie angegriffen wird, muss sich wehren, wenn ihr Versuch der Wahrheit kompromittiert wird.

Wie nun, wenn wissenschaftliche Begriffsbildung schärfer zuschlägt als Satire? Wenn man, mit guten und argumentierbaren Gründen Tabus bricht, Menschen so charakterisiert, dass sie entweder reagieren müssen oder nach dem Staat und dem Strafrecht schreien?

Populäre Beschimpfungen stammen nicht aus der Wissenschaft: „du bist behindert“, „du Opfer“, und dergleichen mehr stammen aus unserer jüngeren Geschichte und werden verabscheut, aber kaum kritisiert, nicht geahndet…sondern als populistischer Jugendjargon oder rechtes Idiom abgetan. Anders ist es seit einigen Jahren, als „Antisemit“ zum nicht-hintergehbaren Schimpfwort wurde. Versuch dich wehren, wenn dir einer das A-Wort entgegenschleudert, öffentlich gar, und du aus der Verteidigungsposition kaum sagen kannst, was du gerade gesagt hast. Wenn Antisemiten dieses A-Wort gut einsetzen, immunisieren sie ganze Gruppen und die Politik gegen den Antisemitismus und zerstören die notwendige Gegenwehr.

Wie ist das nun mit einem Gegenwort, „du Nazi“, mehr noch als „du Faschist“? (Die zweite Person „Du“ ist noch und immer eine zusätzliche Herablassung, die bei „Sie“ in der Anrede beleidigender und schärfer ist, weil man das gegenüber für voll nimmt). Das kann man doch nur sagen, wenn man begründet, jemand rede/handle wie ein Nazi oder er/sie handle als Nazi.

Als Wissenschaftler muss ich auf diese Differenz achten, aber in beiden Fällen muss ich von Nazis sprechen, wenn ich die begründbare und belegbare Vermutung habe, dass die Person wie und als Nazi spricht und handelt. Kein Vertun. Die Beweislast liegt bei meinen Argumenten und ob sich der Angegriffene verteidigt, und wie, kann mir erstmal egal sein: ich muss meine Aussage begründen, und auch, warum und wozu ich sie mache, genauer: wenn ich sie an die Öffentlichkeit wende, dann impliziert das auch meine Auffassung vom politischen Raum, indem sich nicht nur die Meinungsfreiheit konstituiert, sondern auch die Wissenschaftsfreiheit und Kritik und die Adressaten des Denkens ausgehandelt werden.

  1. These

Wenn man von Nazis spricht, haben viele die Assoziation von stämmigen im Nacken ausrasierten Schlägertypen und einer unflätigen und pöbelhaften Ausdrucksweise; deren Rede schon versprach, was sie dann ja auch eingelöst hatten. Die Feinfühligeren, die Gebildeteren unter den Nazis waren nur in ihren Kreisen sichtbar und wirkten nicht minder nachhaltig. Aber ihr Bild ist unscharf geworden, war nie präzise: zu viel Gemeinsames gab es in der Wortwahl, als dass man im Nachhinein auf den Inhalt hätte geachtet. Die politische Bildung und viel Aufklärung haben diese Vorstellungen einer Nazi-„Oberfläche“ verfestigt, sodass oft gar nicht mehr darüber nachgedacht wird, was eigentlich genau diese Leute damals gesagt, was genau sie angekündigt und was sie verwirklicht hatten. Verfolgen wir die Strategien der Nationalsozialisten nach und binden wir sie in damalige Diskurse ein, die nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa stark entwickelt waren, dann können wir vergleichen und werden viele Ähnlichkeiten erkennen. Wenn sich einer ausdrückt wie ein Nazi, argumentiert wie ein Nazi, die gleiche Logik anwendet wie ein Nazi, was ist der dann, oder die?

Es wäre naiv, die Bezeichnung auf oberflächliche Erscheinungsformen, Kleidung etwa, Leitbegriffe o.ä., zu reduzieren. Heute kommen Nazis natürlich ganz anders daher als in den zwanziger Jahren. Analytisch kommt man nicht umhin, die FPÖ in Österreich, die ungarische Regierungspartei und ihre Konkurrentin Jobbik und auch die AfD in Teilen als nazistisch zu bezeichnen, wobei die Abgrenzung zum totalitären Staatsbegriff oft unscharf ist (Faschismus will den gewaltsamen Staat, die völkischen Nazis wollen gerade die Herrschaft jenseits des Staats). Und entsprechende Traditionslinien lassen sich bis in die Hetze mancher „christlich-sozialen“ Parteivorständler und anderer Lautsprecher der Volksparteien, dort allerdings in der Minderheit, verfolgen. Jedenfalls ist der Begriff „rechts-populistisch“ verharmlosend, ja, beschwichtigend und außerdem unscharf, denn Populismus hat ja auch seine elitenkritische Seite. Und die ist natürlich bedenkenswert, wenn sich die Eliten im Wegschauen, Verharmlosen oder aber auch Verteidigen von Positionen üben, die Teil der Probleme und nicht ihrer Lösung sind.

Samuel Salzborn aus Göttingen ist einer der Wenigen, die diese historische Linie beim Namen nennen und verfolgen (FR 8.4.2016,2-3). Aber natürlich gibt es viel artikulierten Widerstand gegen das Wiedergängertum völkischer Ressentiments. Nicht nur das Feuilleton, auch die Reportagen und Kommentare der freien Medien bei uns sind besser geworden im Widerstand, auch hier mit bedauerlichen Ausnahmen. Nur wagt man die Analogie nicht oft auszusprechen, es erscheint undenkbar, dass sich wiederholt, was sich damit verbindet. Der Stacheldraht zwischen EU Mitgliedsländern, der Orban-Seehofersche Geifer, die christlich-nationalistischen Ausfälle in Polen, das stumpfe Ustascha-Revival, all das hätte ich vor drei Jahren zwar für denkbar, aber kaum für vorstellbar gehalten. Brüssel schweigt dazu, wie zu vielem Wichtigen. De Maizière wäre zu wünschen, in der Zeitmaschine als Hugenotte an den Grenzen Preussens zurückgewiesen zu werden; die rassistische Hetzjagd der CSU auf einen nicht-weißen katholischen Pfarrer ist nicht vor Gericht, sondern am Biertisch gelandet. Wiederkehr aus Einzelbeispielen summiert? Methodisch ist das möglich, aber nicht einfach.

Mir geht es nicht um die immer wieder notwendige Auflistung und Aktualisierung der deutschen und europäische Nazi-Novellen. Es gibt genügend Widerstandskraft, dass wir nicht „noch gibt es sie“ sagen müssen. Wir haben das Kabarett und die „Lügenpresse“, die man wieder so richtig mögen kann; aber wir sind in der Sphäre der politischen Öffentlichkeit zu unentschlossen zu sagen was ist. Als passte zwischen die CSU und den Rand tatsächlich noch jemand. (Ob das „Rechts“ im alten Schema ist, muss neu gedeutet werden…).

Übrigens: in den USA darf man sich wieder weigern, Schwulen etwas zu verkaufen, aus christlicher Gesinnung. Nur im vorzivilisierten Mississippi, auch in Carolina wird das vorbereitet. Man sollte den Botschafter einbestellen. Soweit zur Freundschaft.

  1. Antithese

Mit diesen Ausführungen lasse ich mich genauso instrumentalisieren, wie es die AfD und die Rechten in der Politik gerne wollen. Ich lasse mich von Einzelfällen, die verabscheuungswürdig, aber eben nicht repräsentativ sind, in die Falle locken, in dem ich den Nazi Höcke für die AfD und die bayrische Priesterverfolgung für die CDU nehme und dann den Schluss von der Wiederkehr der Nazis vorschnell ziehe.

„In Wirklichkeit“ ist das alles nicht so fürchterlich. Habe ich nicht selbst vor einigen Jahren – in wissenschaftlichem Zusammenhang – geschrieben, 15% für eine rechte Partei (also tatsächlich rechts von der CSU) sei in Demokratien normal und noch mehr sei verkraftbar, weil und wenn es eben eine Demokratie sei? Was machen denn die Rechten wirklich? Sie kritisieren Missstände, die die Regierenden verniedlichen oder ignorieren, sie schauen dem Volk aufs Maul, was die Regierenden tunlichst nicht tun, sie regeln im Lokalen, wohin die Herrschenden nicht kommen? Und im Übrigen ist der Rest des anstehenden Parteiprogramms so inhaltsleer wie die Programme anderer Parteien. Wir sind überheblich, wenn wir der AfD nicht glauben, sie nähme die Ängste des Volks nicht ernst. Und dass sie lieber Deutsch als muslimisch sein wollen, ist das gute Recht einer ethnopluralistischen Gesellschaft (Vorsicht: der Begriff hat es nicht positiv in sich).

Machen wir also gute und verständliche Politik, dann erledigen sich die rechten Ausreißer von selber, so wie das die Linke auch getan hat und noch tut. Gehen wir auf die Menschen zu, hören uns ihre Sorgen und Ängste an. Das Volk will nicht nur seinen Besitz bewahren, es will klare Regeln und angemessene Strafen für Regelverletzer haben, und das Eigene soll nie schlechter dastehen als das Fremde. Ist denn das nicht, mit winzigen Variationen, das im Normalmodus unserer Gesellschaft fast jeder sagen könnte, jeder Sozialdemokrat, Grüner, Christsozialer, Liberaler? Naja, Unterschiede muss es geben dürfen, weil es sie gibt. Und was die Nazi-Analogie betrifft, so ist der Vergleich absurd: es geht ja nicht um die Judenvernichtung, auch nicht um die Vernichtung von Flüchtlingen oder Muslimen, sondern nur darum, dass sie nicht so zahlreich bei uns das zerstören, was wir so beispielhaft – aus der Geschichte haben wir gelernt – aufgebaut haben. „Wir“, das Volk.

  1. Keine Synthese, und Kompromiss wobei?

Meine Antithese greift auf, was ich jeden Tag höre, in der S bahn, auch im Gespräch mit ansonsten eher angenehmen Gesprächspartnern, was ich lese in den Analysen der Medien und der Wissenschaft. Aber die Antithese ist ja nicht, was gesagt wird, sondern was es bedeutet, dass es heute und so gesagt und getan wird.

Zwischenruf: was ich damit meine, ist auch vorbildlich in der dreiteiligen Fernsehserie „Kudamm 56“ im ZDF abgebildet worden. Das war die Generation, in die ich hineingeboren wurde, und deren Kinder eben heute das Volk repräsentieren, und deren Enkel auch schon da sind im Konflikt. Ich konnte 1968 schreiben, dass wir nur 23 Jahre vom Kriegsende entfernt sind und 35 Jahre von der Machtübernahme; ich konnte 1989 schreiben, dass es nach 1968 fast so weit ist, wie von dort zum Krieg, und heute ist es verständlich, dass viele EU-Bewohner nach 1989 viel mehr Abscheu vor dem Kommunismus haben als vor den Nazis, die Halbwertzeiten der Erinnerung sind nur in der Wissenschaft leicht aufzubrechen; oder ist heute überhaupt noch in ein Geschichts“bild“ einzubauen, wenn man nicht weiß, wonach man sucht? Und deshalb auf Erzählungen zurückgreift, die unwahr, aber attraktiv sind („christliches Abendland“, Volksgemeinschaft geht vor Staatsmacht, Abgrenzung schafft Identität).

Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Nazis seit ihren Anfängen zwei Diskurse besonders gepflegt hatten: zum einen die Kritik an der Demokratie genau dort, wo deren „Schwachpunkte“ eigentlich die Stärke republikanischen Staats- und Gesellschaftsverständnisses sind: die differenzierte und egalitäre Meinungsbildung mit dem Ziel, dass sich eine Republik Regeln gibt, an die sich Mehrheiten und Minderheiten halten, weil und nicht obwohl sie demokratisch zustande gekommen sind. Zum andern aber die Kritik an tatsächlichen Missständen, die – isoliert und überhöht dargestellt – nur beseitigt werden können, wenn die Verfahren beseitigt werden, die angeblich zu ihrem Bestandteil gehören. Solche Punkte sind nicht willkürlich aufgegriffen, Wissenschaft, aber auch genaues Hinsehen, kann sie oft erkennen: die Begründungen für die ausländerfeindliche Maut, die  Obergrenzendebatte über Flüchtlinge, die ständige Drohung mit Gewalt und Strafen (Schießbefehl, Sozialleistungsverweigerung etc.), und immer wieder der Besitzstand an imaginären Gründen für die eigene Zufriedenheit bzw. Unzufriedenheit mit den Herrschenden im „System“. Der Begriff taucht auch wieder auf.

Die Müdigkeit an der Demokratie, die europaweit um sich greift, schlägt uns oft den Widerstand gegen den Blödsinn der Nazis aus der Hand. Von Weimar sagt man, es wäre eine Republik ohne Republikaner gewesen, bei uns ist jedenfalls der Duktus der Gleichgültigkeit gewachsen gegen beides – das liberale tua res agitur, kümmere dich um das, was dich angeht, und zwar öffentlich, wo es hingehört – und die demokratische und solidarische Einsicht, dass niemand aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden kann.

Die Konfrontation mit der Nazi-Analogie ist wichtig. Sie mag manche befremden und andere reizen, und wieder andere beleidigen. Das nehmen wir in der Wissenschaft auf uns, wie die Satiriker sich mit Karl Kraus sagen müssen: Satiren, die der Zensor versteht, werden mit Recht verboten. (Fackel 309/10). Und wer weiß, vielleicht sehen manche den Nazi-Vergleich mit Erschrecken, wenn sie lernen, was die Nazis wirklich gesagt und getan haben.

 

 

Finis Terrae II

Dass man verzweifeln kann, ist noch kein großer Schaden. Aber Verzweiflung ist ebensowenig eine politische Kategorie wie Dankbarkeit, Freundschaft, Ablehnung. Die ethnische, religiöse, historische „Nichtübersetzbarkeit“ von Standpunkten ist ein Schutzschild, um Konflikte auf der Ebene von Missverständnis oder Feindbilderklärungen scheinbar zu entschärfen, in Wahrheit aber weiterzutragen. Ressentiments, wie Huntingtons „Kampf der Kulturen“, sind keine überwundene Rechtfertigung schlechter Politik. Wenn ich jetzt etwas an der Politik, d.h. an der „Situation“ verzweifle, heißt das nur, dass ich (noch) nicht zusammenbekomme, was wie große, bedrohliche Problemtrümmer um mich herumfliegt.

Unter der Oberfläche eines dissoziierenden politischen Systems, der EU, erkenne ich eine unerwartete Bewegung: einigen der Scharfmacher innerhalb dieses Systems scheint der Druck zuzusetzen, dass sie „zu weit“ gegangen seien (Seehofer mit seinem „Unrechtsstaat“), und sie keilen jetzt an anderen Fronten, wie der Sozialpolitik. Andere suchen ihr Heil in der Zuspitzung der Krise, wie Österreich und die Westbalkanländer. Das alles bringt die Fronten durcheinander, die sich ja auch unter dem Satz „Diese EU brauchen wir nicht“ zusammenfassen lassen. Eine andere EU bedeutet nicht automatisch ein anderes Europa, und ein anderes Europa ist nicht gleich ein besseres. Das wenigstens sollten wir als Ausgangsbasis ernst nehmen.

Die Ultrakonservativen haben sich immer schon des Abendlandes bemächtigt, und dann Europa darunter subsumiert. Das ist historisch weitgehend falsch montiert, aber der Alltagsverstand will es so. Nation Europa (1951 bis 2009) ist der programmatische Titel einer vielbeachteten rechtsextremen Zeitschrift gewesen.Jörg Haider, gegen den es wenigstens noch EU Sanktionen gab – (zu Recht umstrittene Reaktion auf die damalige FPÖ) – hat bei Alain der Benoist gelernt, war gegen den Islam aber für einen frühen EU-Betritt der Türkei und hat sich das Präfix Neo- vor der faschistischen Zuordnung verdient; auch den intellektuell aktiven Andreas Mölzer sollte man sich zu Gemüt führen, um die Variabilität des europäischen Diskurses bei den Nationalen zu erkunden. Ich nehme zwei Österreicher, weil der Kurs dieses Landes zwischen den verschiedenen Varianten dieses Diskurses auch heute (Flüchtlinge), aber schon früh tiefer in die abendländische Orchestrierung von anachronistischen, populistischen und opportunistischen Politiken geradezu „transparent“ ist. Europa…Auch die Paneuropa-Union des Richard Coudenhove-Kalergie kommt aus Österreich, allerdings ganz im Gegenteil zur reaktionären Politik eine durchaus ernsthafte Vision nach 1945.

Das Abendland ist kein Ermächtigungsbegriff, sondern einer der Bemächtigung: es bemächtigt sich, je nach Deutung, im Nachhinein der anti-aufklärerischen, der mythischen Überlegenheitsvorstellung einer Kultur, die schwierig zu dekonstruieren ist, aber eines ganz gewiss nie war: völkisch-christlich. Aber wichtiger erscheint mir, dass diesen abendländischen Bildern meist ein Bedürfnis nach einer Zugehörigkeit zu einem größeren, von „der Geschichte“ legitimierten Zusammenhang  eignet, der über die eigene lokale oder politische Bedeutungsarmut oder einen Verlust (das“Reich“ ist nicht mehr…) hinweghelfen soll. Die nationale Spielart kommt schnell einer pauschalen, aufgeklärten (und oft verklärten) Positionierung als Okzident oder „Westen“ in Konflikt, und „Europa“ ist da keine einigende und versöhnende Brücke.

Dieser zweite Schritt beginnt mit der Verzweiflung. Er soll ein wenig so enden: wenn man an Finistèrre, Land’s End, steht, gibt es keinen Zweifel – das eine hat jetzt ein Ende. Ob jenseits des Wassers ein anderes festes Land zu finden sei, weiss man nicht sogleich. Es gibt für ganz viele der grausigen Ereignisse der letzten Jahre und Tage eine Fülle von Erklärungen und Analysen, das wenigstens ist geschehen, und gut so. Aber was da steht, ist ein wenig der Rückblick des Engels der Geschichte, nur sind wir nicht dieser Angelus Novus.

Die Anerkennung der Ambiguitäten unserer Situation geben uns noch keine Ansätze zur Lösung der Probleme und zur Regelung der Konflikte, sondern eher die Vermutung und Befürchtung, dass es lange so bleiben wird, dass die Jahrzehnte der Hoffnung nach 1989 nun wieder vorbei sind. Aber wir können mit dieser Anerkennung dennoch beginnen, weil sie uns zeigt, wie diese ambigen Verhältnisse uns mehr als eine Wahrheit eröffnen, um die Tragweite unserer Probleme endlich auch zu verstehen.Dann können die Erklärungen – und viele sind gut, schärfer und besser als seit langem – zu Praxis werden, zum Handeln nicht angesichts einer Niederlage oder eines Versagens, sondern des Umsonst.

*

Was für Konsequenzen müssen wir daraus ziehen, dass in den Kellern des Westens weiterhin gefoltert wird und jeder ernsthafte Whistleblower unter lautem Jubel der Zuschauer ins Gefängnis geht (wenn man ihn nicht beseitigt)? Ich rede von unseren Gesellschaften, nicht von denen, die auf Folter und Gewalt sich gründen. Wir reden davon, dass wir natürlich Freunde nicht aus der Kritik ausnehmen, aber wir tun es nicht.

Die Debatte um Erdögan ist ein Vorspiel einer Auseinandersetzung, die uns nicht erspart bleibt: uns zu durchleuchten, wenn uns die richtige und scharfe Analyse unserer Gegner und Gefährder keinen Schritt weiter bringt. Keine billige Selbstkritik, bitte. Ambiguität heisst, dass es gilt, mehr als eine Wahrheit auszuhalten und zu bewältigen – Versuch des Türkeivertrags und Ankündigung des Regimewechsels in diesem Land. Das Gleiche gilt im Verhältnis zu Ungarn, wo der Faschist Orban das Parlament ausgeschaltet hat. Ungarn ist noch Mitglied der EU, aber auch hier muss Regimewechsel ein erklärtes Ziel sein. Das sind Beispiele einer Ausrichtung von Politik, die aber nicht so abgehoben sein sollte, dass man sie verfolgt, während die Leute gröhlen „Recht hat er doch!“. Vorschnell niemals vom Pöbel sprechen, auch wenn er sich so gibt: wie haben ihn so werden lassen, weil uns unsere Stabilität wichtiger ist (ach ja, manche könnten jetzt sagen, sprich aus, dass der Markt, die guten Geschäfte wichtiger waren, aber so einfach ist es nicht. Nicht alles, was die Bürger nicht verstehen, ist schon deshalb neoliberal). Unser engster Freund, der Folterstaat USA mit seinem Rassismus und seiner Folter und seiner Ungleichheit lässt seine Freundschaft uns in jeder kritischen Stunde spüren, und dann befassen wir uns lieber mit denen, die noch fürchterlicher sind, und sehen uns selbst nicht.

Nein, ich fange jetzt keine Litanei und keine Klage an. Aber dieser komplizierte Vorgang der gesellschaftlichen Selbstverortung ist ja deshalb so geschwächt, weil wir diesen Ort nicht mehr im öffentlichen Raum verhandeln, aus fatigue de democracy oder einer Faulheit, die die Unterwürfigkeit unter das jeweilige normative System geboren hat. In andern Worten, wer man selbst gesellschaftlich ist, ist noch nicht durch den Status ausgemacht, den man in dieser Gesellschaft hat, sondern durch die Distanz und Nähe zum Ort, von dem aus man sich in ihr sieht. Diesen Raum an der Abrisskante des festen Bodens unter unseren Füßen zu gewinnen oder wieder zu gewinnen, lohnt.