Bruno Latour hat im Augenblick viel Aufmerksamkeit. Sein neuestes Buch verdient diese Wahrnehmung auch, weil es eine Art Kippfigur zur Geschichte der Zukunft darstellt, wie sie Harari versucht. Die beiden nehmen sich nicht viel weg, aber ergänzen sich.
Darüber konnte man sich schlau machen:
Lesart | Beitrag vom 26.07.2018 von Andrea Rödig (DLF Kultur)
Die Menschheit hat den Boden unter den Füßen verloren
Bruno Latour: „Das terrestrische Manifest“
Aus dem Französischen von Bernd Schwibs
Berlin, Suhrkamp Verlag 2018
Mich interessiert dabei ein besonderer Aspekt: wie geht die Welt „lokal“ unter. Dass das Ende der menschlichen Zivilisation nicht das Ende der Welt, sondern unserer Welt ist – geschenkt. Dass sich dies lokal überall zeigen wird – wahrscheinlich. Dass der Klimawandel keine „letzten Ufer“ und Reservate aussparen wird – sicher. Was also hat der Widerstandsbegriff des Lokalen gegen die alternativlose Globalisierung zu bedeuten? Nun hat Latour in den letzten Jahren viel Kritik für seine unpräzisen, „redseligen“ Alternativen eingefangen, und so finde ich es eher anregend, dass er weniger deutlich, als ich selbst schon war, vieles anspricht. Dass sich die Herrschenden von der Wirklichkeit verabschiedet haben, ist da ein noch recht deutlicher Gedanke, denn das Gefühl – kein empirisches Faktum – des Zurückgelassenseins lockert viele moralischen Bindungen und politisch Fahrpläne.
Nichts an dem ist neu. Nichts an dem bedarf der Archäologie. So hatte ich mein Finis terrae begonnen, und so geht es weiter, aber immer in dem Bewusstsein, dass wir die „Time of useful consciousness“ nutzen können, dass es keinen Imperativ der Hinnahme gibt, weil man eh nichts ändern kann. Wenn man erwartbar belohnt wird, wie der strampelnde Forsch in der rahmigen Milch, dann ist Aktivität keine Kunst.
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Es ist nicht ungefährlich, das heiße Sommerwetter dem Klimawandel allein zuzuschreiben, obwohl es richtig ist. Sofort kommen die Leugner und machen sich darüber lustig, dass auch kluge Menschen Wetter und Klima verwechseln. Es gibt ein allzu bereites Einknicken vor scheinbar unabänderlichen Fakten der Umgebung, und dabei schwingt die heimliche Hoffnung mit, dass wir – unser Organismus, unsere lebenserhaltenden Gewohnheiten usw. – und schon IRGENDWIE arrangieren werden. Das ist natürlich Unsinn. Gerade wenn die Evolution sich so gewaltsam schnell eingebremst hat und sich überholen lässt von vielem, das sie offenkundig nicht einholen kann – finis terrae – dann wäre ja die Adaption an das Ende eine Art globaler Sepulchralkultur (Begräbnisrituale der Lemminge). Dann blieben noch immer zwei Klassen: diejenigen, die sich verabschiedet haben von der tätigen Gestaltung einer gerade noch möglichen Zukunft, und hingegeben an die Ausgestaltung der Aufbahrungshalle; und wir, die Mehrheit, denen die Zeit bis zum Verlust des Bewusstseins zu kurz wird, soviel haben wir noch zu erledigen – aber in dieser hektischen Betriebsamkeit verliert sich der Begriff des Überlebens. Wir lernen ein wenig die verlorene Welt auswendig, so wie wir unsern Enkeln erzählen, dass wir noch Massen von Schmetterlingen gesehen hatten und jetzt gibt es nur mehr vage Erinnerungen. Die verlorene Welt, das ist auch die Welt, die in der Kunst sich etwas aus der Chronologie ausgeklinkt hatte, der wir immer schneller unterworfen sind. Die Nostalgiker haben es da leichter, die meinen zu wissen, wem und was sie da nachtrauern, aber trauern ist keine gute Grundnahrung für das Stadium des Absturzes.
Weil ich ja kein Philosoph bin, sondern nur am Rande davon befasst bin, wie genau und vielfältig die besseren Philosophen die globale Talfahrt analysieren und sich dabei vielleicht das Recht der letzten Kritiker erhoffen, weil ich also keiner von denen bin, frage ich mich bisweilen, ob ich nicht doch zur ersten Gruppe gehöre, nur besonders sensibel den Hedonismus des letzten Diners auf der Titanic verberge…Die Grübelei, wozu man noch länger wirksame Testamente schreibt…oder sich vorstellt, wie viele Fehler meine Enkelinnen vermeiden werden müssen… das Hinausdenken „ultra tumbam“ ist eine seltsame Übung, die wir den Jenseitsgläubigen voraus haben. Die Immanenz hat den Vorteil, dass wir in eine Zukunft Welt denken, die nicht mehr von uns beobachtet werden kann, darum kann man drauf auch nicht wetten. (Übrigens ist das Lateinische präziser, weil es schwierig ist auf Deutsch auszudrücken, wie man sich jenseits des Grabes die Zustände ausdenkt, die man dort erfahren würde, aber das ist die poetische Spielerei, ohne die selbst ein Blog fade würde).
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Wenn die Flüchtlinge es geschafft haben, das Mittelmeer zu überwinden, wenn sie endlich bei uns angelandet sind, dann haben sie so ein „ultra tumbam“-Erlebnis. Nein, sie sind nicht an der Folter gestorben, sie sind nicht verhungert, sie sind nicht wahnsinnig geworden, weil sie die Menschen neben sich ertrinken gesehen haben. Dass sie von BAMF und Seehofer und Hermann verhört werden, was solls? Dass sie nicht weiterleben sollen, sondern zurück in die Hölle ihrer Herkunft, das ist eine Drohung, die sich wie ein Kabarett eines umgekehrten Orpheus-Mythos ausnimmt: in die Unterwelt zurückkehren, nicht um ihre Angehörigen zu retten, sondern um selbst dort zu verrecken.
Vorteil: sie erleben dann, abgeschoben und wieder am Tode, nicht mit, wie die Folgendes Klimawandels sie zur Flucht veranlasst hätten, und ewig würden sie an den Türen der gemäßigten Klimaten in den reichen Ländern stehen, und die Zeit zwischen Ankunft und Deportation vielleicht besser, oder schlechter, verbringen, der virtuelle Tod ist immer noch besser als der reale.
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Es sind ja nicht alle so böse oder so blöde wie die Deportationsfraktion der deutschen Politik. Aber sie sollten sich einmal alle, nicht nur die deutschen Christen, auch die Gewerkschaftler, Arbeitsplatzfetischisten, Sozialneidexperten und Eigentumsfanatiker, alle sollten sie sich die Geschichte(n) der Klimaflüchtlinge anhören, ansehen. Immer wieder. Dann werden sie verstehen, dass ihre Festungspolitik bestenfalls die Umrandung des ausgehobenen Grabes ist, lokal und ganz konkret.