Kein Kommentar zum Kommentar

War die Welt vor einem Monat noch in Ordnung? Nein. Ukraine, Afghanistan, Umwelt, Flüchtlinge, und die Liste lässt sich beliebig verlängern, nein, nicht beliebig, es ist ein erster Höhepunkt einer endgültigen Abwärtsspirale der menschlichen Gesellschaft auf dem Planeten Erde, von der Welt wissen wir ja nicht so viel, aber wir sagen es halt so, als ob alles von uns ausginge.

Seit dem 7. Oktober ist ein Konflikt ausgebrochen, den es eigentlich schon lange gibt, aber dieser Krieg geht um mehr als Sieg oder Niederlage. Er geht, nicht zum ersten Mal, um die Existenz Israels, und er zwingt uns etwas mehr als Solidaritätsbekundungen und Kritik zu verteilen. Es geht nicht um Meinungen, die man haben kann und äußern darf.

Ich habe schon vor längerer Zeit gesagt, dass ich mich mit Kommentaren zu den überquellenden Kommentaren zurückhalte.  Es kommt nicht darauf an, ob und dass ich etwas zur Ukraine, zu Israel usw. zu sagen habe, sondern ob und wie in das Konzert der Kommentare und Wertungen mich einbringe und wie ich wahrgenommen werden möchte, wenn ich meinen privaten Denkbereich verlasse. Ukraine und Israel sind die beiden Konfliktsyndrome, bei denen ich mich zurückhalte, mehr als bei anderen, z.B. Afghanistan. Das liegt daran, dass im sich verbreitenden Krieg jeder Kommentar noch mehr auf die eigene Person, das eigene Leben zurückgespiegelt wird, und also mehr „mit mir macht“ als nur eine Meinungsquelle mehr öffentlich werden zu lassen.

Um die wichtigste und eindeutige Solidarität mit dem Staat Israel und der Gesellschaft Israels wirkungsvoll werden zu lassen, ist es wichtig und richtig, sich jedes ABER zu verbieten und vor allem diese Solidarität nicht mit Kritik an der Regierung und anderen Umständen zu relativieren. Um dies aber glaubwürdig zu darstellen zu können, muss man schon etwas wissen, z.B. was im jüdischen Staat zu den nicht-jüdischen Staatsbürgern, Gesellschaftsmitgliedern und unabgeschlossenen Verfassungsprojektionen gehört, was in der Geschichte des Staates richtig und falsch gelaufen ist, was worauf zurückzuführen ist seit Beginn des letzten Jahrhunderts. Selten werden so viele Vorurteile aus Nichtwissen gespeist wie gegen Israel, und da ist nicht alles antisemitisch. Aber die Übertragung des Antisemitismus auf Israel, und nicht nur unter Hinweis auf Zionismus und Anti-Z., ist natürlich ein schwerwiegender Diskursbestandteil. Und weil es nur einen jüdischen Staat gibt, eine Demokratie noch dazu, ist es nicht gut, seine Ansichten auf Ahnungen und Vorstellungen beruhen zu lassen, man muss schon etwas wissen. Und dann kann es immer noch mehrere Meinungen geben, aber die wesentlichen Fakten sollte man kennen.

Die Macht der Kommentare macht Politik. Die Macht der Kommentare kommentiert selten Fakten, sondern bereits kommentierte Zusammenhänge. Das ist im Prinzip ein Effekt auch von Meinungsfreiheit, aber mehr noch: es muss Grundlagen geben, auf denen Kritik und Kommentare aufbauen können, sonst hängen sie in der ideologischen Luft.

Je tzt kommt natürlich ein Einwand, als ob ich die Kommentare verhindern, behindern wollte. Keineswegs, ich möchte nur festhalten, dass ihre Qualität nicht unter dem Niveau recherchierter Tatsachen und deren Bewertung, also auch Kommentare!, bleiben sollte.

*

Warum schreib ich das, gerade heute und jetzt? Die vielen ABER bei allen Solidaritätskundgebungen, Protesten usw. erschrecken mich, wenn sie schon im Aufruf oder der Erklärung unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit der antijüdischen, antisemitischen, antihumanitären Gegenwirklichkeit hinreichend Platz zur ideologischen Entfaltung lassen. Die Kommentare der Diktatoren, zB. Erdögans zu Israel und den Palästinensern sind ein Beispiel.

Untergangster

Wüssten wir, dass die Erde in absehbarer Zeit unrettbar ihrem Untergang entgegen geht, also dass wir Menschen nicht mehr auf ihr lebten, wüssten wir das, könnten wir beruhigt die Sektgläser klingen lassen und den Rest der Erdoberfläche mit Einfamilienhäusern und Tagebaulöchern pflastern. Alle Vorhersagen zum Weltenende waren bisher gleich unsinnig, sie haben sich nie erfüllt, aber es gibt keinen Beweis dafür, dass das auch demnächst so sein wird.

Diese Phantasien lassen mich kalt, nicht einmal lachen kann ich. Aber nicht, weil sich sprichwörtlich „Das Rettende“ in größter Not einfindet, sondern weil die Szenarien des Endes etwas sehr altmodisches, sehr banales an sich haben. Als ob eines Morgens der UN Generalsekretär verkündet, nun sei der Untergang eingetreten und wir müssten, jeder für sich, die letzten Stunden so gut wie möglich für uns gestalten, dahinter käme nichts, habe die Mehrheit des Sicherheitsrats auf seiner letzten Sitzung beschlossen.

*

Es habe „immer“ Kriege gegeben, es wurde immer gefoltert und vergewaltigt, es war immer das Böse um uns und in uns und über uns (irgendein Gott wird schon schuld sein), und wir werden den sich abzeichnenden Untergang auch überleben, „überstehen“ ist die passende Vokabel.

Woher ich das habe? Nachrichten, Zeitungen, Gespräche, ich habe aufgehört, zu bestimmten Ereignissen mir ein Kompendium von Meinungen zu bilden, an denen ich korrigierend und verstärkend arbeiten kann. (A, U, I war ein später Blog dazu). Die MeinungsFREIHEIT ist ein Paradox. Was ich denke, muss ich ja nicht unbedingt anderen mitteilen.

Warum ich diese Gedanken heute und hier äußere? Die letzten Monate haben meine Vorstellungen zu den Kriegen und Entwicklungen weltweit, besonders zu Afghanistan und der Ukraine, arg gefordert. Vorstellungen bedeuten im guten Fall Arbeit an sich selbst. Die Sehnen des Selbstbewusstseins sind seit dem 7. Oktober überdehnt. Das darf doch nicht wahr sein! rufen viele, und bestätigen meine gar nicht neue These vom Vorrang der Wirklichkeit vor der Wahrheit, den Wahrheiten.

Vor ein paar Monaten habe ich aufgehört, die russischen Gewalttaten an der Ukraine und die Kommentare dazu weiter zu kommentieren. Ich werde absehbar auch zu Israel keine Meta-Kommentare mehr öffentlich machen – das kann auch geändert werden, aber dann muss man über die Anlässe sprechen, ich bin hier noch mehr bemüht, die Informationen zu sammeln und sie auch für meine Reaktionen auszuwerten, was macht diese Wirklichkeit mit mir? Das ist nicht trivial. Wenn kluge Leute, gute Freunde, Friedenspläne entwerfen und propagieren, wenn es Pläne für ein Einfrieren der Konflikte gibt, wenn Kompromissbereitschaft bei Tätern und Opfern angemahnt wird – ist das alles verständlich und weitgehend folgenlos, weil es einer Politik bedürfte, auch nur Ansätze solcher Überlegungen zu verwirklichen, und unser, mein, Einfluss auf die Politik, nicht ihre Programme, ist nicht erkennbar.

Will man nicht verzweifeln oder gleichgültig werden, muss man sich selbst teilen, Während man über Krieg, Vernichtung, die Politik dagegen und das gesellschaftliche Umfeld nachdenkt, muss man auch AUCH und vielleicht besonders intensiv den Alltag leben, die Zeit verbringen. Die Gleichzeitigkeit ertragen, das ist nicht einfach. Aber es hilft gegen falsche „Ganzheitlichkeit“ in der alle eingeebnet wird, an dem man straucheln könnte. Das ist kein RATGEBER für Lebensgestaltung. Sondern ein Ausweg aus der Ratlosigkeit, sich der Anziehung und Abstoßung durch die Kriege der Welt zu entziehen.

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Die Diktatoren drohen mit Untergang, fügte man sich nicht in ihre Befehle. Sie meinen ihren Untergang, der ja die Unterstützung vieler Gefolgsleute erfordert. Die werden dazu gezwungen. Aber merke: im Nachhinein fragt niemand nach ihren Motiven, sich zu unterwerfen. Beim Widerstand ist das anders, besser.

Semitismus als Waffe gegen Philo-Anti-Pseudo-Para

Wenn man als Jude wild um sich zu schlagen beginnt, dann muss schon was los sein. Für gewöhnlich, halte ich mich an die Sprüche von Rabbi Hillel und Aron Bodenheimer, und versuche zu verstehen, worum den Sprachakrobaten geht. Aber die Hutschnur ist endlich….

So oft, wie in Deutschland das Wort Antisemitismus seit dem 7. Oktober verwendet wird, ich sage: meist missbraucht, das geht mir nahe, mir, der ich seit vielen Jahren mich mit dem Begriff A. beschäftige, mit guten Gründen und auch viel Rückmeldung.

Aber auch die Schlagzeile ist brandgefährlich: „Kommentar zur Judenfeindlichkeit: Ergebnis linker Willkommenskultur“ (FAZ 20.10.23, Jasper von Altenbockum). Damit kann man die Kritik an linken Verfehlungen so wenig ernst nehmen wie das rechte Lager wirklich wahrnehmen. Die FAZ vermischt bewusst die Sphären, sie hetzt.

Worum geht es? Die Vielzahl derjenigen, die sich zu Recht an die Seite Israels stellen in der Abwehr von Hamas und möglicherweise bald auch Hizbollah, sehen in allen Aktivitäten, die sich für die Hamas, die Palästinenser, die Araber, den Islam usw. und gegen Israel aussprechen, ANTISEMITISMUS. Sie meinen damit – ich rede vor allem von Deutschland – ein Syndrom mit der Gegnerschaft „den Juden“ als Zentrum der Diskurse. Das übertragen sie auf die Gegnerschaft oder auch nur Kritik zu Israel. Diese Übertragung ist psychologisch interessant: wenn ich etwas ablehne, heißt das nicht automatisch, dass ich das Gegenteil des Abgelehnten gutheiße.

Die wirklichen Antisemiten benutzen dieses Moment zur Relativierung z.B. der Verbrechen von Hamas. Ja, das war falsch, was die Hamas getan hat, ABER Israel hat diese und jene Verbrechen – und natürlich VOR dem 7.10. getan – und schon sind wir auf einer anderen Ebene. Einer, die viele Jahrestage hätte, 1917, 1948, 1993 usw. Diese Antisemiten berufen sich auf die Meinungsfreiheit, seltener auf die Wirklichkeit.

Die Kritiker des Antisemitismus gegenüber jeder Israelkritik relativieren ihre Unterstützung Israels durch die einigende Abwehr des Antisemitismus. Das ist wenig; zu wenig.

*

Es gibt den Antisemitismus von muslimischen, arabischen, palästinensischen Menschen in Deutschland, von vielen, aber nicht „der“ Muslime, Araber, Palästinenser. Es gibt den erheblich umfangreicheren Antisemitismus von Deutschen, quantitativ erschreckend. Es gibt den Antijudaismus in christlichen Kirchen, wiederum nicht „der“ Deutschen, „der“ Christen, etc. Es gibt eine nicht antisemitische Ablehnung von Israel. Es gibt eine Parteinahme für die Palästinenser – und hier wird es ganz heikel, weil viele gar nicht wissen, wer und was diese Palästinenser sind. Genauso wenig, wie diese Menschen und andere wissen, was Israel ist und seit wann; nicht wissen, wie es vom „Judenstaat“ zum „Jüdischen Staat“ gekommen ist, welche Rolle wer und was vor der Staatsgründung gespielt hatte, was die Nakba war, etc. und wenn sie schon „da“ waren, in Israel, auf der Westbank, in Jordanien, vielleicht im Gaza, dann waren sie „dort“ von „hier“ aus gesehen, aber ob sie die Antworten wissen oder meinen, sie zu ahnen, macht einen Unterschied ums Ganze.

Für meine Unterstützung für Israel gibt es kein ABER.

Das steht so wie es ist. Was ich sonst von Geschichte, Politik, Kultur Israels und der Palästinenser, der Menschen muslimischen, christlichen und jüdischen Glaubens hier wie dort halte, kann ich mit vielen Konjunktionen verbinden, aber nicht mit ABER.

Einen Tag später sagt Meron Mendel etwas vergleichbares: „Die Buchmesse war immer politisch, doch dieses Jahr hört man den immer schneller und immer bedrohlicher werdenden Takt der Zeit bei jeder Veranstaltung. Im luftigen Pavillon auf dem Freigelände geht um 11.30 Uhr die erste Gesprächsrunde des ersten Messetags zu Ende und Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, möchte dem Publikum noch etwas mitgeben: „Denken Sie nicht immer: Israel aber.“ Er will das Aufrechnen der Opfer stoppen. Er will, dass auf die angegriffenen Juden geschaut wird und auch darauf, wie sie unterstützt werden können. Dem Aber-Denken in einer anderen Richtung setzt gleich die nächste Runde etwas entgegen“ (msn.com). Das ist kein Sprachspiel. Die Klügeren in der Debatte wehren sich zu Recht dagegen, immer wieder aufzurechnen und damit alles zu relativieren. (Es lohnte, die ZIEIT von heute, 19.10. in allen zugehörigen Artikeln zu lesen).

Der NSDAP Vergleich stimmt nicht nur gegenüber Putin. Er ist in die Geschichte eingeschrieben. Und muss, nicht darf, er muss hervorgeholt werden, wenn er zutrifft.

Lamya Kaddor MdB sagte gestern: „Das erinnert mit Schrecken an die Verbrechen der Nationalsozialisten“, sagte Lamya Kaddor, Abgeordnete der Grünen angesichts des Anschlags auf die jüdischen Einrichtungen in Berlin Mitte. Das Versprechen „Nie wieder“ müsse von allen ernst genommen werden. „Nie wieder ist jetzt.“ (SZ online 19.10.2023). Sie wies auch darauf hin, dass es eben nicht nur arabische(muslimische Antisemiten gäbe, sondern auch viele Deutsche. (DLF 18.10.)Ich sage dazu: sehr viel mehr DEUTSCHE; UND DIE ERMUTIGEN NATÜRLICH AUCH DIE AUS DEM AUSLAND GEKOMMENEN ANTISEMITEN:

Das Anti hat im Kontext sehr unterschiedliche Facetten, Antisemitismus und Antizionismus wurden im Westen anders interpretiert als im Osten, Antijudaismus ist eine fortbestehende christlich-religiöse Spielart, die wenig mit Israelkritik zu tun hat, Rechts-Links-Achsen sind dabei eher sekundär (Vgl. heute https://mail.yahoo.com/b/folders/1/messages/ANgizm1cp1htZS9oTAl14BZyvvk?.src=ym&folderType=INBOX&offset=0&unblockNow=false), und die Israelkritik ist bei fatalen BDS ganz anders als bei der geheuchelten Unterstützung eines Staates, dessen Untergang auch eine Gesellschaft verschwinden lassen würde. Es kommt nicht nur darauf was man sagt, sondern was man tut.

Der SPIEGEL online hat nicht Unrecht: „

Der Judenhass, der sich in Berlin und anderswo Bahn bricht, ist unerträglich. Dass die Politik sich jetzt an die Seite Israels stellt und jede Form von Antisemitismus hierzulande scharf verurteilt, ist gut und richtig. Der Kanzler wird das sicher heute Morgen in seiner Regierungserklärung im Bundestag noch einmal tun. Auch Berlins Regierender CDU-Bürgermeister Kai Wegner will sich an diesem Donnerstag im Abgeordnetenhaus zur angespannten Lage in der Hauptstadt äußern.

Aber was folgt daraus? Antisemitismus ist seit jeher weitverbreitet, ob im rechten, linken oder migrantischen Milieu. Dieses schleichende Gift zu bekämpfen ist nicht erst seit dem 7. Oktober eine dringliche Aufgabe. Was es bedeutet, dass Deutschland eine historische Verantwortung für Israel hat, muss fester Bestandteil eines jeden Lehrplans in allen Schulen sein.

Das aber wird nicht alle erreichen, vor allem, so viel Ehrlichkeit muss sein, nicht die Zugewanderten aus arabischen Familien und Regionen, in denen der Hass auf Israel, der Hass auf Juden zum guten Ton gehört. Friedlicher Protest und friedliche Meinungsäußerung müssen möglich sein, Hetze und Gewalt dürfen es nicht. Wer den Terror der Hamas verherrlicht oder übergriffig wird, muss zu spüren bekommen, was auch zu einer wehrhaften Demokratie gehört: ein konsequent angewandtes Straf- und Aufenthaltsrecht.“ (Online 19.10.). Aber wie geht man im „Inland“ gegen die vor, die nicht mehr unter Migration fallen?

MEINUNGEN dazu sind möglich und legitim, aber die niedrigste Stufe der Reflexion, nicht das Fundament der Freiheit. Oder anders: Meinungsfreiheit muss – besonders wenn dringlich – auf das Niveau von Wissen und vernünftige Schlussfolgerungen aus diesem Wissen, ALSO POLITIK, gehoben werden.

Ich werde DIESEN Blog ergänzen und fortsetzen. Davor aber bitte dies lesen, Dank an Thomas Risse, der das verbreitet hat.

This Was Never Supposed to Happen

October 7th was a catastrophe for Israel’s people—and its government.

AMICHAI MAGEN

11.10.2023

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The funeral of May Naim, who was murdered by Palestinians militants at the “Supernova” festival on October 7th. (Photo by Amir Levy/Getty Images.)
The funeral of May Naim, who was murdered at the “Supernova” festival on October 7th. (Photo by Amir Levy/Getty Images.)

At approximately 6:30am on October 7th—on the holy sabbath of Shemini Atzeret, the eighth and final day of the Jewish holiday of Sukkot—air raid sirens went off all across Israel. Before the day was done, more than 3,000 rockets, missiles, and mortar shells were fired by Hamas, as well as Palestinian Islamic Jihad (PIJ), from Gaza into Israel. As with all recent attacks, the barrages were fired from within densely populated Palestinian civilian areas into densely populated civilian areas inside Israel, constituting a double war crime.

But this time things were different. This time the salvos of rocket fire—as intensive, indiscriminate, and far-ranging as they undoubtedly were—were not the attack itself. They were primarily a diversion meant to obfuscate, and provide cover for, a Hamas invasion, slaughter, and kidnapping operation.

This is broadly what we know happened: Shortly after launching the intensive early-morning rocket attack, elite Hamas units simultaneously rushed multiple military outposts on the Gaza-Israel border. They quickly overwhelmed the posts, killing or kidnapping virtually all the soldiers in them. They then destroyed the observation and communications networks on which the Israel Defense Forces (IDF) depended for identifying breaches of the border fence.

In parallel, Hamas launched an aerial and naval attack using several dozen motor-powered hang gliders, armed drones, and small speed boats. In the ensuing chaos, the fence was breached by bulldozers, explosives, and wire-cutters in up to 80 spots along the northern and eastern border between Gaza and Israel, facilitating the main thrust of the attack.

Over 1,500 armed militiamen on pickup trucks, motorbikes, and SUVs rushed across the border into adjacent Israeli kibbutzim, moshavim, and towns. Several dozen militiamen also headed to the scene of a youth music festival where around 3,500 revelers were camped in tents and cars. This became the epicenter of a massacre. Some 260 bodies—overwhelmingly 18-30 year olds—have been recovered from the site. Dozens more are still missing, presumed killed or kidnapped into Gaza.

Over the next several hours, militants rampaged through around two dozen Israeli towns—killing, looting, burning, kidnapping, and reportedly raping civilians. They managed to penetrate as far as Ofakim, 20 miles into Israel. They effectively controlled several main roads, on which they gunned down passing traffic. It took the IDF 6 hours to begin seriously engaging the militants. 18 hours after the incursion began, fighting was taking place in 22 spots. It took over 48 hours before the last of the major clashes with this first wave of the militants’ incursion was over and the militants neutralized.

In total, as of the morning of October 11th, over 1,200 Israelis are confirmed killed, almost 3,000 wounded (hundreds critically), and somewhere between 100 and 150 kidnapped, including whole families with toddlers and senior citizens. Hamas/PIJ have carried an unspecified number of corpses with them into Gaza. According to sources in Gaza, at least 950 Palestinians have been killed in retaliatory IAF air strikes.


The events of October 7th represented a colossal intelligence failure. With or without substantial Iranian assistance, it is now clear that Hamas had been preparing the attack for over a year. Astonishingly, it apparently did so without major leaks. The few tell-tale signs of an impending attack that did surface appear to have been ignored. Israel was lulled by Hamas into complacency. In a stark failure of imagination, it assumed that Hamas was effectively deterred and mistakenly discounted the possibility of a major attack from the south. The IDF concentrated the lion’s share of its regular troops on the West Bank, in the center and east of the country, leaving Israel’s Southern Command thinly protected. Taken by surprise, and made to fight for their lives in understaffed outposts, the IDF was operationally incapable of adequately responding to the militants’ land maneuver. Unarmed civilians were left to fend for themselves for long hours, with horrific consequences.

What will make October 7th uniquely egregious in the eyes of many Israelis (perhaps most) is the fact that events of this sort were not only reasonably foreseeable but were repeatedly foreseen and repeatedly ignored by Israel’s current leadership. According to the Associated Press, Egypt’s Intelligence Minister, Abbas Kamel, had warned Prime Minister Netanyahu ten days before the attack that “something big” was brewing in Gaza, a charge the Prime Minister’s Office vehemently denies. For months, Netanyahu has been cautioned that his divisive “governance reforms” represented a reckless gamble with the country’s national security. He received numerous private (and then public) warnings from every major security chief that his policies were eroding IDF preparedness and provoking Israel’s enemies to test its readiness. Netanyahu ignored, dismissed, or ridiculed every one of these warnings. He and his acolytes have systematically castigated those who voiced concern as disloyal “agents of the deep state” or, worse, “leftist traitors.”

As long as Israel faces immediate danger, all hands will be on deck and party politics largely put aside. Despite the catastrophe, in the short term Netanyahu’s political fortunes have, if anything, improved. A National Emergency Government has just been announced, in which Benny Gantz’s Blue and White Party will join Netanyahu’s existing government for the duration of the war. The expanded coalition will now form a war cabinet troika composed of the Prime Minister, Defense Minister Yoav Gallant, and Benny Gantz (a former IDF Chief of Staff). This will allow Netanyahu some wiggle room in the attribution of responsibility for the conduct of the war going forward. The agreement forming the newly expanded coalition also contains a clause prohibiting the government from advancing legislation not directly related to the war effort. As long as the emergency continues, therefore, Netanyahu won’t have to face the pressure of public protests against his program to weaken the Israeli judiciary.          

But in the longer term, it is difficult to see how Netanyahu, the great political survivor, will survive the events of October 7th. His reputation as “Mr. Security” is in tatters and it is impossible to see how it could possibly recover. With each day that passes, the magnitude of the debacle will become clearer, and Israelis will become angrier. Past precedent—Prime Minister Golda Meir resigned after the 1973 failure, as did Menachem Begin after the 1982 Lebanon War—indicates he will have to go. Extracting Netanyahu from the Prime Minister’s office may take months or even more. In the process he will twist and turn. His acolytes will scream force majeure and seek to disperse responsibility. But if the most basic mechanisms of democratic accountability still function in Israel, Netanyahu will eventually discover that the buck really does stop with him. 

Analysts keen to convey the magnitude of October 7th to American audiences have already tagged it Israel’s Pearl Harbor or 9/11. Neither label adequately captures the day’s true significance. A more accurate name might be something like “Israel’s civic Yom Kippur.” Why? Because the very existence of the State of Israel was supposed to guarantee that a day like this would never happen. In the Yom Kippur War of October 1973—when Egypt and Syria launched a surprise assault—Israel lost some 2,700 soldiers, but it managed to effectively protect its civilian population. No Israeli towns or villages were ever breached. The social contract was honored, albeit at a terrible price.

On October 7, 2023, it was primarily civilians who were killed, maimed, and kidnapped. This was the day when the IDF wasn’t there to defend the people it was created to protect. This was the day when—livestreamed on social media—distraught family members saw their loved ones carried away, like livestock, into Hamas captivity in Gaza. This was the day when—in a horrifying echo of the Holocaust—defenseless Jewish mothers, citizens of a sovereign Jewish State, tried to keep their babies from crying as armed men lurked outside, listening to ascertain whether anyone was alive inside the home, before setting it on fire. This was the day when many Israelis, already mistrustful of their elected representatives and worn out by internal divisions, may have finally lost faith in their national leaders or, worse, in the core institutions of their nation state. Where was the army when murderous gunmen broke into our homes deep inside Israel itself?

Over the coming days, Israelis will bury and mourn their dead. Military and civilian funerals will saturate the country in grief and anger. There will be calls for revenge alongside pleas for caution and mercy. Pressure will mount to release the kidnapped, especially the many children and women seized by Hamas and PIJ. At the same time, the residents of Gaza will suffer bombings and worsening humanitarian conditions. The IDF will scramble to prevent further infiltrations from Gaza, restore the border fence, hunt down Hamas operatives, and keep Hezbollah out of the fight. It will then, in all likelihood, conduct some type of ground operation inside Gaza; a maneuver that Israel will consider essential to restoring deterrence, but which may, paradoxically, compel other Iranian proxies—and possibly Iran itself—to enter the war. 

Fifty years ago, in the aftermath of the 1973 Yom Kippur War, Israel appeared broken, internally torn, and internationally isolated. Yet, it proved itself remarkably resilient. Can Israel gather itself again from the terrible blow it sustained on October 7th? I have no doubt that it can.

Amichai Magen is the director of the Program on Democratic Resilience & Development at Reichman University’s Lauder School of Government, Diplomacy, and Strategy. He is a Visiting Professor and Fellow in Israel Studies at the Freeman-Spogli Institute for International Studies at Stanford University.

A- , U-, I-, … und ewig so fort

1.

Ich schreibe hier nicht zum Krieg der Hamas gegen Israel. Ich beginne aber mit einer bespielhaften Überlegung von Miron Mendel im DLF, 15.10., 8.10: beim Terrorangriff der Hamas auf Israel sind auch Palästinenser ermordet worden, von der Hamas getötet, z.B. beim Musikfestival. Und: wenn der Krieg zu Ende sein wird, dann wird auch die Vorgeschichte von Netanjahus rechtsradikaler Regierung zum Thema werden. Das wird selten so klar gesagt in der zerfasernden Solidarität. Ich füge hinzu: sprechen wir hier nicht von Schuld, sondern erstmal von Verantwortung. Und: Ursachen und Anlässe des Terrors sind niemals deckungsgleich, und die Folgen für die Existenz Israel als einigendes Band für unsere Solidarität müssen die Ursachen bedenken und nicht den Jahrestag des Yom Kippur Kriegs und andere Symbole. Und zu Netnjahu und seiner rechtsradikalen „Regierung“: NUR wenn Israel überlebt, wenn Israels Existenz gesichert ist, kann man Netanjahu den Prozess machen. Wenn nicht, dann ist es egal, was mit ihm geschieht.

Ich schreibe aber nicht zum Krieg der Hamas gegen Israel.

Analogie: Terror der Aktualität: michaeldaxner.com 20.2.2022; Lesehinweis: Herfried Münkler: „Der Worst Case war nicht vorgesehen“, 12.10.2023, ZEIT #43, 58

Das eine überlagert das andere. Afghanistan ist weitgehend verdrängt, sowohl die Niederlage von USA und also auch Deutschlands als auch die Machtübernahme durch die Taliban; die Ukraine, vor zwei Wochen noch ganz wichtig, heute weitgehend aus den Schlagzeilen. Deutschland, Europa, „Wir“ betrachten die Ereignisse SCHEINBAR objektiv aus der Draufsicht derer, die alles besser wissen oder sich vor diesem Wissen drücken, es draußen vor lassen. Was haben wir mit Afghanistan zu tun? was mit der Ukraine? Wo sind die Analogien zwischen Hitler und Putin, zwischen Putin und Stalin, zwischen den großen und den kleinen Diktatoren, wenn wir doch mit den meisten nicht ethisch, sondern pragmatisch oder abhängig kommunizieren?

Ich kenne Afghanistan, sagen wir, ganz gut. Und ich weiß, dass zur Zeit ca. ein Drittel der Bevölkerung verhungert. Was hat das mit uns, mit Deutschland, mit der NATO, mit unseren Verbündeten zu tun? Und was mit unseren Gegnern? Vielleicht erinnert Ihr euch, in einem Blog vor wenigen Tagen habe ich Notwendigkeit beschrieben, die Geschichte so zu studieren, dass wir die JETZT eingetretenen Ereignisse nicht nur nachvollziehen, sondern verstehen können. Dazu gehört Wissen, nicht unbedingt Wissenschaft, aber eine Bildung, die das neoliberale Gegenwärtige übersteigt. Bildung, die in den alten und neuen Diktaturen ausgeblendet wird, sei es durch Krieg und Terror, durch den Nationalismus oder die Religion oder beides.

Die Berichterstattung erzeugt ziselierte Feinheiten an den Bildern, die wir – hoffentlich wir – schon kennen, die Wahrheit in unseren Träumen, wo die Wirklichkeit nicht mehr oder noch nicht ist. Über die Träume schreibt mein Grüner Freund Sergej Lagodinsky in der FAZ am 13.10., nicht nur gegen die wirklichen Zerstörer, sondern vor allem gegen die Gleichgültigen, die „unauffälligen Schweiger“, die „unterkühlten Relativierer“.

Zurück zu Afghanistan: es ist den Relativierern zu weit weg. Zurück zur Ukraine, die wird gerade in den Schatten gestellt, weil Israel grell aufscheint. So, wie bei Lagodinsky der Traum eine nicht begrenzbare Funktion hat, so haben bei uns die Wahrnehmungen von mehr als einer Wirklichkeit keine Grenzen – außer von uns selbst gesetzte. Das aber darf nicht sein. Die Gleichzeitigkeiten des Schrecklichen, des Unmenschlichen sind keine Überforderungen des Gefühls und schon gar nicht der Realpolitik des Einsnachdemanderen. Es sind diese Gleichzeitigkeiten, die uns die Wirklichkeit unserer Zeit überhaupt erst wahrnehmen lassen, und das führt zu den Wahrheiten, nicht umgekehrt (deren Ordnung ja verordnet wird).

Sergej: “ Und betroffen sind nicht nur Juden, betroffen ist jeder, der den Traum von Demokratie und Aufklärung zu träumen wagt“. Kein einfacher Satz von oben. Der Traum von Demokratie und Aufklärung ist ja noch nicht Wirklichkeit, er braucht keine Erörterungen über seine Ausgestaltung, sondern Praxis, die uns dann erörtern, kritisieren und weiter handeln lässt. Und: man wagt zu träumen, man muss die Träume nicht aus dem Bewusstsein verbannen, um beruhigt aufzuwachen.

*

Die Realpolitiker warnen vor Überforderung. Vor welcher? der Geldbörsen, der Freizeit und des Wohlbefindens? der Sicherheit? Sicherheit bedeutet in der Demokratie etwas anderes als in der Diktatur. Die postmodernen Vergleiche sind gefährlich, die Gleichsetzung oft tödlich.

Das macht die gegenwärtigen Diskurse so schwer erträglich, dass die gleichen Begriffe und Forderungen auf Unvergleichbares angewendet wird. Aber um die Träume zu verwirklichen, kann man die Stunden des Wachseins nicht überspringen.

Über die Sprüche des Rabbi Hillel , nicht nur den einen „wann, wenn nicht jetzt“, kann man getrost heute nachdenken. Nicht so tun, als wäre man der kritische Beobachter des Schrecklichen wie des Besseren, man ist immer mittendrin. Und dann kann man nicht unparteiisch sein und abwägen, anstatt zu handeln, weil man weiß – was die Ukraine, Afghanistan, die Hamas betrifft, weiß man, man ist Hillel gefolgt „Jetzt geh hin und lerne“. Haben wir das nicht schon begriffen? Man muss sich nicht auf die Sprüche der Väter beziehen. Untertauchen, als ob man es nicht begreifen kann, was geschieht und wo man steht, nein, nicht steht, wohin man sich bewegt. Dieses Als-ob hat vielen Menschen Leben und Traum gekostet.

Nein, so nicht….eine Kritik

Vor einem halben Jahr haben wir uns Karten für eine Monologdarstellung des Ferdinand von Schirach in der Berliner Philharmonie besorgt, in diesen Tagen hätten wir es wahrscheinlich ohnedies nicht getan. So waren wir unter den Hunderten im gut gefüllten Saal und schauten uns nach 90 Minuten fragend an, was das soll. Er führt sein neues Buch „Regen“ als Monolog selbst auf, aber nicht als Werbung, die braucht er nicht, sondern wohl als selbstbezügliches Kunstwerk. Naja. Gespaltenes Publikum, mäßiger Applaus, selten ein paar Lacher. Die Rezension lohnt eigentlich nicht, schade nur um den Abend, die Karten waren teuer, und ehrlich: so einen Text hätte man auch selber unter Zeitdruck am Tag zuvor zusammenschreiben können.

Tausend Themen, immer nur angetastet, nie ausgeführt, das geht schon, aber dann müssen Pointen, Winkelzüge, Fallen, Sackgassen drin sein und das Publikum animieren, weiterzudenken oder auch sich zu überschlagen. Kalauern wie beim Spott über den Rucksack in der Stadt, Berufskenntnis verbreiten, wie beim Leitfaden des Schöffen, dem Voreingenommenheit unterstellt wird in einem Mordprozess, und wieder Kalauern, Stadt statt statt.

Die Kritik von Holger Heimann, die ich nach der Aufführung gelesen habe, sagt schon fast alles. https://www.ndr.de/kultur/buch/tipps/Regen-Ferdinand-von-Schirachs-neues-Werk-nur-schwer-ertraeglich,vonschirach120.html . Aber etwas hält mich am Thema fest. Frühere Bücher des FvS waren ja lesbar, ich bewerte sie als „ganz gut“, und da war immer eine Brücke zwischen Fiktion und Wirklichkeit, die beim juristischen Umfeld ganz spannend ist. Der Monolog aber tut so, als ob eine wirkliche, ganz persönliche und existenzielle Botschaft in das scheinbar nur so dahin Geplauderte eingewoben werden sollte, hä? da ist aber nichts. Und man ertappt sich, dass mancher innere Monolog nur so tut, als ob er vor Publikum gehalten würde, – in Wirklichkeit bleibt er bei einem selbst, wird vielleicht noch meta- analysiert oder verworfen – und kehrt dorthin zurück, wo er hingehört: nicht ins Öffentliche, nicht ins Dargestellte, weil er eben auch nicht auf Reaktionen hoffen darf.

Und dann blitzte es plötzlich auf. David Grossmann, einer der großen und guten Israelischen Autoren, hat ein sehr schwieriges Buch geschrieben „Kommt ein Pferd in die Bar“ (Hanser 2016), Das hätte mehr als nur ein Vorbild sein können. Es ist im Lauf des Abends wieder zu mir gekommen. Auch gut.

Jüdische Stimmen

Traurig, aber wahr.

Das habe ich vor zwei Tagen zu Israel geschrieben:

Am 30. Juli hatte ich mich zu Israel geäußert, fast widerwillig, weil ich mir für dieses von mir sehr geschätzte Land, seine Gesellschaft, etwas besseres wünsche als die Regierung Netanjahu und weil ich viele der deutschen Kommentare nicht ertrage (Judemokratie, 30.7.2023, michaeldaxner.com). Seit gestern verfolge ich mit Bedrückung den Angriff von Hamas auf Israel und die Reaktionen. Informationen beziehe ich lieber von Ha’aretz als aus den meisten deutschen Medien.  „https://www.haaretz.com/israel-news“ . Es kann sein, dass die vereinte Reaktion aller Israelis mehr Demokratie und Freiheit wieder herstellt, denn es gibt keine Alternative zur Abwehr der Angriffe von Hamas und Hisbollah. Aber das heißt auch, dass die Geschichte dieser Auseinandersetzung nicht dem Augenblick geopfert werden darf, denn NUR dann kann man die Solidarität mit Israel durchhalten und trotzdem human und humanistisch argumentieren.

Ich füge hier die Kommentare von Hajo Funke und von Hanno Loewy an:

„Der Terror der Hamas: das Massaker an unschuldigen jungen Menschen während eines Friedensfestivals ist so ungeheuer und menschenverachtend, dass es einem die Sprache verschlägt. Meine Freunde in Israel sind nur verzweifelt: „schrecklich“. Das Trauma für alle, und für die Überlebenden besonders lässt sich nur erahnen. So wenig wir tun können: Solidarität!
Und weitere furchtbare Eskalation ist vorprogrammiert, ja sogar ein Flächenbrand ist denkbar, wenn es nicht bald zu einem Waffenstillstand kommt. (Vgl: Naher Osten/Nordafrika: Steht der Nahe Osten vor einem neuen Krieg? | IPG Journal (ipg-journal.de) Zu dem Unfassbaren gehört, wie wenig die israelische Regierung unter Netanjahu und seine Sicherheitsbehörden vorbereitet waren. Darüber schreibt die Haaretz in vielen Beiträgen, ich glaube zurecht. Auch Hanno Loewy, der langjährige Leiter des jüdischen Museums Hohenems, den ich aus dem ORF Radio Vorarlberg beispielhaft zitieren möchte:

Der Angriff der Hamas sei keine Reaktion auf eine aktuelle politische Situation, vielmehr sei er von langer Hand geplant worden. Das Datum sei seit 50 Jahren bekannt. „Dass die israelischen Geheimdienste, das Militär auf diese Gewalt nicht vorbereitet war, ist das eigentlich für mich Unglaubliche, Unfassbare. Weil damit hätten sie rechnen müssen, dass da was passiert an diesem Tag. Dass ist etwas, das die Menschen völlig fassungslos macht, dass diese Regierung mit vielen Dingen beschäftigt war, nur nicht damit, die Menschen im Land zu schützen, sondern damit beschäftigt war, diese Gesellschaft zu spalten“, bestätigte der Kulturwissenschafter seine Kritik in Hinblick auf den von Ministerpräsident Benjamin Netanyahus Regierung vorangetriebenen umstrittenen Justizumbau gegenüber der APA. Es ziehe sich ein tiefer Riss durch die israelische Gesellschaft, die nun völlig unter Schock stehe.

Etwas wie einen Nahost-Frieden sah Loewy nun in noch weitere Ferne gerückt. „An eine Zwei-Staaten-Lösung glaubt eigentlich niemand mehr, sie wird von beiden Seiten unmöglich gemacht“, so Loewy. Teil des Problems sei, dass die Menschen, die dort lebten und eine Form des Zusammenlebens entwickeln müssten, permanent von außen gegeneinander in Stellung gebracht würden. Es gebe sowohl bei den Israelis als auch den Palästinensern nur eine winzig kleine Minderheit, die über einen gemeinsamen Staat nachdenke. Aus seiner Sicht führe aber nur ein Weg aus der Gewaltspirale, nämlich ein gleichberechtigtes Zusammenleben, davon sei man weiter entfernt als je zuvor.

Mit den Bildern und Videos von Gräueltaten, die in Umlauf sind, wolle die Hamas Angst und Schrecken verbreiten und ihren Führungsanspruch durch ihre Gewaltbereitschaft untermauern. „Was sie nicht versteht, vielleicht nicht verstehen will, ist dass das nur die Bereitschaft zu mehr Gewalt motiviert. Angst ist für niemanden ein guter Ratgeber“, so Loewy. Evolutionär seien Menschen bei Angst dazu bestimmt, wegzulaufen. „Aber weder die Israelis noch die Palästinenser können weglaufen – wohin auch? Beide Seiten träumen dennoch davon, dass die andere Seite verschwindet“. Er rechne nach weiteren Tagen mit Gefechten mit einem Einmarsch Israels in Gaza. Doch selbst, wenn die Hamas das überleben würde, sei diese danach nur noch weiter davon entfernt, was sie eigentlich wollte. „Alles, was jetzt passieren wird, wird einen riesigen Blutzoll fordern, aber an den Problemen nichts ändern“, sagte Loewy.

Vgl: https://www.msn.com/de-de/nachrichten/politik/direktor-des-j%C3%BCdischen-museums-hohenems-kritisiert-israel/ar-AA

Und weiter, weil es einem keine Ruhe lässt. Die Kommunikation mit meinen Freunden in Israel gebe ich hier nicht wieder. Nachrichten aber lassen mich nicht in Ruhe, immer wieder schaue ich, was Ha’aretz sagt, was die BBC sagt. Und auch das gehört zu meinen Reaktionen: die mehrfache Erwähnung der „Besonderheit der <<deutschen>> Reaktion“…macht mich ärgerlich gegenüber diesem Land. Als vor etlichen Jahrzehnten Tel Aviv angegriffen wurde, als es auch nicht klar war, wie Israel sich von seinen Feinden befreien konnte, war eine „deutsche“ Reaktion Geld und die deutsche Geschichte. Dass DIESE Erinnerung hochkommt, macht mich besonders sensibel gegenüber den Kommentaren, nicht nur deutschen, auch manchen aus der UNO und anderen. Ich will nicht kommentieren, wo manches evident ist: Es geht um das Überleben von Israel, Gesellschaft und Staat. Es geht erst in zweiter Linie zur Korrektur der inneren Situation in Israel, nicht der inneren Situation äußerer Kommentatoren. Überleben heißt auch nach den Regeln der Selbstverteidigung zu handeln und nicht nach den Abmachungen nach etwaigen Verhandlungen. Was mich irritiert ist auch, dass schon nach einem Tag wieder die Relativierung des Konflikts die eigene Position vorsorglich absichert, vorsorglich…hier gilt die Analogie zur Absicherung nach allen Seiten wie bei der Ukraine, wie in Afghanistan, wie beim Verachten der Flüchtlinge …

Es geht um das Überleben von Israel.

Mehr als … Horror, Drama, Schicksal? Ach was.

Was nie wirklich wurde, wird immer wieder aufgerufen: Über die Aktualität des Weltuntergangs

Christian Hoffstadt 11.12.2012, er wurde heute im Radio wieder zitiert, und die Website ist voll vom Ende (lest einmal: https: Weltuntergang 2023). Anlass genug zur Satire.

Was wirklich ist, wird fast immer als Vorbote stilisiert, und wenn die Menschen nach dem Datum weiterleben, reduziert oder ausgeblendet. Anlass genug zur Ironie über den Fortschritt der Evolution.

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Kein guter Tag. Der gestrige Angriff der Hamas auf Israel, das Erdbeben in Afghanistan, sozusagen beides ON TOP of Ukraine, AfD und deutscher Hysterie.

Ich hatte mir zum Prinzip gemacht, den Krieg Russlands gegen die Ukraine und Europa nicht in meinem Blog zu kommentieren. Ich muss das Prinzip nicht erklären, solange ich mich daran halte.

Am 30. Juli hatte ich mich zu Israel geäußert, fast widerwillig, weil ich mir für dieses von mir sehr geschätzte Land, seine Gesellschaft, etwas besseres wünsche als die Regierung Netanjahu und weil ich viele der deutschen Kommentare nicht ertrage (Judemokratie, 30.7.2023, michaeldaxner.com). Seit gestern verfolge ich mit Bedrückung den Angriff von Hamas auf Israel und die Reaktionen. Informationen beziehe ich lieber von Ha’aretz als aus den meisten deutschen Medien.  „https://www.haaretz.com/israel-news“ . Es kann sein, dass die vereinte Reaktion aller Israelis mehr Demokratie und Freiheit wieder herstellt, denn es gibt keine Alternative zur Abwehr der Angriffe von Hamas und Hisbollah. Aber das heißt auch, dass die Geschichte dieser Auseinandersetzung nicht dem Augenblick geopfert werden darf, denn NUR dann kann man die Solidarität mit Israel durchhalten und trotzdem human und humanistisch argumentieren.

Und nun äußere ich mich zum wiederholten Mal zu Afghanistan. Ich habe gerade das Buch von Andrew Quilty durchgearbeitet, „August in Kabul“, über die letzten Tage der Besatzung. (Quilty 2023). Neben AAN ist das die beste Quelle zu Afghanistan überhaupt (und leider nicht die parlamentarischen Ausschüsse in unserem Land, aus vielen Gründen). Aber nicht aus positivistischen oder faktischen Gründen, sondern aus der Darstellung des Desasters anhand von wirklichen, nachvollzogenen Schicksalen einzelner Menschen, oft ihrer Familien, in den letzten Tagen vor dem Sieg der Taliban und in den Tagen unmittelbar danach. Auch hier keine Statistiken, keine Gewichtungen: Menschen, Frauen, Kinder, Alter, andere. Und natürlich politische und moralische Kritik. Deutschland hat, an der Seite der USA, in den letzten Kriegstagen bei der Rettung viele Afghaninnen und Afghanen, die mit unseren Streitkräften und der Diplomatie zusammengearbeitet hatten, die uns vertraut hatten, versagt. Das macht die Kritik an den USA nicht geringer. Aber auch – das ist mir wichtig – die Kritik an denjenigen Afghanen, Männern hauptsächlich, die ihren weiblichen Familienmitgliedern die Rettung schwer bis unmöglich gemacht haben, erschreckende Beispiele.

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Überzeugungen und Moral können nicht aus dem idealen Nichts entstehen, sondern nur aus der be- und verarbeiteten Wirklichkeit. Die schlägt allemal verbreitete Wahrheiten und Festlegungen auf Interpretationen, wie das Religionen und politische Leitkräfte benutzen.

Warum ich aus der Depression heraus einen Blog schreibe? Weil das auch dazu beiträgt, nicht in Endzeitstimmung zu verfallen. Man kann den AfghanInnen bei uns helfen, ohne sie zu bereden, das lässt sich belegen und bezahlen, und man kann den AfghanInnen in ihrem Land, sehr beschränkt, auch helfen, das muss ich hier nicht ausbreiten. Man kann den Menschen in Israel helfen. Auch gegen die Emanationen antisemitischer und antiisraelischer Art, wie sie sofort wieder aufknospen, den wirklichen Strauß an Konflikten in der Region verleugnend. (Morgenpost, 8.10.2023, 10:25, Charlotte Bauer; Berlin: Polizist durch Steinwurf leicht verletzt | tagesschau.de 😉 Es gibt bei uns noch nicht viel öffentlich neues. Zur Pro-Israel Demonstration: AFP (So., 8. Oktober 2023 um 4:05 AM MESZ) und aus Österreich: Österreichs Politik solidarisch mit Israel, pro-palästinensische Kundgebung in Wien – Österreich – derStandard.de › Österreich.

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Was evident ist, muss nicht nach-rekonstruiert werden, um vielleicht abgemildert oder verbogen, verlogen zu werden. Es gilt die Wirklichkeit. Das hat die Hamas gewusst, und ihre Unterstützer wissen es auch. So wird es bestimmt nicht Reformen der israelischen Innenpolitik von außen, von der Front bewegen. Aber in Israel kann die Verteidigung gegen die Gewalt der Hamas zu mehr Demokratie und Solidarität führen.

Quilty, A. (2023). August in Kabul: America’s Last Days in Afghanistan. Londonj, Bloomsbury.

Faschismus — schon wieder?

Ungarn, Polen, vielleicht schon bald die Slowakei, und vielleicht Österreich, und … Die EU wird nicht plötzlich auseinanderbrechen, sie dissoziiert, zersetzt sich und wird zersetzt.

Der interne Zersetzungsprozess in Deutschland weist analoge Züge auf.

DIE ZEIT FAULT UND KREISST ZUGLEICH . Oft zitiert, aber selten weiter gelesen: „Der Zustand ist elend oder niederträchtig, der Weg heraus krumm. Kein Zweifel aber, sein Ende wird nicht bürgerlich sein“. (Bloch 1962 (1935)), S.15

Nicht bürgerlich? Demokratisch oder faschistisch.

Faschismus hat die Wortgabe, für alle – Faschisten wie Antifaschisten – ein so einfaches Schimpfwort zu sein wie wenige andere. Als Wort ist es abgegriffen, und als Begriff kaum bewältigt. Es ist jedenfalls nicht „demokratisch“, den Begriff deshalb nicht zu bilden oder scheu zu umschreiben.

Vor den Wahlen – man ist immer vor den Wahlen – überbieten sich die restdemokratischen Wahlkämpfer mit populistischen Programmen, gegen Flüchtlinge, lasst sie ertrinken, unsere Steuern helfen den Seenotrettern nicht, gebt ihnen kein Geld, sondern abgelaufene Lebensmittel, und lasst sie nicht arbeiten, für Flüchtlinge gilt die Menschenwürde nicht…nicht alle denken und reden so, aber viele, zumal aus dem christlichen und nationalistischen Bereich, aber nicht nur. Dass die Nazis von der AfD davon profitieren, lässt die Gegner, die ja nicht per se demokratisch sind, hier nachahmen, so wie die rechten Parteien vor 1933 sich an die Nazis angeschmiegt haben, nur nicht so vulgär sein wollten, aber schon in der gleichen Brühe fischend.

Ähnlich wie beim F-Wort wird dieser Vergleich brüsk von sich gewiesen, die Umstände seien doch alle anders. „Anders“ sagt nichts. Wie sind sie denn, die Umstände?

Nochmals Bloch: „Humanität unterscheidet den Sozialismus vom Faschismus“ (S. 163). Heute kennen wir hinreichend viel inhumanen Sozialismus, um die Unterscheidung präziser zu gestalten.

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Es ist eingetreten, was ich befürchtet hatte, nach der Auflösung des sowjetischen Imperiums. Ich kann mich nicht dafür loben, kann auch die damaligen Kontroversen nicht aufarbeiten, alles im Nebel von Vergangenheit: die Ausweitung der EU, ihre Vermehrung um ex-kommunistische Satelliten, war vielleicht langfristig richtig gedacht, aber kurzfristig nicht richtig getan. Das war meine These.

Analogie: die Millionen deutscher Nazis wurden ja 1945 am 8. Mai nicht plötzlich zu demokratischen Bürgern.

Die Millionen nach 1945 unterdrückter Bürger im stalinistischen, später post-sozialistischen Ostblock haben sich 1989 ja nicht alle aus den Strukturen befreit, in die hineingeboren und sozialisiert wurden, sondern eben nur ungleichzeitig, teilweise nur teilweise, … es wurde nicht annähernd aufrichtig darüber gedacht und gehandelt, wie lange die (Re-)Demokratisierung westlicher Gesellschaften jeweils gedauert hatte. Und dass wir  – „wir“ – uns im Westen mit der Erweiterung um den so genannten Osten auch verändern würden, sei es nur um die noch zunehmenden Probleme und Schwierigkeiten, war ja wohl keine herausragende Hypothese.

Analogie: auch wenn die Intervention der USA in Afghanistan zu rechtfertigen war, so musste ihr Versuch, das Land zu einem Verbündeten „des Westens“ zu machen, scheitern (über die Niederlage vgl. (Quilty 2023) und AAN).

Eines der Hauptprobleme ist, dass die Befreiung aus Unterdrückung, Schwäche, Abhängigkeit nicht von sich aus zu Demokratie, Humanität und Stärke führen muss. Kann, vielleicht. Muss nicht.  Dass Befreiung nicht Freiheit ist, wissen wir, wissen alle.

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Warum ich diese Gedanken heute besonders aktuell veröffentliche? Weil gestern und heute eine besondere Dichte von antidemokratischen, inhumanen und folgenschweren Äußerungen und Verhandlungen auf uns niederregnen, die zu Panik oder Resignation führen könnten, wären sie nicht gleichzeitig so absurd. Die Regierung in Israel tut gut daran, die Angriffe der Hamas aus dem Gaza heftig zu beantworten (DLF 8.00). Weiter: NATO alarmiert über Lage im Kosovo. Melonis „Brüder Italiens“ weiterhin stärkste Partei Italiens. Berlin will künftig Seenotretter nicht mehr unterstützen. Verdächtige am Mord an Ecuadors Präsidentschaftsbewerber tot. Russische Raketen trafen Odessa…und so weiter (alles ORF.at(#)). Die Wirklichkeit zerfetzt nicht nur heute Parteiprogramme, Sonntagsreden und Wahrheiten. Immerhin lenkt das von den Umweltproblemen ab,…

Alltagsfragen sind, ob und wie eine faschistische Regierung richtig handeln kann, welche Fehler einer demokratischen Regierung nicht und welche schon zu tolerieren sind, wie unsere Gedanken die politische, soziale und kulturelle Welt ordnen.

Sicher ist es falsch, die eigene Meinung und die Interpretation der Wirklichkeit nach linearen Extremen zu ordnen, rechts-links, nord-süd, demokratisch-autoritär etc. Zu Recht werden viele gegenwärtige Ideologien dem traditionellen Muster des Manichäismus zugeordnet: “ In der Gegenwart wird der Begriff verwendet, um Ideologien zu kennzeichnen, die die Welt ohne Zwischentöne in Gut und Böse einteilen, wobei sie den Feind zum existenziell bedrohlichen, wesenhaft Bösen stilisieren. Dem liegt zumeist ein eschatologischer Zug zugrunde. Als manichäisch in diesem Sinne werden in den Sozialwissenschaften etwa christlicher Millenarismus,[12] Antisemitismus,[13] der Nationalsozialismus[14] und verschiedene Verschwörungstheorien[15] beschrieben“ aus: Manichäismus – Wikipedia. (9.10.2023). Der eschatologische Zug ist nicht marginal, denn das Weltende entbindet viele partikuläre Gruppen der Verantwortung für andere Menschen und Nachkommen.

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Man braucht diese und andere Überlegungen, damit man die (Selbst)Darstellung von Exponenten der absurd destruktiven Politik nicht einfach ins Irrelevante, Blödsinnige – oder im Alltagsgebrauch „faschistische“ abtut. Es gibt nämlich bei all dem eine Attraktivität des „Bösen“, die das „eigene Gutsein“ wenigstens für die eigene Umgebung erhöht.

Und man muss überlegen, welche Mittel es gibt, solchen Spuk wie den erklärbaren, aber dennoch irrwitzigen in Ungarn oder Polen oder herunterzubrechen auf die Normalität der noch lange nicht gefestigten Demokratie als Lebensform und nicht bloß Verfassungshülle. Das ist Politik, nicht einfach freie Meinung.

Bloch, E. (1962 (1935)). Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt, Suhrkamp.

Quilty, A. (2023). August in Kabul: America’s Last Days in Afghanistan. Londonj, Bloomsbury.

EU Flüchtlingsverfolgung: Contra

1.

Bitte lest erst einmal: https://verfassungsblog.de/fur-einen-menschenrechtspakt-in-der-fluchtlingspolitik/

aufgrund der aktuellen politischen Debatten haben Prof. Dr. Dr. Maximilian Pichl, Prof. Dr. Nora Markard … eine Stellungnahme für einen Menschenrechtspakt in der deutschen Flüchtlingspolitik initiiert. Die Stellungnahme wurde von 270 Forschenden im Asylrecht und der Fluchtforschung erstunterzeichnet.

2.

Bitte hört Anton Hofreiter, 5.10.2023 DLF 7.10-7.30 zu Flüchtlingspolitik und zu Deutschlands Förderung des russischen Ukrainekriegs, weil der durch Nichtlieferung und Spätlieferung von Waffen begtünstigt wird.

3.

Das haben die Grünen vor der Wahl 2021 gesagt:

Das sagen sie heute: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/gruene-migration-100.html

oder: https://www.rnd.de/politik/fluechtlinge-gruene-jugend-strikt-gegen-asylverfahren-an-eu-aussengrenzen-3F3VMYPAVRHXHAV6GYVGHMHXIU.html

oder: Auswahl aus vielen Meldungen

4.

Im falschen populistischen Furor kann man hier in das Grünenbashing einstimmen oder die europäische, ja globale, Asylpolitik ebenso kleinreden wie die Unterstützung der Ukraine gegen den Aggressor Russland.

5.

Beides ist falsch. Aber in der komplexen Situation entweder zu spät zu handeln oder der neoliberalen Realpolitik nachzugeben, wie das Bundeskanzler Scholz tut, ist auch nicht richtig – und führt zu einem Einbruch der gemeinsamen demokratischen, republikanischen Werte, die nicht nur die EU zusammenhalten sollen. Aber da kann man nicht linear argumentieren, quasi: wir wissen was zu tun ist, also los, machen wir es.

6.

Die Faschisten Italiens halten die Flüchtlinge aus Afrika so wenig von Europa ab wie die Demokraten Spaniens. Die ungarischen, slowakischen, polnischen Faschisten und viele mit ihnen vertreten partikuläre inhumane Politik und zugleich folgen sie der EU dort, wo es um Ökonomie und nationale Stärkung geht. Die ambivalente Türkei wird von der NATO gepflegt und zerstört zugleich jedes Vertrauen in gemeinsame Werte.

Bei den Flüchtlingen ist die Sache komplizierter als bei der Ukraine. Und diese Kompliziertheit kann in kurzer Zeit nicht bewältigt werden, Quadratur des Kreises. Wenn wir drei Variablen herausgreifen, die zu keiner Lösung führen, weil sie real sind:

  • populäre Ablehnung der Aufnahme von Flüchtlingen als Gefährdung der nationalen Wohlständigkeit und Leistungsfähigkeit
  • humanitäre Beseitigung von Ankunftsgrenzen, dafür schnelle Eingliederung in den regulären Arbeitsmarkt im Aufnahmeland
  • wirtschaftlicher Druck auf Herkunftsländer, um die Rücknahme und Rückführung zu erzwinge

Wohlgemerkt: es gibt noch mehr. Also einigt man sich darauf, den Druck auf die Außengrenzen zu verstärken, bis diese durchbrochen werden, dann darf man Gewalt anwenden, um die Asylsuchenden zurückzudrängen…Oder man einigt sich darauf, den Aufenthalt der Geflüchteten so unmenschlich wie gerade rechtlich und moralisch scheinbar erlaubt, zu gestalten, das nimmt die Motivation, hierher zu flüchten…oder…

Weil alle möglichen Praktiken auch ihre politische, moralische, kulturelle Schattenseite haben, kann man kein fugenloses, unangreifbares Modell entwickeln und umsetzen. Man kann nicht, nicht: manche wollen das nicht.

Es geht nicht darum, keinen Kompromiss zu wollen, sondern worin dieser Kompromiss besteht. Es ist verlogen, jede Art von Abschwächung der menschenrechtlichen Asylregeln als Kompromiss zu bezeichnen, es ist verlogen, zwischen politischen und ökonomischen Fluchtgründen zu unterscheiden, um den Asylstummel, den wir noch haben, weiter aufzuteilen (als ob Hunger weniger lebensbedrohlich wäre als politische Verfolgung). Und wer den Kompromiss anbietet und durchsetzen will, ist auch wichtig. In Deutschland, dem reichen Deutschland, hat man die Grünen an die Wand gedrückt, um den schlechten EU Kompromiss durchzusetzen, allerdings mit der Bemerkung „besser als gar keiner“. Andererseits kann man von Geflüchteten, die hier sind, mehr verlangen: nicht primär Sprachkenntnisse (das war bei den x-tausend Gastarbeitern auch nicht der Fall), sondern primär Arbeitsverhältnisse gleich nach der Ankunft. Ob sie bleiben oder nicht, soll auch – auch – davon abhängen, ob sie Arbeit gefunden haben. Und es kommt darauf an, dass die Bevölkerung in Deutschland, sind ja längst nicht mehr alle „deutschblütig“,… sich aufgeschlossen und human zu den Ankommenden verhält, und nicht in der Abwehrhaltung der so genannten Christen und anderer Konservativer verschanzt…wie das Jahrzehnte lang der Fall war. WIR SIND EIN EINWANDERUNGSLAND.

F, NS, und nicht abtauchen

Man diskutiert Faschismus, man bezeichnet seine Gegner als Nazis, und man möchte nicht man sein.

Wer ist da wer im Spiel um eine Wiederholung, Wiederbelebung des Faschismus, global und auch hier, in Deutschland?

Ich bereite ein Buch mit Kolleginnen und Kollegen zum Thema Faschismus heute in englischer Sprache vor, und möchte einige Gedanken, sehr knapp, sehr rudimentär, erst einmal mit Euch und Ihnen im Blog teilen, auch um Antworten zu provozieren, Kritik und neue Ausblicke. Ausdrücklich möchte ich die Präsenz der unbedarften Äußerungen von Friedrich Merz und das Titelbild des SPIEGEL 39/2023 als erweiternde Anlässe zum Thema erwähnen, sind hier noch nicht verarbeitet.

?

Warum auf eine einfache Diskussion setzen, wo das Thema doch komplex ist? Komplex ja, aber man muss nicht die eigene Unsicherheit kompliziert und schwer verständlich ausdrücken.

Warum Faschismus als Thema? Weil ich vermute, dass wir lokal und global eine Entwicklung zu undemokratischen Systemen, also unseren gesellschaftlichen Gegnern, erfahren, auf die der Begriff des Faschismus besser passt als andere Bezeichnungen.

Es wird im Lauf dieser Überlegungen mehrere Möglichkeiten F eng oder breiter zu definieren. Allgemein gilt, dass Faschismus ein vielfältiges System mit Gegnerschaft zur staatlichen und gesellschaftlichen Demokratie ist, das bestimmte – unterschiedliche – Gruppen (ethnische, religiöse, kulturelle) diskriminiert und eine vertikale Machtausübung ohne Kontrolle durch die Bevölkerung ausübt. Die Gewaltenteilung ist tendenziell aufgehoben.

Wichtig für unseren deutsch-österreichischen Faschismus-Diskurs und die folgenden Überlegungen: Faschismus kann und soll nicht aus der nationalsozialistischen Praxis nach 1933, also der Machtergreifung durch die Nazis, definiert werden. Gängige Definitionen münden in der Zusammenfassung

Ab den 1920er Jahren wurde der Begriff für alle ultranationalistischen, nach dem Führerprinzip organisierten antiliberalen und antimarxistischen Bewegungen, Ideologien oder Herrschaftssysteme verwendet, die seit dem Ersten Weltkrieg die parlamentarischen Demokratien abzulösen suchten. Die Verallgemeinerung des Faschismus-Begriffs von einer zeitlich und national begrenzten Eigenbezeichnung zur Gattungsbezeichnung einer bestimmten Herrschaftsart ist umstritten, besonders für den deutschen NS-Staat.“ (Faschismus – Wikipedia)

Die Übersicht ist m.E. in Ordnung, aber im soziokulturellen und sozialen Teil nicht differenziert genug. Und ich selbst hänge an der Vorgeschichte des Faschismus, der die rechts-links-Achse oft nicht präzise bedient.

Ich verwende abgekürzt F für Faschismus, Faschismen, faschistisch, NS für Nationalsozialismus.

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Es ist auch ein Zeichen von Widerstand und Resilienz, sich nicht von einem Thema abbringen zu lassen, nur weil es unter Bergen von Kommentaren und differenziertem Müll begraben ist. Man kann kaum von F reden, ohne Langeweile oder Abwinken zu ernten, wissen wir doch alles, kennen wir, nicht schon wieder. Auch scheint es, dass vor allem in den Feuilletons und der Kultur F wieder an die Oberfläche drängt[1], ohne explizit beim Namen genannt zu werden, in der Politik eher verflacht.  

Diskurskritisch kann man Putins erfolgreiche und nicht dumme Verlagerung des F Vorwurfs, eher NS Vorwurfs, auf die Ukraine besser erklären als darauf zu reagieren, d.h. wirkungsvoll zu reagieren, dem Diktator etwas entgegnen.

Ich übe mich soliloquisch im Entgegnen, ich beobachte zwei Erscheinungen, die mich beunruhigen, mir die Angst aus Ohnmacht? hochsteigen lassen. Die eine: ganz positivistisch ist F globales Herrschaftsprinzip in so vielen Teilen, Ländern, der Welt, dass ich von globalem F spreche. Die andere: mich regt die Neigung nicht nur des Pöbels, sondern der umworbenen „Mitte“ vieler F-durchwirkten Gesellschaften auf, beim Erwähnen oder Darstellen des F wegzuschauen, sich wegzuducken. Man geht mit Meloni[2] um wie eben mit jedem italienischen Regierungschef, man lässt Nehammer mit Orban gegen Bulgarien und Rumänien die EU verarschen, und die EU reagiert nicht, die Schengenfrage entzweit die EU weiter. Innerhalb demokratischer Länder nehmen die F immer mehr unwidersprochenen Raum ein, Thüringen, Niederösterreich, nur um in der Nähe zu bleiben. Ich traue mir zu, mit ein bisschen Faktenstudium für alle Erdteile Details über F Staaten (Herrschaftsform) und F Gesellschaften (u.a. auch die Abschaffung von Demokratie auf demokratischem Weg) zu belegen, sie öffentlich zu diskutieren, Kritik an der Passivität auch unserer Regierungen zu üben. Cui bono? Und vor allem: wen interessiert es?

Ich muss mich vorab auf zwei Weltbereiche konzentrieren, um mich nicht in zu vielen Verästelungen zu verlieren: dem globalen Anwachsen des F, und der besonderen Aktion und Reaktion in Deutschland und Österreich. Global sind die Erklärungen für das Entstehen, Anwachsen und Agieren des F nicht einheitlich, lokal muss man das Verbindende aufsuchen.

Auch wenn die Erscheinungsformen von F in vielen Ländern sich fast deckungsgleich ähneln, sind sowohl die Entstehungsgeschichten als auch die Binnen- und Außenwirkungen unterschiedlich. Und viele Formen werden auch nicht sofort mit F assoziiert, wenn man nicht darauf gestoßen wird. Eine wichtige Marginalie: F bezeichnen sich selten und direkt als F. Müssen sie auch nicht. Die einen erkennen sie als F, ob sie es nun sagen oder herum-reden, die andern werden erst darauf aufmerksam, wenn die Ersatzbegriffe nicht mehr reichen, um die Wirklichkeit darzustellen, und viele interessiert es gar nicht, ob ein Regime oder ein System F ist, wenn es nur nicht demokratisch ist. Und für die Gegner – also die Demokraten, ich sage nicht: die echten, sondern: die wirklichen, – kommt der F als Begriff häufig nicht sofort thematisch vor, sondern nach einer Phase der Beschreibungsvielfalt, an deren Ende dann geschlossen wird, das ist F.

 F ist ein Syndrom, das überwiegend durch die Gegnerschaft zur Demokratie zusammengehalten wird, und eine Mehrzahl von Facetten hat, die überwiegend daraus abgeleitet werden, Führerprinzip, Einschränkungen von kritischen Sphären, Ausgrenzung bestimmter ideologischer und politischer Inhalte u.v.m. Zweimal „überwiegend“ bedeutet, dass solide F-Theorien noch wichtige ergänzende Zusatzelemente nennen – aber die Antidemokratie ist schon wesentlich. In Deutschland und Österreich kann man Spielarten des Syndroms gut studieren, zumal der Austro-F und der NS – in beiden Ländern, zeitverschoben, Einblick in radikale Wurzeln und Unterschiede erlauben.  F- Theorien sind schon wichtig, weil nicht jedes autoritäre System, nicht jede Diktatur primär F ist. Die Genese der F Wirklichkeit interessiert mich aus gegenwärtigen Gründen mehr als die Weiterentwicklung dieser Theorien, aber natürlich gibt es Schnittpunkte. Dabei sind manche Fragen sehr gesellschaftsbezogen, man könnte fast sagen national. Antworten aus meinem Repertoire konzentrieren sich auf „sozialistische“ Teilwurzeln mancher F, auch auf religiöse – katholische und evangelische, islamische, jüdische – und ethnische – zugleich, das ist wichtig, sind Teile dieser Wurzeln auch, nicht konsekutiv, auch Wurzeln des Widerstands gegen den F. Koloniale, postkoloniale und anti-koloniale Mitquellen sind ebenfalls ein Sektor der Variationsforschung. Es gibt für all diese Variationen gute und oft korrelierende Belege. Dass die ebenfalls zum F-Selbstverständnis gehörige ethnische, nationale oder rassistische Suprematie zählt, macht eine F-Wahrnehmung oft leichter als andere Suprematien autoritärer und diktatorischer Systeme und Strömungen.

Gut, werte Leserin, werter Leser, hier kann man Theorie, akademische Vergleiche von F und erste Schlussfolgerungen auf heute anschließen. Reicht mir nicht. Canettis Beobachtung vom ständigen Wachsen bzw. Zerfall von F (Canetti 1960) ist mir wichtig, und mehr noch die scheinbare Verständigung darüber, was am F dran sei und warum man ihn ablehnt (Kritik am Antifaschismus des realen Sozialismus, der Antifa, o.ä.)[3]. Ich kann auch erklärende Elemente der F-Kritik auf höherer Ebene, z.B. Arendt, Bloch, einfügen. Am ehesten bildet für mich Bourdieu eine Brücke zwischen all denen, aber das wird anderswo erklärt. Aber das geht neben den Anlass zu diesen Überlegungen. Mehrere Anlässe. Einer ist das unlösbar erscheinende Problem der Flüchtlinge für alle Formen von Demokratie, die in ihren Gesellschaften ernst genommen werden und sich als Demokratien ernst nehmen. Ein anderer Anlass ist die Beobachtung, dass es eine zunehmend sozial amorphe Masse gibt, deren F-Inklination nicht mit dem Zerfall von Klassen, mit der Macht und Gewalt von Digitalsystemen und der abenteuerlich großen Herrschaft kleiner Oligarchien und Partikularismen allein und widerspruchsfrei zu erklären ist. Klassen-Schicht-Milieu-usw. Theorien können assistieren, ethische und/oder moralische Metagedanken können zum Verständnis beitragen, v.a. der subjektive Wunsch nach erfolgreicher Widerständigkeit kann genährt werden – ABER die echten Einwände gegen diese Herangehensweise sind schon echte Abers.

Ich habe oben über Klima und Flüchtlinge, und den uns näher als andere gehenden Krieg der Russen gegen die Ukraine erwähnt, und da leuchten die Abers schon auf: Keine mir (und allgemein?) bekannte F-Bewegung hat auch nur ein wirkliches Konzept gegen den Klimawandel, keine Ablehnung der Flüchtlinge ist glaubwürdiger als die demokratischen Widerstände, und was den Krieg angeht, so ist die F Anlehnung an Putin nicht einfach erwartet, sie ist auch nicht selbsterklärend (das weiß Meloni[4], aber nicht Weidel).

Neben den aufgeworfenen Fragen und Problemen beschäftigt mich, bedrückt mich auch, dass aus der Geschichte des F anscheinend nicht das Mindeste gelernt wird[5]; dass sich der demokratische Widerstand in der Selbstzerlegung der eigenen Position oder im Austesten der Kompromisslinien erschöpft; dass dafür zuständige staatliche Stellen – nicht zivil-gesellschaftliche Gruppen – die Grundrecht F-gerecht auslegen, um sich ja nicht mit den F gleichzumachen, was damit ja objektiv geschieht; dass die eingangs beschriebene Oszillation zwischen Begriff, Schimpfwort und Zuschreibung öffentlich und nachhaltig nicht dekonstruiert wird. Es gibt noch mehr, klar.

Ich will es mit einem Umweg versuchen. Der von mir ernsthafte geschätzte, aber einseitige Evolutionsoptimist Harari lässt in seiner Altersprognose die Demenz aus (Harari 2016). Und die wachstums- und wohlstandsbesessenen Interpreten der jetzigen Situation lassen bei ihren Programmen den F aus. Harari ist meist besser als die Politik, aber die regiert halt – oder resigniert vorm neoliberalen Eswirdschonwerden, was analog viele Liberale um 1933 auch gedacht und gesagt haben. Das ist übrigens eines meiner Hauptargumente, sich nicht nur auf die AfD und andere Nazis zu konzentrieren, sondern die liberale Neigung des geringsten Widerstands bei an sich abgelehnten Alternativen als gefährlich im Auge zu behalten.

*

Befremdliche zusätzliche Hypothese: Nichtwahrnehmung des globalen und lokalen F hat mit evolutionärer Stagnation unserer Spezies zu tun. Zur evolutionären Stagnation. Wenn man alle seriösen Theorien und Vermutungen zur menschlichen Evolution ernst nimmt und weiterhin ihre Entwicklung vermutet, dann ist noch nicht geklärt, ob es einen Zeitpunkt der evolutionären „Erschöpfung“ geben kann/gibt, zu dem das rationale Bewusstsein von Wirklichkeit diese nicht mehr so umfassend begreift wie bisher – wichtig: warum auch immer? ist nicht kurzfristig zu beantworten. Ebenso wenig, ob es eine „Erholung“ im Sinne der längst abgearbeiteten zyklischen Geschichte gibt. Darum geht’s mir jetzt nicht. Ich suche nur auch, auch, in der Evolutionstheorie Anhaltspunkte für den Realitätsverlust vieler Gesellschaften. Etwas zynisch, aber vielen Wahrheiten steht eine verbindende Blindheit vor der Wirklichkeit gegenüber.

Hier erwarte ich vielfältige und vielleicht auch heftige Kritik. Jede zusätzliche Erklärung im Kontext ist wichtig, warum die Realitätsverweigerung nicht nur sektoral, sondern in gewissem Sinn auch systemisch große Bereiche der Politik, also der Steuerung von gesellschaftlicher Wirklichkeit, erfasst. Auch ohne diese Hypothese steht der Rest der Überlegungen.

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Einschub: Reinhold Wagnleitners wichtiges Buch Coca-Colonisation und Kalter Krieg. Die Kulturmission der USA in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg (1991), bis heute in den USA aktuell:  (Wagnleitner 1994).  Ich muss dieses Buch im Kontext erwähnen, weil es die amerikanische Politik der Be- und Verarbeitung des F in Österreich unvergleichlich und detailgenau abhandelt, indem es Kultur nicht als Anhängsel, sondern als Bestandteil von Politik und Gesellschaft begreift und ihre Wirklichkeit im Kontext beschreibt, und vor allem, weil es den F und NS vor 1945 in seinen Nachwirkungen und Konstellationen in Argumente einbaut, die Deutschland und Österreich an entscheidenden Stellen differenzieren. Dazu kommt die Auswirkung der beiden einander folgenden F in Österreich und die teilweisen Überblendungen in der Zweiten Republik, bis es irgendwann – jedenfalls nicht vor Wagnleitners Buch, nicht mehr zusammenhalten konnte. Die Langzeitwirkung des F in Österreich erfahren wir nicht erst heute. Aber heute brutal, deutlich und von den herrschenden Eliten nicht gebremst, von den Widerständigen zwar kritisch und sachlich angegriffen, aber noch ohne politischen Konflikt, der Fragen über die weitere Oberfläche der österreichischen Demokratie stellt.

Der Anschluss dieser Überlegungen an die Nachkriegszeit ist schwierig nachvollziehbar. Soweit ich mich an Schulzeit und Diskussionen erinnere, gab es immer die gleichen Kontroversen: der F ist, beendet oder versickert, kein wahrnehmbares Kennzeichen der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit; oder gegenteilig: der F war nie richtig beendet und ist es jeweils gegenwärtig nicht. Daraus wurde jeweils die Legitimation von politischen und kulturellen Überzeugungen bzw. die Kritik daran. Es gab hier keine einheitliche Linie, aber Symptomfelder. Eines war F=Kapitalismus als Argumentenbrücke von `68. Ein anderes die Relativierung des zugegeben Bösen im F durch seine partiellen Erfolge. Dieses Symptomfeld spielte in der deutschen Ost-West Kontroverse eine größere Rolle als in Österreich. Gleichermaßen und früher in der Nachkriegszeit war der Ersatz der F- und NS- Kritik durch Antikommunismus. Damit war ein gefährlich unsicheres Feld der Stalinismuskritik,    Antisowjetismus und der prinzipiellen Nichtvergleichbarkeit der beiden „Systeme“ geebnet. Das spielte schon zu meiner Schulzeit eine Rolle und hat in gewisser Weise nie aufgehört, zumal ich doppelt staatsbürgerlich, doppelt gesellschaftlich deutsch vs. österreichisch denke.

Dazu ein vorzüglicher, beängstigender Essay von Barbara Tòth „…was alles möglich ist“, (Falter 38/23,12-15). Unter Bezug auf den deutschen Theoretiker Maximilian Steinbeis simuliert Tòth „den Fahrplan in eine autoritäre Republik“. (vgl. https://verfassungsblog.de/ein-volkskanzler/ 9.9.2019, lesenswert). Die sechs Punkte der Autorin simulieren analog einen Erfolg des Neonazi Kickl (FPÖ), der als Bundespräsident schon erheblichen Einfluss hätte, die lädierte Demokratie in eine F zu verwandeln, ganz ohne Fackeln und Stahlhelm.

Einschub: wenn man, werte Leserin, werter Leser, diesen Falter 38/23 als Modell des journalistischen und intellektuellen Widerstands gegen den F nimmt, dann wird man auf viele Namen und Argumente stoßen, die ich bisher schon hier eingebracht habe, Nehammer, Orban, Erdögan etc., aber auch die Mehrzahl von F Beteiligungen an Regierungen der EU etc. Seit langem ist der Falter beispielhaft, und er ist wichtig für Bildung und Kultur; nicht nur Berichterstattung über Bildung und Kultur, sondern Beitrag zur politischen Formierung demokratischer Kultur jenseits der Meinungen.

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Alle Analytiker von F sind sich einig, dass es einer gewissen Führergestalt bedarf, um den F herauszuführen, auch aus der Solidarität und dem Sozialismus, der ja in gewisser Hinsicht oft, bei Mussolini direkt, am Anfang der Entwicklung stand. Die linke Enttäuschung über die Laufbahn des Duce ist m.E. ein wichtiger Hinweis, dessen Analogien heute nicht direkt zu reproduzieren sind, aber ein Modell für den F darstellen. 1931 schreibt Adolf Saager (Adolf Saager – Wikipedia) dazu eine vor dem NS reflektierte Biographie von Mussolini, von Anfang an „enttäuscht“ im Wortsinn: Vom Rebellen zum Despoten (Saager 1931). Heinz Abosch rezensiert auch Georg Scheuers Genosse Mussolini und die Geschichte des Faschismus (Scheuer 1985). Ich habe das so genau dargestellt, weil Abosch zu Recht Hitlers Gefolge von Mussolinis Ideologie kritisiert und auf die späteren Unterschiede von F und NS hinweist. Das wäre heute ein wichtiges Argument. Es lohnt in diesem Zusammenhang sich mit Werk von Robert Paxton auseinanderzusetzen, Robert Paxton – Wikipedia, im konkreten Fall habe ich sehr früh eine Rezension über NS-F-Kultur Bearbeitet (Paxton 2017). Warum ist das heute so wichtig? Weil die zurückhaltende Verwendung von F, und die Unsicherheit in kulturellen Urteilen nach dem Tod der meisten Zeitzeugen auch eine Verarmung der unterschiedlichen Indikatoren mit sich gebracht hat, da gibt man sich lieber mit Begriffen wie Diktatur oder autoritärem Staat zufrieden. Ich denke aber, diese Geschichte und die unangenehmen Berührungspunkte zwischen Kommunismus und F/NS sind wichtig, weil z.B. die Abwehr der Sozialdemokratie durch beide Lager auch nicht zufällig zusammengekommen ist und kommt.

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Gegen Ende dieser Einleitung, die um Autorinnen und Autoren wirbt, noch einige Apercus. Beim Korrekturlesen dieses Textes kommt mir der Gedanke, das alles sei zugleich zu didaktisch und zu flanierend, also gespannt zwischen zwei sehr unterschiedliche Methoden. Mag sein, ich möchte ja motivieren, sich des Themas so anzunehmen, dass wir politisch denken und sagen können, warum ein Drittel oder mehr der Bevölkerung den F zuläuft. Und darüber möchte ich uns animieren, weil vielleicht in Österreich, vielleicht auch in Deutschland, die Wiederholung der F Farce möglich wird, aber nicht als Farce, sondern als Wirklichkeit – jenseits der Meinungsumfragen, aber auch jenseits der parteiischen Analysen, die nicht wollen, was ihren Grundüberzeugungen widerspricht – weil man schließlich demokratisch ist.

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Ich möchte einige Kolleginnen und Kollegen gewinnen, das Thema präziser und differenzierter zu bearbeiten. Und wir sollten einer Aufarbeitung in englischer Sprache zustimmen (Verlag usw. durchaus vorhanden), weil auch der Blick auf Deutschland (und Österreich) in dieser Weltsituation das Thema F wieder hochspült.

Arendt, H. (1980 (1951)). Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt, Ullstein.

Bataille, G. (1978). Die psychologische Struktur des Faschismus. Die Souveränität. München, Matthes&Seitz.

Canetti, E. (1960). Masse und Macht, Band 1. München, Hanser.

Harari, Y. N. (2016). Homo Deus. London, Vintage.

Paxton, R. O. (2017). „The Cultural Axis.“ NYRB.

Poeschl, T. (2018). Reflexionen eines einäugigen Kameramannes. Hohenems, Bucher.

Saager, A. (1931). Mussolini ohne Mythus. Vom Rebellen zum Despoten.

. Wien und Leipzig, Hess & Co. .

Scheuer, G. (1985). Genosse Mussolini. Wurzeln und Wege des Urfascismus. Wien, Verlag für Gesellschaftskritik.

Wagnleitner, R. (1994). Coca-Colonization and the Cold War. UNC The University of North Carolina.


[1] Ich nenne hier eine Anzahl von Artikeln aus dem seriösen Segment der Journalistik: Maxim Biller: Bruder Aiwanger, Zeit 39/2023, 43; Maximilian Sepp: Wie Rechte reden. Zeit 40/2023, 3; Martin Debes: Alternative für deutsche Geschichte, Zeit 40/2023, 18; u.v.m. Biller werde ich noch kommentieren, denn seine Folgerungen, wieweit „alle Deutschen“ Hitler waren und sind, können sinnvolle Verbindungen herstellen – oder sie sind Ornament, so wie sein „Bruder Aiwanger“ eben nicht wirklich zu „Bruder Hitler“ Passt.  Typisch für eine Verbindung des begrifflich weniger deutlich genannten F oder NS mit dem Antisemitismus ist eine Menge autobiographischer Bezüge zum Fortleben des Antisemitismus, letzthin Martin Doerry: „Immer diese grausame Angst“, Spiegel 38/2023, 110f. Im neuen Lettre 3/2023 wird die Beziehung von F zum Ukrainekrieg ausführlicher dargestellt. Damit sind einige Quellen bzw. tagesaktuelle Anknüpfungspunkte beispielhaft genannt.

[2] Vgl. Frank Hornig: Das Meloni-Modell, Spiegel 38/2023, 78;

[3] Hier gibt es eine Schwierigkeit der Konzentration auf den spezifischen Aspekt des Antifaschismus, den man gerade zur Erklärung braucht. `68 war die Literatur und Ausdrucksform unübersehbar, andererseits musste man den Begriff in der DDR immer erst dekonstruieren, um zu verstehen, was damit gemeint war. Ich mache hier einige Zugänge, die mich weiterführen:

Bataille, G. (1978). Die psychologische Struktur des Faschismus. Die Souveränität. München, Matthes&Seitz.

                , Arendt, H. (1980 (1951)). Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt, Ullstein.

                , Poeschl, T. (2018). Reflexionen eines einäugigen Kameramannes. Hohenems, Bucher.

                Ich habe die drei ausgewählt, weil sie wichtige Verbindungen herstellen, die zwischen F und Antisemitismus, die Herkunft von F, die Politik des F in wirklichen und nicht nur ideologischen Konflikten, die Differenz zwischen F und NS. Ich kann die Texte auch als Wegweiser durch die F Analysen der wissenschaftlichen Literatur empfehlen.

[4] Vgl. Frank Hornig: Das Meloni-Modell, Spiegel 38/2023, 78

[5] Im Interview mit dem Psychoanalytiker Kernberg (95) geht es v.a. um den normalen und den malignen Narzissmus. Aber da steht auch: „SPIEGEL: Sehen Sie Parallelen zum Aufstieg faschistischer Bewegungen Anfang des vorigen Jahrhunderts? Kernberg: Die Situation ist ähnlich…Die demokratischen Institutionen müssen verteidigt werden. Und es ist wichtig, dass schon Jugendliche lernen, welche Gefahren von der Verführbarkeit dieser großen Gruppen ausgeht“ Spiegel 39/2023, 94-96.