Man diskutiert Faschismus, man bezeichnet seine Gegner als Nazis, und man möchte nicht man sein.
Wer ist da wer im Spiel um eine Wiederholung, Wiederbelebung des Faschismus, global und auch hier, in Deutschland?
Ich bereite ein Buch mit Kolleginnen und Kollegen zum Thema Faschismus heute in englischer Sprache vor, und möchte einige Gedanken, sehr knapp, sehr rudimentär, erst einmal mit Euch und Ihnen im Blog teilen, auch um Antworten zu provozieren, Kritik und neue Ausblicke. Ausdrücklich möchte ich die Präsenz der unbedarften Äußerungen von Friedrich Merz und das Titelbild des SPIEGEL 39/2023 als erweiternde Anlässe zum Thema erwähnen, sind hier noch nicht verarbeitet.
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Warum auf eine einfache Diskussion setzen, wo das Thema doch komplex ist? Komplex ja, aber man muss nicht die eigene Unsicherheit kompliziert und schwer verständlich ausdrücken.
Warum Faschismus als Thema? Weil ich vermute, dass wir lokal und global eine Entwicklung zu undemokratischen Systemen, also unseren gesellschaftlichen Gegnern, erfahren, auf die der Begriff des Faschismus besser passt als andere Bezeichnungen.
Es wird im Lauf dieser Überlegungen mehrere Möglichkeiten F eng oder breiter zu definieren. Allgemein gilt, dass Faschismus ein vielfältiges System mit Gegnerschaft zur staatlichen und gesellschaftlichen Demokratie ist, das bestimmte – unterschiedliche – Gruppen (ethnische, religiöse, kulturelle) diskriminiert und eine vertikale Machtausübung ohne Kontrolle durch die Bevölkerung ausübt. Die Gewaltenteilung ist tendenziell aufgehoben.
Wichtig für unseren deutsch-österreichischen Faschismus-Diskurs und die folgenden Überlegungen: Faschismus kann und soll nicht aus der nationalsozialistischen Praxis nach 1933, also der Machtergreifung durch die Nazis, definiert werden. Gängige Definitionen münden in der Zusammenfassung
„Ab den 1920er Jahren wurde der Begriff für alle ultranationalistischen, nach dem Führerprinzip organisierten antiliberalen und antimarxistischen Bewegungen, Ideologien oder Herrschaftssysteme verwendet, die seit dem Ersten Weltkrieg die parlamentarischen Demokratien abzulösen suchten. Die Verallgemeinerung des Faschismus-Begriffs von einer zeitlich und national begrenzten Eigenbezeichnung zur Gattungsbezeichnung einer bestimmten Herrschaftsart ist umstritten, besonders für den deutschen NS-Staat.“ (Faschismus – Wikipedia)
Die Übersicht ist m.E. in Ordnung, aber im soziokulturellen und sozialen Teil nicht differenziert genug. Und ich selbst hänge an der Vorgeschichte des Faschismus, der die rechts-links-Achse oft nicht präzise bedient.
Ich verwende abgekürzt F für Faschismus, Faschismen, faschistisch, NS für Nationalsozialismus.
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Es ist auch ein Zeichen von Widerstand und Resilienz, sich nicht von einem Thema abbringen zu lassen, nur weil es unter Bergen von Kommentaren und differenziertem Müll begraben ist. Man kann kaum von F reden, ohne Langeweile oder Abwinken zu ernten, wissen wir doch alles, kennen wir, nicht schon wieder. Auch scheint es, dass vor allem in den Feuilletons und der Kultur F wieder an die Oberfläche drängt[1], ohne explizit beim Namen genannt zu werden, in der Politik eher verflacht.
Diskurskritisch kann man Putins erfolgreiche und nicht dumme Verlagerung des F Vorwurfs, eher NS Vorwurfs, auf die Ukraine besser erklären als darauf zu reagieren, d.h. wirkungsvoll zu reagieren, dem Diktator etwas entgegnen.
Ich übe mich soliloquisch im Entgegnen, ich beobachte zwei Erscheinungen, die mich beunruhigen, mir die Angst aus Ohnmacht? hochsteigen lassen. Die eine: ganz positivistisch ist F globales Herrschaftsprinzip in so vielen Teilen, Ländern, der Welt, dass ich von globalem F spreche. Die andere: mich regt die Neigung nicht nur des Pöbels, sondern der umworbenen „Mitte“ vieler F-durchwirkten Gesellschaften auf, beim Erwähnen oder Darstellen des F wegzuschauen, sich wegzuducken. Man geht mit Meloni[2] um wie eben mit jedem italienischen Regierungschef, man lässt Nehammer mit Orban gegen Bulgarien und Rumänien die EU verarschen, und die EU reagiert nicht, die Schengenfrage entzweit die EU weiter. Innerhalb demokratischer Länder nehmen die F immer mehr unwidersprochenen Raum ein, Thüringen, Niederösterreich, nur um in der Nähe zu bleiben. Ich traue mir zu, mit ein bisschen Faktenstudium für alle Erdteile Details über F Staaten (Herrschaftsform) und F Gesellschaften (u.a. auch die Abschaffung von Demokratie auf demokratischem Weg) zu belegen, sie öffentlich zu diskutieren, Kritik an der Passivität auch unserer Regierungen zu üben. Cui bono? Und vor allem: wen interessiert es?
Ich muss mich vorab auf zwei Weltbereiche konzentrieren, um mich nicht in zu vielen Verästelungen zu verlieren: dem globalen Anwachsen des F, und der besonderen Aktion und Reaktion in Deutschland und Österreich. Global sind die Erklärungen für das Entstehen, Anwachsen und Agieren des F nicht einheitlich, lokal muss man das Verbindende aufsuchen.
Auch wenn die Erscheinungsformen von F in vielen Ländern sich fast deckungsgleich ähneln, sind sowohl die Entstehungsgeschichten als auch die Binnen- und Außenwirkungen unterschiedlich. Und viele Formen werden auch nicht sofort mit F assoziiert, wenn man nicht darauf gestoßen wird. Eine wichtige Marginalie: F bezeichnen sich selten und direkt als F. Müssen sie auch nicht. Die einen erkennen sie als F, ob sie es nun sagen oder herum-reden, die andern werden erst darauf aufmerksam, wenn die Ersatzbegriffe nicht mehr reichen, um die Wirklichkeit darzustellen, und viele interessiert es gar nicht, ob ein Regime oder ein System F ist, wenn es nur nicht demokratisch ist. Und für die Gegner – also die Demokraten, ich sage nicht: die echten, sondern: die wirklichen, – kommt der F als Begriff häufig nicht sofort thematisch vor, sondern nach einer Phase der Beschreibungsvielfalt, an deren Ende dann geschlossen wird, das ist F.
F ist ein Syndrom, das überwiegend durch die Gegnerschaft zur Demokratie zusammengehalten wird, und eine Mehrzahl von Facetten hat, die überwiegend daraus abgeleitet werden, Führerprinzip, Einschränkungen von kritischen Sphären, Ausgrenzung bestimmter ideologischer und politischer Inhalte u.v.m. Zweimal „überwiegend“ bedeutet, dass solide F-Theorien noch wichtige ergänzende Zusatzelemente nennen – aber die Antidemokratie ist schon wesentlich. In Deutschland und Österreich kann man Spielarten des Syndroms gut studieren, zumal der Austro-F und der NS – in beiden Ländern, zeitverschoben, Einblick in radikale Wurzeln und Unterschiede erlauben. F- Theorien sind schon wichtig, weil nicht jedes autoritäre System, nicht jede Diktatur primär F ist. Die Genese der F Wirklichkeit interessiert mich aus gegenwärtigen Gründen mehr als die Weiterentwicklung dieser Theorien, aber natürlich gibt es Schnittpunkte. Dabei sind manche Fragen sehr gesellschaftsbezogen, man könnte fast sagen national. Antworten aus meinem Repertoire konzentrieren sich auf „sozialistische“ Teilwurzeln mancher F, auch auf religiöse – katholische und evangelische, islamische, jüdische – und ethnische – zugleich, das ist wichtig, sind Teile dieser Wurzeln auch, nicht konsekutiv, auch Wurzeln des Widerstands gegen den F. Koloniale, postkoloniale und anti-koloniale Mitquellen sind ebenfalls ein Sektor der Variationsforschung. Es gibt für all diese Variationen gute und oft korrelierende Belege. Dass die ebenfalls zum F-Selbstverständnis gehörige ethnische, nationale oder rassistische Suprematie zählt, macht eine F-Wahrnehmung oft leichter als andere Suprematien autoritärer und diktatorischer Systeme und Strömungen.
Gut, werte Leserin, werter Leser, hier kann man Theorie, akademische Vergleiche von F und erste Schlussfolgerungen auf heute anschließen. Reicht mir nicht. Canettis Beobachtung vom ständigen Wachsen bzw. Zerfall von F (Canetti 1960) ist mir wichtig, und mehr noch die scheinbare Verständigung darüber, was am F dran sei und warum man ihn ablehnt (Kritik am Antifaschismus des realen Sozialismus, der Antifa, o.ä.)[3]. Ich kann auch erklärende Elemente der F-Kritik auf höherer Ebene, z.B. Arendt, Bloch, einfügen. Am ehesten bildet für mich Bourdieu eine Brücke zwischen all denen, aber das wird anderswo erklärt. Aber das geht neben den Anlass zu diesen Überlegungen. Mehrere Anlässe. Einer ist das unlösbar erscheinende Problem der Flüchtlinge für alle Formen von Demokratie, die in ihren Gesellschaften ernst genommen werden und sich als Demokratien ernst nehmen. Ein anderer Anlass ist die Beobachtung, dass es eine zunehmend sozial amorphe Masse gibt, deren F-Inklination nicht mit dem Zerfall von Klassen, mit der Macht und Gewalt von Digitalsystemen und der abenteuerlich großen Herrschaft kleiner Oligarchien und Partikularismen allein und widerspruchsfrei zu erklären ist. Klassen-Schicht-Milieu-usw. Theorien können assistieren, ethische und/oder moralische Metagedanken können zum Verständnis beitragen, v.a. der subjektive Wunsch nach erfolgreicher Widerständigkeit kann genährt werden – ABER die echten Einwände gegen diese Herangehensweise sind schon echte Abers.
Ich habe oben über Klima und Flüchtlinge, und den uns näher als andere gehenden Krieg der Russen gegen die Ukraine erwähnt, und da leuchten die Abers schon auf: Keine mir (und allgemein?) bekannte F-Bewegung hat auch nur ein wirkliches Konzept gegen den Klimawandel, keine Ablehnung der Flüchtlinge ist glaubwürdiger als die demokratischen Widerstände, und was den Krieg angeht, so ist die F Anlehnung an Putin nicht einfach erwartet, sie ist auch nicht selbsterklärend (das weiß Meloni[4], aber nicht Weidel).
Neben den aufgeworfenen Fragen und Problemen beschäftigt mich, bedrückt mich auch, dass aus der Geschichte des F anscheinend nicht das Mindeste gelernt wird[5]; dass sich der demokratische Widerstand in der Selbstzerlegung der eigenen Position oder im Austesten der Kompromisslinien erschöpft; dass dafür zuständige staatliche Stellen – nicht zivil-gesellschaftliche Gruppen – die Grundrecht F-gerecht auslegen, um sich ja nicht mit den F gleichzumachen, was damit ja objektiv geschieht; dass die eingangs beschriebene Oszillation zwischen Begriff, Schimpfwort und Zuschreibung öffentlich und nachhaltig nicht dekonstruiert wird. Es gibt noch mehr, klar.
Ich will es mit einem Umweg versuchen. Der von mir ernsthafte geschätzte, aber einseitige Evolutionsoptimist Harari lässt in seiner Altersprognose die Demenz aus (Harari 2016). Und die wachstums- und wohlstandsbesessenen Interpreten der jetzigen Situation lassen bei ihren Programmen den F aus. Harari ist meist besser als die Politik, aber die regiert halt – oder resigniert vorm neoliberalen Eswirdschonwerden, was analog viele Liberale um 1933 auch gedacht und gesagt haben. Das ist übrigens eines meiner Hauptargumente, sich nicht nur auf die AfD und andere Nazis zu konzentrieren, sondern die liberale Neigung des geringsten Widerstands bei an sich abgelehnten Alternativen als gefährlich im Auge zu behalten.
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Befremdliche zusätzliche Hypothese: Nichtwahrnehmung des globalen und lokalen F hat mit evolutionärer Stagnation unserer Spezies zu tun. Zur evolutionären Stagnation. Wenn man alle seriösen Theorien und Vermutungen zur menschlichen Evolution ernst nimmt und weiterhin ihre Entwicklung vermutet, dann ist noch nicht geklärt, ob es einen Zeitpunkt der evolutionären „Erschöpfung“ geben kann/gibt, zu dem das rationale Bewusstsein von Wirklichkeit diese nicht mehr so umfassend begreift wie bisher – wichtig: warum auch immer? ist nicht kurzfristig zu beantworten. Ebenso wenig, ob es eine „Erholung“ im Sinne der längst abgearbeiteten zyklischen Geschichte gibt. Darum geht’s mir jetzt nicht. Ich suche nur auch, auch, in der Evolutionstheorie Anhaltspunkte für den Realitätsverlust vieler Gesellschaften. Etwas zynisch, aber vielen Wahrheiten steht eine verbindende Blindheit vor der Wirklichkeit gegenüber.
Hier erwarte ich vielfältige und vielleicht auch heftige Kritik. Jede zusätzliche Erklärung im Kontext ist wichtig, warum die Realitätsverweigerung nicht nur sektoral, sondern in gewissem Sinn auch systemisch große Bereiche der Politik, also der Steuerung von gesellschaftlicher Wirklichkeit, erfasst. Auch ohne diese Hypothese steht der Rest der Überlegungen.
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Einschub: Reinhold Wagnleitners wichtiges Buch Coca-Colonisation und Kalter Krieg. Die Kulturmission der USA in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg (1991), bis heute in den USA aktuell: (Wagnleitner 1994). Ich muss dieses Buch im Kontext erwähnen, weil es die amerikanische Politik der Be- und Verarbeitung des F in Österreich unvergleichlich und detailgenau abhandelt, indem es Kultur nicht als Anhängsel, sondern als Bestandteil von Politik und Gesellschaft begreift und ihre Wirklichkeit im Kontext beschreibt, und vor allem, weil es den F und NS vor 1945 in seinen Nachwirkungen und Konstellationen in Argumente einbaut, die Deutschland und Österreich an entscheidenden Stellen differenzieren. Dazu kommt die Auswirkung der beiden einander folgenden F in Österreich und die teilweisen Überblendungen in der Zweiten Republik, bis es irgendwann – jedenfalls nicht vor Wagnleitners Buch, nicht mehr zusammenhalten konnte. Die Langzeitwirkung des F in Österreich erfahren wir nicht erst heute. Aber heute brutal, deutlich und von den herrschenden Eliten nicht gebremst, von den Widerständigen zwar kritisch und sachlich angegriffen, aber noch ohne politischen Konflikt, der Fragen über die weitere Oberfläche der österreichischen Demokratie stellt.
Der Anschluss dieser Überlegungen an die Nachkriegszeit ist schwierig nachvollziehbar. Soweit ich mich an Schulzeit und Diskussionen erinnere, gab es immer die gleichen Kontroversen: der F ist, beendet oder versickert, kein wahrnehmbares Kennzeichen der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit; oder gegenteilig: der F war nie richtig beendet und ist es jeweils gegenwärtig nicht. Daraus wurde jeweils die Legitimation von politischen und kulturellen Überzeugungen bzw. die Kritik daran. Es gab hier keine einheitliche Linie, aber Symptomfelder. Eines war F=Kapitalismus als Argumentenbrücke von `68. Ein anderes die Relativierung des zugegeben Bösen im F durch seine partiellen Erfolge. Dieses Symptomfeld spielte in der deutschen Ost-West Kontroverse eine größere Rolle als in Österreich. Gleichermaßen und früher in der Nachkriegszeit war der Ersatz der F- und NS- Kritik durch Antikommunismus. Damit war ein gefährlich unsicheres Feld der Stalinismuskritik, Antisowjetismus und der prinzipiellen Nichtvergleichbarkeit der beiden „Systeme“ geebnet. Das spielte schon zu meiner Schulzeit eine Rolle und hat in gewisser Weise nie aufgehört, zumal ich doppelt staatsbürgerlich, doppelt gesellschaftlich deutsch vs. österreichisch denke.
Dazu ein vorzüglicher, beängstigender Essay von Barbara Tòth „…was alles möglich ist“, (Falter 38/23,12-15). Unter Bezug auf den deutschen Theoretiker Maximilian Steinbeis simuliert Tòth „den Fahrplan in eine autoritäre Republik“. (vgl. https://verfassungsblog.de/ein-volkskanzler/ 9.9.2019, lesenswert). Die sechs Punkte der Autorin simulieren analog einen Erfolg des Neonazi Kickl (FPÖ), der als Bundespräsident schon erheblichen Einfluss hätte, die lädierte Demokratie in eine F zu verwandeln, ganz ohne Fackeln und Stahlhelm.
Einschub: wenn man, werte Leserin, werter Leser, diesen Falter 38/23 als Modell des journalistischen und intellektuellen Widerstands gegen den F nimmt, dann wird man auf viele Namen und Argumente stoßen, die ich bisher schon hier eingebracht habe, Nehammer, Orban, Erdögan etc., aber auch die Mehrzahl von F Beteiligungen an Regierungen der EU etc. Seit langem ist der Falter beispielhaft, und er ist wichtig für Bildung und Kultur; nicht nur Berichterstattung über Bildung und Kultur, sondern Beitrag zur politischen Formierung demokratischer Kultur jenseits der Meinungen.
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Alle Analytiker von F sind sich einig, dass es einer gewissen Führergestalt bedarf, um den F herauszuführen, auch aus der Solidarität und dem Sozialismus, der ja in gewisser Hinsicht oft, bei Mussolini direkt, am Anfang der Entwicklung stand. Die linke Enttäuschung über die Laufbahn des Duce ist m.E. ein wichtiger Hinweis, dessen Analogien heute nicht direkt zu reproduzieren sind, aber ein Modell für den F darstellen. 1931 schreibt Adolf Saager (Adolf Saager – Wikipedia) dazu eine vor dem NS reflektierte Biographie von Mussolini, von Anfang an „enttäuscht“ im Wortsinn: Vom Rebellen zum Despoten (Saager 1931). Heinz Abosch rezensiert auch Georg Scheuers Genosse Mussolini und die Geschichte des Faschismus (Scheuer 1985). Ich habe das so genau dargestellt, weil Abosch zu Recht Hitlers Gefolge von Mussolinis Ideologie kritisiert und auf die späteren Unterschiede von F und NS hinweist. Das wäre heute ein wichtiges Argument. Es lohnt in diesem Zusammenhang sich mit Werk von Robert Paxton auseinanderzusetzen, Robert Paxton – Wikipedia, im konkreten Fall habe ich sehr früh eine Rezension über NS-F-Kultur Bearbeitet (Paxton 2017). Warum ist das heute so wichtig? Weil die zurückhaltende Verwendung von F, und die Unsicherheit in kulturellen Urteilen nach dem Tod der meisten Zeitzeugen auch eine Verarmung der unterschiedlichen Indikatoren mit sich gebracht hat, da gibt man sich lieber mit Begriffen wie Diktatur oder autoritärem Staat zufrieden. Ich denke aber, diese Geschichte und die unangenehmen Berührungspunkte zwischen Kommunismus und F/NS sind wichtig, weil z.B. die Abwehr der Sozialdemokratie durch beide Lager auch nicht zufällig zusammengekommen ist und kommt.
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Gegen Ende dieser Einleitung, die um Autorinnen und Autoren wirbt, noch einige Apercus. Beim Korrekturlesen dieses Textes kommt mir der Gedanke, das alles sei zugleich zu didaktisch und zu flanierend, also gespannt zwischen zwei sehr unterschiedliche Methoden. Mag sein, ich möchte ja motivieren, sich des Themas so anzunehmen, dass wir politisch denken und sagen können, warum ein Drittel oder mehr der Bevölkerung den F zuläuft. Und darüber möchte ich uns animieren, weil vielleicht in Österreich, vielleicht auch in Deutschland, die Wiederholung der F Farce möglich wird, aber nicht als Farce, sondern als Wirklichkeit – jenseits der Meinungsumfragen, aber auch jenseits der parteiischen Analysen, die nicht wollen, was ihren Grundüberzeugungen widerspricht – weil man schließlich demokratisch ist.
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Ich möchte einige Kolleginnen und Kollegen gewinnen, das Thema präziser und differenzierter zu bearbeiten. Und wir sollten einer Aufarbeitung in englischer Sprache zustimmen (Verlag usw. durchaus vorhanden), weil auch der Blick auf Deutschland (und Österreich) in dieser Weltsituation das Thema F wieder hochspült.
Arendt, H. (1980 (1951)). Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt, Ullstein.
Bataille, G. (1978). Die psychologische Struktur des Faschismus. Die Souveränität. München, Matthes&Seitz.
Canetti, E. (1960). Masse und Macht, Band 1. München, Hanser.
Harari, Y. N. (2016). Homo Deus. London, Vintage.
Paxton, R. O. (2017). „The Cultural Axis.“ NYRB.
Poeschl, T. (2018). Reflexionen eines einäugigen Kameramannes. Hohenems, Bucher.
Saager, A. (1931). Mussolini ohne Mythus. Vom Rebellen zum Despoten.
. Wien und Leipzig, Hess & Co. .
Scheuer, G. (1985). Genosse Mussolini. Wurzeln und Wege des Urfascismus. Wien, Verlag für Gesellschaftskritik.
Wagnleitner, R. (1994). Coca-Colonization and the Cold War. UNC The University of North Carolina.
[1] Ich nenne hier eine Anzahl von Artikeln aus dem seriösen Segment der Journalistik: Maxim Biller: Bruder Aiwanger, Zeit 39/2023, 43; Maximilian Sepp: Wie Rechte reden. Zeit 40/2023, 3; Martin Debes: Alternative für deutsche Geschichte, Zeit 40/2023, 18; u.v.m. Biller werde ich noch kommentieren, denn seine Folgerungen, wieweit „alle Deutschen“ Hitler waren und sind, können sinnvolle Verbindungen herstellen – oder sie sind Ornament, so wie sein „Bruder Aiwanger“ eben nicht wirklich zu „Bruder Hitler“ Passt. Typisch für eine Verbindung des begrifflich weniger deutlich genannten F oder NS mit dem Antisemitismus ist eine Menge autobiographischer Bezüge zum Fortleben des Antisemitismus, letzthin Martin Doerry: „Immer diese grausame Angst“, Spiegel 38/2023, 110f. Im neuen Lettre 3/2023 wird die Beziehung von F zum Ukrainekrieg ausführlicher dargestellt. Damit sind einige Quellen bzw. tagesaktuelle Anknüpfungspunkte beispielhaft genannt.
[2] Vgl. Frank Hornig: Das Meloni-Modell, Spiegel 38/2023, 78;
[3] Hier gibt es eine Schwierigkeit der Konzentration auf den spezifischen Aspekt des Antifaschismus, den man gerade zur Erklärung braucht. `68 war die Literatur und Ausdrucksform unübersehbar, andererseits musste man den Begriff in der DDR immer erst dekonstruieren, um zu verstehen, was damit gemeint war. Ich mache hier einige Zugänge, die mich weiterführen:
Bataille, G. (1978). Die psychologische Struktur des Faschismus. Die Souveränität. München, Matthes&Seitz.
, Arendt, H. (1980 (1951)). Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. Frankfurt, Ullstein.
, Poeschl, T. (2018). Reflexionen eines einäugigen Kameramannes. Hohenems, Bucher.
Ich habe die drei ausgewählt, weil sie wichtige Verbindungen herstellen, die zwischen F und Antisemitismus, die Herkunft von F, die Politik des F in wirklichen und nicht nur ideologischen Konflikten, die Differenz zwischen F und NS. Ich kann die Texte auch als Wegweiser durch die F Analysen der wissenschaftlichen Literatur empfehlen.
[4] Vgl. Frank Hornig: Das Meloni-Modell, Spiegel 38/2023, 78
[5] Im Interview mit dem Psychoanalytiker Kernberg (95) geht es v.a. um den normalen und den malignen Narzissmus. Aber da steht auch: „SPIEGEL: Sehen Sie Parallelen zum Aufstieg faschistischer Bewegungen Anfang des vorigen Jahrhunderts? Kernberg: Die Situation ist ähnlich…Die demokratischen Institutionen müssen verteidigt werden. Und es ist wichtig, dass schon Jugendliche lernen, welche Gefahren von der Verführbarkeit dieser großen Gruppen ausgeht“ Spiegel 39/2023, 94-96.