Ein Maskenball

Nicht nur in Deutschland: “Scouring the globe in a free-for-all for masks
Here’s what the global market for face masks and other protective gear now looks like: hasty deals in bars, sudden calls to corporate jets and fast-moving wire transfers from bank accounts in Hong Kong, the United States, Europe and the Caribbean.
Governments, hospital chains, clinics and entrepreneurs are looking everywhere for the protective gear during a huge shortage — paying five times the price for N95 masks — and a new kind of trader has sprung up to make it all happen”. (New York Times, 2.4.2020)  

Unsere Groko&16 Länder haben von der Maskenpflicht Abstand genommen, weil es schlicht keine Masken gibt, auch kein Desinfektionsmittel, auch weniger Klopapier, auch keine Brotbackhefe…nicht etwa, weil die Masken zu wenig schützen. In Österreich werden Masken vor den Supermärkten verteilt. Aber Deutschland war ja immer gut vorbereitet auf ALLES: diese Selbstüberhöhung  rächt sich jetzt, wenn man in VIELEM gut ist, meint man, ALLES zu bewältigen. Diktatoren machen Profit mit sekundärer Nächstenhilfe (China für Italien, Russland für Italien). Das wird sich auswirken, denn wie könnte man China wirkungsvoll kritisieren, wenn es so selbstlos das tut,  wozu die EU verpflichtet wäre, aber nicht in der Lage ist, weil die Nationalisten längst in allen Ritzen des fragilen europäischen Gebäudes sitzen.   Ungarn und Polen mausern sich zu regelrechten Diktaturen in der EU: kaum ein Wort des Protestes, bis auf Asselborn aus Luxemburg sagen auch die hochrangigen Politiker nichts, man will ja nicht „spalten“.     * Ich will jetzt nicht die bereits mehrfach geleierte Litanei loswerden, sondern nachfragen, ob und wie die Verwechslung von Ausnahmezustand und Normalität auf uns wirkt. Vorgestern im Blog habe ich den Anordnungsstaat kritisiert, der den Bürgerinnen und Bürgern verantwort-liches Handeln abnimmt, obwohl es oft im kurzfristigen Effekt auf das Gleiche herauskommt, wenn das, was getan werden soll, mit diesen Menschen kurzfristig ausgehandelt wird; Strafandrohungen sind lächerlich, weil sie leicht zu unterlaufen wären, würden die Menschen das fundamentale Misstrauen verdienen. Jetzt strahlt Frau Klöckner, weil sie meint ich wollte auf die Freiwilligkeit hinaus. Nein, weil dazu wenig Zeit bleibt.  Auch Einsicht kann Menschen zum Handeln veranlassen, aber doch nur, wenn sie wirklich wissen worum es geht. Und da sind die pathetischen oder ausweichenden Sprechblasen vieler Politiker bzw. ihrer Anordnungen ehr ein Appell ans Skepsis und Misstrauen. Auch bin ich kein Defätist. Nicht die Anordnungen sind schlecht, sondern der Rahmen, in dem sie erlassen werden.  Dieser Rahmen heißt Demokratie, Grundrechte, und vor allem, die Bedingungen für die Beendigung des Ausnahmezustands. Dazu muss man wissen, was man sich als Normalität vorstellt, und dies wiederum ist nicht die Normalisierung als Ergebnis quantifizierender Durchsetzung von Machtansprüchen – das haben wir immer so gemacht, das ist doch von den Meisten so akzeptiert, das ist alternativlos eindeutig – sondern der Rahmen, in dem wir unsere Freiheit wirklich leben können, sie also solidarisch und zu den anderen Menschen hin offen leben. Konkret heißt das unteranderem, die Handlungen, die der Anlass gebietet – das Coronavirus – genauest möglich zu beschreiben, und damit fast Schluss: weltweite Vergleiche und Politiken anderer Länder mögen interessant sein und uns politisch „bewegen“, aber was hier zu tun ist, wissen wir und müssen uns entsprechend verhalten. (Seit ungefähr drei Wochen, mit geringen Variationen). Die Maßnahmen der Politik sind solche, die in Notfällen angemessen sein sollten, und es überwiegend, aber keinesfalls immer und überall sind.  Aber es sind keine, die unser Verhalten maßgeblich verändern können – es sei denn, die faule Begründung gegen den Mundschutz wird politisch ernst genommen oder auch die Ablehnung zu testen, die einzig auf das Fehlen von Testkits zurückzuführen ist, aber nicht schlüssig medizinisch begründbar ist – gleich wohl medizinisch gerechtfertigt wird. Ebenso konkret haben wir ein Recht darauf, dass den Krisengewinnlern – von saloppen Altenheimen bis zu neuen Dopingmöglichkeiten und Mundschutz-Preissteigerungen von 0,45 bis 12,00 € pro Stück – auch und während der obigen Maßnahmen Paroli geboten wird. Und wir haben ein Recht darauf, dass neben den Folgen des Anlasses die globale, europäische und lokale Politik wenigstens thematisiert wird, nicht nur Klima, Flüchtlinge, Hunger und Krieg,  sondern auch die Faschisten innerhalb der EU, die fast unbemerkte Lockerung der Abgasbedingungen in den USA, der evangelikale Unsinn geöffneter Kirchen, und die globale Verfestigung autoritärer Strukturen, die sich die unscharfe Erwartung von Normalität zunutze machen, um den Ausnahmezustand zu normalisieren. Da gibt es natürlich bisweilen Warnungen, aber leise, leise. Aber es wäre schön, wenn die Themen und die Schwerpunkte der Ursachenbekämpfung zerfallender globaler Ökonomie und Kultur wenigstens die Hälfte der medialen Politik einnehmen könnten, meinetwegen auch in digitalen Seminaren, damit wir uns nicht den Coronatalkshows auch noch unterwerfen müssen. Denn Unterwerfung ist es, sich mit einem halbwegs sinnvollen Verhalten um die Gegenwart zu kümmern, und von einer Zukunft, die wir ohnedies nicht erleben werden,  abzuwenden. Unsere Enkel werden von uns so reden, wie wir von der Pest im Mittelalter oder von HIV nach 1979. Aber wir werden das nicht wissen, das ist ein wenig der Hedonismus derer, die wenig zu verlieren haben.   Lest Kurt Kister in der SZ: Das Bewusstsein bestimmt das Sein. Deutscher Alltag SZ 2.4.2020   Free-for-all masks – wir dürfen auf jeden Ball gehen!

Studiert & Forscht….nicht zu wenig

Studiert, forscht, studiert…das ist Moses und die Propheten! Und nicht  mehr „“Akkumuliert! Akkumuliert! Das ist Moses und die Propheten!“ (MEW, Bd. 23; Kap. 22). Möchte man meinen.

Ich werde jetzt einmal persönlich, fast autobiographisch kritisch. Über mehr als 30 Jahre war Hochschulpolitik das Zentrum einer wissenschaftlichen Arbeit, die in viele andere Disziplinen ausschwärmte und immer wieder daran festhielt, dass Universitäten und andere Hochschulen reformierbar seien. Ich habe mehrere Bücher dazu geschrieben, hunderte Artikel verfasst, bin in -zig Kommissionen gesessen, habe vorgetragen und … muss sagen, dass alles, was ich erreicht habe, bestenfalls am Rand des deutschen Hochschulsystems wirksam wurde (Uni Oldenburg, Hochschulräte, Grüne Hochschulreformen der 90er Jahre),  manchmal auch international, leider nie so nachhaltig, dass man etwas anderes sagen könnte als: seit 40 Jahren befinden sich die Hochschulsysteme weltweit in Stagnation und oft im Abstieg.

Ich selbst habe daraus Konsequenzen für mich gezogen, nach meiner Präsidentschaft in Oldenburg habe ich mich in der Konfliktforschung umorientiert, mit Hochschulen und Wissenschaft als einem Arbeitsgebiet neben anderen (Kosovo, Afghanistan). Ich habe eine zunehmend unwillige Reaktion auf so genannte Hochschulforschung entwickelt, der es in Wirklichkeit um die Rationalisierung sinkender öffentlicher Investitionen in einem überlasteten und teilweise leerdrehenden System geht. Fast bin ich versucht, mich in die SPIEGEL-Kolumne „Früher war alles schlechter“ mit umgekehrtem Vorzeichen einzuschreiben.  Aber meine Klage hat neben altersbedingter Frustration auch ganz konkrete Ursachen und Anlässe:

–        Der Hochschul- und Wissenschaftsbereich – eigentlich sind es zwei einander widersprechende Bereiche – hat unter der Globalisierung und zugleich den lokalen Konkurrenzbedingungen mehr Schaden genommen als andere Felder öffentlicher Politik.

–        Die Ablösung von Wissen durch Kompetenzen und die noch stärkere Berufsorien-tierung der Ausbildungszwecke haben die intellektuellen und ethischen Prämissen gesellschaftlich notwendiger und sinnvoller Politik beschädigt.

–        Die Konkurrenz von Hochschulsystem (Verteilung qualifizierter Arbeitskraft) und Wissenschaftssystem (Gewinnung, Kritik und Implementierung neuer Erkenntnisse) wird durch die Politik in keiner Weise koordiniert

–        Personen, die in diesen Systemen tätig sind, wie auch zunehmend im Gesundheitssystem, sind herabgewürdigt zu einander konkurrenzierenden Wettläufern um wenige Positionen, die die hier gemachten Feststellungen durch eine gewisse Macht wenigstens zum eigenen Vorteil ausnützen können.

Dazu kommen Memoiren an peinliche Momente meiner eigenen,durchaus erfolgreichen Karriere: die Verachtung, mit der einer der führenden deutschen Philosophen die Hochschuldidaktik abgemeiert hatte, weil sie den hohen Ansprüchen der Wissenschaft nicht genügte; die gleiche Verachtung, mit der halbgebildete Ministerialbeamte meinten, sie dürften die Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie aushebeln; die oft einseitigen Versuche, die Personalsituation an den Hochschulen gerechter zu machen, indem ziemlich einseitig auf Mitbestimmung, aber nicht auf Teilhabe an der Qualität von Forschung und Studium gesetzt wurde. (Nichts gegen Mitbestimmung, aber eben gegen ihre kompensatorische Funktion gegen Qualitätsverlust).

Spätestens jetzt kommt der Einwand: war denn früher die Qualität wirklich höher? NEIN, war sie summa summarum nicht, aber wir waren auch nur 5, 15, 25% eines Jahrgangs, und da haben sich, angesichts sicherer Berufsaussichten, doch stabilere Qualitätern herausgebildet als bei 60, 70 % heute mit geringeren Anreizen zur Qualitätsverbesserung in der Breite. Die paar Elitenquante gabs damals, gibt’s heute unverändert.

WARUM  ERZÄHLT ER UNS DAS?

Eines der besten Hochschulsysteme der Welt war das der USA. Unter anderem, weil es „unten“ Community Colleges gab, die den sozialen Aufstieg in das Wissen erleichterten, und weil es „oben“ sehr viel breiter als in Europa höchstklassige Wissenschaft in enger Verbindung von Forschung und Studium (nicht „Lehre“) gab, während in Deutschland und Europa dummerweise fast alle forschende Intelligenz quasi korporatistisch in außeruniversitäre Internate, Max Planck, Helmholtz, Leibniz…. Abgedrängt wird, und den Hochschulen nichts als die Überreste von diesem Tisch überbleiben, und die Aufgabe, diese Forschungsinseln mit Nachwuchs zu versorgen.

Ich will aber über die USA sprechen. Jahrzehntelang habe ich mit anderen versucht, Studierende „von unten“, aus den Community Colleges nach Europa zu bringen, quasi zum Transatlantischen Kulturaustausch und zur kritischen Beurteilung von America first und anderen Überlegenheitspolitiken. (Vgl. Globalcitizenshipalliance.com) -war ja gut. Ebenso lang haben wir die Vorzüge amerikanischer Universitäten, kleiner Studiengruppen,  guter Betreuung usw. für unsere Hochschulreform zu nutzen versucht, u.a. in der Personalpolitik, und in der Hochschulautonomie. Nun sind diese beiden Bereiche in den USA gewaltig ins Rutschen geraten, finanziell können die irrwitzig hohen Studiengebühren durch nichts sozial gerechtfertigt werden und immer weniger inhaltlich, und personell hat sich ein biographisch fast auswegloses Unterwerfungssystem eingebürgert, das unter Trump nur noch schlimmer wird, aber keineswegs mit ihm begann. Zugleich gewinnen die identitären Verhaltensmuster (politische Korrektheit + Zensur von Inhalten und ihre kommunizierte Beschreibung) immer mehr an Gewicht. Kein guter Zustand. Dozenten  leben jahrelang im eigenen Auto, weil sie sich keine Wohnung leisten können. Adjunct Professors lehren jahrelang ohne jemals die  20.000 $ zu überschreiten (17.000 €…). (Liebe BlogleserInnen: erkundigt euch einmal nach dem Einkommen der deutschen JuniorprofessorInnen). Obama (!) hat angeregt, „to rank American colleges „on who‘s offering the best value so that students and taxpayers get a biggerbang for their buck” (das ginge ja noch), with the chief metric being “how well do graduates do in the workforce?” (NYRB 12.3.2020, S.45). Klingt doch ganz nach Gewerkschaft, nach dem alten Art. 2 des Hochschulrahmengesetzes. Ist es aber nicht. Das hat damit zu tun, dass die dynamische und wissenschaftsbasierte Umsetzung des Studienerfolgs durch das Lehr- und Prüfungswesen der Hochschulen, die Personalpolitik und den ständigen finanziellen Staatseingriff genau das verhindern, was man altmodisch politische Ökonomie der Wissenstransformation bezeichnen könnte. Was Obama, aber auch deutsche Bildungsökonomen viel zu stark betonen, ist die Übernahme des bestehenden Beschäftigungssystems für AbsolventInnen. Wenig Zukunft drin, also Umwegqualifikation über private Elite-Institute oder eben nicht über Hochschulen, deren Bezeichnung „Tertiärer Sektor“ schon für sich eine Beleidigung von Wissenschaft ist.

 

ABER. DA GIBT ES EINE DIALEKTIK.

Wenn es in den USA und bei uns gleichermaßen so mies ist, warum ist auf dem akadmeischen Feld (Arbeitsmarkt +  gebildeter Diskurs + forschungsbasierte Innovation) doch so viel los und nicht alles den Bach runtergegangen?

Tatsächlich gibt es ein Maß an Subversion und kontrafaktischer Praxis von Lehrenden, Studierenden, seltener Hochschulverwaltungen und fast nie Ministerien, aber selbst dort: Subversion heißt, die Finanzkürzungen und Reglementierungen zu unterlaufen. Mit einigem persönlichen Risiko und einer wie auch immer angeeigneten Systemkenntnis von Wissenschaft und Bildungssystem. Ich kenne wunderbare Seminare, Projekte, Partizipation innerhalb von Forschung, Kooperation mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit, die allesamt ohne zusätzliche Verlierer funktionieren. An fast allen Hochschulen. Und viele dieser Aktivitäten werden dann in die weitgehend blödsinnigen und inhaltsleeren Prüfungsordnungen gepresst, Etikettiert etc. Überfüllungen werden listig austariert, didaktrische Hilfen und Digitalisierung führen dann nicht immer zu Ersatz.

Also alles nicht so schlimm?

Doch, aber man hat sich seit Metternich so auf die Staatsintervention einerseits, den privaten Pull-Effekt nach konformer Arbeitnehmerschaft unter den AbsolventInnen gewöhnt, dass echte Hochschulreformen von den zuständigen Politikern und Abteilungsleitern und Ordinarien gerne als utopisch bezeichnet werden.

Und heute sehe ich in dieser Subversion eine Chance, das Leben an der Uni-versität erträglich zu machen, allerdings wirklich erträglich nur für die, denen die Einkommensverhältnisse ein ordentliches Weiterkommen erlauben. Wer kennt nicht die, die auf der Strecke bleiben? Sie sind vielleicht die Wichtigsten, die für die Wissenschaft und Studienkultur verloren sind.

Nachsatz: auch in Hochsicherheitsgefängnissen gibt es Theater AGs und Sportgruppen.

Nachsatz 2: Lest zu den USA: Charles Petersen: Serfs of Academe. New York Review ob Books, 12.3.2020, 42-45, mit elf wichtigen Besprechungen. Soviel Literatur zu deutschen Hochschulen gibt es seit langem nicht mehr.

 

 

 

Das Mosaik von POTSDAM – Zukunft der Kunst

ÜBER-ECK Bauerbe DDR

Zum Umgang mit dem Mosaik am Potsdamer Rechenzentrum

Tagung am 28.Februar – 29.Februar 2020

Die sozialistische Utopie im Lichte der Gegenwart. Ernst Bloch

Michael Daxner

Potsdam

BLOG VERSION 1. März 2020

Burghart Schmidt, der im Programm angekündigt war, konnte nicht kommen. Ich bin für ihn eingesprungen, ohne dass ich ihn ersetzen kann. Das ist wichtig zu sagen, weil er sich in den Kontext der Mosaik-Diskussion eingearbeitet hatte und sicherlich aus dem Bereich der Theorie und Kritik eines Kunstwerks der DDR im Kontext seines weiten Rahmens in der Nachfolge und Weiterentwicklung von Ernst Bloch ein ganz anderes Profil geprägt hätte. Er war Assistent, Begleiter, Herausgeber für Ernst Bloch und hat sich in den letzten 40 Jahren einen eigenen, unverwechselbaren Namen in der politischen Ästhetik und Philosophie gemacht Dass er hier nicht spricht, macht mich traurig, und ihn ersetzen kann ich nicht. Aber dass ich statt seiner etwas zum Fortschritt, zu Ernst Bloch etwas sagen kann, macht mir Freude, und mit dem Rechenzentrum und dem Mosaik bin ich ja seit längerer Zeit intensiv befasst.

Im Anhang findet sich ein Klappentext von Schmidts geplantem Vortrag und der Hinweis, dass die geneigten LeserInnen bei aktuellen Namen sehen können, auch auf welche TeilnehmerInnen ich anspiele.  Weitere Beiträge der Tagung werden in den nächsten Tagen im Netz zugänglich sein. Vielleicht entwickelt sich ein Sammelband.

Die sozialistische Utopie im Lichte der Gegenwart. Ernst Bloch

Ceci n’est pas eun chateau

Das hier ist kein Schloss. Anette Paul in ihrer Inschrift Kunstam Bau des nachgebauten ehemaligen Stadtschlosses, jetzt Landtag von Brandenburg.

(Vgl. den Vortrag von Birgit Seemann zur Kulissenstadt Potsdam)

Moi je ne suis pas Burghart Schmidt

Wie eingangs angedeutet, vertrete ich meinen Freund Burghart Schmidt, aber ich kann ihn nur anmutend einfügen und zitieren,

nicht nachahmen.

Hoffnung ist nicht Zuversicht

Einer der wichtigsten Sätze von Ernst Bloch, und Leitsatz für mein Leben und Denken.

(In ca. 20 Variationen immer wieder gebraucht)

Kunst und Kultur der DDR können heute, der Unmittelbarkeit ihrer Produktion und Rezeption entzogen, sich auch vor der gefährlichen Nähe der Betrachtung schützen, eine von Bloch gebrauchte Metapher: wenn du zu nahe bist, siehst du nichts oder zu wenig. Seit 15 Jahren lebe ich in Potsdam, und die Zeit hat mich der Wirklichkeit dieser Stadt und ihrer Geschichte umso nähergebracht, als ich ihre Erscheinungen nicht mehr aus der Differenz und Reibung der beiden Systeme aneinander verstehen wollte. Aber sie hat mir auch die nötige Distanz verschafft, den urbanen Raum, seine Sichtachsen und Strukturen ohne die erdrückenden Reibung aus der Zeit der deutschen Vereinigung in jedem Überrest der DDR zu sehen. Auch, und das ist mir seit Jahren wichtig, die Oppositionen und Analogien der sozialistischen Kunst und der vorgängigen nationalsozialistischen/faschistischen Kunst können aus der Distanz genauer und zugleich weniger personalisiert diskutiert werden. Diesen Diskursstrang zu beschweigen macht jedenfalls keinen Sinn, weil bei vielen rekonstruierten Fassaden der neuen Mitte und anderswo alle möglichen Elemente dieses Problems sichtbar werden[1].

Bloch (1885-1977) war 63 Jahre alt, als er, nach dem Exil in den USA, den Ruf auf den Leipziger Lehrstuhl annahm und bekam (1948), und 76, als er nach Tübingen im Westen ging (1961).  Unser Thema, worüber wir heute und morgen sprechen, der Fortschritt, hat ihn wie kaum ein anderes ein Leben lang beschäftigt. Und ihn gegen jede vulgärmarxistische Fortschritts-Apotheose schon immun gemacht, als es die Fortschrittskritiker ausgeprägt noch gar nicht im Westen gab (das hieß bei mir noch Atome für den Frieden, wie bei den meisten Linken[2]). Bloch hat mich 50 Jahre lang begleitet, wissenschaftlich, aber auch politisch: dass es einen besseren und zukunftsorientieren Sozialismus als den der SED geben kann, hat mich über lange Zeit angetrieben, mit Bloch im Nacken. Ich beziehe mich im Folgenden vor allem auf Erbschaft dieser Zeit 1935[3], jene grandiose Zeitdiagnose, die es uns erlaubt, Analogien zum Heute zu ziehen, auch zur Entschlüsselung der AfD, und zugleich Differenzen zum damaligen Jahrzehnt zu erkennen. Dann nehme ich die Tübinger Einleitung in die Philosophie 1 (1963), mit dem Fortschrittsvortrag von 1955/6[4] darin, und das Prinzip Hoffnung, v.a. die Kapitel 12,15,16, und im Hintergrund immer Burghart Schmidt[5].

Schon das Etikett des Mosaiks verweist auf seine dialektische Weiterentwicklung:

Der Mensch bezwingt den Kosmos, das kann Antagonismus bedeuten, also Sieg in einer Auseinandersetzung, gegen einen Feind, oder es bedeutet die Eroberung der Terra incognita, Ausdehnung des Macht- und Herrschaftsbereichs. In Blochs Fortschrittsidee ist beides enthalten, allerdings nicht parteikonform. Den Kosmos bezwingen würde ja ein Angriff auf die Natur sein, ohne deren Bezug für Bloch weder Sozialismus noch Utopie denkbar waren. Die offizielle DDR-Ideologie wich der Auseinandersetzung mit der Natur weitgehend aus[6].  Sabrow deutet die Eroberung des Kosmos als eine der Zukunft, zugunsten der Wissenschaft (deshalb wohl auch die Einstein Formel e=mc2(Hörz 1974) in der ersten Tafel).

Die Arbeit am Begriff erinnert an Adorno, der in dieser Hinsicht nicht so weit von Bloch entfernt war[7]. Die Differenzierungen im Begriff Fortschritt konnten nicht ins Konzept des Staates passen, in dem Bloch ja nicht selbstverständlich seine Rückkehr begann und den er zum gegebenen Zeitpunkt Richtung Westen verlassen sollte, dort nicht weniger kritisch, aber freier. Mit seiner Utopie war Bloch unserem 1968er Leitstern Marcuse aber sehr weit voraus[8] , und zugleich war Bloch nicht nur für die Studentenbewegung ein ständiger anregender Widerspruch, auch in der Freundschaft zu Rudi Dutschke.  

In seinen Thesen am Ende der Fortschrittsabhandlung kommt die ganze Dialektik dieses Denkens zum Ausdruck: „3. Der Fortschrittsbegriff kann für die Produktivkräfte und Basis gültig, für den Überbau relativ ungültig sein, mindestens schwächer gültig und umgekehrt. Verwandtes gilt für zeitlich nacheinanderfolgende Überbauten (Kulturen),  insbesondere für die Fortschrittskategorie in der Kunst“.[9] (Bloch 1963, 201). Wichtig auch: unmittelbar danach plädiert Bloch für die Multikulturalität „ohne europäisierende Vergewaltigung“, damals schon bemerkenswert (S.202). Ich denke, dass für die DDR in besonderer Weise gegolten hat, was Bloch so beschreibt: „Denn die Produktivkräfte wie auch Produktionsverhältnisse können einen Fortschritt zeigen, dem der Überbau gegebenenfalls nicht nur nicht nachkommt, sondern dem er zuweilen sogar mit besonderem Kulturverlust entgegengesetzt ist“ (Bloch 1963, 164). Gerade an der Weltraumtechnik sehen wir, nicht plötzlich, dass das gar nicht nur auf die DDR, den Sozialismus trifft, sondern auf alle Gesellschaftsverhältnisse. Bei Bloch war die paradigmatische Festlegung auf eine bestimmte Form des Fortschritts im sozialistischen Staat einer differenzierten Sicht gewichen, die sich nicht auf Bewusstsein, das vom Sein bestimmt sei, fokussierte. Abgesehen davon, dass er keinen Seinsbegriff mit autoritärer Dogmatik vertrat, sondern sich eher auf Arbeit und Natur in der philosophischen Anthropologie konzentrierte.

Noch einmal zum Menschen, der den Kosmos bezwingt. Die MIGs fliegen von Ost nach West, das ist die Eroberung des Raums. Die zeitliche Dimension ist das schneller sein, nicht einfach schnell sein. Hier greifen wir tief in die Erinnerung an die Rhetorik des Kalten Kriegs und vor allem auch von uns, seinen Kritikern im Westen ein (ich war ja nicht im Osten, und die Diversionen, die in der DDR-Friedensrhetorik zu uns gebracht wurden, durch DKP und andere sind ein eigenes Kapitel). Schon sehr früh haben wir uns einem Raumbegriff genähert, der viel mit Bloch und auch mit dem jetzt wieder aktuellen, kontroversen Heimatbegriff zu tun hat. Ich hatte damals zu „Heimat und Friede: Ernst Bloch“ vorgetragen (Aschmoneit and Daxner 1984, 148-165), schon mit den Ingredienzien von heute – und ganz anders: es war eben wirklich Kalter Krieg. Und die Beziehung zur Heimat ist ein Raumbeziehung, die bei Bloch zu einer der gesellschaftlichen Struktur umgewandelt wird – in Zukunft, als reale Utopie und nicht geschichtliche Gesetzmäßigkeit. Im Anhang zur Osnabrücker Anthologie fand sich eine fast die ganze Universität umfassende Unterschriftenliste einer Abrüstungsinitiative – das läuft heute digital und global.

Das antizipierende (vorwegnehmende) Bewusstsein und die Möglichkeiten, die wir noch vor uns haben, die wir erst entwickeln und entfalten müssen, sind hier die Schlüsselbegriffe[10]. Dass nach Möglichkeit alles Mögliche verwirklicht werden kann, wenn man es will oder politisch durchsetzen kann, ist das eine; das andere ist, dass in Möglichkeit verwirklicht werden kann und soll, was noch gar nicht erschienen ist, wo das Bewusstsein das Noch-Nicht einzufangen sich anschickt, fern von der Gewissheit des Gelingens. „So ist der Mensch die reale Möglichkeit alles dessen, was in seiner Geschichte aus ihm geworden ist und vor allem mit ungesperrtem Fortschritt noch werden kann…Die Materie ist die reale Möglichkeit zu all den Gestalten, die in ihrem Schoß latent sind und durch den Prozeß aus ihr entbunden werden“ (PH 271). Dieser Latenzbegriff geht vieler marxistischer Philosophie und sozialistischer Ideologie ab. Wenn der Mensch den Kosmos bezwingt, dann ist da mehr drin als bloß das schon Mögliche in Triebwerke und Raumkapseln zu formen: der Kosmos bedeutet auch ein Naturverhältnis, das allerdings bei Bloch anders aussieht als im realen Sozialismus: Kosmos ist auch eine Metapher für die Humanisierung der Natur (PH 288); damit haben wir schon früh politisch gearbeitet: (Daxner, Bloch et al. 1981) – bald sollte es die Grünen geben; das aber wussten wir auch nur im Vorschein. Die technische Systemkonkurrenz im Kalten Krieg ist hier nur ein, allerdings politisch relevanter Aspekt dieses Fortschritts. Das Mögliche muss nicht gelingen, es kann aber gelingen: das ist die Hoffnung. Von hier versteht man seinen Leitsatz: Hoffnung ist nicht Zuversicht. Nur dürfen wir nicht vergessen, dass auch das Technische immer an Grenzen für den Menschen stößt. „…Grenzen, die keine mehr sind, indem er sie wahrnimmt, er überschreitet sie“ (PH 285). Und das bedeutet natürlich auch, die Grenzen der Umwelt dieses Fortschrittssystems dynamisch zu halten und sich nicht dogmatisch auf sie festzulegen. Woran nicht nur der Sozialismus gescheitert ist, sondern Bloch auch resignierte: „Der Sozialismus hat noch gar nicht angefangen“[11].

Jedenfalls arbeitet Bloch nicht nach dem Prinzip „Von der Utopie zur Wissenschaft“, sondern „(auch) mit Wissenschaft zur Utopie“. Die Utopie bleibt das Ziel, gebunden an die Demokratie. (In seinem Aufriss der Sozialutopien kann man die schwache Seite ansonsten starker Gesellschaftsmodelle sehen, die ja für Bloch Vorläufer, auch Antizipation künftiger Utopien und daher künftiger Politik sind)[12].

In der Diskussion ergab sich eine keineswegs marginale Seitenaspekt. Saskia Hüneke verwies auf die vielfältigen Identitäten, die sich in den Kontroversen um Rechenzenbtrum und Garnisonkirche in Potsdam ergäben (also meinte sie zutreffend, es gäbe keine einigende städtische Identität, in deren Schatten diese Kontroversen abgebaut werden können). Martin Sabrow hat in der Abschlussdiskussion dem Identitätsbegriff ebenfalls zutreffend den des Interesses entgegengestellt, das durchaus vielfältig der Verdinglichung der subjektiven Identitäten vorzuziehen sei. Das erinnert mich an die großartige Entwicklungsgeschichte von der Leidenschaft zum Interesse ab der Renaissance, Leidenschaft und Interesse von Albert O. Hirschman (dt. 1987, stw). Aus unterschiedlichen Identitäten kann man keine Konfliktfähigkeit ableiten, sehr wohl aber aus verschiedenen Interessen eine konflikt regulierende Politik gestalten, die dann immer Machtfragen herausfordert.

Ich möchte beim Mosaik noch auf einen anderen Zusammenhang hinweisen: Burghart Schmidt (Schmidt 1985, 71ff) erläutert den Fortschrittsgedanken in Bezug auf die Geschichte mit dem Schwerpunkt auf der Ungleichzeitigkeit. Im  wirklichen Vorgriff auf das Zukünftige, auf die Utopie, ist auch der Protest gegen das Vergangene und Gegenwärtige enthalten. Und wenn dem der Widerstand vorenthalten wird, dann wird die Zukunft auf das Extrapolierbare reduziert (wie in den meisten technischen Science Fictions, wie bei Fortschrittsprojektionen, die die Werkbänke weithin verlängern) (Vgl. auch Schmidt 1985, 73). In dieser Interpretation findet sich ein Satz, von dem aus heute vieles weitergedacht und -gesagt werden kann: „Denn gerade von der Gleichzeitigkeit der Metropolen fühlte sich ja die Ungleichzeitigkeit der Provinz bedroht“. Das bezieht sich auf Blochs Analysen in Erbschaft dieser Zeit (Bloch 1962 (1935)). Aber wie sich das entfaltet, zwingt uns geradezu Analogien und Diskrepanzen zur Weimarer Republik und zu den unterschiedlichen Entwicklungen der Nachkriegszeit vor und nach 1989 auf. Und da komme ich auf die Differenzierungen im Begriff Fortschritt zurück, welcher Text ja ein Vortrag von 1955/6 war, 5 Jahre vor seiner neuerlichen Emigration. Der antifaschistische  Widerstand begann bei Bloch früh, und Schmidt beschreibt das präzise, z.B. anhand des Vortrags „Marxismus und Dichtung“, das sollte sich vor dem Weltkrieg noch fortsetzen, mit Schmidt: „Er verteidigte die neuen Techniken etwa des Expressionismus und Surrealismus gegen die Ansprüche einer Kunstdoktrin, die Realismus nur im Beachten eines Kunstregelkanons, aus bürgerlicher Klassik und bürgerlichem Realismus abgezogen, gewährleistet sah“ (S. 24). Als Bloch 1961 wegen des Mauerbaus aus der Bundesrepublik nicht in die DDR zurückkehrte und in Tübingen Gastprofessor wurde, hieß der Titel seiner Antrittsvorlesung „Kann Hoffnung enttäuscht werden?“; die Antwort war, „neuem Anfang gemäß: „Sie wird enttäuscht werden, ja, sie muß es, sogar bei ihrer Ehre; sonst wäre sie ja keine Hoffnung“ (S.28).

Die Wissenschaft hat im Mosaik so wenig ihre Antizipation gefunden wie das Vorbewusste, das Noch-Nicht-Sein. Das Noch-Nicht-Bewusste ist schroff dem Vergessenen, Verdrängten entgegengesetzt (wovon ich, mit Verlaub, viele Spuren in einzelnen Mosaiktafeln entdecke). Aber was den Weltraum, den Kosmos betrifft, wird in seiner Eroberung ja die Überlegenheit eines Systems antizipiert, möglicherweise (von heute aus gesehen) ein Fluchtpunkt, wenn wir die Erde verlassen werden müssen, was damals kein Thema war, und möglicherweise die Vergesellschaftung einer Wissenschaft, die über die ökonomischen Zwänge der Produktivität und ihrer Steigerung hinausgehen[13]. Ich muss das hier nicht ausführen, will aber versuchen, in Bezug auf Kunst die Vorahnung von Künftigem ebenso hinein- wie herauszulesen wie das Aufdecken des Vergessenen. In einer fundierten Analyse beschreibt Eberhard Braun einen Kerngedanken: „Alle Träume speisen sich aus einem Wunsch nach Glück – dies ist ihr praktischer Kern“ (Braun 1983, 131). Gerade hier verweist Braun auf die Kunst[14].

Hat der Menschen den Kosmos bezwungen? In der Vorstellung wird er ihn schon bezwungen haben, aber das Reich der Vorstellung war und ist noch nicht hinreichend revolutioniert.

ANHANG

Burghart Schmidt

Statement zu Fritz Eisels Fassaden-Mosaik am ehemaligen Rechenzentrum der DDR in Potsdam

Durch Studium des Programms vom Symposion zu Fritz Eisels öffentlichem Mosaik in Potsdam sah ich, dass sämtliche Gesichtspunkte, die mir so eingefallen waren in Sachen historisches Dokument, schon durch Vorträge abgedeckt waren. Nur einen Standpunkt kann ich hinzutragen, der offensichtlich nicht berührt wurde. Er hat zu tun mit einer Theorie von Charles Jencks, der von der Mehrfachcodiertheit eines Kunstwerks schreibt. Er hat die Theorie vorgelegt im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen über „Die Sprache der postmodernen Architektur“. Was ist darunter zu verstehen? Ein Künstler vermag in sein Kunstwerk mehrere Codes einzuweben. Viele Beispiele dazu lieferte mir der Manierismus und der Barock. Damals waren für aufwendige Kunstprodukte die Geldgeber und Beauftrager fast nur die Mächtigen des Adels und die Kirche. Die Künstler, die für aufwendige Kunst immer mit der Macht gehen mussten, erfüllten nun die Aufträge der Auftraggeber, indem sie Bildwerke von Heroenmythen dem Adel lieferten und der Kirche die gewünschten Märtyrer- und Heiligengeschichten. Aber in Manierismus und Barock verwoben sie dahinein per einem anderen Code, wie sie an der Front der Aufklärungen standen in Natureinsicht wie Welterkenntnis, Geschichtserkenntnis und besonders der Optik, in der Weltsicht erst entsteht. Das nun auf Fritz Eisels Werk in Potsdam übertragen meint, dass er einerseits den Auftrag des DDR-Staats erfüllt, gemäß deren ästhetischer Dogmatik des sozialistischen Realismus. Andererseits wob er einen Code hinein, der entscheidende Züge des Expressionismus und des Surrealismus vorträgt. Somit bleibt er gemäß seiner Zeit aktuell auch für den Kunststand des Westens, und im Osten war er angesichts der doktrinären Kunststeuerung eine einzige Provokation. Das bleibt sein Wert für die deutsche Kunstgeschichte weiterhin.

Literatur:

Aschmoneit, W. and M. Daxner, Eds. (1984). Krieg und Frieden – Osnabrücker Vorlesungen 1983/84. Osnabrück, Universität Osnabrück.

Bloch, E. (1954-59). Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt, Suhrkamp.

Bloch, E. (1962 (1935)). Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt, Suhrkamp.

Bloch, E. (1963). Tübinger Einleitung in die Philosophie 1. Frankfurt, Suhrkamp.

Braun, E. (1983). Antizipation des Seins wie Utopie. Seminar: Zur Philosophie Ernst Blochs. B. Schmidt. Frankfurt, Suhrkamp: 123-150.

Daxner, M., J. R. Bloch and B. Schmidt, Eds. (1981). Andere Ansichten der Natur. Münster, SZD.

Hörz, H. (1974). Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften. Köln, Pahl-Rugenstein.

Schmidt, B., Ed. (1978). Materialien zu Ernst Blochs <Prinzip Hoffnung>. Frankfurt, Suhrkamp.

Schmidt, B. (1985). Ernst Bloch. Stuttgart, Metzler.

Schmidt, B. (1988). Kritik der reinen Utopie. Stuttgart, Metzler.

Prof. Dr. Michael Daxner

Feuerbachstraße 24-25

14471 Potsdam

michaeldaxner.com


[1] Einen wichtigen Beitrag hat Susan Sontag schon 1975 dazu geleistet: Fascinating Fascism NYRB, 6.2. 1975: “Fascist art displays a utopian aesthetics—that of physical perfection. Painters and sculptors under the Nazis often depicted the nude, but they were forbidden to show any bodily imperfections,” und “In contrast to the asexual chasteness of official communist art, Nazi art is both prurient and idealizing”. Aus langer persönlicher Bekanntschaft und Freundschaft kann ich auch auf die vergleichenden Analysen von Martin Damus (1936-2013) verweisen, der mir die Stilvergleiche und – im Blochschen Kontext – die Ungleichzeitigkeiten der ästhetischen Entwicklung nahegebracht hat. Vgl. auch:Martin Damus:  Sozialistischer Realismus und Kunst im Nationalsozialismus. Frankfurt 1987. Fischer. Ich erwähne das mit Respekt vor äußerst unterschiedlichen Auffassungen zu diesem heißen Thema, aber in jedem Fall muss es aus dem beschwiegenen Unbewussten heraus.

[2] Vgl. Karl Moersch: Atome für den Frieden, 25.8.1955 https://www.zeit.de/1955/34/atome-fuer-den-frieden: mit „überraschender“ Einigkeit bei Wissenschaftlern zwischen Ost und West. Fortschritt war im Westen u.a. verkörpert durch die Zeitschrift Hobby: Das Technik Magazin. 1953-1991. Klassenübergeifende Lektüre des technischen Fortschritts.

[3] Im Vorwort zur Ausgabe 1935 schreibt Bloch: „Die Zeit fault und kreißt zugleich“ (Bloch 1969 (1935), 15)

[4] Ursprünglich: Bloch, E., Differenzierungen im Begriff Fortschritt. [1. Auflage] Berlin, Akademie, 1956 (Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften Berlin. Klasse für Philosophie, Geschichte, Staats-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, 1955/5). Bloch erhält den Nationalpreis und – beginnt massive Kritik auf sich zu ziehen. Die Deutungshoheit der Partei überstieg schon damals ihre strukturelle Beherrschung der Vertikale von Anerkennung und Prestige.

[5] Hier empfiehlt sich zur Einführung Schmidt, B., Ed. (1978). Materialien zu Ernst Blochs <Prinzip Hoffnung>. Frankfurt, Suhrkamp. V.a. Burghart Schmidt, Adorno, Raulet, Fetscher, Holz, Alfred Schmidt, und Abschnitt „Zur Ästhetik“ 391-474 (In diesem Abschnitt wird nicht nur die Blochsche Theorie erklärt, sondern auch der verkürzte Marxismus der ästhetischen Vorgaben dekonstruiert).

[6] Eine wichtige Ausnahme ist Hans Heinz Holz, ein Dissertant von Bloch (wegen der Bibliographie: https://de.wikipedia. org/wiki/Hans_Heinz_Holz). Ansonsten war die Ignoranz gegenüber Bloch bemerkenswert, etwa im großen Werk von Herbert Hörz (Hörz, H. (1974). Marxistische Philosophie und Naturwissenschaften. Köln, Pahl-Rugenstein. Hier finden sich im Index weder die Stichwörter Bloch und Utopie, und bei Raum und Zeit steht auch nur von Lenin Abgeleitetes (Das Buch kommt vom DDR Akademie-Verlag, gleiches Jahr). Das Beschweigen undogmatischer Wissenschaft war eine Spezialität der DDR. Umgekehrt wurden kritische Sozialisten, wie Holz, im Westen lange Zeit auch nach allen Regeln der Kunst behindert.

[7] Blochs ambivalente Haltung zu Stalin entfremdet ihn Adorno in den 1930er Jahren; die Wiederannäherung erfolgt spät, nach 1956, aber gerade in diesem Kontext. Vgl. dazu Schmidt, B. (1985). Ernst Bloch. Stuttgart, Metzler. U.s. S. 4ff. 21f. Diese Auseinandersetzung ist um Blochs Haltung zu Stalin in den 30er Jahren ist insoferne erheblich, als (berechtigte und verkehrte) Kritik an ihr seinen Grundlagen wenig Abbruch tut, und schon gar seiner klaren Politik nach 1956 (ab dem

Ungarn-Aufstand).

[8] Fuchs.uti.at/wp-content/uploads/infogestechn/fortschrittutopie.html (Christian Fuchs, Utopie bei Marcuse und Bloch)

[9] Bloch entscheidet sich damals schon für einen Multikulturalismus. In der 4. These, anschließend an obige, geht er soweit, sich eine Riemannsche Zeit vorzustellen. Das führt uns wieder zu (s)einem Aspekt der Ungleichzeitigkeit. Ich kann nicht kompetent über die Analogie der Riemannschen Mannigfaltigkeit im Kontext Auskunft geben. Bloch verstand aber etwas davon, und seine Raum/Zeit Auffassung stand weiterentwickelt gegen die marxistische Zeitdominanz (gegenüber der oft nachgewiesenen Raumdominanz rechter Ideologien).

[10] Dass Ulbricht die „Unmöglichkeit“ als Begriff ausschloss, ist jedenfalls nicht trivial. Sabrow verweist zu Recht auf die Entleerung des Fortschrittsbegriffs.

[11] Ich hätte Ohrenzeuge von Blochs Vortrag zur Erkennbarkeit der Welt sein können, wäre der Festsaal der Universität Wien nicht hoffnungslos überfüllt gewesen. Darin wird der Marxismus herkömmlicher Machart radikal kritisiert (Vgl. Peter Kampits: „Der siebente Tag werden  wir sein“ (XX, 12.9.1968),worin es   und vor allem um die Erniedrigten und Beleidigten dieser Welt geht. Implizit noch kritischer, auch gegenüber Bloch selbst, ist Claus Grossner in der ZEIT, 24.4.1970: Das Prinzip Hoffnung.  Das sind frühe Erinnerungen an die Rezeption. Zu unserem Thema siehe v.a. , Schmidt, B. (1988). Kritik der reinen Utopie. Stuttgart, Metzler.(v.a. Abschnitte G-J; von hier kann man Blochs Fortschrittsgedanken differenziert entschlüsseln und „politisieren“;  es geht um den „Abschied von den universalisierenden Utopien“.

[12] Vgl. die beiden großen Abschnitte 36 (Freiheit und Ordnung, Abriß der Sozialutopien) und 37 (Wille und Natur, die technischen Utopien) im Prinzip Hoffnung: Bloch, E. (1954-59). Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt, Suhrkamp.

[13] Nun ist dieses 15. Kapitel im Prinzip Hoffnung nicht so sehr philosophisch schwierig als psychologisch, historisch und in seiner Begrifflichkeit.

[14] Verweis auf Gert Ueding: Tagtraum, künstlerische Produktivität und der Werkprozeß“ , In: G.Ü.: Ernst Bloch, Ästhetik des Vor-Scheins 2, Frankfurt 1974.

Wo Merz Recht hat…

Gestern in den Medien, heute s/w:

Wo Merz Recht hat….(Tagesspiegel Online 20190624):

Kritik an Merz‘ Warnung vor Rechtsruck in Polizei und Bundeswehr: CDU-Politiker Friedrich Merz hat mit Äußerungen über mögliche Sympathien für die AfD in den Reihen von Bundeswehr und Bundespolizei Kritik ausgelöst. Merz hatte der „Bild am Sonntag“ gesagt, man verliere offenbar Teile der Bundeswehr und der Bundespolizei an die AfD. Um dem Trend zu begegnen, müsse die CDU eine Partei sein, die ohne Wenn und Aber hinter den Sicherheitsorganen stehe. Innenminister Horst Seehofer warnte, Merz sollte die Bundespolizei nicht als Trittbrett für seine politische Karriereplanung missbrauchen. Die Bundespolizei stehe fest auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen betonte, Polizei und Bundeswehr seien allein der Verfassung verpflichtet und gehörten keiner Partei. Polizisten und Soldaten verdienten mehr Wertschätzung und keine Mutmaßungen, wo sie ihr Kreuz machten. Der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bundespolizist Jörg Radek, hat Sympathien für rechtsnationale Parteien in der Bundespolizei bestätigt und die Regierung aufgefordert, den Verfassungspatriotismus in den Sicherheitsbehörden zu stärken. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich in der ARD-Sendung „Anne Will“ klar gegen eine Zusammenarbeit ihrer Partei mit der AfD ausgesprochen: Die AfD schaffe zum Teil das geistige Klima, in dem der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke ermordet worden sei.
tagesspiegel.de, sueddeutsche.de (Merz); zeit.de (Gewerkschaft der Polizei); spiegel.de (Kramp-Karrenbauer)

Das Problem: den Merz wollen wir nicht, darum soll er auch nicht die Wahrheit sagen. Die Lösung: wenn er die Wahrheit sagt, muss man ihn noch immer nicht mögen, aber man kann seine zutreffende Aussage als Hinweis dafür nehmen, wie verkommen eigentlich Teile der Unionsspitze, Seehofer u.a. sind, um dem Faktum zu widersprechen, das ja weder neu noch an sich schockierend ist.

Unsere Sicherheitsorgane sind in ihrer Gesamtheit vielleicht „rechts“ oder „konservativ“, was kein Wunder ist, sie sind nicht rechtsradikal oder AfD integriert. ABER: im Fall des NSU, im Fall Maasen u.a. konnte ich sagen: Teile von ihnen sind Vorfeldorganisationen der Rechten.

Warum regen sich von der Leyen und andere jetzt auf? Gerade die Verteidigungsministerin müsste wissen, welche Nester es in der Bundeswehr gibt, die mit der Verfassung wenig im Sinn haben. Selbst in der Bundespolizei  wird diese Entwicklung beobachtet, und wie denn auch nicht?

Wer die staatliche Sicherheitspolitik – nicht nur in Deutschland, auch in anderen Demokratien – analysiert, findet immer wieder eine Inklination von Sicherheitskräften und oft deren Apparaten nach „rechts“.  Ich würde hier eher sagen, zum Autoritären, zum legitimen Ausüben einer Gewalt, die den anderen Bürgern zu Recht verboten ist. Das Gewaltmonopol lässt sich ideologisch nur teilweise kontrollieren. Solange die Aufsicht und dahinter Disziplinarrecht und noch dahinter die Justiz funktionieren, sind die rechten, ausländerfeindlichen, identitären Bestrebungen in Polizei und Bundeswehr, was sie sind:  Kontraste im Rechtsstaat, die man beseitigen kann.

Nicht mit Erlassen, Appellen, und schon gar nicht mit dem Leugnen der Fakten. Es ist eine Frage der Ausbildung („Wer erzieht die Erzieher“ war nicht müssig in der 3. Feuerbachthese von Marx angesprochen, wenn auch mit schiefer Perspektive); und es ist eine Frage des kommunikativen Umgangs der Menschen, der Bevölkerung, mit ihren Ordnungs“hütern“.  Ich befürchte, dass eine gewisse Verachtung gegenüber denen, die dies von Staats wegen besorgen müssen, dass Gesetze eingehalten und ihrer Verletzung vorgebeugt werden müsse, dazu beiträgt, ihre Emanzipation vom Rechtsstaat auch ideologisch zu befördern. Und ich befürchte, dass ihnen als Schutz vor allem das Zeigen von Autorität internalisiert wurde, weshalb sie keine wirkliche Autorität entwickeln können.

Egal. Wenn Merz, der Repräsentat eines systemgerechten Kapitalismus, den man unterstützen oder kritisieren kann, etwas Richtiges andeutet, dann darf man ihn nicht unter seine Unternehmen subsummieren, ebenso wenig, wie man bei den Sicherheitskräften verallgemeinern kann.

Noch ein bitteres Apercu: genau heute wird bekannt, dass in Niedersachsen wieder nach den Linken gefahndet wird, nach den RAF-Nachfahren. Die Sicherheitspolitik hat noch immer mehr Angst vor Links als vor Rechts. Auch das ist bestens analysiert. Erschreckend ist, dass man die Rechten noch immer nicht Ernst nimmt.

 

 

 

 

Der Haken mit dem Kreuz

http://de.euronews.com/2018/04/25/soder-und-kreuz-mit-dem-kruzifix-10-der-besten-tweets

Nehmt die Drohung Ernst.

Betretet Amtsgebäude mit dem bayrischen Kreuz, das einer lokalen Spielart des Christengottes geweiht ist, betretet sie und fragt, was anders als ein beschränktes Verständnis eines beschränkten Kleinstaates es zu bedeuten hat.

Einschub aus eigner Erfahrung.

Ich war lange Zeit Präsident der Carl von Ossietzly Universität gewesen. In meine Amtszeit fiel die Namensgebung. Der Name wurde am höchsten Turm angebracht. Im Zuge von Friedensaktivitäten haben Studierende und einige Lehrende dort auch eine weiße Taube angebracht, Picasso-Taube, Symbol der Friedensbewegung.  Ich habe sie zweimal abnehmenlassen, sie wurde wieder hingeklebt. Mein Argument: wenn wir anfangen, Symbole der Öffentlichkeit aufzudrücken, ohne dass diese Öffentlichkeit sich dagegen wehren kann oder aber in den Prozess einbezogen zu werden (zB. lag die Wahlbeteiligung bei Studierenden damals unter 10%), dann ist das symbolische Gewalt. Denn dann kann „jeder“ kommen, und sein Emblem anbringen.

(Selbst bei der staatlichen Heraldik gibt es rechtliche Grenzen).

Empörung reicht nicht

Söder meint mit seiner Maßnahme die Grundstimmung im Volk (s.d.) und ein klares Identitätssignal zuglerich aufzugreifen.  Mir san mir. Regt euch nicht auf, wenn überall so ein Kreuz an der Eingangstür hängt, dann verkommt das zur unreflektierten Alltäglichkeit. Bis es jemand abreißt oder sich weigert, in einem so gesegneten Amtshaus als Staatsbürger aktiv zu werden, seine Entfernung verlangt.   Geht das Ganze dann doch wieder einmal vor Gericht, wird der verhängnisvolle Einfluss der Kirchen, nicht nur der bayrischen  Sekte, auf unser Staatswesen noch deutlicher.

Ich habe mich immer für die Religionsfreiheit in den Grenzen des Rechtsstaats ausgesprochen. Der Staat in den Grenzen  religiöser Identität ist unmöglich. Deutschland ist kein christlicher Staat. auch kein agnostischer,  muslimischer oder sozialistischer, um gleich die Brücke zu Ideologien zu schlagen.

Empörung? Warum eigentlich? Wenn das Kreuz da hängt, legitimiert es alles, was im Amtshaus geschieht: Rechtspflege, Verwaltung, Schlendrian, Ehebruch und Korruption. In hoc signo vinces! Natürlich nur „symbolisch“. Obwohl, in Bayern weiß man nie…

Der Verweis auf die unsägliche Leitkulturdiskussion ist unvermeidlich. Dass sich der mildsabbernde evangelische Bischof Bedford-Strohm – ein christlicher, ein bayrischer Name? – glich für das Kreuzaufhängen ausgesprochen hat, wird er vielleicht bereuen, ich trau es ihm zu. Entschuldigung, Herr Bischof.

 

Vergessen wir nicht, das Kreuz kann auch andere Bedeutungen haben, es kommt zB. der bayrisch-christlichen Anwendung von Sharia nahe, weil alle weltliche Rechtssprechung im Islam, nach orthodoxer Auffassung, dem göttlichen Recht untergeordnet ist. Mir  jüdischem Spötter wiederum erlaubt das Kreuz in der  Amtsstube, dorthin nicht zu gehen und mich mit den Amtswaltern nebenan im Cafe zu treffen oder eben dort nicht zu verrichten, was man von mir erwartet. Oder wir kleben, nach Anteilen der Religionszugehörigkeit, kleiner Kirchensymbole neben das jetzt amtlich verordnete Kreuz, z.B. mit einer 2% Klausel. Ach, wie herrlich, dass die Bayern keine andern Sorgen haben.

Warum wehren sich die Christen nicht?

Nichts gegen Kreuze auf Kirchtürmen. Nichts gegen Kreuze in Religionsschulen, oder auch Halbvmonde und Davidsterne…oder doch? Die Diskussion ist nicht ganz beendet. Nun, der Söder hat ein vom Kardinal gesegnetes Kreuz in den Händen, das er anbringen lassen will. Ob ihm das hilft, seine bayrische Politik, z.B. bei Abschiebungen und gegen Ausländer und andere notleidende Menschen zu vermenschlichen? Man könnte daraus ableiten, dass nur gesegnete Kreuze angebracht werden dürfen, an  gesegneten Haken, die in geweihte Wände geschlagen werden. Soviel praktizierende Christen gibts ja gar nicht, dass die sich in Bayern wehren können. Immer mehr Menschen treten aus diesen Vereinen aus, immer weniger Priester segnen Kreuze, da springt jetzt die so genannte Staatsregierung ein. Der Gottesstaat ist nahe…

Gegenposition

Der groißartige israelische Schriftsteller Amos Oz berichtet glaubwürdig, wie sehr ihn die Jesuserzählungen des Neuen Testaments in seiner Jugend beeindruckt hätten. Das kann allemal von Nutzen für die Gesellschaft sein, wenn man sich im persönlichen Bereich bei den Anderen umschaut.

Hier wird Indoktrination betrieben, die das verhindert. Man könnte weit über alltägliche Toleranz hinaus von der Einsicht in die Verhältnisse von anderen Menschen lernen.

Die Rechten sagen, dass man in Bayren „Grüß Gott“ sagt. Nicht nur in Bayern. Ich habe den Gruß aus Österreich mit mir genommen, und sag ihn vor allem dort, wo er auf die verstörend wirkt, die nicht wissen, warum gerade ich das so sage. Vieles ehedem religiöse ist längst zur Alltagsformel verkommen und hat wenig Bedeutung über vielfältige Verhaltenscodes hinaus.

Aber Söder meint, eine sektiererische Ideologie zur Staatsreligion aufzuwerten, wenn ihre Symbole zum Teil des Staatseigentums werden. Das Schlimme ist, dass er gerade nicht der umfassenden, christlichen  oder sonstigen religionspluralen Kultur das Wort redet, sondern die Dominanz seiner Sekte etatisiert. Wer bezahlt eigentlich die Kreuze? Konjunkturförderung für das bayrische Handwerk, von meinen Steuern? (nein, es gibt ein Kooperationsverbot in der Verfassung, dass kirchliche Symbole und Karnevalsveranstaltungen in die Hoheit der Länder legt).

Wir denken beim Betreten bayrischer Amtsgebäude an den großen Dichter Ernst Jandl. Wir bezwetschgigen uns.

DEUTSCHE VERGANGENHEIT GLOBALE GEGENWART

 

 

  1. SCHLUSS MIT DER VERHARMLSOUNG DER VERHARMLOSUNG

Wer in Deutschland irgendetwas mit dem Nationalsozialismus vergleicht, wird als Verharmloser kritisiert. Wer nicht vergleicht, verharmlost, was einen neuen Namen hat:

Rechtspopulistisch, nationalpopulistisch, nationalkonservativ, identitär….

Wir haben gute Medien; das haben nicht alle. Heute (9.4.2018) früh im Deutschlandfunk hielt der CSU Europaabgeordnete Marcus Färber eine Lobrede auf die ungarische Demokratie, dem Viktor Orban bescheinigend, dass der in einer einwandfreien Wahl eine legitime Mehrheit gewonnen hatte. Und schließlich würden Sozialdemokraten (in der Slowakei) und andere Demokratien (Rumänien, Tschechische Republik) ja auch gegen Flüchtlinge hetzen. Schlimm, aber geschichtsunkundig und wenig intelligent. Es ging im Grunde darum, die Ungarn in der EVP-Fraktion des EU Parlaments zu bestätigen. Immerhin…Polen sei viel schlimmer.  Färbers Angriff auf Georges Soros war, milde gesagt, antisemitisch aus dem Vorurteil, jüdische Banker hätten ja auch Angriffe auf die Demokratie durch ihr Verhalten gefördert oder verständlich gemacht.

Kurz darauf die Gegenstimme: György Dalós, der großartige Essayist und Autor: im Kern seiner Analyse steckt die Beschreibung Ungarns als „institutioneller Monarchie“, in der die formellen Anläufe das autoritäre Regieren geradezu befestigten: Der Staat beherrschat die Demokratie. Ein so gescheiter Satz: dahinter steckt, dass einem Demos, einem Volk, nicht gestattet wird, sich zu konstituieren – durch die faschistischen, völkischen, restriktiven Diskurse, und man sich dann auf die ethnisch eingegrenzte, nationale Bevölkerung stützen kann, um seine Mehrheiten gewaltsam auszuagieren.

  1. Ambiguität – ein Fremdwort für die Kritiker der Realität

Das Blut war noch nicht trocken, da hetzt die Nazipolitikerin Beatrice von Storch bereits gegen Muslime: „Wir schaffen das!“ höhnt sie. Sie muss das bald relativieren. Aber Polizei und andere Medien sagen sofort, dass es sich offensichtlich um keinen Amok mit islamischen Hintergrund gehandelt habe, dafür war ein Wahnsinniger der Täter. Dem Deutschen GESTEHT man die Pathologie zu, dem Muslim nur die böse Absicht.

In letzter Zeit werde ich oft wegen meiner Vergleiche der Jetztzeit mit den letzten Jahren von Weimar angesprochen und kritisiert. Das ist gut so, weil es Aufmerksamkeit auf mehrere Aspekte sich überlagernder Geschichte lenkt. Die NSDAP ist ja nicht 1933 entstanden, sondern hat einen langen Parteiprozess hinter sich, mit Abspaltungen, Personalquerelen usw., der AfD nicht unähnlich. Manchmal mit bemerkenswerten Ausreißern (vgl. lesenwert https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Dickel)

Und über die Widersprüche in einer Bewegung, die zur Partei wird…. Ich hatte böse Kommentare bekommen, als ich 1990 noch als Unipräsident vor ostdeutschen KollegInnen darüber sprach, dass die Nazis nicht umsonst national und sozialistisch verklammert hatten. Ideologien kann man nicht mit einem einseitigen und handgestrickten Antifaschismus aus den Angeln heben.  (Was keineswegs bedeutet, dass die sozialistischen Vorstellungen von der Gesellschaft immer so national verklammert werden müssen, wie das in der DDR der Fall war, und auch nicht, dass wieder auflebende Nationalismen dem Soz1ialstaat nützen oderschaden müssen).

Was die nationalen Bewegungen in ganz Europa, nicht NUR in den osteuropäischen Staaten, betrifft, kann man eines mit Sicherheit behaupten: je enger die nationalen Grenzen gezogen werden, desto ethnischer werden sie, desto weniger demokratisch werden die darin eingeschlossenen Ethnien.

Das gilt auch für Deutschland:

Die neue rechte Sammlung in der CDU/CSU, die AfD-nahe Sprache der Seehofers, Scheuers, Dobrindts und Spahns zeigt einerseits die Nähe dieser Individuen zu den autoritären undemokratischen Grundlagen des Nazis UND anderer autoritärer Bewegungen. In  Österreich,  wo die Nazis mittlerweile mitregieren, scheint eine seltsame Duldungsstarre zu sagen: wenn nichts Schlimmeres geschieht…

Dabei wird übersehen, dass das Schlimme ja nicht ZUERST UNS GESCHIEHT. Die Flüchtlinge werden konzentriert und abgeschoben – Christentum adé, Grundgesetz adè…aber wir sind nur moralisch betroffen, nicht „wirklich“ (ein weites ideologisches Feld). Die kriminellen Elemente in den Vorstandsetagen werden geschont, was sich noch bitter rächen wird – wir werden davon wenig spüren, wenn Rüstung Chemie Autos und Banken sich weiter verselbstständigen dürfen, aber Millionen anderer sind betroffen. Wir sind auch von dieser deutschen Demographie wenig betroffen, unsere Kinder, unsere Enkel schon, und mir macht der Antisemitismus weniger aus, weil ich mich wehren kann, als den Kindern. UND WER ERZIEHT DIE ANTISEMITEN? Wenn man die Vorurteile und den Schutz der RELIGION STATT DER MENSCHENWÜRDE  ansieht, dann kann einem zwar bitter werden, aber so richtig schlimm wird es für uns nicht…aber für andere.

3.

Als vor Jahrzehnten Enzensberger Saddam als Hitlers Wiedergänger bezeichnete, erhob sich, ich denke zu Recht, einiger substanzieller Protest. (Vgl. DER SPIEGEL 6/1991). Vor allem, weil er nicht verglichen hatte, sondern sich in Analogien der Rezeption von Scheusalen und Monstren geübt hatte, also unpolitisch und die Vergleichsmaßstäbe vernachlässigt hatte.

Ich will den gleichen Fehler nicht machen, habe mehrfach in Blogs und in Kontroversen mit der Grünen Linken deutlich gemacht, dass Vergleichen, Gleichsetzen und Gleichgültigkeit drei Dimensionen eines ständigen Abwägens von Wahrnehmung und Deutung sind.

Dass stärkere Demokratien, wie Deutschland, wohl hoffentlich auch Österreich, Norwegen oder die Niederlande, mit den Nazis (das sind keine neuen oder alte Nazis, es sind zeitgemäße Nazis) besser umgehen, also sie demokratisch wirklich bekämpfen, statt sich hinter der formalen Demokratie zu verstecken, kann ich nur hoffen – und wir sollten dazu beitragen. Schwächere Demokratien haben es da schwerer. Global gibt es keine Region mehr, die nicht von den Angriffen der völkischen Plebejer sicher ist. Deutschland ist da keine Ausnahme.

Und ich erinnere nur daran, dass Ossietzky richtig festgestellt hatte, dass es in der Weimarer Republik zu wenige Republikaner gibt, und bei uns gilt das auch – siehe Identitäre oder altpreußische Reaktionäre oder …; aber bei uns gibt es auch viele, die den Weg zum friedlichen Ambiente in der Abkürzung der Abschaffung der Demokratie durch „Illiberalität“ (Orban) oder „Identität“gehen wollen.

Eine Pointe erspar ich den Nationalen nicht: es fehlen jetzt schon Millionen für freie Arbeitsplätze. Wenn es darum geht, sie nur mehr mit Deutschen zu besetzen, dann wird unheimliche Stille herrschen im Land.

 

Die korrekte Universität

Die korrekte Universität – gibt es nicht. In Deutschland – anders als in einigen europäischen Ländern – sind Universitäten, oder weiter: der „tertiäre Sektor“ des Bildungswesens – nicht auf der Prioritätenliste öffentlicher Aufmerksamkeit und politischen Agenda.

ICH

Vor einem Jahr habe ich meine letzte hauptberufliche Lehrveranstaltung durchgeführt. Mein Abschied war für mich bedrückend, denn ich hatte das Studium -also Lehren und Forschen zugleich – immer als wichtigen Bestandteil meines akademischen Lebens aufgefasst.

Manches ist „moderner“ geworden, Power Point, Internetverweise und andere digitale Werkzeuge haben das Hochschulstudium sicherlich auch bereichert; Wikipedia ist nicht viel weniger brauchbar als die früheren Quellensammlungen.

Aber im Grunde sind die Studienbedingungen in ganz Deutschland schlecht. Sehr viel schlechter als sie sein könnten. Nicht nur die Überfüllung (Jüngst habe ich ein Proseminar mit 120 (!) auch hochschuldidaktisch analysiert – was geht hier vor?). Viele Studis sehen ihre Professor*inen in den wichtigen Veranstaltungen der ersten Semester so gut wie nie, dafür höchst spezialisierte forschungsorientierte Nachwuchskräfte (didaktisch naturgemäß wenig erfahren) oder Lehrbeauftragte in prekären Positionen. Systematische Beratung und die Betonung des „Nichteigentlichen“ Feldes der Universität wird vernachlässigt (guter Begriff von Ulrich Teichler, auch schon 30 Jahre alt, über die Hochschule als soziales und kulturelles Netz von Bedingungen, Wohnen, Essen, Beziehungen, Körper und Wahrnehmung, Überschreiten der Außengrenzen….).

Ich habe seit Mitte der 1980er Jahre viel dazu geforscht und publiziert (aber nie als “Hochschulforscher“, das ist ein Nebengleis zu dem ich jetzt nichts sage, wiewohl wir diese Forschung dringend brauchen und weiter entwickeln wollen). Gegenüber anderen Themen konnte ich mich über Auflagen, öffentliche Anerkennung – und eine gewisse politische Ausstrahlung nicht beschweren.  Aber meine Hauptargumente wurden von den strukturkonservativen Hochschulpolitikern – rechts wie links, studentisch wie professoral – zugunsten des Zauberworts deutscher Universitäten „Besitzstandswahrung“ abgewertet, ich sage „Besitzstandswahrung bei sinkender finanziellen Ausstattung und falschen Motivationen“.

Nach 2000 habe ich mich aus der aktiven Hochschulpolitik herausgehalten, bin viel stärker auf die Konflikt- und Interventionspolitik eingegangen – und zugleich gab es kein Entkommen. Im Kosovo (1999-2003) und in Afghanistan (2003-2025) habe ich immer auch Hochschulreform als intervenierende Variable guter Politik mitbetreut.

Aber ich halte mich nicht zurück mit der Frustration: wenn bei uns, im reichsten Land Europas, die Hochschulen hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben, wie solls dann bei den Armen am Rande gelingen?

REFORM?

Innen wird manches besser, ohne Zweifel. Bei manchen Hochschulen im uneigentlichen Teil. Aber die große gesellschaftliche Strukturfrage wird systematisch nicht beantwortet.

  • Was soll die wissenschaftliche Bildung und Ertüchtigung den Gesellschaften und ihren Träger*innen gleichermaßen bringen – das nicht außerhalb der öffentlichen Anstalten privat und marktorientiert gleichermaßen und besser produziert werden kann?

Bitte keine pathetischen Antworten. Wissenschaft im „Dienste der Gesellschaft“, i.e. auch der Natur, ist immer auch konkret. Wer hat die Macht, die Prioritäten zu setzen und die Forschungsfragen zu stimulieren, die Priorität haben müssen (- -> Blog Finis terrae).

  • Wissenschaft als Beruf widerspricht nach wie vor Tätigkeitshierarchien innerhalb des Hochschulsystems

Solange die beiden Systeme institutionell inkompatibel gestaltet werden, verlieren immer die produktiven Intelligenzen und Kapazitäten genau derjenigen, die generationenübergreifend ihre Tätigkeit in alle Bereiche diffundieren lassen sollen.

  • Fast alle relevante Forschung wird von Staats wegen aus den Universitäten ausgegliedert (in Max Planck, Helmholtz, Leibniz etc. Institute, deren Kooperationsmodelle stets zum Nachteil der Universitäten geraten, und das Studium behindern statt fördern).

Es scheint, dass dieser Weg der institutionellen Privatisierung von Steuergeldern fast irreversibel erscheint. Das Gerede von Forschungsuniversitäten und Exzellenzinitiativen ist eher palliativ als reformerisch, zumal föderaler Regionalismus hier weitere Ansätze zerstört.

  • Falsch verstandene Demokratisierung – i.e. Mitbestimmung bei Laufbahnen und Positionen – behindert die Wissenschaftsfreiheit und umgekehrt wird diese einseitig ständisch verkürzt auf die Verfestigung bestehender Machtstrukturen. Vom Politischen Mandat der Studierendenschaften über die Personalräte bei studentischen Hilfskräften bis zu der unausgetragenen Paritätenschlacht in den Gremien liegt da alles im Argen.

Wenn man darüber – und das asoziale Element der Gebührenfreiheit bei gleichzeitigem Recht auf Bildung  – mit einem Asta oder politischen Funktionärskader spricht, ist man an die ungewollte  Satire autoritärer Gesellschaften erinnert, mitten in der Marktwirtschaft.

 

KORREKT

 

Aus den genannten vier Punkten kann man, können wir, ein Reformkonzept machen, wenn wir es nur angreifen, einschließlich EUROPA und einschließlich „BOLOGNA“. Zu letzterem nur so viel: kaum ein Land hat die Intention und die Möglichkeiten des Bolognaprozesses so schlecht verstanden und umgesetzt wie Deutschland. Aus Standesdünkel und dem Irrglauben, das deutsche System sei besser als alle anderen.

AN DIESER STELLE….sprießen nun alle möglichen Vorschläge, Beschlüsse der Rektorenkonferenzen, Bund-Länder-Unverträglichkeiten usw.  Bei all dem werden einige ganz wichtige Tatsachen vergessen, sodass ich ohne Arroganz, eher betrübt, feststelle: Hochschulreform ohne diese Zutaten –

Ich will mich aber einem ganz schmalen Segment akademischen Nichtgenügens widmen, der falschen Korrektheit bzw. Inkorrektheit (es geht dabei am Rande um political correctness, aber wirklich nur am Rande). Korrekt heißt regelkonform.  Kein Berufungsverfahren erfolgt wirklich regelkonform. Die Begründung mag erstaunen, d.h. es gibt drei:

  1. Weil Universitäten langsame Systeme sind, können zwischen zwei folgenreichen Entscheidungen eine Vielzahl von Interventionen interessierter Akteure erfolgen. Bei Berufungen sind hier so viele persönliche, vorurteilsbehaftete, bewusste und unbewusste Druckmittel im Spiel, dass das Ergebnis entweder zufällig gut oder zufällig schlecht ist, mit der Demokratie der Regeln aber nichts zu tun hat.
  2. Weil Hochschulsystem (Machtverteilung in der Gesellschaft über formale Abschlüsse und Anerkennungsregeln) und Wissenschaftssystem (Ordnung von Wissen und Erkenntnis, Kritik der Realität, Entwicklung von Möglichkeiten) nicht abgestimmt sind, überwiegen formale Kriterien. Der lächerliche Zitationsindex und die Publikationsheuchelei überwiegend z.B. einer einzigen praktischen Seminarprobe; aber auch ein hochtheoretisches Überprüfen der tatsächlichen Qualifikation bei den Bewerber*innen unterbleibt.
  3. Opportunitätsprobleme überwiegen den Begründungsdiskurs: Genderfragen, Zusammenpassen oder Fremdkörperberufungen, etc. Die studentische Mitbestimmung ist absolut notwendig, darf aber gerade nicht als Ausdruck einer „Statusgruppe“

Dass die Ergebnisse passabel sind, liegt schlicht an der Zufallsverteilung, die natürlich immer auch gute und sehr gute Auswahlen ermöglicht, bzw. „gesetzte“ Kandidat*innen bevorzugt, deren Vorgeschichte relevanter als das Verfahren selbst ist.

Dieses Beispiel zeigt, dass falsch verstandene formalisierte Demokratie sich an die Stelle eines kontrollierbaren und nachvollziehbaren Vertrauens gesetzt hat, das auch bestimmte Regeln beanspruchen könnte.

Ein anderes Beispiel sind die oft kritisierten Examens- und Doktorarbeiten vor allem dort, wo die Themen in den Bereich wirtschaftlicher und finanzieller Anwendung hineinragen. Ironisch sage ich, dass es bei technischen oder naturwissenschaftlichen Forschungs- und Entwicklungsthemen wenigstens deutlich sichtbar wird, wessen Interessen und welche Interessen bei Themenvergabe, Forschungsinteressen, Verwertungsabsichten und nicht selten bei der Bereitstellung der Instrumente vorhanden sind. Das ist bei geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Themen nicht so deutliche, da müsste man eine Analyse der Subtexte im Diskurs zwischen Betreuer und Examinierten machen. Vor allem aber geht es auch um die Korrektheit der Ergebnisfindung und -bewertung. Und die sind im Wissenschaftssystem mit seiner impliziten Theoriefähigkeit, Kritik UND Empirie doch sehr unterschieden von den Profilen, die das Hochschulsystem den erfolgreichen Studierenden und Absolvent*innen nahelegt.  Dass es keinerlei Ausbildung der „Prüfenden“ gibt, ihnen aber eine teils pervers hohe Macht zuspricht, kommt dazu.

ICH

Ich habe mehr als 50 Doktorarbeiten betreut, mehr als 1000 Abschlussarbeiten (BA; MA, Magister, Diplom) und unzählige Hausarbeiten. In vielen Fällen als Ergebnis der Arbeit im Studium, in ebenso vielen mit unbekannten Zugewiesenen. Die Prüfungsberatung war immer so etwas wie eine Fastfood-Psychologie der Verfassung eines Menschen, dessen Lebenslauf auch, auch!, mit dem Prüfungsprozess zusammenhängt. (Mein erstes Drittmittelforschungsprojekt ging übrigens um Prüfungsforschung, und den Unsinn der Trennung von Studien- und Prüfungsordnung, wurde dementsprechend vom staatlichen Auftraggeber ungern entgegengenommen, 1978). Kann man  Vertrauen institutionalisieren? Man kann…mit allen Fallstricken, wie Sympathie, Abneigung, aber auch den Problemen, im Thema notwendigerweise sehr viel besser zuhause zu sein (v.a. bei Master und Diplom) oder sehr viel weniger (bei den meisten Doktorarbeiten, was ja geradezu systemnotwendig ist, wenn da wirklich geforscht wird). Dann werden ganz andere Dinge bewertet, Methoden, Bias, Relevanz, Schlussfolgerungen…all das, was Wissenschaft vom Common Sense unterscheidet, und was mit der neuen Kompetenz-Ideologie eingeebnet wird.

Ich habe auch unkorrektes Verhalten erlebt, Plagiate, indirekte Täuschungen, Bestechungsversuche. Aber nicht das waren die großen Probleme – die löst man relativ einfach auf, – sondern die kritische und aufrichtige Frage auf beiden Seiten: was soll dieses Verfahren in Bezug auf a) das Leben der Kandidat*innen, b) den Fortschritt der Wissenschaft? Die Antworten finden sich bei immerhin guten 10% dieser Arbeiten im Text, bei den meisten gar nicht.

 

GEBÜHREN UND DIE SOZIALE WIRKLICHKEIT

Die Stellschrauben an einem guten Universitätssystem sind

  • Studierfähigkeit
  • Vertikale Durchlässigkeit
  • Horizontale Wahlmöglichkeit
  • Didaktische Qualifikation der Lehrenden
  • Kommunikationsräume und lebensweltliche Vernetzung in der Hochschule
  • Gleichwertige Osmose zwischen dem Innen und Außen der Hochschule
  • Angemessene Ausstattung und damit
  • Finanzierbarkeit

Wohlgemerkt, ich habe hier nicht aufgelistet, was für die gesellschaftliche Funktion und die persönliche Lebenssituation der Beteiligten relevant ist, dazu gibt es – siehe oben – hunderte Bücher, Vorschläge, auch Gesetze und fachliche Regeln.

Als ich noch aktiv in der Hochschulpolitik war, konnte ich meine Hauptthese nicht ganz einfach vermitteln: die immer privilegierten Studierenden bekommen ihren Status (Bessere Chancen am Arbeitsmarkt, höhere Lebenseinkommen, größeres soziale und kulturelles Kapital) aus der Steuerleistung der überwiegend nicht akademischen, nicht privilegierten Mehrheit der Bevölkerung, – sozusagen als zinsfreies Start-up Darlehen für größere Macht. Mit anderen Worten: die nicht-studierte Arbeitnehmerschaft bezahlt die Studiengebühren pro Student*in indirekt.

Dem hatte ich ein Darlehensmodell gegenüber gestellt, wonach alle Studierenden – unabhängig von der Herkunft – ein reguläres Studiengehalt beziehen sollten, dass sie dann im Lauf ihres Lebens über die Steuer zurückzahlen. (Wer viel verdient, zahlt mehr…).

Die Kritik an diesem Modell liest sich heute wie ein buntes Satiremagazin. Darauf gehe ich nicht ein.

Aber ein Problem haben wir. Weil die Universitäten nicht das liefern, was sie sollten, wird die soziale Zukunft der Absolvent*innen und der meisten Lehrenden von den Privilegien entkoppelt, die ich genannt habe. Auf der Strecke bleiben nicht so sehr die Jobs (gemäß der neuen Spaltung sozial mit weiter Einkommensspreizung), sondern eben die Teilhabe an den sozialen und kulturellen Kaptalen, auf denen unsere Zivilisation auch beruht.

Auf dieser Ebene wird Hochschulpolitik längst nicht mehr diskutiert. Auch nicht in Effizienzmühle „Hochschulforschung“.

GLOBAL

Anderswo sehen Universitäten aus wie Universitäten. Manchmal privilegieren sie ausschließlich über den Status, der mit dem Abschluss verliehen wird. Weder Qualifikation noch Kompetenz reichen aus, um Arbeitsmarkt und Lebenshaltung nachhaltig zu verbessern.

Können diese Universitäten von unseren korrekten Hochschulen lernen? Ein Frage der globalen Innenpolitik.

 

O.S. ter Hase – Schöne Tage

 

Zwei Fragen.

I.

Eine der wichtigen Fragen für Kinder – und die Feiertags-Event-Süßwarenindustrie – ist die nach der Wirklichkeitsvermutung für den Osterhasen.

Während das so genannte Christkind, aber auch Santa Claus, Knecht Rupprecht, Nikolaus, die Hirten an der Krippe, die vier heiligen Drei Könige (die kommen immer zu viert!), und natürlich Jesus-Maria-Josef und ggf. Ochs und Esel usw. eine „Schnittfläche“ mit religiösen Traditionen und dem christlich-jüdischen Abendland haben, kommerzialisiert oder nicht, ist das beim Oster- oder gar Frühlingshasen anders.

https://de.wikipedia.org/wiki/Osterhase erklärt erschöpfend die schmale Schnittstelle mit Religion und die überlappende und nicht-triviale Frage, warum der Osterhase a) Eier bringt, b) wie er sie legt, und wozu wir diesen Brauch so notorisch aufrecht erhalten, wo doch dem Bischof Huber alle diese Kinderfeste („Halloween“ z.B.) zu profan sind. Man muss schon sehr weit ausholen, um den besagten Hasen (der zunehmend wie ein Karnickel aussieht, also kein Hase ist) mit den christlichen Osterfeiertagen oder aber dem jüdischen Pessach in Verbindung zu bringen.

(Aufheulen die Theologen, die diese Oberflächlichkeit gerne und vieltausendfach korrigieren können!).

Das wollte ich aber eigentlich gar nicht erzählen. Für meine älteren Enkelinnen hatte ich vor vielen Jahren den Herrn O.S. ter Hase bemüht. Ich hatte ihm eine Geschäftskarte verpasst und ihn auftreten lassen als Vertreter der unbeschwerten Ostertage. Neuerdings wieder:

O.S. ter Hase

Feyertags- und Geburtstagsexperte

Senfkünstler

Lagerfeuerbachstraße 2425

1444777 Rübenacker 25

 

Was soll ich Ihnen und Euch Ostermärchen erzählen? Ich habe zwei Hintergedanken dabei: zum einen, warum der Osterhase so viel längerlebig als die Christkindfigur in allen Variationen ist, zum andern, weil dieses Tier so wunderbar fake ist. Ihr kennt doch sicher Gerhard Polts „Nikolausi – Osterhasi“ https://www.youtube.com/watch?v=3eX38aKmX_4 Andererseits wird der Osterhase vom Erwachsenen zählebig gegen das kindliche Bestehen auf dem Nikolaus verteidigt. Das verstehe, wer mag. Eier verstecken, finden lassen, heuchlerisch aufbewahren, dreht sich das Kind weg, sofort wieder verstecken. Das Kind meint hunderte gefunden zu haben, drei vier sinds. Dann pecken. Wenn man die Eier ganz oben fest umschließt, an der runden Seite, sind sie härter und zerdrücken die Spitze des gegnerischen Eis. Ich hatte als Kind ein blaues Holzei, unwesentlich größer als ein echtes, und so gut lackiert, aber natürlich wussten alle, dass es nicht echt war, und man ließ mich freudlos siegen. Nur haben diese Eier Rituale nichts mit dem Hasen selbst zu tun,  denn die Vorstellung erreicht nie die Stufe der Klarheit, sich den Eierlegenden, den Osterhasen, vorstellen zu können. Alle andern Festtagsgeheimnisse lassen sich leichter entschlüsseln.

O.S. ter Hase diente in den Geschichten, die ich damals geschrieben habe, als vermenschlichter Osterhase, und er erlebte, was sich vorstellen ließ. Ich weiß es nicht mehr, er fällt mir aber immer wieder ein, wenn ich mir überlege, was ich wem zu Ostern schenke. Warum schenken wir uns zu Ostern etwas, außer Eiern? In der Zeit nach dem Theoriehunger (Michael Rutschky +, gerade ist er gestorben, hatte diesen Begriff auf unsere Generation angewendet, 68 passt auch zur zweiten Frage), also danach kam der Erfahrungshunger (die Gegenbewegung, gemischt aus Gefühl und sexueller Unmittelbarkeit der 70er Jahre), und seltsamerweise wurden Ostereier damals lustvoll bemalt (fertig eingefärbte kaufte ohnedies niemand von uns, aber die kunstvolle Verzierung, die wie schlesisches 19. Jahrhundert ausschaute oder Flohmarkt, war ja nicht zu erwarten gewesen). Scheußlich, ja, aber wenn es ums Verstecken ging, war alles wie vorher: siehe oben.

II.

Der Hase galt einmal auch als Symbol für den schwachen Menschen…naja. Der Bezug aber zu Ostermarsch liegt hier näher als zu Osterfeuer und dem neuheidnischen Frühlingstaumel von Mensch und Natur. Ich erinnere mich noch an die Ostermärsche der 1970er, als ich schon in Deutschland lebte. Ich wusste von der pazifistischen und antimilitaristischen Grundidee, war aber immer erstaunt, wie viele friedliebende Menschen sich zugleich vor den Karren der eher moskau-orientierten Parteien und Bewegungen spannen ließen. Umgekehrt war der Familienausflug für den Frieden – ursprünglich britische Erfindung – doch eindrucksvoll gegen die neue Waffenrhetorik von Adenauer bis Schmidt gerichtet; und gegen die Neutronenbombe allemal…und alles zu Ostern. Aber der Kerngedanke kam nicht von der moskowitischen Fraktion der Friedensbewegung, sondern aus jener sehr gewaltfreien und humanistischen linken Mitte um das spätere Sozialistische Büro – und man konnte, musste nicht, ohne ideologische Verrenkungen mitlaufen, nicht unironisch intoniert „es ruht im grünen Moos der Arsch/gepriesen sei der Ostermarsch“ (nicht von mir,  der ich gute Schüttelreime liebe). Wir waren Hasen.

Für Abrüstung zu demonstrieren, war nicht schlecht, aber wenn es um Ost UND West ging, dann bekam der Osten häufig Abrüstungsrabatt. Und die Spaltung zeichnete sich damals schon ab, kulminierte nach der großen Bonner Demo 1981…

Viele, meist individuelle religionsnahe Teilnehmer*innen schafften immer wieder den Bezug zu der religiösen „Botschaft“ der Ostertage in der Tradition. Obwohl es weder jüdisch (Exodus) noch christlich (Kreuzigung) friedlich zuging, waren beide Überzeugungen auf Frieden als Ziel hin orientiert: einmal durch Heimkehr und Einzug ins friedliche Land…ist ja nicht wirklich so geworden, aber immerhin; das andere Mal als Hoffnung, behauptete Erlösung würde friedensfähiger und bereiter machen, auch nicht so richtig umgesetzt. Aber diese inspirierten Ideen brachten manche religiöse Menschen näher an die Politik und umgekehrt. Wir waren/sind Hasen. Und sollen, einer christlichen Auslegung folgend, am Felsen (Christus) Schutz und Halt finden.

Das ist den Ostermärschen wie den eiersuchenden Kindern wohl etwas fremd. Man kann es natürlich etwas herunterfahren, weg vom Pathos, hin zur netten Jahreszeit des Jahreskreislaufs, wenn man vom schlechten Wetter und der Kälte erlöst ist, und dabei bleibts. Ostern ist schön und wenig geheimnisvoll, weil – vom Ei her gesehen – unverständlich schmackhaft; von der Erlösung her gesehen, politisch aber interessant, durch wieviel Tradition sich die Aufbruchstimmung dynamisieren lässt.

III.

Eine Antwort.

Als ich damals O.S. ter Hase schrieb, es waren nicht viele Geschichten, da sind mir diese Gedanken vage im Kopf herumgegangen (auch ein, zweimal beim Ostermarsch, ungern, wie ich erinnere). Heute sind sie mir wichtiger, weil man vor lauter „Botschaften“ schon gar nicht mehr weiß, ob es mehr Boten  als Empfänger gibt. Einerseits denke ich, fast nostalgisch, an die nicht-politisierte Freude an den Festen des Jahres- und Lebenszyklus, nicht nur zurück, es könnte sie heute ja geben, wenn nicht…wenn nicht auch all diesen so viel an politischem Unterbau ständig beigegeben wäre. Andererseits: man kann ja parallel denken und empfinden.

Ich war grad einundzwanzig. Um auf den Berg Athos zu kommen, musste man eine schrecklich bürokratische Prozedur im Klostervorstandsbüro in Saloniki absolvieren, dann bekamen Männer, nur Männer, ein Mehrtagesvisum zum heiligen Berg. Ich wurde richtiggehend verhört, Details, auch nach Glauben und Politik war ich befragt worden. Kunstgeschichte, Wandern, Erkundungen des mönchischen Lebens, all das hatte mich motiviert, dorthin zu gehen, auch bildungsbürgerliche Lektüre vor der Familienreise, schon anpolitisiert. In einem so genannten strengen Kloster an der Westküste erlebte ich die Osternacht, vorher Zwiebel, trockenes Brot, sauren Wein, dann Weihrauch und stundenlange Gesänge bis zur Auferstehung. Beeindruckend, wie eine Wagner-Oper, und mir völlig fremd. Aber attraktiv und todmüde angezogen. Ein Einsiedler erzählte mir am nächsten Tag,  er würde jetzt dem heiligen Leben Adé sagen und nach Paris übersiedeln, dort hätte er ein Haus geerbt, rue de Constantinople….Zwei Extreme, zu Ostern, in zwei Tagen: dann war mir, leider erst dann, klar, dass diese heilige Halbinsel das besondere Kleinod der schrecklichen Diktatur von 1967-74 war, deren Beginn ein Jahr zuvor ich in Athen miterlebt hatte. (Die Scham kam zu spät). Am Auferstehungsgesang hatte das nichts geändert.

Dem unpolitischen Osterhasen sei Dank, dass man die Symbolik der harten Eier (gibst auch) nicht weitergeben muss.

Es grüßt O.S. ter Hase   Frohe O*

P.S. schon 2011 hat Thomas Ruttig dazu die globale, + orientalistische Sicht dargelegt. https://www.afghanistan-analysts.org/the-easter-egg-question-in-the-light-of-orientalism/

Danke für den Hinweis!

P.S

 

Zensur und Dummheit – die Alice-Salomon-Hochschule soll umbenannt werden…

…fordere ich.

Es ist wahrlich genug dazu geschrieben, wie die grenzenlose verlogene Dummheit dazu geführt hat, das Gedicht von EUGEN GOMRINGER „AVENIDAS“ durch einen Schmarrn zu ersetzen.

Bitte lesen Sie alle den heutigen Artikel „KÜNSTLERPECH“ von Hilmar Klute (28.3.2018) in der Süddeutschen Zeitung. Dass eine so genannte feministische Asta-Sprecherin ihren Namen nicht nennen mag,  weil sie natürlich auch mit Mails überschüttet wird. (Wenn ich das täte, hätte ich schon viele Namen), ist nicht verwunderlich angesichts der Stimmung in diesem Land. Pseudofeministinnen sprechen „Deutsch“.

avenidas/avenidas y flores/flores/flores y mujeres/avenidas/avenidas y mujeres/avenidas y flores y mujeres y/un admirador“.

Übersetzt lautet das Gedicht etwa so: (Aus Cicero)

„Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“

Gomringer, seine Frau und seine Tochter haben sich wie zu lesen ist, vorgestern anständig und ohne sichtbare Verletzung der Diskussion gestellt. Es gibt genug in den Medien, dass man sich über die weiter Verbreitung des Gedichts freuen kann, und sicher nicht als Angriff auf Frauen und Frauenrechte.

Wohl aber soll das ein Angriff auf die VERLOGENE GEFÜHLIGKEIT derer sein, die von gesellschaftlichen Problemen ABLENKEN, um ihrer Befindlichkeit ein Publikum zu verschaffen.

(Über den akademischen Senat dieser Unbildungsanstalt habe ich mich schon geäußert, über den Schmarrn des Ersatzgedichts von Frau Köhler mag die Literaturgeschichte fußnoten).

ABER WARUM HEISST SO EINE HOCHSCHULE ALICE SALOMON?

Für Eilige: https://de.wikipedia.org/wiki/Alice_Salomon

Schon hier kann man lesen, dass und wie sich Alice Salomon für Frauen, Frauenbildung, Emanzipation eingesetzt hatte. Da alle Schriften und Wirkungen dieser bedeutenden Frau gut nachzulesen sind, u.a. im Archiv an der Hochschule, bleibt mir nur darauf hinzuweisen, warum der Name für eine gute Hochschule mit dem Leben (und auch Leiden) einer bedeutenden Feministin gerechtfertigt wäre, wie auch das Wikilexikon kurz auflistet: Für die erzwungene Emigration lassen sich Gründe aufführen:

  • ihre jüdische Herkunft,
  • ihre christlich-humanistischen Ideen,
  • ihr Eintreten für eine pluralistische Berufsarbeit,
  • ihr offener Pazifismus,
  • ihr internationales Auftreten.

Dem so genannten Asta und der Hochschulleitung einschließlich Senat sei zu wünschen, dass sie sich dem anschließen oder ihre Hochschule umbenennen.

P.S. warum ich zu diesem Vorfall und Thema mich immer wieder äußere, wie zu den staatlichen Abschiebungen oder zur Garnisonkirche Potsdam, ist nicht, weil mir die Themen ausgehen. Es gibt Symptome für einen gesellschaftlichen Grabenbruch, dessen Tragweite immer weit größer ist als der jeweilige Anlass. Manchmal nenne ich das Finis terrae, aber es ist auch sinnvoll, immer wieder die Anlässe zu zitieren.

P.P.S. In diesem Fall geht es mir neben der Auseinandersetzung um Kunst und Feminismus und Befindlichkeit noch um etwas anderes, das durchscheinen sollte: den Zustand unserer Hochschulen, das Verhätlnis von Wissenschaft, Freiheit bzw. Kunst und akademischer Freiheit. So, wie ich der Auffassung bin, dass Satire ALLES darf (und es darauf ankommt, dass sie Satire IST), so ist bei KUNST und WISSENSCHAFT  so, dass die Freiheit, die ihnnen zusteht, niemals kontextlos ist – aber dieser Kontext nicht durch partikulare Interessen oder Empfindungen gegeben sein darf.

Das harte Beispiel ist immer: Satire in Auschwitz („Das Leben ist schön“) oder Liebe in Auschwitz oder … So hart ist es hier nicht? Das ist MEIN ANLASS: Auschwitz hatte lang vorher begonnen, bei der moralischen und  ästhetischen Planierung der Gesellschaft, von der Bücherverbrennung bis zum Bilderverbot.

 

 

 

Naming & Shaming Lechts & Rinks

 

 

  1. Akt

Du sollst nicht schimpfen, wenn deinen Flüchen keine Erfüllung folgt. Außer es erleichtert dich…aber die Wirkung dieser Droge hält nicht lange an.

Wie viele Politiker, auch Politikerinnen…, habe ich sagen hören: „so ein Arschloch“, „dieser Idiot“, „das Schwein“…um mit dem so Bezeichneten Augenblicke später in der Öffentlichkeit einigermaßern zivil Worte zu wechseln, zu turteln oder ernsthaft zu verhandeln. Und selber: kommt einer zu schnell um die Ecke gefahren, sagt einer unsäglichen Blödsinn, kontrolliert ein unfähiger BVG-Mensch zum dritten Mal am Tag meinen Rentnerausweis, benimmt sich ein Amtsschimmel wie seine Produkte…klar: ich schimpfe, manchmal halblaut: o Pardon, da haben Sie sich verhört.. Oder zu einem Dritten. Ich bin erstaunt, wie meine zivilisiertesten Freunde in grandiose Flüche ausraten können, bei geringem oder großem Anlass.

Die amerikanischen Exporte „Naming & Shaming“ sind erfolgreich, man muss sich nur trauen. Oft sind sie wirksam. Um sie anzuwenden, muss man ein wenig Systemtheorie kennen und zugleich sollte man ein wenig recherchiert und Abstand gewonnen haben: was im Justizsystem strafbar ist –„der Müller ist ein Verbrecher, der OGH steht auf der Seite der Autorenn-Mörder, der Bahnvorstand besteht nur aus Trotteln etc.“ – kann in der anlassbezogenen Kommunikation der Nachprüfung standhalten. Pöbeln a la Nahles kann für Nichtpolitiker gefährlich werden, und der Nazijargon der AfD infiziert Zuhörer, Nachahmer und Zurückschläger. Also Vorsicht, mehr noch bei Flüchen, bei denen das Risiko der Erfüllung naheliegt: einem ersichtlich Herzkranken zu wünschen „Der Schlag soll dich treffen“, ist vielleicht perfide, obwohl der Fluch an sich eine recht verständliche übertragene Bedeutung hat.

Ach, so eine lange, unanwendbare Einleitung, so pädagogisch sanft…Mitnichten. Ich möchte über Naming & Shaming in angemessener Form etwas erreichen, möchte Rede und Gegenrede provozieren.

Wir ein prominenter Mensch wegen einer bestimmten Tat öffentlich benannt, und die Tat konkret beschrieben,  kann er aus einem Portfolio von Erwiderungen wählen, aber semper aliquid haeret: etwas bleibt meistens hängen, und wenn nicht, dann weil es durch ein Schlimmeres abgelöst wird.

Der VW Vorstand wir genannt, wenn es um diebstahlartige Gehaltserhöhungen in Millionenhöhe geht. Er rechtfertigt sich, dabei kommt aber der Betrug beim Diesel wieder ins Gespräch. Frage: darf ich so einen „Verbrecher“ nennen? Kontextabhängig: ja, meistens ja. Nur nicht mit Paragraphen argumentieren, sondern mit Tatbeständen und der Bereitschaft, das Verbrechen verständlich zu erklären.

Ich halte hier keine Vorlesung. Ich habe einen Grund, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Mehrere Gründe, aber gemach.

„Sie schreiben so kluge Wissenschaft, aber wenn man in Ihren Blog schaut, dann beschimpfen Sie die Politiker als Nazis, Fremdgänger und Trotteln…“ Nun ja, ich hab halt ein breiteres Repertoire, das mir Ausflüge aus der anerzogenen Contenance erlaubt. Aber hinter den Namen steckt noch mehr:

  • Seit frühester Zeit haben Namen eine Bedeutung, sie verweisen auf den Schutzpatron oder eine besondere Eigenschaft, sie sind der Mensch, der sie trägt. Das hat sich verändert, gewiss, ist rationaler geworden. Aber da sind dann neuerdings wieder die jüdischen Namen, und, „natürlich“ im Umfeld von Trump, „lauter Juden“. Ist das schon oder noch antisemitisch? (Nebengleis: das ist sehr häufig, und wird doch kaum offen wahrgenommen).
  • Kevin bekommt beim gleichen Lehrer schlechtere Noten als Matthias. (Oder Chantal und Johanna). Das wissen wir. Wie kann man das ändern?

Das ist der erste Schritt. Der nächste macht alles schon noch politischer. „Meinen Namen sollt Ihr nie erfahren. Ich bin der Kaiser Josef“ heißt es beim Dichter Herzmanovsky-Orlando. Witzig, ja, und auch alltäglich. Man weiß den Namen, darf ihn aber nicht öffentlich sagen, aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes….Das ist gut, denkt man. Aber ist es immer richtig? Das bringt uns zum Shaming. Wenn der weithin unbekannte Herr X oder die Frau Y etwas falsches, böses , unappetitliches getan haben sollen, und man postet ihre Namen + Tat in der Nachbarschaft an die Wände, kann das Lebenszusammenhänge verletzen, zerstören, schreckliche Folgen haben. Die Reaktion ist oft „aber wenn es stimmt….?!“. Wenn es um Personen des öffentlichen Lebens geht, gilt das nicht mehr. Es fragt sich nur, ob es klug ist, die Beschämung zum Appell der Öffentlichkeit zu machen. Ich denke, manchmal muss das sein, manchmal sollte man es unterlassen. Trump ist ein pathologischer verbrecherischer Verletzer von Menschenrechten, ein Rassist, Sexist. So bezeichne ich ihn und würde für jedes Epitheton mir zutrauen, das vor einem Gericht analytisch und auf den konkreten Fall bezogen, nachzuweisen.  Nur komme ich nicht vor Gericht. Wäre ich Diplomat, würde ich das so wahrscheinlich nicht sagen, aber Bier trinken muss ich mit ihm und seiner Entourage deshalb noch lange nicht. Es gibt da andere Wege. Aber im Ernstfall ist der Wahrheitsbeweis das beste Mittel, die Preisgabe des Namens zu rechtfertigen. Trump selber sagt solche Dinge, zu Unrecht, von anderen Politikern oder wichtigen Personen aus dem politischen Raum. Weil er Macht hat und herrscht. Die von ihm beleidigten können kaum chancenreich klagen, und wo sollten sie es tun?

Die neuen Nazis nennen oft keine Namen, außer sie wissen, dass es gute Gründe der Angesprochenen gibt, sie nicht zu verklagen. Die Nazis reden vom System. Das System hat keinen Namen, es heißt ja nicht Kapitalismus oder Lügenpresse.  Und jeder Name, der diesem System zugeordnet wird, sitzt. Umgekehrt, wenn wir den Höcke „Nazi“ nennen, dann hat er/das einen Namen, und den will er nicht tragen, will ihn loswerden. Damit kann man ihn zwingen, etwas von sich, seiner Politik preiszugeben – wenn da etwas ist.

Mit Naming&Shaming kann man die Festungsmauern der herrschaftlichen Privatsphäre oder der öffentlichen Zudringlichkeit unterminieren. Man muss dabei selbst erreichbar und kenntlich sein. Das ist eine Hürde, und die andere ist: keinen Fehler zu machen. Der zu Unrecht Stigmatisierte wird nie wieder oder nur um einen hohen Preis befreit.

Ich habe Trump und die Nazis als Beispiele gebracht. Bei den Verbrechern könnte ich auf politischer Ebene die ganze Prozession immer wieder herbeilaufen lassen, von Putin bis Orban und Erdögan. Da lohnt es übrigens…beim Dorfbürgermeister lohnt es nur im Dorf. Und nicht jeder Trottel oder Gangster verdient es, soviel Öffentlichkeit zu bekommen. Naming & Shaming ist eine scharfe Waffe, kein Gesellschaftsspiel.

Das wäre ein politisch korrekter Anstoß, sich mit der Sache zu beschäftigen, ich habe das seit 40 Jahren getan, vor allem in der Wissenschaft. Z.B. im Kontext jüdischer Namen. Heute geht es mir aber um etwas anderes.

  1. Akt

In der Letzten ZEIT (#13, 22.3.2018) gibt es mehrere, lesenswerte Artikel zur Frage: was ist konservativ, was ist rechts, rechtsradikal….und wer ist es? Lesenswert, weil differenziert, aufmerksam und kontrovers. Wieder einmal ein Beispiel, wie gut unsere Medien auch sein können.

Dann stolpere ich: es wird behauptet, „rechts“ dürfe einer auf keinen Fall sein, heute würde das ausgrenzen, das Stigma hätte kein Pendant auf der linken, links-liberalen Seite. Und dies erkläre sich aus der deutschen Geschichte. Und aus der Ost-West-Spaltung usw. Die fünf Beiträge von Jens Jessen, Martin Machowecz, Ulrich Greiner, Mariam Lau und Adam Soboczinski sind allesamt lesenswert und nich in einer Schablone verengt. 12 Gesichter mit Namen werden am Titelblatt des Feuilletons gezeigt. Einige davon kenne ich persönlich, zwei Namen sind mir neu. Von den anderen „weiß man“. Ich sag jetzt nicht, bei wem es mich „gekränkt“ hat, sie hier zu sehen, obwohl die Zuordnung nicht falsch ist. Früher waren die anders…

Was mich zum stolpern bringt:

  1. Noch nicht so lange her, dann war man, als links gelabelt, raus, ausgegrenzt, bis zum Berufsverbot. (nicht nur im öffentlichen Dienst).
  2. Gerade ich, der ich die links-rechts-Koordinate seit langem in Frage stelle, frage mich, was denn das Gegenstück zu „konservativ“ sei, und wo der Übergang von „konservativ“ zu rechts sei. Die Frage ist nicht trivial, denn vor dreißig Jahren mühte sich die Linke, sich wieder zu verorten, nachdem sie ausgefranst nichts mehr als ein Dogma ohne Begriff geworden war. Übung: was ist das gegenstück zum heftig angegriffenen „Westen“? Warum drängen die Rechten sich wieder meist nach Osten, zu Putin & co., ohne dass es einen „Osten“ gibt.
  3. Nirgendwo wird der Extremismus der Mitte auch nur erwähnt, der doch so deutlich wird (Der Begriff ist im Internet mit Wissenschaft (Lipset, Parsons, Rehberg) und mit Beobachtungen zur Herkunft extremer Ideologien überreichlich dokumentiert. In der Mitte an sich und für sich ist nochg kein Heil zu finden). Wenn aber die Extremisten die konservativen Kommunikationsformen der „alten Mitte“ annehmen, ist das etwas anderes, nunmehr beim rechten Salon der Erklärung 2018. Diese Umgangsformen kann man ihnen ja nicht vorwerfen, den Sarrazins, Lengsfelds, Weissmanns und Broders, um ein paar Namen aus der Liste zu nennen. Da muss man schon ihre Texte lesen, sie agitieren sehen und hören, und vor allem sehen, wen sie jeweils in ihre Netze aufnehmen.
  4. Wie war das damals „Ich habe abgetrieben“ https://www.emma.de/artikel/wir-haben-abgetrieben-265457 (über den 6. Juni 1971). Das waren doch keine „Linken“, aber im Vergleich zu den meisten Konservativen und Rechten doch wieder.
  5. „Um 1980 wurde es nötig, das Argument-Konzept zu reformulieren, schon um den Zusammenhang dieser ausgefalteten Aktivitäten deutlich zu machen. „Das Verlagsprogramm“, heißt es nun, „soll der Entwicklung der theoretischen Kultur der Linken dienen. Wissenschaftliche Zuarbeit zu den sozialen Bewegungen: den Kräften der Arbeit, der Wissenschaft und der Kultur, der Frauenbefreiung, der Naturbewahrung und der Friedensbewegung. Zuarbeit zu einem sozialistischen Projekt, das diese Bewegungen aneinanderlagert.“ So wird im Nachhinein die Diskussion in der einmal so wichtigen linken Zeitschrift DAS ARGUMENT zusammengefasst: https://www.linksnet.de/organisation/das-argument.

Was hat das mit den Namen zu tun? Ganz viel. Die Linke hatte es, aus sehr vielen Gründen, sich zu exponieren, kenntlich zu werden, weil die Mitte sich im Zweifel nicht exponierte oder konservativ blieb. Was explizit kein Vorwurf ist. Aber von da her kommt der Vorwurf, von Trump, von den amerikanischen Republikanern, von der AfD und von deutschen Rechten, dass die öffentliche Meinung und Kommunikation links- und linksliberal dominiert seien, und man konservativ-rechts nur aus der marginalisierten Position her angreifen könne. (Und weniger kluge „Linke“ verteidigen sich, indem sie sagen: das sei nicht so). Doch, es IST SO, weil die Politiken der aufgeklärten, solidarischen, auch linken, auch konservativen Opposition gegen das erstarrte Deutschland ERFOLGREICH WAREN, und das wollen wir, sollen wir uns nicht nehmen lassen.

Und dazu muss man kenntlich sein, also einen Namen haben, und den Namen derer, die man mit Widerstand bekämpft, auch nennen. Und wenn man die beschämt – dann sei das so. Eine harte Arbeit.