Wir, „Wir“ ? und die „Anderen“ ?

Es ist schon sehr begründungsbedürftig, warum es dem Bund in der Coronakrise binnen weniger Tage gelingt, mehr als 170.000 Urlauber aus allen Teilen der Welt heimzufliegen und es zugleich nicht gelingt, die Geflüchteten auf Lesbos aus ihrer unerträglichen Situation zu befreien und nach Deutschland zu holen“, sagt Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Sollte die Bundesregierung weiter untätig bleiben, will das Land in „eher Stunden als Tagen“ aktiv werden und gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen 500 bis 1.500 Menschen ausfliegen. 20.000 Geflüchtete sitzen aktuell auf Lesbos fest – unter unmenschlichsten Bedingungen. (Tagesspiegel online 31.3.2020)    

HÖRT NICHT AUF DAS ZU FORDERN – FLIEGT DIE FLÜCHTLINGE AUS LESBOS UND SAMOS AUS.

Das Verhalten Deutschlands ist alles andere als weitherzig und humanitär großzügig (die paar Kranken aus Italien und Frankreich zu versorgen ist gut – aber der Propagandawirbel um diese wenigen Maßnahmen entwertet sie angesichts dessen, was wir tun können und uns leisten können – keineswegs nur der Staat, auch Private und die Zivilgesellschaft, das oft beschworene „Wir“. .

<<Eigentlich wollte ich heute einen ganz anderen Blog schreiben, weit ab von Corona und der faschistoiden Machtergreifung von Viktor Orban und dem starren Schweigen der EU dazu…aber dann habe ich mich von der Aktualität selbst hinreissen lassen>>

Vieles ist ist unseren Nachbarländern und fast überall in der EU und fast weltweit ähnlich, fast nie eindeutig kopiert oder schlicht von außen aufgezwungen, und doch ist der Trend, sind die Zeitläufte nicht notwendig so, wie sie offenbar sind: eher zum Abbau von Demokratie, zur Einschränkung von Grundrechten und Freiheiten, zur Versammlung um Führer und Institutionen neigend als zum eigenen, verantwortungsbewussten und solidarischen Handeln. Nicht einfach der Staat wird wieder in eine mächtigere Position eingesetzt, sondern ein bestimmter Typus von Staat.

Dazu Yuval Harari: „Wer glaubt, dass Diktaturen besser mit dieser Art von Krisen umgehen können als Demokratien, liegt falsch. Das Gegenteil ist der Fall. Eine gut informierte Bevölkerung, die versteht, was getan werden muss und die mit den Behörden freiwillig kooperiert, ermöglicht eine viel effizientere Abwehr als eine schlecht informierte Bevölkerung, die von der Polizei überwacht werden muss. Man kann ja nicht in jede Wohnung einen Polizisten abkommandieren, der kontrolliert, ob man die Hände gut genug wäscht.“ (Handelsblatt 1.4.2020)

Ein kluger Freund vom andern Ende der Welt schreibt mir: Es sei festzustellen, dass „die autoritären Reflexe bei uns noch funktionieren und viele Mitmenschen gar nicht genug Staat bei der Lösung der Probleme haben können“. Es geht dabei nicht um den Rechtsstaat, den Sozialstaat, den Versorgungsstaat oder den Gewährleistungsstaat, sondern um den Anordnungsstaat. Es geht vielen darum, dass Verantwortung von den Menschen abgezogen und höheren Instanzen zugesprochen wird, wo nicht Gott – der sich beharrlich weigert zugunsten von Menschen einzugreifen – so doch denen, die scheinbar legitim anordnen dürfen, was man auch genauso gut und genauso schnell verhandeln hätte können. (Das wird bestritten, mit dem Argument, dass erst wenn autoritär durchgegriffen wird, die Leute parieren; dreht die Logik um, dann wird ein Schuh draus: wir – in der übergroßen Mehrheit – wir, fast alle, würden den wichtigsten Maßnahmen, Intensivmedizin – Kontaktbeschränkung, Abstandhalten, Hygiene, Quarantäne für Infizierte oder unklare Fälle – ohnedies folgen, wenn diese Maßnahmen nicht im Duktus und der Rhetorik der Ausnahme erfolgen würden, sondern eben Ergebnis dessen sind, was wir von einer Regierung erwarten dürfen – dass sie regiert und das wäre Normalität und nicht Ausnahme. Dafür, dass eine Regierung handelt, muss man weder dankbar sein, noch ein quid pro quo nach dem andern geben). Ist aber nicht so: die Regierung hat jahrelang nicht gehandelt (in der Seuchenprävention nachweislich nicht seit 2012), sie hat weder bei den Flüchtlingen noch den Renten verantwortungsbewusst gehandelt, sie hat aber die Grenzen geschlossen (nicht die deutsche Regierung allein…aus Brüssel kommt nur fast nichts einigendes mehr).

Also, nochmals klar: wir, das sind die, die sich aus Vernunft und Einsicht so verhalten, wie die Fachleute empfehlen und der Staat anordnet. Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit.

(Ich kanns nicht abdrucken, weil es zu lang ist, aber lest das nach: Gesine Palmer: Über die Einsicht in die Notwendigkeit. DLF https://www.deutschlandfunkkultur.de/ueber-die-einsicht-in-die-notwendigkeit.1005.de.html?dram:article_id=224662#top Ein Text von 2012).

Und wer sind die Anderen? Die Seehofers, Kurz‘, vor allem die Orbans und Kaczynskis, bei uns in Europa (ich rede jetzt nicht von den Irren und Diktatoren in anderen Weltgegenden). Nein, bei uns in Europa. Und damit auch in Deutschland. Ein ganz und gar nicht einfacher Gedanke: die, die oben vom Freund zitiert, nach dem Staat lechzen – unterwerfungssüchtig oder autoritär- und die, die dem Staat sein republikanisches Recht geben, zu regieren nach den Regeln der Demokratie, – sind zwei Gruppen, die bei gleichen Handlungen unterschiedlicher nicht sein könnten.

Wenn diese Krise – die Anlasskrise Corona – vorbei ist, fürchte ich, dass die Grenzen geschlossen bleiben, dass viele Einschränkungen von Rechten und Freiheiten weiter bestehen, und wenn die Flüchtlinge in Lesbos noch leben sollten, was wir wünschen, werden sie trotzdem im Elend des ungeschützten Verlassenseins von den Nationalisten in der EU behalten, als das Außen, das wir durch Schutz der Außengrenzen von uns, vom Innen fernhalten. Nochmals klar: ich sage nicht, dass ein Land alle Flüchtlinge aufnehmen muss, ich sage nicht, dass es nicht Regeln für die Rettung von Menschen geben muss, außer bei unmittelbarer lebensgefährlicher Not, ich sage nicht einmal, dass alle Geretteten bleiben müssen – Migration ist komplizierter – aber ich sage, dass die Menschenleben und ihre Verteilung auf alle Mitglieder der EU Vorrang vor allen nationalen Interessen, einschließlich des nationalen Vorrangs der Staatsbürger vor der Bürgerschaft in der EU, Citizenship, haben sollte. Bislang demonstriert man dies bei den LKWs, die sogar an der polnischen und ungarischen Grenze durchgewunken werden, um die Lieferketten nicht zu unterbrechen. 1994 hat Klaus Bade bei Beck das Manifest der 60: Deutschland und die Einwanderung herausgegeben. Seit damals spätestens kann niemand sagen, er wüsste nicht, worum es wirklich geht.

Die Ursachenkrise der EU ist auch eine Moral, der Kultur und der Menschlichkeit.

Wenn sich die meisten Reichen, Deutschland, Niederland, Österreich, gegen Eurobonds wehren, dann ist das hart an der Grenze von jener autoritären  Unterwerfung unter die Ökonomie, die bei denen, die ich oben als die Anderen bezeichnet habe, zur Unterwerfung unter den Staat führt. Wenn die Grenzen geschlossen bleiben, genauso.

Die Grenze zwischen Loyalität und Widerstand ist keine Berliner Mauer. Sie wird täglich neu gezogen.

Abschiebungsheuchelei

Wieder zwei Abschiebungen nach Afghanistan.

Die offizielle deutsche Politik ist heuchlerisch und unaufrichtig: Menschenrechte, wo es passt – Der Urwald brennt, er brennt auch für unsere Fleisch- und Soja-Importe. Im Mittelmeer ersaufen Flüchtlinge, weil wir in Libyen nicht eingreifen, weil wir in der Herkunftsländern nicht wirksam helfen, weil wir Fluchtursachen verbal besser als praktisch bekämpfen. Und Menschen werden unter fadenscheinigen, oft juristisch nicht haltbaren Gründen, nach Afghanistan abgeschoben, nur um den rechten Pöbel im Land ruhig zu stellen (denn die Summe der Abgeschobenen ist im Vergleich zu anderen Volksgruppen nach wie vor klein, aber mit dieser Politik verdeckt man das weitgehend gescheiterte Engagement der Bundeswehr in Afghanistan – da habe ich jetzt fast 20 Jahre an den Entwicklungen räsonniert, um von Zustimmung zur Kritik an diesem Einsatz zu kommen; das ist wichtig im Kontext, denn der Einsatz hätte tatsächlich Frieden bringen können, jetzt stehen die Taliban unter amerikanischem Schutz vor einer Wiederkehr). Es geht nicht darum, ob die Abgeschobenen Straftäter sind (ich wünsche mir viele von denen dauerhaft hinter Schloss und Riegel, aber bei uns!); es geht nicht darum, ob Verordnungen und Ermessen von Behörden es erlauben, Integration und Schutz zu verweigern. Es geht darum, dass hier Menschen, die dem Tod entkommen sind – und der ist in Afghanistan überall – wieder in Todesgefahr zu bringen. (Darüber redet man heute weniger als je zuvor in der Vergangenheit). „
Seit der ersten Abschiebung im Dezember 2016 sind insgesamt 645 abgelehnte afghanische Asylbewerber nach Kabul gebracht worden.“ DLF 27.8.2019

Ich weiß sehr gut, dass man Seehofer & seinen Schreibtischtätern juristisch schwer ans Leder kam, es ist auch nicht einfach ein Inkaufnehmen von gewaltsamem Tod – das wäre ja Mord&Totschlag, sondern es ist die infame Volksberuhigung und -verdummung: wenn sie weg sind, sind sie weg.

 

Drei Fragen:

  • Und wenn sie dort einen gewaltsamen Tod finden?
  • Und wenn sie wiederkommen?
  • Und wenn sie vergessen werden vom Rechtsstaat Deutschland?

Seehofer braucht man nicht mehr zu kritisieren, der ist schon gerippige Kritik wie im Mysterienspiel. Aber unsere Menschenrechtspolitik soll nicht dauernd in die Ferne schweifen – was an sich richtig und notwendig ist -, wenn sie hier leicht machbare humanitäre Aufgaben nicht erfüllt. Alle afghanischen Diasporaangehörigen in Deutschland dauerhaft zu versorgen und zu integrieren kostet weniger als Scheuers betrügerische Mautverträge oder der BER. Am Geld soll humanitäre Politik nicht scheitern dürfen.

Silberne Hochzeit von Seehofer – 25. Abschiebung nach Afghanistan

Silberne Hochzeit von Seehofer…der Teufel möge ihm zur 25. Abschiebung von Menschen nach Afghanistan, in mögliche Unsicherheit und Tod, gratulieren.

Nicht zufällig kommt diese Meldung über die Medien zugleich mit den neuen Erkenntnissen im Fall Lübcke – dem aufrechten Konservativen, der sich für Flüchtlinge eingesetzt hatte, und deshalb unter dem Beifall des rechten Mobs ermordet wurde. Ein paar Kommentatoren assoziieren diese Hinrichtung gleich und vermittelt (nur) mit der RAF, aber die meisten haben verstanden: die Linie geht zur NSU, damit geht sie auch zu einem Teil unserer staatlichen hoheitlichen Sicherheitsorgane als Vorfeldorganisationen eben dieser rechten Politik.

In Görlitz hätte ein AfD Politiker es fast geschafft, OB zu werden. Bald wird das auch so weit sein. Dass dieser Mann Polizist ist, schließt an die Befunde an: die Grenzen sind durchlässig, aber nicht für so sehr für Menschen als für Ideologien, die die Demokratie nicht hinnehmen muss, genauso wenig wie die Gewaltakte, die von den Nazis der AfD ausgehen.

Nun wäre dies nicht mein Blog, wenn ich nicht darauf hinwiese, wo und wie Gewalt auf anderen Feldern durchaus ihren Platz IN der Demokratie und in einer sich ständig befreienden Gesellschaft haben müsse. Aber gerade auch hier zu unterscheiden und vor allem: die Grenzen zu ziehen zu jenen, für die Gewalt die Alternative zu unserem republikanischen Gemeinwesen sind, darauf kommt es auch an.

Ich bin sicher: dem Schreibtischtäter Seehofer und seinen Kumpanen wird man weder strafrechtlich noch politisch „den Prozess“ machen. Aber wir sollten ihn so wenig aus den Augen verlieren, wie die Folgen seiner Schandtaten: 25 Abschiebungen nach Afghanistan.

„Linker Frieden“ – Staatliche Gewalt

Man bekommt leicht Ärger, wenn man bestimmte Glaubenspositionen in Zweifel zieht. Eine bestimmte Form von Pazifismus bezeichnet sich selbst als links, und nimmt diese Marke als richtige Plattform für politische und moralische Aussagen für sich in Anspruch. Ich habe das immer bekämpft, weil der Anspruch eine Kontroverse provoziert, die unnötig, aber destruktiv ist: wer gegen die tatsächlich eingenommenen Positionen von „links“ ist, ist dann was? Rechts, konservativ, wenn es um Frieden geht gar militaristisch? (Ist man dann einr echter Militarist?)

Ein Beispiel für missverstandenes „links“ ist der Pazifismus selbst, dessen Geschichte eher eine von Gewalt und Gegengewalt ist. Ein Irrtum linker Rhetorik ist, dass die illegitime Gewalt immer in irgendeiner Form bewaffnet auftritt, und der Frieden ohne Waffen geschaffen werden muss/kann. Empirisch sind alle Befreiungsbewegungen auch mithilfe von Gewalt aufgetreten und erfolgreich/erfolglos gewesen, und nicht jedes illegitime Regime hat seine Herrschaft (bloß) auf Waffengewalt gestützt, oder (bloß) auf Folter und Gesinnungsterror, ebenso wenig wie die Befreiungsbewegungen auf diese Instrumente durchgängig verzichtet haben.

„Links“ bin ich selbst genug, um das sozialpolitisch, kulturpolitisch, ethisch hinlänglich zu begründen, stärker an Marx, Bourdieu, Hannah Arendt oder Bloch  orientiert als an irgendeiner so genannten sozialistischen Staatserfahrung. Aber Widerstand gegen falsche Politik, in diesem Fall gewaltsame Außenpolitik (bestimmte Interventionen) oder Innenpolitik (Abschiebungen von Geflüchteten) ist nicht links, auch nicht rechts. „Richtig“ wäre der Widerstand durch die übergeordneten Prinzipien zu beschreiben, die einem zu politischen Handeln bewegen, also aus der kommentierenden in die aktive Rolle bewegen. War Ghandi links? In gewissem Sinn nein. War der Vietcong pazifistisch? In gewissem Sinn ja. Das kann man erklären, analysieren usw. Worauf es mir ankommt, ist die Rhetorik und den rechthaberischen Duktus der richtigen Fraktion innerhalb politischer Bewegungen zu dekonstruieren.

Wie die Beispiele der Marx-Gedenkfeiern zeigen, gibt es bei „linken“ PolitikerInnen ein Unbehagen: Marx‘ Theorien seien nicht für Gräuel des Kommunismus verantwortlich (Wagenknecht), aber sie seien konstitutiv für die Sozialdemokratie (Nahles). Beides stimmt, hat aber mit links nichts zu tun. Links kann eine bestimmte Sozialpolitik sein, ein bestimmtes Gesetz, ein bestimmter Rechtsrahmen, wenn man links als generischen Begriff für Solidarität, Gerechtigkeit, Republikanismus und demokratische Verfahren versteht. Aber es gibt eine Menge von Herrschaftsformen, die das eine oder andere Produkt durchsetzen, das wir für richtig erachten, das aber keineswegs alle vier Bestimmungsstücke enthält. Und die müssen natürlich immer wieder aus den Konflikten und ihrer Regulierung neu entstehen. Womit wir beim „Frieden“ sind. Innerhalb meiner eigenen politischen Gruppe strebe ich immer an, Frieden nicht als existenzielles Ziel oder eine Vision anzusehen, sondern als temporäres und bestenfalls zeitweise nachhaltiges Produkt von Konfliktregulierung. Die kann, muss aber nicht, gewaltsam erfolgen – Frieden schaffen, nicht herbeireden… – und sie kann das Ergebnis von Kompromissen sein, die nur wenig mit den vier genannten Prinzipien zu tun haben.

(Ein Einschub: man kann diese Prinzipien erweitern, kein Problem, wenn es in Richtung Gender-Gleichheit, Minderheitenschutz, oder noch prinzipieller Überleben im Sinne der Klimapolitik geht. Man kann diese Prinzipien auch durch Ausbildung bestimmter Tugenden, erhaltensweisen, versuchter Habitusänderungen herbeizuführen. Aber lassen wir es bei den einfachen Prinzipien, die auf einem Primat der Freiheit beruhen, über die Umstände friedlichen Lebens zu verhandeln und dabei seine eigenen Position, auch Macht- oder Ohnmachtspositionen, deutlich zu machen).

Wenn jetzt über Krieg & Frieden diskutiert wird, dann ist die Frage nicht so sehr was wünschbar ist, sondern welche Konfliktregulierung angestrebt und gemacht werden soll und kann. Die kann nicht abstrakt – ich sage oft böse „vom Sofa aus“ – gefördert werden, sondern muss sich in der eigenen Sichtbarkeit und dem Ausgesetztsein der wirklichen Machtstrukturen sozusagen anbieten, um als Partner in der Friedenspolitik wahrgenommen und akzeptierbar zu werden.

Ein Beispiel, subjektiv: meines. Wenn ich in der Flüchtlingsarbeit mich für von Abschiebung betroffene Menschen einsetze, bin ich zugleich im Widerstand gegen die unmenschliche und verachtungsvolle Politik von Seehofer, Dobrindt und Söder UND in einer Auseinandersetzung, die jenseits des persönlichen Schicksals die Fluchtursachen nicht nur in Armut, Entrechtung und Gewalt sieht, sondern auch in der Politik, die unser Land und alle anderen global vernetzt tatsächlich machen. Dann muss zugleich er- und geklärt werden, warum Afghan*innen und Syrer*innen im gleichen Lager aufeinander losgehen, warum die Abschiebungspolitik zu einer Spaltung von Justiz und Außenpolitik führt, und wie es sich mit den Rüstungsexporten in bestimmte Länder mit bestimmten Adressaten verhält. Aber das wird ja nicht in der Alltagspraxis meines Umgangs mit einem bestimmten Menschen erörtert. Wenn der unsägliche Herr Dobrindt die Klagen gegen Abschiebungen mit Abschiebungsbusiness bezeichnet (6.5.2018, DLF Nachrichten), dann assoziiere ich „Shoah-Business“ und schon erhöht sich die Komplexität meines politischen Nachdenkens eines ansonsten klaren und sehr beschränkten Sachverhalts.

Ein anderes Beispiel ist komplexer und politisch wirklich sensibel. Die linke Kritik an der israelischen Politik ist bisweilen offen, bisweilen verdeckt antisemitisch, und zwar ohne emprisch belegbare Not. Natürlich kann und muss man, nicht nur pazifistisch, die Besatzungspolitik Israels und dieDiskriminierung von Palästinensern kritisieren, wie man das in jedem anderen Konfliktgebiet auch täte. Aber schon das Changieren der Bezeichnungen über die Herkunft der Kritik (antizionistisch ist nicht antisemitisch, Israel gleich „Juden“, die Anführungszeichen sind Ausdruck von Unsicherheit der Kritiker, die gewollte Unkenntnis der Geschichte, und die Entschuldigung aller Untaten der Palästinenser und ihrer Hintermänner als aus der Opferperspektive verständlich – das ist für mich ziemlich entsetzich, wenn es auch in der demokratischen Friedensbewegung geschieht. Man möchte sagne: Dank sei Abbas, der seinen Antisemitismus vor dreißig Jahren so deutlich ausgesprochen hatte wie letzte Woche – und da fehlt mir die präzise Reaktion der Linken aller Schattierungen so weit, als dies nicht auf einen Persönlichkeitsfehler reduziert werden kann, der dem eher moderaten Palästinenserführer anzulasten sei. (Das hat man vorher nicht gewusst?) Von hier zur Diskussion des islamischen wie des arabischen Antisemitismus ist ein harter und „linker“, d.h. aufgeklärter Weg zu beschreiten, der aus der rechten Opferideologie und den Kontrapunkten Shoa und Nakba endlich ausbricht. Dann, – vielleicht? Nur dann – kann man auch die Kippadiskussion der letzten Tage politisch führen.

Am Rüstungsbeispiel kann man deutlich aufzeigen, dass es zwar völlig richtig ist, Rüstungsexporte zu beenden, aber das würde keineswegs das Ende der Rüstungsindustrie bedeuten. Denn die Forderung „…ohne Waffen“ ist ja nicht politisch, wenn man nicht auf spontane Erleuchtung oder Zwang von Oben spekuliert, sondern bedarf der Gewalt gegen die Waffenproduzenten und ihre Lobbys…Damit kommen wir aber ganz nahe an das Problem, dass Gewalt oft die unbedingte Voraussetzung gewaltfreier, ziviler und zivilisierter Regeln ist. Also nicht ohne eigene Gefährdung angewendet werden kann und selten das produziert, was sie provozieren möchte. Die Gleisbesetzungen in Gorleben sind so ein Moment, oder die Belagerung der Atomwaffenstützpunkte. Sie fordert die Anwendung der legitimen Anwendung des staatlichen Gewaltmonopols dort heraus, wo sie seine Schwächen zeigt. Wieweit das in der globalen Friedenspolitik ebenso sinnvoll und möglich ist, ist eine delikate Frage. Wie sähe denn die Gewalt aus, die die Verhältnisse so zum Tanzen brächte, dass am Ende eine Friedenslösung oder ein „Westfälischer Friede“ (metaphorisch, eine neue Vereinbarung müsste natürlich anders aussehen) stünde.

Die „linke“ Politik stützt sich oft auf ein anti-kapitalistisches Element, dem aber kein Gegenentwurf, sondern die Kritik entgegensteht, die in der Überwindung der Erscheinungen des Kapitalismus das Terrain öffnen möchte, in dem dann die richtige, freie, demokratische Politik möglich wäre, ein Glacis sozusagen. Nicht übel, aber auch nicht praktisch. (Insofern ist der letzte Spiegel-Leitartikel nicht so schlecht).

Hier könnte man in der Friedenspolitik einmal den Kontrast zur „rechten“ Politik deutlich machen, die ja in vielen Spielarten Befriedung als maximale Stabilität ohne die Freiheiten der angestrebten gesellschaftlichen Entwicklung (Menschrechte, Grundrechte, Gleichheit vor dem Gesetz, Leben oberhalb der Subsistenzgrenze….) anstrebt. Hauptsache, der Bürgerkrieg wird beendet; Hauptsache, das sinnlose Morden hört auf; Hauptsache, wir haben jemanden, mit dem wir die Beziehungen wieder aufnehmen oder aushandeln können…“. Das ist „rechts“? in gewisser Weise ja, weil es Stabilität ohne Demokratie, also genau das System Orban, Kaczinksy, Zeman, Putin etc. aufzeigt – unterschiedliche Mittel zur Ausübung der Herrschaft lassen friedenspolitische Ansätze nicht homogen formulieren. Den Russen die Krim wegzunehmen, wird schwierig. Wäre aber nicht falsch. Den Ungarn die Freiheit der NGOs zurückzugeben, ist machbar, aber mit ausgeübter legitimer Gewalt durch die EU, ähnlich die Grundlagen der Verfassung in Polen. Dem Seehofer die Idee seiner unmenschlichen Ankerzentren wegzunehmen, wird innenpolitisch schwierig, darauf müssen wir aktiv drängen, nicht den einzelnen Polizeieinsatz „für sich“ kritisieren oder akzeptieren. (Die Ellwangen-Analyse ist in diesem Fall wichtiger als die Beschreibung angemessener oder unangemessener Gewalt der beteiligten Gruppen).

Neben dieser Hinführung zu einem Ende der rechts-links Selbsttäuschungsdebatte ein Grundsatz: die Atomwaffendiskussion muss unbedingt wieder aufgenommen werden, und hier werden wohl Grenzüberschreitungen gegen Nuklearwaffen und-rüstung unvermeidlich sein. In diesem Licht ist die Atompolitik der Atomwaffenbesitzer ebenso wie die der Atomwaffen-Anstreber ins Zentrum zu rücken, und da steht als erstes die Aufklärung. Wir Älteren haben die Auswirkungen des Atomkriegs noch direkter mitbekommen, für die Jüngeren ist das ein wenig abstrakt, was es heißt, „taktische“ Atomwaffen einzusetzen, von den großen Bomben gar nicht zu reden. Und so wie wir uns weitgehend einig darüber sind, dass die sog. Zivile Atomkraft (Energie)  zu Ende gebracht werden muss, so prioritär sollte das Gleiche mit den militärischen Atomwaffen sein. Das kann politisch dann gelingen, wenn die Autorität regelsetzender Institutionen, z.B. der Vereinten Nationen, wieder hergestellt werden soll, und dahin sollte unser Land seinen jetzt drohenden Sitz im Sicherheitsrat verwenden (woraufhin zu arbeiten wäre, politisch und öffentlich und aufklärend).

Unser Staat wendet oft unnötig Gewalt gegen die Schwächsten an, um die Gemüter der politisch Schwachen, ich sage der Rechten, ruhig zu stellen. Beispiel Bayern und Sachsen. Es gehört auch Friedenspolitik, legitime und illegitime Gewalt auseinander zu halten und hier Stellung zu beziehen.

DEUTSCHE VERGANGENHEIT GLOBALE GEGENWART

 

 

  1. SCHLUSS MIT DER VERHARMLSOUNG DER VERHARMLOSUNG

Wer in Deutschland irgendetwas mit dem Nationalsozialismus vergleicht, wird als Verharmloser kritisiert. Wer nicht vergleicht, verharmlost, was einen neuen Namen hat:

Rechtspopulistisch, nationalpopulistisch, nationalkonservativ, identitär….

Wir haben gute Medien; das haben nicht alle. Heute (9.4.2018) früh im Deutschlandfunk hielt der CSU Europaabgeordnete Marcus Färber eine Lobrede auf die ungarische Demokratie, dem Viktor Orban bescheinigend, dass der in einer einwandfreien Wahl eine legitime Mehrheit gewonnen hatte. Und schließlich würden Sozialdemokraten (in der Slowakei) und andere Demokratien (Rumänien, Tschechische Republik) ja auch gegen Flüchtlinge hetzen. Schlimm, aber geschichtsunkundig und wenig intelligent. Es ging im Grunde darum, die Ungarn in der EVP-Fraktion des EU Parlaments zu bestätigen. Immerhin…Polen sei viel schlimmer.  Färbers Angriff auf Georges Soros war, milde gesagt, antisemitisch aus dem Vorurteil, jüdische Banker hätten ja auch Angriffe auf die Demokratie durch ihr Verhalten gefördert oder verständlich gemacht.

Kurz darauf die Gegenstimme: György Dalós, der großartige Essayist und Autor: im Kern seiner Analyse steckt die Beschreibung Ungarns als „institutioneller Monarchie“, in der die formellen Anläufe das autoritäre Regieren geradezu befestigten: Der Staat beherrschat die Demokratie. Ein so gescheiter Satz: dahinter steckt, dass einem Demos, einem Volk, nicht gestattet wird, sich zu konstituieren – durch die faschistischen, völkischen, restriktiven Diskurse, und man sich dann auf die ethnisch eingegrenzte, nationale Bevölkerung stützen kann, um seine Mehrheiten gewaltsam auszuagieren.

  1. Ambiguität – ein Fremdwort für die Kritiker der Realität

Das Blut war noch nicht trocken, da hetzt die Nazipolitikerin Beatrice von Storch bereits gegen Muslime: „Wir schaffen das!“ höhnt sie. Sie muss das bald relativieren. Aber Polizei und andere Medien sagen sofort, dass es sich offensichtlich um keinen Amok mit islamischen Hintergrund gehandelt habe, dafür war ein Wahnsinniger der Täter. Dem Deutschen GESTEHT man die Pathologie zu, dem Muslim nur die böse Absicht.

In letzter Zeit werde ich oft wegen meiner Vergleiche der Jetztzeit mit den letzten Jahren von Weimar angesprochen und kritisiert. Das ist gut so, weil es Aufmerksamkeit auf mehrere Aspekte sich überlagernder Geschichte lenkt. Die NSDAP ist ja nicht 1933 entstanden, sondern hat einen langen Parteiprozess hinter sich, mit Abspaltungen, Personalquerelen usw., der AfD nicht unähnlich. Manchmal mit bemerkenswerten Ausreißern (vgl. lesenwert https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Dickel)

Und über die Widersprüche in einer Bewegung, die zur Partei wird…. Ich hatte böse Kommentare bekommen, als ich 1990 noch als Unipräsident vor ostdeutschen KollegInnen darüber sprach, dass die Nazis nicht umsonst national und sozialistisch verklammert hatten. Ideologien kann man nicht mit einem einseitigen und handgestrickten Antifaschismus aus den Angeln heben.  (Was keineswegs bedeutet, dass die sozialistischen Vorstellungen von der Gesellschaft immer so national verklammert werden müssen, wie das in der DDR der Fall war, und auch nicht, dass wieder auflebende Nationalismen dem Soz1ialstaat nützen oderschaden müssen).

Was die nationalen Bewegungen in ganz Europa, nicht NUR in den osteuropäischen Staaten, betrifft, kann man eines mit Sicherheit behaupten: je enger die nationalen Grenzen gezogen werden, desto ethnischer werden sie, desto weniger demokratisch werden die darin eingeschlossenen Ethnien.

Das gilt auch für Deutschland:

Die neue rechte Sammlung in der CDU/CSU, die AfD-nahe Sprache der Seehofers, Scheuers, Dobrindts und Spahns zeigt einerseits die Nähe dieser Individuen zu den autoritären undemokratischen Grundlagen des Nazis UND anderer autoritärer Bewegungen. In  Österreich,  wo die Nazis mittlerweile mitregieren, scheint eine seltsame Duldungsstarre zu sagen: wenn nichts Schlimmeres geschieht…

Dabei wird übersehen, dass das Schlimme ja nicht ZUERST UNS GESCHIEHT. Die Flüchtlinge werden konzentriert und abgeschoben – Christentum adé, Grundgesetz adè…aber wir sind nur moralisch betroffen, nicht „wirklich“ (ein weites ideologisches Feld). Die kriminellen Elemente in den Vorstandsetagen werden geschont, was sich noch bitter rächen wird – wir werden davon wenig spüren, wenn Rüstung Chemie Autos und Banken sich weiter verselbstständigen dürfen, aber Millionen anderer sind betroffen. Wir sind auch von dieser deutschen Demographie wenig betroffen, unsere Kinder, unsere Enkel schon, und mir macht der Antisemitismus weniger aus, weil ich mich wehren kann, als den Kindern. UND WER ERZIEHT DIE ANTISEMITEN? Wenn man die Vorurteile und den Schutz der RELIGION STATT DER MENSCHENWÜRDE  ansieht, dann kann einem zwar bitter werden, aber so richtig schlimm wird es für uns nicht…aber für andere.

3.

Als vor Jahrzehnten Enzensberger Saddam als Hitlers Wiedergänger bezeichnete, erhob sich, ich denke zu Recht, einiger substanzieller Protest. (Vgl. DER SPIEGEL 6/1991). Vor allem, weil er nicht verglichen hatte, sondern sich in Analogien der Rezeption von Scheusalen und Monstren geübt hatte, also unpolitisch und die Vergleichsmaßstäbe vernachlässigt hatte.

Ich will den gleichen Fehler nicht machen, habe mehrfach in Blogs und in Kontroversen mit der Grünen Linken deutlich gemacht, dass Vergleichen, Gleichsetzen und Gleichgültigkeit drei Dimensionen eines ständigen Abwägens von Wahrnehmung und Deutung sind.

Dass stärkere Demokratien, wie Deutschland, wohl hoffentlich auch Österreich, Norwegen oder die Niederlande, mit den Nazis (das sind keine neuen oder alte Nazis, es sind zeitgemäße Nazis) besser umgehen, also sie demokratisch wirklich bekämpfen, statt sich hinter der formalen Demokratie zu verstecken, kann ich nur hoffen – und wir sollten dazu beitragen. Schwächere Demokratien haben es da schwerer. Global gibt es keine Region mehr, die nicht von den Angriffen der völkischen Plebejer sicher ist. Deutschland ist da keine Ausnahme.

Und ich erinnere nur daran, dass Ossietzky richtig festgestellt hatte, dass es in der Weimarer Republik zu wenige Republikaner gibt, und bei uns gilt das auch – siehe Identitäre oder altpreußische Reaktionäre oder …; aber bei uns gibt es auch viele, die den Weg zum friedlichen Ambiente in der Abkürzung der Abschaffung der Demokratie durch „Illiberalität“ (Orban) oder „Identität“gehen wollen.

Eine Pointe erspar ich den Nationalen nicht: es fehlen jetzt schon Millionen für freie Arbeitsplätze. Wenn es darum geht, sie nur mehr mit Deutschen zu besetzen, dann wird unheimliche Stille herrschen im Land.

 

Wiener Blut & Boden

Ich möchte gerne eine Intifada gegen die neue Regierung Kurz/Strache in Österreich anzetteln; aber wie und mit wem?

Herr Juncker findet das Regierungsprogramm in Ordnung. Die EU wird darin ja auch angerufen und weiter hat er nicht gelesen. Von dort sind also Sanktionen oder Widerstand so bald nicht zu erwarten.

Im Volksmund hat man den FPÖ Ideologen –> Kikl  längst Kiklgruber getauft. (Wer Schicklgruber war, weiß man in Österreich). Innenminister Herbert Kikl hat begonnen, die Polizei umzufärben (www.kurier.at); er ist ein Hetzer und Hassprediger und hat das Schlüsselressort, um nach Innen die zivile Gesellschaft zu zermürben. Ab sofort.

Ich gehe heute Vormittag meinen Agenden in Wien nach, und könnte heulen und fluchen, dass diese schönste Stadt vielleicht bald in die Hände der Nazis fällt. Da weiss ich noch gar nicht, was der (nicht amtsführende) Vizebürgermeister –> Gudenus sagen sollte, im Fernsehen zur Migrations- und Asylpolitik befragt: er wird Fraktionsvorsitzender der FPÖ im Parlament, Klubobmann nennt man das hier.

Sagt Gudenus, dass die 13.000 Asylsuchenden und befristet geduldeten, die in Wiener Privathaushalten leben, an den Stadtrand gebracht und dort interniert werden sollen. Sie sollen sich gar nicht integrieren; bzw. sollen sie desintegriert werden. Solche Lager nennt man Konzentrationslager. 1933 waren die in Deutschland noch keine Vernichtungslager, der Begriff muss hier angewandt werden.

Ich fahre nach Traiskirchen, 25 km südlich von Wien. Dort gibt es ein riesiges Gebäude, das seit Jahren als Asyl- und Migrantenunterkunft dient, für 800 Menschen ausgelegt ist und über 2000 beherbergt. –>Bundesasylamt Erstaufnahmestelle Ost in 2514 Traiskirchen. (genauere Zahlen bei Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesbetreuungsstelle_Ost/Überfüllung). Schon in meiner Schulzeit in Baden bei Wien, vor 1965, war dieses Lager ein „Lager“. Als ich heute zurückfahren will, sehe ich drei Polizeibeamte, die die am Bahnhof wartenden augenscheinlichen Bewohner des Lagers nach den Identitätskarten fragten und diese auch gezeigt bekamen. Wechsel von martialischer Ansprache und freundlicherer Verabschiedung. Die drei Afghanen dürfen in den Zug einsteigen.

Die Pläne der neuen Regierung sehen grobe Verletzungen der Grundrechte vor: Geld soll ihnen abgenommen werden, um die Verwaltungskosten zu decken; die Handys bekommen sie erst zurück, nachdem die Verbindungsdaten geprüft wurden. Ach was, Grundrechte. Gudenus meint, die Frauen trauten sich schon nicht mehr auf die Straße, wenn Asylanten in Privatquartieren lebten. Er meint wohl seine Partei-Frauen.

Ich erfahre von einer Kollegin die üblen Details des mittlerweile restriktiven Umgangs mit Asylbewerber*innen und Migranten; frühere praktische Besserstellung gegenüber Deutschland sind nicht mehr zu erkennen. Wir vereinbaren Informationsaustausch und Kontaktvermittlung. Später: Im Zug sitzt ein mit rechten Tattoos geschmückter halbglatzerter Mann. Einer der Afghanen geht auf ihn zu und bietet ihm die Hand zum Handschlag an. Erstaunen. Händedruck. Entspannung. Alles halb so schlimm?

Gemessen an anderen Aufregern ist die Stimmung gegenüber der neuen Regierung recht verhalten. Es wird protestiert, das ist wichtig zu wissen, weil es sich zu wenig herumspricht. Originell: https://www.youtube.com/watch?v=DzVYvc0bRTQ. Ein Bild macht die Runde: der Bundespräsident bedeckt sein Gesicht, hinter ihm feixt Strache. Manche suchen eine Bildunterschrift.

 

Erste Schlussfolgerungen:

  • Skepsis gegenüber der schwarzblaubraunen Regierung ist noch keine Kritik.
  • Der europäische Gewöhnungseffekt ist gegenüber Österreich besonders fatal, weil es kein Vishegradland ist: niemand kann sich auf Überreaktion nach sowjetischer Zwangsherrschaft herausreden, und außerdem ist 1989 schon etwas her. In Norwegen, Dänemark, der Schweiz sind faschistische bzw. ethno-nationalistische Parteien einigermaßen eingehegt. Woran man sich in Österreich wird gewöhnen, wenn man sich gewöhnen muss?
  • Der vergleichsweise unglaubliche Wohlstand Österreichs verführt die Bevölkerung zum Glauben, es ginge auch ohne Demokratie. Dabei kann man sich rechterseits sogar leisten, Kritik weitgehend zu ertragen, d.h. zu ignorieren.
  • An der Flüchtlings- und Migrationsfrage zeigt sich die ganze Verlogenheit dieser Abendländer. Tusk hat ja mit der Beschreibung der Situation recht, er hat sie nur politisch normativ so umgesetzt, als ob es keine solidarische Einigung geben könne bzw. solle. Jetzt gewinnen falsch-liberale Appeaser wieder Oberwasser, die Balkanroute ist ja geschlossen. Um den Preis wie vieler Menschenleben und Lebensschicksale? Österreichs Aufnahmeleistung wurde 2014 ignoriert, und das Revanchefoul beginnt nicht mit der FPÖ. Die hat nur die beiden anderen Parteien vor sich hergetrieben.
  • Noch gibt man sich europäisch, weil man muss (der Bundespräsident hat hier stark eingewirkt und im nächsten Jahr gibt es die Ratspräsidentschaft); menschenrechtlich und sozial braucht man solche Taktik nicht, wieder steht die FPÖ nicht allein da, SPÖ und ÖVP machen schon lange keine gute Figur. DESHALB ist auch der Begriff Populismus falsch, eds geht um die Herstellung einer virtuellen Identität, die die Zertrümmerung der pluralen Identitäten – die es ja auch gibt in Österreich – zur Voraussetzung hat.
  • Das ist in der teilweise gegenüber Deutschland markant besseren Sozial- und Kulturpolitik eine absehbare Katastrophe. Und nichts Rettendes zeigt sich.

Noch wirken das Glück dieser kultivierten Millionenstadt, ihre Infrastruktur, ihre Kulinarik, ihr Aufnahmefähigkeit wie eine Droge: ich weiß, ich werde morgen erwachen und hoffen, dass mir etwas einfällt zum Widerstand außer dem SAGEN WAS IST.

Satire setzt wissende und verständigen Menschen voraus. Kurz von Papen-Schleicher wäre ein Modell für eine Umgestaltung der Macht, aber wer von diesen Verwahrlosten kann mit diesen Namen noch etwas anfangen? Eher noch mit Kiklgruber und den geplanten Konzentrationslagern des Herr Gudenus.

 

Schwarzblau=braungrau in Österreich

Ist der Kurz nun ein Austrofaschist? Nein, ist er nicht, aber in der ÖVP gibt es viele Schlacken, die dieser Tradition noch nahestehen.

Ist der Strache nun ein Nazi? Wahrscheinlich ja, aber gut abgeschirmt.  Viele seiner Minister- und Parlamentskollegen incl. viele der farbentragenden schlagenden Verbindungsbrüder sind Nazis.

Wir Österreich jetzt von Nazis mitregiert. Ja. Wieweit sie eingehegt sind und innerhalb einer einigermaßen stabilen Demokratie nicht alles verwirklichen können, was sie gerne täten, ist noch unklar.

Wird Österreich wieder autoritärer, undemokratischer und rechtsstaatlich schwächer? Sicherlich, denn ein FPÖ Innenminister verheißt nichts Gutes, ein Verteidigungsminister dieser Partei sorgt innenpolitisch für einen Nationalismus gerade der ohnedies anfälligen Truppe, und die Außenministerin wird sich wohl leichter mit den Orbans des neuen Europa einigen können.

Das Staatsbürgerschaftsangebot für die Südtiroler*innen ist nicht die Kriegserklärung, die ich erwartet hatte, sondern eine Nebelbombe. Nur um den Partnern in der EU zu signalisieren: jetzt kommen die Nationalisten.

*

Das alles geht leise und ohne aufgeregte Krawalle vor sich; ja, es gibt ein paar Tausend Protestierende, aber gar nicht zu vergleichen mit Haiders Zeiten. Das ist beunruhigend und zwingt zu genauerer Ursachenforschung. Drei Vermutungen:

  • Bundespräsident Alexander van der Bellen, ein aufrechter und kluger Demokrat, hat „rote Linien“ für die Selbsterklärung und Rhetorik der neuen Regierung gezogen; vielmehr hätte ihm sein Amt nicht erlaubt, aber so weit war und ist er deutlich. Es ist schon ein Erfolg, dass er die Antieuropäer, v.a. in der FPÖ, daran gehindert hat, sich zu ertklären. Bei seiner Wahl hat er eine Mehrheit motiviert, nicht einen rechtsradikalen Prätendenten zu küren. Diese Mehrheit gibt es noch. Und das wissen schwarzblaubraunen Anfänger genau, deshalb sind sie vorsichtig, hoffen auf Abnutzung.
  • Ganz Europa, nein: fast die ganze Welt, rückt nach rechts. Also sind die FPÖ und der rechte Rand der ÖVP keine so großen Überraschungen. Die Sozialdemokratie ist fast überall auf dem Rückzug. Opposition formiert sich nicht mehr an der Achse rechts-links, mit einer rechten Mitte als Zentrum; sondern von der Peripherie her, ökologisch, kritisch, politisch. Umgekehrt wird antidemokratisch von der Peripherie der Machtausübung her gegen ein demokratisches Zentrum regiert (Trump).
  • Österreich war nie links, aber mit einer starken kritischen Kultur und einer respektablen Sozialpolitik gegen die Prekariatswut (USA), gegen die Ethnisierung (wir sind halt nicht deutsch!!!), gegen die Hybris der Hegemonialmächte positioniert. Was sich jetzt durchsetzt ist die Vergrößerung eines ethnischen und rassistischen Bestands, der viele Voraussetzungen hat zu wachsen. In Richtung Bayern: der rechte Schmutzrand belobigt sich wechselseitig; in Richtung Vishegradländer: dumpfe Ausländerfeindlichkeit ohne Angst vor Wohlstandsverlust – Flüchtlinge sind keine Touristen, paart sich mit unbewältigter Moderne. Das geht bis weit in die ÖVP und eine SPÖ hinein, die eigentlich schon lange gar nicht mehr sozialdemokratisch oder sozial oder demokratisch ist. Dass sich die Grünen kurz vor der Wahl zerlegt haben, ist ein böser Zufall mit erheblichen politischen Folgen, dass die Neos nicht wissen, wie liberal sie sein wollen, ist eine weitere Schwäche unter den Demokraten.

Die meisten Medien in Deutschland greifen solche Annahmen heraus, angereichert durch Vergleiche mit der AfD. Nazis hier wie dort, kein Vertun. Nicht nur Nazis. Schlechter getarnt in Österreich, dafür unsicher, ob sie deutsche Gewalttäter oder österreichische sein wollen oder können. Die Vereinigungsmenge aus austrofaschistischer und nationalsozialistischer Ideologie zeigt sich an der Ausländerpolitik und am Umgang mit Menschenrechten. Österreich ist genauso ein Tätervolk wie Deutschland gewesen, wurde aber taktisch von den Siegermächten geschont; wir brauchten keinen Auschwitzprozess und keinen Willy Brandt. Dafür haben – und hier bin ich ein wenig Lokalpatriot – dafür haben unsere Schriftsteller und Künstler, darunter viele Frauen, genau diese Lücke viel kräftiger und vehementer ausgeleuchtet, und das hat teilweise sogar den deutschen Kulturraum gestützt. Deshalb kommt die österreichische Wahrheit so spät an die Macht; bereits dazu und parat war sie schon länger.

*

Was also tun? Erst einmal nachdenken, wann man den Nazis ihre Wirklichkeit entgegenhalten muss und wann nicht. Einhegen oder provozieren? Ich vermute, Kurz hat die Schlüsselministerien deshalb an die FPÖ gegeben, um bei eklatanten Brüchen das Bündnis zu sprengen. Das ist schon einmal schief gegangen…und die Umstehenden der Weimarer Republik habens einfach nicht sich vorstellen können, dass die Nazis die Macht ergreifen, und behalten, sobald sie sie haben. Und was in Österreich geschah, kurz bevor die Nazis den jämmerlichen Kanzler Schuschnigg vertrieben, muss auch gedeutet werden: wo hätte man sich Wienerseits „einigen“ wollen?

Wiederholungen mags bald wieder geben, aber in anderem Gewand und vor allem in anderem Umfeld.  Das gemarterte Polen, dem man schon vor 1989 alle Sympathien schenke musste, wird unter der Freude der prekären Bevölkerungsmehrheit faschistisch oder klerikofaschistisch. Ungarn, die Slowakei, Tschechien, Kroatien,… alle nicht viel besser, oder vielleicht noch schlechter. Das heißt, dass die demokratischen Schwergewichte in der EU noch mehr zu kämpfen haben, um nicht Appeasementpolitik machen zu müssen. Das ist meine größte Besorgnis. Appeasement heißt, die Zerstörer stark machen.

Heute, am 19.12. hat Kurz bekanntgegeben, man wolle in Weißrussland ein Gedenkmal für die dort gestorbenen, d.h. ermordeten, österreichischen Juden errichten. Glauben wir ihm die gute Absicht einmal, sie ist plausibel: diese rassistischen, ethnopluralistischen Teilnazis sind nicht notwendigerweise alte Antisemiten. Die Muslime, Araber, Neger, Zigeuner, Flüchtlinge unterschiedlicher Nasenform etc. reichen aus, um das Ressentiment gegen das Fremde und die Fremden in ihrer Bevölkerungshälfte ordentlich wachsen zu lassen. Bei den Juden würde es gefährlich, denn dieser rechte Rand hat mit Israel aus dessen Umgebungsidiosynkrasien weniger Probleme als mit den „eigenen“ Österreichern jüdischer Herkunft.

(Ich weiß, wovon ich hier rede. In Deutschland und übrigens auch in den USA gibt es zur Zeit auch bei den demokratischen Parteien eine teilweise skurrile Diskussion ob und wie man Palästina unterstützen kann…ohne sich ostentativ israelkritisch zu äußern und gar darin den wirklichen antisemitischen Ressentiments erkennen zu lassen. Meine diesbezüglichen österreichischen Erfahrungen sind so anders als die deutsche Wirklichkeit, dass ich manchmal aufschreien möchte: schaut doch hin, auch wo die Unterschiede sind. Und erkennt dann die Unterschiede zum Guten wie zum Schlechten. Nirgendwo ist deutsch-österreichisch eine dümmere Wortverbindung, im übrigen auch das Wortpaar christlich-jüdisch, um den Einschub nicht zu lang werden zu lassen. Das Thema kommt wieder).

*

Dass und wie sich Österreich mit der neuen Regierung wird schaden müssen, ist seit heute manifest; bisher haben es ohnedies nur die befürchtet, die ohnehin nicht auf schwarzblau gesetzt haben. Sanktionen? Wer sollte sie fordern. Zählt doch einmal nach, an wievielen europäischen Regierungen Nazis, rechtsradikale oder faschistische Parteien, jedenfalls Nationalisten beteiligt sind – oder wo die in den Startlöchern stehen. Der unzivilisierte Teil der Engländer hat das ganze Land schon exponiert; schaut man auf die Schlachtordnung in Spanien, möchte man sich an den Kopf greifen: hier eine plötzlich wieder postfrancistische Zentralmacht, dort Abspaltungsidioten, die ihre Abspaltungsgründe mit ihrer Politik auflösen; in Deutschland pöbelt ein unerfahrener Außenminister (im Vergleich zu Gabriel ist Kurz ein elder statesman) gegen die Umweltpolitik, um seine Arbeiter wieder in seine Partei zu führen –  die Partei gibt’s noch eher als die Arbeiter; Österreich ist mainstream, man wird nichts allzu plötzliches erleben, aber in einem Klima von Demokratiemüdigkeit sind Umkehrmanöver bekanntlich schwierig, weil es kein Volk gibt, das sie betreiben kann.

P.S. ich habe das Wort Populismus oder Rechtspopulisten nicht einmal gebraucht. Es sind keine Populisten, die da regieren.

Sterben in Kabul, schon vor der Wahl?

Deportationsminister de Maizière hat sich rückversichert. Das Auswärtige Amt, bisher zurückhaltend und vorsichtig – schließlich wurde eine Botschaft und ein Konsulat beinahe in die Luft gesprengt, – das AA also hat festgestellt, dass es für abgeschobene Afghan*innen gar nicht so gefährlich ist wie für Deutsche, die deshalb kaum mehr in Afghanistan sind und deshalb genau wissen, wie es in den einzelnen Provinzen zugeht.

Wahltaktisch klug setzt sich der Innenminister für das Abschieben derer ein, die hier ohnedies niemand mag, Gefährder, Straftäter und – solche, die ihren Namen nicht nennen mögen (was ja bei deutschen Menschen auch vorkommt; und wer das afghanische Namensrecht nicht kennt, wie die meisten Ministerialien, sollte hier aufpassen). Zwar hat die Botschaft kein Personal, die Deportierten zu empfangen oder gar zu betreuen, aber, wie gesagt, der Zwangsdeportierte kann ja im Volk diffundieren und wird sogar in Orten, die von den Taliban beherrscht werden, weniger gefährdet als z.B. deutsche (von denen fahren nur ein paar Desperados freiwillig nach Afghanistan, die andern dürfen zu Recht aus Sicherheitsgründen nicht da hin).

Unrecht wird nicht dadurch besser, dass man sich daran gewöhnt und andere Aktualitäten diese grenzenlose heuchlerische Unmenschlichkeit überbauen. Es werden jetzt in nächster Zeit nicht viele abgeschoben, es geht aber um mehr als ums Prinzip: wer den Tod von Menschen billigend in Kauf nimmt, obwohl man ihn gut verhindern kann, schadet auch dem Vertrauen in den Rechtsstaat hier im Land. Die Hermanns und Maizieres werden mit daran Schuld haben, dass die Verächter des Rechtsstaats weiter Aufwind verspüren.

Ich werde den Argumenten gegen die Zwangsdeportation nichts mehr hinzufügen. Thomas Ruttig und andere, darunter auch mein Blog, haben die Problem oft und genau dargestellt. Mir geht es um etwas anderes, genauso wichtig:

Die Situation Deutschlands in Europa und der Welt verführt viele Politiker*innen, nicht alle, zu einer fast unerträglichen moralischen Arroganz: Korruption – das sind immer die andern (VW und Autovorstände, Energiekonzerne, Glyphosat, Kohle, Presselenkung und Windkraftzerstörung in NRW …die Unschuldsvermutung für die Regierungen gilt nicht). Dass die berechtigte Kritik an der polnischen Demokratiezerstörung auch zum Nachdenken über unsere Wahlverfahren zum Verfassungsgericht führen könnten – Fehlanzeige. Dass alle Umweltzerstörung von Regierungsseite immer mit Arbeitsplätzen begründet wird, und manche Gewerkschaften hier plötzlich ganz neue Bündnispartner entdecken, ist pure Heuchelei. Dazu demnächst ein Blog. Aber, um auf die Deportationen zurückzukommen, es ist auch Heuchelei, wenn die Abgeschobenen mit den freiwilligen Rückkehrern in einen Topf geworfen werden, um darzustellen, dass ja für die Menschen keine wirklich Gefahr bestünde. Die beiden Gruppen haben wenig miteinander zu tun, und das kann man beweisen. Mich erbittert, dass man über Trumps Fake-News lästert, aber sich in Fragen überprüfbarer Realität, wenns um nicht-deutsche Menschenleben geht, derselben Methoden und unbelegten Annahmen bedient. Menschenrecht müssen Vorrang haben vor der Wahltaktik, und da geht es im konkreten Fall nicht nur um Deportationen nach Afghanistan, sondern in ganz viele Herkunftsländer, woher die Elendsten der Elenden kommen. Dass darunter auch ein paar sind, die besser in einem Gefängnis aufbewahrt würden, leugnet niemand. Aber die Flüchtlinge pauschal zu diskriminieren, ist unmenschlich und unklug: daran wird  man noch lange gemessen.

 

 

Lustig ist die Gleitkultur

H.C.Artmann:  wos an weana olas en s gmiad ged:

 

a faschimpöde fuasbrotesn                                 à verschimmelte Fußprothese

a schachtal dreia en an bisoaa                            à Dreier: billigste Zigarettensorte

a gschbeiwlat fua ana schdeeweinhalle            à Gschbeiwlad: das Ausgekotzte

Da liawe oede schdeffö!                                           àSt. Stefan Hauptkirche von Wien  

 

(Aus: Achleitner/Artmann/Rühm: hosn rosn baa, Wien 1958, eingeleitet von Heimito von Doderer, S.49. Der wesentliche Beitrag zur österreichischen Leitkultur)

 

Die Österreicher, die jüdischen, mich eingeschlossen wo auch immer, die Zigeuner, normalerweise auch die Hugenotten und die deutsch-türkischen Türken-Deutschen haben so wenig Probleme mit der Leitkultur wie sonst nur die Migranten. Aber Herr de Maizière in 16. Generation lothringischer Immigrant[1], hat halt Probleme – darf er haben: Art. 5 Grundgesetz, da steht auch dass er uns seine Probleme mitteilen darf. Sogar in satirischer Form. Der Innenminister ist da besser als Böhmermann. Wir, die Nation der Zensoren, haben das echt nicht durchschaut.

Witzig, nä, Hände schütteln – du Bazillenspender. Wir sind nicht Burka.  Meint Burkina Faso.

Maizière hat doch recht. Er hätte noch mehr aufzählen müssen: das Arschgeweih tätowiert über den Steißwirbeln, die weißen Socken in Sandalen, das Komasaufen, die gedopten Meaillenbringer und Trainer für Deutschland, die bayrischen fremden Blindgänger, lieber großes Auto als gut essen gern im Stau stehn,  mit Moralpolitik, die Ausländermaut, der Dobrindtismus, … ach Gott, da ist noch mehr, aber überfordern darf man den Satiriker auch nicht, er kommt ja nur in den Abschiebepausen zum Schreiben.

Da er nun Ehrenmitglied der AfD ist, wegen seiner Abschiebereien von Menschen ins Verderben, muss ihm unser Plural-Ismus auch diese geschmacklose Satire verzeihen. Wir setzen uns ja sonst auch für die Abgehängten und die Verlierer der Rechtschreibreform ein.

(Dass ihm umgehend eine ganze Reihe von Rechtsauslegern, nein nicht aus der Bundeswehr sondern aus dem Christenthum, wie der Spahn zur Seite sprngen, zeigt wie humorlos seine Gefolgschaft mittlerweile ist…)

 

*

 

Ich merke schon: nicht lustig. Also nochmal. Der Leitkulturindex, der aufdeckt, wo wir alle stehen, hieß früher Codex Librorum prohibitorum; er war bis 1966 in Kraft und wer da aller draufstand, könnte die Leitkultur der Wochenschau oder Anstalt ganz gut ergänzen. Was für Gebildete, die nicht Burka waren, ein Bildungserlebnis werden könnte.

Es gibt auch Satiriker, die den Maizière mahnen: seine Idee sei schon gut aber viel zu wenig sensibel und feinfühlig ausgeführt. In welches Ressort gehört die Freude am Deportieren: Verkehr? Innere Sicherheit? Gute Regierungsführung? Lasst doch die Flüchtlinge verrecken, lasst die Ungebildeten ja nicht lesen und schreiben lernen, aber diskutiert bitte des Innenministers gute Gedanken. Verkehrsminister kann er nicht mehr werden, da haben wir schon einen.

 

 

[1] Wers nicht glaubt: Die Hugenottenfamilie de Maizière, aus der Nähe von Metz stammend, floh im 17. Jahrhundert nach Brandenburg, wo ihr Kurfürst Friedrich Wilhelm Zuflucht bot. Der Nachname leitet sich vom Herkunftsort der Familie ab, der Gemeinde Maizières bei Metz in Lothringen. https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_de_Maizi%C3%A8re#Familie. Man „floh“ ,nicht man urlaubte sich nach Preussen.

DEPORTATIONSWAHNSINN

 

Es hört nicht auf: am 27.3. wurden wieder afghanische Männer nach Kabul deportiert. Wie meine Leser*innen wissen, sind sie dort ungeschützt und in Gefahr, getötet zu werden, zu verhungern oder von enttäuschten Familienangehörigen misshandelt zu werden.

 

AFGHANISTAN IST NICHT SICHER

 

Der Hugenotte de Maizière, selbst Nachfahre von Flüchtlingen, WEISS DAS. Willfährige Informanten beraten ihn, wie er Afghanistan als sicher beredet. Ausnahmslos ALLE FACHLEUTE, die ich kenne, sagen öffentlich, wie unsicher Afghanistan ist. In den Ministerien hält man sich zurück. Aber auch dort wissen viele, dass man das Land nicht sicher reden kann; und aus menschenrechtlichen Gründen NICHT ALS SICHER VERKAUFEN DARF.

 

D

Warum niemand laut und öffentlich protestiert, fast niemand?

Weil leicht zu durchschauen ist, dass die Innenminister der Länder dem Deportationsminister de Maizière nicht in den Arm fallen, wenn er sich gegenüber der deutschen Rechten als tatkräftiger Volksreiniger betätigt (zeigen, dass man‘s besser kann als die AfD, und auf anderen Gebieten ja etwas weiter von den Nazis entfernt).

Auch deshalb gibt es wenig Widerstand. Denn verantwortungsbewusste Gerichte und viele Behörden, aber auch viele Ehrenamtliche, kümmern sich um die Flüchtlinge und sorgen dafür, dass sie einigermaßen über Runden kommen, hier, bei uns im Land des übergewichtigen Wohlstands.

Eine andere Frage ist, was mit denen geschieht, die Afghanistan auf ihre Chance warten, zu uns nach Europa zu kommen. Die meisten von ihnen sind sehr wohl informiert über den Fremdenhass der jungen Demokratien in Osteuropa und die Verhärtungen im gefestigteren Teil europäischer Demokratien. Sie wissen auch, dass sie bei den Menschen eher willkommen sind als bei den Regierungen. Sie werden kommen, weil wir die Grenzen nie dicht machen können, sie werden Opfer auf sich nehmen, und wenn die Deportierten in Afghanistan überleben, werden sie sich wieder auf den Weg machen. Dagegen hilft das Abkommen von Brüssel nicht.

Wir müssen mithelfen, den Menschen in Afghanistan mehr Zukunft zu geben. Wir haften dafür, nachdem wir uns mehr als zehn Jahre an einem Krieg zu Festigung ihres Landes beteiligt haben, aber die Gesellschaft dort etwas aus den Augen verloren haben. Entwicklungszusammenarbeit braucht nicht nur Geld – davon ist genug da – sondern auch eine koordinierte Politik – daran fehlt es, und an Vertrauen, dass die Afghanen mit unserer Hilfe besser umgehen könnten, ließe man sie denn. WIR bestimmen noch immer, was für die Afghanen gut zu sein scheint. Aber OWNERSHIP bedeutet, dass SIE mitverhandeln über das, für ihre Zukunft gut ist (Nicht einseitig Rentiersforderungen stellen oder sich abschotten). Nein, Afghanen können ihre Zukunft mit uns verhandeln. Dazu bedarf es der Bildung, des Vertrauens, des demokratischen Vorbilds – und natürlich unseres Geldes, ich denke, lassen wir es beim EUROPÄISCHEN Geld.

Der außenpolitische Sprecher GRÜNEN, Omid Nouripour, hat ein Fachgespräch am 27.3. veranstaltet, bei dem doch recht anschaulich klar wurde, dass alle Forderungen nach Ownership, Ermächtigung, guter Regierungsführung, materieller Unterstützung und Hilfe (nennt „Hilfe“ nicht Zusammenarbeit, wenn ihr nicht zusammen arbeitet) nach wie vor aktuell sind.

AFGHANISTAN DARF NICHT VERGESSEN WERDEN.

Das ist nicht nur die politische, sondern auch die moralische Haftung Deutschlands, auch eine Folge der neuen, größeren Bedeutung im globalen Spiel um Frieden und Krieg.

Bei dem Gespräch ging es um Korruption in Afghanistan. Mein Eindruck ist, dass es den Regierungen fast egal ist, was wir Expert*innen WISSEN, solange sie ihr HANDELN vor der Kritik der Öffentlichkeit schützen können und das alles nicht zu teuer wird. Es wird aber teuer, und es wird unsere Legitimität weiter belasten, wenn wir Menschen in dieses Land heute deportieren ohne ihm bei seiner Zukunft wirkungsvoll zu helfen.

SELBSTVERTEIDIGUNG:

Man hält mir, hielt mir auch gestern, entgegen: ich wüsste doch, wieviel Deutschland für den Wiederaufbau geleistet hätte; an manchem sei ich doch selbst beteiligt gewesen und noch immer beteiligt. Stimmt. Aber ich habe während dieser ganzen Zeit seit 2003 auch immer gewarnt vor amoralischen Staatsbildnerei an der Gesellschaft vorbei. Das Schicksal und Trauma der aus Afghanistan ankommenden Flüchtlinge hat auch damit zu tun. AUCH, nicht zur Gänze, nicht undifferenziert. Aber doch so sehr, dass eine Neubewertung nicht nur der Situation, sondern auch der Möglichkeiten, den 35 Millionen Afghanen beizustehen vorgenommen werden muss.

ZUR INFORMATION ÜBER DIE LETZTE DEPORTATIONSAKTION. Thomas Ruttig und ich wetteifern nicht in der Veröffentlichung dieser grausigen Wirklichkeit. Aber da wir zu denen gehören, die das WISSEN, was die Regierung nicht KENNEN will, ist es kein Zufall, dass wir oft parallel arbeiten:

Erstes Todesopfer: Afghane begeht wegen drohender Abschiebung Selbstmord/ Vierter Abschiebeflug gestartet (aktualisiert)

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Ein junger Mann aus Kandahar hat im bayerischen Haar nach Erhalt der Ablehnung seines Asylantrages Selbstmord begangen, berichtete die Müncher Abendzeitung heute. Der 20-Jährige sei seit 19 Monaten in Deutschland gewesen. „Er war traumatisiert und schwer depressiv. Er hatte eine unvorstellbare Angst davor, zurückkehren zu müssen“, wird eine Helferin zitiert. Laut Rechtsanwalt Gunter Christ habe „die Suizidgefahr [bei abgelehnten Asylbewerbern] dramatisch zugenommen… Es gibt immer mehr, die in Kliniken eingewiesen werden. Insofern ist es eine Art Suizidprogramm.“

Hier des AZ-Artikel weiterlesen.

Laut Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat – zitiert vom Bayerischen Rundfunk – sollen drei Flüchtlinge, die zuletzt in Baden-Württemberg gelebt haben, an Bord des Abschiebefliegers sein, außerdem zwei aus Hamburg – wobei einer von ihnen zuletzt in der JVA Mühldorf war – und zwei aus Bayern. In einem Fall hofft der Flüchtlingsrat noch auf eine Eilentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichts.

[Aktualisierung 28.3.17, 10.00 Uhr: Laut Bayerischem Rundfunk waren diesmal 15 Abgeschobene an Bord, wieder weniger als bei den vergangenen Flügen. 34 waren es im Dezember 2016, 25 im Januar 2017 und 18 im Februar 2017 (mein Bericht aus Kabul zu letzterem hier). „Bei den Abgeschobenen handelte es sich ausnahmslos um allein stehende Männer. Einige von ihnen waren in ihrem Gastland auch straffällig geworden“, teilte das bayerische Innenministerium mit. Laut Welt beteiligten sich neben Bayern auch die Bundesländer Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Hamburg, Hessen sowie erstmals Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg an der Rückführungsaktion.

Einem dpa-Bericht aus Kabul zufolge sagte der Sprecher des Flughafens in Kabul, Mohammed Adschmal Faisi, die Ankunft sei ruhig verlaufen.

Die meisten Passagiere des vierten Fluges stammten zumindest nicht aus schwer umkämpften Provinzen, sagte ein Mitarbeiter des Kabuler Flüchtlingsministeriums, der ungenannt bleiben wollte. «Viele sind aus Kabul, andere aus Pandschir oder Parwan.» Einige kämen allerdings aus unsicheren Provinzen wie Wardak oder Nangarhar. Auf dem dritten Abschiebeflug im Februar kam etwa die Hälfte aller Passagiere aus umkämpften Provinzen wie Urusgan, Kundus oder Paktia. (…) Die meisten Ankömmlinge wollten nicht mit Medien sprechen. Viele wirkten müde oder wütend.

In dem Bericht hieß es auch, dass ein Mann aus Nangrahar, Obaid Ros, unter den Abgeschobenen gewesen sei:

Obaid Ros aus der ostafghanischen Provinz Nangarhar sagte, er habe sieben Jahre lang in Landshut gelebt. Er habe Arbeit gehabt und Computer repariert. „Ich habe keine Ahnung, wieso sie meine Asylbewerbung gestoppt haben“, sagte der 24-Jährige. Als er von der bevorstehenden Abschiebung gehört habe, sei er geflohen. Die Polizei habe ihn wieder aufgespürt und drei Wochen lang festgehalten. Er werde trotzdem versuchen, nach Deutschland zurückzugehen. „Hier gibt es keine Sicherheit, keine Arbeit, kein Leben“, sagte Ros.

Nach mir vorliegenden Information soll der Mann auch kurz vor der Eheschließung gestanden haben; nur die Beglaubigung eines Dokuments durch die afghanische Botschaft in Berlin habe noch ausgestanden.

Ein dpa-Foto von ihm hier.

Hier ein ARD-Video von Protesten von Abschiebegegnern in München.]

 

Zwei weitere Afghanen, die in einer Aufnahmeeinrichtung in Mühldorf untergebracht, haben ebenfalls Selbstmordversuche unternommen, überlebten aber. Beide sollen dem gleichen Bericht zufolge im vierten Abschiebeflug sitzen, der heute abend von München aus startete. (Der Bayerische Rundfunk bestätigte jetzt den Start des Flugs um 22.15 Uhr.) Und einer der beiden stand kurz vor der Eheschließung

Die Süddeutsche Zeitung berichtete dazu:

Der Bayerische Flüchtlingsrat erhebt massive Vorwürfe gegen eine Memminger Amtsrichterin sowie einen Klinikarzt in Wasserburg am Inn. Beide hätten sich zu „willfährigen Handlangern“ der Abschiebepolitik von Innenminister Joachim Herrmann gemacht, sagt Flüchtlingsrat-Sprecher Stephan Dünnwald. Sie seien eine „Schande“ für alle Vertreter ihres Berufsstands. Konkret geht es um zwei Afghanen, denen am Montag offenbar die Abschiebung drohte. „Eine Psychiatrie stempelt einen Suizidgefährdeten gesund, damit die Behörden den Betroffenen noch auf den Flug nach Kabul setzen können. Eine Richterin am Amtsgericht Memmingen stellt im anderen Fall einen Haftbeschluss aus, wohl wissend, dass ein anderes Amtsgericht erst vor wenigen Tagen festgestellt hatte, es liege kein ausreichender Grund für Abschiebehaft vor“, so Dünnwald. Stellungnahmen zu den Vorwürfen lagen am Montagabend noch nicht vor.

 

Bereits am Sonntag hatten in Mühldorf am Inn über 400 Menschen vor dem Abschiebegefängnis demonstriert – eine Zahl, die so nicht erwartet worden war. In Leipzig demonstrierten zuvor am Sonnabend afghanische Geflüchtete und Unterstützer gegen drohende Abschiebungen aus Sachsen. Am gleichen Tag wurde auch im bayerischen Neumarkt gegen die drohende Abschiebung eines jungen Afghanen demonstriert, der sogar einen Ausbildungsplatz hat.

Die Deutschen Welle berichtete über eine Schulklasse in Cottbus, die gegen die drohende Abschiebung dreier afghanischer Mitschüler mobilisiert, eine Petition gestartet und Geld für Anwälte gesammelt hat.

 

Pro Asyl hat unterdessen Pressebeiträge über Abschiebungsfälle gesammelt und verlinkt, die bereits lange Jahre in Deutschland lebten, gut integriert waren und häufig einen Job oder Aussichten auf eine Ausbildung hatten. Hier: „Jeden Monat ein Flieger in die Unsicherheit