Immer die Falschen?

Attentate, selbst wenn sie moralisch gerechtfertigt sind, treffen meist ihre Opfer nicht, wogegen sie bei unschuldigen Zielen recht erfolgreich sind. Darum Vorsicht, wenn man sich einen Anschlag auf jemanden, der nun wirklich verhasst ist und den so genannten Tod verdient, wünscht – es könnte daneben gehen, oder, wie üblich, die Falschen treffen.

Die Ersatzhandlung, z.B. einen solch bösen Menschen zu verfluchen, ist jederzeit, auch öffentlich gestattet, nur hilft halt ein Fluch wenig und man kann dann strafrechtlich belangt werden, wenn die Verwünschung wider Erwarten zeitnah und im Detail doch in Erfüllung geht. Also auch hier: Vorsicht.

Voller Anerkennung schauen wir auf Georg Else und die Männer des 20. Juli 1944. Natürlich war es geboten, Hitler auszuschalten. Was anerkennen wir – den Mut, die Tat, das Ziel. Kommentare über die Durchführung des Attentats verbittet man sich lieber.

Wie war das bei der RAF? Blöd, falsch begründet von Anfang an, viele Kollateralopfer…halt: wenn ein Anschlag falsch ist, dann kann man nicht unterscheiden zwischen dem Ziel und den Nebenopfern.

Die Russen schmieren ungeniert Novichok auf Türklinken und töten damit, die Amerikaner schicken Drohnen,

Klar: Jetzt kommt Solimani. Der iranische Sicherheitsführer wurde zugleich mit einem irakischen Kollegen und etlichen anderen aus der Entourage Opfer einer gezielten Tötung. Eines Attentats.

WARUM ICH MICH DAMIT BESCHÄFTIGE?

Konfliktforschung und -regelung braucht einen gewissen Abstand zum „Common Sense“ und zu alltäglichen Erklärungen, auch für Attentate. Viele denken bei solchen Gewalttaten an Rache, Vergeltung für selbst oder im kollektiv erlittenes Unrecht. Weniger häufig ist die Idee des präventiven Attentats, auch der symbolischen Auslöschung eines als unangreifbar geltenden Menschen. Das passt in den Alltagsdiskurs, greift aber zu kurz. Regimewechsel durch Ausschaltung der Führer? Als Motiv weitverbreitet, als Strategie meist unwirksam. Mich bewegen zwei Sachverhalte: Attentate sind Ausnahmeerscheinungen funktionierender Demokratien bzw. von Rechtsstaatlichkeit. Ihre Legitimation kann nicht automatisch in den Verfassungen und Gesetzen gefunden und abgelesen werden. Und: der Kontext gezielter Tötungen ist vielen, oft den meisten Menschen, nicht bekannt oder einsichtig. Dazu kommt eine wichtige intervenierende Variable: die Geheimhaltung von Entscheidungen für und der Vorbereitung von Attentaten.  Die Zeiten öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf einen Kaiser oder Despoten oder Geschäftsmann oder politischen Gegner sind vorbei, selbst Selbstmordattentate werden nicht unmittelbar öffentlichkeitswirksam – Kommunikationsstrategien gehören zu allen Attentaten.

Wer über die komplizierten Kontexte gezielter Tötungen etwas erfahren will, sollte Ronen Bergmans Buch „Der Schattenkrieg“ lesen (Bergman 2018). Da geht es nicht nur um nationale Sicherheitsinteressen (Attentäter der anderen Seite ausfindig machen und vorher ausschalten),  bestimmte Personen lebend oder tot ausschalten (Eichmann lebend, für den Prozess), Platrzhalter für legale Strafjustiz (anders kommt man an die Täter nicht ran), und jede Menge Machtspiele innerhalb einer Regierung. Was mich besonders erschreckt hat ist der Nachweis, wie sehr die USA den israelischen Geheimdienst instrumentalisieren und in gewisser Weise beherrschen.

Über den Kontext Israel und Netanjahu und den 27.1.2020 kommen wir nicht nur wieder zu Solimani und dem Iran, sondern zu einem viel komplizierteren Zusammenhang. Nicht einmal der halbirre Autokrat Trump kann glauben, dass er mit diesem Attentat die Strukturen regionaler und globaler Feindseligkeit in eine bessere Richtung lenkt. Zu viele der oben beschriebenen Motive und sein innenpolitischer Wahlkampf waren da wichtiger. Genauso wie beim Kriegsplan für seine Variante der Zweistaatenlösung ausgerechnet am Tag der Befreiung von Auschwitz à meinen Blog „Jüdischer Einspruch XIV). Aber beides, Solimani-Mord und der amputierte Nahostplan haben doch etwas bewirkt, abgesehen von der Ablenkung vom Impeachment und Brexit. Sie bewirken eine ideologische Destabilisierung. Und diese ist die Voraussetzung zur Stabilisierung der undemokratischen, autokratischen Ausschaltung demokratischer Spielregeln und Gesetze, Verträge und Konventionen. Also nicht die Dogmatisierung (wie in China, wo sie ja doppelbödig und ambig ist), sondern die (durch den Pöbel und Gewinner legitimierte) Übereignung von Macht & Gewaltansprüchen an einen „Herrscher“ von eigenen Gnaden (Anwalt Dershowitz zu Trump; erinnert an den Selbstherrscher aller Russen). Und so einer – keineswegs nur Trump, da haben wir viele, z.B. die Saudis, z.B. die Russen, z.B…. – so einer kann ein Attentat in eine alternativlose Notwendigkeit umdeuten.

Der Soliman-Mord hatte zwei unmittelbare Folgen. Der Sohn des unmöglichen Shahs Pahlevi meldete sich zu Wort – da denken andere schon wieder an Attentate;

https://www.mic.com/p/the-qassem-soleimani-killing-how-we-got-here-19742034 ; https://www.ft.com/content/b90595da-2ed4-11ea-a329-0bcf87a328f2 ; also sehr unterschiedliche Sichtweisen, darunter: 

Washington, DC on January 15, 2020. (EVA HAMBACH/AFP)

 “It’s just a matter of time for it to reach its final climax. I think we’re in that mode,” the former crown prince told a news conference in Washington, which he lives near in exile.

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“This is weeks or months preceding the ultimate collapse, not dissimilar to the last three months in 1978 before the revolution,” he said.

While exiled activists have routinely predicted the fall of the regime, Pahlavi said that Iranians could “smell the opportunity for the first time in 40 years this time.” https://www.timesofisrael.com/iran-crown-prince-predicts-regime-collapse-as-protestors-smell-opportunity/ 31.1.2020

aber es ist wie eine geöffnete Pandora-Büchse:  da kommen nicht nur die Geister der Vergangenheit ans Licht, Mossadegh, die US-britische Allianz gegen die Unabhängigkeit des Iran, das linke Interventionsmuster nach der Abdankung des Shah,  die unselige, wiederum religiöse Diktatur unter Chomeini und Chamenei,  die Unfähigkeit der Amerikaner zu friedlicher Verhandlung (Geiselnahme) und der faschistoide Vertragsbruch Trumps gegenüber dem Atomvertrag mit dem Iran (einem Land, das man andererseits nie mit demokratischer Legitimation bedenken würde, aber auch Diktaturen kann man zwingen, sich an Verträge zu halten, – außer man ist zu mächtig). Was wiederum die Phantasie beflügelt, aber ihr Attentatshunger vergisst die Metapher von der lernäischen Schlange: ein Kopf ab – neun wachsen nach.

Ich denke es ist Zeit für die europäische Außenpolitik,  ohne und gegen die USA, ohne sich von den Sanktionen einschüchtern zu lassen – das geht gegen die deutschen Industriekriecher – aber auch ohne weitere Provokationen: wir sollten den Atomvertrag und solide Handelsbeziehungen zum Iran neu verhandeln, manchmal kann sogar eine Randerscheinung des Kapitalismus Demokratiebewegungen unterstützen – wenn das Volk weniger hungert.

Bergman, R. (2018). Der Schattenkrieg. München, DVA.

Jüdischer Einspruch XIV: Israel, Palästinenser? Aber ohne die USA, BITTE

Trump und sein Schwiegersohn legen dem korrupten israelischen Premier einen Plan vor, der diesem helfen, seine Krise zu überwinden, und die Vorherrschaft der USA über den jüdischen Staat festigen soll.  Dass man dabei die Palästinenser nicht beteiligt hat, versteht sich bei einem pathologisch labilen Autokraten. Dass der Plan unlogisch ist, verwundert so wenig wie dass er das Völkerrecht verletzt und ein Besatzungsregime stützt.

Nichts neues also? Die verhaltene Reaktion der umliegenden arabischen Länder ist auffällig. Palästina steht nicht mehr auf deren Prioritätenliste. Dass Fatah und Hamas den Plan ablehnen, war schon vorher klar und wird weiter klar sein. Dass Tage des Hasses und weiteres Gebrüll Israel nicht abschrecken werden, steht zu erwarten, und auf Raketen aus dem Gaza wird Israel wie bisher reagieren – zu Recht.

Also: was ist das alles? Die Reaktionen von Shimon Stein, dem früheren Botschafter, und von Norbert Röttgen (CDU, Auswärtiger Ausschuss) sind eindeutig, kritisch und hart an der Grenze der undiplomatischen Ablehnung. Den Rüpelton überlässt man dann doch lieber den Amerikanern. (Übrigens, was wird aus Gaza? Und wie soll der palästinensische Staat mit eingeschränkter Souveränität funktionieren?).

Israel hat sich, wegen der prekären Rolle des Premierministers und anderer korrupter Politiker, in weitere Abhängigkeit von den USA begeben. Die Regierenden in den USA haben durch gezielte Verletzung der Regeln internationaler Zusammenarbeit erneut bewiesen, dass sie nicht unsere Verbündeten oder gar Freunde sind. Das gilt nur sehr beschränkt für die beiden Gesellschaften. Kein Antiamerikanismus außer gegen den Minderheitspöbel, der Trump am Ruder hält, und außer gegen die nationalistischen Siedler in Israel, denen Trumps Vorschlag zu milde ist, weil es doch einen palästinensischen „Staat“, ein Reservat, wie ich es nenne geben soll. Das wird alles nicht so kommen.

Aber zwei Dinge sollte man hier, bei uns, auch nicht übersehen: zum einen – wer sind die Palästinenser? Die Frage ist nicht einfach zu beantworten, sie hat ihre ethnischen, religiösen, ökonomischen und kulturellen Wurzeln, die von der  Führung, Fatah versus Hamas), und den umliegenden arabischen Mächten okkupiert wurden, und die Antwort ist so schwierig, wie man in unserem Sprachgebrauch zwischen Juden und Israelis unterscheiden sollte.  Zum andern – wie soll sich die EU verhalten, nachdem die USA als Friedensstifter endgültig ausgefallen ist? Die EU kann vermitteln.  Besser als andere. Neben der Anerkennung Israels durch die Palästinenser – siehe oben – ist massive wirtschaftliche und kulturelle Unterstützung für den zweiten Staat nötig, aber die wird schwierig.

Ich war von Anfang für eine demokratische Einstaatenlösung, die übrigens auch dann nicht im Widersprüche zur Idee eines, des einzigen „jüdischen Staates“ steht, wenn die anderen Bevölkerungsgruppen im Land die gleichen Rechte und Pflichten, auch letzteres zählt!, haben wie die jüdischen Israelis.

Das ist schwieriger als es sich die amerikanische Rodeopolitik vorstellt. Aber noch leichter zu verhandeln, wenn es richtige Vermittler und ein geordnetes palästinensisches Gesellschaftsprogramm gibt – also keine Identitätspolitik, wie bisher; das ist kein so großes Problem in Israel, außer bei den Ultra-Orthodoxen und den rechtsradikalen extremistischen Siedlergruppen. Die EU, vielleicht die VN, können hier Politik machen. Wir müssen sie ermutigen.

Das hat auch mit unserem Verhalten, mit unserem Handeln zu tun, das wir in den letzten Tagen zum Jahrestag von Auschwitz so laut bekundet haben.

Gedenkstarre

Mehr als Auschwitz…geht scheinbar nicht?!

Mir ist heute nicht nach Polemik, aber nach Kritik. Mir ist nicht nach Reduzierung der Komplexität, aber nach einer Durchdringung einer Materie, die so kompliziert ist, dass viele an ihr eher verzweifeln oder sie resigniert liegen lassen, als sie zu bearbeiten.

Zunächst ein Umweg.  Die bigotte politische Korrektheit der USA Medien lässt nicht zu, dass man Fucking, Cunt, oder   im Wortlaut (F***g, etc.) ausschreibt, aber der Präsident und die National Rifle Association (NRA) befürworten oder dulden weiterhin Amok und wahllose Massentötungen. Bei uns sind die Restriktionen und Tabus anders, aber im Medien- und Diskursbereich nicht weniger gefährlich.

Das N- und F- Wort.

Meist wird der Verharmlosung geziehen, wer einen Menschen oder eine Gruppe des Nationalsozialismus beschuldigt oder als Faschisten bezeichnet. Stattdessen wird diese Person oder die Organisation des Rechtspopulismus, der völkischen Ideologie oder eines übertriebenen Nationalismus beschuldigt, die gefährlich „nahe“ an N und F herangerückt sei. Wehret den Anfängen, tönt es dann.

Es gibt da noch eine weitere Komplikation. N und F werden im alltäglichen Gebrauch oft gleichgesetzt, was bedingt verständlich ist. Aber zwischen Nazis und anderen Faschisten gab und gibt es Unterschiede, und die machen es besonders schwer, ordentlich zu argumentieren. Zumal der vorgebliche Antifaschismus der DDR (und vieler Linker im Westen) über weite Strecken eine böswillige und verharmlosende Position zum Nationalsozialismus verdeckt hatte. Bei N und F kann man nicht einfach sagen, die einen seien besser oder noch schlimmer als die anderen, sie sind nur nicht deckungsgleich. Damit man das versteht, sollte man das Verhältnis von N und F zum Staat untersuchen, das sich doch massiv unterschieden hatte. (Nach Robert Paxton hätte vor allem der deutsche N alle fünf Stufen des F durchlaufen, s. https://en.wikipedia.org/wiki/Robert_Paxton und mehr in der NYRB; es gibt eine Vielzahl deutscher Interpretationen, ich denke, die Sicht „von außen“, die es im Globalismus nicht mehr gibt, ist aber auch wichtig).

Ich sage: die AfD und die deutschen Identitären sind Nazis, und zwar in einer der Vorstufen zur Machtergreifung (darin unterscheiden sie sich von den Nazis nach 1933, aber sie haben in den Vorstufen dazu mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen, natürlich sind ganz andere intervenierende Variable im Spiel und Mediendiskurse, die diese Analogien weniger leicht durchschaubar machen). Dass ich die Nazis je verharmlost hätte, widerlegt sich durch 5o Jahre öffentliche Arbeit; dass ich viele Analogien zum Stalinismus und zu sozialistischen Staatsgesellschaften ziehe, die sich selbst als Anti-F definiert haben, ist eine wichtige, dazu gehörige Facette,  die mir viel Kritik und Ärger nach wie vor einbringt, aber mich eher darin bestärkt, hier mehr zu differenzieren ohne Abstriche zu machen.  

Und ich meine, es gehört zur demokratischen Streit- und Konfliktkultur, die N und F Wörter bedachtsam, aber zielgenau auszusprechen.

Das ist logischerweise einfacher, wenn man sich in relativ homogenen kritischen Diskursmilieus bewegt, wo man die Differenzierungen auf- und erklären kann, ohne sofort weitere Kontroversen zu entzünden. Wir brauchen diese Kontroversen aber, denn wir können und sollen das Ende von Weimar nicht wiederholen oder zumindest riskieren.

Auschwitz und die heutigen Gedenkveranstaltungen

Wer heute und in den vergangenen Tagen Gedenkveranstaltungen durchgeführt oder besucht hat, meint es in den meisten Fällen ernst, und eine Gedenkkalender sollte jede Gesellschaft ohnedies haben, nicht aber einen, der durch unzählige „Tage der/des….“ aufgeweicht wird. Wer es nicht ernst meint, wer auf Gaulands Vogelschisslinie tänzelt, der ist für dieses Gedenken ohnedies verloren (was nicht heißt, dass man ihn nicht bekämpfen oder korrigieren sollte, aber auch nicht als oppositionelle Stimme der Meinungsfreiheit will man ihn heute hören). Wenn in diesen Tagen Bilder von Überlebenden der Lager, die heute noch leben, gezeigt werden, gehört das, was sie sagen und zu sagen haben, zu diesen Bildern. Für sich können es gute oder schlechte Portrait-Photographien sein, die aber einen Kontext brauchen, damit wir wissen, was diese Menschen heute aussagen wollen. Bald werden sie nicht mehr leben, dann werden wir uns an Bild und Text erinnern müssen, wie wir jetzt schon daraus Erinnerungskultur gestalten. Wir leben, aber wir sind keine Überlebenden der Shoah. Wenn unsere Eltern, Großeltern, Verwandten solche waren, können wir von ihnen bestimmte Erzählungen bekommen haben – oder nicht; wir haben auch studieren können, was man über die Shoah weiß. Und was man wissen sollte. Und was man nicht wissen will, je nachdem, wie das Man Täter und Opfer anordnet und wahrnimmt.

In den heutigen Reden haben alle, die gesprochen haben, darauf hingewiesen, dass Auschwitz nicht abstrakt, sondern nur konkret aufgerufen werden soll, um die Wirkung des „Nie wieder!“ zu entfalten. Das ist zu kurz gedacht, bewirkt vielleicht das Gegenteil. Die Entwicklungsgeschichte zur Shoah ist der konkrete Lernort, der analysiert, kritisiert und gegen Wiederholung abgewendet werden muss. Die Geschichte der Erinnerung ist eine des Wissens, der Tatsachen, aber es ist nicht unsere Erinnerung. Die Wiederholung der Vorgeschichte würde, wird, unsere Gegenwart sein, oder besser nicht: also geht es um Politik, wenn diese Vorgeschichte nicht in ein neues 1933 münden soll.  

Anlass zu Hoffnung gibt die sehr weitläufige und sehr differenzierte Kommentierung dieses Gedenktages, die auch so schwerlastige Erscheinungen wie die Schuld der Überlebenden („Survivors‘ guilt“)  und die unbestechlichen Gedächtnisleistungen derer, die aus Auschwitz befreit wurden, mitbringt. Anlass zu Bedenken und Misstrauen öffnen nicht nur die antisemitischen, sondern alle rassistischen, ethnophoben und kulturell-einengenden Ereignisse, die ein Klima der furchtsamen vorbeugenden Leisetreterei erzeugen, in dem die Tabubrüche des neuen Faschismus ihren Platz haben, um uns dann scheinbar pluralistisch entgegenzutreten. Also Politik: wir können daraus lernen, dass nicht alle Nazis Antisemiten, nicht alle Antisemiten Nazis, nicht alle Rassisten völkisch usw. waren, aber wie und warum NSDAP und DNVP irgendwann ein Wählervolk wurden, fiel nicht vom Himmel, wie und warum die Kirchen und die Universitäten und das Volk sich in großer Mehrheit zusammenfanden aber, diese Geschichte ist nicht soweit entfernt von uns heute, wie manche gerne glauben wollen (das glauben wir ihnen gerne).

Mal sehen, was die nächsten Tage und Wochen bringen; mal sehen, wie die jährlich erneuerten Vorsätze sich rechtsstaatlich, administrativ, kulturpolitisch umsetzen – Erinnerungskultur heißt auch, an heute zu erinnern, an den 27. Januar, den Tag des hohen Tons. Den nehme ich hin, akzeptiere ihn – und gehe weiter.

*

Ich bin ein junger/alter Enkel (72). Aus einer Familie vieler Getöteter, einiger Überlebender, einiger Exilierter. Ich lese die Geschichten der anderen EnkelInnen, deren Großeltern Opfer oder Täter waren, und je älter ich werde, umso mehr unter dem Aspekt der relativen Entfernung dieser Geschichte von mir, von meiner verbleibenden Erinnerungszeit, aber auch von meiner Politik. Die Großeltern erlebten den Ersten Weltkrieg, durchlebten ihre Jugend in der Zwischenkriegszeit, da wurden unsere Eltern geboren, mache Großväter mussten noch einmal an die Front. Viele unserer Großeltern, Eltern, Verwandten starben im Gas. Das Überleben verwandelt sich in ein Leben, der élan vital beherrscht auch die Erinnerung. Da macht er keinen Unterschied zwischen den Nachfolgern der Opfer und der Täter. Aber in deren Politik, in deren Erinnerung an das von ihnen nicht Erinnerte,  liegt die eigentliche Chance, sich zu einer Zukunft zu wenden, die Freiheit an erster Stelle, die Menschenwürde, Kritik und entschlossene Abwehr der vergangenen, aber nie ganz abgestorbenen Muster setzt. (Hier hinein sollte man die Dankbarkeit allen denen gegenüber einsetzen, die kontrafaktisch, also auf der „falschen Seite“, dennoch Leben gerettet, Menschen überleben haben lassen, … es waren wenige genug, aber hinreichend viele um die am allerwenigsten zu vergessen).

Heute wird Rainer Höß aufgerufen (https://www.tagesschau.de/inland/auschwitz-hoess-101~_origin-b1309b36-456c-47d3-9518-6c4a181e9eab.html), man kann sich auch mit Ferdinand von Schirach auseinandersetzen (https://de.wikipedia.org/wiki/Ferdinand_von_Schirach#Vorfahren) oder eine große  weitere Anzahl von Kindern und Enkeln der Täter. Täter sind meist eindeutig.

Die Nachkommen der Opfer wollen oft nicht von Opfern sprechen, wenn sie ihre ermordeten Verwandten auch nur erwähnen, und ein wenig hängt das damit zusammen, dass das Deutsche nicht zwischen victim und sacrifice unterscheidet. Aber nicht nur damit.

Viele Probleme stammen schlicht daraus, dass in den Familien das beschwiegen wird, was in den letzten Generationen tatsächlich geschehen ist. Damit wird eben nicht nur Auschwitz beschwiegen, sondern auch die konkrete Geschichte der Familie vor der Shoah und in vielen Fällen nach der Shoah. Wie sich das heute auswirkt, hat Ines Geipel gut beschrieben: Umkämpfte Zone (2019). Wer nichts sagt, dem kann man nicht nachweisen, dass er etwas gewusst hat. Und gibt den Schrecken der Erinnerung an die nächste Generation weiter. Und das ist nie nur die Familie oder – enger – noch Eltern-Kinder – das ist immer auch die Gesellschaft.

Hier darf, hier muss man vergleichen, auch wenn es nichts Deckungsgleiches gibt. Wir sind nicht Weimar, aber vieles ist wie Weimar. Und wir sollten es nicht auf ein ähnliches Ende der Kultur ankommen lassen, aus Weimar wurde sie nach 1930 vertrieben, als die Republik zur Präsidialdiktatur überging (Vgl. Sabine Becker, Zu neuen Ufern, ZEIT Geschichte 1/2020, 19).

Nur wer weiß, kann das, was er weiß, vergessen wollen. Das gilt für Opfer wie für Täter. Jetzt versteht Ihr Aron Bodenheimers Satz: Nur wer vergessen will, darf sich erinnern. Wer nur die Erinnerung ohne Wirklichkeit aufruft, lässt die Gedenkkultur in Abstraktion erstarren. Die Wirklichkeit aufrufen ist Politik in Freiheit. 

Ende einer Kur

Wenn einer drei Wochen lang seine maroden Körperteile kurend, weit ab vom Wohnort, zusammenflicken lässt, durchaus den vorgeschriebenen Anwendungen folgend, durchaus sonst gesund lebend, kaum einmal ein Bier oder zu viel Süßes, durchaus beweglich, also 2-4 Stunden täglich in den Wäldern rund um Marienbad, wenn sich also einer zur Heimfahrt rüstet, dann kommt eine gewisse Melancholie auf: sollte die Zeit der Weltfremdheit wieder zu Ende sein, wird jetzt der Platz am Ufer wieder mit der Mitte des Stroms vertauscht?

Ich war jetzt drei Wochen hier, ärztlich befördert, habe 36 so genannte Anwendungen an mir verüben lassen, placebo und evidenz-basiert gleichermaßen, habe die sozialen Effekte der Halbpension in einem guten Hotel studiert, z.B. wen man auf Deutsch nach seinem Befinden befragen sollte, bei wem man lieber nicht hinhört (Am Nebentisch: Die Grünen sollte man verbieten), und mich durchauskulinarisch auf dem Mittelweg zwischen gesund und schmackhaft bewegt. Woher also die Nachdenklichkeit darüber, wie es mir jetzt geht, außer dass ich gesünder bin.

Ich hatte hinreichend Zeit, die die Weltlage täglich über ARD, ZDF, Al Jazeera und CNN vor Augen zu führen, vieles regt mich auf, manches geht in die Blogs hinüber…und dennoch ist alles, was sich im wirklichen globalen Leben abspielt, wie durch einen milden Gazevorhang vor der Bühne getönt und unwirklich. Ich denke nicht ans Impeachment des verrückten Trump, wenn ich Goethes Spuren im Geopark verfolge; die künftigen Reibepunkte der österreichischen Koalition belasten mich nicht, wenn ich eine Wildschweinhorde meinen Weg kreuzen sehe; die Holzfäller erinnern mich an meine Kindheit in Oberösterreich und nicht an die Arbeitsbedingungen im ehemaligen Ostblock, und viele Speisen lassen mich eher an vergessene Kombinationen unserer Abendessen vor 60 Jahren denken als an eine aktuelle Degustation. Ja, sagt ihr, das ist doch gut: so soll eine Kur sein. Ja, sage ich, stimmt – und ist mir unheimlich. Es ist nämlich nicht normal, dass das, was meinen Punkt auf der Erdoberfläche bestimmt, politisch, kulturell, kommunikativ, plötzlich verschwindet hinter einer Routine, die den Körper zum Zentrum hat – was ja sonst nicht offensichtlich der Fall ist – und das Denken entgrenzt. Im Wortsinn. Anders gesagt: unkontrollierte Assoziationen, aus dem Hinterhalt erscheinende Erinnerungen, monologische Abhandlungen für fiktive Adressaten begleiten meine Wanderungen. Dabei haben die den Vorteil, dass man sich die Bäume, Steine, Wasserläufe und Quellen genauer anschaut, ohne Peter Wohlleben & Esoterik. Und die wichtigste Frage, wenn man sozusagen aus der Kurkapsel durch die Schleuse zurück in die Realität sich bewegt: wie kommt man dort an, wenn sich am Format der Nachrichten und dem unmittelbaren Umfeld nichts ändert?

Ich denke, die Erinnerung an die Kur ist der eigentliche Gewinn dieser Tage, jenseits der gebesserten Arthrosen und Blutfettwerte. Würde man wieder täglich so den Wald gehen, könnte man verschiedene Beschwernisse leichter nehmen, was einem frei macht für wichtigeres. Das muss einer erst einmal finden.

Zu spät…

In wenigen Tagen ist es wieder so weit. Betretene Gesichter, hoher Ton, das „Nie wieder!“ klingt wieder schlecht gestimmte Glocken einer Vorstadtkirche. Auschwitzgedenktag. Gut, dass man sich erinnert. Schlecht, wie man sich erinnert. Gut, dass es noch eine Erinnerungskultur gibt. Schlecht, dass sie sich nicht wehren kann.

Der SPIEGEL hat in seiner letzten Ausgabe (4/2020) einige Artikel dazu veröffentlicht, die allesamt bedenkenswert sind. Michael Brenners Essay zum Gedenktag an die Weiße Rose ist zu Recht übertitelt, aber falsch: „Die Gefahr erkennt man immer zu spät“ (40-42). Wieso denn? Viele haben die Gefahr seit dem Ende des Ersten Weltkriegs gesehen, vielfach die Risiken unterschätzt. Das“Man“ in dem Satz ist gefährlich. Man konnte die Gefahr von Anfang an erkennen, aber man hat Auswege gesucht, sie nicht zum Tragen kommen zu lassen, z.B. bis zum Tag von Potsdam. Aber nicht alle sind der Hoffnung nachgelaufen, dass sich das Rettende zeigen würde, wenn die Gefahr nur groß genug sei. Und dann, als Hitler und die Nazis auf ganzer Linie gesiegt hatten, gab es Widerstand (wenig), Widerständigkeit (einige), Flucht (beschränkt gelungen) und Einsichten – auch solche in das „Zu spät“. 

Richtig kommt Brenners Essay mit dem Flugblatt rüber „Entscheidet euch, eh‘ es zu spät ist“ (Weiße Rose, Januar 1943). Für uns ist das lange schon jetzt. Nicht erst, wenn es schlimmer wird. Nicht erst, wenn der Hitler-Hindenburg Wallfahrtsturm der Potsdamer Garnisonkirche fertig ist. Nicht erst, wenn nach Walter Lüpke weitere Politiker ermordet werden oder Synagogen brennen.

Für eine Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung Brandenburg habe ich das in der Ankündigung zum Film Shoah so zusammengefasst:

Es gibt nicht mehr viele Menschen, die sich erinnern können oder wollen. Die Geschichte der Shoah ist für viele Vergangenheit geworden, oft schrecklich, oft unfassbar, oft auch nicht mehr so wichtig, jedenfalls vorbei. Dass sich diese Geschichte wiederholen könnte, denken die Wenigsten…Wie denn auch? Wir leben doch gesichert in einer Demokratie, wir sind aufgeklärt, jeder kann wissen, wie es dazu kam, dazu, das war zusammengefasst im Wort Auschwitz. Auschwitz steht für Shoah, was hat es mit Walter Lüpke, mit Halle, mit Gaulands Vogelschiss zu tun? – Vorvergangenheit? Es gibt viele Anzeichen dafür, dass sich die Zeiten schneller ändern können, als man denken möchte. Nicht nur die stärkste Oppositionspartei in unserem Parlament ist so ein Zeichen, auch Sprache, Geschichtsbewusstsein und Kleinmut vor der demokratischen Zukunft sind weich geworden. Wenn wir Filme wie Shoah sehen, dann wird nicht nur Geschichte aufgerufen, sondern auch Leiden, Bewusstsein, und Überleben. „Wehret den Anfängen…“ ist immer zu spät. Zur Umkehr ist es nie zu spät.

Das Klingt etwas idealistisch. Wovon und wohin sollen wir denn umkehren, wir Deutschen, wir Europäer, wir Weltbürger.

Beispiele auf einer unteren, aber wichtigen Ebene: wenn die Rechtsradikalen zuschlagen, verbal gegen Renate Künast, kann ein deutsches Gericht ein Schandurteil umkehren: Künast darf eben nicht Schlampe und Fotze genannt werden. (https://www.tagesschau.de/inland/kuenast-beleidigung-103.html (21.1.2020). Ein kleine Umkehr, man sagt aber: es geht doch.

Man kann aber auch dem rechtsradikalen Chef der Polizeigewerkschaft, Wendt, das Wort abschneiden – nur: wer klärt eigentlich die Gewerkschaftsmitglieder über diesen Hassprediger auf?

In allen möglichen Fällen können wir umkehren. Das wichtigste ist: Umkehren heißt nicht zurückgehen. Das gilt für große und kleine Fälle, Situationen und Dialoge.

*

Das ist so wichtig wie kaum etwas andres im Kontext: so wenig eine Umkehr Rückkehr ins Paradies bedeutet, kann sie bedeuten, dass wir in einem Früher wieder all das finden, was wir jetzt vermissen oder falsch finden. Beispiel: die von den AfD-Nazis geschürten Bauernproteste gegen die klimabezogenen Umweltverordnungen. Wann war denn die Landwirtschaft je in Ordnung? Und wer hat die Bauern gekapert, als Weimar den Bach runterging? Umkehr heißt in diesem Fall, die rechtlichen Regelungen mit sozialen und agrokulturellen Erfordernissen in Einklang zu bringen und nicht der Agroindustrie das Wort zu reden. Habeck fragen…

Wenn etwas zu spät ist, dann merken es die letzte Generationen der Anstifter meist nicht mehr, weil sie schon am Dahinscheiden sind. Trump kann gar nicht mehr merken, wie Recht Greta Thunberg in Davos hatte – er wird da hoffentlich schon tot sein, wenn sich ihre Wahrheit bestätigt. Nur: davon haben die künftigen Generationen auch noch nicht viel, wenn die Umkehr nicht die Lebenssituation bestimmter Gruppen oder aller nachhaltig verbessert oder wenigstens stabilisiert. Zu spät heißt: sein Schicksal in andere Hände legen – und die sind selten sauber.

Punkt für Punkt

Kennt ihr das: Wir. Dienen. Deutschland.

Oder: Stell dich. Der Verantwortung. Polizei.

Die Bedeutung des Punktes ist ungeheuer. Teure Beraterverträge werden vom Verteidigungs- und Innenministerium an windige Beraterfirmen ausgegeben, die wiederum von Influencern aus dem Kreml und Langley bezahlt werden, um die deutsche Sicherheit grammatisch zu unterwandern. Wer aufgrund solcher Anzeigen sich zur Vorstellung im Berufsbüro der Bundeswehr oder Polizei meldet, beweist,  wie schlecht die Schule die jungen Menschen auf das Leben vorbereitet.

Punkt.

Dass Deutschland im Abwind ist, wissen wir. Weit hinten bei 5 G.  Blödsinnig langsam bei Abstellen der Kohle, blödsinnig unfähig bei der Windkraft, blödsinnig korrupt bei Flughafen Berlin, blödsinnig wirtschaftsfreundlich bei Glyphosat, blödsinnig in schnelle Autos und dumme Ausreden verliebt…ich könnte hier weiter nagen, mach ich aber nicht. Doch, eins noch, nur aus Tierliebe verzichte auf Beschreibung der hündischen Unterwerfungspolitik unter den irren Präsidenten der USA.

Punkt.

Stellt euch vor, statt des 1. FC Köln gibt es den 4. FC Köln, statt der Ersten Sparkasse Hamburg die siebte…. Wirkt irgendwie nicht so authentisch? Stattdessen werden wir durch den Punkt aufgerüttelt. Wir. Dienen. Deutschland. Oder Ihr. Vergeigt. Deutschland. Hauptsache „Wir“. Wahrscheinlich lernt man die Wirkung des Punktes in den Designlehrgängen der deutschen Universitäten. Wir. Bilden. Ein.

Mich regt der Punkt nicht auf, nur die Geldverschwendung und die unendliche Blödheit, die hinter solcher Werbung steckt.

Ich bin nicht der Erste,  dem der Punkt-Blödsinn auffällt. Interpretationen können seit langem nachgelesen werden: (Vorrangig im Netz 19.1.2020)

https://www.heise.de/forum/Telepolis/Kommentare/Wo-Ist-Die-GottVerdammte-Sprach-Polizei/Wir-Dienen-Deutschland/posting-25066335/show/

https://www.welt.de/print/wams/politik/article13386561/Wir-Dienen-Deutschland.html Maizière: war da wer? (Übrigens macht die WELT keine Punkte, kann man URL nicht).

https://www.gutefrage.net/frage/frage-zum-slogan-der-bundeswehr-wirdienendeutschland-warum-die-punkte Lest die Interpretationen…

https://jungefreiheit.de/kolumne/2011/wir-dienen-deutschland/ Die Rechtsradikalen interpretieren in die Tiefe und bedauern, dass die wirklich patriotischen Zeiten vorbei sind.

Die meisten Kommentare stammen von 2011, solange gibt es den Blödsinn schon, bis heute aktiv. Bei der Polizei gibt es hingegen mehr Umschreibungen und Ausweitungen der Reaktion, oder Übernahme in die Anwerbung.

Egal.

*

Wenn es um die innere und äußere Sicherheit geht, ist der Regierung nichts zu dumm & teuer.

Machen wir ein Crowd-Funding: Wir.zahlen.nicht.

Als ich Kanzler war

Jeder kennt das: „I had a dream“. Wovon träumt einer? Von Glück, Freiheit, oder auch nur vom Sattsein, von Sex und Schönheit, oder einem Sieg des 1. FC Freiburg. Dass der Traum etwas anders bedeutet als seine Bilder und Handlungen, weiß man ja nicht, solange man träumt. 

Gefährlich ist das „Wie im Traum“ allemal. Wenn man die Träume mit Prophezeiungen verwechselt und sich danach richtet. Deshalb ist die Rubrik „Ich hatte einen Traum“ meist nicht lustig, weil die Träumer ja traumlos berichten, wovon sie geträumt haben. Nun, mein Traum ging in Erfüllung. Annalena Baerbock und Robert Habeck teilten sich den Wahlsieg und bestimmten als Mehrheitsregenten, dass vor der Regierungsbildung das Wahlrecht geändert werden müsse. Von Kandidaten/Stimmenzuordnung zum Losverfahren. Jeder aus dem Volk soll die gleiche Chance haben.

1:46.000.000,000 die Chance, Kanzler oder Kanzlerin zu werden. Es besteht Wahlpflicht. Am 1. Mai mussten alle Bürgerinnen und Bürger Deutschlands, das Volk also, zu den Urnen um dort eine Nummer in Empfang zu nehmen, die auch eindeutig mit Namenszuordnung registriert wurde. Am nächsten Tag um 5.45 wurde ich durch einen Anruf geweckt. „Glückwunsch“ brüllte eine Stimme ins Telefon. Um 5.48 hatte ich verstanden: ich war Bundeskanzler. Nun waren mir drei Dinge klar: 1. Ich konnte dieses Losergebnis nicht ablehnen; 2. Ich musste sofort zu regieren beginnen, sonst würde das Vertrauen des Volks in die neue Gleichheit vor dem Schicksal verloren gehen; 3. Ich würde den heutigen Tag nicht überleben. 

Zum dritten Punkt eine Erklärung: schon Italo Calvino hat überzeugend nachgewiesen, dass, wer unbeschränkt herrscht, einzig durch Sturz und Ersatz durch einen ähnlich omnipotenten Herrscher abgelöst werden kann (und letztlich nur mehr auf die unentwirrbaren Stimmen der Gesellschaft horchen, aber nicht auf sie hören kann: „EinKönig horcht“ (1987)). Was in frühen Gesellschaften ein längerer Prozess war, muss in unserer Schnelllebigen Zeit ununterbrochen geschehen, und zu meinen Pflichten als Kanzler würde gehören, noch vor Einbruch der Dunkelheit Neuwahlen, also ein weiteres Losverfahren zu initiieren.

*

Ankleiden geht schnell: den alten Anzug von Knize, Wien, den Ansteckorden ins Revers, etwas Gel ins Haar, und das bessere Rasierwasser. Um Punkt acht stand der Wagen vor der Tür, ich hatte schon meine Familie und liebsten Freunde zum Frühstück ins Kanzleramt bestellt, siehe Punkt 3. Es war ein trauriger und schneller Abschied, wir würden uns zwar nicht mehr sehen, aber die Erinnerung machte sie jetzt schon stolz. „Er war damals Kanzler“…

Das Tagesprogramm legte ich mir durch Zusammenfassung aller in langen Selbstgesprächen während Kuraufenthalten, faden Veranstaltungen und blutdrucksteigernden Wahrnehmungen aus den Nachrichtensendungen fest. (Das heißt, ich habe über viele Jahre für diesen Augenblick geprobt, vielleicht dadurch sogar Fortuna und den Zufall etwas beeinflusst (Influencer?). Nach dem Abschied also gleich um 9.15 Grenell einbestellt, um ihn des Landes zu verweisen. Pressekonferenz um 10 zu den Schwerpunkten: bis 11 steht eine Regierung, die erst unter meinem Nachfolger wird vereidigt werden können. Wo sind denn die ganzen Leute? Sofortiges Motorbootverbot auf allen Binnenseen wird angeordnet und für die Landwirtschaft Butter statt Margarine. In den Schullehrplänen wird Ökologie und Chillen eingeführt, Mathe und Lesen gekürzt. Bestimmte Worte werden unter Verfassungsschutz gestellt: Grün Dung für die Landwirtschaft, Grün Derzeit für Startups, grün dlich für das Arbeitsrecht. Soll keiner sagen, wir versäumen Zeit. Um 12 esse ich einen kleinen Lunch mit den Präsidenten von Burundi, Laos und China, die gerade alle zu Besuch in Berlin sind: Stichwort Multikulti. Der Nachmittag gehört zunächst der Verbotskaskade. Um ihn zu ärgern, habe ich Lindner dazu gebeten, der soll sehen wieviel und was man alles verbieten kann, ohne den Volkszorn auf sich zu ziehen. Ich kleide unser Grundsatzprogramm in die Form der 623 biblischen Verbote und Gebote. Das freut auch die Frommen.  Schon um 15.30 bin ich damit durch. Ich verleihe jetzt einige Orden, und wechsle Hemd und die Krawatte lass ich weg, wie der Kurz aus Österreich und der Kogler. Man braucht ja Vorbilder. Draußen vor der Tür stehen schon ein paar Botschafter: wir verhängen jetzt Sanktionen gegen die USA (Einreisegeld, Burgerverbot), Russland (Erdgas, Auftragskiller, Holzpuppen), Ungarn (Paprika) und China (Seidenschals). Das sollte als Warnung genügen. In einer kleinen Cafépause frage ich mich, wie lange geht’s noch – Anruf beim BND: wann kommen meine Mörder? Keine Antwort, man sei zum Schweigen verpflichtet.  Anruf beim Pförtner: die sind schon im Kanzleramt.

Ich lasse den Innenminister kommen. Ab wann beginnt die Verlosung der nächsten Kanzlerschaft? Ach, hat schon begonnen. Aber ich sag Ihnen besser nichts, wer es wird. Darf ich auch eine Nummer ziehen? Nein, die käme ja zu spät, sollten sie noch einmal gewinnen.

Ich habe nicht noch einmal gewonnen. Eine Straße im Tiergarten  wird nach mir benannt und mein Grab an der Eingansghalle zu BER wird vom Grünflächenamt regelmäßig beblumt. Sie haben mich in einer Christel Mett – Wolke umgebracht, ich habs gar nicht gemerkt.

Wer triumphiert, denkt nicht nach?

Trump scheint zu triumphieren. Ihm kommt der Flugzeugabschuss der Iraner ebenso zu pass wie die Proteste der Iraner gegen Chamenei. Ich sage „scheint“, denn er hat sich schon mit der gezielten Tötung von Solimani in die Ecke manövriert.

Bevor ich zu meinem Punkt komme, nämlich unserem deutschen Verhältnis zu den USA, einige Takte Faktencheck:

  1. Trump, Pompeo und Mnouchkin haben bislang auf die Frage nach dem imminent threat durch Solimani keine, bzw. n+1 divergierende Antworten gefunden. Die US Medien, allen voran CNN, sind hier bewundernswert differenziert und instruktiv (die deutschen weniger);
  2. Die Proteste der Iraner gegen das Zögern ihrer Regierung, die Wahrheit über den Flugzeugabschuss zu sagen, setzen fort, was sich wochen- und monatelang an Kritik an dem Regime Chamenei aufgebaut hat. (siehe beide, CNN und Al Jazeera). Wenn Trump per Twitter die Proteste unterstützt (alle Medien), übersieht er, dass die Protestler nicht nur die Absetzung Chameneis fordern, sondern gleichzeitig „Death to the US“ auf ihren Plakaten tragen. Trumps Umgarnen der „wonderful people“ ist vielleicht etwas zu plump. Aber klar, er rüstet verbal ab;
  3. Der iranische Botschafter legt sich mit Deutschland an: Wir reden nur und versprechen, tun aber nichts für ein Umgehen der Sanktionen durch die USA (Tagesschau 12.1.). Dabei ist interessant, dass Experte Steinberg die deutsche Unterordnung unter die USA forcieren möchte, und Wolfssohn gar mehr militärische Einsätze zur Erringung einer glaubwürdigen Position als Akteur einfordert.
  4. Die USA bieten eine Armada von Diplomaten auf, um die gezielte Tötung zu rechtfertigen. Das dürfen sie (vgl. aber 1)). Die Iraner müssen nach dieser Tötung in diesem Kontext wenig tun (sie haben die US Basen weitgehend glimpflich behandelt, damit der Konflikt deeskaliert). Was die USA nicht tun: sich zu den übrigen Toten des Anschlags zu äußern, und zu erklären, warum ein zweiter Anschlag im Jemen missglückt war.

Alles weitere sagen die ExpertInnen und Medien zur genüge – und vieles geht ins momentane Allgemeinwissen über. Ich kümmere mich jetzt um Trump, in einer ganz bestimmten Perspektive:

Die USA sind eine Republik, deren Regierung, teilweise auch Justiz und Parlament, die Grundlagen dieser vielfach vorbild- und leitbildhaften Demokratie zu untergraben und zu zerstören trachten. Trivial: Trump und seine Bande sind nicht die USA. (Der Iran, um den es mir jetzt und hier nicht geht, ist keine demokratische Republik, und auch wenn der Westen an der schlechten Entwicklung dieses Landes seit über 60 Jahren erheblichen Anteil, auch Mitschuld, hat, sind die Maßstäbe, die ich an eine Diktatur andere als die Erwartungen an eine Demokratie). Der Vorwurf ist klar: Trump benimmt sich wie ein Diktator, und da er Macht über Deutschland und teilweise die EU und viele andere Länder hat, wird dies geduldet oder mit zusammengebissenen Zähnen begrüßt.

Von hier geht’s zu meinem Thema: das ist nicht der jetzige Konflikt selbst. Der letzte Satz hat viel mit deutscher Geschichte zu tun, und eigentlich passt er nicht in ein analytisch „linkes“ oder „demokratisches“ Spektrum allein, sondern ist fast paradigmatisch eine rechte Position Europas gegen die USA, vor allem Deutschlands.

Es ist einfach, Antiamerikanismus unter den alten Nazis und anderen Rechten nach 1945, auch unter dem Kontext der alliierten Besatzung zu suchen. Selbst da hat die Verweigerung gegenüber Befreiung schon historische Wurzeln. Sehr vereinfacht gab es vor mehr als 100 Jahren und jedenfalls auch in Weimar und – paradox: unter den Nazis – den Antagonismus Kultur versus Zivilisation, wobei erste natürlich deutsch, letztere nicht zufällig vor allem bei den USA war. Unter diesem Stichwort wird die Literatur überreichlich fündig, und das Thema ist längst abgearbeitet – sollte man meinen – und doch brandaktuell. Seit der unipolaren Übernahme als industrieller und politischer Führungsmacht, auch seit Henry Ford und seinesgleichen, ist das Beharren auf moralischer und ästhetischer Überlegenheit der eigenen Kultur gegenüber ein sich durchsetzenden Hegemonie geradezu ein Paradigma oder eine Hintergrundstrahlung politischer Entscheidungsprozesse. Dass diese zu unterschiedlichen versucht haben, die Ableitung ihre spezifischen Antiamerikanismus zu verbergen oder gerade öffentlich zu machen, ist noch ein besonderer Aspekt. Die rechte Amerikakritik konnte ja nicht unmittelbar gegen den Kapitalismus angehen, sie musste den Materialismus ablehnen, um die Überlegenheit vor allem der ethnisch bestimmten Kultur vor der seelenlosen amerikanischen (incl. „Schmelztiegel“) zu behaupten. Die Linken, wir Linken, ich, hatten da mehr Probleme, und zwar nicht erst in den 60ern: was da alles über Atlantik in unsere Kultur hineinkam, war ja doch qualitativ nicht schlechter, als das, was wir dorthin exportierten (Zynisch natürlich stellen auch die Rechten fest, dass wir die amerikanische Kultur durch die Jüdische Immigration verbessert hätten…jetzt ein Nebenthema). Aber wenn ich nur daran denke, was an Musik, Literatur, Medien, Protest- und Widerstandspotenzial allein nach 1945 nach Europa und zu uns gekommen war, dann waren wir so etwas „wie Amerikaner“, und daran änderte der breite und nicht nur linke Widerstand gegen den Vietnamkrieg, und früher die Atombombe, wenig. Das konnte und musste antikapitalistisch zugeordnet werden, aber es funktionierte irgendwie doch recht gut. Nebenschauplatz: 1968 und die Wurzeln bzw. Folgen. Anti-Establishment? Tom Hayden, Jerry Rubin. Kritik am etablierten Parteiensystem? Widerstand gegen den Parteitag der Demokraten. Was haben wir nicht alles kulturell übernommen. Das war normal, wäre es auch in anderen, nicht polaren Konstellationen gewesen, aber die nationalistischen und rechten Ideologien waren das von den 68ern abgekoppelt.

Ich erinnere mich mit einer gewissen Genugtuung, dass ich früh gegen den linken Antiamerikanismus angegangen bin, ohne mich aus der Linken zu lösen. Das war eine Marginalie, fand aber bei denen Zustimmung, die die USA etwas besser kannten.

Warum diese Einleitung?

Ich weiß nicht, ob viele das so sehen: Ob die nachgetragene Dankbarkeit für die Alliierten, eine begründete Zustimmung zur NATO, eine mehr oder weniger reflektierte Position zur integrativen Funktion des Westens – nicht nur als europäischer Export und amerikanischer Reimport von Demokratie), es gäbe noch mehr, viel mehr, aber was auch immer, die USA sind nicht einfach Schutzmacht (sind sie in gewissen Grenzen, die weiter und weicher werden), sondern Führungsmacht, der wir uns unterzuordnen haben (Steinberg zum norwegischen Beispiel): weil wir und weil Europa zu schwach sind, um eine korrektive Rolle gegenüber der Regierung der USA zu spielen, müssen wir wohl oder übel die Drehungen und Wendungen des uns am nächsten stehenden Systems in einer multipolaren globalisierten Weltpolitik mitmachen.

Das Iran-Beispiel ist nur eines, die diplomatische Unterwürfigkeit ein anderes, die Reaktion auf die NSA-Vergehen an der Kanzlerin oder eben auch Unzumutbarkeiten innerhalb der NATO sind weitere. Ich habe die Unterordnung der deutschen ISAF-Militärs unter die Amerikaner in Afghanistan beobachtet, – und all das hat mit dem Ausgangskonflikt, bei dem wir – einschließlich von Teilen der deutschen Klassik und Romantik UNRECHT hatten – fast nichts zu tun. Fast, weil sich in die Terminologie, in politische Metaphern usw. viel vom überlegenen Geist einschleicht.

Deshalb: Trump ist nicht die USA

Das ist trivial? Gar nicht, denn teilweise ist er ja genau dieses Land, für das er meint so sprechen und handeln zu dürfen. Wir haben genügend Mittel, um eine begrenzte und wirksame Konfrontation zu tätigen; nicht nur als Wirtschaftsmacht, auch als Kulturnation und als Demokratie. Konfrontation heißt auch, aktive Dankbarkeit oder Anerkennung gegenüber dem demonstrativ zu zeigen, was Trump so rassistisch und sexistisch ablehnt, z.B. gegenüber PolitikerInnen, die nicht blassweiße Hautfarbe deutscher Herkunft zeigen. Darin können wir auch den Konflikt K gegen Z begraben, der nur den Rechten nützt, und den sie durchaus aufbauen.

Aber es geht den Kommentatoren ja auch um Deutsche „Stärke“. (Und das ist keineswegs nur ein ökonomisch-militärisches Feld). Wenn wir nicht „stark“ genug sind, wirkungsvoll militärisch einzugreifen, wo wir das legitim und richtig finden, dann fragt sich, warum wir das NATO Budget aufstocken sollen und uns zugleich den Strategien der Amerikaner unterwerfen. Wann aber sind wir stark? Wenn unser Eingreifen Leben und Freiheit der Intervenierten verbessert – nicht, wenn wir behaupten, dass unsere Freiheit weltweit verteidigt wird (Trump). Wenn aber, umgekehrt Wolfssohn Recht hat und wir massiver und wirkungsvoller Militär dorthin schicken sollen, wo wir auch handeln können, dann kostet das mehr Geld, aber dann wollen wir uns doch nicht den USA unterordnen – das spräche für eine Europäische Verteidigungsarmee und nicht für die NATO wie bisher. Und es würde bedeuten, dass die Diskurse des Hegemons nicht als die eines Verbündeten angesehen werden, sondern bestenfalls als die eines Vertragspartners; das setzt aber voraus, dass sich dieser Mann und sein Team auch an die Verträge halten, was er nicht tut. Darum sollten die zu Recht protestierenden Iraner dem Hilfsversprechen Trumps, er werde sie unterstützen, auch nicht glauben – siehe Kurden in Syrien. Sein diesbezüglicher Tweet gibt Trump formal Recht, aber – für ihn gilt, wer triumphiert, denkt nicht nach.

All das brauchen wir bei Diktaturen nicht zu machen, auch wenn die sich an Verträge halten: da ist es einfacher, sozusagen faktischer. Darum muss man sich mehr mit dem Geisteszustand Trumps als dem Putins auseinandersetzen. Aber wir können die USA anders sehen, ebenso wie bei anderen Gesellschaften, differenziert. UND DAS lässt unseren politischen Gegner Trump nicht flächendeckend auf die Amerikaner projizieren, genauso wenig, wie wir die dortigen Rechtsradikalen aus unserer kulturellen Arroganz nur als white trash denunzieren sollten, sondern auch bedenken, wie die dorthin gekommen sind, dem pathologischen Sexisten zuzujubeln.

Früher war alles besser, deshalb kehrt um…

Früher war vieles schlechter, behaupten viele Medien. Wir leben heute gesünder, länger, weniger belastet und sind alles in allem auch noch viel klüger. Dabei haben wir aber unsere so genannte Identität verloren. Fortschritt macht unglücklich, vor allem war die alte Ordnung ja nachhaltig. Menschenrechte? Pfui, unfunktional. Nun ist die Kritik am Fortschritt kein Privileg der Rechten, und die Fortschrittskepsis ein Moment aufklärerischer Kritik. Die Rechten, die Identitären, alle Dogmatiker jeglicher Couleur finden an früheren Zuständen vor allem dann etwas positives, wenn die Gegenwart nicht nach ihrem Geschmack funktioniert. Gleichheit, Solidarität, Verträge, Rechtsstaat…alles das, was sich inhaltlich füllen lässt, aber als Prinzip abgelehnt wird und durch Volkswillen, Natur, Tradition ersetzt werden kann, soll zurückgedreht werden…früher war es besser. Deshalb sollten wir fordern, frühere Strukturen wieder einzuführen, allem voran Sklaverei und Leibeigenschaft, das ius primae noctis und den 12-Stundentag. Nein, wir sind keine Reaktionäre, wir wollen nur zurückdrehen, was durch den ungehemmten Materialismus pervertiert wurde und die, die es am wenigsten verdienen, abgehängt haben.

Beispiel Sklaverei: Wir sehen ja, wie die Lohnarbeit Unzufriedenheit, Gelbwesten, Konkurrenz am Arbeitsplatz usw. hervorbringt und zugleich die sogenannten Arbeitnehmer unzumutbar belastet. Der einzig verantwortungsvolle aber ist der Sklavenhalter: er sorgt für das Überleben und die lange Arbeitsfähigkeit seiner Sklaven, er muss sie beschützen um seine Betriebe zu erhalten,  er ist befreit von ungebührlichen Soziallasten, wie Versicherungen und Unfallschutz, aber muss sorgfältig mit ihnen umgehen, sonst lohnt die Anschaffung und Wartung nicht. Der Staat hat dafür gesorgt, dass nur arbeitsfähige Flüchtlinge das Land erreichen, anders früher bei den Sklaventransporten sind die Transaktionskosten gering, die ankommenden haben die Entscheidung getroffen: Sklaverei oder Tod. Man kann das System mit der Leibeigenschaft, v.a. im Agrarbereich verbinden und selbst tiefgestaffelte Produktionsketten einrichten. Vor allem aber werden die Sklaven von der Sorge um sich selbst und der gesellschaftlichen Verantwortung befreit. Wenn sie keine Weißen sind, hätten sie das ohnedies nicht gut wahrgenommen. Weiße Sklavinnen, vor allem diese, werden libidinös besetzten Tätigkeiten leichter zuzuführen sein als im organisierten Menschenhandel. Ja, es wird Proteste geben gegen die Wiedereinführung, aber ihr werdet sehen: die Produktivität steigt und das Glück der Besitzenden wird mit der moralischen Überlegenheit gepaart sein. Den  Gewerkschaften wird die Organisation der Sklaven in Chören und Freizeitagenturen gestattet,  einmal im Jahr Pediküre und alle drei Jahre ein Ausflug in die ehemaligen Kolonien soll den Sklaven zeigen, wie gut sie es wieder haben.

Beispiel ius primae noctis: Moralapostel, Frauenrechtler und künftige Ehemänner hatten sich leider erfolgreich gegen dieses alte, gottgegebene Privileg der Grund- und Sklavenbesitzer gewehrt. Dabei  sicherte es dem Herrn doch nur eine kleine Kompensation, mithilfe des unberührten Frauenkörpers seine Eigentumsrechte zu statuieren und zugleich für erbgesunde Nachkommen zu sorgen, die alle sein Gesicht und seinen Charakter tragen würden, was die Abhängigkeit der Untersassen einfach nur deutlich macht. (Wer es nicht glaubt, muss nur das Finstere Tal anschauen). Außerdem wird die natürliche, d.h. gottgewollte Herrschaft des Mannes über die Frau damit symbolisiert, für den Volksglauben unerlässlich. Und so einfach ist das alte Recht wieder einzuführen – eine kleine Änderung im Eherecht und einige Durchführungsverordnungen.

Beispiel 12-Stunden-Tag: Was haben sich die Arbeitnehmer im Klassenkampf verausgabt. Sie waren erfolgreich, und was ist das Ergebnis: Freizeit-Unkultur, Verrohung, Schlaflosigkeit. Der Schweiß des Angesichts soll bei den Sklaven sein, die Herrn arbeiten sowieso mehr als 12 Stunden, was denkt ihr, wie schwer die Verwaltung des Humankapitals ist.

Es gäbe noch viel mehr der Beispiele. Mir geht es nur darum, die Vergangenheit, die Tradition, das frühere Glück – Goldenes Zeitalter! Nicht eisernes… –  wieder aufleben zu lassen und mit der retrospektiven Frömmigkeit zu verbinden. Wir können ja im kommenden Karneval einmal üben, wie das aussähe.

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Der Haupteinwand, den ich höre, besteht darin zu zweifeln, ob man denn die alten Sitten wieder einführen könne. Wenn es sonst nichts ist. Natürlich wird die Umstellung Kraft kosten, es gibt ja noch viel mehr traditionelle Praktiken, die wir wieder einführen wollen, von der Todesstrafe zum dreijährigen Militärdienst, zur progressiven Steuerbelastung freigelassener Sklaven, zur Ausrottung der Insekten und zum Verbot von Windrädern. Wenn wir Lindner von der FDP dazu bringen, sich mit diesen Markttraditionalisten zu verbünden, wird der Freiheit nichts im Wege stehen. Vor allem aber wird diese Anachronistik als Herrschaftsform der Vorstellung, dass sich die Reinheit der herrschenden Rasse bewähren kann, Vorschub leisten. Das wird den Flügel freuen.

Den notorischen Kritikern dieser lauteren Ideen rate ich, ihre ja täglich verbreitete Kritik an den Arbeits- und Lebensverhältnissen ernst zu nehmen. Zynisch ist es, die überlieferten Sitten als reaktionär und wenig menschenfreundlich zu brandmarken, die jetzt herrschenden Verhältnisse aber genauso zu beschreiben.

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Reaktionen auf diesen Aufruf bitte mit Beispielen zu verknüpfen. Wir gründen eine Sammelstelle für die gute Alte Zeit, und lassen das Bundesarchiv dafür Begegnungs- und Schulungsräume zur Verfügung stellen. Auch die Ernennung von „Botschaftern der herrschenden Sitte“ ist zu empfehlen.

Abwesende Götter

Habt ihr gestern, 5.1. ferngesehen. Donald Trump mit geschlossenen Augen betend? (Bill Clinto hinter ihm – das ist ein anderes Kapitel). Zwischen zwei Tweets vorgeblich zum Herrn gebetet. Entweder jeder ist das Ebenbild Gottes, dann auch er, oder keiner, der nicht Gott konstruiert aus seinen eigenen Eigenschaften.

Geduld.

Es ist ein alter Hut, dass Gott nie dort war, wo man ihn am flehendlichsten angerufen hat, wo man gebetet und gehofft hatte, ER oder meinetwegen SIE würde eingreifen, wenn alle menschliche Vernunft und Handlungsfähigkeit am Ende ist. Der Alte Hut verbirgt sich über Turban, Kippa und Käppi, über Nikab und Kopftuch, über jeder Glatze.

Beginne ich das neue Jahr der Christen mit einer Gottesverunglimpfung, kann ich mich noch immer darauf hinausreden, Rosh Hashana, und alle andern Neujahre fallen auf andere Tage. Und warum auch den Hut aufwärmen, schlechte Metapher und sinnlos verengter Zugang zu einem Thema. Das mehr ist als ein Thema.

Spotten kann man leicht, wenn es nichts mehr ändert: Der Körper bricht zusammen oder wird zusammengebrochen. Und bleibt, als große Zahl von Molekülen überall verteilt. Nicht die so genannte Seele oder der so genannte Geist sind ewig, sondern unsere Grundbestandteile.

               Das war Nachhilfe in Gottesleugnung auf niedrigem Niveau und in einfacher Sprache.

Wozu ich das mache?

Die Abwesenheit Gottes in Auschwitz – pars pro toto, KZ, Gulag, etc. – hat den Glaubensfundamenten noch mehr geschadet als jeder Religionskrieg. Denn Auschwitz war wirklich. Deshalb ist es wirklich, weil erinnerte Wirklichkeit, deren Verdrängung sich noch deutlicher hervorbringt als jede „Leugnung“, eben nicht vergeht.

Wozu ich das mache?

Normaler Atheismus oder Agnostizismus sagt, es rettet uns kein Gott, noch Kaiser, noch Tribun. Er sagt, dass wir letztlich für alles verantwortlich sind, weil Gott bestenfalls richtet, aber nicht eingreift (so sie an Gott glauben). Auch führt die soziale Ordnungsmacht Religion Kriege, aber sie beendet sie nicht.  Nun sagt aber auch die weltliche Vernunft, dass wir Menschen fähig sind, kontra-faktisch, unethisch, amoralisch und einfachdumm und falsch zu handeln. Die Anthropologie und die Wissenschaft von den Motiven unserer Handlungen können das, auch in einfacher Sprache, dar- und auseinanderlegen.   

Das wird keine Predigt und keine Theo-Logik. Das wird Politik.

In diesen Tagen frage ich mich immer wie wir mit ambigen oder mehrdeutigen Situationen umgehen können und sollen? Nicht nur als Analysten und Zuschauer einer Politik, die wir nur indirekt beeinflussen können.

Erdögan unterstützt die von den VN und uns anerkannte Regierung in Lybien. Er wird darob aber nicht gelobt, weil er jetzt Truppen zu ihrer Unterstützung sendet; der Insurgent Haftar wird von Frankreich, Russland und Ägypten unterstützt. Erdögan fährt eine ambivalente und höchste einseitige Flüchtlingspolitik. Erdögan kauft wichtige Waffen bei den Russen und nicht im Westen. Erdögan hat die türkische Justiz ziemlich ruiniert, untergräbt die demokratischen Grundrechte und beschädigt den säkularen Staat. Die Türkei ist deutscher Verbündeter in der NATO.

Man braucht keinen Gott um festzustellen, dass diese Gemengelage nicht linear und eindimensional aufzulösen ist. Aber Erdögan beruft sich auf seine Gottesvariante und findet damit teilweise Anklang.

Die Muslime in Myanmar werden von den Buddhisten grausam verfolgt. Die Buddhisten sind nur in westlichen Esoterikerkreisen als durchgängig friedlich gepriesen und haben eine lange Geschichte religiös inspirierter Grausamkeit bzw. Indifferenz. Die Muslime werden auch zunehmend von Modis nationalistischer Hindupartei in Indien unterdrückt, die Religion dient zur Absicherung absolutistisch werdender Herrschaftsansprüche.

Die Islamisten sind doch Muslime? Sie instrumentalisieren berechtigte Ansprüche der Palästinenser, verfolgen Christen und Abweichler in Pakistan, sind bis zum Exzess unduldsam im Konflikt Schi’a und Sunniten, und versuchen in Deutschland, unter Hinweis auf Religionsfreiheit, die Grundregeln des gleichberechtigten Zusammenlebens zu destabilisieren.

Nun müssen  wir zugunsten Muslime in Myanmar und Indien Politik machen, und wir müssen ebenso, und mit den gleichen Argumenten, den Exzeptionalismus islamistischer Ansprüche in die Schranken des Rechtsstaats weisen (aber nicht mit den diskriminierenden Argumenten der nationalen und ausländerfeindlichen Rechten)

Man braucht keinen Gott, um diese Ambiguität zu verstehen. Aber wie sie auflösen?

Das Argument der Ambiguität kann ich auch auf die ultra-orthodoxen jüdischen Israeli oder die klerikofaschistischen Polen oder den kreuzkerzenschwingenden Putin mit seiner Orthodoxie anwenden. Es gibt überall Kritik an und Widerstand gegen diese Fundierung von Politik durch Religion, aber auffällig ist, dass die Vorsicht bei der Religionskritik sehr viel größer ist als bei säkularen Ideologien, obwohl die Wirkungen der Religion oft viel nachhaltiger und tiefer greifend sind als die anderer Dogmen (Nebenargument: Zivilreligiöse Ideologien).

In diesen Tagen ist Gott allen und allem ungefähr gleich fern: den Buschfeuern in Australien, von Premier Morrison und seinesgleichen indirekt selbst gelegt, wenn auch nicht entzündet; den Überschwemmungen in Indonesien; dem hoffnungslosen Aufbegehren der Protestierenden in HongKong (wobei dort der Stern der Hoffnung USA heißt, kann man s ihnen verdenken?). Die Liste ist endlos. Gesellschaften und Journalisten unterscheiden sich in unterschiedlichen Gewichtungen der Situationen, aber nicht oder selten in ihrer Wahrnehmung.

Iran, Trump, Irak…da muss man genauer hinschauen, nicht zum augenschließenden Nariss beim Gebet, sondern auf die Geschichte der drei Mächte in den letzten Jahrzehnten, Schicht für Schicht.

Zuvor eine etwas härtere Attacke: die deutschen Politiker und Medien verschwenden wenig Zeit auf den Konflikt, sie wollen partout die USA nicht herausfordern. Im Klartext: eine Diktatur wie der Iran wird angegriffen (mit besseren und schlechteren Argumenten), eine im Absturz befindliche Demokratie wird nicht kritisiert, sondern im Vertrauen auf ihre Übermacht geschont. Das setzt – Frau von der Leyen! – also Trump mit Solimani gleich, und seine Unmoral mit dessen Unmoral. Das dürfen Gesundbeter tun, aber keine PolitikerInnen. Nur zur Erinnerung: es war Trump, der das Atomabkommen zerstört hat, und wenn er jetzt nicht versteht, warum der Iran sich aus diesem Abkommen total zurückzieht, dann spricht das eben für sein pathologisches Nicht-Denken. Aber die Pathologie eines Einzelnen erklärt nur einiges, nicht alles. Wer die Anhänger Trumps bei seinem gestrigen Auftritt gesehen hat, muss Analogien zu den Kundgebungen in Teheran und Bagdad wenigstens überprüfen.

Und wen stellt Gott auf die Probe?

Ich möchte ja nur erreichen, dass Widerstand sich regt gegen die Einbeziehung Gottes als eines unsichtbaren und unempirischen Spielers in einigen der Big Games. Das ist natürlich zunächst eine Frage des Diskurses und hat wenig damit zu tun, was einzelne Akteure bzw. ihre Machtinstrumente tatsächlich tun, wie sie handeln. Mit dem Bezug zu Gott wird nämlich eine „Unbekannte“ in alle denkbaren Formeln eingebracht, die den Einbringer schon vor der Handlung entlastet. Aber denken wir an die Slogans seit den Kreuzzügen…da nehmen sich die Gottredner nichts. 

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Da Gott bei allen Katastrophen der Menschheit nicht anwesend, nicht aktiv war, sollte man ihn/sie nicht jetzt anders als den Begriff bestimmter Diskurse bedenken. Dann kann man die religiöse Fassade der Nationalismen und der ethnozentrischen Ungleichbehandlungen leichter zerlegen, was dringend notwendig ist. Die Hypothese ist, dass Friedensdiskurse wahrscheinlicher sind, wenn der Bezug zum Absoluten nicht mitverhandelt wird.

Glauben kann jeder weiterhin, was er oder sie will.

Nachsatz: wann beginnt die jetzige Krise mit und um den Iran? Fangen wir doch bei Mossadegh an, und analysieren wir die Strategien der Spieler seither.

Nachsatz: wann beginnt Erdögan und die AKP sich von der Integration nach Europa abzuwenden? Fangen wir bei der Ablehnung christlicher Volksparteien gegenüber einer Mitgliedschaft der Türkei in der EU an.

Das geht bei allen Konflikten, in denen es keinen Sinn macht einen weiteren Spieler aufs Feld zu schicken, der doch nur unser Ebenbild ist.