Manche Begriffe setzen sich fest, man kann sie nicht einfach wegwischen. Und dann werden sie vom Begriff zum Füllwort, weil man keinen Begriff verwenden will, der Folgen hat, öffentlich und persönlich. Wenn Putin, ein Stalinist und Nachfolger der Nazis, der Ukraine NS vorwirft, ist das so ein typischer Akt auf hoher Ebene. Aber im Alltag kommt das viel häufiger vor (Übrigens, mehr als selbst kritisch, haben wir 68er auch solches häufig gemacht…es gehört zu den Abkürzungsrhetorik politisch engagierter Gruppen).
Natürlich beschäftigt sich die Theorie mit diesem Problem, nicht selten weicht auch sie nicht allen Fallen aus, die in solchen Begriffen stecken – Faschismus taugt dazu besonders gut, aber auch Antisemitismus oder Populismus.
Anders als in der Diskurstheorie und in der Alltagsanalyse des Auftauchens dieser Worte verstört mich ihr Wirklichkeitsgehalt. Es geht mir weniger um theoretische Wahrheiten als um die Wirklichkeit. Auch dazu kann man Theorie machen[1]
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Wir leben in einer Periode sich ausbreitender Kriege, und wir leben in einer Zeit sich festigender faschistischer Staats- und Gesellschaftsformen. Beides hängt zusammen, aber nicht linear oder kausal. Beides wird durch wirkliche Ereignisse und Strukturen bestimmt und nicht durch relativierende Wertungen, etwa „Man kann doch nicht Putin mit Hitler oder Stalin vergleichen…“ oder “So schlimm Erdögan ist, er ist doch kein Faschist“ oder die Zuschreibung von Faschismen zu Trump und der amerikanischen Rechten, aber nicht zu „den Amerikanern“ usw. Aus meiner, unserer Sicht, hilft als eine Erklärung die Tatsache, dass die Demokratie, „unsere“, nicht stark genug ist, einen aktiven und zukunftsorientierten Gegenpol zu bilden. Warum das so ist, kann man teilweise erklären, aber vieles bleibt unbewiesen und vage.
Die Gegner der Demokratie nutzen die Furchtsamkeit, das Zögern der Demokrat*innen aus. Sie haben seit Jahren die Medien, die Podcasts, den ganzen IT Bereich zur Verbreitung des dichten Gewebes der unwirklichen Tatsachen missbraucht, weil sie sich gar nicht an die Regeln der zivilisierten Demokratie halten wollen. Das können die Demokrat*innen bedauern oder bestreiten, aber wenn man den AfD-Pöbel befragt, dann kommt genau das zum Vorschein. (Für meinen Pöbel-Begriff werde ich von denen kritisiert, die meinen, nur die Unterschicht pöbele…o nein, das geht bis in die Parteivorstände). Wichtig dabei ist, dass diese Behauptung in das alte Rechts-Links-Schema nicht passt. Es geht um den Kampf gegen andersfarbige, andersdenkende, anderskommunizierende Menschen, weil der Begriff des Menschseins die Gesellschaft nicht mehr so richtig zusammenhält. Wovor haben wir, die Demokrat*innen Angst? Unter anderem, dass sie, wenn sie gegen die Faschisten zurückschlagen, sich mit ihnen vergleichbar machen, weil sie die gleichen Methoden anwenden. Das ist nicht trivial.
Politisch bedeutet das, seit Jahrhunderten, seit der Aufklärung, dass mit diesem Argument die Niederlagen gegen die Tyrannen auch, auch, im nachhinein begründet werden.
Politisch bedeutet es auch, die Regeln der humanen, empathischen zivilen Friedensgesellschaft von der Situation im Krieg und der damit verschobenen Wirklichkeit der Regeln zu akzeptieren (überhart gesagt: im Krieg müssen auch wir uns „anders“ verhalten als vorher…).
Politisch heißt auch, die Meinungsvielfalt und -freiheit, bestehe sie auch weiterhin, nicht so hoch zu hängen wie den Blick in die Realität des Zerfalls der vor – sagen wir – 30 oder 50 Jahren erhofften und geglaubten Zeitenwende zu richten und über Zukunft zu entscheiden. Nicht, wie in vielen Ideologien, die Kontinente, Ethnien oder Herrschaften „zerfallen“ und einander ablösen (vgl. Oswald Spengler, Oswald Spengler – Wikipedia , der weit rechts, aber explizit kein Nazi war, während die zyklischen Geschichtstheorien eine andere Zeitordnung über die aufeinanderfolgenden Realitäten legten (vgl. Hans Meissner, oder Zeitveränderungen mit kulturellen Ereignissen verbinden (zB. Jacob Taubes)).
Mein Freund Hajo Funke hat in letzter Zeit v.a. zum Krieg gegen die Ukraine eine Menge von Vorschlägen zu Verhandlungen und Friedensstiften in seinen WordPress-Blogs gebracht. Sein Neujahrsgruß hat die eine Botschaft: Ich sehe dieses Silvester eher still statt laut – dazu da, nicht weiter in autoritärer Anpassung und Nibelungentreue an das jeweilig Vorgegebene zu verharren, sondern zivilcouragiert, auch in neuen Bündnissen soziale Demokratie und Rechtsstaat zu verteidigen. (Schicksalsjahr 2024 | Prof. Dr. Hajo Funke (wordpress.com)) Ich habe das zitiert, weil die politische und beharrliche Botschaft von Hajo Funke ja ist, dass verhandelt werden muss, wenn die Kampfhandlungen unterbrochen bleiben sollen. Verhandeln, mehr als nur Diplomatie, setzt voraus, dass es die Akteure gibt, die verhandeln können, weil sie von allen Seiten akzeptiert werden und die Bereitschaft dieser Seiten zu verhandeln…und jetzt käme es darauf an, ob das aus Friedenslogik oder in der Kriegslogik vorgeschlagen wird. In Funkes Grußbotschaft gehört das Verharren im Vorgegebenen zum Krieg, die Zivilcourage aber zum Ungesicherten, in das wir in der Demokratie aufbrechen müssen. Klingt einfach, setzt aber voraus, dass wir in der Demokratie so handeln können (nicht nur „dürfen“), dass Verhandeln nicht bloß die Kräfteverhältnisse ad infinitum einfriert.
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„In der Demokratie“, richtig. Aber geht das auch mit faschistischen Akteuren auf allen Ebenen und Seiten? Ich fürchte ja, aber anders. Funkes „neue“ Bündnisse sind nicht näher bezeichnet. Das kann ja nur bedeuten, dass wir dort, wo wir Bündnisse eingehen, für die (Weiter)entwicklung von Demokratie eintreten und damit Rechtsstaatlichkeit mitbefördern. Faschismus kann auch Rechtsstaat bilden, nur keinen demokratischen. Hier ist eine Sollbruchstelle, die viele schon zur Resignation bewegt.
Mein negatives Zukunftsbild für das nächste Jahr ist, dass wir zunehmend die kleineren unterstützen oder auch nur aushalten, wenn es ihnen gegen die größeren geht. Dafür gibt es hinreichend historische Beispiele aus Vergangenheit und Gegenwart.
Mein positives Zukunftsbild ist, dass sich Demokratie auch dort, wo sie nicht, nicht mehr oder noch nicht herrscht, durch Resilienz widerständig erweist, indem man sie macht, wir sie machen. Das bedeutet unter anderem, die angestrebten Schwerpunkte zu verändern, die heißen Klima, Hunger, Gewalt und nicht nur Territorium, Macht der Herrschenden und Unterdrückung der Minderheiten. (Ich glaube, mein Freund Erich Fried hat geirrt, als er meinte, Demokratie herrsche nicht…aber das ist ein anderes Feld, im Frieden).
Das ist Hoffnung, das ist Programm. Noch nicht wirklich. Faschismus bekämpft man nicht durch wegdenken, durch ausblenden. Er schrumpft, wenn man ihn wahrnimmt als das, was er ist. Und ihn nicht für wahr nimmt.
Auch das richtige Leben ist politisch, und wir sollten es auch uns überlassen, nicht nur der Politik.
[1] Ich kann das auch: Daxner 2023: Flanieren im Mythos, edition splitter, Wien