Liebe Leser*innen meines Blogs: dies ist die Vorankündigung der Vorstellung meines neuen Buches:
Am 5. Juli 2017 um 16 Uhr wird Dr. Thomas Ruttig das Buch in den Räumen der Heinrich Böll Stiftung, Schumannplatz 8, 10117 Berlin, vorstellen. Ich werde kurz einen deutschen Überblick über das Buch geben, das in englischer Sprache verfasst wurde, um auch Leser*innen in Afghanistan und im anglo-amerikanischen Markt zu erreichen.
Herzliche Einladung!
Michael Daxner
Und hier eine kurze Einstimmung auf das Buch:
A SOCIETY OF INTERVENTION
An Essay on Conflicts in Afghanistan and other MILITARY INTERVENTIONS
BIS Verlag, Universität Oldenburg, 2017. 263 Seiten, € 22.80
EINE INTERVENTIONSGESELLSCHAFT
Ein Essay über Konflikte in Afghanistan und bei anderen militärischen Intervention
Militärische Interventionen aus humanitären Gründen sind ein Normalfall internationaler Politik. Oft sollen sie Frieden erzwingen, wo ein Staat nicht mehr in der Lage ist, seine Konflikte zu regulieren; häufig dienen sie auch der Auswechslung von Regierungen, Verfassungen oder dem Schutz von Minderheiten oder ausgegrenzten Teilen der Bevölkerung. Ich spreche nicht von Eroberungskriegen oder Gewaltmaßnahmen zur Ausweitung der eigenen Einflusssphäre, obwohl solche Interessen immer auch eine Rolle spielen.
Interventionen sollen Konflikte in einem Land beenden oder einhegen. Aber sie bringen auch selbst Konflikte mit sich. Aus diesen entstehen neue Gesellschaftsformen, die ich INTERVENTIONSGESELLSCHAFTEN nenne.
Deutschland war an der Schaffung einer sehr typischen Interventionsgesellschaft im Kosovo beteiligt (ab 1999) und hat sich massiv an der Intervention in Afghanistan nach 2001 beteiligt. Damit übernimmt Deutschland Verantwortung und Haftung für das intervenierte Land. Deshalb ist es wichtig zu wissen, was in der afghanischen Gesellschaft, aber auch bei uns geschieht, wenn wir uns an derartigen Interventionen beteiligen.
In Afghanistan können wir die verschiedenen Erscheinungsformen und Ausprägungen einer Interventionsgesellschaft besonders gut studieren. Die letzte Intervention, die hoffentlich eine stabile und friedliche Zukunft bringen wird, ist nicht die erste für dieses von Gewalt, Bürgerkrieg, Vertreibung, Flucht und Rückkehr gezeichnete arme Land. In meinem Essay beschreibe ich die Situation der GESELLSCHAFT, die in allen Teilen durch die Intervention betroffen und gezeichnet ist. Dazu entwickle ich ein Konzept von Interventionsgesellschaften, das ich dann für Afghanistan und andere Interventionen umsetze. Nicht STAAT und Staatlichkeit interessieren mich dabei vorrangig, sondern das Entstehen einer neuen Form von Gesellschaft, an der die Intervenierenden ihren Anteil haben. Es ist eine Verschränkung und keine eindimensionale Herrschaft wie in Kolonialzeiten, obwohl die Machtverhältnisse natürlich nicht ausgeglichen sind.
Ich versuche unter anderem zu erklären, warum und wie eine neue Mittelschicht entsteht, die weder authentisch afghanisch noch importiert westlich ist, sondern eben „neu“ aus der Erfahrung von Gewalt und Krieg entsteht und sich von anderen Klassen, Eliten oben und Arme unten, absetzt. Dabei kommen Themen wie Urbanisierung, Säkularisierung und Widersprüche in der Kommunikation zur Sprache.
Ich nenne diesen Text einen ESSAY, weil er der Versuch ist, aus allen Disziplinen und Blickwinkeln zu argumentieren und sich nicht in eine fachliche Engführung pressen lässt. Es bleibt der Versuch, nach 14 Jahren Arbeit in Afghanistan und mit afghanischen Menschen eine Situation zu beschreiben, in der die gute Zukunft für das Land alles andere als gewiss ist.
Wenn militärische Interventionen den Aufbau eines neuen Staates begleiten, so können sie ihn doch niemals leisten, bestenfalls können sie helfen, das Gewaltmonopol dieses Staates zu festigen. Staatlichkeit entwickelt sich nicht, nur weil durch äußeren Eingriff ein Staat befestigt wird; und gute Regierungsführung – GOOD GOVERNANCE – kommt nicht mit dem Staat.
Auch die Entwicklungszusammenarbeit kann nur Beiträge leisten, aber einen solchen Staat nicht nach Plan befestigen. Eine friedliche Entwicklung kann es nur geben, wenn die Menschen für sie – nicht für uns! – gültige Antworten finden auf die Frage: Wie wollen wir leben? Ohne diese Antwort werden sie ihr Land verlassen oder wieder in Gewalt versinken.
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Aus dem Inhalt:
Es wird ein theoriegeleitetes und durch praktische Erfahrung angereichertes Konzept von Interventionsgesellschaften entwickelt. Dabei greife ich auf Forschungen im Zusammenhang mit der Langzeitstudie zu Sicherheit und Entwicklung des Sonderforschungsbereichs 700 an der Freien Universität Berlin ein und baue auf jahrelange Vorarbeiten im Bereich der Konfliktforschung. Rückwirkungen von militärischen Interventionen auf die Diskurse zu Hause werden ebenfalls wieder aufgegriffen („Heimatdiskurs“).
Daran schließt sich die Frage, was die Intervention mit den Praktiken der Machtverteilung und Regierungsführung zu tun hat. Dabei geht es vor allem darum, die Anschlussstelle zwischen regelsetzenden Institutionen und der Lebenswelt der wirklichen Menschen, also der Bevölkerung, im Schatten der Intervention zu finden.
Ein großer Abschnitt zielt auf die neue Sozialstruktur; vor allem auf den Ersatz der alten Mittelschicht durch eine neue, junge, städtische Mittelklasse, die durchaus das Rückgrat gesellschaftlicher Erneuerung wird bilden können – oder aber den Rückzug auf alte Strukturen antreten wird.
Es gibt keinen Bereich des Landes, in dem die Intervention nicht wirkt – sie hat die neue Gesellschaft tief imprägniert. Wir können das nur verstehen, wenn wir einen empathischen Blick auf die Lebensumstände der Menschen in Afghanistan werfen und ständig unsere Haftung als Mitglieder der Intervenierenden im Auge behalten.
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Einige Anmerkungen zur Entstehungsgeschichte und zu den Absichten dieses Essays sind notwendig. Seit mehr als 15 Jahren beschäftige ich mich mit Interventionsgesellschaften und bewege mich dabei zwischen den Disziplinen, vor allem Soziologie, Ethnologie, Konfliktforschung, Politik, aber auch Kultur und Religion. Das passt ganz gut zum Sonderforschungsbereich 700 an der Freien Universität Berlin, wo ich seit 2010 das Afghanistan-Projekt leite; aber es gibt auch zum Konzept dieses Sonderforschungsbereich eine gewisse Grundspannung: der Rahmen ist die „Governance in Areas of Limited Statehood“, und wo die nicht-staatlichen und außerstaatlichen Herrschaftsformen untersucht werden, interessiert mich mehr, wie sich Macht organisiert und wie Interventionen die Begegnung von System und Lebenswelt, von formalen und informellen Institutionen beeinflussen.
Ich gehe soweit, dass ich von einer neuen Gesellschaft spreche, in der die Intervenierenden und die Intervenierten unauflöslich eine Verbindung eingehen, die nicht nur die lokale Gesellschaft verändert, sondern auch auf die Gesellschaft der Intervenierenden zurückwirkt.
Ohne die enge kollegiale Beziehung innerhalb des SFB 700 hätte dieses Buch so wenig geschrieben werden können wie ohne die vielfältigen Beziehungen zu meinen afghanischen Gesprächspartnern, Freunden und Bezugspersonen, seit 2003 dort im Land und hier in der afghanischen Diaspora. Mit ihnen konnte ich eine Wirkungsgeschichte der Intervention miterleben, die sich stark von den offiziellen Lesarten des Erfolgs bzw. Scheiterns der Intervention unter deutscher Beteiligung unterscheidet.
Ich habe das Buch in englischer Sprache verfasst, um es auch für Leser*innen in Afghanistan und den amerikanischen Markt lesbar zu machen, weil die USA ständig und unabweisbar mit der Intervention verbunden sind, wie übrigens schon im Kosovo zuvor. Und ich habe mich frei von den akademischen Ornamenten gefühlt, hier nicht alles und jedes an Literatur, Meinung und Vermutung aufzugreifen und zu kommentieren, sondern mich bei diesem Versuch auch auf mein Wissen und meine Intuition zu verlassen, wo die empirischen Befunde nicht ausreichen.
Es ist ein Buch geworden, das aus Empathie für die Afghaninnen und Afghanen entstanden ist. Der sorgsame und selbstkritische Umgang mit Interventionen muss immer so erfolgen, dass auch die Haftung für das, was geschieht, und die Rückwirkung auf die intervenierenden Akteure nicht ausgeblendet werden von der konstruierten Hoffnung, dass die Intervention zum Frieden und zur Stabilität beitragen möge.