O.S. ter Hase – Schöne Tage

 

Zwei Fragen.

I.

Eine der wichtigen Fragen für Kinder – und die Feiertags-Event-Süßwarenindustrie – ist die nach der Wirklichkeitsvermutung für den Osterhasen.

Während das so genannte Christkind, aber auch Santa Claus, Knecht Rupprecht, Nikolaus, die Hirten an der Krippe, die vier heiligen Drei Könige (die kommen immer zu viert!), und natürlich Jesus-Maria-Josef und ggf. Ochs und Esel usw. eine „Schnittfläche“ mit religiösen Traditionen und dem christlich-jüdischen Abendland haben, kommerzialisiert oder nicht, ist das beim Oster- oder gar Frühlingshasen anders.

https://de.wikipedia.org/wiki/Osterhase erklärt erschöpfend die schmale Schnittstelle mit Religion und die überlappende und nicht-triviale Frage, warum der Osterhase a) Eier bringt, b) wie er sie legt, und wozu wir diesen Brauch so notorisch aufrecht erhalten, wo doch dem Bischof Huber alle diese Kinderfeste („Halloween“ z.B.) zu profan sind. Man muss schon sehr weit ausholen, um den besagten Hasen (der zunehmend wie ein Karnickel aussieht, also kein Hase ist) mit den christlichen Osterfeiertagen oder aber dem jüdischen Pessach in Verbindung zu bringen.

(Aufheulen die Theologen, die diese Oberflächlichkeit gerne und vieltausendfach korrigieren können!).

Das wollte ich aber eigentlich gar nicht erzählen. Für meine älteren Enkelinnen hatte ich vor vielen Jahren den Herrn O.S. ter Hase bemüht. Ich hatte ihm eine Geschäftskarte verpasst und ihn auftreten lassen als Vertreter der unbeschwerten Ostertage. Neuerdings wieder:

O.S. ter Hase

Feyertags- und Geburtstagsexperte

Senfkünstler

Lagerfeuerbachstraße 2425

1444777 Rübenacker 25

 

Was soll ich Ihnen und Euch Ostermärchen erzählen? Ich habe zwei Hintergedanken dabei: zum einen, warum der Osterhase so viel längerlebig als die Christkindfigur in allen Variationen ist, zum andern, weil dieses Tier so wunderbar fake ist. Ihr kennt doch sicher Gerhard Polts „Nikolausi – Osterhasi“ https://www.youtube.com/watch?v=3eX38aKmX_4 Andererseits wird der Osterhase vom Erwachsenen zählebig gegen das kindliche Bestehen auf dem Nikolaus verteidigt. Das verstehe, wer mag. Eier verstecken, finden lassen, heuchlerisch aufbewahren, dreht sich das Kind weg, sofort wieder verstecken. Das Kind meint hunderte gefunden zu haben, drei vier sinds. Dann pecken. Wenn man die Eier ganz oben fest umschließt, an der runden Seite, sind sie härter und zerdrücken die Spitze des gegnerischen Eis. Ich hatte als Kind ein blaues Holzei, unwesentlich größer als ein echtes, und so gut lackiert, aber natürlich wussten alle, dass es nicht echt war, und man ließ mich freudlos siegen. Nur haben diese Eier Rituale nichts mit dem Hasen selbst zu tun,  denn die Vorstellung erreicht nie die Stufe der Klarheit, sich den Eierlegenden, den Osterhasen, vorstellen zu können. Alle andern Festtagsgeheimnisse lassen sich leichter entschlüsseln.

O.S. ter Hase diente in den Geschichten, die ich damals geschrieben habe, als vermenschlichter Osterhase, und er erlebte, was sich vorstellen ließ. Ich weiß es nicht mehr, er fällt mir aber immer wieder ein, wenn ich mir überlege, was ich wem zu Ostern schenke. Warum schenken wir uns zu Ostern etwas, außer Eiern? In der Zeit nach dem Theoriehunger (Michael Rutschky +, gerade ist er gestorben, hatte diesen Begriff auf unsere Generation angewendet, 68 passt auch zur zweiten Frage), also danach kam der Erfahrungshunger (die Gegenbewegung, gemischt aus Gefühl und sexueller Unmittelbarkeit der 70er Jahre), und seltsamerweise wurden Ostereier damals lustvoll bemalt (fertig eingefärbte kaufte ohnedies niemand von uns, aber die kunstvolle Verzierung, die wie schlesisches 19. Jahrhundert ausschaute oder Flohmarkt, war ja nicht zu erwarten gewesen). Scheußlich, ja, aber wenn es ums Verstecken ging, war alles wie vorher: siehe oben.

II.

Der Hase galt einmal auch als Symbol für den schwachen Menschen…naja. Der Bezug aber zu Ostermarsch liegt hier näher als zu Osterfeuer und dem neuheidnischen Frühlingstaumel von Mensch und Natur. Ich erinnere mich noch an die Ostermärsche der 1970er, als ich schon in Deutschland lebte. Ich wusste von der pazifistischen und antimilitaristischen Grundidee, war aber immer erstaunt, wie viele friedliebende Menschen sich zugleich vor den Karren der eher moskau-orientierten Parteien und Bewegungen spannen ließen. Umgekehrt war der Familienausflug für den Frieden – ursprünglich britische Erfindung – doch eindrucksvoll gegen die neue Waffenrhetorik von Adenauer bis Schmidt gerichtet; und gegen die Neutronenbombe allemal…und alles zu Ostern. Aber der Kerngedanke kam nicht von der moskowitischen Fraktion der Friedensbewegung, sondern aus jener sehr gewaltfreien und humanistischen linken Mitte um das spätere Sozialistische Büro – und man konnte, musste nicht, ohne ideologische Verrenkungen mitlaufen, nicht unironisch intoniert „es ruht im grünen Moos der Arsch/gepriesen sei der Ostermarsch“ (nicht von mir,  der ich gute Schüttelreime liebe). Wir waren Hasen.

Für Abrüstung zu demonstrieren, war nicht schlecht, aber wenn es um Ost UND West ging, dann bekam der Osten häufig Abrüstungsrabatt. Und die Spaltung zeichnete sich damals schon ab, kulminierte nach der großen Bonner Demo 1981…

Viele, meist individuelle religionsnahe Teilnehmer*innen schafften immer wieder den Bezug zu der religiösen „Botschaft“ der Ostertage in der Tradition. Obwohl es weder jüdisch (Exodus) noch christlich (Kreuzigung) friedlich zuging, waren beide Überzeugungen auf Frieden als Ziel hin orientiert: einmal durch Heimkehr und Einzug ins friedliche Land…ist ja nicht wirklich so geworden, aber immerhin; das andere Mal als Hoffnung, behauptete Erlösung würde friedensfähiger und bereiter machen, auch nicht so richtig umgesetzt. Aber diese inspirierten Ideen brachten manche religiöse Menschen näher an die Politik und umgekehrt. Wir waren/sind Hasen. Und sollen, einer christlichen Auslegung folgend, am Felsen (Christus) Schutz und Halt finden.

Das ist den Ostermärschen wie den eiersuchenden Kindern wohl etwas fremd. Man kann es natürlich etwas herunterfahren, weg vom Pathos, hin zur netten Jahreszeit des Jahreskreislaufs, wenn man vom schlechten Wetter und der Kälte erlöst ist, und dabei bleibts. Ostern ist schön und wenig geheimnisvoll, weil – vom Ei her gesehen – unverständlich schmackhaft; von der Erlösung her gesehen, politisch aber interessant, durch wieviel Tradition sich die Aufbruchstimmung dynamisieren lässt.

III.

Eine Antwort.

Als ich damals O.S. ter Hase schrieb, es waren nicht viele Geschichten, da sind mir diese Gedanken vage im Kopf herumgegangen (auch ein, zweimal beim Ostermarsch, ungern, wie ich erinnere). Heute sind sie mir wichtiger, weil man vor lauter „Botschaften“ schon gar nicht mehr weiß, ob es mehr Boten  als Empfänger gibt. Einerseits denke ich, fast nostalgisch, an die nicht-politisierte Freude an den Festen des Jahres- und Lebenszyklus, nicht nur zurück, es könnte sie heute ja geben, wenn nicht…wenn nicht auch all diesen so viel an politischem Unterbau ständig beigegeben wäre. Andererseits: man kann ja parallel denken und empfinden.

Ich war grad einundzwanzig. Um auf den Berg Athos zu kommen, musste man eine schrecklich bürokratische Prozedur im Klostervorstandsbüro in Saloniki absolvieren, dann bekamen Männer, nur Männer, ein Mehrtagesvisum zum heiligen Berg. Ich wurde richtiggehend verhört, Details, auch nach Glauben und Politik war ich befragt worden. Kunstgeschichte, Wandern, Erkundungen des mönchischen Lebens, all das hatte mich motiviert, dorthin zu gehen, auch bildungsbürgerliche Lektüre vor der Familienreise, schon anpolitisiert. In einem so genannten strengen Kloster an der Westküste erlebte ich die Osternacht, vorher Zwiebel, trockenes Brot, sauren Wein, dann Weihrauch und stundenlange Gesänge bis zur Auferstehung. Beeindruckend, wie eine Wagner-Oper, und mir völlig fremd. Aber attraktiv und todmüde angezogen. Ein Einsiedler erzählte mir am nächsten Tag,  er würde jetzt dem heiligen Leben Adé sagen und nach Paris übersiedeln, dort hätte er ein Haus geerbt, rue de Constantinople….Zwei Extreme, zu Ostern, in zwei Tagen: dann war mir, leider erst dann, klar, dass diese heilige Halbinsel das besondere Kleinod der schrecklichen Diktatur von 1967-74 war, deren Beginn ein Jahr zuvor ich in Athen miterlebt hatte. (Die Scham kam zu spät). Am Auferstehungsgesang hatte das nichts geändert.

Dem unpolitischen Osterhasen sei Dank, dass man die Symbolik der harten Eier (gibst auch) nicht weitergeben muss.

Es grüßt O.S. ter Hase   Frohe O*

P.S. schon 2011 hat Thomas Ruttig dazu die globale, + orientalistische Sicht dargelegt. https://www.afghanistan-analysts.org/the-easter-egg-question-in-the-light-of-orientalism/

Danke für den Hinweis!

P.S

 

Zensur und Dummheit – die Alice-Salomon-Hochschule soll umbenannt werden…

…fordere ich.

Es ist wahrlich genug dazu geschrieben, wie die grenzenlose verlogene Dummheit dazu geführt hat, das Gedicht von EUGEN GOMRINGER „AVENIDAS“ durch einen Schmarrn zu ersetzen.

Bitte lesen Sie alle den heutigen Artikel „KÜNSTLERPECH“ von Hilmar Klute (28.3.2018) in der Süddeutschen Zeitung. Dass eine so genannte feministische Asta-Sprecherin ihren Namen nicht nennen mag,  weil sie natürlich auch mit Mails überschüttet wird. (Wenn ich das täte, hätte ich schon viele Namen), ist nicht verwunderlich angesichts der Stimmung in diesem Land. Pseudofeministinnen sprechen „Deutsch“.

avenidas/avenidas y flores/flores/flores y mujeres/avenidas/avenidas y mujeres/avenidas y flores y mujeres y/un admirador“.

Übersetzt lautet das Gedicht etwa so: (Aus Cicero)

„Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer“

Gomringer, seine Frau und seine Tochter haben sich wie zu lesen ist, vorgestern anständig und ohne sichtbare Verletzung der Diskussion gestellt. Es gibt genug in den Medien, dass man sich über die weiter Verbreitung des Gedichts freuen kann, und sicher nicht als Angriff auf Frauen und Frauenrechte.

Wohl aber soll das ein Angriff auf die VERLOGENE GEFÜHLIGKEIT derer sein, die von gesellschaftlichen Problemen ABLENKEN, um ihrer Befindlichkeit ein Publikum zu verschaffen.

(Über den akademischen Senat dieser Unbildungsanstalt habe ich mich schon geäußert, über den Schmarrn des Ersatzgedichts von Frau Köhler mag die Literaturgeschichte fußnoten).

ABER WARUM HEISST SO EINE HOCHSCHULE ALICE SALOMON?

Für Eilige: https://de.wikipedia.org/wiki/Alice_Salomon

Schon hier kann man lesen, dass und wie sich Alice Salomon für Frauen, Frauenbildung, Emanzipation eingesetzt hatte. Da alle Schriften und Wirkungen dieser bedeutenden Frau gut nachzulesen sind, u.a. im Archiv an der Hochschule, bleibt mir nur darauf hinzuweisen, warum der Name für eine gute Hochschule mit dem Leben (und auch Leiden) einer bedeutenden Feministin gerechtfertigt wäre, wie auch das Wikilexikon kurz auflistet: Für die erzwungene Emigration lassen sich Gründe aufführen:

  • ihre jüdische Herkunft,
  • ihre christlich-humanistischen Ideen,
  • ihr Eintreten für eine pluralistische Berufsarbeit,
  • ihr offener Pazifismus,
  • ihr internationales Auftreten.

Dem so genannten Asta und der Hochschulleitung einschließlich Senat sei zu wünschen, dass sie sich dem anschließen oder ihre Hochschule umbenennen.

P.S. warum ich zu diesem Vorfall und Thema mich immer wieder äußere, wie zu den staatlichen Abschiebungen oder zur Garnisonkirche Potsdam, ist nicht, weil mir die Themen ausgehen. Es gibt Symptome für einen gesellschaftlichen Grabenbruch, dessen Tragweite immer weit größer ist als der jeweilige Anlass. Manchmal nenne ich das Finis terrae, aber es ist auch sinnvoll, immer wieder die Anlässe zu zitieren.

P.P.S. In diesem Fall geht es mir neben der Auseinandersetzung um Kunst und Feminismus und Befindlichkeit noch um etwas anderes, das durchscheinen sollte: den Zustand unserer Hochschulen, das Verhätlnis von Wissenschaft, Freiheit bzw. Kunst und akademischer Freiheit. So, wie ich der Auffassung bin, dass Satire ALLES darf (und es darauf ankommt, dass sie Satire IST), so ist bei KUNST und WISSENSCHAFT  so, dass die Freiheit, die ihnnen zusteht, niemals kontextlos ist – aber dieser Kontext nicht durch partikulare Interessen oder Empfindungen gegeben sein darf.

Das harte Beispiel ist immer: Satire in Auschwitz („Das Leben ist schön“) oder Liebe in Auschwitz oder … So hart ist es hier nicht? Das ist MEIN ANLASS: Auschwitz hatte lang vorher begonnen, bei der moralischen und  ästhetischen Planierung der Gesellschaft, von der Bücherverbrennung bis zum Bilderverbot.

 

 

 

Naming & Shaming Lechts & Rinks

 

 

  1. Akt

Du sollst nicht schimpfen, wenn deinen Flüchen keine Erfüllung folgt. Außer es erleichtert dich…aber die Wirkung dieser Droge hält nicht lange an.

Wie viele Politiker, auch Politikerinnen…, habe ich sagen hören: „so ein Arschloch“, „dieser Idiot“, „das Schwein“…um mit dem so Bezeichneten Augenblicke später in der Öffentlichkeit einigermaßern zivil Worte zu wechseln, zu turteln oder ernsthaft zu verhandeln. Und selber: kommt einer zu schnell um die Ecke gefahren, sagt einer unsäglichen Blödsinn, kontrolliert ein unfähiger BVG-Mensch zum dritten Mal am Tag meinen Rentnerausweis, benimmt sich ein Amtsschimmel wie seine Produkte…klar: ich schimpfe, manchmal halblaut: o Pardon, da haben Sie sich verhört.. Oder zu einem Dritten. Ich bin erstaunt, wie meine zivilisiertesten Freunde in grandiose Flüche ausraten können, bei geringem oder großem Anlass.

Die amerikanischen Exporte „Naming & Shaming“ sind erfolgreich, man muss sich nur trauen. Oft sind sie wirksam. Um sie anzuwenden, muss man ein wenig Systemtheorie kennen und zugleich sollte man ein wenig recherchiert und Abstand gewonnen haben: was im Justizsystem strafbar ist –„der Müller ist ein Verbrecher, der OGH steht auf der Seite der Autorenn-Mörder, der Bahnvorstand besteht nur aus Trotteln etc.“ – kann in der anlassbezogenen Kommunikation der Nachprüfung standhalten. Pöbeln a la Nahles kann für Nichtpolitiker gefährlich werden, und der Nazijargon der AfD infiziert Zuhörer, Nachahmer und Zurückschläger. Also Vorsicht, mehr noch bei Flüchen, bei denen das Risiko der Erfüllung naheliegt: einem ersichtlich Herzkranken zu wünschen „Der Schlag soll dich treffen“, ist vielleicht perfide, obwohl der Fluch an sich eine recht verständliche übertragene Bedeutung hat.

Ach, so eine lange, unanwendbare Einleitung, so pädagogisch sanft…Mitnichten. Ich möchte über Naming & Shaming in angemessener Form etwas erreichen, möchte Rede und Gegenrede provozieren.

Wir ein prominenter Mensch wegen einer bestimmten Tat öffentlich benannt, und die Tat konkret beschrieben,  kann er aus einem Portfolio von Erwiderungen wählen, aber semper aliquid haeret: etwas bleibt meistens hängen, und wenn nicht, dann weil es durch ein Schlimmeres abgelöst wird.

Der VW Vorstand wir genannt, wenn es um diebstahlartige Gehaltserhöhungen in Millionenhöhe geht. Er rechtfertigt sich, dabei kommt aber der Betrug beim Diesel wieder ins Gespräch. Frage: darf ich so einen „Verbrecher“ nennen? Kontextabhängig: ja, meistens ja. Nur nicht mit Paragraphen argumentieren, sondern mit Tatbeständen und der Bereitschaft, das Verbrechen verständlich zu erklären.

Ich halte hier keine Vorlesung. Ich habe einen Grund, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Mehrere Gründe, aber gemach.

„Sie schreiben so kluge Wissenschaft, aber wenn man in Ihren Blog schaut, dann beschimpfen Sie die Politiker als Nazis, Fremdgänger und Trotteln…“ Nun ja, ich hab halt ein breiteres Repertoire, das mir Ausflüge aus der anerzogenen Contenance erlaubt. Aber hinter den Namen steckt noch mehr:

  • Seit frühester Zeit haben Namen eine Bedeutung, sie verweisen auf den Schutzpatron oder eine besondere Eigenschaft, sie sind der Mensch, der sie trägt. Das hat sich verändert, gewiss, ist rationaler geworden. Aber da sind dann neuerdings wieder die jüdischen Namen, und, „natürlich“ im Umfeld von Trump, „lauter Juden“. Ist das schon oder noch antisemitisch? (Nebengleis: das ist sehr häufig, und wird doch kaum offen wahrgenommen).
  • Kevin bekommt beim gleichen Lehrer schlechtere Noten als Matthias. (Oder Chantal und Johanna). Das wissen wir. Wie kann man das ändern?

Das ist der erste Schritt. Der nächste macht alles schon noch politischer. „Meinen Namen sollt Ihr nie erfahren. Ich bin der Kaiser Josef“ heißt es beim Dichter Herzmanovsky-Orlando. Witzig, ja, und auch alltäglich. Man weiß den Namen, darf ihn aber nicht öffentlich sagen, aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes….Das ist gut, denkt man. Aber ist es immer richtig? Das bringt uns zum Shaming. Wenn der weithin unbekannte Herr X oder die Frau Y etwas falsches, böses , unappetitliches getan haben sollen, und man postet ihre Namen + Tat in der Nachbarschaft an die Wände, kann das Lebenszusammenhänge verletzen, zerstören, schreckliche Folgen haben. Die Reaktion ist oft „aber wenn es stimmt….?!“. Wenn es um Personen des öffentlichen Lebens geht, gilt das nicht mehr. Es fragt sich nur, ob es klug ist, die Beschämung zum Appell der Öffentlichkeit zu machen. Ich denke, manchmal muss das sein, manchmal sollte man es unterlassen. Trump ist ein pathologischer verbrecherischer Verletzer von Menschenrechten, ein Rassist, Sexist. So bezeichne ich ihn und würde für jedes Epitheton mir zutrauen, das vor einem Gericht analytisch und auf den konkreten Fall bezogen, nachzuweisen.  Nur komme ich nicht vor Gericht. Wäre ich Diplomat, würde ich das so wahrscheinlich nicht sagen, aber Bier trinken muss ich mit ihm und seiner Entourage deshalb noch lange nicht. Es gibt da andere Wege. Aber im Ernstfall ist der Wahrheitsbeweis das beste Mittel, die Preisgabe des Namens zu rechtfertigen. Trump selber sagt solche Dinge, zu Unrecht, von anderen Politikern oder wichtigen Personen aus dem politischen Raum. Weil er Macht hat und herrscht. Die von ihm beleidigten können kaum chancenreich klagen, und wo sollten sie es tun?

Die neuen Nazis nennen oft keine Namen, außer sie wissen, dass es gute Gründe der Angesprochenen gibt, sie nicht zu verklagen. Die Nazis reden vom System. Das System hat keinen Namen, es heißt ja nicht Kapitalismus oder Lügenpresse.  Und jeder Name, der diesem System zugeordnet wird, sitzt. Umgekehrt, wenn wir den Höcke „Nazi“ nennen, dann hat er/das einen Namen, und den will er nicht tragen, will ihn loswerden. Damit kann man ihn zwingen, etwas von sich, seiner Politik preiszugeben – wenn da etwas ist.

Mit Naming&Shaming kann man die Festungsmauern der herrschaftlichen Privatsphäre oder der öffentlichen Zudringlichkeit unterminieren. Man muss dabei selbst erreichbar und kenntlich sein. Das ist eine Hürde, und die andere ist: keinen Fehler zu machen. Der zu Unrecht Stigmatisierte wird nie wieder oder nur um einen hohen Preis befreit.

Ich habe Trump und die Nazis als Beispiele gebracht. Bei den Verbrechern könnte ich auf politischer Ebene die ganze Prozession immer wieder herbeilaufen lassen, von Putin bis Orban und Erdögan. Da lohnt es übrigens…beim Dorfbürgermeister lohnt es nur im Dorf. Und nicht jeder Trottel oder Gangster verdient es, soviel Öffentlichkeit zu bekommen. Naming & Shaming ist eine scharfe Waffe, kein Gesellschaftsspiel.

Das wäre ein politisch korrekter Anstoß, sich mit der Sache zu beschäftigen, ich habe das seit 40 Jahren getan, vor allem in der Wissenschaft. Z.B. im Kontext jüdischer Namen. Heute geht es mir aber um etwas anderes.

  1. Akt

In der Letzten ZEIT (#13, 22.3.2018) gibt es mehrere, lesenswerte Artikel zur Frage: was ist konservativ, was ist rechts, rechtsradikal….und wer ist es? Lesenswert, weil differenziert, aufmerksam und kontrovers. Wieder einmal ein Beispiel, wie gut unsere Medien auch sein können.

Dann stolpere ich: es wird behauptet, „rechts“ dürfe einer auf keinen Fall sein, heute würde das ausgrenzen, das Stigma hätte kein Pendant auf der linken, links-liberalen Seite. Und dies erkläre sich aus der deutschen Geschichte. Und aus der Ost-West-Spaltung usw. Die fünf Beiträge von Jens Jessen, Martin Machowecz, Ulrich Greiner, Mariam Lau und Adam Soboczinski sind allesamt lesenswert und nich in einer Schablone verengt. 12 Gesichter mit Namen werden am Titelblatt des Feuilletons gezeigt. Einige davon kenne ich persönlich, zwei Namen sind mir neu. Von den anderen „weiß man“. Ich sag jetzt nicht, bei wem es mich „gekränkt“ hat, sie hier zu sehen, obwohl die Zuordnung nicht falsch ist. Früher waren die anders…

Was mich zum stolpern bringt:

  1. Noch nicht so lange her, dann war man, als links gelabelt, raus, ausgegrenzt, bis zum Berufsverbot. (nicht nur im öffentlichen Dienst).
  2. Gerade ich, der ich die links-rechts-Koordinate seit langem in Frage stelle, frage mich, was denn das Gegenstück zu „konservativ“ sei, und wo der Übergang von „konservativ“ zu rechts sei. Die Frage ist nicht trivial, denn vor dreißig Jahren mühte sich die Linke, sich wieder zu verorten, nachdem sie ausgefranst nichts mehr als ein Dogma ohne Begriff geworden war. Übung: was ist das gegenstück zum heftig angegriffenen „Westen“? Warum drängen die Rechten sich wieder meist nach Osten, zu Putin & co., ohne dass es einen „Osten“ gibt.
  3. Nirgendwo wird der Extremismus der Mitte auch nur erwähnt, der doch so deutlich wird (Der Begriff ist im Internet mit Wissenschaft (Lipset, Parsons, Rehberg) und mit Beobachtungen zur Herkunft extremer Ideologien überreichlich dokumentiert. In der Mitte an sich und für sich ist nochg kein Heil zu finden). Wenn aber die Extremisten die konservativen Kommunikationsformen der „alten Mitte“ annehmen, ist das etwas anderes, nunmehr beim rechten Salon der Erklärung 2018. Diese Umgangsformen kann man ihnen ja nicht vorwerfen, den Sarrazins, Lengsfelds, Weissmanns und Broders, um ein paar Namen aus der Liste zu nennen. Da muss man schon ihre Texte lesen, sie agitieren sehen und hören, und vor allem sehen, wen sie jeweils in ihre Netze aufnehmen.
  4. Wie war das damals „Ich habe abgetrieben“ https://www.emma.de/artikel/wir-haben-abgetrieben-265457 (über den 6. Juni 1971). Das waren doch keine „Linken“, aber im Vergleich zu den meisten Konservativen und Rechten doch wieder.
  5. „Um 1980 wurde es nötig, das Argument-Konzept zu reformulieren, schon um den Zusammenhang dieser ausgefalteten Aktivitäten deutlich zu machen. „Das Verlagsprogramm“, heißt es nun, „soll der Entwicklung der theoretischen Kultur der Linken dienen. Wissenschaftliche Zuarbeit zu den sozialen Bewegungen: den Kräften der Arbeit, der Wissenschaft und der Kultur, der Frauenbefreiung, der Naturbewahrung und der Friedensbewegung. Zuarbeit zu einem sozialistischen Projekt, das diese Bewegungen aneinanderlagert.“ So wird im Nachhinein die Diskussion in der einmal so wichtigen linken Zeitschrift DAS ARGUMENT zusammengefasst: https://www.linksnet.de/organisation/das-argument.

Was hat das mit den Namen zu tun? Ganz viel. Die Linke hatte es, aus sehr vielen Gründen, sich zu exponieren, kenntlich zu werden, weil die Mitte sich im Zweifel nicht exponierte oder konservativ blieb. Was explizit kein Vorwurf ist. Aber von da her kommt der Vorwurf, von Trump, von den amerikanischen Republikanern, von der AfD und von deutschen Rechten, dass die öffentliche Meinung und Kommunikation links- und linksliberal dominiert seien, und man konservativ-rechts nur aus der marginalisierten Position her angreifen könne. (Und weniger kluge „Linke“ verteidigen sich, indem sie sagen: das sei nicht so). Doch, es IST SO, weil die Politiken der aufgeklärten, solidarischen, auch linken, auch konservativen Opposition gegen das erstarrte Deutschland ERFOLGREICH WAREN, und das wollen wir, sollen wir uns nicht nehmen lassen.

Und dazu muss man kenntlich sein, also einen Namen haben, und den Namen derer, die man mit Widerstand bekämpft, auch nennen. Und wenn man die beschämt – dann sei das so. Eine harte Arbeit.

Orthodox. Peinlich.

 

Vor Jahren gab es eine heftige Debatte auf einem Grünen Parteitag, bei der gestritten wurde, ob man nun der Beschneidung für jüdische Knaben aus Gründen der Religionsfreiheit zustimmen oder sie aus Gründen der Unversehrtheit und des freien Willens von Kindern und Erwachsenen ablehnen sollte. Es war eine ernsthafte Debatte, ich war zu Wort gemeldet, wurde aber nicht „gezogen“, wie das  demokratischen Rednerlisten oft der Fall ist.

Nun kocht die Debatte wieder hoch, nachdem die Bundesregierung damals für religiöses Beschneiden den Tatbestand der Körperverletzung straffrei stellte. Das gilt dann nicht nur für jüdische, sondern auch für muslimische Jungen. Selbstverständlich kann keine Religion weibliche Genitalverstümmelung als Freiheitsrecht in Anspruch nehmen. Die Debatte über Gleichheit der Geschlechter ist hier eine bösartige Falle.

Orthodoxe Vertreter*innen beider Religionen beharren darauf, dass die Beschneidung etwas mit der unbedingten Doxa der jeweiligen Religion zu tun hat und für einen „richtigen“ Juden/Muslim sein müsse.

Ich komme auf die Beschneidung zurück. Zunächst aber: was dürfen uns Orthodoxe jeglicher Denomination sagen, was haben sie im Rechtsstaat zu sagen und was darf man ihnen nicht durchgehen lassen? Und: warum ist das auch persönlich, und überschreitet die Schwelle vom Öffentlichen ins Private und umgekehrt in – für mich jedenfalls – unerträglicher Weise.

*

Vor einigen Jahren hatte ich mit einer sehr guten Freundin einen folgenreichen Streit: ich mokierte mich über ein Buch eines Bekannten, der in Imitation jüdischer Geschiten ein kitschiges Bild eines letzthin mit der Welt versöhnten orthodoxen Juden zeichnete. Meine Kontrahentin berief sich auf sein, des Schreibers, Recht auf Meinungs- und Kunstfreiheit, und sah in meiner (milden, wahrlich!) Kritik einen Angriff in der Art, wie ihn Antisemiten gegenüber den damals noch häufigeren alten mitteleuropäischen Juden in ihrer Tracht übten. Das letztere meinte sie ein wenig zu ernst, als dass ich es auf sich beruhen lassen wollte, allerdings haben wir beide darüber nicht mehr geredet.

Kurz nach diesem Streit stand ich an der Straßenbahn in Wien – es war Abends – da fragte michein höflicher älterer Herr: Sind Sie ein Rabbi? Verblüfft fragte ich zurück: warum? Weil Sie so ausschauen.

Dunkler Hut, dunkler Mantel, damals noch dunkler Bart. Wir unterhielten uns belanglos, aber freundlich. Nein, ich bin keiner, und viele meiner rabbinischen Freunde und Bekannten sind bartlos und hutlos und überhaupt…

(Ich weiß nicht, wie oft es vorkommt, aber von einigen Fällen weiß ich es: bei einer ersten sexuellen Begegnung fragt die Frau: Bist du Jude? Immerhin, eine spannende Nuance in der sich anbahnenden Beziehung).

Wie hängt das alles zusammen, wenn man an die derzeitigen Umstände der Welt, vor allem Europas im weiteren Sinn, also inclusive des Mittelmeers schaut? Rechtsradikale und Naziregierungsbeteiligung in vielen Ländern, nicht nur in Österreich und Mitteleuropa; bis Norwegen regieren diese Menschen mit. Eine rechtsradikale Regierung im demokratischen Israel, das nun, wie Österreich und viele andere Länder eine ganz passable demokratische Republik ist – und ebenfalls ein säkularer Rechtsstaat. Und überall, also nicht nur in diesen Ländern, wachsender Antisemitismus; das lässt sich belegen und ist nicht wiederkehrende Leier, der neue Antisemitismus habe nur den alten abgelöst (was falsch ist). Antisemitismus ist Antisemitismus.

Da schaut man natürlich genauer hin, was in den jüdischen Gemeinden (Community UND Congregation, also gesellschaftlich und religiös) sich dazu abspielt, und wie die Öffentlichkeit sich verhält, wie die Medien reagieren, und wie der Diskurs zum Judentum sich entwickelt.

In Israel nun, erlaubt die Regierung seit langem, dass sich die ULTRA-orthodoxen Kräfte zu Lasten der orthodoxen, konservativen, liberalen Religiösen und der Säkularen ausbreiten, v.a. durch Vermehrung und ungehindertes echt auf Agitation und Beeinflussung der Regierung (Man sitzt ja mit am Tisch). ULTRA heißt: sektiererisch dogmatisch, den Anspruch auf alleinvertretende Interpretation der heiligen Texte und vor allem: die Lebensführung aller anderen wird als Anathema abgelehnt oder direkt physisch und verbal angegriffen. Alles im Namen eines „Gottes“, der sich nicht wehren kann – und noch nie gewehrt hat. Diese ULTRAS tun sich durch Untätigkeit der Männer und schwere Arbeitsbelastung von Frauen, aber vor allem durch deren Degradierung zu Gebärmaschinen hervor, weshalb der Anteil der ULTRAS an der Bevölkerung wächst. Nun haben diese ULTRAS eine eigene Website geschrieben, man ist ja modern, in der Frauen und bestimmte Bilder nicht vorkommen, dafür die Dogmatik der Sekte. Das Internet hilft hier nachprüfbare Information, vor allem auch über den Widerstand gegen die ULTRAS in Israel selbst zu erlangen, und zu sehen, worin der Protest besteht. Da geht es nicht nur um Meinungsfreiheit, sondern auch um das Verlangen, die Ultras sollen Wehrdienst leisten und nicht nur vom Schnorr leben.

JEDE Religion, zumal die monotheistischen Spielarten, hat ihre Orthodoxien. Die christliche kennen wir auch, sie ist bei uns nicht so zahlreich: aber was radikkal sich von OPUS DEI bis zum ENGELWERK absetzt, ist schon schlimm; und was der ISLAM bietet, vom IS zu den Salafisten und vielen Muslimbrüdern, ist auch nicht besser, im Gegenteil. Die Dialektik von Orthodoxie und allen Spielarten von Refoortmation ist der ewige Kampf zwischen der Religion und der säkularen Gesellschaft, auch ihrer Entwicklung.

Das Grundübel der Missinterpretation von Religionsfreiheit ist, dass sie nicht zwischen Glauben und Religion unterscheidet. Glaube ist unverfügbar, noch unter der Folter. Religion aber war und ist ein gesellschaftliches Ordnungssystem, das sich über andere zu erheben meint – Familie, Staat, Militär, die Verhaltencodes der Zivilisation – indem sie sich auf ein Transzendentes – „Gott“ beruft“, und der ist ja wirklich unverfügbar, also können die Religionsführer jede Art von Herrschaft aus der Interpretation des göttlichen Willens ziehen. Wenn sie die Macht dazu haben. Aber: siehe Bittner im nächsten Absatz. Da sei das Grundgesetz vor. So weit so schlecht. Man muss  der Religion strenge Zügel anlegen.

Womit ich wieder bei der Beschneidung bin. Anlass ist eine Kontroverse, bei der ein muslimischer Vater gegen den Willen der Mutter den gemeinsamen Sohn hat beschneiden lassen. Die Sache liegt zu Recht beim Gericht. Jochen Bittner hat einen gut recherchierten Artikel dazu geschrieben: „Beschneidung überdenken!“ (ZEIT 12, 13.3.2018, S.9 – zu Recht unter Poliitik und nicht im Feuilleton). Sein Schlusssatz ist wichtig und Richtig: Vor den Gesetzen der Logik muss sich religiöse Praxis nicht rechtfertigen. Vor dem Grundgesetz schon“.

Es geht dabei um drei Sachverhalte: um die nachweisliche und unbestreitbare Körperverletzung – der Zweck, das religiöse Ritual – macht sie nicht weniger verletzend; um die möglichen physischen und psychischen Folgen für das gesamte Leben des Kindes (erschreckend viele Folgen, die oft lebenslange physische und psychische Deformationen und Beziehungsprobleme nach sich ziehen); und das Selbstbestimmungsrecht des späteren Erwachsenen, der ja eine Beschneidung nicht rückgängig machen kann. Das ist nicht bei Bittner hinlänglich zusammengefasst, sondern vielfach kommentiert. Mir geht es um etwas anderes , zusätzlich und bedrückend:

Die orthodoxen Eltern können sich nur als „gute=richtige“ Muslime/Juden fühlen, wenn ihr Kind beschnitten ist. Das ist ein so ungeheuer schwachsinniger und blasphemischer Anspruch der Verfügung über einen anderen Menschen, dass er schon deshalb ausgeklinkt werden muss aus der Religionsfreiheit; wenn er das Ergebnis von Glauben, also Textinterpretation (was anderes ist Glaube ja meist nicht) ist, dann ist die Glaubensgemeinschaft etwas primitiv, aber so sei sie. Wenn aber die lebenslange Verstümmelung (weibliche Genitalien, Vorhaut) als Teil der Rechtgläubigkeit ausgegeben wird, entsteht eine Gegengesellschaft, die der solidarische, kollektive Rechtsstaat nicht dulden kann. Die kritische Antwort auf Bittner übrigens, in der ZEIT 13 und intensiv im Netz, sagt nur eines: Beschneidung hat mit dem Glaubenssubstrat des Judentums (und in später Nachfolge des Islams) nichts oder nur sehr wenig zu tun, abgesehen davon, dass sie IMMER umstritten war, auch bei religiösen Menschen und im heutigen Israel natürlich auch.

Deshalb bin ich gegen jede Orthodoxie (übrigens unterscheiden sich Religionsgemeinschaft hier kaum von autoritären politischen Bewegungen und Parteien). Wenn es die Orthodoxen so wollen, setz ich eine Kippa auf an bestimmten Orten oder bei bestimmten Gelegenheiten. Der Unterschied zur Körperverletzung ist hier evident. Man muss nicht auf allen Ebenen streiten.

Das peinliche an der Sache ist: die Unterwerfung der Glaubensfreiheit unter die Freiheit zur Ausübung praktisch jeder religiösen Praxis ist nicht das Ergebnis der Aufklärung, der Erklärung der Menschenrechte, sondern ihre Nivellierung. Keine Religionsgemeinschaft hat das Recht, in die Herrschaftsgefüge der demokratischen Republik einzugreifen.

Wer meint, den Körper eines Menschen verletzen zu müssen, um Gott – einem Gott – gefällig zu sein, hat eine sehr geringe Meinung von diesem.  Mit dem Argument ärgere ich die Orthodoxen; die Ultras aller Konfessionen aber muss man nicht ärgern, sondern mit dem Strafrecht verfolgen.

 

Tag von Potsdam, die Garnison der Unbelehrbaren – und Widerstand

Ich hatte schon mehrfach zur Garnisonkirche Potsdam geschrieben – und eigentlich wollte ich mit diesem Kriegerdenkmal nicht mehr auseinandersetzen. Es gibt wichtigeres zur Zeit: die Deportation von Flüchtlingen, die Verwerfungen mit Russland, Amerika, China, der Türkei und und…, die Armut vor der Haustür, die Lobbyarbeit der Ganoven in dne Vorständen der Autoindustrie etc.

Aber da die Stiftung und der Förderverein unbeirrt durch sachliche Argumente und durch Politik an ihrem Bauvorhaben der Wallfahrtskirche festhält, muss man immer wieder, ebenso unbeirrt,Widerstand leisten, auf allen Ebenen.

Vorgestern, am 21.3., war der –> Tag von Potsdam –> s.d. ausführlich im Internet, bei Matthias Grünzig, in der Potsdamer Presse. Teilweise mit guten, kritischen und nachdenkenswerten Veranstaltungen. Am Tag darauf veranstaltete eine kleine evangeische „Profilgemeinde“ ein Podiumsgespräch, zu dem ich auch eingeladen war. Eine kleine Gruppe, deren politische und weltanschauliche Affiliationen an diesem Tag nicht zu erkennen waren, hat über den Stand der im Bau befindlichen Wallfahrtskirche – naja, bisher wird nur der Turm gebaut –  diskutiert. Ich drucke hier meinen Beitrag mit einer Bemerkung: ich halte mich aus religiösen Diskursen meistens heraus, und hänge auch die jüdische Sicht auf die Dinge nicht wie eine Fahne raus. Aber hier geht es um das Grundprinzip der Versöhnung, die durch die Kirchenbaumeister verhöhnt wird. Und da fängt man am besten mit der jüdischen Tradition an, und mit der jüdischen Auslegung (Philosophisch zB. mit Levinas, politisch mit Hannah Arendt). Potsdam wird für immer durch den Handschlag von Hitler und Hindenburg auch gekennzeichnet sein, und dieses AUCH ist es, was uns zu Politik zwingt.

GARNISONKIRCHE DER NATION – GESEGNETE KRIEGE VOR 1933

Veranstaltung zum Tag von Potsdam

Altes Rathaus, 22.3.2018

DIESE ART VON VERSÖHNUNG LEHNE ICH AB

Ich nehme an dieser Veranstaltung teil, weil ich vehement gegen den Neubau des Turms der ehemaligen Garnisonkirche bin. Ich bin der Einladung zu diesem Podium gerne gefolgt, habe aber weder mit den anderen beteiligten Personen oder Vereinen je Verbindungen gehabt, werde also Neues erfahren, lernen, vielleicht auch Dissens haben. Mit der Profilgemeinde bin ich durch  Frau Pastorin Rugenstein und Frau Paul vertraut, gehöre der Gemeinde aber als jüdischer Deutscher nicht an. Von Frau Rugensteins ziviler Courage bin ich beeindruckt und überzeugt, ebenso wie von den Veranstaltern.

*

Dies soll eine Gedenkveranstaltung zum Tag von Potsdam sein. Gedenken hat meist einen pathetischen oder erhabenen Beigeschmack. Es ist tatsächlich nicht wichtig, wie sich der Tagesablauf dieses schrecklichen Tages abgespielt hat, im historischen Gedächtnis nicht nur unseres Landes ist er mit Potsdam und der Garnisonkirche dauerhaft verbunden, und seine Bedeutung ist natürlich nicht im Händedruck des Generals mit dem Diktator begrenzt, sondern in dem von beiden davor und erst recht danach produzierten Schrecken und Verbrechen. Das Bauwerk kann nichts dafür, oder vielleicht doch, aber die Garnisonkirche, die es ja nicht mehr gibt, ersteht bei jeder Erwähnung, jedem Gedenken an den Tag von Potsdam neu und immer wieder. Ohne diesen Tag könnte man noch immer streiten, ob die Hinzufügung einer weiteren Kulisse der Kulissenstadt Potsdam gut täte, aber dazu will ich mich heute nicht äußern; ebenso wenig zu den städtebaulichen und touristischen Erwägungen, obwohl die sehr einseitig sind und oft die soziale und kulturelle Situation der Innenstadt verzerren.

Martin Sabrow bringt vieles auf den Punkt: „Allerdings habe sich in den Tagen danach gezeigt, „dass am Ende die Nazis den Nutzen auch aus einer zunächst verunglückt wirkenden Veranstaltung zogen – weil die Bewegung, die sie trug, ihre Stärke und Begeisterung nicht aus inszenierter Verführung zog, sondern aus einer nationalistischen Erlösungshoffnung“, sagt Sabrow. Schon 1934 wurden Gedenkmünzen für den „Tag von Potsdam“ geprägt, auf denen die Garnisonkirche abgebildet ist.

Das Foto vom Händedruck, das der US-amerikanische Journalist Theo Eisenhart für die New York Times anfertigte, sei indes erst nach 1945 zum Symbolbild für den „Tag von Potsdam“ geworden – weil auf dem Bild die an jenem Tag jubelnden Massen und alle damit verbundenen Fragen zu eigener Mitverantwortung oder Schuld ausgeblendet werden, so Sabrows These“. (PNN 20.3.2018)

 

Ich konzentriere mich auf einen Absatz aus dem Programm der Stiftung Garnisonkirche.

Zweck und Ziel der gegründeten Stiftung ist der Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche als Kultur- und Baudenkmal. – Wenn das der Zweck ist, muss alles, was danach kommt, als Ornament gelten. Die wieder gewonnene Garnisonkirche …– wie wurde sie verloren, wem ist sie verloren gegangen, und wer setzt sich als legitimer Erbe ein? Sie soll zukünftig als offene Stadtkirche, als Symbolkirche und als Schule des Gewissens genutzt werden – also ein Gotteshaus. Zu diesem Gott komme ich noch, und stelle schon hier fest, dass ich mit dem Gott dieser Kirche als jüdischer Deutscher nichts zu tun haben will. Dann aber der unerträgliche Satz: „Es geht um die Heilung der offenen Wunde im Stadtbild Potsdams und um den christlichen Auftrag, Botschafter der Versöhnung an Christi statt zu sein.“

Ich bin Wissenschaftler, jüdischer Deutscher und Österreicher, Potsdamer seit 12 Jahren. Bei diesen Zeilen lese ich Verhöhnung, nicht Versöhnung. Sich an Stelle des eigenen Gottes zu setzen und dann Fakten statt Versöhnung zu schaffen, ist Blasphemie. Das sollen die Christen untereinander ausmachen, es trifft jenseits der Religion.

Aber ich frage mich: wer ist legitimiert, Versöhnung anzubieten? Wem gilt das Angebot? Und wie kann es realisiert werden? Große Worte sagen wenig. So wenig, wie die sozialistischen Friedenskonferenzen dem Frieden gedient hatten, so wenig dient die Stiftungsprogrammatik der Versöhnung. Ich weise das Angebot zurück, es kommt mir vor wie ein marktliberales Bündnis von reichen Spendern und ideologisch geschichtslosen Demagogen.

Nun aber zur Versöhnung. Was bedeutet das eigentlich, wenn wir von der Alltagsformel einmal ausgehen: vertragen wir uns wieder? Nach einem Streit, oder einer kontroversen Entscheidung. Doch ja, wir vertragen uns, zwar sitzen die Nazis in unseren Parlamenten, aber die Demokratie in diesem Land ist ziemlich stabil, und Deutschland hat in der Tat aus der Geschichte gelernt – einiges zumindest.

Wir müssen davon ausgehen, dass sowohl theologische als auch wissenschaftliche Auslegungen des Begriffs davon ausgehen, dass Menschen sich mit den Umständen – mit ganz konkreten Umständen, versöhnen, sie also hinnehmen. Das ist nicht einfach, wenn man den Anlass zur Versöhnung als Erklärung nimmt: wenn einer Unrecht tut und dem andern wird Unrecht getan, was heißt dann: hinnehmen?

Erster wichtiger Hinweis: es geht nicht um Entschuldigung oder Verzeihung. Darauf können wir vielleicht noch eingehen.

Schon eher kommen wir dem Problem auf die Spur, wenn es um etwas geht, das nicht wieder gut zu machen ist, das nicht zu heilen ist[1]. Was wollen denn die Garnisonkirchenbaumeister wieder gut machen? Doch nicht einfach, dass alle Welt einen schönen Anblick, eine schöne Kulisse erhält (an die alte können sich kaum mehr Menschen erinnern)[2]. Wenn das ehemalige Reichsluftfahrtministerium, in der DDR Haus der Ministerien, heute Finanzministerium, nicht an Göring und die Nazi-Zeit erinnerte, wozu steht dann noch so da? Es könnte erhalten geblieben sein, um auch daran zu erinnern, wie man sich mit der Geschichte kritisch ausgesöhnt hatte. Aber hätte man das Gebäude nach 1945 oder nach 1989 in seiner alten Kubatur neu aufgebaut? Nochmals: es handelt sich nicht um Wiederaufbau, sondern den Neubau des Alten, und der wird auf absehbare Zeit, für uns Lebende auf ewig, mit dem Tag von Potsdam und Auschwitz verbunden sein. Was natürlich die preußischen Militaristen und die Anhänger der frühen Nazis nicht so vorausgesehen haben, aber doch so ähnlich, und zwar millionenfach. Wer bietet also Versöhnung an? Die Stiftung. Sie schafft Fakten, indem sie baut, und dann soll sich wer womit versöhnen, an Christi statt? Was hat der damit zu tun?

Ich werde hier nicht theologisch oder exegetisch. Aber schon die Tora und Maimonides und fast alle jüdischen Ethiker bis jetzt verlangen, dass der Versöhnung mit Gott die Versöhnung mit den Menschen vorausgehe[3]. Das ist nicht der Akt des Angebots, sondern der aktiven, solidarischen, kollektiven Praxis, an der mitwirken muss, wer einbezogen werden will. Für das nicht-erlöste Volk sind Buße und Leiden zwei Modi eines Wegs, der nicht schon vorgezeichnet ist. Wenn das Leiden in einem Gedenken instrumentalisiert wird, das einem ganz anderen Zweck dient, also zum Beispiel die städtebauliche Wunde zu schließen oder einen würdigen Gedenkort zu haben, dann ist das die Umkehrung der Möglichkeit von Versöhnung. Ich belasse es bei diesem Hinweis, meine aber, dass er diskutiert werden sollte, zumal so viele christliche Kleriker ja in diesem Konflikt kontrovers tätig sind.

*

Zunächst: ich bestreite der Stiftung das Recht, Versöhnung irgendjemand Anderem anzubieten außer sich selbst. Wenn sich die Herrschaften mit sich selbst versöhnen wollen, bleibt es hermetisch und die Wirklichkeit der gedenkwürdigen Vergangenheit wird zum Fakenews einer Wallfahrt in die schuldbeladene Vergangenheit zurück. Aber mir, uns, den Nachkommen der Naziopfer, den Widerständigen aller Diktaturen, Versöhnung anzubieten? Vielleicht, im Nachhinein, mit den Globkes und all denen, die neue Demokratie noch Jahrzehnte mit sich geschleppt hatte?[4] Natürlich intendieren das die wenigsten Mitglieder der Stiftung, aber warum machen die anderen mit? Ich habe eine einfache, aber erschreckende Formel. Der verstorbene Psychiater und Gelehrte Aron Bodenheimer, ein Freund und Lehrer, hat mit mir immer sich ausgetauscht über den Satz: „Nur wer vergessen will, darf sich erinnern“. Das bringt uns näher an die Versöhnung, weil das Wollen, etwas zu vergessen, das man nicht vergessen kann, der erste Schritt ist. Dazu schaffen Sie aber bereits das nicht überwindbare Bollwerk des neuen Turms, ob Sie da fromm oder klug sich erinnern werden, ist egal. Denn um sich erinnern zu dürfen, müssen Sie sagen, was Sie wirklich vergessen wollen: doch nicht die dutzendfach barocke Architektur, sondern den Tag von Potsdam. Es wäre besser, es hätte ihn nie gegeben, aber es hat ihn gegeben, und zwar so, wie er erinnert wird, denn so war er dann und so ist er im kulturellen Gedächtnis[5] unserer Gesellschaft. Für immer. Selbst wenn Sie sich mit sich selbst derart versöhnen wollen, was hat das mit uns zu tun? Warum sollen wir dafür zahlen, warum sollen wir uns diese Wallfahrtsstätte der Geschichtsvergessenheit anschauen? Sie kommen mir ein wenig vor wie die gerade aktuelle polnische Diskussion über Schuld und Mitschuld. Ich kenne einige Mitglieder ihrer Stiftung, ich unterstelle diesen nicht, dass sie die Täter mit sich selbst versöhnen wollen, weil sie keine Täter sind und diese auch nicht in Schutz nehmen wollen. Aber warum sind sie dann dabei, an diesem Versöhnungswerk mitzuwirken? Darum werden Sie von mir keine Anklage hören, aber Verweigerung gegenüber dem Versöhnungsangebot.

Ich nehme eine sehr klare Definition zum säkularen, existenziellen Ausgangspunkt:

„Versöhnung mit dem Andern ist zwar kein Scheinvorgang, denn sie gibt nicht vor, Unmögliches zu leisten – verspricht nicht die Entlastung des Andern. Das heißt, er stellt Gleichheit wieder her. Dadurch ist Versöhnung das genaue Gegenteil der Verzeihung, die Ungleichheit herstellt und spielt nicht eigene Unbelastetheit – aber dafür geschieht auch in der Versöhnung verzweifelt wenig: der sich Versöhnende lädt sich einfach die Last, die der Andere ohnehin trägt, freiwillig mit auf die Schultern.[6]

Dieser Satz, in seiner Konsequenz zu Ende gedacht heißt, dass „Wirklichkeit nicht in Möglichkeitzurückgedacht werden kann (H.A. ebenda, S. 6); und: dass ich der Taten fähig gewesen wäre, die die Fakten geschaffen haben, mit denen ich mich jetzt auseinandersetzen muss. Mit den Widerstandskämpfern gegen Hitler muss ich mich nicht versöhnen (lange genug haben sich Nachfolger der Täter geweigert, dies zu tun). Mit den Widerstandskämpfern gegen die DDR muss ich mich auch nicht versöhnen. Mit wem oder was dann? Ich sage es vorläufig und erstmals nur für mich: ich sollte mich mit denen versöhnen können, die mich auch mit ihrer Geschichte belasten, damit wir sie gemeinsam, solidarisch so bearbeiten, dass sie keine Rolle mehr spielt, wenn wir sie künftig erinnern.  Vorher müssen wir ihrer gedenken. Gar nicht so einfach, wenn man Hitler und Hindenburg und eine Kirche zusammenbinden möchte.

Aber nehmen wir zu Gunsten der Stiftung an, sie suche Versöhnung unter Gleichen. Nehmen wir an, Sie, Stiftung und Förderer, suchen weder Verzeihung, weil Sie sich tatsächlich an die Stelle der Täter setzten, was die Opfer und ihre Nachkommen zur Richtern machte; noch suchen Sie Rehabilitation all derer, die im Preußen und in den Tagen vor 1933 auch das Gute sehen wollen, klar sehend, wohin es geführt und was es nicht geändert hatte. Wie machen Sie uns gleich, wenn wir bereits täglich diesen Turm sehen, der ja nur die Eitelkeit der Stifter und die Selbstreinigung der Anbieter repräsentiert, aber auch in einer Ausstellung oder tausend Traktaten den Umgang mit dem Tag von Potsdam nichts aus dem Subtext an die Öffentlichkeit bringt.

Hannah Arendt macht es uns da schwerer und leichter zugleich. Sie meint, richtig handeln könne man nur bei gegenseitigem Verzeihen, „das in der Politik Versöhnung heißt“ (303f.). Das widerspricht nicht dem oben Gesagten. Das „gegenseitige Verzeihen“ ist ja gar nicht angedacht im Schaffen von harten Fakten aus Gips und Beton. Die Ungleichheit bleibt.

Nun werden Sie fragen, ob diese lächerliche Kirche, eingezwängt zwischen mäßig hässlichen Plattenbauten, die Diskussion lohnt. Auch anderswo sind urbane Wunden eher schlecht als gut bepflastert, wie am Eingang der Humboldtstraße in Potsdam oder beim Berliner Stadtschloss. Die Debatte muss aber bleiben, sie muss wachsen, und sie ist ja schon aus Potsdam hinausgegangen, nach Europa und in die Welt. Die New York Times und Le Monde sind ein Anfang, und es wird mehr werden.  Denkende Medien sind mehrheitlich der Auffassung, dass dieses Denkmal mehr spalten wird als einigen.

Denn da war der Tag von Potsdam, der keinen Abend kennt. Der Historiker Kellerhoff hat gestern (21.3.2018) dargestellt, wie die Menschen, die Parteimitglieder, 1933 Politik machen konnten, indem sie die Partei unterstützten, wo die Funktionäre allein keine Erfolge hätten haben können. Bevlkerug, gerade nicht das Volk, von dem das Recht ausgeht. Aufmarschiert waren auch die Veteranen aus den deutschen Angriffskriegen davor, Deutschland hatte schon damals eine fatale Neigung zur Kontinuität seiner Selbstvorstellung.

Primo Levi, Auschwitzüberlebender, Journalist, Chemiker und Suizidär, schreibt 1960, was heute noch gilt:

Es ist schwer, das Herz eines Volkes abzuhorchen. Wer heute nach Deutschland reist, scheint dort Verhältnisse anzutreffen, wie man sie überall antrifft: wachsenden Wohlstand, friedliebende Menschen, kleine und große Intrigen, kaum Aufruhrstimmung…und doch liegt etwas in der Luft, das man anderswo nicht findet. Wer ihnen die schrecklichen Tatsachen der jüngeren Geschichte vorhält, trifft ganz selten auf Reue oder auch nur auf kritisches Bewußtsein. Sehr viel häufiger begegnet er unschlüssigen Reaktionen, in die hinein sich Schuldgefühle, Revanchegelüste und eine hartnäckige und anmaßende Ignoranz vermengen[7].

Diese Ignoranz sehe ich auch im Versöhnungsangebot im Kontext des Stiftungsprogramms. Das „Kultur- und Baudenkmal“ steht an erster Stelle, und die „offene Wunde im Stadtbild“.

Was mich als Potsdamer noch irritiert ist der Hinweis ehrenwerter Bewohner, wie sehr sich die Einwohner der Stadt über die Sprengung der Überreste der beschädigten Kirche gekränkt hätten. Nicht, dass ich diese Sprengung guthieße, sie war dumm und unmoralisch. Aber wenn es keine anderen Gründe gegeben hätte, sich über das Regime zu ärgern oder sich kulturell zu kränken, dann muss es eine glückliche Zeit gewesen sein.

Zurück und zum Abschluss: Versöhnung kann nicht angeboten werden. Sie muss ausgehandelt werden, im öffentlichen Raum und ohne Vorbedingungen. Wenn erst einmal das Kriegerdenkmal Garnisonkirche, einem seltsamen Gott geweiht, wieder steht, ist diese Bedingung unerfüllbar. Ja, ich spreche von einem Kriegerdenkmal unseliger deutscher Angriffskriege. Heute früh, im Deutschlandfunk, gab es einen Bericht über Hadamar, dem Vergasungszentrum für Opfer der Euthanasieprogramme der Nazis. Dort, in Nordhessen, steht auch ein Kriegerdenkmal im Zentrum des Ortes, und kein Hinweis auf die Gedenkstätte, an die Opfer.

Wer diesen Turm, er wird ja kein Gotteshaus, denn da gibt es keinen Gott, der diese Art von Gedenken annehmen könnte, wer also diesen Turm aufbaut, baut keine „Kultur des Friedens“. Und wie man Versöhnung lebt, erkläre mir jemand, der nur mit sich selbst versöhnt ist.

 

Anmerkungen:

[1] Emanuel Levinas: Vom Sakralen zum Heiligen, Fünf neue Talmud-Lesungen. Frankfurt 1998: Neue Kritik. Traktat Baba Kama, S. 60a-60b (150ff.): hier geht um die Verantwortung dessen, der das vernichtende Feuer gelegt hat, und dass „Gerechte und Frevler“ gleichermaßen vernichtet werden, in der Gemara dazu steht der wichtige Satz „Die Guten werden hinweggerafft, ehe das Unglück hereinbricht (Jes.57,1). Levinas geht auf das Problem des „Wiederaufbaus“ sehr scharf ein, und verbindet die Zahlung der Kriegsverbrecher mit dem Wiederaufbau Zions.

[2] Vgl. Birgit Seemann: Potsdam – Die schöne Unbekannte. In: Eisenhuth/Sabrow: Schattenorte. Göttingen 2017: Wallstein, S. 174ff.

[3] Vgl. Die vielen Interpretationen, die auf Lev. 16, 29ff. zurückgehen; Emmanuel Levinas: Schwierige Freiheit, Frankfurt 1992: Suhrkamp, v.a. 70-80; ders.: Vier Talmud-Lesungen. Frankfurt 1993: Neue Kritik, 23-55, betr. Joma 85a-85b. Das ist harte Kost, als Levinas u.a. erklärt u.a. „Wir haben dafür nicht auf die Evangelien gewartet“ (52). Der Kontext ist hier, indirekt, die Verantwortung der Nachkommen für die „Fehler“ der Eltern, wenn ein „Fremder Unrecht erleidet“.

[4] Schauen Sie die ZDF-Fernsehserie Ku’damm 59. Wie lange hat die NS-Zeit ins bürgerliche Leben noch als Vorbild oder wenigstens als Bestimmung nachgewirkt?

[5] Vgl. Aleida Assmann: Erinnerungsräume. München 2006: Beck. U.v.m. mit ihrem Mann Jan Assmann

[6] Hannah Arendt: Denktagebücher, Bd. I. München 2003: Piper. S. 4. Dazu auch die folgenden Seiten, über politische und christliche Versöhnung.

[7] Primo Levi: Der Kommandant von Auschwitz. 23.12.1960. In: Die dritte Seite. Frankfurt 1992: Stroemfeld, S.13

Seehofer, Dobrindt & Co: Fremdgänger

Fremdgehen ist ein seltsames Wort. Was es bedeutet, wissen die meisten umgangssprachlich geschulten Menschen, vor allem, wenn sie auf die sexuelle Untreue von anderen verweisen. Das Internet bietet Zugangswege zu einfacherem Fremdgehen an, wie „seriös“ oder „diskret“ Fremdgehen, und eigentlich  geht es um Erleichterung des Abweichens von der angeblich geltenden Norm. Bei Erleichterung fallen einem sofort weitere Assoziationen ein, einschließlich der physischen Erleichterung, beim Fremdgehpartner nicht bleiben zu müssen…

Ich aber behalte den Wortsinn im Auge und wende mich von diesem Spezialfall ab, um eine allgemeine Fremdgang-Theorie ins Auge zunehmen. Man geht ja nicht eigentlich in die Fremde, sondern in die moralische und – wichtiger noch – in die politische Irre.

Beim Fremdschämen schämt man sich für andere, die Unsinn oder Gefährliches tun. Beim Fremdgehen beobachtet man, wie jemand unsinnig oder gefährlich Wege einschlägt, die er oder sie besser vermeidet. Dazu ist es sinnvoll, sich das Gelände anzusehen, in das Fremdgänger, ich bleibe einmal bei ein paar Männern, stolpern oder eifrig einsteigen.

Seehofer, Dobrindt, und noch etliche andere im Umfeld der neuen GroKo sind Fremdgänger im Gelände der Demokratie. Machen Sie eine Textprobe: worin unterscheiden sich die Tiraden der Genannten von AfD-Rhetorik? In welchem Kontext bewegen sie sich NOCH oder SCHON auf dem Gelände von Demokratie? Die Grundüberzeugung dieser Herrn ist, dass man aufgrund der Meinungsfreiheit sagen kann und daher doch noch sagen darf, was man selbst meint – und damit um die Zustimmung und vielleicht Gefolgschaft von anderen werben kann. Aber was meint der Seehofer, wenn der Islam nicht zu Deutschland gehört? (dass ihn die Kanzlerin korrigiert, und dass sie sogar an das Christliche das Jüdische angehängt hat, ist wichtiger als es scheint, aber hat das der Seehofer und gleich danach der Dobrindt verstanden?). Was heißt: das Christentum gehört zu Europa? Zu Deutschland? Historisch kommt es in manche Gegenden spät, und häufig setzt es sich durch, indem es jüdische und muslimische Menschen vertrieben, verfolgt, getötet und unterdrückt hatte. „Gott will es“, hieß das lange, und die Inquisition hat das bis fast in die Gegenwart fortgesetzt. Je christlicher, desto zugehöriger? Stimmt demographisch natürlich nicht, denn natürlich steigt die absolute Zahl derjenigen, die sich vom Christentum abwenden oder nicht dazugehören, mit dem hohen Anteil derjenigen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt formal dazugehört haben. Eine schwierige Denkaufgabe: im Mittelalter kann man verfolgen, wie sich die Verhältnisse umgekehrt haben: Europa gehörte zum Christentum, und dann zu mehreren Christentümern, und dann gehörten diese (katholisch, protestantisch, orthodox, fusioniert & gespalten etc.) zu Europa, hatten dort ihre Plätze und Kontroversen und metzelten sich auch einmal gegenseitig nieder. Bis auf einige Regionen (Spanien, Portugal) gehörte Europa nie so richtig zum Islam, und auch dort fand die Umkehrung statt. Warum also provozieren der bairische Senior und sein Trabant an dieser Front, in der sie sich weder historisch noch politisch auskennen?  Weil sie meinen, die kleinen Leute – auch so eine Frechheit aus der bairischen Gosse – würden dann leichter dem Islam die Schuld an ihrer Dumpfheit und Ausgegrenztheit geben (früher waren die Juden an allem schuld, jetzt zur Abwechslung die Muslime, und die Agnostiker werden es auch noch spüren). Dieses Terrain ist vermint, glitschig und, mit Verlaub, unappetitlich. Denn es behindert vor allem konservative und weniger aufgeklärte Demokraten. Wenn der Islam nicht zu uns gehört, wo gehört er denn hin? „Cuius regio, eius religio“, das Ergebnis der Reformation globalisiert: Muslime in die Türkei? Christen nach Polen?

Seehofer: ja, wenn das so ist, wohin sollen wir denn die Bayern schicken?

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Diese Regierungsmitglieder verdienen eigentlich keinen Essay. Aber in Seehofers Attacke steckt leider mehr. Sinngemäß sagte er, die Muslime, die hier sind, gehören schon zu uns, aber nicht der Islam. Fehler # 1: die Menschen, die er meint, sind doch nicht nur durch ihre Religionszugehörigkeit definiert, sondern durch Beziehungen, Meinungen, Vorlieben, Abneigungen, Verkehrsformen etc. Religion ist ein Merkmal von vielen. (Ist denn Seehofer vor allem Christ? Von seinem Lebenswandel und seinen Aussprüchen könnte man doch sehr viel mehr Eigenschaften ablesen). Nun trifft seehofer ungewollt einen heiklen Punkt: Ditib und andere Religionspolitiker leiten ganze Persönlichkeiten aus de r Religionszugehörigkeit ab, sie erkennen die Trennung von Kirche und Staat so wenig an wie die Christen früher, als sie noch die Mehrheit hatten. Hätte Seehofer das gemeint, dann hätte er nicht auf die christlichen Fundamente Deutschlands verweisen müssen, sondern auf die Vielfalt der Bedingungen zivilisierten Zusammenlebens, bei den das Christentum eine, sagen wir: erhebliche, Rolle spielt. Fehler #2: Seehofer bringt das Thema genau dann ins Spiel, als sich parlamentarisch und im öffentlichen Diskurs zu sortieren beginnt, warum man die Nazis von der AfD und andere Rechtsradikale nicht nur kritisieren, sondern auch bekämpfen muss. Aus der CSU hört man, dass man die AfD-Wähler zurückgewinnen möchte. Womit denn? Stimmenkauf ist schwierig, Rechtsstaat und Sozialsystem sind (noch) unverfügbar für diese Leute und die CSU ist natürlich eher auf Demokraten angewiesen als die AfD. Dann geht man halt fremd, aufs Terrain der AfD und lockt Menschen, wenn nicht mit Brot und Spielen, so doch mit einem anderen Terrain, dessen Karte man noch zeichnen muss. Seehofer hält sich als Heimatler dazu für befugt zu sagen wer hierher gehört und was nicht hierher gehört. Darin liegt die Gefahr, und nicht dass er und seine Kumpanen sich beim Fremdgehen in ein undemokratisches Land verirren möchten.

Nachsatz: es gibt auch andere in den Volksparteien und seltener bei Linken und FDP, die so daherreden. In diesen Tagen bieten sich nur wenige von ihnen an, sie müssen sich erst sortieren.

*

Die allgemeine Fremdgeh-Theorie lautet: wenn man sich aus einer Machtposition heraus in die Neuordnung der Diskurse begibt – Wir vs. Sie, Heimat vs. Fremde, Zugehörigkeit vs. —ja, was? nicht dazugehören? , dann betritt man illegitimes Gelände. Sezt man sich dort fest, erscheint das oft als legitim (wie Gauland von der AfD sofort, festzustellen beliebte). Dann braucht man nicht um Zustimmung zu werben, sondern verlangt nur Anerkennung des Tatsächlichen…Mich beschäftigt das seit langem. Wenn es eine deutsche Identität gäbe, wäre sie deutsch und nicht christlich. Haben alle Menschen mehrere Identitäten, dann werden die in der zivilen Gesellschaft zivilisiert weiterentwickelt und verbunden und in der unizivilisierten dogmatisiert und diktiert.

Und Merkel hat, bedacht hoffe ich, etwas wichtiges gesagt: christlich-jüdisch geprägt seien wir, sagte sie. Wieso jüdisch? 4,5 Millionen Muslime sind ein Argument, 100.000 jüdische Menschen vielleicht nur eine Minderheit. Aber sie sagt doch, dass, dass die jüdische Teilhabe an diesem Land, an diesem Europa die Identitäten mitgeprägt hätten bis jetzt noch weitere dazukommen.

Anderswo heißt das Evolution oder Fortschritt. In Bayern heißt das gar nichts.

 

Finis terrae XVIII: doch keine Ordnung

 

Ich bin nicht allein: die Zwanziger und Dreißiger sind wieder da, natürlich anders gewandet und nicht so wie wir ihre Bilder aufgehoben haben. Einen Tag von Potsdam, mit einem senilen Kriegshelden und einem verbrecherischen Diktator wird es SO heute nicht geben, aber wenn Trump den Kim trifft, schauen wir einmal, wie ähnlich sich die Bilder werden…

Hysterie war eigentlich die gesellschaftlich vermittelte Krankheit der Bourgeoisie vor 120 Jahren, nach der produktiven Syphilis und TBC, vor der Nervosität, vor ADHS, vor AIDS, vor Bulimie und Anorexie, und schließlich Asperger bei den Höchstbegabten…(alle, die an diesen Krankheiten wirklich leiden, bitte ich um Entschuldigung, hier geht es nicht um Herabwürdigung der Kranken, sondern gegen die Indienstnahme der Diskurse für eine bestimmte Politik.). Nun aber die neue Hysterie, wirklich gefährlich? Ja, wirklich gefährlich. Erkennbar nicht nur an großen Gesten (Ich hab den größeren ROTEN KNOPF, sagt Trump). Die HYSTERIE nach der Vergiftung des ehemaligen Doppelspions und seiner Tochter bewegt die Weltpolitik. Naive, meist linke Kritiker, meinen, hier würde das Rechtssystem greifen, mit Unschuldsvermutung und beweiskräftigen Urteilsgründen. So funktionieren Geheimdienste nicht, und so funktioniert die Macht nicht. Und es kann ja jeder wissen. Die Hysterie ist künstlich, sie ist induziert, damit der Anschein einer überzogenen Reaktion bleibt, an der sich dann reale Politik – neue Verhandlungen, Machtverschiebungen usw., manifestieren kann. Ganz ohne Verschwörungstheorie, war die Reaktion „des Westens“ so vorhersehbar für die Russen, wie die Unterstützung dieser hysterischen Reaktion für die Wiederwahl Putins.

Nach den Beschlüssen der EU und der NATO und der Reaktion Lavrovs bestätigt sich dies. An die Opfer denkt schon längst niemand mehr…

Anzeichen für den Dritten Krieg, der uns droht, und vielleicht schon im Gang ist?

Ja, aber er wird nicht wie Stalingrad oder My Lai – Jahrestag! Recherchiert einmal,  ob ihr es noch alle wisst – auf unsere Köpfe fallen. Klima und das Ausdünnen der solidarischen, konfliktfähigen, kritischen Kommunikation werden das ihre dazu beitragen, dass Frieden ein immer dünneres Wort wird, fast schon kein Begriff mehr.

*

Die Grundmelodie kennen meine Leser*innen zur Genüge. Daraus wird ein Buch, in dem auch ich täglich lese: finis terrae. Nach außen schaut es nicht so aus, alles wird ruhiger bei uns, weniger Flüchtlinge, beruhigte Börsen, langsam steigende Zinsen und brave Muslime in Seehofers Heimatgemeinde.

Nun aber in eine andere Richtung: Apokalypse ist meines nicht, eher die Eschatologie, die Ansehung der „letzten Dinge“, und die können ja im Finis terrae durchaus ihre Zeit haben, lang oder kurz. Gerade, weil Zeitprognosen schwierig und ergiebig sind, müssen und können wir handeln – wem das absurd erscheint, der findet keinen Trost darin, dass es anderen nicht absurd erscheint.

Ich habe eine sehr spontan verstärkte Anregung zu verarbeiten. Seit langem beschäftige ich mit der Unordnung (Stichwort : Aron Bodenheimer); nun verweist auch mein Freund und Kollege : Thomas Alkemeyer auf : Castoriadis und dessen „unordentliche Sicht“ auf die Gesellschaft, die uns hindern sollte, die Gesellschaft als eine Einheit und also ordentlich zu sehen. Wie das übrigens der ja positiv besetzte Begriff der Weltordnung beschreibt.

Aber der Reihe nach:

  • Seit Hegel und früher schwirrt die Maxime durch die Welt, sie sei kontingent, zufällig, müsse (und könne nur) als Ordnung gedacht werden. Damit kann man schon etwas anfangen, aber bedenken wir: Ordnungen müssen keineswegs „geordnet“ sein, sie können uns als das gerade Gegenteil erscheinen oder eben als Wirrwarr, Chaos oder in einem unendlichen Ordnungsprozess.
  • Die Ordnung jeder sozialen Gruppe, jeder Gemeinschaft, jeder Gesellschaft und ggar der Staaten und Staatengemeinschaften und der Weltgesellschaft beinhaltet immer ein „Außen“. (So, wie die dümmeren Bayern dauern von andern sagen, sie stellten sich „außerhalb der Gesellschaft“, was naturgemäß nicht möglich ist).
  • Weg von der Philosophie: Recht und Ordnung werden oft gemeinsam genannt, und da geht es nicht um die Ordnung als Struktur, sondern wie alles geordnet wird und wer es ordnet und wer weggeordnet wird (abgelegt im Gefängnis, im Archiv) und wer bleibt.
  • Dafür sorgen die neuen Diktatoren, wie die früheren dafür gesorgt haben.

Vorsicht: im diplomatischen oder auch nur ungeordnet öffentlichen Diskurs würde ich selbst Trump, Duterte; Orban, Erdögan oder Putin … nur im äußersten Fall Verbrecher oder Diktatoren nennen, weil das a) nicht befriedigt und b) nichts hilft, auch wenn sie Verbrecher und Diktatoren sind. Aber hier, im  instruktiven Blog, ist es wichtig zu sehen wie diese Herrscher ihre Macht realisieren, wie ihnen ihre Klientel hilft, die jeweiligen Gesellschaften zu ordnen und wer dabei verliert. Sagt nicht „alle“…

  • Sie eignen sich das Recht an (Putin, Kaczinski…), um dann die Ordnung zun definieren; oder sie ignorieren die Grundsätze des Rechts (Trump) um rassistisch, sexistisch eine Ordnung für die Zukunftslosen vorzutäuschen; oder sie nehmen das Recht in Anspruch, um schreckliche Verbrechen zu begehen (Duterte…), oder sie wollen ihre Herrschaft versöhnen mit der Abschaffung der Unordnung.

Darum geht es mir jetzt. UNORDNUNG SCHAFFT DAS POTENZIAL ZUR VERÄNDERUNG, ZUR REFORM. Sie IST dieses Potenzial.

Das bedeutet natürlich, dass es die angestrebten Ordnungen der VERSÖHNUNG  nicht gibt:

  • Die Versöhnung von Arbeit und Kapital
  • Die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie
  • Die Versöhnung von Diesseits und Jenseits (damit die Gläubigen unter meinen Leser*innen auf ihre Rechnung kommen).

WENN meine Aussagen über die begrenzten Chancen der Evolution, dass unsere Gattung überleben wird, zutreffen, dann ist es umso wichtiger, dass wir die Zeit bis dahin, als eine –> Time of useful consciousness, nutzen, um unser Leben lebbar zu erhalten und ggf. zu verbessern.

  • Was höre ich da: leere Worte? Jede gemeinnützige NRO, jeder Flüchtlingshilfeverein, jeder Widerstand gegen die Staatsgewalt, die eben nicht vom Volk ausgeht, es aber daran hindert, sie von ihm ausgehen zu lassen, sind Ordnungsmaßnahmen, zu denen wir uns nicht rufen lassen dürfen.
  • Das hat etwas mit der globalen Innenpolitik zu tun, also auch mit dem, was früher Außen und Sicherheitspolitik hieß, und das hat etwas mit den großen Staatsstrukturen zu tun: Rechtsstaat, Sozialstaat, Kulturstaat. Da kann man die Ruhe- und Ordnungsstifter, die Seehofers, Maizières, Spahns, und ihre Freunde in der AfD aufschrecken. Aber es hat auch etwas mit uns an der so genannten Basis zu tun, mit den autofreien Zonen, dem Boykott von Lohn- und Preisdumping Discountern, dem Verzicht auf unnötige Geschwindigkeiten bei Kommunikation und Handeln. (Keine Namen hier, weil sich die von Ort zu Ort ändern).

UND SONST SOLLEN WIR ANGESICHTS DES WELTUNTERGANGS NICHTS MACHEN? Nicht viel mehr.

Ich schreib das hier wahrlich nicht zum Vergnügen, wir ihr den nächsten Blogs ablesen könnt. Aber dass so viele Bevölkerungen in Europa – ja, im Europa der EU – den Nazis und Autoritären nachlaufen, sie ERST ERMÖGLICHEN, dass Putin und Erdögan wirklich Mehrheiten haben, wenn auch keine sehr großen, dass Trump der freiesten Republik der Vergangenheit seine dreckige ideologische Unterwäsche als Ersatz für Freiheit anbietet und durchaus in der Lage ist, den Ausbruch des Weltkriegs zu beschleunigen, dass….ihr wisst, die Liste ist endlos. Und wir sind keine Insel der Seligen (wie man einmal Österreich irrtümlich genannt hatte, und Deutschland, wo es noch keine Nazis in der Regierung gibt wie in Wien, hat auch schon seine Lautsprecher für die autoritäre Zukunft, mal christlich verbrämt, mal marktwirtschaftlich, mal heimatverbunden-bairisch….). Wir sind von Unseresgleichen umgeben. Nicht alle müssen sich in die gleiche Richtung entwickeln, aber fast überall, auch bei uns, wird aus der Vergangenheit hervorgeholt, was uns die Zukunft verbaut, und damit finis terrae näher rücken lässt.

Unsere Gesellschaft sollte erst Gesellschaft werden, immer wieder eine freie undrepublikanische, mit öffentlichem Raum und Demokratie. Deshalb darf man der gewissen Ordnung nicht oder nur unter widerständigen Vorbehalten folgen. Also Politik.

 

 

Linke Heimat

Linke Heimat gibt es nicht. Für die folgenden Überlegungen gelten für mich einige Regeln:

  • Die Rechts-links Koordinate ist außer Kraft, sinnlos, nichts-sagend
  • Die öffentliche Erörterung des Heimatthemas ist erstaunlich vielfältig und oft auch erhellend, aufklärend und irreführend. Ich werde dem nicht einen Metakommentar hinzufügen
  • Begriff und Kontext sind für mich seit vielen Jahren (Jahrzehnten?) ein bestimmendes Thema
  • Heimatlosigkeit und Kosmopolitismus sind ein Paar, und gerade deshalb nicht identisch

Warum hänge ich mich jetzt, am quantitativen Höhepunkt des Themas, an den Begriff?

Weil mir viele Aspekte zweifelhaft und viele Dimensionen fehlend erscheinen. Weil ich fürchte, dass viele auch kritische Kommentatoren nicht bereit sind, den Ernst der Lage – global, hier in Deutschland, vor Ort im kleinsten lokalen Detail – wirklich zu begreifen, d.h. sich auf diesen Ernst einzustellen. „Heimat“ verhält sich zur Gesellschaft, wie der „Glaube“ zur Religion. Die beiden hängen eng mit einander zusammen, sind aber weder identisch noch beliebig aus einander ableitbar.

  1. Der Heimatbegriff konkurriert mit vielen anderen, nächstliegenden Begriffen: Vaterland, Mutterland, oft auch Nation, und seltener vermittelt, „Zuhause“. Die jeweilige Geschichte dieser Begriffe muss historisch – meist aus der frühen oder späten Nationsbildung her rekonstruiert werden und ist kein ursprünglicher, „primordialer“ Begriff unserer Sprachbildung seit jeher.
  • Patria, das Vaterland, kommt von „Vater“ und setzt oft Heimat mit Herkunftsort gleich, aber auch der Patriot(ismus) stammt daher, die Loyalität zur … Nation, zum Staat, zur Volksgruppe (Ethnie), seltener zur Religionsgemeinschaft, und ost nicht reflektiert in der Ambivalenz von Ethnos und Demos (wie z.B. ganz aktuell in Russland und den USA – einmal die „Russen“, einmal die „Whites“).
  • der à Bund Heimattreuer Jugend im Nachkrieg von Deutschland und Österreich ist eine späte NS Organisation, wobei sich seine Qualität aus dem Begriff „treu“ und nicht von Heimat ableitet. Dafür gibt es viele Beispiele bei AfD, Pegida, FPÖ… und bei ganz und gar nicht rechten Befürwortern einer Leitkultur. Treue zu einer realen Vergangenheit: Naziterror, Sowjetmacht, Weltherrschaft (Briten, Römer…) oder zu einer imaginierten (Ewig siegreich, ewig Opfer, ewig überlegen, ewig Trash….).
  • Speziell Deutsch ist der Heimatbegriff durch die verspätete Nationsbildung geworden und sehr stark über Sprache (= verengt „Kultur“) vermittelt. Beispiele für Heimat als den Ort, wo man die Muttersprache spricht, gibt es viele, auch aus neuester Zeit, z.B. beim serbischen Anspruch auf die Krajna oder die neuen Südtiroldebatten).

Schluss der Belehrung. Vieles spricht dafür, dass der Begriff stark mit der von Ernst Bloch beschriebenen Ungleichzeitigkeit von Zukunftsphantasien und Vergangenheitmythisierung zu tun hat (à einfach: https://de.wikipedia.org/wiki/Ungleichzeitigkeit;genau Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit, 1935. Vgl. dazu die Schriften von Burghart Schmidt, Michael Daxner, oder, zitatenreich: den Bloch-Blog von Welf Schroeter).

Gefährlich wird Heimat, wenn sie juridifiziert, dogmatisiert, vergöttlicht wird (Idiotie eingeschlossen: Patria o muerte…in allen Sprachen).

2.

Mein Heimat-Begriff ist in der Tat von Ernst Bloch geprägt: „Die  Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfaßt und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat“ (Das Prinzip Hoffnung, Bd. 3, Frankfurt 1959/1968, S. 1628). Das ist der Abschluss eines grandiosen philosophischen Werks, aber auch ein doppelter Hinweis: auf die reale Demokratie und auf die Kindheit. Will sagen: Heimat entsteht durch die reale Demokratie, und hier kommt das Volk ins Spiel, das sich demokratisch aus der Bevölkerung konstituiert: eine Bevölkerung für sich hat noch keine Heimat. Und Kindheit: da gibt es doch die Erinnerung – in manchen Diskussionen klug benutzt: Erinnerung an ein Zuhause, das die Bilder und Vergleiche mit allen späteren menschlichen und lokalen Landschaften prägt. Beides fehlt mir oft in den vielen klugen Aufsätzen und Kritiken zum Thema Heimat.

3.

In den liberalen Medien wird Heimat häufig in Zusammenhang mit Identität, mit Zugehörigkeit verbunden und dann oft zutreffend so beschrieben, wie diese Heimat an Kontur, an „Mitte“, an Zentrum versus Peripherie verliert. Das ist aber eben nur ein Teil der Heimat.

In unserer Studie zum Afghanistankrieg und seiner Rezeption in Deutschland (Heimatdiskurs, mit Hannah Neumann, Transcript 2012) weisen wir auf Spezifika des deutschen Heimatdiskurses ebenso hin wie die neue Wendung im angelsächsischen Begriff der Homeland-Politik. Homeland ist nicht ein das Vaterland, das es zu schützen und zu verteidigen gilt (vor wem? Gegen wen?), sondern auch die Zuweisung von Lokalität an eine beherrschte Gruppe – eng verwandt dem Konzentrationsbegriff, den die Briten wohl erstmals gebraucht hatten, die Nazis in ihren Konzentrationslagern aufs Schrecklichste verwirklichten, und die Nazipartei FPÖ in Österreich für Flüchtlinge anwenden will. Darum geht es mir nämlich auch: die Beherrschten und die Herrschenden, wir und sie, die Eigenen und die Fremden…Und da fehlt mir in vielen der liberalen Analysen das Gegenstück, der entgrenzte, aber keinesfalls konturlose kosmopolitische Ansatz, dass Heimat einerseits das erinnerte Zuhause und andererseits der ortlose Zustand ist.

Von der Versuchung, sich selbst der Heimat zu bemächtigen, sind linke und grüne Politiker nicht frei, weil sie der Rechten ein Gegenstück servieren wollen. Das geht aber nicht. Denn weder der Austausch blödsinniger Werte und Tugenden der rechten Leitkultur eines de Maizière durch bessere und sinnvollere schafft Heimat: er schafft bestenfalls Programme; noch die Formulierung eines emotionalen und rationalen Behältnisses für Staatsbüger*innen, wo diese sich zuhause fühlen können, um von dort aus das Hier und Dort, das Eigene und das Fremde definieren zu können. So wie die bayrische Herdprämie Käfighaltung von Müttern bedeutet, so ist ein nicht-rechter Heimatbegriff nur ein Placebo für nicht verwirklichte Demokratie, für den nicht in Anspruch genommenen, d.h. politikzugängliichen, öffentlichen Raum, für das richtige Leben im falschen….

Ich bin nicht dort zuhause, wo man deutsch spricht, ich fühle mich nicht dort zuhause, weil man deutsch spricht. Ich fühle mich auch noch nicht dort zuhause wo ich eine andere Kultur verstehe. Zuhause bin ich, wenn ich Differenzen der verschiedenen Kulturen, Sprachen, Kontexte verstehe und auf mich selbst rück-projizieren kann, also z.B. meine Kindheit s.o. auf das hin aufrufen, was aus mir geworden ist und warum.

Heimatverlust ist nicht Vertriebenwerden. (o ihr Schlesier und Sudeten und Preußen…aus den geraubten Gebieten vertrieben werden und gar durch artfremde und nicht deutschblütige Andere. Ich weiß, wie kompliziert das ist, aber wenn die Schlesier sich im Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten nach 1945 gesammelt hatten, durfte man nicht aufrufen, dass der böse alte Fritz im 18. Jhdt. Schlesien den Österreichern nicht viel anders geraubt hatte als Putin die Krim, nur in einem aufwändigeren Krieg….ach, das ist lange her? Wenn der Nazi Höcke Rassenkunde betriebt, dann meint er das nicht exterministisch…ach, das verstünde sich in der Demokratie von selbst, und schließlich würde die AfD ja das Grundgesetz achten, zugleich mit Pegida…Es ist ein Irrtum, links wie rechts, zu glauben, dass Heimat dadurch saniert würde, dass sie in der Demokratie stattfinde, und es nicht darauf ankomme, was an Demokratie, Rechtsstaat, Menschenwürde und Menschenrechten man selbst ernst nähme. Links, hält man oft die Demokratie auch schon für gegeben und zieht sich gutmeinend aus ihrer ständigen Kritik zurück, sie in der Form, die es jetzt gibt, in Frage zu stellen.

Flüchtlinge wollen und können sich eine Heimat schaffen, bei uns, wenn sie an dieser Demokratie mitarbeiten. Dann sind sie wie unsereiner. Ist es zu weit gegriffen, wenn ich zweimal die hebräische Bibel zitiere: „Seht, der Mensch ist geworden wie unsereiner, er kann gut und böse unterscheiden“ (Gen.3:22)? Hegel meinte schon, das sei, weil der Mensch denken kann, wir gehen da noch weiter, aber sei es drum: Demokratie wird erst verwirklicht sein, wenn wir das unterscheiden wirklich folgenreich in allen Dimensionen können…dazu fehlen überall Meinungsfreiheit, Konfliktkultur, Ambiguitätstoleranz etc. – mit andern Worten, wir sind noch nicht so weit, deshalb kennen wir die eine Seite der Heimat besser als die, wo noch niemand war. Und die andere Heimat, das gute Leben auf Erden, wo eben Wolf und Lamm zusammenleben (Jesaja 11 und 65): das ist heimtückisch, weil es auf die höhere Macht verzichten muss, die die Wölfe keinen Hunger auf Lammkotelett zu haben anweist, und das Lamm soll anderen gut schmecken als seinen Feinden…Dazu bedarf es keines Wunders, sondern der Politik.

5.

Heimat ist kein schlechter Begriff. Auch kein guter. Er ist, wie alle wichtigen Begriffe, kontextabhängig und bedarf einer gesellschaftlichen Beziehung.

Ich war einmal ein paar Jahre Mitglied der österreichischen Pfadfinder. Da gab es viel abwegiges Liedgut, zusammengewürfelt aus Wandervogel, Jugendbünden, auch aus faschistischer und manchmal sozialdemokratischer Quelle. Hier nicht so wichtig, weil man das dekonstruieren kann. Es gab da ein Lied: „Drum immer höher, immer weiter, wir sind schon viel zu lange hier, es bleibt die Sehnsucht uns Begleiter, und alle Welt ist uns Quartier“. Höher und weiter ist geographisch, nicht olympionikisch gemeint. Weiter…das kann man auch mit Schuberts Winterreise verbinden, weiter…man muss (aus)wandern, man kann nicht bleiben (obwohl, vielleicht weil, es wie Heimat ausschaut?). Sehnsucht…ersetzt das Wort einmal durch Zukunft und geht zu Bloch zurück: zur Erbschaft dieser Zeit und zum zitierten letzten Satz aus dem Prinzip Hoffnung. Das „es“ bildet den Kontext, und wenn die Zukunft nicht besser werden kann als das Jetzt der Erinnerung, bleibt Heimat eine Chimäre.

6.

Allenthalben betreibt die Kultur einen riesigen Aufwand, die „Gereiztheit“ literarisch zu verarbeiten (Weidermann), das Ungenügen an der Gegenwart zu erklären („abgehängt“ und „ausgegrenzt“, unbeheimatet, fremd im eigenen Land…). Ich kanns nicht mehr hören und lesen. Man fühlt sich fern der Heimat und die liegt in der Vergangenheit? Alle Welt ist uns Quartier, weil sie es muss, nicht weil wir es wollen. Das gilt für die Essener Tafel so gut wie für die Glücklichen, die sich in den USA einen deutschen Pass aufgrund der schrecklichen Vergangenheit beschaffen können und vielleicht auch bei uns Quartier nehmen, wenn die dortige Gesellschaft kippt.

Zurück an den Anfang: Zuhause. Das ist immer der Ort, an dem jeder das Recht, Rechte zu haben, verwirklichen kann. Das konnten wir als Kind, dahin aber gibt es kein Zurück. Und das können wir, wenn wir die Grundlage dafür schaffen, dass wir es mit allen anderen können. Was dabei herauskommt, wissen wir nicht, aber wir müssen nicht aus Fremde nach der Heimat barmen.

Die Grünen hatten vor ein paar Monaten einen Parteitag „Zukunft wird aus Mut gemacht“. Schön, wir sollen mutig, couragiert, engagiert sein…Drehen wir den Satz um: „Mut wird aus Zukunft gemacht“. Viele Flüchtlinge kommen aus Ländern, in denen es weder eine Perspektive auf Zukunft gibt, noch bisweilen einen Begriff davon. Wenn die zu uns kommen, erkennen sie hier Heimat ein Stück weit besser als  die Nazis, die mit unserer Demokratie spielen.