Sterbenswörtchen

Todesnachrichten sind ein Ritual der Lebenden.

Gorbatschow ist gestorben und wird in den deutschen Medien meist gebührend und wohlgesetzt gewürdigt. Selten überbrückt gesellschaftliche Dankbarkeit politische Gräben so schnell und schnörkellos, das spricht für den gelungen Teil deutscher Selbstvergewisserung nach der Vereinigung, die ja maßgeblich durch Gorbatschwo bewirkt wurde.

Nachrufe also und Hinhacken auf die unwürdige Reaktion der abfallenden Sowjetunion und des „neuen“ Russland. auf diesen Menschen. Ich empfand ihn so angenehm, weil er nicht makellos und natürlich kein individueller Erlöser war. Einmal saß ich ihm bei einem Mittagessen gegenüber, ich war wegen der Beziehung unserer Universität zur Uni in Novosibirsk/Akademgorodok eingeladen. Das Gespräch dreht sich nicht um Politik oder Wissenschaft, sondern war eine von Bundespräsident Herzog gestaltete Feier. Ich empfand es als angenehm dass man/ich nichts sagen musste, Gorbi hat als Tischrede seine Politik erläutert und Fragen zu den Gästen gestellt, das wars. Da waren schon alle seine Erfolge und die gespaltene Baltikumpolitik und die fragile Zukunft sichtbar, und es war wie ein Einbruch von Realität ins Wunschdenken.

Was wir ihm zu verdanken haben, kann man nicht verkleinern, es wird nicht verblassen. Seltsam, dass Dank keine politische Kategorie (mehr) ist.

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Am Montag war auch Hans Christian Ströbele gestorben. Mit dem allerdings hatte ich mich gestritten über die RAF, dann viele Jahre ihn nur über die Medien verfolgt. Bis zu dem Tag, da er den Max Dortu Preis erhalten hatte. https://www.max-dortu-preis.de/rede_stroebele.pdf . am 22.10.2017 hat Ströbele über Max Dortu geredet, aber vor allem über die Beteiligung Deutschlands am Krieg in Afghanistan, am Krieg in Syrien und über seine Dankbarkeit gegenüber Edward Snowden, die er auch der Kanzlerin anempfahl. Ströbele war ein Parteifreund, aber kein Freund. Er war in vieler Hinsicht jedoch angenehm in der geradlinigen Argumentation, mit der er seine Meinung auf die politische Ebene verschob. Seine Preisrede beschloss er mit den Worten: „

Und ich bin ja kein Revolutionär, der zur
Waffe greift, sondern ich bin ein Mann, der mit Worten versucht hat, etwas zu
verändern und zu erreichen. Und das ist noch nicht erledigt.“

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Morgen ist der 1. September

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Hitler. Stalin. Putin

Es gibt – nicht nur deutsche – Geisteswissenschaftler, Historiker, Gescheite eben, die uns klarmachen, warum man Putin NICHT mit Hitler vergleichen soll. Warum Hitler und Stalin auch ganz unterschiedliche Systeme regiert haben. In Deutschland, dem Kombinat zweier untergegangener deutscher Staaten, hat dieser Diskurs einen besonderen Beigeschmack, kein G’schmäckle.

Im letzten Monat hat man die Bestie des Antisemitismus anhand der Documenta durchs Dörfchen getrieben, jetzt geht es um Karl May Winnetou, und wenn schon der deutsche Wald stirbt, dann waschen wir unsere Autos wenigstens, um nicht aufsehen zu erregen.

Das hat natürlich seine Gründe. Wir, dieses „Wir“ der gebesserten, der geläuterten Deutschen, lassen die Verbindungen zum Nationalsozialismus bestenfalls in der Wissenschaft, vielleicht noch in marginaler Kunst und Literatur, aber doch nicht im Alltag erlebbar, wirklich weiterleben, zumal wenn wir das im Westen doch bis zum Überdruss praktiziert haben; der Nachholbedarf der ehemaligen Ostdeutschen wird eher in Richtung auf Stalin geschoben, und zwischen dem und Hitler gabs doch wirklich keine Parallelen.

Ich denke, der Vergleich MUSS sein, auch und besonders um die Differenzen deutlich zu machen, aber auch die Parallelen. Und in diesem Vergleich darf, kann, soll man nicht Putin zugestehen, mit 500 Jahren, jedenfalls mit 200 Jahren Geschichtsfälschung zu operieren, wenn wir hier bei uns bestenfalls das Verhältnis zu Russland mit Bismarck beginnen lassen, oder mit dem Ersten Weltkrieg und schon gar mit dem Zweiten, und am besten mit 1989, wo sich der Osten befreit hat, damit ihn der Westen retten konnte.

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Ihr merkt, ich bin ungehalten. Putin verkauft seinen loyalen Russen den Angriff auf die Ukraine als einen a) gegen die Nazis, die nach seiner Auffassung sich besonders gelungen der Juden bedienen, b) gegen die Ungläubigen, dabei hilft ihm der Uhrendieb Kyrill, damit endlich wieder Gott ins Spiel kommt, c) gegen ein Land, das kein Staat ist, weshalb das Abschlachten auch kein Krieg ist, d) gegen den Westen, den es so wenig gibt wie umgekehrt den Osten, und e) gegen die Minderheit im eigenen Volk, die ihm in diesem National Bolschewismus so wenig folgt, wie damals eine Minderheit an Deutschen dem National Sozialismus gefolgt sind.

Zu a) muss man die Geschichte des russischen Antisemitismus, verstärkt durch b) die Rolle der orthodoxen Kirche, nicht nur in Russland, studieren, c) ist eine von vielen Geschichtsfälschungen, mit denen Diktaturen ihr Volk mürbe machen, mit mehr oder weniger Erfolg, auch die kleinen Tyranneien spielen da mit, wir haben solche in der EU und als Verbündete, d) wird gerne von den Liberalen bei uns bemüht, denn da ist ein Kalter Krieg auf dem Vormarsch, da kennen wir uns aus. Erinnert ihr euch, ich habe vor ein paar Monaten gesagt, entweder sind wir auch im Krieg und Teil desselben, dann gelten andere Regeln als wenn wir im Frieden uns als Vermittler zwischen am Aggressor und dem Opfer anböten; ich denke, wir SIND im Krieg; und e) ist eine Fortsetzung der hunderte Jahre langen Diktatur, von Gorbatschow zu kurz unterbrochen, und da unterscheiden wir uns heute in der Tat von den Diktaturen ausgeprägter Art.

Dass Putin mit dem Nazivergleich und dem Nazivorwurf sich rechtfertigt, verschafft ihm einen diskursiven Vorteil, weil wir – der demokratische Westen – ja das Unikat des Nationalsozialismus, noch mehr als jeden Faschismus‘, beanspruchen, daher Putin sozusagen eine strukturelle Differenz zu seinen Gunsten hat. Dass das Blödsinn ist, wissen wir, aber Deutschland ist in dieser Frage zu Recht oder zu Unrecht leise, zu leise. Denn wir haben uns am Faschismusbegriff und vor allem dem Faschismuskonstrukt der DDR sehr lange abgearbeitet, auch um unseren demokratischen Exzeptionalismus (jetzt sind wir WIRKLICH geläutert und gebessert) unter Beweis zu stellen (was überhaupt nicht nötig wäre, denn die Praxis bewiese es besser als jeder Diskurs).

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Ich habe schon mehrfach auf die Drei-Mächte-Konstruktion in Orwells 1984 hingewiesen. Ja, ja, ich weiß, die USA sind anders als Russland und China und die beiden sind auch nur teilweise analog. Aber, siehe oben, man MUSS vergleichen. Und sehen, worin sie sich ähneln und worin nicht. Man kann auch zur eigenen Unterstützung Hannah Arendt lesen, und wirklich genügend Vergleichsmaterial aktuell heranziehen.

Aber das bedeutet auch, die Toleranz der Friedenszeit nicht zum laissez-faire in Kriegszeiten herunterzuwirtschaften. Die Morde der Russen bei uns und in anderen Ländern, die Massaker jenseits der „Militäroperation“, das Verschleppen von Menschen in unmenschliche Verhältnisse, massenhaft, alles das lässt sich schon seit langem, jedenfalls seit Stalin und Hitler mitsamt ihren Satelliten, detailliert verfolgen und beschreiben (für irgendetwas muss auch die digitale Wahrnehmungspolitik tauglich sein).

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Nun werden einige einwenden, sie würden ja in der Schuldfrage ohnedies die gegenwärtige Hauptschuld Putin geben, nur die Anlässe seines Schuldigwerdens hätten wir, der Westen mitverursacht. Das war auch jahrelang ein gutes Entschuldigungsargument zur Begründung, warum die Nazis so erfolgreich waren. Aber wenn sie das konzedieren, dann könne man doch verhandeln. Als Kriegspartei können wir eigentlich nicht wirklich verhandeln, bzw. als was sollten wir verhandeln? Unsere politischen Oberschichten sind TEILWEISE, nicht alle, diejenigen, die die Feuersteine für die Brandstiftung durchaus mitgeliefert haben, übrigens natürlich unter Zustimmung des so genannten Volkes, das jetzt die kalte Jahreszeit mehr fürchtet als den Bombenhagel (die haben noch immer eine etwas veraltete Kriegsberichterstattung im Sinn, die ja nicht weit weg ist von dem, was die Russen in der Ukraine anrichten). Darum wird der Zustand nicht wirklich zu Ende ausgeleuchtet, nur ein wenig…

Wieviel Land, Menschen, Schicksale sind diejenigen bereit, Putin zu opfern, bei ihrer Münchner Konferenz, nur damit die Russen befristet Ruhe geben?

Ich weiß schon dieser Vergleich macht manche wütend, andere sprachlos. Egal.

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Egal vor allem, weil wir uns aus unserer ÖlGas-importrolle nicht als ernstgenommene Friedensstifter entpuppen können, ohne auch die jüngere Geschichte der Bundesrepublik nach 1989 kritisch zu beleuchten, etwa die Benachteiligung der baltischen Staaten und der Ukraine bei den Verbindungen mit Russland.

Was tun? Mich fragt niemand und darum sage ich dazu nichts. Aber ich kann etwas zu Kultur und Ethik sagen. Es muss im Krieg nicht immer und überall scharf geschossen werden, um die Wahrheit sichtbar zu machen. Und das kann jeder von uns, denke ich, im Alltag auch ohne darüber mit anderen als den Betroffenen zu reden.

Nachsatz: ich denke, man macht sich schuldig, wenn man Putin nicht mit Hitler vergleicht.

Post. Postismus. Postillion

Alles, was mit Post beginnt, ist zweifelhaft, von der deutschen Post über die Postmoderne und den Postillion bis zum POSTHUMANISMUS. Das ist eine intellektuelle und wissenschaftliche Be4wergung, die sich schon lange gegen die aufgeklärte Vorstellung von den Menschen als den Anführern der Geschichte für ihre Zukunft wendet und jetzt, angesichts des realen Endes unseres Lebens auf dieser Erde, philosophischen Auftrieb erhält. Es geht um einen Abstieg aus der Superiorität über alles und jedes, also der gesamten Natur, und den Versuch, sich mit allem in dieser Natur gleichzustellen. Für mich ist das nicht wirklich neues, das Peter Neumann in der ZEIT 18.8.2022, S. 45 da zusammenfasst, „Wenn wir erst weiche Wesen wären“, Pilze, Flechten, …, etwas schlecht verdeckte Ironie in einem instruktiven Artikel. Wogegen sich die PhilosophInnen des Posthumanismus wenden, weist Neumann zurück. „Der Mensch gehört zur Natur, aber er ist jederzeit mehr als nur Natur“. Nebbich. Aber wie sich das beweisen lässt angesichts unserer dominierenden Position, die nicht nur zu unserer, sondern vielleicht zur dauerhaften Verwundung der Erde führen kann?

Naja, ich bin kein Philosoph, und musste bei Harari auch lachen, der ein Szenario entworfen hatte, bei dem die IT die menschliche Intelligenz überholte. Und natürlich können die Theoretiker des Posthumanismus ja nur aus der Intelligenz der jetzt lebenden Menschen eine Vorstellung darüber entwickeln, wie wir ein „Zurück zur Natur“ bewerkstelligen, ohne die Einsichten in die Natur, der wir auch angehören, zu verlieren, also ohne Menschen zu sein.

Was mich aber schon lange fasziniert, habe ich in meinen Blogs schon öfter erwähnt: wenn wir am Ende der Evolution passiv der Erderwärmung und ihren Folgen, also der Unbewohnbarkeit der Erde – der Welt? – unterliegen, dann verfassen wir Szenarien, in denen wir beschreiben, was niemand mehr lesen, erleben und bedenken wird können, weil es die Menschen nicht mehr gibt, auch nicht den philosophischen Singular „Der Mensch“. Die Menschen = Uns. Das habe ich im letzten Blog zur Harpman, Haushofer, Streeruwitz ja ausgeführt. Ich füge dem hinzu, dass das kein Gedankenspiel ist, sondern schon melancholisch macht, für keine künftige Leserschaft oder Audienz zu arbeiten, und also nicht vergessen zu werden, sondern einfach im NICHT zu verschwinden, und dann ist es egal, ob einzelne Moleküle von uns oder vom Schimmelpilz in die Ewigkeit hineindauern, sie merken keinen Unterschied.

Ganz aktuell bedrückt mich, wie jetzt, schon ist fast alles zu spät, eine neue Form von Tierliebe, Naturnähe, Erdbezug unsere philosophische und religiöse Exzeptionalität – also die Ausnahmeposition – vor allem und allen anderen aushöhlt: wenn wir menschlich werden, obwohl es bald keine Menschen mehr gibt, ist es spannend, welche Spezies sich ohne uns weiter entfalten wird. Die Hoffnung wird nie eingelöst, aber sie beruhigt zum Abschied.

Frauen an Ende der Welt

Viele wenden sich ab vom Weltkrieg, unter anderem, weil sie noch nicht direkt betroffen sind, außer vielleicht durch die Gaskrise. Viele wenden sich ab von der verheerenden Trockenheit, da der Sommer für ihre Freizeit erträglicher scheint, und die Natur sich schon erholen wird. Viele überfordern sich im hektischen Bemühen, sich nicht überfordern lassen zu wollen. Die nerven besonders, verhelfen den Medien und Hobbyberatern aber zu Extraprofiten.

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Nehmen wir an, eine überirdische Droge, irgendetwas von Oben, lässt den Menschen einen Moment lang den klaren Blick auf das Ende der Menschen in absehbarer Zeit zu. Was tun, fragen sie dann, was tun in den Monaten und Jahren, die wir noch haben? Und mancher sinken in die österreichische Lethargie des „Da kannst eh nix machen“, auch wenn schon „etwas geschehen muss“, aber das Etwas ist nebulös.

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Wie es kommen kann, wird immer wieder beschrieben, und nicht zufällig von Frauen. Das Ende der Welt ist auch das Ende der Männerherrschaft, gemessen am Weltuntergang geradezu nebenbei.

Vor kurzem habe ich schon einmal Jacqueline Harpmans Buch erwähnt, wo die letzten 30 Frauen auf dieser Erde einige Jahre und Jahrzehnte nach ihrer Befreiung aus einem Gefängnis ihre Befreiung in Freiheit umwandeln, und die letzte Überlebende aufzeichnet, was bis zu ihrem Tod geschehen ist und wie selbst ihr Sterben bestimmt, wo nach ihr kein Leben mehr denkbar ist (Harpman 1998). Und, nicht zufällig, lese ich das großartige Buch von Marlen Haushofer „Die Wand“ wieder, 50 Jahre vorher geschrieben, hier schreibt nur eine Frau im lebendigen Gefängnis das nieder, was sie in den Tagen diesseits der unsichtbaren, undurchdringlichen Wand gelebt und erlebt hat, während jenseits, „Draußen“ alles erstarrt und unbewegt verharrt (Haushofer 2004). Die Motive sind parallel, natürlich ist 1963 vieles im Detail anders als 1996, aber eines ist gleich: hier schreibt eine Frau, wovon sie ziemlich sicher ist, dass nach ihr niemand diese Aufzeichnungen wird lesen, aber die Übertragung in den Text der Autorin bewirkt, dass die noch Lebenden ziemlich genau wissen, was auch noch kommen kann und wird, zu unseren (?) Lebzeiten. Es geht um ein ewiges Jetzt, nicht um eine gestaltbare Zukunft.

Haushofer, 1970 gestorben, war schon zu ihren Lebzeiten bekannt, aber im Schatten. Jetzt wird ihr wichtigstes Buch wiederentdeckt, aufmerksam verbreitet, natürlich durch die Frauenpolitik, aber nicht nur durch diese, genau wie bei Harpman. Wir können beide Bücher mehrschichtig lesen, existenzialistisch, psychoanalytisch, anthropologisch, aber immer unter dem Aspekt, dass die „letzte“ Frau auch eine, ihre Lebenswelt entwirft, in der die Männer keine andere als die erinnerte Rolle spielen können. Wenn, dann ist es eine anthropologische, weltzeitliche Schuldzuweisung an das männliche Geschlecht, – so nie explizit – es geht nicht um die konkreten Umstände der Gefangenschaft und Befreiung für eine Gruppe und um das zwangsweise neue Leben in der nicht idyllischen alpinen Welt für die andere Frau (ich habe den Begriff der eingesperrten, endgültigen Freiheit für sie erfunden, sie würde außerhalb der Wand die nicht mehr lebendig finden, die ihr die Befreiung verwehrt hatten).

(Es geschieht einiges mehr in diesen beiden Texten, aber das wichtigste ist mir doch: wenn der Lebenszyklus endet, bleiben die Frauen übrig, so wie sie zu Anbeginn alles hätten zum besseren wenden können. Was nicht geschehen ist, hat wohl damit auch zu tun, dass sich die Männer auf die Wahrheit gesetzt haben und die Frauen in der Wirklichkeit bleiben mussten).

Haushofer und Harpman seien in diesem Kontext ebenso empfohlen wie Ingeborg Bachmanns Gedicht „Alle Tage“ und ganz neu Marlene Streeruwitz‘ „Geschlecht. Zahl. Fall“ (Streeruwitz 2021).

Keiner dieser Texte ist deprimierend oder verbreitet Endzeitstimmung. Man liest was es braucht, um frei zu sein, frei zu leben, und dass das nicht unbedingt auch heißt glücklich zu sein.

Harpman, J. (1998). Die Frau, die die Männer nicht kannte. Hamburg, Hoffmann und Campe.

Haushofer, M. (2004). Die Wand. Hamburg, Claassen.

Streeruwitz, M. (2021). Geschlecht. Zahl.Fall. Frankfurt, Fischer.

Russen auf Semmel/Brötchen

wer in Wien aufwächst, weiß was Russen sind. In Deutschland sagt man Bismarckheringe zu diesen eingelegten Fischen, die natürlich importiert werden, meist aus Deutschland. Die politische Korrektheit verbietet die Verwendung des Wortes in irgendeinem politischen und kulturellen Zusammenhang, kulinarisch sind nur geringe Konflikte aufgetreten – bis vor kurzem. Jetzt sind Russen aggressive Kriegspartei gegen die Ukrainer, nach denen kein Fisch im Volksmund benannt ist. Und schon der Vergleich eines stolzen imperioalistischen Volkes mit einem Hering führt zu möglicher Anklage mit Gulag-Androhung. Es gibt ja bekanntlich auch keinen Krieg, hat der Führer im Kreml dekretiert, also darfst du auch nicht Krieg sagen. Als mir vor ein paar Tagen an einem Imbiss eine Russensemmel angeboten wurde, wollte ich schon die Korrektur anmahnen, dann war mir aber klar, dass ers vielleicht eine Provokation eines gute getarnten Spion gewesen sein könnte, und außerdem wissen meine deutschen Freunde ohnedies nicht, was eine wirkliche Semmel, gar eine Kaisersemmel ist, sowenig die Wiener etwas mit den verschiedenen Brötchensorten anfangen können. Und kaisersemmel würde ja zu Bismarck besser passen als zum Russen, ob mit oder ohne Zwiebel und Wacholder und Senfkörnern. Also kauf ich mir keinen Fisch, sondern ein veganes Würstchen, das dem Urfleisch so nahe steht wie der Leberkäs der Leber und dem Käse, jedenfalls aber Semmel-geeignet. Die Entpolitisierung des Begriffs hat den Konflikt um politisch korrekte Sprache überhaupt erst in mir aufgewühlt. Denn da 25% der empathielosen Österreich gegen die Sanktionen sind (Zeitungen 20.8.), möchte ich vermittelnd vorschlagen, die Sanktionen zu beenden, dafür dürfen wir wieder Russen sagen ohne gleich blau anzulaufen. Das wäre Realpolitik und ein Beitrag zu allgemeiner Entspannung. Und ich bin ohnehin in einem Monat ohne r, also kann man Fische nicht braten oder einlegen, gäbe es überhaupt noch Russen aus der Ostsee.

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Eigentlich gut, wie sprachsensibel die Menschen geworden sind vom Tollen Hecht wird so wenig gesprochen wie vom Backfisch, nach dem Mann der Fotrelle fragt niemand, und die Fischgrete kommt nach der neuen Rechtschreibung nur im Faust vor.

Als Ergebnis meiner insgesamt gelungenen Umerziehung zum Gebrauch grammatischer Fallstricke fühle ich mich befreiter denn je. Wer wollte schon Heringe mit einem Diktator vergleichen, ich meine Bismarck.

-reich: die Nachsilbe der Zeit

Österreich war immer regenreich (Salzburg), ärztereich (Stadt), und Österarm war immer bedürftig, wenn es um Ärztemangel, Lehrlingsmangel, Anstandsarmut und soziale Deklassierung geht. Sprachspielreich gehört zum Reichtum, Empathiearmut zur unendlichen Kritik, die das Land vor den Unterwerfungsriten des deutschen Nachbarn und den Aufgeblasenheiten der östlichen Diktaturen absetzt. Es gibt nichts, worüber man sich nicht aufregen kann, um dann, zurücksinkend ins Ruhekissen, festzustellen, dass man eh nichts machen kann.

Die Tradition von sexuellem Missbrauch, Folter und dummen Jenseitsversprechen hat die katholische Kirche nie daran gehindert, schöne Kirchen zu bauen; und die Verschlamptheit von Politik und Wirtschaft hat Österreich nicht daran gehindert, mehrheitlich wohlhabend, kulturell dynamisch und kontrovers, also gut, und einigermaßen umweltbewusst so reich zu werden, dass Österarm aus dem Blick geraten ist. Da sitze ich Wien an einem sehr heissen Morgen, verärgert über alle möglichen Widrigkeiten meiner Projektarbeit, und genieße doch die herrliche Stadt, deren Misslichkeiten alle wahrnehmbar an der Oberfläche liegen und die keine Zeitwende braucht, um an ihre dunkle Unterseite zu gemahnen. Soweit das LOBLIED.

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Ich wartete ein paar Minuten auf meinen Arbeitskollegen und sitze im schattigen Resselpark, mich auf eine Besprechung vorbereitend: Viel Polzei um die Unterführung zu den U Bahnen, am drogt ja hier zentral. An meinen Parktisch setzt sich eine mittelschwangere junge Frau, und in Sekunden, weiß ich, was jetzt kommt. Höfliche Nebensitzanfrage, und ob ich mich Wien auskenne. Und dass sie ihre kranke Mutter besuche, mit Krebs im AKH liegt. und ob ich Arbeit für sie habe, Putzhilfe oder irgendetwas. Meine Vorahnung bestätigt sich. Die Bosnierin mit einem Touristenvisum muss sechs Wochen durchstehen, dann kann sie zurück, muss sie zurück in ihre Heimat auf einen gutbezahlten Job als Lehrerin. Nichts an der Geschichte in gutem Deutsch vorgetragen stimmt so richtig. Sie bekommt keine Hilfe bei der Caritas, weil sie kein Flüchtling ist. Auch beim Roten Kreuz. Ich frage wo sie wohnt. Bei ihrer Mutter. Was das Problem wirklich sei (Bingo, das hatte ich gewusst): ob ihr Geld für eine Mahlzeit geben könnte. Was möglich und wirklich wurde, und ich mache mich vom Acker, als sie Anstalten macht, sich an mich zu hängen.

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Im Kleinen, im Individuellen, habe ich mich wie die Politik der Lindners & etc. verhalten. Almosen nach Unten, solange es die eigene Situation nicht einschränkt oder beeinträchtigt. Mehr als Adressen von NGOs anbieten und ein wenig Geld…das Muster ist ewig, und anstatt mich zu vergewissern, dass das jedenfalls nicht falsch oder unwürdig war, blieb ein Gefühl strukturellen und politischen Unbehagens. Wie denn auch nicht. Ich glaube, die Fokussierung erfolgte über das Touristenvisum. Bei Flüchtlingen wäre der karitative Spielraum vielleicht größer gewesen, bei erkennbarer Notlage – keineswegs in diesem Fall – hätte ich vielleicht sie an jemanden Hilfsfähigen verweisen können. Unvermittelt habe ich eine Form von österarm getroffen.

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Es war nicht einmal ein Vorfall, ein Ereignis, kein Event. En passant ein Blick in die noch nicht vernarbte soziale Wahrnehmung. Eingangs habe ich einen Hinweis auf die Differenz zu Deutschland gegeben und frage jetzt: ist es nicht überall gleich? Nicht ganz, und diese Differenz ist oft ums Ganze. Das „Schicksal“ der jungen Frau war wie ein Vorzeichen eines im ganzen unerfreulichen Arbeitstages. Und der wiederum ging übergangslos in eine Musikveranstaltung im Wiener Rathaus, wo tausend Menschen sich einer Gedenkveranstaltung an Bronner & Kreisler (beide 100…) mit Liedern und Anekdoten präsentierten, das war öster-reichisch, und wenn man in der Millionenstadt doch eine Reihe von Menschen kennt und erkennt, dann kommt Öster-arm in den bejubelten Texten vor, nicht im eigenen Leben. so geht Kultur auch.

Vor uns dörren die Bäume, nach uns nichts

Schlechte Zeiten bringen selten gute Menschen hervor, gute auch nicht. Ob jemand schlecht oder gut ist, hängt nicht nur von den Zeiten ab; gewiss aber ist, dass die Umstände die Situationen und ihre Machthaber in die Extreme treiben. Weiß man das, braucht man sich darüber nicht aufzuregen, Aber natürlich über anderes umso mehr. Ohne Aufregung verkommen die Menschen wie die Bäume, wenn zuwenig Wasser sie am Leben hält. Nur aufgeregt, ersaufen wir, – das merkt man an den Medien. Und Mittelweg gibts auch nicht, der bringt nach Alexander Kluge den Tod. Also: nicht auf-, nicht ab-regen. Die Wirklichkeit erregt genug.

Ist euch aufgefallen, dass gerade die Ukraine und Russlands Vernichtungsfeldzug an den Rand gedrückt wird, dass das lange unterdrückte Afghanistan wieder auftaucht, weil die meisten Rettungsaktionen schon versäumt wurden und man darüber trefflich sich betrüben oder streiten kann; dass Covid immer mehr seinen Interpreten in die Schuhe geschoben wird, aber das große, mächtige Deutschland zu rückständig ist, um eine brauchbare Statistik nach drei Jahren zu liefern; und dass über Klima und Klimapolitik und Krisenbewältigung nicht wirklich gesprochen wird, sondern über AKWs, Kohle und 19° oder 20° Zimmertemeperatur queruliert wird.

?

Gut, habt ihr also bemerkt. Ich rede zu mir selbst, ich habs auch gemerkt, und ich habe aufgehört, die Antworten niederzuschreiben, zu analysieren und zu kommentieren. Wie eine herrliche impressionistische Etüde flirren die Erklärungen herum, und nur auf eine sanfte weitere Frage: Und was jetzt, was ist zu tun? gibt es natürlich keine Antwort.

Natürlich? Aus der Beobachtenden-Rolle derer, die nicht am Krieg kämpfend teilnehmen, sondern legistisch, – und das sind WIR – kann man kommentieren oder eben nichts dazu sagen. Und die Kommentare entlasten, solange man nicht genau sagt, was jetzt GETAN werden soll. Der Optativ regiert die Medien.

Wenn man nicht handeln kann, also ohnmächtig ist, hilft die Poetisierung der Ohnmacht wenig. Sie aber geschieht dauernd, zum Beispiel dadurch, dass andauernd globale Bezüge hergestellt werden dafür, was unter welchen Umständen getan werden sollte, aber nicht kann, solange bestimmte intervenierende Variable nicht geändert werden. Das verschafft manchen Kommentierern sogar noch Aufmerksamkeit.

Vor meinem Fenster verdorren die Baumkronen. Ob die Bäume dieses Jahr überleben, weiß ich nicht. Aber was soll ich dazu sagen? Am besten nichts. Denn der Klimawandel beginnt nicht dort bekämpft zu werden, wo man seine Folgen und Entwicklungen sieht, sie sagen über die Ursachen des Saharastaubs bei uns und den Gletscherschwund wenig bis nichts aus. Und nimmt man Ursachen ernst, dann muss man in die Politik eingreifen, und dann sollte man die Hälfte der marktliberalen und der bürokratischen Menschen sofort absetzen, aber wiederum die Frage: Wie? Absetzen reicht nicht, wenn wir niemanden haben, der weiß und zugleich fähig ist zu handeln, das hat unser Kompetenzschwachsinn im Bildungssystem ebenso beschleunigt wie die Hoffnung, es zeige sich noch einmal etwas „Rettendes“. Dass ich nicht lache.

wenn wir uns abere für bestimmte Aktionen zusammentun, dann fordern wir die Macht, auch oft die Gewalt, heraus. Weil die Kommentare ja die Macht nicht überzeugen, sondern wenn überhaupt nur uns selbst, sollten wir die Formen des Widerstands und nicht die der diskursiven Übereinstimmung diskutieren und verbreiten. (Vieles an diesen Kommentaren zu den Kommentaren kommt mir so vor die die Reitspuren der Prärie am Jacinto (Charles Sealsfield 1905). Da reitet einer auf seinen eigenen Spuren im Kreis und freut sich, dass immer Hufe seiner Richtung zustimmen, irgendwann kommen wir da schon raus. Nein, kein spontaner Aufstand gegen die Autorität des Staates oder die Privilegierung korrupten Politikhengste: erstens können wir den nicht, zweitens führt er nur zu einer systemischen Erneuerung durch noch ärgere Typen, und drittens sagt der Aufstand, wenn er denn gelänge, noch nicht, WIE wir dann die angesprochenen Probleme lösen. Handeln ohne Aufstand, schwebt mir vor. Nicht Re-ob -form oder -volution. Verweigerung der politischen Korrektheit, bestimmte Situationen auch nur in Erwägung zu ziehen. Das hat eine Verzichtseite, gewiss, die aber nicht deckungsgleich mit einer Verstärkung der Armut ist (das gilt für warme Kleidung genauso wie für Fleischverzicht); es hat auch eine befreiende Seite, weil wir tun, was wir für richtig halten, und nicht was man tut. Man, das sind nicht nur Lindner, Woelki, und wie sie alle heißen, listenweise. Das sind die Zusammenklumpungen dessen, was die Zivilisation als Kultur uns aufzwingt….

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Ich will jetzt erklären, warum ich mit dieser alten, vielleicht konservativeren Widerstandsformel agiere. Ich weiß schon, wo sie nicht sinnvoll ist und wo sie vielleicht wirkt. Aber sie ist ein Mittel zu fragen, wo wir, jede und jeder einzelne von uns, „eigentlich“ in dieser Vertikale der Macht leben und handeln reden. Es ist wie eine Autoimmunerkrankung der Demokratie, der Solidarität und vor allem der Vernunft. Wir WISSEN, was für Unsinn im Winterpelz der Realpolitik nistet (für alle oben geschilderten Umstände: WASCHMIR DEN PELZ ABER MACH MICH NICHT NASS; das gilt für Empathie, Selbstbeschränkung, und Abschleifen des Widerstands. Beispiel 1: der Kampf gegen Antisemitismus wird in einen falschen Kontext zum Kampf gegen den Postkolonialismus gebracht, und die Opfer der Anschläge und der unwürdige Disput um die Entschädigung der OlympionikInnen von 1972 verblassen gegen die Documenta 15 (da ist die Situation so flach, dass sich jeder Dumme zu Wort melden kann und meldet). Beispiel 2: Keine Coronamaßnahme kann darüber hinwegtäuschen, dass ausgerechnet in Deutschland kaum empirische Unterlagen über das Pandemiegschehen vorhanden sind und öffentlich gemacht werden. DARUM und nicht wegen des Disputs sind andere Länder besser dran. Beispiel 3: AKW Verlängerung. Wie dumm müssen Menschen sein, wenn sie nicht ohnedies schon verstrahlt sind, dass sie die Energieknappheit gegen die Folgen eines Nuklearunfalls und gegen die Beseitigung der strahlenden Überreste aufrechnen?

Dämmert es den meisten noch nicht, dass wir SO ODER SO weniger wohlhabend und bequem leben, ab morgen, ab übermorgen, und wenn mein Baum vor dem Fenster verdorrt sein wird, dann ist da sein Zeichen für die Wirklichkeit. Wir. Und die anderen, die vielen? alles noch schlimmer. Und deshalb, gerade deshalb nicht opti/pessi/mistisch herum stammeln.

(Nebenbei spart das Papier und Strom).

Lacht nur.

Was man weiß, muss man nicht immer anschauen und anhören. Da kann man eben doch etwas machen, und nicht bei allem müssen wir fragen, ob es denen gefällt, deren Solidarität auf Almosen reduziert ist und die nur die Gegenwart ihrer Hinfälligkeit beachten. Das sind die, die Luthers Apfelbäumchen pflanzen, weil die Welt untergeht. Soll sie ohne Apfelbäumchen weiter bestehen?

Zerfall, Zermatt, Zerrbild

Diese Alliteration hat Richard Wagner versäumt, deshalb singt sie Wotan nicht in Bayreuth. Wigula weia.

Wenn ich behaupte, dass das Bewusstsein vieler, vor allem politisch und kulturell denkender Deutscher ZERFÄLLT, dann heißt das nicht schon wieder eine Dekadenz oder eine VERfall. Ich habe das Bild einer Kettenreaktion, die je weiter sie fortschreitet, desto weniger aufgehalten werden kann.

Da gibt es den Krieg Russlands gegen die Ukraine, die Angriffe Chinas gegen den Westen, und schon zerfallen festgeglaubte Grundlagen unserer gesellschaftlichen Binnenstruktur und außenpolitischen Weltvertretung. Plötzlich ist die Energieknappheit als Folge auch deutscher Russlandpolitik ein Hebel, die Klimapolitik auszuhebeln, die soziale Spannung zu vergrößern, plötzlich werden Ursachen und Wirkungen effektiv vertauscht, und kleine Fehler werden auch dann vertuscht, wenn sie die Türöffner zu großen sind.

Global gesehen wäre das, abgesehen vom Klima, normal. Normal, wenn man bedenkt, dass ja auch die deutsche Politik nicht normal sein konnte – unterwürfig gegenüber NATO und teilweise den USA, teilweise der Wirtschaft Chinas, teilweise den eigenen Bekenntnissen zu Menschenrechten gegenüber, aber dominant und arrogant den ärmeren EU Staaten und den Ländern der 3. Welt gegenüber. Gut, jetzt weniger als die Jahre unter schwarz rot und schwarz gelb. We4niger ist nicht NICHT. Dabei hinkt das arrogante Deutschland hinter vielen technischen und sozialen Möglichkeiten hinterher, aber zugleich machen wir nicht, was MÖGLICH ist. Um die Lobbys im eigenen Land nicht zu verprellen: Lindner ist ein Vorreiter für solche Deals, aber er ist leider nicht allein.

ZERSTRAHLT sind sie fast alle: die CDU unter Merz hat vergessen, dass es eine Zeit vor Oktober 2021 gab, die SPD sieht großzügig über den immer schon schlau-hinterhältigen Charakter des Cumex Kanzlers und seiner G20 Irrfahrt hinweg, von Söders Energie- und Bahnunfähigkeit schweige, weil sie allesamt in der Atomkraftdebatte einen Strahlenschaden abbekommen haben. Zum Zerfall gehört eine seltsame populistische Taktik: wenn man sich einen Schwerpunkt oder ein paar Hauptaspekte heraussucht, um zu argumentieren oder gar zu handeln, wird einem sofort vorgeworfen, warum nicht diesen oder jenen anderen Schwerpunkt. Versucht man es ganzheitlich, dann geschieht etwas noch schlimmeres: wenn man gegen Russlands Vernichtungskrieg gegen die Ukraine andenkt und -spricht, kommt sofort die Frage, warum die Kritik an der Vorgeschichte von NATO und Ukraine nicht in einem Atemzug erfolgt. Ganzheitlichkeit im Sinn horizontaler Vernetzung von Themen und Begriffen geht nicht, und jede, aber auch jede wertende Reihung wird bereits als Versagen bemäkelt. Na gut, stört MICH nicht, sollte aber gute PolitikerInnen schon stören. Auch Deutschland droht von den Gelbwesten und den postmodernen Neonazis überrollt zu werden. Kein boshafter Sprachfehler.

ZERMATT Ein schöner Platz in der Schweiz, von dort geht es zum Matterhorn und über die abschmelzenden Gletscher. Die Mattigkeit ist meine Assoziation, matt sind die Aufstände gegen das Zurückfahren der Umweltpolitik zugunsten von 20° im Winter statt 19° (kein Witz), matt sind die Kommentare, wie lange wir uns noch die Unterstützung der Ukraine leisten können, bevor unser Wohlstand sich längerfristig reduzieren wird…natürlich wird er das, mit und ohne Russlands Krieg, Matt sind die Bemühungen, nicht „binär“ zu denken, d.h. es gibt immer nur zwei Aspekte unseres politischen Bewusstseins: Ukraine – Russland, ok, das versteht man. Afghanistan, wo die Menschen verhungern, ist aus dem Blick der Öffentlichkeit geraten (Hoffen wir, dass sich das mit den Bundestagskommissionen und der Aufarbeitung der letzten Tage der deutschen Niederlage in Kabul im SPIEGEL ändert. Hier ist die Regierung vor der Öffentlichkeit). Mit „binär“ meine ich das Denken Russland oder China, USA oder Russland, usw.

ZERRBILDER sind en vogue. Das gehört zur politischen Kultur. Aufmerksamkeit wecken, abwerten was man bekämpft, auch Zerrbilder des Guten sind alltäglich. In den letzten Monaten sind zwei Zerrfelder ins Licht gerückt: Die documenta 15 und die Energiekrise. (von Covid rede ich gar nicht mehr, da lassen die so genannten Liberalen die gefährdeten und selbst-gefährdeten Impfgegner und Schutzbedürfnissen lieber sterben, als dass sie ihre blöde Verzerrung des Begriffs Freiheit korrigieren). Die Verzerrung der Wirklichkeit durch die Propagierung von so genannten Wahrheiten ist gefährlich. Antisemitismus versus Antikolonialismus (die binäre Verzerrung hat fast alle Äußerungen zum Thema binär – s.o. – verzerrt und macht sie dialogunbrauchbar. Das Zerrbild aber setzt sich fest, wird zu einem Bestandteil der deutschen Selbstwahrnehmung und gehört plötzlich zu „unserer“ politischen Kultur. In der Energiekrise ist etwa die Verengung auf pro und contra AKW von einer kaum erträglichen Dummheit; das Abdrehen russischen Öls und Gases wird mit der Projektion deutscher Verarmung, Erkältung und Funktionsunfähigkeit Siehe „binär“ oben. Zerfall wird herbeigeredet.

Wenn die Liberalen die Freiheit der Einzelnen herbeiredet, um sich von staatlichem Zwang zu „befreien“, dann wäre der Prüfstein die soziale Situation derer, die sich längst, nicht erst seit den großen Krisen, ausgeklammert haben. Ausgeklammert von Politik, aktiver sozialer Selbstverteidigung, nicht übergestülpter Kultur – das Viertel oder Fünftel der Bevölkerung, die wir kaum mehr wahrnehmen außer als Objekte mildtätiger Spenden, damit man die Wohlhabenden nicht weiter belästigt. Die Rückholung in die Gesellschaft kann neben anderem nur durch Umverteilung von Macht und sozialer Grundsicherung erfolgen, das bedeutet Steuererhöhung für die Besserverdienenden, nicht nur für die ganz Reichen (das fordern ja auch SPD und andere), sondern so weit in die „Mitte“, dass allein dadurch nicht weitere Armut entsteht. Das bedeutet aber auch die Ehrlichkeit der Eliten und der Politik, festzustellen, dass es JETZT SCHON UND IN ZUKUNFT weniger Wachstum, Wohlstand, Bewegungsfreiheit im Urlaubsverkehr und viele Einschränkungen geben wird. Wenn ich jetzt sage, na und, dann, weil ich denke, dass wir trotzdem eines der wohlhabenden DEMOKRATISCHEN Länder bleiben können, schon, wenn wir die Alternativen in der Klimapolitik, beim Wohnbau, bei der Waldbewirtschaftung auch nur wirklich in die Hand nehmen, statt uns im Zerfall unseres Bewusstseins zermattet zurücklehnen und darauf hoffen, dass ES schon besser wird. Putin wird uns kein Kremlgold schenken, Ji wird uns keine Uiguren als Arbeitskräfte schicken, Erdögan wird keine Gefangenen freilassen und Orban wird von seinen rassistischen Sprüchen im verarmenden Ungarn nicht freilassen., WENN wir nichts tun.

Immer wieder immer noch AFGHANISTAN

Gerade scheint ja die Aufmerksamkeit für Afghanistan und seine Beziehungen zu Deutschland wieder in ins öffentliche Licht zu rücken. Schön wäre das, oder nicht schön, aber richtig. Ein kleiner Essay:

Michael Daxner                                                                                 Im August 2022

Afghanistan 2001-2021

Vor genau einem Jahr haben die Taliban ihre zweite Herrschaft aufgerichtet. Die deutsche Geschichte mit Afghanistan hat eine besondere Verantwortung und Haftung, die vergangenen 20 Jahre aktiver Beteiligung an Intervention und Wiederaufbau, an Demokratisierung und Sicherung aufzuarbeiten, was bislang fahrlässig vernachlässigt wurde. Die derzeitige Situation – Regierung seit 2021, Reaktionen auf Hungerkrise, verschärfte Diktatur der Taliban, geopolitische Einordnung des Konflikts im Schatten des Kriegs von Russland gegen die Ukraine, nach wie vor die Gefahr des Vergessens der deutschen Rolle in den 20 Jahren der Intervention – all das muss aus dem selbstgewählten Schattenbewusstsein herausgeholt werden. Persönliche und institutionelle Kritik und Selbstkritik sind immer noch besser als Verdrängung und Erschrecken, das Verdrängte doch wiederkommt (wie dieser Tage beim Ausschalten von Al Sawahiri).

Es ist hier eine gedrängte Zusammenfassung meiner Überlegungen, ohne Anspruch auf große Komplexität, aber auch ohne dauerndes Zitieren der Autoritäten, auf denen der Afghanistandiskurs anscheinend beruht – anscheinend, weil er mehr auf uns als auf die notleidenden Menschen in Afghanistan abzielt.

  • Beginnt die Geschichte für uns 1914…jedenfalls mit Amanullah 1892-1960: deutsch, französisch, türkisch orientiert,…oder mit 1968, als Afghanistan Durchlauferhitzer auf der Fahrt nach Indien war? Oder erst 2001, als der Kalte Krieg, die sowjetische Besatzung, das korrupte Mujaheddinregime, die Terrorherrschaft der Taliban etc. längst vergessen waren? Oder nie bewusst?
  • So geschichtsvergessen aber brachte sich Deutschland bei und nach der Konferenz von Bonn 2001 ein, und unsere Beteiligung an der Intervention war innenpolitisch den Menschenrechten zugewandt, außenpolitisch aber der Unterwerfung unter die USA und die NATO geschuldet.
  • Ich war für die Intervention gewesen. Ein Fazit war, dass eine richtige Politik von Anfang an durch Fehler in ihr Gegenteil verkehrt wurde. Fehler der Amerikaner: Rache für 9/11 + Uneinigkeit über das Ziel: Gewinnung eines Partners des „Westens“ versus militärische Basis in der Region (vgl. dazu (Daxner 2017), neuerdings u.a. Dobbins (RAND)). Rumsfeld: no nation building!
  • Fehler der Deutschen: Beteiligung an der Intervention war nur scheinbar humanitär, gegenüber der Öffentlichkeit wurde Krieg und Besatzung verdeckt.
  • Wenn 9/11 Ursache und Anlass gewesen wäre, hätte man nach dem Tod von Osama bin Laden sofort abziehen können und müssen. Stattdessen der längste Krieg der USA, und – nach Korea und Vietnam, der dritte, der mit einer Niederlage endete
  • Dazu gibt es hinreichend viele und genau, selten wirklich kontroverse Analysen. Deren Konsequenzen haben es aber nicht in die Öffentlichkeit geschafft, und im subjektiv-betroffenen Segment werden sie oft sogar unter Verschluss gehalten.
  • Die Intervention hat in der Tat dem Land Fortschritte gebracht: Bildung und Gesundheit haben sich verbessert, v.a. sind die Rechte von Frauen, Minderheiten und die öffentlichen Freiheiten – v.a. gemessen an der Talibandiktatur vor 2001 und erneuten Talibanherrschaft nach 2021 – erheblich gestärkt worden, man kann von einer „neuen“ Generation sprechen. Negativ waren die Ambivalenz von westlichem Verfassungsanspruch und islamistischer Beharrung, Konstanz von vor-Taliban Eliten (vgl. Spanta 2018), zu geringe zivile Entwicklungsunterstützung. Irreversible Modernisierung, z.B.  durch vergrößertes Wegenetz (Aufbrechen von isolierten Lokalgesellschaften), Medien, IT. Nicht einholbare Modernisierung: Bevölkerung wächst durch Gesundheitsreformen: unkontrolliert, Kommunikation mit der Diaspora beendet Isolation auf einer anderen, diskursiven Ebene; halbkoloniale Entwicklungshilfe wird durch Remittenden teilweise überholt. Dominanz des Militärischen zerstört zivilen Aufbau.
  • Kritik dieser Modernisierung aus Deutscher Perspektive: die Regierung kommuniziert zu wenig mit Wissenschaft und Ethnologie; Die beteiligten Ressorts agieren von unkoordinierten und inkompatiblen Wissens- und Netzwerkgrundlagen; die Interessen deutscher Außenpolitik an Afghanistan und der Region wurden innenpolitisch nicht oder falsch vermittelt. Oft haben Bildung und Gesundheit bei den dauerhaft agierenden NGOS bessere Ergebnisse als staatliches Handeln und vielfach auch bessere Rückbindung an die Diaspora in den Heimatländern.
  • Nicht der Abzug 2014 war an sich falsch, er kam entweder sehr zu spät, oder aber er wurde zu früh angekündigt.
  • Die Verhandlungen mit den Taliban unter Khalilzadh für die USA unter Ausgrenzung der Regierung waren falsch, von Trump ausgenützt und von Biden schlecht fortgesetzt. Die deutsche Rolle in Doha und ihre Informationsressourcen sollten untersucht werden.
  • Deutschland spielt mehrfach keine Rolle:
  • Militärisch handlungsunfähig ohne die USA
  • Keine eigenen politischen Ziele, schon gar keine gesellschaftlich nachhaltigen (Scheinsicherheit des Aufgehobenseins im westlichen Bündnis…). Widersprüchliche Haltungen innerhalb der NATO (Türkei u.a.), der VN, der EU, werden innenpolitisch nicht hinreichend veröffentlicht oder gar vermittelt.
  • Keine Außenpolitik in der größeren Region (Iran, Russland, China, Nachbarländer)
  • Die USA sind gespalten über Pakistan, das aber ist der wichtigste Drehpunkt der regionalen Politik. Deutschland ist hier nur Vasall.
  •  
  • Flucht aus Afghanistan.
  • Darüber habe ich viel gearbeitet und geschrieben. Die Kritik am deutschen Verhalten ist ebenso nachvollziehbar, wie sie die Gesellschaft spaltet, während der Staat, d.h. vor allem die Regierung, hier gegen die menschen- und völkerrechtlichen Grundprinzipien agiert (Seehofer, Maier, Maas, Kramp-Karrenbauer, Dobrindt etc.). Der infame Satz, dass sich 2015 nicht wiederholen dürfe, wird zum Mantra gegen die AfD. Das ändert sich nach dem 24.2.2022 (Russlands Überfall auf die Ukraine) inhaltlich wenig, die Begründungsdiskurse variieren stärker. Die Analyse dieser Diskurse und ihre Rückführung in die Gegenwart der Politik ist bei Ukraine in vollem Gang (Kontrovers, aber zielgenau: (Link 2022); solches hätten wir ab 2001 regelmäßig gebraucht, statt der verspäteten und einseitigen Fortschrittsberichte aus dem AA, seit 2010).
  •  Die Ablehnung des Ortskräfte-Rettungsantrags von Grünen und Linken am 23.6.2021 durch CDU/CSU/SPD (Deutscher Bundestag – Antrag zur Aufnahme afghanischer Ortskräfte abgelehnt) ist verheerend in ihren Auswirkungen und kostete sicherlich hunderten Menschen, die hätten gerettet werden können, das Leben. Diese wurden u.a. dem Wahlkampf geopfert. 
  • Wir müssen nicht nur die Geflüchteten aufnehmen, sondern auch dafür sorgen, dass die Diaspora demokratisch und stabil ein „Außenanker“ für die Menschen in Afghanistan wird. Die Taliban werden sicher nicht den Vorstellungen der Kriegsverlierer folgen, aber es gibt auch Bereiche, wo es kein „Zurück“ gibt. Umso schlimmer dort, wo das möglich und wahrscheinlich wird.
  • Die Kriegsverlierer, und dazu zählt Deutschland und teilweise die EU neben den USA, haben weder das Recht noch die Möglichkeit, die Bedingungen für künftige Kooperation zu diktieren. Zum Verhandeln gehört vielleicht nicht Demut, aber die Einsicht, wie schwach und zweitrangig unsere Position ist. Da sich bei den Taliban zunehmend der Hardliner Flügel (Haqqani etc.) durchsetzt, ist diese Bedingung besonders schwierig. Es muss mit diesen Gegnern dennoch eine Art der Anerkennung geben, die Leistungen (z.B. gegen Hunger, für Frauen, für Erziehung) für Geld und andere Unterstützung (z.B. gegen IS, soziale und wirtschaftliche Stabilisierung) tauschen lässt. Das ist noch lange keine Realpolitik.
  • In jedem Fall müssen wir die Diaspora bei uns unterstützen
  • Die Frauenorganisationen, den Dachverband afghanischer Organisationen, wissenschaftliche Kontakte usw. können wir niedrigschwellig, aber effektiv unterstützen
  • Keine, absolut keine Abschiebungen
  • Herstellung eines politischen Gedächtnisses für die deutsche(n) Rolle(n) in Afghanistan der letzten 20 und der letzten 100 Jahre: gegen die Geschichtsvergessenheit. Dazu zählt das Afghanistan Archiv, AfA, an dem ich arbeite, mit der Uni. Potsdam und anderen ExpertInnen; dazu werden auch die Materialien der Enquetekommission zählen. Es ist absolut notwendig, dass AA, BMI, BmVG ihre Akten öffnen, die Öffentlichkeit und wir ExpertInnen haben ein Recht auch das zu erfahren, was von Seiten der Exekutive nicht richtig gelaufen ist, und zwar nicht nur im geschönten Diskurs der Diskussionskompromisse.
  • Mich erreichen täglich Anfragen und Bitten, v.a. von in Deutschland lebenden Afghaninnen und Afghanen. Sie machen sich Sorgen um Familienmitglieder und Freunde in A. und wollen Hilfe und Information, um diese heraus, am besten nach Deutschland, zu bringen. Zwar versucht die Bundesregierung, ihr schmähliches Versagen von April bis Juli zu verschleiern hinter wohltönend moralisierenden Beschwörungen (Es war ein Missverständnis, aber jetzt arbeiten wir ja daran…), jedoch ist das auch nur oberflächlich und bürokratisch. Vor allem ist nicht wirklich klar, wer endgültig auf die Listen des AA kommt, die potenziell ausreiseberechtigte AfghanInnen gelistet haben, es gibt natürlich jetzt verspätete Bemühungen und manche Menschen werden tatsächlich gerettet, deshalb hat es wenig Sinn, über das Allgemeine hinaus jetzt zu kritisieren, das hat noch Zeit. Aber an wen man sich konkret und im Einzelfall wendet, bleibt genauerer und aufwändiger Recherche vorbehalten. Nur keine falschen Hoffnungen wecken…auch wenn es weh tut. Das hat sich mit der Regierung seit Herbst 2021 tatsächlich ein wenig zum Besseren gewendet, das sollen wir nicht nur anerkennen, auch unterstützen. Es geht aber noch zu langsam, und wie das Patenschaftsnetzwerk (als Beispiel) noch immer weiß: 10.000 Ortskräfte warten noch auf ihre Rettung (Vgl. betterplace.org vom 4.8.2022)
  • Ich habe mich aus der Individualbearbeitung mangels Kompetenzerhaltung und abnehmenden Beziehungen nach Afghanistan zurückgezogen und mache nur mehr AfA und Diaspora sowie politische Analysen. Das ist teilweise wirklich resigniert (ein Viertel meines Berufslebens habe ich Afghanistan gewidmet), teilweise aber pragmatisch.
  • Es gibt Netzwerke von ExpertInnen und erfahrenen Afghanistanaktiven; es gibt das unverzichtbare Afghanistan Analysts Network AAN, (https://www.afghanistan-analysts.org), das viele Wissens- und Analyselücken der Politik füllt, es gibt auch Forschungen, die mehr als nur im Innersten Bereich ausgewertet werden müssen, einige Beispiele:(Bühring 2017) (Seiffert and Hess 2014), und eine Unmenge weißer und grauer Literatur aus NGOS und Medien – Reuters Bericht aus Nuristan (Reuter 2022) ergänzt, was die Akteure des deutschen Rückzugs aus Afghanistan nicht wussten und wissen (Gebauer and Hammerstein 2018). Für Deutschland jedenfalls gilt auch, dass die strikte diskursive Trennung von Gesellschaft und Militär nicht stimmt, auch wenn sie von einigen angestrebt wurde und wird.

Deutschland und Österreich sind zur Zeit weit hinten in der Menschenrechtspolitik und der Flüchtlingsfrage, aus unterschiedlichen Gründen. Das wird aufgearbeitet werden müssen, aber jetzt hat die Rettung jedes einzelnen dieser Rettung bedürftigen Menschen Vorrang.

NACHSATZ: das ist nicht ansatzweise eine umfassende Analyse oder Zusammenfassung. Es sind vielmehr orientierende Stolpersteine für die eigene Beschäftigung mit einem Land, das droht vergessen zu werden, und einem Land, das Verdrängung auch der jüngsten Vergangenheit oft zur Politik macht.

Ich werde diese Seiten meinem Blog michaeldaxner.com und einigen Rundbriefen zum Anhang hinzufügen. Forschungen zur gegenwärtigen Entwicklung werde ich nicht machen, mir genügen die 20 Jahre.

  • Bühring, H. (2017). Rückkehrende aus dem Einsatz. F. d. Bundeswehr. Hamburg.
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  • Daxner, M. (2017). A Society of Intervention – An Essay on Conflicts in Afghanistan and other Military Interventions Oldenburg, BIS.
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  • Gebauer, M. and K. v. Hammerstein (2018). „Plastikrosen in Zellophan.“ Der Spiegel 2018(7): 32-35.
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  • Link, J. u. a. (2022). „für eine andere Zeitenwende.“ kultuRRevolution Sonderheft.
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  • Reuter, C. (2022). „Reise ins Niemandsland.“ SPIEGEL(29/2022).
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  • Seiffert, A. and J. Hess (2014). Afghanistanrückkehrer. Potsdam, ZMS.
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  • Spanta, F. D. (2018). Neopatrimoniale Netzwerke in Afghanistan: Kulturelle und politi-sche Ordnungsvorstellungen der afghanischen Eliten OSI. Berlin, Free University. PhD.
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                                                                                               michaeldaxner@yahoo.com

Heirat macht alt

Immerhin eine Meldung im ORF vom 3.8.2022, die Studie wird nicht zur Gänze vorgestellt, aber man versteht schon:

Obwohl die Lebenserwartung von Männern generell kürzer ist, haben sie im Einzelfall doch eine gute Chance, länger als Frauen zu leben. Wie eine neue Studie mit Daten aus 200 Jahren zeigt, sind dabei Bildung und Beziehungsstatus wichtig: Verheiratete und gut gebildete Männer „überleben“ unverheiratete und wenig gebildete Frauen. (https://science.orf.at/stories/3214410/).

Mehrdazu einen Tag später: https://epaper.sueddeutsche.de/webreader-v3/index.html#/831399/16

Damit das nicht massenhaft geschieht, schickt man ja jüngere Männer in den Krieg, und wenn sie weniger gebildet sind, stört das die Statistik weniger…Auch ist diese Meldung keine Aufforderung zur baldigen Heirat, sonst würde das den Vorsprung an Lebenserwartung bei offensichtlich besser gebildeten Frauen einebnen.

Ein sehr kluger Kultur&Hirnforscher, Valentin Braitenberg, hat bezüglich der Zuschreibung von Intelligenz einige nicht gerade sarkastische Theoreme aufgestellt. „50 Prozent aller Menschen sind dümmer als der Durchschnitt. 50 Prozent sind überdurchschnittlich intelligent“ (Das Buch heißt „Gescheit sein“, Zürich 1987, 7-19)und fasziniert mich bis heute, weil dieser Hirnforscher trotzdem auch in der Kulturwissenschaft erfolgreich denkt und publiziert). Spannend ist natürlich, wie man den Durchschnitt feststellt. Was jetzt folgt, ist ein sanft gesprochenes Feuerwerk an Dekonstruktion sozusagen ideologischer Statistik, hier dreht es sich darum, ob man noch gescheit oder dumm sagen darf, Braitenberg meint, im Hausgebrauch ja.

Darum gehts doch hier nicht…ist das nicht ein Genderthema, das man korrekt abhandeln muss, sonst diskriminiert man ggf. die Opfer der Statistik, und die können dann klagen, was sie tun. Oder ist es eine verdeckte Aufforderung zu heiraten, und den Ehestand als konstante Variable vor die Klammer zu ziehen, weil seine Folgen insgesamt besser sind als die Ergebnisse geschlechterdifferenzierter Intelligenzabwägung oder Alternsprognose.

?

Vielleicht geschieht der Bevölkerungsausgleich doch über die Rekrutierung zum Militär, wohlgemerkt, beider oder aller Geschlechter.. Und wir machen die Altersstatistik mit denen, die lebend aus dem Krieg heimkehren. Die bezahlen dann, was wir ihnen heute, mit Krieg und Schuldenbremse, aufladen.