Vorab: Das Strafurteil gegen Lina E. & ihre Gruppe (OLG Dresden) geht im Ausmaß und in der bekanntgewordenen Begründung, dass es keine Privatisierung von Justiz geben dürfe, in Ordnung. Dass es unter der Forderung der Staatsanwaltschaft geblieben ist, kann man ebenfalls begrüßen. Berichterstattung: SZ am 1.6., Ronen Steinke und Iris Mayer.
Sonst nichts.
Ausgerechnet Sachsen. Wo man die Nazis von der AfD jahrelang geradezu gepäppelt hat.
Leipzig verbietet Solidaritätsdemo für Lina E. Für Samstag ruft die linksradikale Szene überregional zur Teilnahme an einem großen „Tag X“ in Leipzig auf. Die Polizei befürchtet Ausschreitungen und bereitet einen Großeinsatz vor. Die nun verbotene Demo war die bisher einzig bekannte angemeldete Versammlung an jenem Tag. Wie viele Teilnehmer angemeldet waren, wurde zunächst nicht mitgeteilt. Grund für das Verbot seien die Gefahrenprognosen der Polizeidirektion Leipzig, die Lageeinschätzungen des Landesamts für Verfassungsschutz sowie weitere Erkenntnisse der Versammlungsbehörde. (Tagesspiegel 2.6.2023)
Ausgerechnet Faeser: der Tonfall gegen „linke“ Radikale“ ist ein anderer wie die Dämpfungspolitik gegen „rechts“.
Ausgerechnet die Medien: Die Welt, Merkur, t-online und andere trommeln hysterisch gegen die Grünen und für ein Überholen demokratischer Parteien durch die AfD.
Ausgerechnet die Bundesregierung: Die neoliberalen Luxusfahrer verhindern einen pragmatischen Dialog um umweltbezogene Politik, während der Kanzler lieber Erdögan gratuliert als wertebasierte Außenpolitik selbst zu betreiben.
Ausgerechnet Demoverbot in Leipzig: die Radikalisierung der Situation durch die Stadt führt zu weiterer, induzierter Radikalisierung.
§ ist nicht Politik ist nicht Moral
Rahel Jaeggi hat einen hervorragenden Artikel geschrieben, gegen die Politik gegen den Klimaprotest: Radikal ist nur die Situation (Der Freitag, 1.6.2023, S.13). Sie analysiert die politische Strategie, die Letzte Generation als Kriminelle Vereinigung zu verdächtigen.
Man braucht „aktivistische Öffentlichkeitsarbeit und zivilen Ungehorsam“ um Aufmerksamkeit zu erregen…und dass sie eben nicht „der Sache schade“…Lest den ganzen Artikel, bestens zusammengefasst.
Nun sind die Aktionen der „Linken“ gegen die „Rechten“ nicht mit den Formen des Klimaprotests zu vergleichen, das weiß ich so gut wie Ihr. ABER das Säbelrasseln der scheinbar unparteiischen Staatsvertreter mit dem glücklichen Nebengefühl, dass es endlich gegen die „Linken“ geht, wenn man von terroristischen Vereinigungen faselt oder deren Nähe herbeiprovoziert, ist verdächtig. Und wenn schon dauernd das Wort Terrorismus auftacht, dann liegen Assoziationen nahe, die an der Wirklichkeit vorbeigehen, aber an den grauenvollen Terrorismus und seine Anfänge und ie Reaktion des Staates vor 50 Jahren hinweisen. Sprache ist verräterisch.
Geht’s gegen „rechts“, versucht man sich in Erklärungen, zB. warum die Nazis so viel Zuspruch wie die SPD haben (DLF 2.6.2023, 8.20). Geht’s gegen „links“, muss der Rechtsstaat auf sein Paragraphengeflecht und sonst nichts zurückgreifen.
Vorschlag: lest erst einmal Hannah Arendt zum Problem des Totalitarismus (1955), der rechts und links etwas andere Bedeutungen zumisst als der Alltagsjargon. Nein, heute konfrontiert sich nicht NS und Stalinismus, aber Analogien sind vorhanden. Lest auch E. J. Gumbel (1922 und später). Auch hier: keine Wiederholung. Aber auch hier erkennt man Analogien. Und immer wieder Ernst Jandl, „Manche meinen / lechts und rinks / kann man nicht / velwechsern. / werch ein illtum!“ (1966)
Analogien aktivieren das Denken um die Differenzen, darum geht’s mir.
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Appell an eine bestimmte ausufernde Gruppe von PolitikerInnen, Zivilgesellschaft und Empörte: Etwas abrüsten, und nicht die staatliche Exekutive mit der Justiz, nicht den Rechtsstaat mit Gerechtigkeit velwechsern, nicht die Rechten verharmlosen, weil sie so viele und in der Mitte der Gesellschaft sind, nicht die Linken vergrößern, wo sie selbst marginal sind.
Und in Sachsen, nicht nur dort, kann man Demokratie auch weiterentwickeln…