Un-Sinn hilft den Nazis

Es gibt ein modernes Theater, das auf mehreren Bühnen gleichzeitig spielt, einer postmodernen Dramaturgie der vielseitigen Verwirrung der Menschen folgend. Wenn alles gleichzeitig abläuft, der Krieg gegen die Ukraine, die Wahl des AfD Neonazis in Senneberg, die Flüchtlingspolitik gegen die Menschen europaweit, das Grünenbashing durch die hirnarmen Freidemokraten und die verlogenen Christdemokraten…Wenn also das alles so aufblitzt und wieder abtaucht in der Urlaubsplanung und im gefährdeten Wohlbefinden, dann ermüdet das das Interesse an den Interessen, die man schon haben sollte, um sich irgendwie zu verorten.

…Ach, wen vermögen
wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht,
und die findigen Tiere merken es schon,
dass wir nicht sehr verlässlich zu Haus sind
in der gedeuteten Welt…“
(aus Rilkes erster Elegie) 

Da bleiben wir lieber bei den Worten, die noch keine Begriffe sind, aber dafür Haltegriffe sind, um nicht dauernd nachfragen zu müssen, ob sie denn richtig gesetzt sind, ob man sie denn nicht durch andere ersetzen sollte, ob sie denn nicht vielleicht doch zu Begriffen sich verdichten.

Es gibt ja so viele Deuter, dass man an der Welt zweifeln könnte. Nach dem Fußballspiel haben wir Millionen Schiedsrichter, die das Ergebnis deuten, und das ist harmlos. Im Konflikt zwischen Putin und Prigoschin haben wir ganz viele, die uns spontan erklären, was sie und wir nicht wissen können, die Vermutung untergräbt selbst die Meinung, und die muss nicht nahe an der Wahrheit sein. Und nach dem Wahlsieg der Nazis in Thüringen überbieten sich viele Parteiunken mit Erklärungen, die nicht einfach vorschnell und blöde sind, sondern wie aufbewahrte, etwas ranzige Statements sich anhören, die man nur aus der Dose holt, weil jetzt mehr Leute hinhören. Natürlich sind die Grünen schuld, natürlich sind die Einfamilienhäusler, Ölheizer, Autobesitzer, und alle partikularinteressierten Pöbler dabei, sich zu erklären, was sie nicht verstehen – verstehen wollen, nicht nicht verstehen können.

Das Zerstören der Radwege in Berlin durch die CDU und die Zustimmung der sogenannten Koalitionspartner der SPD dazu sind Handlungen, die ein Zeichen für den anwachsenden Faschismus darstellen. Jetzt werden sich einige LeserInnen doch fragen, was das eine mit dem andern zu tun hat. Nicht jede Blödheit ist faschistisch…Was ich meine ist, dass viele Blödheiten nur gedeihen, wenn die Grenzen zum Faschismus durchlässig gemacht werden. Nicht das Verbrechen an den Radfahrern ist per se faschistisch. Weil aber die Stimmung im Volk in diese Richtung geht, bringt sich so eine Blödheit hier ein. Und aus den tausenden Splittern der Schneekönigin setzt sich der zunehmende Faschismus ja zusammen.

Ich kenne den Begriff gut genug, ich kann auch die besondere deutsche Nazigeschichte als besondere Variante von anderen Faschismen unterscheiden und ich denke nicht daran, mit den Begriffen zurückzuhalten, nur weil damit bestimmte Präjudize der Vergangenheit weichgemacht werden. Seit Jahren nehmen in Europa und anderen Teilen der Welt faschistische Grundhaltungen und Bewegungen zu, sie sind längst heimisch geworden, in den Regierungen und Parlamenten der EU, in der NATO, aber vor allem in den Bevölkerungen der sich selbst so rahmenden Demokratien. Manche sind stark genug, um ihre faschistischen Metastasen in Grenzen zu halten, zu isolieren, manchmal punktuell zu bekämpfen. Andere gehen mehr oder weniger leichtfertig pragmatische Bündnisse mit ihnen ein, wobei es den Faschisten und bei uns vielen Nazis egal ist, ob sich jemand von ihnen verbal distanziert, solange sie gemeinsame Ziele durchsetzen. Wenn man auf der falschen Seite der Brandmauer sitzt, schützt sie nicht wirklich.

Es ist ein billiges Vorurteil zu verlangen, dass radikale Kritik zugleich und sogleich mit Alternativen aufwarten sollte. Als ob die Position von Einzelnen – beispielsweise von mir hier – verallgemeinernd politisiert werden könnte oder ich jetzt auf Mission gehen müsste um zu beweisen, dass man die Demokratie doch verbessern oder retten kann. Es regiert der Diskurs des MAN, nicht nur bei diesem Beispiel. Das ist nicht einfach.

Kein faschistischer Überbau, keine Nazidoktrin, kein Stalinismus konnte jemals ohne beides auskommen: Brutale Gewalt UND Zustimmung, Unterstützung von Teilen der Bevölkerung, meist großen Teilen – das wird gern bei den Personalisierern übersehen.

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