Judemokratie

Ich hatte mir vorgenommen, zum Konflikt der israelischen Regierung mit den Menschen im Land nicht auch noch etwas zu sagen. Ich sage auch jetzt nicht viel dazu, und die Begründung sagt schon einiges. Wir kennen einige Fälle, wo die Mehrheit von WählerInnen bei weitgehend demokratischen Wahlen die Abschaffung oder Zerstörung von Demokratie mit Mehrheit betrieben haben, Ungarn und die Türkei prominent. Ein Feld für Theoretiker: darf man sich selbst der Freiheit berauben, darf man dem Staat Verfassungen geben, die die Demokratie beschädigen oder abbauen? Das ist nicht mein Spezialgebiet, darum also zurückhaltende Kommentierung. ABER. Die besondere Rolle Deutschlands im Kommentieren, aber auch im politischen Handeln gegenüber Israel provoziert mich, der ich Israel sehr schätze (man „liebt“ kein Land), der ich die jetzige Regierung für schlimmer halte als jede zuvor, und es gab da auch schlimme, und der ich viele der in Deutschland aktiven und wahrgenommenen KommentaristInnen persönlich kenne. Befreundete befinden sich auf beiden Seiten der Demarkationslinie.

Weg von Israel, für einen Augenblick: ich gehöre nicht zu den Freunden des Zentralrats, ich halte ihn für ein politisches Organ einer langsam verschwindenden Generation von – ohnedies wenigen – jüdischen Menschen in Deutschland, das war schon einmal anders und ist nicht prinzipiell, sondern realitätsbezogen. Sehr kurz, ich bin da eher auf der Seite von Eva Menasse, die eine ähnliche Entwicklung zum ZR beobachtet und wie ich Bubis konkret lobt ((zu Rostock-Lichtenhagen). Eine freundliche und umfängliche Entgegnung des mir ebenfalls gut bekannten Dmitrij Belkin nimmt eine Gegenposition pro ZR ein, und völlig berechtigt spricht er über und für die jüdischen Einwanderer aus der Sowjetunion bzw. Russland. Er erweitert das Spektrum, das ist aktuell. Und verteidigt die Klientel, von der Eva Menasse als Objekt des Partikularismus des ZR schreibt. „Die Klientel, um dein Wort aufzugreifen, das bin ich, das sind wir, die deutschen Juden – oder die Juden in Deutschland, wie man’s nimmt“. Ich könnte hier eine dritte Position aus den beiden entwickeln, ich kann es aber nicht. „Deutsche Juden“, das geht gar nicht. Ich hatte jahrelang dafür geworben, in diesem Kontext immer von „jüdischen Deutschen“ zu sprechen, wie man islamischen, christlichen, agnostischen Deutschen spricht, wenn es um Religion geht, von jüdischen Deutschen auch dann und besonders, wenn es um multiethnische Menschen in der deutschen Gesellschaft geht. Und „Juden in Deutschland“, das ist zweifelhaft, sind sie Asylbewerber, geduldete Gäste, gerade mal da….? oder sind sie der dauerhafte Fremdkörper in der sog. deutschen Gesellschaft, der hier bleibt als „Juden“ inmitten von Deutschen? Keine Wortklaubereien, ich weiß was er meint und will es gar nicht zuspitzen, aber die Differenz ist eine um sehr vieles. So wie die historische Differenz zwischen dem angepeilten Judenstaat Herzls und dem Jüdischen Staat Israel. Um die Verbindung gehts mir. Israel wird zerrissen, weil eine Wahlmehrheit nach mehreren Anläufen Netanjahu und seine religiös-faschistischen Partner und seine säkular-faschistischen Siedler demokratisch an die Mehrheit gebracht hat, – aber nicht an die legitime Herrschaft über Demokratie und Bürgerrechte.

Nun weiß ich – vielleicht besser als viele in Deutschland – warum sich diese israelische Mehrheit seit Begin, oder vielleicht früher, herausgebildet hatte und von Netanjahu und seinen Bündnispartnern erbarmungslos instrumentalisiert wird. Aber, das ist wichtig, wüsste ich das nicht oder irrte ich, wäre die Kritik an der demokratisch legitimierten Abschaffung der Demokratie genauso, nicht nur Israel. Aber Israels Existenz ist nach wie vor bedroht, und wenn die Gesellschaft von innen zerstört wird, wie das Netanjahu betreibt, dann wird es noch schwieriger sein, die Bedrohung von außen abzuwehren.

Zur Politik kann man noch viel mehr sagen. Aber was sich einschreibt in das jüdische Selbstverständnis dessen, was sich in Israel ereignet, sind die Tausenden, die unermüdet gegen die Herrschaft Netanjahus, der selbst nur mehr von den Ultras getrieben ist, protestieren. Aber ich wollte und will ja zum Komplex des Diskurses hier, bei uns in Deutschland, nachdenken. Wenn sich die deutsche Politik mit Israel solidarisiert, gut so, dann nicht mit „den Juden“, sondern mit „den Israelis“. Darüber muss man auch nachdenken, bevor es zu Aussagen kommt. Dass Israel ein jüdischer Staat auf weitgehend säkularer, demokratischer Basis ist, wissen alle, aber dass es uns nicht „die“ Juden dort geht – mit welchen Ausnahmen, bitte? – sollte uns schon bewusst sein.

Dass es mehr als eine partikulare Sträming gibt, die Kritik an Israel IMMER oder NIE mit Antisemitismus verbindet, ist eine weitere Dimension der Auseinandersetzung, bei der wir vielleicht noch dazulernen können, jenseits der Staatsräson und jenseits von Religion und Herkunft.

Bitte lesen:

Menasse, Eva: Keine Regierung für alle. Die ZEIT #31, S.43

Belkin, Dmitrij: „Die Klientel, das bin ich, das sind wir, die deutschen Juden oder die Juden in Deutschland“. Die ZEIT #32, S. 40

SZ 29.7.2023: Ester Chajut. Profil

Funke, Hajo: https://hajofunke.wordpress.com/2023/07/11/tag-der-storung-in-israel-gegen-justizreform-gestartet/

Shimon Stein u.a.: https://www.zdf.de/phoenix/phoenix-tagesgespraech/phoenix-shimon-stein-zur-justizreform-in-israel-100.html

Es gibt natürlich viel mehr auch aktuelles zu lesen. Ich empfehle es dringend mit der laufenden und teilweise contrafaktischen Debatte um Antisemitismus in Deutschland (und überall auf der Welt) zu verbinden, um ein Bewusstsein von der Bedeutung des Komplexes zu bekommen.

Nazis geschützt? Von wem und für wen?

Nazis übernehmen. Aber nicht sich.

Aus dem Prozess gegen eine „Reichbürger“- Funktionärin:

„Reichsbürger“-Prozess: Ungebremster Antisemitismus

Die 75-Jährige war früher einmal Religionslehrerin in Mainz, hat angehende Lehrkräfte ausgebildet, war für ihre Bildungsforschung durchaus anerkannt. Jetzt steht sie in Koblenz vor dem Oberlandesgericht und muss sich zusammen mit vier Männern wegen Hochverrats und Terrorismus verantworten: Sie soll politische Vordenkerin und treibende Kraft einer Gruppe rechter „Reichsbürger“ gewesen sein, die die Verfassung des deutschen Kaiserreichs von 1871 wieder in Kraft setzen wollten – und die dafür unter anderem Sprengstoffanschläge auf die Strominfrastruktur des Landes sowie eine Entführung von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) geplant haben sollen.

Elisabeth R. doziert. Und doziert. Und doziert. Seit nunmehr fünf Verhandlungstagen macht die mutmaßliche Chefideologin der „Vereinten Patrioten“ den Sitzungssaal zu ihrem persönlichen Vorlesungssaal. Wie zuvor schon den Mitangeklagten Sven B. aus Brandenburg, der tagelang sein Weltbild ausbreiten und die Umsturzpläne in größter Selbstzufriedenheit rechtfertigen durfte, lässt der Staatsschutzsenat auch Elisabeth R. völlig ungebremst reden. Eine rechte Verschwörungspredigerin als Herrin des Gerichtssaals. … (FRJoachim F. Tornau, 28.7.2023).

Dass deutsche Gerichte bisweilen die Plattform extremistischer oder absurder Öffentlichkeitsarbeit waren und bis heute sind – unbestreitbar. Die Ausbildung und die Schlagseiten der Justizpolitik haben eine lange Geschichte. (Ich verallgemeinere hier nicht, aber diese Vorkommnisse sind keine Einzelfälle).

Dass immer wieder die Religion hineinspielt, wenn es um Judenhass, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit geht, ist auch nicht zu bestreiten, und die Privilegierung von Religionsgemeinschaften in unserer Gesellschaft ist keine Ausnahme. Der veröffentlichte Gott steht immer auf der Seite der herrschenden Gewalt.

Nun kann man sagen: wenigstens steht Elisabeth R. vor Gericht.

*

Bei der Reichstagswahl 1930 bekam die NSDAP 18% (2. Rang nach der SPD mit 24%). (Reichstagswahl 1930 – Wikipedia). Man muss die Nazis mit der AFD vergleichen, die Änderungen der Umstände und die mediale Politik mitbedacht.

Lieber Leserin, lieber Leser: ich kann schon die Faschisten im Allgemeinen und die Nazis im Besonderen unterscheiden. HIER ist das nicht wo wichtig wie in anderen Überlegungen und Blogs, die Begriffe sind vergangenheitsbewusst und aktualitätsbezogen gesetzt.

*

Neben der Kritik an Teilen der Justiz und der religiösen Spitzenämter will ich auch die Medien kritisieren, wenn sie jedes Zucken und Murmeln der AfD prominent und in extenso bringen, nur weil die Partei nicht verboten ist und nur weil man juristische Auseinandersetzungen fürchtet. (Beispiel: die Berichterstattung zum Parteitag, heute 29.7. ab 7.00 im DLF…). Muss man die Täter gleich berechtigt mit den Opfern präsentieren? Ausgewogenheit ist an dieser Stelle unsinnig.

Die Analyse, warum das so gekommen ist, wird in Deutschland besonders eng eingehegt in das Nachkriegs-Selbstverständnis: jetzt, wo wir die Besseren sind, dürfen wir uns bestimmte Fehler oder Positionen nicht, oft: nie mehr!, erlauben. Lest dazu auch den letzten Blog, zu Lessenich. Notwendig ist hier die Öffnung zur Wirklichkeit, und manche alten Wahrheiten müssen wir hinter uns lassen. Auch müssen wir uns den Analogien und den Unvergleichbarkeiten zur Weimarer Republik in ihrer Endphase stellen, und zwar nicht mit der NSDAP und der AFD im Fokus, sondern mit allen Beteiligten. Die Frage hingegen, wohin das alles führt, wird ja u.a. in der CDUCSU mit Andacht und Vehemenz geführt, und die Ironie ist bei den anderen demokratischen Parteien längst der Befürchtung gewichen, man könnte in einer Ecke des Spiegels auch ein Stück von sich selbst sehen, gut für mich: am wenigsten bei den Grünen.

Die Gewöhnung an den Faschismus ist weltweit, nicht auf Europa beschränkt, und sie ist nicht einfach aus Schwächen der Demokratien zu erklären. In der Tat ist die Skala der intervenierenden Gründe für faschistische (Teil)anerkennungen sehr weit, sie beginnt bei einfach anthropologischen und ethischen Verhaltensmustern und geht bis zu unerfüllbaren Erwartungen an Herrschaft und Staat, dem Individuum die Sorgen abzunehmen, nur das Geld und den Wohlstand zu lassen. Die großen, atomgestützten Verbrecher sind hier vielleicht sogar Ausnahmen, weil die These vom „Exceptionalism“ den unangreifbar Mächtigen auch gesellschaftliche Freiräume gewährt. Typisch sind die Orbans, Melonis, Erdögans oder die ÖVP-FPÖ Koalition in manchen österreichischen Bundesländern, das Hineinwachsen der lokalen und mittleren Faschismen ins demokratische Gewebe, wo es anscheinend pragmatisch wenig schadet, und die mühseligen Prozesse der demokratischen Willensbildung abgeschnitten werden.

Im etwas gehobeneren Diskurs gibt es zwei Gruppen: die einen verbitten sich jede Zuordnung zu Faschismus oder gar Nationalsozialismus, weil man diese vergangenen Tyranneien dann verkleinern, gar verharmlosen würde – was eine negative Überhöhung des Begriffs bedeutet. Die andern schleifen die Begriffe durch Anwendung auf alles und jedes ab – und nehmen den Begriffen die Inhalte, machen sie zu dogmatischen Alltagsfloskeln. Beides ist gefährlicher Unfug. Warum sollen Faschismen und Nazismus im Mai 1945 aufgehört haben, so wenig wie der Stalinismus 1953 verschwunden ist, und weil die drei zusammengehören (à Hannah Arendt), soll man sie nicht je für sich versäulen, sondern anhand der Wirklichkeit anwenden. Um sich zu orientieren.

Ein faschistisches Zeitalter in der multipolaren Welt. Das ist ein Rahmen, in dem man Staat, Politik, Gesellschaft, aber auch menschliche Kultur- und Kommunikationsentwicklung angesichts der finalen Klimaentwicklung bewerten, diskutieren, abändern kann. Nicht bevor es zu spät ist, sondern weil es zu spät ist.

PS. Unbedingt lesen: den Artikel über den wirklich guten Ausnahmepolitiker der CDU Ruprecht Polenz in der Sz vom 28.7.: Holger Gentz: Passt bloß auf!

Westentasche stopfen!

Ich fühle mich gut, wenn ein wirklich guter Soziologie knapp zusammenfasst, was ich seit Jahren auch sage: So einfach ist es nicht, sich zum WESTEN gehörig zu erklären. Der wirklich gute Soziologe ist Stephan Lessenich (https://de.wikipedia.org/wiki/Stephan_Lessenich), und knapp und höflich demontiert er eine nicht nur, aber vor allem deutsche Selbstzurechnung zum Westen. „Ein Totgeglaubter ist wieder da“ (Le Monde diplomatique, April 2023, S. 3). Seine gut abgeleitete Zusammenfassung, zugleich eine Kritik an Winkler und Rödder, lautet: „Seiner (des Westens, MD) wirklichkeitswidrigen Selbstinszenierung als lernendes System aber begegnet man, wo nicht mit offener Verachtung, mit zunehmender Distanz. <Once upon a Time in the West>, Sergio Lenes Filmklassiker war der letzte Abgesang auf einen Mythos. In der deutschen Fassung hierß er <Spiel mir das Lied vom Tod>.

Nun ist es wichtig, aus dieser Kritik politische Konsequenzen zu ziehen. Bei manchen, führt das zur Dummheit, einen Gegenpol, einen „Osten“ zu konstruieren, um ihn dann zu zerstören oder zu verzwergen. Das dümmste Argument derer, die den Westen kritisieren, weil sie ihm nicht zugehören wollen, ist, dass sie eben viel mehr Kritisches über den Westen wüssten als über den Osten, mag der nun böse oder anders sein. Wenn wir diesen unsinnigen Antiamerikanismus, Antiwestismus, beiseite schieben, uns ein Glacis für wirkliche Kritik freischaufeln, dann wird es spannend. Den Osten hat es so eh nie gegeben, jetzt räumen wir den Westen einmal sinnvoll ab, und dann entstehen zwischen den Polen einer multipolaren Welt, immerhin auf einer Weltkugel, Leerstellen, in denen sich die schwindende Anzahl von Demokratien nicht auf den klassischen „Westen“ beruft, und die steigende Anzahl undemokratischer Gesellschaften mitsamt ihren Staaten, auf keine Himmelsrichtung sich festlegt. Dieser unerfreulichen Wirklichkeit stehen die selbstbezogenen Wahrheiten der identitären Vereinnahmung von Menschen bizarr entgegen.

Da kann und muss man etwas tun, ohne sich auf die Zugehörigkeit zu einem übergeordneten System zu berufen. Vernünftige Menschen gehören keiner dogmatischen Religion, keinem symbolischen Staatenverband und keiner nur durch Selbstzuschreibung geformten Tugend an. Aber dass sie vernünftig sind, müssen sie, müssen wir, anders beweisen, als dass sie und wir westlich sind, und die andern weniger gut.

Keine Nachrichten

Morgens, um 6.30, im feuchten Gras des Parks. der Hund freut sich, es ist kühl, sie kann sich wälzen und es riecht an jeder Ecke nach der Löwin – nein, nach dem Wildschwein, oder nur nach dem Reh, oder gar nur dem Waschbären, vielleicht nach dem Dachs. So geht man, trifft so gut wie keine Menschen, nur ein paar Jogger. Aber selbst die bellt mein Hund heute nicht an. Abseits der Spazierwege gibt es unbearbeitete Pflanzeninseln, leicht sumpfig, Brennnesseln und Bodenefeu, keine Spuren von Raubtieren oder wilden Campern. Mitten in der Stadt, man muss nicht mit dem verspäteten Zug rausfahren oder sich chauffieren lassen, man steht also in keinem Stau. Ein schöner Sonntagmorgen. Mittlerweile ist es 7 Uhr, noch immer kaum Vogelstimmen, keine Stechmücken oder Gelsen, ein Schmetterling. Triumph der Glyphosatverbrecher, darf man sagen, auch wenn es Bayer und die Großchemie sind, auch wenn die EU es für gesund hält. Die Löwin würde ja nicht hierher gehören, aber die Insekten schon. Das Wildschwein ist ohnedies hier, zeigt sich aber nicht. Renaturierung, sagen manche. Das ist kein Plan, das erzählt man Kindern, so wie man ihnen früher Sagen und Märchen erzählt hat. Da war am ganzen Körper zerstochen. Da mussten wir aufpassen, weil im Gras doch einige Schlangen waren. Da hat mein Freund seine Vogelkunde praktisch werden lassen und erkannte mehr als fünf Arten an ihrem Gesang. Der Hund zieht mich ins Unterholz. Für sie riecht es meistens nach Fuchs. Die vermehren sich wie die Sperlinge wie die Krähen. Sagt ein Idiot: siehst du, die Natur stirbt ohnedies nicht, sie verändert sich nur.

Zu früh wieder zuhause, deshalb die Achtuhrnachrichten gehört. Schade. Kaum ist die Löwin weg, gehts wieder um die Wirklichkeit. Merz betet die AfD an, mit einem blasphemischen Gebet, das andere gar nicht brauchen. Sich mit Nazis beschäftigen, um ja nicht sich selbst auf den Prüfstand zu stellen. Jetzt aber bekomme ich widerspruch: Merz und alle andern, die zu Wort kommen, beten doch nicht die Nazis an, sie distanzieren sich. Ob ich das Wort nicht kenne? Liebe Leserin, lieber Leser: sie kennen doch die Worte Lebensgefahr und Todesgefahr. Sie bedeuten das Selbe, und wenn man sich mit Augumenten der AfD von der AfD distanziert, ist das so ähnlich.

Noch bevor heute Nacht Spanien auch faschistisch wird, sagt schnell, wo in Europa Faschisten nicht mitregieren oder an der schwelle zur Macht stehen. Das muss man nicht herbeibeten, sondern zunächst einmal nur zur Kenntnis nehmen. Die seit den 1920er Jahren ungebrochene faschistische Tradition haben einige Kluge, wirklich Kluge, auch darauf zurückgeführt, dass es keine ordentlichen und gescheiten Konservativen gibt. Das ist zu wichtig, als dass man Minderbemittelte und Gauner wieder ins schiefe Licht der Gegnerschaft rückt. (Lindner, Wissing, Linnemann, Aiwanger etc.), die wären noch fast bis 1933 nur reaktionär gewesen, und danach…Aber nehmt Merz ernst, gerade wenn man ihm NICHT folgt. Demokratie bedeutet, gewählte Neonazis in ihren Funktionen und Positionen nach den Regeln der Demokratie schalten und walten zu lassen. Auch Erdögan ist gewählt, auch Orban ist gewählt. Was in den deutschen Dörfern geschieht und nicht nur in einigen Bundesländern, nein, überall, setzt die Frage, wie eng man Demokratie sehen darf, auf die Tagesordnung. Nur wenn die Demokratie wächst, das heißt: mehr und genauere Ziele und deren Verwirklichung erreicht, muss sie sich davor drücken, AfD Repräsentanten NICHT agieren zu lassen. Und dabei kommt es nicht nur auf die Gerichte an. Da kommt es auf die Zivilgesellschaft, auf uns an, – jetzt sagen die Rechten, nicht nur in CSU und CDU, man will aber doch dem Volk in der Mitte Gehör verschaffen, endlich „Man“, das sind die Mitglieder der elitären Blasen, die erkennen, dass sie ohne die Unterstützung des Pöbels vielleicht nicht mehr lange in ihren Position sein würden, sondern durch die Originale ersetzt würden.

*

Ich drehe die Nachrichten aus. An meinen Schuhen kleben noch Erd- und Pflanzenreste. den Hund muss ich auch bürsten.

Ihr kennt alle das Lied von der Moldau, von Brecht. In der Mitte heißt es

Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne
Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne
Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.

Wie man den Halt der Mächtigen bewirkt, ist nicht trivial. Dazu braucht man die Ruhe des Nachdenkens, des Körpers und wenigstens die Erinnerung an die Natur.

Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

Wenn wir die machen lassen, die die Nacht immer mehr verlängern wollen, dann wird der Tag auf sich warten lassen. In der Demokratie darf jeder reden. Aber wer nichts zu sagen hat, muss still sein.

Nachsatz:

Merz schließt Kooperation mit AfD auf kommunaler Ebene nicht aus

SZ 23. Juli 2023, 17:53 Uhr

Lesezeit: 3 min

Konfusion ist keine Religion

Wenn der Koran verbrannt wird, protestieren überall auf der Welt Gruppen von Muslimen.

Die hebräische Bibel, das Neue Testament werden seltener öffentlich geschändet, das war einmal anders.

Andere religiöse Schriften und Symbole werden oft beleidigt, aber weniger kommentiert.

*

Warum Religion mehr und anders, oft besser geschützt wird als jede andere Form der institutionellen Freiheit, hat eine Geschichte, die sehr früh beginnt. Man hütet sich, den jeweiligen Gott beleidigen zu lassen, den Gott, von dem man sich Schutz und Erlösung erhofft, oder gar ein Jenseits. Die Geschichte lassen wir einmal beiseite, weil ja hinreichend viele Menschen die Religionsgemeinschaften verlassen oder aber wissen, dass sich die Götter um ihre irdischen Medien ohnedies nicht sichtbar und spürbar scheren. Natürlich, die Kleriker schon, die brauchen ja eine göttliche Begründung für ihren Machtanspruch. Darum hängt sich der – vor allem bei den Monotheismen – gerne an die staatliche Macht und Gewalt, weil dann der Schutz der Privilegien nicht mehr begründet werden muss. Ich sagte Monotheismen, am meisten hassen sich die, die uns glauben machen wollen, es gäbe nur einen Gott. Da treten die Monos gegeneinander an…

Was sich da abspielt, z.B. bei den schwedischen Koranbränden und den jeweiligen Reaktionen in islamischen Ländern, ist so verstörend wie die Politik religiös-faschistischer und nichtreligiöser Faschisten an der Seite von Netanjahu in Israel; auch das verstört, nur anders. Wie gesagt, analoges gibts bei den Christen auch, und gabs früher noch viel mehr, bei uns treten die Menschen scharenweise aus den Kirchen aus, anderswo unterwerfen sie sich – noch.

Das alles ist nicht mein Punkt, sondern nur der Rahmen. Die Vereinnahmung der Gotteskonstruktion durch gewalttätige Diktaturen ist ein Moment der Festigung und des Fortbestands illegitimer Gewalt, immer schon gewesen und auch weiterhin. Auch sind die Gewalttaten, die sich nicht auf eine Gottheit berufen, um nichts besser oder schlechter als von der Gottheit gesegnete. Beides sind nur Varianten der gleichen Unmenschlichkeit.

*

Religion ist meist ein Rückzugsort, wo man weniger angreifbar ist als in der säkularen Welt – Man kann in einem Kloster besser als anderswo meditieren, die Altarbilder sind oft schöner als Schlachtengemälde und Religionen helfen der karitativen Praxis im Krankenhaus und in der Schule oft besser als andere…Und da sollen wir abwägen? Und nicht alles so lassen, wie es gerade ist?

Der Machtanspruch der Religionen paart sich gern mit der Herrschaft der Mächtigen, und wenn sich dagegen stemmt, dann oft aus einer Position demonstrativer Ohnmacht. Daran halten sich die Heuchler und die Taktiker gern, die abwarten, ob und wie sich die Religion an den erneuerten Machtgefügen festhalten kann – oder abstürzt.

Mit der Lächerlichkeit der Koranverbrennung ist es wie mit den Straßenklebern. Beides sind untaugliche Mittel, die Menschen wachzurütteln und gar die Politik zu verbessern. ABER. Die Reaktionen auf beides, so unterschiedlich sie sein mögen, sind schlimmer als die Taten selbst. Das ist ziemlich misslich, weil es offenbart, was sich so knapp unter der spießigen Oberfläche der Gesellschaft längst zusammengeballt hat.

Da reicht es nicht, „miteinander zu reden“, es gibt da keine Kompromisse. Die falsche Aktion mindert nicht die Gefahr, die von der falschen Reaktion ausgeht, sie ist sozusagen nur der Bote. Wir wissen nicht, ob irgendein Gott die Verbrennung eines Buches überhaupt wahrnimmt. Aber wir wissen, dass einen Zusammenhang zwischen erbosten Autofahrern und Klimaklebern auf der morgendlichen Straße zur Arbeit gibt. Und den Zusammenhang auflösen, das nenne ich Politik, nicht den Kopf schütteln und sich wundern, dass es wieder ein Punktgewinn für die AfD und andere Faschisten ist. Wie man das auflöst? Zunächst einmal darüber nachdenken, warum sich die Menschen durch die Klimakleber so viel mehr gestört fühlen als durch die Abwesenheit von Tieren, Pflanzen, gesunder Luft und schönem Wetter. Das „So viel mehr“ zeigt UNSERE Gesellschaft, nicht irgendein Prinzip oder gar eine Wahrheit. Die Wirklichkeit holt uns ein.

Schlechte Laune hilft dem Feind

Man kann sich natürlich ärgern. Aber das ist nicht förderlich der Kritik, die sich besser nicht auf Gefühle stützt. Wenn man den Irrsinn von Rütte, von der Leyen und Ben Ali in Tunesien gegen Zentralafrikanische Flüchtlinge wahrnimmt, dann sind Emotionen vielleicht eine Abschwächung dieses Irrsinns: mit unserem europäischen Geld die Misshandlung von Flüchtlingen fördern, nur damit sie nicht zu uns kommen…das födert nur die Ablehnung der EU durch die AfD und es fördert die Politikverdrossenheit der Kleinbürger, die nicht über den Tellerrand ihrer Vorurteile hinausschauen. „Ruhig Blut!“ reicht natürlich nicht, aber die Ärgerkaskaden sind für politische Aktionen auch nicht hilfreich. Man muss eben nicht nur ein Beispiel als Anlass für Ärger erkennen, sondern wissen, dass es sehr viele gibt, und das eigene Nervennetzwerk da gar nicht mitkommt.

Reg dich nicht auf! Natürlich regen wir uns auf, aber die Übung in zurückhaltender Kommunikation kann schon hilfreich sein. Wenn, ja wenn man etwas zu sagen hat und nicht nur daherredet. Zu sagen hat man etwas, wenn dahinter Macht steht oder vielleicht ein Verhandlungsangebot oder vielleicht eine Überzeugung, die andere mitreißt. Das ist die richtige Taktik nicht nur der Fridays for Future, sondern auch von Annalena Baerbock. Deren Außenpolitik zeigt auch dort Wirkung, wo sie nicht unmittelbaren Effekt hat, zB. im UN Sicherheitsrat. Soweit können mir wahrscheinlich viele folgen. Aber ich gehe einen Schritt weiter. Ich würde mich nicht an die Straße oder an Bilderrahmen kleben, aber ich täte mir nicht leicht mit der Begründung, warum ich diesen Protest nicht mit mache. Denn die Reaktionen darauf rechtfertigen, was man an sich nicht mitmachen würde. Darüber können Ethiker, Philosophen und Journalisten monatelang diskutieren. Aber wir können das abkürzen: was sich in den Attacken des Pöbels auf die Klimakleber und im Inhalt seiner Beschimpfungen offenbart, geht nicht nur in die AfD hinein, sondern oft über sie hinaus. Klar, dass die Aktionen für viele, auch anscheinend unschuldige Menschen unangenehm, gar hinderlich sind. Ich sage „anscheinend“, denn als Mitglieder dieser Gesellschaft sind wir alle, ausnahmslos, selbst bei fortschrittlich-kritischen Positionen, in der Wirklichkeit des Klimasterbens mitgefangen. Nur können wir, anders als die Kleber, politisch dagegen halten, wir können, nicht wir tun es alle.

Ich habe Annalena Baerbock da eingefügt, es geht ja nicht nur um Klima, es geht auch um Krieg und Konflikt, es geht um Hunger, es geht um Freiheit. Aus ihren Worten hörte man zurecht ZORN, aber nicht Ärger. Natürlich muss man zornig sein, wenn man die Diktatoren und Menschenschänder nicht fortwünschen und wegdenken kann. Darum geht es, sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzen und weg von Eigentlichkeit. Eigentlich ist die EU demokratisch und menschenrechtlich vorbildhaft, eigentlich ist friedliche Kooperation besser als Konfrontation, eigentlich … Aber wenn es keine durchsetzbaren Wahrheiten gibt und man mit den Henkern sogar verhandeln muss, um selbst handeln zu können, dann kann man vielleicht sogar den Zorn zeigen, aber nicht den Ärger, denn der bietet eine Angriffsfläche.

Die Übung besteht darin, die morgendlichen DLF Nachrichten anzuhören und sich nicht so zu ärgern, dass man sie gleich wieder abdreht. Genauso: man kann bestimmte Politiker durchaus und mit recht verachten, aber das kann man ihnen nur zeigen, indem man sich gerade nicht über sie ärgert, so wichtig sind sie ja nicht, wenn man sie verachten kann.

SchadenFREUDEN

Angeblich ist Schadenfreude besonders schäbig, unmoralisch und hässlich. Finde ich im persönlichen Bereich meistens auch, im politischen gar nicht. Im Augenblick freue ich mich, dass viele Stimmen verstummt sind und viele Texte am liebsten nicht geschrieben worden wären.

Unsere Ober-, Oberst- und Generalgescheiten haben die Vor- und Rückzüge von Prigoschin und Putin mit einer Intensität und Häme kommentiert, als verstünden sie etwas von der Situation in Russland, als könnten sie zwischen dem Tyrannen Putin und dem Verbrecher Prigoschin abwägen, als wären sie geborene Kriegsberichterstatter. Auch sind die Kommentatoren zu Russlands Krieg gegen die Ukraine, zur NATO und zu uns in all dem plötzlich so zahlreich wie die Schiedsrichter nach einem Länderspiel (ich weiß, den Vergleich hatte ich schon einmal). Und nach all dem, das in den letzten drei Wochen geschehen ist, haben natürlich alle zu jedem Zeitpunkt Recht gehabt. Und sie wundern sich, dass ihre Autorität nicht nicht noch stärker bewundert wird….

Wenns nicht so traurig wäre, man könnte mehrere Kabarettabende so gestalten. Zum NATO Gipfel geht es ähnlich zu, die mittlere Tragweite der Kommentare ähnelt der Tragweite der Beschlüsse dort.

*

Die Selbstdemontage der Spontanexperten ist natürlich ambivalent, weil wir alle, jede(r) von uns, bisweilen in die Gefahr der Autoexpertomanie fallen, mit mit weniger weitreichenden Folgen und also weniger tiefem Absturz in die Wirklichkeit. Also zeigt man ironisch auch auf sich selbst. Aber das ist asymmetrisch. Die Kriegsrandgescheiteln sind schon fatal, weil das Genre des politischen Kommentars unsinnig entwerten. Wie das mit uns so ist, was es bedeutet, dass wir im Krieg SIND und wie der sich für und mit uns entwickelt, wird spätestens dann die Kommentare abschwächen und verstummen lassen, bis wir subjektiv und individuell betroffen sind (zB. durch Waffengewalt oder einen Drohneneinschlag) oder uns betroffen fühlen, bedroht, hilflos, angegriffen im Wortsinn.

Wir sollten und können schon Stellung beziehen, wir müssen vielleicht leidenschaftlich darüber streiten was wir und was unsere Politik tun SOLLEN, aber dazu reicht es nicht, die Meinung auszubreiten, die uns nahegelegt wird. Diese Politisierung, die ja ständig bedroht ist und immer wieder verloren geht, ist wertvoll und soll es bleiben bzw. weiter sich entfalten. Aber es erscheint als paradox, wenn viele diese Politisierung von ihrem Lebensstil, von ihrem Habitus abtrennen und weiter als sorgenarme Beobachter in relativ gutem Umfeld den Krieg und die Politik so betrachten, wie sie die Seiten eines Buches umblättern, bis ihnen die Augenzufallen und sie müde sind. .

Die machen uns nicht schadenfroh. Aber den Schaden haben wir alle. Und dann sollten wir darauf achten, woran wir weiterhin Freude haben können und müssen. Krieg und Umwelt erzwingen geradezu einen Lebensstil, der sich nicht in selbstgeschaffener Depression und Aussichtslosigkeit vergräbt, als wäre man schon begraben. Den Blick von den kommentierenden Glaubenssätzen und Wahrheiten abwenden und die Wirklichkeit wahr nehmen, für wahr nehmen. Ich weiß, das klingt abstrakt, fast philosophisch. Ist es aber nicht. Der Krieg, die Kriege haben keine Wahrheiten, die wir kennen könnten, bevor sie uns treffen, nicht spekulieren bitte. Aus der Wirklichkeit die Konsequenzen ziehen, dann weiß man wenigstens, worüber zu verhandeln sein wird.

Ohne Deutschland

Ein Tag des angekündigten Endes. Es wird kein Energiegesetz geben, das diesen Namen verdient – also werden wir zu den Klimazielen nicht beitragen, abgesehen von verbalen Gefühlsbekundungen. Wir wollten ja…aber das Volk will nicht, die AfD will nicht, der Söder will nicht, und Lindner steht am Gaspedal auf dem Hindenburgdamm und kann auch nicht. Wissings Gebete gehen zum falschen Gott.

Es wird keinen menschenwürdigen Freitod geben. Die Kirchen jubilieren. Und die Schweizer Suizidbetriebe haben Konjunktur.

Sonst noch was?

Regt euch bloß nicht auf. So schlimm ist es in Deutschland doch nicht, verglichen mit anderen Ländern. Schlechte Schulen haben andere auch, unbedachte Eltern gibt es überall – gebt ihnen bloß nicht mehr Geld, sie geben es für ihr Vergnügen aus und nicht für ihre Kinder, außerdem sind es ja kaum mehr deutsche Eltern, und die ausländischen schicken wir ohnedies zurück, es sei denn, sie arbeiten für uns unterhalb der Lohngrenze oder oberhalb unserer eigenen Qualifikation. Regt euch bloß nicht auf.

Der Katalog deutschen Nachhinkens ist so lang wie die Liste deutschen Vorsprungs vor anderen. Ist doch gut, durchschnittlich zu sein.

Seit dem Beginn staatlicher Gleichheitsnormen bemühen sich partikuläre Eliten in einem Staat und Staaten untereinander um Ausnahmen von der Gleichheit und Freiheit, meist weniger Gleichheit und mehr Freiheit – und je stärker sie im Vergleich zu anderen sind, die meist von ihnen abhängig sind, desto besser funktioniert, was schon Tocqueville „Exceptionalism“ genannt hat, und was sich verfestigt und entwickelt hat. Nicht nur in den USA, wo der Begriff aber politisch wichtig geworden und geblieben ist (https://en.wikipedia.org/wiki/Exceptionalism; mit dem deutschen „Sonderweg“ verknüpft: The International History Review Vol. 23, No. 3 (Sep., 2001)), pp. 505-534 (30 pages). Dieser Sonderweg bietet jeder Gesellschaft einen Ausweg für ihre Überlegenheit, dann dürfen die einen Walfische essen, die andern Vögel jagen, die einen dürfen Länder erobern und die andern Sklaven halten und Kinder arbeiten lassen…Dass ein Sonderweg immer zu Lasten anderer geht, versteht sich, obwohl er nicht immer mit Privilegien verknüpft ist. Aber fast immer mit Macht. UN Sicherheitsrat, christliche Arbeitsbedingungen bei den Kirchen in Deutschland, Atommächte…

Beim letzten ist ein Sonderweg der Argumente deutlich: Solange nur die Russen Streumunition gegen die Ukraine verwendet haben, war das so gut wie kein Thema. Jetzt liefern die USA an die Ukraine, und die verbotene Ausnahme wird heftig kritisiert oder man verbietet sich selbst den Mund, weil Deutschland da ohnedies nicht mitreden darf…Obwohl Streumunition natürlich nach wie vor miserabel ist und verboten gehört, aber wer kontrolliert es, wer bestraft es?

Zurück zum Anfang. Im Wettbewerb der angesehenen Nationen fällt Deutschland zurück, im Wettkampf um Patente, Chips etc. sind wir in der unteren Liga, dafür loben wir jede geglückte Ausnahme (Exception) umso heftiger, und manche verbeißen sich das „typisch deutsch“ nicht.

Dass die Neonazis von der AfD (Ausnahmen für Deutschland) daraus Kapital schlagen, und nicht nur sie, verwundert nicht. Da sind wir keine Ausnahme in Deutschland. Aber wir hatten uns, selbstgefällig, nach dem Krieg vorgenommen, ausnahmsweise ausnahmsarm zu sein, -und jetzt fühlen wir uns von uns selbst verraten. Was ist da schief gelaufen?

Man kann das ziemlich genau analysieren und differenziert bewerten. Dazu gibt es ja auch die Wissenschaft und die intellektuelle wie empirische Kritik, – ABER die kommt bei der sogenannten deutschen Politik nicht an, oder nicht intensiv und umfassend genug. Was fehlt, fast völlig, die Zielbestimmung anderer Vergleichsmaßstäbe mit den Anderen als bisher zu entwickeln, zu vertreten, und durchzusetzen.

Der erste Schritt ist einfach: dort, wo Ursachen der schlechten Entwicklung nachweisbar sind (etwa im Bildungssystem oder im Gesundheitssystem), muss man die Nutznießer, die Exceptionalists, mit legitimer Gewalt ausklinken. Man kann den zweiten Schritt im Detail nicht vorhersagen, aber darüber Vermutungen anstellen.

Schwierig, aber ja. Habeck kann das, darum ist er auch das Angriffsziel der deutschen Verlierer, und nicht unsere Feinde. Andere können das auch. Traut euch.

Trocken. Dürr.

Wer trocken kommuniziert, praktiziert keine blumenreiche oder missverständliche Rhetorik, meint man.

Wer trocknen Wein bevorzugt, mag ihn trotzdem flüssig aber nicht süß.

Die trockene Antwort auf den unerfüllbaren Wunsch ist „nein“.

Nur sehr Böse oder Dumme glauben, dass die Hochwasser im Süden des Landes eine Kompensation für das Ausbleiben des Regens im Nordens sind.

Überhaupt ist Trockenheit ein Schlüsselbegriff für die Klimawende, ein Wort, das Menschen verstehen, die ansonsten das klimabedingte Ende der Menschheit in zehntausenden von Jahren vermuten wollen, um mit ihren Enkeln nicht darüber reden zu müssen. Trocken ists, trocken wirds. Die vertrocknete Liebschaft höheren Alters reicht gerade noch für genderkritische Belletristik verständiger RatgeberInnen. Also kein dürftiger Begriff, wie beim Dry Gin, dessen Gegenstück pink ist.

Nun ist die Trockenheit real, sie breitet sich aus, sie kann ein wenig gemildert, aber nie mehr beendet werden, schon gar nicht mit der halbherzigen Politik. Weil man das weiß, also weil alle das wissen können, warum geht die Politik kontrafaktisch dagegen vor? Warum redet die Koalition von Kompromiss, wenn sie beschleunigte Annäherung an das Klimasterben betreibt. Beschleunigung und Verlangsamung sind die ideologischen Instrumente um das Volk zu beruhigen.

Die Kompromisse können nicht beruhigen. Sie leiten nur die widerständigen Gegenströmungen um, an den Flussbetten des geordneten Pragmatismus vorbei in schwierigem, aber nicht kontrolliertem oder schwer zu beherrschendem Gelände. Früher nannte man das höflich anarchisch, um es von chaotisch abzugrenzen, aber es ist weder noch. Es ist der in der unvollkommenen Demokratie angezeigte Gegenzug zum Pragmatismus als Religion derer, die an der Macht sind und bleiben wollen. Vorsicht, werte LeserInnen: „pragmatisch“ muss und kann Politik fast immer sein, auch Kompromisse können pragmatisch sich verwirklichen, wo die polarisierten Forderungen sonst beide Verlierer gewesen wären. Aber wenn der Kompromiss letztlich die Fortschrittsvariante verhindert, dann muss er unterlaufen, untergraben werden. Wenn die Klimapolitik die 1,5° verhindert, wenn die Asylpolitik die Menschenrechte aushöhlt, dann sind die gefundenen Kompromisse Kapitulation vor dem einem, dem falschen negativen Extrem. Ich behaupte nicht, dass wir ohne weiteres das andere, das richtige Extrem durch Mehrheitsentscheidungen erreichen können müssen, aber der pragmatische Kompromiss ist keiner.

Das sagt sich leicht, ich weiß. Aber macht den Test, formuliert das Gegenteil. Man kann die Asylpolitik, die Klimapolitik auch anders machen. Dazu muss man nicht über die Ziele feilschen, sondern die Demokratie verbessern. Fast „griechisch“ mutet es an, wenn Herrschaft den Zweck hätte, das Leben der Menschen besser und lebbarer zu machen. Aber ohne philosophische Klauseln: unser Wohlstand wird geringer werden müssen, wir werden multiethnisch mit Menschen, die wir aufnehmen müssen, zusammenleben müssen, mit denen es vielleicht auch nicht so harmonisch geht, wie man es wollen sollte. Nur der Pöbel sagt: da sind wir dagegen. Und der alte saturierte Zyniker sagt, na und?

müssen, müssen, müssen. Wo Politik das Volk nicht als Initial hat, sollte sie es dazu bringen, die richtige Variante zu lernen und anzuerkennen, nicht umgekehrt. Das wäre demokratischer, als mit guten Worten die Menschen ins Verderben ihrer Kinder laufen zu lassen (2,5°) und am Rand der Festung Europa die Tradition der Lager weiter zu betreiben.

Verbot und Widerstand

Heribert Prantl: (SZ 1.7.2023)

Es gibt einen Weg, die Gesamtpartei AfD eindringlich zu warnen und zugleich die Wählerinnen und Wähler wachzurütteln: nicht einen Verbotsantrag gegen die Gesamtpartei zu stellen, sondern nur gegen die radikalsten Landesverbände – etwa die in Thüringen und Brandenburg. Das wäre eine angemessene, vielleicht ausreichende Reaktion einer wehrhaften Demokratie.

In der SZ vom 1.7.sind mehrere dazu passende Artikel, es „drängt“ die Medien.

Ich denke, dass er Recht hat. Die Angst, Karlsruhe könne Verbote als „zu schwach“ oder zu ungenau verwerfen, ist auch eine Angst vor der eigenen Logik – oder eine Vermutung, unser höchstes Gericht könne der rechtsradikalen Mehrheit des amerikanischen Supreme Court folgen. Was nicht sein wird, jedenfalls nicht absehbar.

Auch die Idee, die AfD-Zustimmung sei Protest, nicht Überzeugung, ist Unsinn. Das haben auch kluge WissenschaftlerInnen wie Wilhelm Heitmeier, Thomas Krüger, Sabine Kropp usw. (alle heute….!).

Merz und Söder, vor allem die CSU folgen schon heute dem Weg zur AfD, von Aiwanger mit angeführt. Nun kann man mit einer beschränkten Zahl von Faschisten in der Demokratie auch einige Zeit leben, wenn man mit diesem Pack umgehen kann. Politisch ist es ohnediesw schon ungemütlich, und es wird noch schlimmer.

ABER DAS REICHT NICHT:

Das bloße Bekenntnis zum Antifaschismus ist, wenn nicht lügenhaft, so doch unsinnig, weil es nicht zu versöhnende Gegensätze zudeckt. Wie nahe die Neonazis an Teilen der Linkspartei sind, verwundert nicht. Aber wie wenig die politischen Lautsprecher darauf Wert legen, den Radikalismus und Extremismus der Mitte auch nur beim Namen zu nennen, muss uns besorgt machen. (Das IST wirklich kompliziert, kann man in Ansätzen gut nachlesen und bedenken). Das ist übrigens Merz‘ Linie, eine fiktive Mitte zu symbolisieren, die stramm rechts sich verortet und weder christlich, noch sozial, nur politikzerstörend ist.

WIDERSTAND, RESILIENZ UND GEGENSTRATEGIE

Es gibt vorsichtige, abgewogene Analysen und vor allem solche, die Einwände, Ergänzungen und Variationen zulassen oder gar einladen. Und es gibt scheinbar eindeutige, „alternativlose“ Aussagen, die wahlweise Befehlston oder Dogmatik wiedergeben. Wann und wie welche Variation anzuwenden ist, kann oft schwierig zu entscheiden sein.

Weil sich Widerstand gegen den erneuten Faschismus und seine Ausknospungen ja häufig erst einmal rhetorisch äußert, sollten wir dorthin genau schauen und hinhören. Das wird in den meisten Interviews, Talkshows usw. nur oberflächlich kultiviert. Zur Rhetorik gehört, dass man mit der AfD ja insoweit „umgehen müsse“, also sie nicht verboten ist und deshalb Rechte im demokratischen Rechtsstaat hat. Diese Verkürzung ist beides: falsch und eine Anbiederung. Falsch, weil das Gegenteil, zB. keine Bundestagsvizepräsidenten zu wählen, sehr wohl demokratische Auswege zeigt, und eine Anbiederung, weil dahinter eine brandgefährliche These steht: Die „Abschwächungshypothese“ bei politisch extremen Parteien, sowie sie an der Macht sind. Sie beinhaltet, dass eine (vordem und evident) diktatorische, extreme und gewalttätige Macht oder Partei, wenn sie an der Macht = Regierung ist, an Extremismus verliert, sich zur „Normalität“ abschwächt und deshalb für andere erträglich oder partnerfähig wird, also im gewöhnlichen politischen Diskurs angekommen ist.

Darin ist eine Hoffnung, oft auch Erwartung enthalten, die man ja bei Meloni in Italien und vor der letzten Wahl bei Erdögan beobachten konnte, nicht nur bei denen. Und in der Tat ist der „Umgang“ mit zuvor abgelehnten PolitikerInnen nach deren Bestätigung im Amt sehr zwiespältig und unterschiedlich.

Mein erster Einwand gegen die beobachteten Kommentare ist, dass sie durchweg Reaktionen sind. Man hat Besseres zu tun, als sich mit dem Gesindel von der AfD auseinanderzusetzen; mit denen will man doch nichts zu tun haben, keine Politik machen, keine Meinung teilen, und teilt man sie, dann gibt man es nicht zu – und wenn es um einen Parkplatz geht.

Reaktionen sind nicht unbedingt die Voraussetzung für Widerstand. Kann man die AfD nicht gewähren lassen, ja, ihr sogar solche Posten anbieten, die zu ihrer Abnutzung führt – oder gar zu einer „Entzauberung“. Da liegt mein zweiter Einwand: oft scheinen die kleinen und großen Gauner dieser Neonazis zum Erfolg bezaubert zu sein, und uns verzaubert gegenübertreten. Wie würden sie denn aussehen, wären sie entzaubert? Alle wie Höcke oder Weidel? oder, wie realistisch zu erwarten, in der Mehrzahl harmlos oder unprofiliert, jedenfalls „normal“. NORMAL, das ist, wofür sich die Gegner der AfD wohl mehrheitlich halten, obwohl sie mit ihrer Gegnerschaft ja sich eine besondere un-normale Position einreden. Wenn sich einzelnen politischen Parteien innerhalb des demokratischen Spektrums gegen- und wechselseitig Schwächen, Irrtümer, Untragbarkeiten vorwerfen, dann häufen sich doch die un-normalen Aspekte der Kritik und Einschätzung innerhalb pluralistischer Unvollkommenheit. WIDERSTAND kann doch nur von dort kommen, wo man selbst nicht die Un-Normalität von anderen braucht. Aber da fehlt es wohl, nicht nur an Selbstkritik, sondern auch an Visionen und durchführbaren politischen, sozialen, kulturellen Akten. Auf die Umfragewerte zu starren, ist blödsinnig. Nicht die Werte sind blöd, die Beobachter derselben, weil sie sich ja fragen müssen, welche Idioten sich von ihrer Partei, ihrer Koalition, ihrer Oppositionsrolle abwenden – KENNE ICH DIE? Die Frage steht den Parteioberen ins Gesicht geschrieben. Widerstand kann nur aus dem Selbstbewusstsein des eigenen Programms UND der eigenen Praxis kommen, übrigens nur spärlich aus der Justiz, als wüßte die es besser. Siehe oben Prantl: einen Teilbereich kann man, als politisches Mittel, den Gerichten anvertrauen, Politik muss man schon selber machen, und wenn sie demokratisch ist, wird sie auch widerständig. O, wenn sie doch demokratisch wäre…

RESILIENZ bedeutet in diesem Fall nicht die Anpassung an die AfD, ohne die eigenen Werte infrage zu stellen oder gar zu verraten, aber auch nicht, sich pragmatisch mit ihr abzufinden, um die Unterschiede der eigenen Überzeugung zu überlassen und rote Linien zu zeichnen, die nicht überschritten werden dürfen. Von wem? DAS ist die Frage. Die AfD kann doch die roten Linien der CDU ständig überschreiten, aber wenn die CDU die roten Linien der AfD überschritte, gäbe es Konflikt, vielleicht Kampf…Und das will die Realpolitik dort nicht, wo sie nur weiß, was sie ablehnt, aber nicht weiß, was sie will (das ist die Schwäche der Ampelkoalition, ihre Klimaziele nur relativ an die Spitze zu setzen, anstatt absolut, d.h. unabhängig vom Geschmack der Massen, oder wenn man so will des Pöbels). Aber wozu hat man eine Demokratie? Wir müssen uns an UNSERE Ziele anpassen, soziale Einbußen in Kauf nehmen, vielleicht Wohlstand verkleinern, vielleicht mehr Kultur und weniger Konsum in Kauf nehmen – in Kauf gegen höhere Überlebenschancen. Dazu brauche ich keine Abgrenzung zur AfD, aber sehr viel mehr Überzeugungsarbeit gegenüber den echten Menschen in diesem Land. „echt“ heißt in diesem Fall, den wirklichen Bedürfnisträgern, nicht nur dort, wo alle Maßnahmen gleichermaßen ohne Veränderungen der eigenen Lebensweise möglich sind.

GEGENSTRATEGIE

Das Leben der Meisten in unserer Gesellschaft ist gut genug, dass man Abstriche an Wohlstand und Beharrung auf bisherige Lebensführung hinnehmen kann, wenn man das sinnvollerweise muss. Umwelt, Krieg gegen Russland für die Ukraine etc. Das Leben von Minderheiten in unserer Gesellschaft, 3 Millionen Kinder und Jugendliche, Zugewanderte, Nichtintegrierte, Kranke, etc. ist so schlecht, dass man sie auf dem Weg zu einer guten Klimapolitik, Sozialpolitik, Kulturpolitik mitnehmen kann und muss, ohne von diesen Politiken Abstriche an die Wohlgesättigten machen zu müssen. Klar, früher hätte man das unter Solidarität, Sozialpolitik usw. kurzgefasst, verstehen heute die Wenigsten, und ebenso klar, die betuchte neoliberale Klasse lehnt das ab, schon weil ihnen die nächsten Generation bei ihren Ausflügen in die *** egal sind. Dieser Klarheit kann die Politik entgegentreten.

Ich denke noch immer, dass die Grünen das am besten können, nicht jetzt schon immer wirklich gut, aber am besten. Dazu brauche die AfD nicht, und schon gar nicht die Konzentration auf den Diskurs über die Nazis. Bekämpfen und etwas richtiges dem entgegenzusetzen heißt nicht, sich auf die Unvermeidlichkeit sich ausbreitenden Faschismus so einzustellen, dass man irgendwann den Kompromiss noch als (Er)lösung betrachtet.

Hab ich schon gesgat: In gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod. Friedrich Logau und Alexander Kluge und wir sagen das hoffentlich auch.