Heribert Prantl: (SZ 1.7.2023)
Es gibt einen Weg, die Gesamtpartei AfD eindringlich zu warnen und zugleich die Wählerinnen und Wähler wachzurütteln: nicht einen Verbotsantrag gegen die Gesamtpartei zu stellen, sondern nur gegen die radikalsten Landesverbände – etwa die in Thüringen und Brandenburg. Das wäre eine angemessene, vielleicht ausreichende Reaktion einer wehrhaften Demokratie.
In der SZ vom 1.7.sind mehrere dazu passende Artikel, es „drängt“ die Medien.
Ich denke, dass er Recht hat. Die Angst, Karlsruhe könne Verbote als „zu schwach“ oder zu ungenau verwerfen, ist auch eine Angst vor der eigenen Logik – oder eine Vermutung, unser höchstes Gericht könne der rechtsradikalen Mehrheit des amerikanischen Supreme Court folgen. Was nicht sein wird, jedenfalls nicht absehbar.
Auch die Idee, die AfD-Zustimmung sei Protest, nicht Überzeugung, ist Unsinn. Das haben auch kluge WissenschaftlerInnen wie Wilhelm Heitmeier, Thomas Krüger, Sabine Kropp usw. (alle heute….!).
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Merz und Söder, vor allem die CSU folgen schon heute dem Weg zur AfD, von Aiwanger mit angeführt. Nun kann man mit einer beschränkten Zahl von Faschisten in der Demokratie auch einige Zeit leben, wenn man mit diesem Pack umgehen kann. Politisch ist es ohnediesw schon ungemütlich, und es wird noch schlimmer.
ABER DAS REICHT NICHT:
Das bloße Bekenntnis zum Antifaschismus ist, wenn nicht lügenhaft, so doch unsinnig, weil es nicht zu versöhnende Gegensätze zudeckt. Wie nahe die Neonazis an Teilen der Linkspartei sind, verwundert nicht. Aber wie wenig die politischen Lautsprecher darauf Wert legen, den Radikalismus und Extremismus der Mitte auch nur beim Namen zu nennen, muss uns besorgt machen. (Das IST wirklich kompliziert, kann man in Ansätzen gut nachlesen und bedenken). Das ist übrigens Merz‘ Linie, eine fiktive Mitte zu symbolisieren, die stramm rechts sich verortet und weder christlich, noch sozial, nur politikzerstörend ist.
WIDERSTAND, RESILIENZ UND GEGENSTRATEGIE
Es gibt vorsichtige, abgewogene Analysen und vor allem solche, die Einwände, Ergänzungen und Variationen zulassen oder gar einladen. Und es gibt scheinbar eindeutige, „alternativlose“ Aussagen, die wahlweise Befehlston oder Dogmatik wiedergeben. Wann und wie welche Variation anzuwenden ist, kann oft schwierig zu entscheiden sein.
Weil sich Widerstand gegen den erneuten Faschismus und seine Ausknospungen ja häufig erst einmal rhetorisch äußert, sollten wir dorthin genau schauen und hinhören. Das wird in den meisten Interviews, Talkshows usw. nur oberflächlich kultiviert. Zur Rhetorik gehört, dass man mit der AfD ja insoweit „umgehen müsse“, also sie nicht verboten ist und deshalb Rechte im demokratischen Rechtsstaat hat. Diese Verkürzung ist beides: falsch und eine Anbiederung. Falsch, weil das Gegenteil, zB. keine Bundestagsvizepräsidenten zu wählen, sehr wohl demokratische Auswege zeigt, und eine Anbiederung, weil dahinter eine brandgefährliche These steht: Die „Abschwächungshypothese“ bei politisch extremen Parteien, sowie sie an der Macht sind. Sie beinhaltet, dass eine (vordem und evident) diktatorische, extreme und gewalttätige Macht oder Partei, wenn sie an der Macht = Regierung ist, an Extremismus verliert, sich zur „Normalität“ abschwächt und deshalb für andere erträglich oder partnerfähig wird, also im gewöhnlichen politischen Diskurs angekommen ist.
Darin ist eine Hoffnung, oft auch Erwartung enthalten, die man ja bei Meloni in Italien und vor der letzten Wahl bei Erdögan beobachten konnte, nicht nur bei denen. Und in der Tat ist der „Umgang“ mit zuvor abgelehnten PolitikerInnen nach deren Bestätigung im Amt sehr zwiespältig und unterschiedlich.
Mein erster Einwand gegen die beobachteten Kommentare ist, dass sie durchweg Reaktionen sind. Man hat Besseres zu tun, als sich mit dem Gesindel von der AfD auseinanderzusetzen; mit denen will man doch nichts zu tun haben, keine Politik machen, keine Meinung teilen, und teilt man sie, dann gibt man es nicht zu – und wenn es um einen Parkplatz geht.
Reaktionen sind nicht unbedingt die Voraussetzung für Widerstand. Kann man die AfD nicht gewähren lassen, ja, ihr sogar solche Posten anbieten, die zu ihrer Abnutzung führt – oder gar zu einer „Entzauberung“. Da liegt mein zweiter Einwand: oft scheinen die kleinen und großen Gauner dieser Neonazis zum Erfolg bezaubert zu sein, und uns verzaubert gegenübertreten. Wie würden sie denn aussehen, wären sie entzaubert? Alle wie Höcke oder Weidel? oder, wie realistisch zu erwarten, in der Mehrzahl harmlos oder unprofiliert, jedenfalls „normal“. NORMAL, das ist, wofür sich die Gegner der AfD wohl mehrheitlich halten, obwohl sie mit ihrer Gegnerschaft ja sich eine besondere un-normale Position einreden. Wenn sich einzelnen politischen Parteien innerhalb des demokratischen Spektrums gegen- und wechselseitig Schwächen, Irrtümer, Untragbarkeiten vorwerfen, dann häufen sich doch die un-normalen Aspekte der Kritik und Einschätzung innerhalb pluralistischer Unvollkommenheit. WIDERSTAND kann doch nur von dort kommen, wo man selbst nicht die Un-Normalität von anderen braucht. Aber da fehlt es wohl, nicht nur an Selbstkritik, sondern auch an Visionen und durchführbaren politischen, sozialen, kulturellen Akten. Auf die Umfragewerte zu starren, ist blödsinnig. Nicht die Werte sind blöd, die Beobachter derselben, weil sie sich ja fragen müssen, welche Idioten sich von ihrer Partei, ihrer Koalition, ihrer Oppositionsrolle abwenden – KENNE ICH DIE? Die Frage steht den Parteioberen ins Gesicht geschrieben. Widerstand kann nur aus dem Selbstbewusstsein des eigenen Programms UND der eigenen Praxis kommen, übrigens nur spärlich aus der Justiz, als wüßte die es besser. Siehe oben Prantl: einen Teilbereich kann man, als politisches Mittel, den Gerichten anvertrauen, Politik muss man schon selber machen, und wenn sie demokratisch ist, wird sie auch widerständig. O, wenn sie doch demokratisch wäre…
RESILIENZ bedeutet in diesem Fall nicht die Anpassung an die AfD, ohne die eigenen Werte infrage zu stellen oder gar zu verraten, aber auch nicht, sich pragmatisch mit ihr abzufinden, um die Unterschiede der eigenen Überzeugung zu überlassen und rote Linien zu zeichnen, die nicht überschritten werden dürfen. Von wem? DAS ist die Frage. Die AfD kann doch die roten Linien der CDU ständig überschreiten, aber wenn die CDU die roten Linien der AfD überschritte, gäbe es Konflikt, vielleicht Kampf…Und das will die Realpolitik dort nicht, wo sie nur weiß, was sie ablehnt, aber nicht weiß, was sie will (das ist die Schwäche der Ampelkoalition, ihre Klimaziele nur relativ an die Spitze zu setzen, anstatt absolut, d.h. unabhängig vom Geschmack der Massen, oder wenn man so will des Pöbels). Aber wozu hat man eine Demokratie? Wir müssen uns an UNSERE Ziele anpassen, soziale Einbußen in Kauf nehmen, vielleicht Wohlstand verkleinern, vielleicht mehr Kultur und weniger Konsum in Kauf nehmen – in Kauf gegen höhere Überlebenschancen. Dazu brauche ich keine Abgrenzung zur AfD, aber sehr viel mehr Überzeugungsarbeit gegenüber den echten Menschen in diesem Land. „echt“ heißt in diesem Fall, den wirklichen Bedürfnisträgern, nicht nur dort, wo alle Maßnahmen gleichermaßen ohne Veränderungen der eigenen Lebensweise möglich sind.
GEGENSTRATEGIE
Das Leben der Meisten in unserer Gesellschaft ist gut genug, dass man Abstriche an Wohlstand und Beharrung auf bisherige Lebensführung hinnehmen kann, wenn man das sinnvollerweise muss. Umwelt, Krieg gegen Russland für die Ukraine etc. Das Leben von Minderheiten in unserer Gesellschaft, 3 Millionen Kinder und Jugendliche, Zugewanderte, Nichtintegrierte, Kranke, etc. ist so schlecht, dass man sie auf dem Weg zu einer guten Klimapolitik, Sozialpolitik, Kulturpolitik mitnehmen kann und muss, ohne von diesen Politiken Abstriche an die Wohlgesättigten machen zu müssen. Klar, früher hätte man das unter Solidarität, Sozialpolitik usw. kurzgefasst, verstehen heute die Wenigsten, und ebenso klar, die betuchte neoliberale Klasse lehnt das ab, schon weil ihnen die nächsten Generation bei ihren Ausflügen in die *** egal sind. Dieser Klarheit kann die Politik entgegentreten.
Ich denke noch immer, dass die Grünen das am besten können, nicht jetzt schon immer wirklich gut, aber am besten. Dazu brauche die AfD nicht, und schon gar nicht die Konzentration auf den Diskurs über die Nazis. Bekämpfen und etwas richtiges dem entgegenzusetzen heißt nicht, sich auf die Unvermeidlichkeit sich ausbreitenden Faschismus so einzustellen, dass man irgendwann den Kompromiss noch als (Er)lösung betrachtet.
Hab ich schon gesgat: In gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod. Friedrich Logau und Alexander Kluge und wir sagen das hoffentlich auch.