Wenn der Koran verbrannt wird, protestieren überall auf der Welt Gruppen von Muslimen.
Die hebräische Bibel, das Neue Testament werden seltener öffentlich geschändet, das war einmal anders.
Andere religiöse Schriften und Symbole werden oft beleidigt, aber weniger kommentiert.
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Warum Religion mehr und anders, oft besser geschützt wird als jede andere Form der institutionellen Freiheit, hat eine Geschichte, die sehr früh beginnt. Man hütet sich, den jeweiligen Gott beleidigen zu lassen, den Gott, von dem man sich Schutz und Erlösung erhofft, oder gar ein Jenseits. Die Geschichte lassen wir einmal beiseite, weil ja hinreichend viele Menschen die Religionsgemeinschaften verlassen oder aber wissen, dass sich die Götter um ihre irdischen Medien ohnedies nicht sichtbar und spürbar scheren. Natürlich, die Kleriker schon, die brauchen ja eine göttliche Begründung für ihren Machtanspruch. Darum hängt sich der – vor allem bei den Monotheismen – gerne an die staatliche Macht und Gewalt, weil dann der Schutz der Privilegien nicht mehr begründet werden muss. Ich sagte Monotheismen, am meisten hassen sich die, die uns glauben machen wollen, es gäbe nur einen Gott. Da treten die Monos gegeneinander an…
Was sich da abspielt, z.B. bei den schwedischen Koranbränden und den jeweiligen Reaktionen in islamischen Ländern, ist so verstörend wie die Politik religiös-faschistischer und nichtreligiöser Faschisten an der Seite von Netanjahu in Israel; auch das verstört, nur anders. Wie gesagt, analoges gibts bei den Christen auch, und gabs früher noch viel mehr, bei uns treten die Menschen scharenweise aus den Kirchen aus, anderswo unterwerfen sie sich – noch.
Das alles ist nicht mein Punkt, sondern nur der Rahmen. Die Vereinnahmung der Gotteskonstruktion durch gewalttätige Diktaturen ist ein Moment der Festigung und des Fortbestands illegitimer Gewalt, immer schon gewesen und auch weiterhin. Auch sind die Gewalttaten, die sich nicht auf eine Gottheit berufen, um nichts besser oder schlechter als von der Gottheit gesegnete. Beides sind nur Varianten der gleichen Unmenschlichkeit.
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Religion ist meist ein Rückzugsort, wo man weniger angreifbar ist als in der säkularen Welt – Man kann in einem Kloster besser als anderswo meditieren, die Altarbilder sind oft schöner als Schlachtengemälde und Religionen helfen der karitativen Praxis im Krankenhaus und in der Schule oft besser als andere…Und da sollen wir abwägen? Und nicht alles so lassen, wie es gerade ist?
Der Machtanspruch der Religionen paart sich gern mit der Herrschaft der Mächtigen, und wenn sich dagegen stemmt, dann oft aus einer Position demonstrativer Ohnmacht. Daran halten sich die Heuchler und die Taktiker gern, die abwarten, ob und wie sich die Religion an den erneuerten Machtgefügen festhalten kann – oder abstürzt.
Mit der Lächerlichkeit der Koranverbrennung ist es wie mit den Straßenklebern. Beides sind untaugliche Mittel, die Menschen wachzurütteln und gar die Politik zu verbessern. ABER. Die Reaktionen auf beides, so unterschiedlich sie sein mögen, sind schlimmer als die Taten selbst. Das ist ziemlich misslich, weil es offenbart, was sich so knapp unter der spießigen Oberfläche der Gesellschaft längst zusammengeballt hat.
Da reicht es nicht, „miteinander zu reden“, es gibt da keine Kompromisse. Die falsche Aktion mindert nicht die Gefahr, die von der falschen Reaktion ausgeht, sie ist sozusagen nur der Bote. Wir wissen nicht, ob irgendein Gott die Verbrennung eines Buches überhaupt wahrnimmt. Aber wir wissen, dass einen Zusammenhang zwischen erbosten Autofahrern und Klimaklebern auf der morgendlichen Straße zur Arbeit gibt. Und den Zusammenhang auflösen, das nenne ich Politik, nicht den Kopf schütteln und sich wundern, dass es wieder ein Punktgewinn für die AfD und andere Faschisten ist. Wie man das auflöst? Zunächst einmal darüber nachdenken, warum sich die Menschen durch die Klimakleber so viel mehr gestört fühlen als durch die Abwesenheit von Tieren, Pflanzen, gesunder Luft und schönem Wetter. Das „So viel mehr“ zeigt UNSERE Gesellschaft, nicht irgendein Prinzip oder gar eine Wahrheit. Die Wirklichkeit holt uns ein.