anti-ANTI II

Drei Kommentare in einer ausführlichen Kritik von Felix Klein an dem Scheinjuden Fabian Wolff:

„Die israelische Botschaft in Berlin sagte über den Vorgang: »Wir müssen alle darüber nachdenken, ob die Tatsache, dass er sich als Jude ausgegeben hat, für manchen eine gute Ausrede war, seine Dämonisierung gegenüber dem Staat Israel zu legitimieren.« Wolff hatte in einem viel beachteten Text ausführlich Kritik an einer Israel-Boykott-Kampagne zurückgewiesen.

Auch der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, sieht in dem Vorgang einen Beleg für ein Muster: »Es zeigt sich ein grundsätzliches Problem dieser Gesellschaft und ihrer Medien: Man hört so gern etwas Israelkritisches und gern auch etwas gegen den Zentralrat der Juden. Und man will es freilich gern von einer jüdischen Stimme hören.«

Dabei übersteige die Nachfrage in der Gesellschaft eindeutig das Angebot: »Wer das Gewünschte liefert, kann sich vor Angeboten gar nicht retten.«“

(Fall Fabian Wolff: Antisemitismusbeauftragter kritisiert Autor (msn.com) 5.8.2023

Die Kommentare äußern, ohne es zu wollen, eine Einengung des Antisemitismus auf die tatsächliche und die behauptete Israelkritik. Nichts einfacher, als Fabian Wolff zu kritisieren, das Scheinjudenar4gument ist vor allem für Deutschland ein gelungenes Werkzeug, die eigen Rolle der geläuterten und nunmehr juden- und israelfreundlichen Gesellschaft zu dokumentieren. Kann man machen, aber –

Der Antisemitismus ist älter und differenzierter als seine Ableitung oder primäre Zuschreibung zur Shoah. Religiös und ethnisch begründete Antisemitismen kausal dem Holocaust zuzuschreiben oder von ihm abzuleiten, greift zu kurz und ist oft einfach historisch falsch.

Das ist im übrigen ein wesentliches Argument für das vom BMBF und dem Fritz Bauer Institut geförderten Projekt AIES „Antisemitismus im europäischen Schulunterricht“ (Vgl.  FBI Jahresbericht 2022, S. 161, Antisemitismus als Gegenstand des Schulunterrichts | Antisemitismus | bpb.de; (2006!); Antisemitismus im europäischen Schulunterricht (AIES) – Institut für Germanistik – Europa-Universität Flensburg (EUF) (uni-flensburg.de); (2021). Juliane Wetzel von der bpb sagt zutreffend:

Holocaust-Erziehung kann Jugendliche zwar sensibel machen für die Gefahren des Antisemitismus, aber nicht immunisieren. Die Maßnahmen der Aufklärung müssen umfassender sein.

Ein weiterer Aspekt ist kompliziert: gerade das letzte Jahr hat gezeigt, wie oft die Frage nach legitimer und illegitimer Israelkritik sich darauf reduziert, dass die Israelkritik antisemitisch sei (was durchaus in vielen Fällen so ist, und ebenso vielen Fällen nicht zutrifft). Aus der Kritik an der Israelkritik aber eine praktikable Position gegen Antisemitismus zu gewinnen, ist mehr als oberflächlich.

Mein dritter Einwand gegen die Ableitung des Antisemitismus auf einen Ursprung ist auch nicht einfach, wenn ich mutmaße, dass es eine deutsche Position ist, die das alles in dieser Form hochspielt. Auch in anderen Gesellschaften gibt es Antisemitismus, oft mehr als bei uns, manchmal weniger, aber seine Analyse beruht dort selten auf einem Wiedergutmachungs-Selbstbezug, der sich angeblich selbst erklärt. Das müsste dem Schulunterricht auch kritisch zugefügt werden. Und damit der Lehramtsausbildung.

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Eine Position gegen Antisemitismus einzunehmen und vor allem auszusprechen, ist so einfach wie wenige politisch-ethische Aussagen. Aber ich frage, ausdrücklich auch als jüdischer Mensch: na und? Wen erreichts? Was bewirkt es?

Seit Jahrzehnten, eigentlich seit 1945, dem Weltkriegsende, also vor der Gründung Israels, ist der Antisemitismus präsent. Das ist einfach zu erklären. Weniger einfach die seit vielen Jahrzehnten behauptete These vom Anstieg des Antisemitismus. Wenn er auch nur seit dem 1950er Jahren ständig angestiegen wäre, müsste er heute beherrschend sein, was er nun wirklich nicht ist, und zugleich könnte man bewerten, messen und kritisieren, wieviel welche Aussagen und Maßnahmen gegen den Antisemitismus bewirkt haben. Wer kann, soll, darf, will das tun?

Kein Missverständnis: ich habe seit meiner Kindheit in Österreich und erwachsen in Deutschland unter Antisemitismen gelitten, oder ab sie für mich weniger relevant empfunden als die Antwort auf die Frage: wer und was ist jüdisch in Deutschland? Die Antwort ist so kompliziert, weil sie nicht aus der Nachkriegsgeschichte, wie das manche gerne wollen, herleitbar ist, und sie ist widersprüchlich, man möchte sagen multipolar, ethnisch, religiös, identitär, sozial integriert oder desintegriert…

Und da sind die oben zitierten Aussagen, incl. Des Hinweises auf den Zentralrat im Kontext der Israelkritik, einfach daneben.

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Felix Klein hat noch etwas gesagt, an anderer Stelle: „Antisemitismusbeauftragter Felix Klein: – „Die AfD ist eine Gefahr für jüdisches Leben“ (msn.com)“ (5.8.2023), darin kritisiert er die AfD zu Recht als Gefahr für das Judentum in Deutschland. (Das wäre, ist es diesmal aber be8i ihm nicht, ein wichtiger Punkt, wie eine Millionenpartei neonazistischen Zuschnitts mit einer Gruppe von 200.000 jüdischen Menschen verfährt). Was mich wundert, ist ausgerechnet der Hinweis auf die jüdischen Speisegesetze, die von der AfD unterlaufen werden. Stimmt, aber das in den Vordergrund zu rücken, halte ich für problematisch. Ich kenne  aus meinen jüdischen Umgebungen eine Menge streng koscherer, wenig koscherer, gar nicht koscher und eine Menge dazu unwissender jüdischer Menschen. Und etliche nichtjüdische Sympathisanten, die aus anderen guten Gründen koscher essen und kochen.

Zu Felix Klein, den ich sympathisch finde und der gewiss eine schwere, fast unlösbare Aufgabe hat: Er repräsentiert eine Auffassung von Judentum, die einen Teil der jüdischen Menschen in Deutschland betrifft. Es wäre schön, wenn er nach den anderen Teilen sich ausdehnte, erst einmal mehr fragen als schon beantworten, wie wir nicht einfach den Antisemitismus bekämpfen, sondern unsere jüdischen Selbstverständigungen neidlos und differenziert ausleben und ausdiskutieren können.

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