Keine Angst. Hier kommt keine Apokalypse, und keine Religion. Manches aber scheint nicht zu enden, es lebt vor sich hin. Aus gutem und auch praktischem Grund sammle ich wieder systematisch antisemitische, antiisraelische, antijüdische Information, und versuche zu erklären, was die Unterschiede zwischen drei Ärgernissen sind. Und ganz aktuell kommt dazu, dass Kritik an Israel nicht gleich antisemitisch ist, und der Begriff Israelkritik schon eher, und was man meint, sollte mehr als nur eine Meinung sein.
Haben wir keine anderen Sorgen?
Ich bleibe zunächst bei meiner These, wonach der Antisemitismus die Juden macht (Der Antisemitismus macht Juden, Merus, Berlin 2007). Was und wer jüdische Menschen außerhalb dieser Konstruktion sind, ist kompliziert. Es gibt sie, es gibt uns, aber im Oszillieren zwischen Ethnie und Religion entsteht viel Verwirrung, bestenfalls, und Konfrontation, leider normal. Und eigentlich haben wir andere Sorgen.
Aber man kann sich nicht aussuchen, was einen bedrückt und angreift, bestenfalls, und gefährdet, unterdrückt, normal.
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Gerade habe ich eine hochaktuelle Arbeit gelesen, bei der es um Widerstand gegen den Antisemitismus in einem islamischen, mezzodemokratischen Land geht. Menschen wehren sich gegen den Antisemitismus. Auch nichtjüdische Menschen, wohlgemerkt. Warum und wozu tun sie das, setzen sich Gefahren aus, isolieren sich? (Über diese Arbeit werde ich demnächst schreiben).
Gerade habe ich auch, aus unerfreulichem Anlass, über antiarabische Demonstrationen und Gewalt in Israel gelesen. Was ich über Antisemitismus sage, kann, mit Variationen – die sind wichtig – über den arabisch-islamischen Antisemitismus und den israelischen, oft jüdischen Antiarabismus, Antiislamismus analog gesagt werden. Diese Wahrheiten sind fast trivial, aber sie sind aktuell.
Die Fragen, wie es dazu gekommen ist, jeweils, sind komplex, setzen Wissen, Bildung und einige Sicherheit über die eigenen Positionen voraus, auch und gerade wenn diese selbst widersprüchlich sind.
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Ich habe die Höllenvorstellung von Borges in den Titel genommen, dass ewig leben die Hölle bedeutet. Wenn schon nicht wirklich, dann in der Vorstellung und in der Wahrnehmung….“Hört denn das nicht auf?“.
Man kann erklären, warum in Israel die Rechtsradikalen, auch Faschisten, auch Ultrareligiöse, auch illegale Siedler an der Macht sind. Man kann auch erklären, wie die arabischen, muslimischen, palästinensischen Formationen Israel angreifen. Man kann urteilen und verurteilen. Dazu, siehe oben, braucht man Wissen, Bildung, und einige Einsicht in die eigenen Positionen. Das fällt alles nicht leicht, aber es geht, v.a. wenn man wissenschaftlich und mit Erfahrung nachdenkt. Was schwieriger ist, gerade heute, wie man das alles mit dem Jüdischen zusammenbringt, um das es doch auch geht.
Satire sagt, wenigstens ein Gutes hat Netanjahus Gangsterregierung: die jüdische Ausnahmestellung in der anthropologischen Evolution gibts nicht mehr. Falsch: hats schon lange nicht mehr gegeben, eigentlich nie. Aber satirisch: Muss man es denn so deutlich zeigen? Ja, um den Preis eines wirtschaftlichen und kulturellen und sozialen Debakels, das Israel in Frage stellt. Nicht aber die jüdischen Gesellschaften dort wie anderswo. Das ist ein prekärer Punkt. Ich möchte mich nicht mit dem Verschwinden Israels abfinden, ich möchte auch nicht, dass es in den Händen der jetzigen regierenden Verbrecher bleibt. Beides hängt nicht notwendig, aber möglicherweise zusammen, in Israel und bei mir.
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Die Religion hats leicht. Das Christentum muss antisemitisch bleiben, um sich vom Judentum abzusetzen, und der Islam, um sich von beiden, Juden und Christen, abzusetzen. Theologie ist keine Wissenschaft.
Die Ethnologie hats schwer. Da stimmen diese aufeinander folgenden Perioden nicht. Und jetzt müssen wir sie, die Ethnologie, genauso bemühen wie die Sozialwissenschaft, die Politik, die Linguistik, die Kunst, eigentlich fast alles Wissen, um zu erkennen, was wie wo jüdisch ist und bleibt, was in den Strudel der geopolitischen und mittelöstlichen Gewalt und Politik gezogen wird, und was immer schon Illusion war.
Das Nachdenken darüber darf man nicht dem kurzlebigen Opportunismus opfern, dass wir auch Netanjahu überleben werden und seine Mafia, dass Israel das demokratische Zentrum jüdischer Hoffnung bleiben wird – schön wärs, aber dazu muss man erstens etwas tun, und zweitens ist Hoffnung nicht Zuversicht, und wo wir die gerade herholen sollen, fragt sich.
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Auch hier bei uns in Deutschland. Hier lebt so manches ewig und macht es zur Hölle, was eigentlich hätte überwunden und überlebt werden können: der Diskurs um Aiwanger, nicht seine Untaten, ist zäh an die Vergangenheit gebunden; der Diskurs um Israel wir immer noch und stärker uns jüdischen Menschen aufgedrängt, anstatt dass die Deutschen einmal ihre liebgewordenen Identitätstraditionen auf den Prüfstand stellen; und wird man bei den wichtigen Fragen, Klima, Umwelt und Krieg, fragen ob die jüdischen Menschen anders überleben als der Rest der Menschen (1 Mensch : 8 Mrd.). Wir sind wie Gulliver gefangen, und solange es sich gut liegen lässt unter tausenden Fäden, denken wir nicht daran, uns von diesen Geschichten zu befreien, um ein wenig die Wirklichkeit weiter zu gestalten und zu überleben. …. Aber, sagt ihr, was hat das mit den jüdischen Problemen zu tun? Eben.