Faschismus — schon wieder?

Ungarn, Polen, vielleicht schon bald die Slowakei, und vielleicht Österreich, und … Die EU wird nicht plötzlich auseinanderbrechen, sie dissoziiert, zersetzt sich und wird zersetzt.

Der interne Zersetzungsprozess in Deutschland weist analoge Züge auf.

DIE ZEIT FAULT UND KREISST ZUGLEICH . Oft zitiert, aber selten weiter gelesen: „Der Zustand ist elend oder niederträchtig, der Weg heraus krumm. Kein Zweifel aber, sein Ende wird nicht bürgerlich sein“. (Bloch 1962 (1935)), S.15

Nicht bürgerlich? Demokratisch oder faschistisch.

Faschismus hat die Wortgabe, für alle – Faschisten wie Antifaschisten – ein so einfaches Schimpfwort zu sein wie wenige andere. Als Wort ist es abgegriffen, und als Begriff kaum bewältigt. Es ist jedenfalls nicht „demokratisch“, den Begriff deshalb nicht zu bilden oder scheu zu umschreiben.

Vor den Wahlen – man ist immer vor den Wahlen – überbieten sich die restdemokratischen Wahlkämpfer mit populistischen Programmen, gegen Flüchtlinge, lasst sie ertrinken, unsere Steuern helfen den Seenotrettern nicht, gebt ihnen kein Geld, sondern abgelaufene Lebensmittel, und lasst sie nicht arbeiten, für Flüchtlinge gilt die Menschenwürde nicht…nicht alle denken und reden so, aber viele, zumal aus dem christlichen und nationalistischen Bereich, aber nicht nur. Dass die Nazis von der AfD davon profitieren, lässt die Gegner, die ja nicht per se demokratisch sind, hier nachahmen, so wie die rechten Parteien vor 1933 sich an die Nazis angeschmiegt haben, nur nicht so vulgär sein wollten, aber schon in der gleichen Brühe fischend.

Ähnlich wie beim F-Wort wird dieser Vergleich brüsk von sich gewiesen, die Umstände seien doch alle anders. „Anders“ sagt nichts. Wie sind sie denn, die Umstände?

Nochmals Bloch: „Humanität unterscheidet den Sozialismus vom Faschismus“ (S. 163). Heute kennen wir hinreichend viel inhumanen Sozialismus, um die Unterscheidung präziser zu gestalten.

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Es ist eingetreten, was ich befürchtet hatte, nach der Auflösung des sowjetischen Imperiums. Ich kann mich nicht dafür loben, kann auch die damaligen Kontroversen nicht aufarbeiten, alles im Nebel von Vergangenheit: die Ausweitung der EU, ihre Vermehrung um ex-kommunistische Satelliten, war vielleicht langfristig richtig gedacht, aber kurzfristig nicht richtig getan. Das war meine These.

Analogie: die Millionen deutscher Nazis wurden ja 1945 am 8. Mai nicht plötzlich zu demokratischen Bürgern.

Die Millionen nach 1945 unterdrückter Bürger im stalinistischen, später post-sozialistischen Ostblock haben sich 1989 ja nicht alle aus den Strukturen befreit, in die hineingeboren und sozialisiert wurden, sondern eben nur ungleichzeitig, teilweise nur teilweise, … es wurde nicht annähernd aufrichtig darüber gedacht und gehandelt, wie lange die (Re-)Demokratisierung westlicher Gesellschaften jeweils gedauert hatte. Und dass wir  – „wir“ – uns im Westen mit der Erweiterung um den so genannten Osten auch verändern würden, sei es nur um die noch zunehmenden Probleme und Schwierigkeiten, war ja wohl keine herausragende Hypothese.

Analogie: auch wenn die Intervention der USA in Afghanistan zu rechtfertigen war, so musste ihr Versuch, das Land zu einem Verbündeten „des Westens“ zu machen, scheitern (über die Niederlage vgl. (Quilty 2023) und AAN).

Eines der Hauptprobleme ist, dass die Befreiung aus Unterdrückung, Schwäche, Abhängigkeit nicht von sich aus zu Demokratie, Humanität und Stärke führen muss. Kann, vielleicht. Muss nicht.  Dass Befreiung nicht Freiheit ist, wissen wir, wissen alle.

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Warum ich diese Gedanken heute besonders aktuell veröffentliche? Weil gestern und heute eine besondere Dichte von antidemokratischen, inhumanen und folgenschweren Äußerungen und Verhandlungen auf uns niederregnen, die zu Panik oder Resignation führen könnten, wären sie nicht gleichzeitig so absurd. Die Regierung in Israel tut gut daran, die Angriffe der Hamas aus dem Gaza heftig zu beantworten (DLF 8.00). Weiter: NATO alarmiert über Lage im Kosovo. Melonis „Brüder Italiens“ weiterhin stärkste Partei Italiens. Berlin will künftig Seenotretter nicht mehr unterstützen. Verdächtige am Mord an Ecuadors Präsidentschaftsbewerber tot. Russische Raketen trafen Odessa…und so weiter (alles ORF.at(#)). Die Wirklichkeit zerfetzt nicht nur heute Parteiprogramme, Sonntagsreden und Wahrheiten. Immerhin lenkt das von den Umweltproblemen ab,…

Alltagsfragen sind, ob und wie eine faschistische Regierung richtig handeln kann, welche Fehler einer demokratischen Regierung nicht und welche schon zu tolerieren sind, wie unsere Gedanken die politische, soziale und kulturelle Welt ordnen.

Sicher ist es falsch, die eigene Meinung und die Interpretation der Wirklichkeit nach linearen Extremen zu ordnen, rechts-links, nord-süd, demokratisch-autoritär etc. Zu Recht werden viele gegenwärtige Ideologien dem traditionellen Muster des Manichäismus zugeordnet: “ In der Gegenwart wird der Begriff verwendet, um Ideologien zu kennzeichnen, die die Welt ohne Zwischentöne in Gut und Böse einteilen, wobei sie den Feind zum existenziell bedrohlichen, wesenhaft Bösen stilisieren. Dem liegt zumeist ein eschatologischer Zug zugrunde. Als manichäisch in diesem Sinne werden in den Sozialwissenschaften etwa christlicher Millenarismus,[12] Antisemitismus,[13] der Nationalsozialismus[14] und verschiedene Verschwörungstheorien[15] beschrieben“ aus: Manichäismus – Wikipedia. (9.10.2023). Der eschatologische Zug ist nicht marginal, denn das Weltende entbindet viele partikuläre Gruppen der Verantwortung für andere Menschen und Nachkommen.

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Man braucht diese und andere Überlegungen, damit man die (Selbst)Darstellung von Exponenten der absurd destruktiven Politik nicht einfach ins Irrelevante, Blödsinnige – oder im Alltagsgebrauch „faschistische“ abtut. Es gibt nämlich bei all dem eine Attraktivität des „Bösen“, die das „eigene Gutsein“ wenigstens für die eigene Umgebung erhöht.

Und man muss überlegen, welche Mittel es gibt, solchen Spuk wie den erklärbaren, aber dennoch irrwitzigen in Ungarn oder Polen oder herunterzubrechen auf die Normalität der noch lange nicht gefestigten Demokratie als Lebensform und nicht bloß Verfassungshülle. Das ist Politik, nicht einfach freie Meinung.

Bloch, E. (1962 (1935)). Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt, Suhrkamp.

Quilty, A. (2023). August in Kabul: America’s Last Days in Afghanistan. Londonj, Bloomsbury.

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