A- , U-, I-, … und ewig so fort

1.

Ich schreibe hier nicht zum Krieg der Hamas gegen Israel. Ich beginne aber mit einer bespielhaften Überlegung von Miron Mendel im DLF, 15.10., 8.10: beim Terrorangriff der Hamas auf Israel sind auch Palästinenser ermordet worden, von der Hamas getötet, z.B. beim Musikfestival. Und: wenn der Krieg zu Ende sein wird, dann wird auch die Vorgeschichte von Netanjahus rechtsradikaler Regierung zum Thema werden. Das wird selten so klar gesagt in der zerfasernden Solidarität. Ich füge hinzu: sprechen wir hier nicht von Schuld, sondern erstmal von Verantwortung. Und: Ursachen und Anlässe des Terrors sind niemals deckungsgleich, und die Folgen für die Existenz Israel als einigendes Band für unsere Solidarität müssen die Ursachen bedenken und nicht den Jahrestag des Yom Kippur Kriegs und andere Symbole. Und zu Netnjahu und seiner rechtsradikalen „Regierung“: NUR wenn Israel überlebt, wenn Israels Existenz gesichert ist, kann man Netanjahu den Prozess machen. Wenn nicht, dann ist es egal, was mit ihm geschieht.

Ich schreibe aber nicht zum Krieg der Hamas gegen Israel.

Analogie: Terror der Aktualität: michaeldaxner.com 20.2.2022; Lesehinweis: Herfried Münkler: „Der Worst Case war nicht vorgesehen“, 12.10.2023, ZEIT #43, 58

Das eine überlagert das andere. Afghanistan ist weitgehend verdrängt, sowohl die Niederlage von USA und also auch Deutschlands als auch die Machtübernahme durch die Taliban; die Ukraine, vor zwei Wochen noch ganz wichtig, heute weitgehend aus den Schlagzeilen. Deutschland, Europa, „Wir“ betrachten die Ereignisse SCHEINBAR objektiv aus der Draufsicht derer, die alles besser wissen oder sich vor diesem Wissen drücken, es draußen vor lassen. Was haben wir mit Afghanistan zu tun? was mit der Ukraine? Wo sind die Analogien zwischen Hitler und Putin, zwischen Putin und Stalin, zwischen den großen und den kleinen Diktatoren, wenn wir doch mit den meisten nicht ethisch, sondern pragmatisch oder abhängig kommunizieren?

Ich kenne Afghanistan, sagen wir, ganz gut. Und ich weiß, dass zur Zeit ca. ein Drittel der Bevölkerung verhungert. Was hat das mit uns, mit Deutschland, mit der NATO, mit unseren Verbündeten zu tun? Und was mit unseren Gegnern? Vielleicht erinnert Ihr euch, in einem Blog vor wenigen Tagen habe ich Notwendigkeit beschrieben, die Geschichte so zu studieren, dass wir die JETZT eingetretenen Ereignisse nicht nur nachvollziehen, sondern verstehen können. Dazu gehört Wissen, nicht unbedingt Wissenschaft, aber eine Bildung, die das neoliberale Gegenwärtige übersteigt. Bildung, die in den alten und neuen Diktaturen ausgeblendet wird, sei es durch Krieg und Terror, durch den Nationalismus oder die Religion oder beides.

Die Berichterstattung erzeugt ziselierte Feinheiten an den Bildern, die wir – hoffentlich wir – schon kennen, die Wahrheit in unseren Träumen, wo die Wirklichkeit nicht mehr oder noch nicht ist. Über die Träume schreibt mein Grüner Freund Sergej Lagodinsky in der FAZ am 13.10., nicht nur gegen die wirklichen Zerstörer, sondern vor allem gegen die Gleichgültigen, die „unauffälligen Schweiger“, die „unterkühlten Relativierer“.

Zurück zu Afghanistan: es ist den Relativierern zu weit weg. Zurück zur Ukraine, die wird gerade in den Schatten gestellt, weil Israel grell aufscheint. So, wie bei Lagodinsky der Traum eine nicht begrenzbare Funktion hat, so haben bei uns die Wahrnehmungen von mehr als einer Wirklichkeit keine Grenzen – außer von uns selbst gesetzte. Das aber darf nicht sein. Die Gleichzeitigkeiten des Schrecklichen, des Unmenschlichen sind keine Überforderungen des Gefühls und schon gar nicht der Realpolitik des Einsnachdemanderen. Es sind diese Gleichzeitigkeiten, die uns die Wirklichkeit unserer Zeit überhaupt erst wahrnehmen lassen, und das führt zu den Wahrheiten, nicht umgekehrt (deren Ordnung ja verordnet wird).

Sergej: “ Und betroffen sind nicht nur Juden, betroffen ist jeder, der den Traum von Demokratie und Aufklärung zu träumen wagt“. Kein einfacher Satz von oben. Der Traum von Demokratie und Aufklärung ist ja noch nicht Wirklichkeit, er braucht keine Erörterungen über seine Ausgestaltung, sondern Praxis, die uns dann erörtern, kritisieren und weiter handeln lässt. Und: man wagt zu träumen, man muss die Träume nicht aus dem Bewusstsein verbannen, um beruhigt aufzuwachen.

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Die Realpolitiker warnen vor Überforderung. Vor welcher? der Geldbörsen, der Freizeit und des Wohlbefindens? der Sicherheit? Sicherheit bedeutet in der Demokratie etwas anderes als in der Diktatur. Die postmodernen Vergleiche sind gefährlich, die Gleichsetzung oft tödlich.

Das macht die gegenwärtigen Diskurse so schwer erträglich, dass die gleichen Begriffe und Forderungen auf Unvergleichbares angewendet wird. Aber um die Träume zu verwirklichen, kann man die Stunden des Wachseins nicht überspringen.

Über die Sprüche des Rabbi Hillel , nicht nur den einen „wann, wenn nicht jetzt“, kann man getrost heute nachdenken. Nicht so tun, als wäre man der kritische Beobachter des Schrecklichen wie des Besseren, man ist immer mittendrin. Und dann kann man nicht unparteiisch sein und abwägen, anstatt zu handeln, weil man weiß – was die Ukraine, Afghanistan, die Hamas betrifft, weiß man, man ist Hillel gefolgt „Jetzt geh hin und lerne“. Haben wir das nicht schon begriffen? Man muss sich nicht auf die Sprüche der Väter beziehen. Untertauchen, als ob man es nicht begreifen kann, was geschieht und wo man steht, nein, nicht steht, wohin man sich bewegt. Dieses Als-ob hat vielen Menschen Leben und Traum gekostet.

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