Diktatoren passen nach Berlin. Nicht zu uns, oder?

Natürlich muss man mit allen politischen Führern sprechen können. Dass der Bundespräsident den Diktator Erdögan empfängt, kann man ertragen, es hat keine Bedeutung, auch angesichts der Bedeutungsarmut des Bundespräsidenten. Die Pressekonferenz und das Ergebnis nennt die CDU „Realpolitik“ gegen die „Wertebasis“ der Bundesregierung. Ausgerechnet die CDU, die in ihrer rassistischen EU Politik vor mehr als 10 Jahren GEGEN die Türkei hervorgetreten ist…naja, auch die so genannten Christen können sich ändern. Ja, man kann auch weniger scharfe Worte gegen dieses Szenario verwenden, verbal abrüsten. Man kann, ich kann das auch. Man kann aber auch verbal noch präziser und schärfer sein, aber man sollte nicht in der politisch intellektuellen Blase der nur miteinander sich austauschenden Kommunikation verharren. Das nutzen nicht nur die Populisten.

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Abstrakt gibt es weder Verhandlungsverbote noch Verhandlungszwang. Es kommt immer auf den Kontext an, nicht nur den, in dem „wir“ uns befinden, sondern auch in dem sich das Gegenüber befindet: Noch komplizierter wenn es mehr als zwei Kontrahenten sind. Wie jetzt, wie seit langem. Ich bin hinreichend Österreicher um nicht zu erkennen, wie und warum die Deutschen immer die Extreme suchen, die Unterwerfung unter alle möglichen Mächte oder die Überhebung gegenüber allen andern oder bestimmten anderen. Klar, das Land war schon zweigeteilt „wichtiger“ als Österreich, und nach der Vereinigung erst recht. Aber das allein erklärt nicht alles. Wenn ausgerechnet der Diktator Erdögan die deutscher Shoah-Geschichte zur Erklärung – nicht Akzeptanz!!! – der Israelfreundlichkeit heranzieht, um sich sogleich von dieser Geschichte zu distanzieren, dann erklärt das einiges. Die Nachlese von Erdögans Besuch trifft übrigens die Vorhersagen ziemlich genau, und dass Erdögan unter Reputationsverlust so wenig leidet wie Putin, ist auch klar – solange Deutschland zahlt und Flüchtlingsdeals mit ihm macht. Schließlich ist die Türkei auch NATO Mitglied – Loyalität darf das Bündnis dafür keine erwarten.

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Mein Problem in diesen Tagen ist nicht die scheinbare Diplomatie, sondern die Hilflosigkeit von Demokratie gegen Diktaturen und ihre Kommunikation. (Eher Vorbildlich ist der Marsch der Hunderttausenden von Tel Aviv nach Jerusalem, der ist weniger hilflos und eher auf die Zukunft gerichtet). Die Schwäche Deutschlands ist nicht rhetorisch, sondern real. Das macht Sorgen und es macht aufmerksam, dass die Selbstherabstufung und die objektiven Bedeutungsverluste auch etwas an unserem Leben und an unserer politischen und kulturellen Praxis ändern werden (oder ändern müssen, da liegen Entscheidungen). Unser Land bewegt sich, wie fast alle anderen in Europa, nach RECHTS, aber auch nur weil LINKS so gut wie nichts ist. Das Hufeisen schließt sich, bei uns Wagenknecht und die AfD, in Frankreich die Linkspartei und die Rechten, und Italien, und Ungarn, und die österreichischen Bundesländer und…Was heißt das? Zunächst, dass wir Abschied vom eingeübten Begriffswerkzeug nehmen sollten. Dass wir gegen die Realpolitik etwas realistischer die Wirklichkeit beachten sollten und bedenken und kritisieren und verändern, also politisch sein und nicht den Fetisch der Meinungsfreiheit gerade auf unsere Feinde auszubreiten…richtig gelesen, die Meinungsfreiheit ist nicht das höchste Gut der freien Gesellschaft, sondern nur weit oben. Ganz oben sind die Menschenrechte und vor allem die Menschenwürde, die sich nicht von den Erdögans dauernd angreifen lassen soll, nur weil er seine Meinung äußern darf, nicht nur Erdögan natürlich.

Nachsatz: viele PolitikerInnen bezeichnen viele ihresgleichen, aber auch ganze Gesellschaften usw. als Faschisten oder Nazis. In den meisten Fällen ist das falsch, irreführend oder ablenkend. Aber nicht immer, und andererseits müssen wir v.a. den FaschismusBEGRIFF richtig anwenden, auch zur Orientierung. Man muss also oft die Lackmusprobe machen, wer wann und wie das F Wort oder das N Wort anwendet. Bei Putin muss man darauf nicht mehr reagieren, bei Erdögan auch nicht. Aber zB. in Israel ist es wichtig, es im Regierungsumfeld des Premiers richtig einzusetzen, damit auch zwischen dieser Regierung und der israelischen Gesellschaft unterschieden werden kann. Das ist mühsam und ärgerlich. Aber die Wirklichkeit des Faschismus, die Nazigeschichte hier, all das war und ist noch viel schlimmer und mühsamer.

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