Es reimt, aber es dichtet nicht

Also geht es nicht um die Wasserleitung, sondern um Reime. Seit meiner frühen Jugend führe ich unter allen möglichen Umständen Selbstgespräche, die NICHTS mit dem zu tun haben, worüber ich gerade nachdenke. Wärs anders, würde es hier nicht herpassen. Reime, vor allem Endreime, und Schüttelreime dichten mich gegen die Umwelt ab. (die Alternative, Flanieren und genaue Beobachtung der Umwelt, Sehen vor Hören, ist die Alternative). Dann reimt ES nicht. Vieles geschieht hier unbewusst, aber es hat Folgen

Das ist natürlich kein Einblick in meine Psyche. Es hat vielmehr seinen Grund in einer überquellenden poetischen Produktion meist schlechter bis mittelmäßiger Lyrik, das war schon immer so. Der zweite Grund ist, dass ich mich selbst immer zurückgehalten habe, frühe oder spätere Gedichte zu veröffentlichen, auch wenn sie vielleicht „gefallen“ hätten. Denn darum geht es auch. Aber der dritte Grund ist schon persönlich: dieses dauernde und schwer zu kontrollierende Reimen und Wortverdrehen hat Folgen – man sieht sozusagen auf die Hinterseite von Sätzen und Wortgebilden. Wenn eine zweite Schüttelreimzeile absurd ist, schaut man genauer auf die Ausgangszeile. Ist ein Reim noch so naheliegend, so bedeutet das noch lange nicht eine Erhöhung des Sinns oder Eindrucks von zwei oder mehr Zeilen.

Nein, ich mache hier keinen Poetikessay, obwohl ich mich mit Lyrik befasse; ich beobachte nur eine fast unbewusste oder halbbewusste Sprachkritik, die sich bei mir eingefressen hat. Einmal mit bösem Ergebnis: ein Freund war über einen absurden, bösen Schüttelreim so erzürnt, dass er sich abgewendet hatte. Sonst eher Grinsen oder Kopfschütteln. Daran sehr ihr, dass ich es manchmal (selten) doch nicht bei mir behalte, was aber ansonsten dauerhaft bei mir produziert wird.

Die politischen oder kommerziellen Reime oder Gedichte sind heute nicht mehr im Vordergrund, wo sie einmal waren. Wer kann sich gut an sie erinnern, gar zitieren? Mein Freund Erich Fried hat das manchmal verknüpft, es waren nicht seine besten Gedichte, auch wenn sie getroffen haben. So wie Brecht käme heute wahrscheinlich ein durchgehendes Poetisieren der Politik nicht so gut an? Die Mittel sind andere geworden. Gut so, vielleicht. Aber meine Motivation, das aufzuschreiben kommt daher, dass mir zunehmend die unbewusste Reimfreude verloren geht, wenn ich die Rhetorik der heutigen Politik aufnehme, und ich rechne es nicht meinem Alter zu. Ein Beispiel: früher konnte ich für Verspätungsansagen der Bahn fast umgehend einen Reim oder einen Spruch draus machen, heute gibt es immer weniger Begründungen, nur mehr folgenlose Entschuldigungen. Früher hat sich der Reim seinen Weg besser zur Reflexion gebahnt als heute. Und darum geht es mir auch: dass dieses unbewusste Sprachspiele doch Einfluss auf das Bewusstsein haben konnte, man sieht und hört genauer hin, wenn sich bestimmte Worte einprägen.

Morgenstern leuchtet im Advent. Ich meine Christina, vorerst:

Jaguar Zebra Nerz Mandrill Maikäfer Ponny Muli Auerochs Wespenbär Locktauber Robbenbär
Zehenbär
. Natürlich kennt ihr die Monatsnamen von Christian Morgenstern. 1932… und heute? Er5frindet mal selbst so eine Liste, wobei die späten Monate im Jahr besonders schwierig zu erfinden sind.

Begriffe setzen sich fest, die Sprache kann bestärken, verletzen, töten. Ich habe hier schon mehrfach über die Bedeutung von Begriffen im Vergleich zu Bezeichnungen oder einfachen Informationen geschrieben. Es scheint mir an der Zeit, das wieder aufzugreifen. Ob ich bei Links abbiegen muss oder ob Links ein komplexer, in sich differenzierter Begriff, kann jede und jeder von euch unterscheiden. Bei Rechts ist es fast das Gleiche. Die Nähe zu einem andern Begriff schafft aber schon wieder Verwirrung. Komplizierter ist es, wenn Karlsruhe „Recht“ spricht, und der Begriff in Abgrenzung zu Politik und Vernunft sich auf Quellen und Grundlagen bezieht, die vielleicht richtig sind, vielleicht Wahrheiten enthalten, und dennoch nicht die Wirklichkeit treffen, mit der Jetzt Deutschland wirtschaftlich und sozial und kulturell noch weiter zurückfällt. Dabei ist z.B. die Frage naheliegend, ob der Berechtigte Verstoß der Ampel mit dem übriggebliebenen Coronageld, heute nur eine Tatsache beschreibt oder ein Argument für die Störung der Wirtschafts- oder Sozialpolitik ist. Die CDU jubelt verhalten, weil sie die gleichen Probleme hat, wenn sie die Ampel zu Fall bringt und mit dem Urteil leben muss, was sie unter Merz nicht kann.

Nun werden natürlich dauernd neue Worte erfunden, sie verbreiten sich, je nach Jahrgang oder sozialer Gruppe mal mehr, mal weniger, manche schaffen es in die Medien, andere sogar zu einer Jury. Ein Zeichen von Freiheit, so etwas erfinden zu dürfen und damit die bestehende Sprache zu verändern? Wirklich und immer – Freiheit? Das fällt natürlich allen auf Zb: https://www.rnd.de/politik/russland-putin-verschaerft-gesetz-gegen-verbotene-woerter-HH2AOJ4CSNFWLCV3EOPZI6Y4HY.html; Einschließlich George Orwells „1984“. Aber Putin ist da nicht der Einzige, andauernd wird gewaltsam in die Freiheit der Sprache eingegriffen. Von privater Seite, von staatlicher Seite, und auch zwischen Gruppen tobt der Begriffskampf. Man kann und muss sich wehren, wenn zensiert wird. Natürlich können die Sprachspiele lustig sein, manchmal sind sie peinlich, und oft sind sie politisch und kulturell fatal.

Verbotene Worte und Begriffe kann man gut poetisch verpacken. Fatale Worte leider auch. Darüber sollten wir uns mehr unterhalten.

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