Selten vermengt sich die Autobiographie mit der politischen Wirklichkeit. Aber gestern, am 14.1.2024 endet ein langes Kapitel meines beruflichen, und damit auch meines persönlichen Lebens. Mein Afghanistan-Archiv ist von Potsdam an die Universität Groningen in den Niederlanden verfrachtet worden. Mein Kollege, Prof. Werner Distler, der schon mein Kosovo-Archiv übernommen hat, holte persönlich hunderte Aktenordner und Bücher ab, die ich in den letzten vier Jahren in Potsdam als letzten Schritt meiner Afghanistan-Tätigkeit als Archiv gesammelt, systematisiert und ergänzt hatte. Der Raum 386 im RZ Potsdam ist leer.
Das sagt etwas über mein wissenschaftliches und berufliches Leben seit dem Frühjahr 2003. Bis 2026 war ich 15 mal in Afghanistan, immer mehrere Wochen, und als es für mich prekär wurde, habe ich noch bis 2020 in etlichen Projekten über afghanische Diaspora und Flüchtlinge gearbeitet. Lehrveranstaltungen an der FU Berlin und an der Uni Potsdam abgehalten, Doktor- und Masterarbeiten betreut, geprüft, Vorträge gehalten. Meine An- und Einsichten zu Afghanistan haben sich natürlich im Lauf von 20 Jahren geändert, ich musste das Land ja auch von Grund auf lernen (eigentlich wollte ich 2003 weiter auf dem Balkan arbeiten).
Mit der Niederlage der USA, und damit auch Deutschlands gegen die Taliban, die jetzt regieren, hat sich meine politische und kulturelle Ansicht nicht so sehr verschoben, weil sich dieses Ende seit vielen Jahren abgezeichnet hat. Selten fragen Kolleg*innen und Kooperant*innen, was diese Geschichte mit mir gemacht hat – 20 Jahre sind ja mehr als ein Drittel meines Berufslebens, das sich an den Universitäten Oldenburg, FU Berlin und Potsdam ja fortgesetzt hat, bis heute – aber Afghanistan ist jetzt zu Ende. Mit meinem letzten Buch zu Afghanistan habe ich 7 Jahren meine Erfahrungen zusammengefasst (A Society of Intervention – An Essay on Conflicts in Afghanistan and other Military Interventions, BIS Oldenburg 2017), aber danach noch durchaus die Entwicklungen kommentiert, dieses Jahr im März wird mein letzter Vortrag an einer Universität sein, ich selbst habe mich in den Laienstand rückversetzt, weil ich die Machtübernahme durch die Taliban und die politische Kommentierung u.a. durch die deutsche Politik nicht mehr empirisch verfolgen kann. Und um ehrlich zu sein, weil ich Frustration der weitgehenden Sprachlosigkeit zwischen Regierungspolitik und Wissenschaft, bzw. das Nebeneinandergleiten der beide4n, nicht mehr brauche und ertrage. Geflüchtete, Exil, Asyl, humanitäre Einzelhilfe hat es bis zum Schluss, bis heute gegeben, und die Informationen von AAN sammle ich weiterhin, sorgfältig wahrgenommen.
Womit ich beim Dank bin, denn allein kann man nicht gut zum Thema arbeiten. Der toten Freund*innen gedenke ich zuerst: Sharif Fayez, mein Freund und Minister, Nadia Karim vom Frauenverein, Roger Willemsen, und vieler Kolleg*innen und Kollegen, die mich dort und hier begleitet haben. Von den lebenden Freund*innen und Kolleg*innen vor allem Thomas und Iris Ruttig, Tom Koenigs, Marion Näser-Lather, Dietger Lather, Tim Kucharzewski und Silvia Nicola, Frangis Spanta, Jan Koehler, Robert Clifford Mann, Soenke Neitzel, Virginia Eichstätt, Thorsten Bonacker, und viele andere, es sind wirklich viele gewesen. Für die Arbeit an Büchern und wichtigen Artikeln danke ich vor allem meine fortgeschrittenen Studierenden, und der Uni Potsdam für eine gute Unterstützung.
Also: für mich ist ein Lebensabschnitt auch äußerlich abgeschlossen, was bleibt, kann hoffentlich anderen zugute kommen, vor allem den Afghaninnen und Afghanen, die unter allen Regimen gelitten haben und leiden. Manche Freundschaften haben über das Datum des Abschieds Bestand. Dank an alle, auch und vor allem an die Familie, die zu viel Abwesenheit ertragen hat. Was hat es gebracht? Für mein, für unser Leben und für die Afghaninnen und Afghanen?
Noch ein paar Tipps:
Heimatdiskurs – Wie die Auslandseinsätze der Bundeswehr Deutschland verändern. M. Daxner and H. Neumann eds., transcript 2012
Higher Education in Afghanistan – Governance at Stake. M. Daxner and U. Schrade. SFB-Governance Working Paper Series 2013 Vol. 63
Frieden und Gerechtigkeit in Afghanistan. Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften 2018 Vol. 59 Issue 2018 Pages 29-50
Deutschland in Afghanistan. BIS University of Oldenburg 2014
Menschenrechtsrabatt durch UN-Peacekeeping. M. Daxner, U. Schrade. Blätter für deutsche und internationale Politik 2011, Vol. 56 Issue 12 Pages 4
Lieber Michael, wann und wo genau wirst du deinen letzten Afghanistan – Vortrag im März halten? Vielleicht will ich kommen.
Klaus Kost
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Lieber Klaus, danke. von der Reise beste Grüße. am 10. April bin ich in Coburg. Bis denn 1 x Michael
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Meine Hochtung vor diesem Lebenskapitel, das mir so bisher nicht bewusst
war. Überschrift und Einleitungssatz sind meisterlich.
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Danke, Traugott. zu den Schwierigkeiten, die im Alter nicht leichter werden gehört, die Trennung und Überbrückung von subjektiver Erinnerung an objektives Leben außerhalb dessen, was man sonst persönlichen Alltag nennt, sicher für Familie und Freunde oft weniger erfreulich. Und dann der Rückblick, der alles umkehrt. Wozu und wie hat man das alles gemacht, und was hat man dadurch unwiederbringlich versäumt? Mehr als cui bono….
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