Tun statt schauen…

 

[1] Ijoma Mangold: Das Ende von Woke. Die ZEIT, #4 2024, 18.1., S.41

Hat mich ermuntert: Im Krieg und trotzdem für Dialog – Der israelische Reservist Nir Cohen. Kitzler, Jan-Christoph | 20. 1. 2024, 08:25 Uhr

 

Man kann gegen die Terroristen von Hamas kämpfen und trotzdem in stabiler Opposition gegen den ablösbaren Premier Netanjahu sein, wie ganz viele westlich Demokrat(i)en. „Man kann“, eigentlich: es gibt konkret mehr oppositionelle Menschen, die gegen die illusionäre rechtsradikale Regierung Israels agieren, lange vor dem 7. Oktober und weiterhin. Das ist auch dokumentiert, wenn auch nicht in allen Medien und nicht überall korrekt. Die Episode Netanjahu und seiner rechtsradikalen, teils faschistischen, teil ultra-orthodox religiösen Koalition ist schrecklich, sie gefährdet die Existenz Israels, nicht nur des demokratischen Israel. Aber es gibt eben sachliche Opposition, im eigenen Land, und weltweit. Eva Menasse ist bei uns deutlich: „Wir müssen immer moralisch eindeutig sein, wenn es gegen unschuldige Menschen geht. Und deswegen kann ich gegen Hamas sein, aber auch gegen die faschistischen Anteile in der derzeitigen israelischen Regierung. Das widerspricht sich überhaupt nicht. „Alles und nichts sagen“ – ttt – titel, thesen, temperamente – ARD | Das Erste“ (12.11.2023). Es widerspricht sich nicht, ist eben aber auch nicht auf derselben Ebene, das macht den Diskurs schwieriger, und es geht um auch um den Begriff „unschuldig“, nicht zuletzt, wenn es um Netanjahu und seine Politik und um die Menschen im Gaza vor dem 7.10. geht. Zu Netanjahu lest einmal das Pulitzerpreis-Buch von Joshua Cohen: The Netanjahus, NYRB 2021

 

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Dazu habe ich einiges gesagt, aber ungern geschrieben, weil die Vermehrung von Meinungen nicht mein Anliegen ist. Aber ich möchte es mit einer Analyse des von mir geschätzten Autors Ijoma Mangold verbinden, wonach Woke nach dem 7. Oktober besonders zerbricht[1]. Die „postkoloniale Israel-Gegnerschaft“ zerbricht. Der „radikal postkoloniale Flügel (verbat) sich jedes Mitgefühl für die israelischen Opfer“, während im „universalistischen Lager…Terror Terror war“. Ich füge dem hinzu, dass Faschismus und Terror eine Überschneidungsmenge haben, nicht deckungsgleich und identisch sind.

 

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Die Zerstörung des moralischen Universalismus ist ein Rückschritt der Entwicklung von Menschen. Wenn man jedem Stamm, jeder Ethnie, jeder mit anderen geteilten Besonderheit eine eigene identitäre Moral zugesteht – warum auch immer – dann teilt man die Gesellschaft in Gruppen ohne Brücken zueinander. Andererseits ist man natürlich persönlich froh darüber, mit bestimmten Gruppen schon deshalb nichts in der Wirklichkeit zu tun zu haben, weil sie anderen Habitus haben, einen anderen Geschmack, eine andere Moral. Aber damit sperrt man sich bei sich selbst ein, wenn man sich vor dem Konflikt mit dem Anderen in der gleichen Zelle sperrt. Dann lieber den Konflikt austragen. Das ist unbequem. Aber einfacher als Hitler, Stalin, Putin und ihre Gefolgschaften die Regeln bestimmen zu lassen, unter denen Menschen miteinander verkehren dürfen, wenn sie es noch können. Die Gefolgschaften sind nicht das, aber ein Problem: wir können oft nicht ohne sie, die NATO nicht ohne Erdögan, die EU nicht ohne Orban, die USA nicht ohne Trump etc. bis ganz nach unten, in die nächste Nachbarschaft. ABER: Wir können doch auch Widerstand leisten? Können kann Sollen, kann Müssen, kann Dürfen bedeuten. Das lasse ich mir von den TV-Philosophen so wenig ausreden wie von den Parteitagsrednern, aber ich muss meine Praxis nicht anpreisen oder verkaufen.

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Zurück zum Anfang. Wer gegen schwarz-weiß redet und meint, es gäbe immer Zwischentöne muss nicht, aber kann Recht haben. Wer meint nur die Zwischentöne sagen etwas über die Wirklichkeit aus, hat wahrscheinlich eher die Wahrheit auf seiner Seite. Die Wirklichkeit lässt sich von beiden nicht beeinflussen. Jetzt gegen die Hamas kämpfen und dennoch Netanjahu und seine Gefolgschaft und sein Wahlvolk be-kämpfen. Darin kann eine Wirklichkeit sich verändern, und die Wahrheit wird nicht verschleiert.

 


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