Eurofaschismus und Gelassenheit?

Vertragen sich die beiden? Begriffe vertragen sich selten, aber was hinter ihnen steckt, geht oft seltsame Bündnisse ein. Wir haben uns daran gewöhnt, den sich ausbreitenden Faschismus schon dadurch zu bannen, dass wir ihn nicht so nennen, und wir sind gelassen, obwohl oder vielleicht wir einen vielschichtigen aufgeregten Diskurs um unlösbare skandalöse Zustände unentwegt und vielchörig auszuspucken. Eva Menasse, die ich schätze, hat ein Plädoyer „für Großzügigkeit, Gelassenheit und Verzeihen“ aufgeschrieben, das – liest man es sorgfältig – gehörig schwierige Anforderungen stellt, gerade an uns, gerade an die, die sich nicht zu dem „Furor“ zählen, der „auf unterschiedlichsten Themenfeldern und gegen unterschiedlichste Gegner gefrönt“ (wird) – und damit den Zerfall bewirkt. Lest den ganzen Text „Es kostet uns den Verstand“, ZEIT #23, 25.5.24, S. 45). Seltsam, wenn sich dem Ratschlag für „Großzügigkeit, Großmut, Gelassenheit…“ und das „Vergessen alter Sünden“ ein Zweifel am Pragmatismus der Zustimmung zugesellt. Wir, Menasses Freunde und Milieu, wir können uns das leisten, – oder doch nicht?

Natürlich steht mir diese großbürgerliche „Haltung“ näher als denen, die hetzen, schreien, verdächtigen, verurteilen, ausstoßen…aber ist es natürlich, aus dieser Position heraus sich den Tugenden zuzuwenden, die den Ansturm populistischer und faschistischer Massenbewegungen versagen oder abdrehen helfen? Mitten im Text ist ein Programm, das aufruft alles „komplett anders zu denken“, zu denken, bitte, nicht gleich zu tun. „Die Emotionen runterzufahren genauso wie die Sicherheit im Aburteilen anderer“. Menasse will „Querfronten bilden mit allen Wohlwollenden, den weiterhin Mittigen und Demokratischen, egal, sie über 20 Geschlechter denken oder die Mitschuld der Nato am Ukrainekrieg“. Genau lesen: zum zweiten Mal „denken“, nicht gleich handeln.

Das heißt doch auch, mit den Mittigen und Demokratischen Dinge zu tun, die dem eigenen Selbstverständnis durchaus nicht entsprechen können – kommt es auf den Einzelnen vielleicht so sehr an? Menasse zielt auf das „Große Ganze“, und damit kann man die Details nicht alle und bedeutsam scharf stellen. Das „Große Ganze“ formt sich nicht als Meinung, sondern als Politik und als Kultur. Diese Zuwendung zum Pragmatismus ist vielleicht zu schematisch für alle, die aus ihrer Weltsicht schon das eine richtige Programm sich ableiten. „Die Mittigen und Demokratischen“, das sind nicht die im zentralen Kompromiss sich gleichweit von Links und Rechts absetzen…das sind die, die eine Mitte und eine Demokratie so konstruieren, dass auch andere mitmachen können außer man selbst (ein eleganter Seitenhieb auf die Identitären). Der Pragmatismus bezieht sich aufs Handeln, nicht so sehr aufs Denken (siehe oben). Pragmatisch denken.

Die Menasse ernst zu nehmen, lohnt auch, um den eigenen Blutdruck nicht bei jeder Blödheit hochgehen zu lassen, was dauernd an den Rand des Abgrunds führt. (ich halte mich dran, und zähle einmal nicht Liste der Gegner auf, die Feinde geworden sind…ha, ha). Bitte fragt daneben nach, warum ich im Titel auch den Eurofaschismus genannt habe. Hätte Gelassenheit nicht genügt? Nein, denn der Faschismus in seinen vielen Spielarten und mindestens der Hälfte der europäischen Nationen an der Regierung, dieser Faschismus arbeitet immer mit der scheinbar pragmatischen Lösung all der Katastrophen, die wir analytisch oder schlicht aus der Wahrnehmung aufhäufen. Wenn wir nur nationaler, ethnozentrischer, weniger demokratisch und mehr akzeptabler wären, dann könnten die autoritären Führer pragmatischer arbeiten und unsere Probleme leichter lösen. (Das gilt zwar nur für ihre Partikularverbündeten, aber immerhin. Die anderen hätten wir verrotten lassen, und die verrotten auch so…). Das ist die Gefahr, den Pragmatismus nicht genau und ernst zu definieren, sondern ihn willkürlich reduzieren auf die Formel, was geschieht, geschieht eben. Eben. Und das hat mit Faschismus zu tun? O ja, der hat ja nicht nur KZs und Todesstrafen verursacht, sondern auch die Massen reguliert, damit sie mit weniger auskommen und das als Belohnung empfinden. Nimmt man den Pragmatismus aber ernst, so wie – sagen wir: – Menasse, dann lernen wir zu unterscheiden zwischen dem, was wir denken wollen und können, und dem was wir tun müssen und können. Das verkürzt die Redezeiten an den Stammtischen der Aufgeregten.

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