Heilige Verlogenheit

Wenn die frommen Bayern auf den armen Deutschen herumhacken, wenn die gläubigen Gesamtdeutschen hinter jedem Andersbetenden einen Terroristen vermuten, wenn es zwar hunderttausende unbesetzter Lehrstellen gibt, unsere Politik aber Ausländer schon an der Grenze vertreibt…dann regt sich neben allen Varianten des Widerstands auch das Gefühl der Ohnmacht: hat sich wirklich so wenig geändert, dass Religion und/oder Verlogenheit die Denkraster der Menschen verkleben.

Und natürlich haben die Profiteure dieser Politik an diesen Verklebungen noch mehr Interesse als an einzelnen Handlungen. Ich sage „natürlich“, denn die Evolution ist ja noch nicht zu Ende, und der homo sapiens bremst seine eigene Entwicklung gehörig aus.

Es sind ja nicht nur die Neoliberalen – Beton, PS, Profite – die sich herausnehmen, ihre Freiheiten als die Freiheiten der Gesellschaft darzustellen. Fast in allen bürgerlichen Parteien ist das zu spüren, und die rechten und linken Neonazis (AfD und BSW) machen das ja sowieso. Nur denken die alle natürlich nicht an Evolution, ja, noch nicht einmal zwei Generationen voraus, sie wollen die Gegenwart bis zu ihrem Verblassen noch ausschöpfen, und das verklebte Gesellschaftshirn scheint es nicht einmal zu merken.

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Wir werden die Fortschritte der Evolution, wenn überhaupt, nicht mehr erleben, wenn die Gattung überlebt, wonach es ohnedies nicht aussieht – Erderwärmung, Krieg und so weiter… habt Ihr ja immer wieder gelesen. Aber ich wende mich dem zu, was man schwer fassen kann. JETZT, schon vorbei. Jedes Jetzt. Die Politiker und ihre Untertanen sind im Urlaub. Mit Untertanen meine ich nicht euch, die Bürgerinnen und Bürger, sondern die Propagandisten der Gegenwart, die das Jetzt in eine schlechte Unendlichkeit ausdehnen. Nur nicht handeln, nur nicht anstrengen, nur keinen Widerstand provozieren oder ihm gar entgegentreten. Das ist nicht abstrakt. Das ist eher so zwischen CSU und religiöser Moral.

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Und dann schaue ich in den dunklen Himmel, der mir den Sonnenuntergang erspart, ich warte auf den Regen, der nicht kommt, und verdränge die Zeitraffer der umfänglichen Krisen, die immer sagen, was sie JETZT NICHT können, aber wenn das vorbei ist, können werden, oder auch einmal gekonnt haben und wieder herstellen wollen. Ich schaue in die Wolken, die sich trocken heranschieben, und habe keine politischen Assoziationen oder moralischen Auswüchse. Wer weiß, wie lange so ein ausgedehnter Sommertag noch dauert, bevor die Wirklichkeit wieder eintritt? Hat bis Morgen Zeit, aber nicht länger.

Mehr als ein Gegner?

Es gibt eine christliche Religionsfigur, dass die Guten gegen die Bösen in einem Zweikampf lange verbunden sind, und die Guten siegen müssen. (Katharer zum Beispiel, auch andere….)

Wenn es um Israel geht, funktioniert diese binäre Figur noch weniger als anderswo. Wer gegen die Hamas ist, kann nicht notwendig für Netanjahu sein. Wer die religionsextremen faschistischen Parteien und Regierungsmitglieder verurteilt, kann nicht die Augen vor den ebenso faschistischen Hamas u.a. Bewegungen der Israelfeinde verschließen. Die Welt, also die Politik, ist nicht binär nach einem 0&1 Modus. Wer aber diese Binarität heraufbeschwört, läuft Gefahr, noch mehr endlose Gewalt zu provozieren und zu inszenieren.

Bitte zuerst nachlesen: https://www.deutschlandfunk.de/1995-in-tel-aviv-vor-25-jahren-wurde-jitzchak-rabin-ermordet-100.html und auch die Anmerkungen verfolgen. Und die letzten Sätze des Berichts ernst nehmen:

Die Folgen des Attentats, so der Historiker Rabinowich:

„Es war ein Wendepunkt: die Schleusen waren offen, die Rechten haben die Offensive übernommen und sind jetzt an der Macht. Menschen, die an der Hetze beteiligt waren, sind jetzt in der Regierung, was für viele von uns inakzeptabel ist.“

Ohne es direkt auszusprechen, richtet sich diese Kritik auch gegen den derzeitigen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Als Oppositionsführer stand er 1995 an der Spitze jener Bewegung, die Rabin als Verräter brandmarkte.

Für viele in Israel ist das nicht akzeptabel, viele sind ausgewandert, viele sind verstummt, viele sind Opfer, nicht nur mit den Geiseln verbunden. Für die Mehrheit offenbar (noch) nicht oder nicht schon wieder.

Mein Hauptpunkt ist zunächst logisch, wir haben hier keinen zweipoligen Konflikt. Wenn man sich a verpflichtet fühlt, bedeutet das nicht automatisch Feindschaft zu b, man kann auch beide ablehnen, oder unterschiedliche Gewichte und Argumente anwenden, und es gibt auch noch c,d,e….Politisch gehört es zum Repertoire sowohl der Religionsextremisten als auch anderer Radikaler, dass sie fast immer mit der Zweipoligkeit argumentieren.

Das spielt gewichtigen Diktatoren wie Erdögan oder Khamenei in die Hände, ganz zu schweigen von den dominierenden Diktatoren. Ruhigreden lässt sich da nichts.

Mein zweiter Punkt ist, dass man auf die ultraorthodoxen Extremisten nicht mehr Rücksicht nehmen darf als auf die Siedler und andere säkulare Extremisten, nur weil sie vorgeben „Religion“ zu repräsentieren. Die ultrareligiösen im Kabinett und in Israel allgemein sind keine zu vernachlässigende Minderheit, sondern nutzen ihre Bildungsfeindschaft und Reproduktionsheftigkeit gegen Demokratie und Menschlichkeit. Ihnen ist es egal, wenn Israel aufhört, der einzige demokratische Staat zu sein, Hauptsache, im Namen eines maskulinen verqueren „Gottes“ zu regieren – Muslimfeindlichkeit als Zugabe ihres eingeschränkten Selbstverständnisses. (Das hat es bei Christen und Muslimen bis heute auch immer wieder gegeben, bei den Juden ist die Wurzel ein wenig anders gelagert, aber im Effekt dasselbe sektiererische voraufgeklärte Retro.

Und mein dritter, eine argumentative Ausnahmestellung Deutschlands in allen Reaktionen auf Israel und den Nahen Osten einzufordern, ist unehrlich bis blasphemisch.

Es wäre schrecklich, wenn Israel an diesem Konflikt zerbräche, also de facto von der Landkarte verschwände. Es wäre nicht viel besser, wenn es von der Landkarte der Demokratien verschwände, bliebe es Land erhalten.

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Ich werde auch weiterhin die einzelnen Ereignisse nicht kommentieren, auch wenn ich es teilweise kann. Ich lese Ha’aretz und die Nachrichten – BBC, Al Jazeera, DLF – aber wenig deutsche Presse. Was mich auch verstummen lässt, ist das Schicksal meiner Freunde in Israel. Was soll man hier dazu sagen, Hier und Dazu sind zwei Welten.

Normal ist nicht normal

Man kommt aus einem kurzen Urlaub zurück, der länger schien als er war, man schaut auf die kommenden Tage der Normalität. Urlaub ist die Ausnahme – vom Arbeitsleben, von den Übergängen der Tätigkeit als Rentner in die Immobilität des Pflegebedürftigen, von der Zukunftsplanung zur beständigen Retrospektive, die dauernd alles umgruppiert, was im eigenen Leben und anderer, die wir ständig im Lebensblick haben, wohl wirklich gewesen war.

Ich komme von einem kurzen Urlaub zurück, ich sage „ich“ und nicht „wir“, weil es zunächst eine Reflexion des eigenen Zustands ist, später werden wir es bereden – oder es kommt von sich aus.

Die freie Zeit, „Freizeit“ ist ein trügerischer Begriff, weil sie gegen die Arbeitszeit in Stellung gebracht wird, obwohl man vielfach im Urlaub mehr Gedankenarbeit, ästhetische und moralische Tätigkeiten, Arbeit an sich selbst und oder min der Natur, den Begleiterinnen und Begleitern, auch dem Hund macht, und während der Arbeitszeit eine Menge Dinge macht, die mit Arbeit wenig zu tun haben. Auch rede ich nicht vom altmodischen Begriff der Lohnarbeit, die zerfällt ja zunehmend. Es ist richtig, man kann sich von anstrengenden Zeiten – wie und warum auch immer sie anstrengend waren – erholen. Oder man muss sich vom Urlaub erholen….den kleinbürgerlichen Zustand bespreche ich mir jetzt nicht.

Ich will nur darauf hinaus, dass die Normalität des Alltags im Urlaub besser nicht mit der des Arbeits- oder Rentneralltags verglichen wird. Unter anderem, weil man sonst an seine normale Unfreiheit, an die Gefangenschaft in einer Normalität erinnert wird, die man gerne nicht als normal empfinden würde. Das gilt nicht nur nur für einen Zustand, merkt ihrs? Auch Urlaubsnormalität kann ein Eingespanntsein in eine Routine der Pflichterfüllung oder des Abarbeitens von dem, was ohnehin schon darauf gewartet hatte, sein.

Wie ich jetzt, einen Tag nach unserer Rückkehr von der Nordsee, darauf komme? Ja, erholt, ja, zufrieden, ja, aber in einem Zustand, den man auch während der Nichturlaubszeit herstellen kann, wenn man man das will. Ausnahmsweise einmal nicht unbedingt an den sozialen Status gebunden, an Reisen von hier nach dort, nach Reflexion des Andersseins dort… Mich beschäftigt eine etwas genauere Betrachtung dieses Andersseins. Stundenlang durch den Sande und die Dünen gehen, ohne Menschen zu begegnen, das hat mir gefallen, prima vista verständlich, aber was hat mir daran gefallen? Das überlege ich nicht nur im Nachhinein. Vor Ort, im Sand, war eine seltsame, körperliche Freiheit, ich kann latschen, wie es sich geht, ich schaue anders, höre anders, assoziiere anders, und, wichtig, frage NICHT dauern, warum dieses anders gerade jetzt stattfindet. Darin ist schon eine Antwort, eine Teilantwort. Ein Teil des Regelwerks für Verhalten, also auferlegte Normalität, ist ausgeklinkt. Mit dem Effekt, dass die Sicherungsmechanismen im Halb- und Unbewussten gelockert sind, und einiges zum Vorschein kommt, was mit meiner Wirklichkeit mehr zu tun hat als mein Verhalten in der Wirklichkeit des normalen Alltags. z.B. dass man nach zwei Kilometer barfuß im Sand seine Muskeln und Gelenke spürt, nicht nur anders, sondern überhaupt, und schon assoziiert man anderes als vorher…da muss man jetzt nicht grübeln. Farben, Geräusche, Gerüche sind anders, wiewohl nicht „neu“. Man macht sich seinen eigenen Impressionismus am Strand.

Einer meiner Eindrücke – ich war das erste Mal an diesem Ort, auf dieser Insel, – war eben dieser Abbau von Reserven gegen die Logik, mit der man, ich, „Urlaub“ analysiert und zwischen objektiven und subjektiven Merkmalen unterscheidet. Aber damit kommt man unweigerlich zur m.E. falschen Trennlinie zwischen Urlaub und dem Rest, den ich oben aufgezählt habe. Das hat schon psychische Folgen.

Um auch deutlich zu sein: ich jedenfalls habe auch viel Zeit mit Lesen verbracht, David Grossmann und Zygmunt Bauman, dazwischen noch einen Roman eines viel älteren Freundes. Soviel Zeit könnte ich mir – kann „man“ sich im Alltag aber auch nehmen, viel Zeit war nicht soviel, wie man im Arbeitsalltag sic h „nach der Arbeit“, vor dem Schlafen nehmen kannsollwill.

Die Rekonstruktion der fünf Tage auf der Insel ist fast eine Verlängerung des Aufenthalts, weil die Zuwächse an Freiheiten in das normale Leben hier herübergebracht wurden. Das halte ich für ganz wichtig, die Rekonstruktion der Gegenwart durch die Erinnerung, und wäre das normal, wäre es besser?!

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Heimgekehrt, wird man natürlich auch von den Nachrichten und Informationen überfallen bzw. beschäftigt. Was man jetzt nicht alles über die Lebensgeschichte der Harris erfährt, das hatte man vorher nur von anderen, von Trump und Biden, erfahren. Gehört das eigentlich zur Bildung eines politischen Bewusstseins, Standpunkts, bezüglich dieser Menschen. Einen Standpunkt aus einer Biographie ableiten? Keine triviale Frage. Hat auch in Deutschland eine Rolle gespielt, zB. bei der anfänglichen Abwertung von Willy Brandt durch die Reaktionäre. Der Clou dieser Tage: die Erfahrung der letzten Woche ist wie ein Filter, das diese Trivialitäten abbremst, ausdünnt. Die Normalität kommt noch früh genug, heute Abend, morgen.

welches Glück?

Wenn jemand Glück hat, freuen sich die einen, spotten oder fluchen die anderen. Glück, was ist das, Zufall, Vorbestimmung, oder bloß eine Interpretation dessen, den es trifft und derer, die es beobachten? Das ist nichts für den Blog oder für mich, aber keinesfalls am Rand dessen, was sich breit und tief den Menschen aufdrängt.

Nein, ich schreibe nicht über Trump, und dass der Glück gehabt hat mit der Ohrstreifkugel. Und wenn, wessen Glück war noch mit im Spiel. Ich schreibe über das Glück, das ich hier auf der Insel beobachten kann.

Um 8 gehen wir los, queren mit dem Hund eine weite Sandfläche, ein paar Dünen und dann noch einmal Sand. Glück? niemand begegnet uns um dieser Zeit (Warum Glück, wenn man allein ist, und was wäre unglücklich, begegnete man anderen Strandläufern?); Luft und Wasser sind ungefähr gleich warm (Glück für uns nicht für die Klimakrise); es gibt noch mehr Deutungen, aber wozu brauchen wir diesen Begriff – Glück? Naja, man ist schon glücklich, wenn man keine überfüllten Strände und Uferstreifen durchqueren muss, bevor man nass wird. Glücklichsein hat Glück nicht so viel zu tun. Beim Heimweg, 9.30 begegnen uns die ersten Menschne, Paare, Jogger, Schulklassen auf Ferien…alles in Ordnung, Ferien sind eben später.

Fünf Stunden später. Im nördlichen Teil der Insel, bei den wohlhabenderen Siedlungen: Parkplätze voll, Fahrradständer überlastet, sehr viele Menschen bei den Strandbuden, in den Strandkörben, in den Kneipen auf dem Weg zum Strand. Die, die bei uns nicht waren, sind jetzt hier, 12 km weiter nördlich, alles ok? Zum Glück, ja, doch. Wir würden im Strandgeschwurbel nicht lange aushalten, was anderen Freude macht. Sind die glücklich? Offenbar…oder? Man sollte nicht so genau hinschauen oder hinhören, es geht einen ja nichts an. Und überhaupt, man sollte sich ja um seine eigenen Bewegungen, Beobachtungen, befreiten Gedanken kümmern, was in den Dünen und am endlosen Strand, wo noch keine Menschenmassen sind, einfach auf einen zukommt. Man kann ja die Strandmassen wieder verlassen…auf dem Weg zum Bus erst durch den Wald, dann an den schöneren Ortsrandhäusern, den teureren, vorbei. Dann, im Ort, einer einzigen gedrängten Fußgängerzone, wieder das Gefühl, dass man hier zum Glück nicht Urlaub macht, bekannte Gründe, hier nicht wiederholt. Zum Glück…aber wir machen ja hier Urlaub, nur nicht da, wo wir gerade sind.

Das ist mein Punkt, dass wir uns die glückliche Seite aussuchen können, andere nicht. Dass das nicht nur an Urlaubsorten so ist, sondern fast überall in der Gesellschaft. Was einen hier glücklich macht, bewirkt das anderswo nicht, und andere macht es hier nicht glücklich, wo anders auch nicht. Trivial? Liebe LeserInnen, ja und nein, wie leicht kommt das Wort über die Lippen. Und wie gerne würde man, hätte man überhaupt Urlaub und Freizeit, im Urlaub mehr Glück empfinden (nicht „haben“). Diesen Gedanken kann ich nicht entkommen, im Bus nach Hause.

Ginge es mir um Alltagsphilosophie, würdet ihr mir mit Recht, die Schreibe abdrehen. Mir gehts aber um viel weniger. Das Wort, manchmal der Begriff Glück, gehört zu den inflationären Beschreibungen von Situationen, in denen man sich selbst befindet. Und andere sich befinden. Glück gehabt…

Bei den langen Wanderungen der letzten drei Tage habe ich Glück empfunden, kein Druck hat mich von der umgebenden Natur, meinen Assoziationen und meinen Gefühlen abgelenkt, Freizeit nennt man das. Selbst wenn man über die Arbeit, über Probleme etc. redet oder sie als Gedanken wälzt, die Freiheit der Umstände hilft schon, wenn man sie hat, die Freiheit. Diese Empfindung ist nachhaltig. Auch wenn der Urlaub vorbei ist. Das ist so einfach, dass es nicht in Philosophie oder Alltagsweisheit passt. Aber es unterstützt die Resilienz und andere Kräfte, die nicht einfach der Wirklichkeit ausweichen können.

Warum ich das nachvollziehe und nicht gleich sage, wie und ob ich hier glücklich bin? Heute morgen hat eine langjährige Kollegin meine lobenden Blogs der letzten beiden Tage mit den umweltgefährdeten und -zerstörenden Tatsachen konfrontiert, die auch für die Insel oder gerade für sie gelten. manche wusste ich, manche neu für mich. Das mindert mein Glück hier nicht, es mindert es ganz allgemein , wo ich auch immer bin. Das Allgemeine gewinnt über die momentanen Freuden des Inselurlaubs. Aber es gewinnt nicht ununterbrochen, und es wäre nicht einfacher zu bekämpfen, wenn ich es auf der Tagesordnung hätte, während ich durch die Dünen stapfe. Zum Glück

Wellenreiter und Wogenglätter

In dieser Woche gehen viele PolitikerInnen in den Urlaub, nicht ohne im Abschiedsschwurbel darauf aufmerksam zu machen, dass ohnehin nichts wichtiges geschieht, bevor sie zurücksind und sie außerdem im Ernstfall jederzeit erreichbar sind (vor allem im Ausland, wo das Internet besser funktioniert). Ich habe euch ja geschrieben, dass ich mich von dieser Kommunikation abmelde und stattdessen im Küstensand meine Fußabdrücke hinterlasse. Befreit geht das vor allem, wenn man sich die Frühmeldungen spart und nicht wissen möchte, was im Vorfeld von Olympia in Paris geschieht (Korruption) und wie die psychischen Profile von Trump und Harris der Kosmischen Strahlung ausgesetzt sind.

Ebbe ist eine gute Zeit um zu sehen, wie sauber oder unrein die Ufer strände sind, und wie klug, besondere Gebiete für Naturschutz und Artenschonung auszuweisen. Wenn es sehr früh ist, dann ist die Ebbe besonders eindrücklich. Und man sieht schon viele Vögel, die keine Möwen sind und auch anders singen. Der Weg zum Strand ist weit, man geht lange durch den Sand, oft gibt es Süßwasserlacken (nach dem heftigen Nachtregen? oder überhaupt?) die dem Hund gefallen. Und dann ist man im Wasser. Ist die Nordsee wirklich so warm, oder ist das ein Beitrag des Klimawandels? egal, ein paar Algen, keine Steine, ein makelloser Strand und viel ruhe im Morgenlicht.

Dieser Teil meines Berichts hat den Vorteil, dass er zu kurz ist, um wirklich zu interessieren und ich zeige auch nicht immer dieselben Fotos. So weit so gut.

Nur lässt sich das Hintergrundflimmern des Bewusstseins natürlich nicht abstellen, und es ist eben nicht Trump oder Scholz, der einen stört, überhaupt nicht die „Politik“. Ich setze die „“, weil sie auch zum Problem gehören. In Zeiten abnehmender Zukunftshoffnung setzt man nicht mehr so leichtfertig auf Politik, wenn es um das Lösen von Problemen geht. Wenn ich hier durch den Strandsand gehe, dann wird mir unfroh, denke ich bloß an die Umweltbedrohung ein paar hundert Meter weiter, im hässlichen Teil der Insel, der von hier nicht zu sehen ist. Zum Beispiel, dass tausende Autos hier mit der Fähre ankommen, nicht um die lächerlichen zehn Kilometer zu fahren, sondern weil man dann seine Koffer und Decken gleich aus dem Kofferraum in die Sommerwohnung bringen kann. Ein ärgerliches Detail, das mir den Tag angesichts größerer Details nicht verdirbt, der aber sofort – siehe oben – die Hintergrund-Denke anwirft, germanoanthropologisch fragt, warum soviele Deutsche mit ihren Autos die Insel beparken und wie dieses Verhalten entsteht? Stellt euch vor, bis auf ein paar Rettungswagen, Feuerwehrautos und Lieferfahrzeuge wäre die Insel autofrei. Der Unterschied zur gegenwärtigen Parklandschaft wäre strukturell enorm, fürs Auge gar nicht so groß, denn die Autos können ohnedies nicht in die Dünen und ans Meer fahren.

Das ist noch nicht einmal eine grüne Überlegung. Aber die Frage geht tiefer, weil sie ja nicht die Mehrzahl der Menschen trifft, die hier mit Fahrrad oder barfuss oder per Bus unterwegs sind und der PKW Hauptstraße ohnedies entfliehen. Und wenn man die Orte hinter sich lässt, ist ja wirklich alles schön. Also quängelt der soziologische Oktopus, sollte man sich den Ursdachen und nicht den Phänomenen widmen. Und es wird nicht wirklich abgemildert, wenn man die deutsche Autogeschichte auf diesen Punkt konzentriert, das kann ich auch in Potsdam am Schreibtisch.

Läuft man lange genug barfuß durch den Sand, ändert sich die Haltung und steigt die Freude, dass man wirklich auf nichts drauftritt, das einen verletzen könnte oder anekelt. Das wäre eine gute touristische Werbebeobachtung. Die sich empirisch weitestgehend bestätigen lässt.

Nach einem solchen Tag, wenn ich jetzt z.B. diesen Blog schreibe, bin ich diesen Eindrücken dankbar, es hängen keine Überreste an mir, die mich noch ärgern. Kommt jetzt die Politik? Nein, sie kommt nicht direkt, aber „Politik“ kommt zu „Umwelt“, weil unvermeidlich ist, sich zu befragen welchen Anteil Bürgerinnen und Bürger an der Umweltpolitik tatsächlich haben und welchen sie haben könnten. Dass die Grünen zur Zeit ins Abseits gleiten, hat nur wenig mit der angeblichen Ferne den wirklichen Bedürfnissen der einfachen Menschen, der Plebs?, zu tun. Sondern damit, dass man sich, auch bei den Grünen, wie bei anderen Parteien auch, immer auf die Demokratie, den Umweltschutz, die sozialen System beruft, die als bedroht erkannt sind, anstatt deren Weiterentwicklung zum Programm und damit zur Änderung des menschlichen Verhaltens in der Gesellschaft als Anlass und Begründung von Politik zu machen. Von Politik, nicht von „Politik“.

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In einem etwas anderen Zusammenhang hat sich Rainer Forst („Die falsche Sicherheit“ ZEIT #31, S. 6). dieses Themas angenommen. Ich greife nur einen Aspekt heraus. Ein Resümee beginnt mit den folgenden Feststellungen: „Progressive Politik muss…die fatale, faschistoide Verbindung zwischen kulturellem und ökonomischen Ressentiment abschneiden“ – den Satz kann man auf die wahrnehmbare Wirklichkeit schon auch hier an- und aufnehmen. Und dann konzentriert sich auf Gerechtigkeit und Wirklichkeit, wie ich in meinen letzten Aussagen auch immer, und – zu meiner Freude – wird dies nicht dauernd der herbeigebeten singulären Wahrheit untergeordnet. Lest seinen kurzen Essay, bitte, und bedenkt, dass der Rückzug aufs Programm nicht erklärt, warum ich diese Überlegung beim Durchqueren der Parkplätze im schäbigen Teil der Insel plötzlich so hautnah spüre.

P.S. Rainer Forst nähert sich der Gerechtigkeit ganz anders als der hier öfter zitierte Omri Boehm, aber der Hinweis auf die fundamentale Bedeutung der Gerechtigkeit führt die Argumente zusammen.

Die Sonne steht noch hoch, starker Wind bläst über den Sand, die Flut kommt herein.

Bös wirkt stärker, Gut verblasst

Seit Jahrtausenden ist der Kampf zwischen gut und böse eine einzige heuchlerische Gladiatorenschlacht. klar, dass im Virtuellen das Gute im Endkampf siegt, egal, wie erfolgreich das Böse anscheinend war oder ist oder bleibt. Ebenso klar: nur wer an das Jenseits glaubt, kann mit diesem Kampf etwas anfangen.

Als Biden zurücktrat und Harris sich aufbäumte, schien für einen Augenblick die Gerechtigkeit wieder Einzug in die Welt gehalten zu haben, ausatmen, zurücklehnen, und sich auf das Ergebnis freuen…Plötzlich ist Trump alt, verwirrt und unfähig zu regieren?

Schön wärs. Wenn es ein Endkampf der Weltgeschichte wäre, der in die letzte Runde geht, dann kann man sich so freuen. Aber wir sind noch nicht in der 12. Runde. Der Wahlkampf geht weiter, und so wenig Trump durch die Kugel am Ohr besser geworden ist, so wenig sind die Besseren gleich einmal gut und siegessicher geworden.

(Kein Vertun, Leserinnen und Leser, natürlich möchte ich, dass Harris Präsidentin wird, aber auf dieses Wunschbild kommt esd jetzt nicht an).

Wenn es wirklich um Gut und Böse geht, bleibe ich dabei, dass wir die Konstellation von 1984 wahrscheinlich erleben werden, so oder so, und unsere Kinder und Enkel mehr darunter leiden als wir selbst, beschränkter Lebenszeit Hüter. Aber natürlich kann man das beschleunigen oder herauszögern, das macht schon einen Unterschied. Und zwar in der Praxis, in dem was wir und andere tun, nicht was wir erhoffen, zumal die Erwartungen auf wackligen empirischen Füßen stehen.

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Mit diesen Gedanken ziehen wir durch die Dünen und Strandwälder der Insel Amrum. Natürlich stehen diese Überlegungen nicht im Vordergrund, ganz im Gegenteil, sie sind bestenfalls eine Kulisse. Wir sehen sehr viel von dem wir hoffen, dass es nicht so schnell untergeht im Endkampf.

Das ist nicht einfach Urlaub, es ist Erholung. Es bedeutet sich nicht sofort darüber aufzuregen, was man hier noch weniger als anderswo nicht wahrhaben möchte, endlose Parkplätze, Immobilienblasen, Bausünden etc., nicht Kritik anbringen, wenn ohnedies niemand zuhört…Zurück in die Dünen und Strandwälder und sich daran freuen, wie Krötentümpel renaturiert werden und die Heide erneuert wird und die Leute weniger Unrat blind deponieren. Ist doch besser so, nicht?

Was hier besonders erfreut ist die Wahrnehmung, wieviel gesellschaftliche Aktion für die Renaturierung auf einfachster Ebene nötig ist (vieles davon wird in Schautafeln auch beschrieben). Und was mich jetzt, für diesen Blog, bewegt, ist die Frage, warum es mich erfreut und wie das Mit Trump und Harris zusammenhängt, wenn überhaupt, und ob?

Es geht hier um das regenerative Ausblenden. Die Morgennachrichten bestimmen, was ich in dne ersten Absätzen angedeutet habe. Man hört und sieht sie sich an, und blockiert die analytische Weiterverarbeitung. Ich will rausgehen, wenn der Regen vorbei ist, vielleicht schwimmen, durchatmen, bewegen, als ob die Welt und also der Ort „in Ordnung“ wäre, und wir deutlichen machen, was für uns in Ordnung ist. So einfach ist das? Nur scheinbar. Denn wenn man sich den Freiheiten hingibt, die die Natur uns reichlich anbietet, das tut sie schon, dann lockern sich auch die psychischen Einhegungen und Begrenzungen und Tabus, die uns zusammenhalten. Dann wird freier, was sonst eher verdrängt wird, meist sind die Assoziationen weniger kontrolliert und wenn man genau hineinschaut, sieht man ein Spiegelbild, das man sonst nicht so gern wahrnimmt. Dann geht es nicht um Trump und Harris, dann geht es um einen selbst, der sich im Sand aufwärts bewegt oder den Horizont absucht, als ob es wichtig wäre, dort ein Schiff zu sehen oder eben keines.

Das ist ein Plädoyer für die Auszeit, ihr merkt das, aber nicht für eine therapeutische oder eine besänftigende. Seltsamerweise sieht man in dieser Freiheit vom Aktuellen sehr klar, was man immer schon hätte sehen können. Für mich verstärkt es das Bedürfnis, die Weltpolitik und auch die deutsche Politik und auch, was vor Ort gerade geschieht, NICHT wahrzunehmen ohne wegschauen zu müssen. Es ist als ob die Kritik auch auf Sommerurlaub wäre…

Ihr könnt das alles für ein scheinbar philosophisches Intermezzo halten, aber es ist keines, das mangels konkreter Themen mein Nachdenken euch anträgt. Es ist Plädoyer für eine Pause. Für das Schaffen von Abstand zu dem, was mich täglich zu soviel – nötigen und unnötigen – Äußerungen drängt. Man kann auch sagen, zum Nichtstun gehört auch eine andere Form der Aufmerksamkeit. Was drängt sich denn in den Vordergrund, wenn man es nicht im Stundenplan hat?

Die Möwen schreien und endlich brüllt die Sonne wieder herunter. Man kann einen Tag des Gehens und Schauens beenden, ohne seine Umwelt sofort abzuwerten, weil so viel hier ja wirklich schauerlich ist: umgekehrt, geh zehn Minuten hinaus aus dem Schlammassel, und es drängt sich etwas wichtigeres an dich heran.

Warum dann der Titel? Darum gehts auch. Nicht nur, wenn man moralisiert oder politisch bewertet. Wenn das Böse in unserem Bewusstsein, unserer Erinnerung länger lebt als das, was wir als (so) gut empfinden, empfunden haben, dann kann man ja einmal fragen, ob das die richtige Metapher für unseren Ferienalltag ist.

Gott mit Trump, aber wir sind Menschen

Zu den widerlichsten Verhaltensformen gehört das Ranranzen an den vermeintlichen Herrscher, bevor er seine Macht zur Gänze ausübt. Hätte es das Ohrabattentat auf Trump nicht gegeben, wären die opportunistischen Pol8itiklautsprecher vorsichtiger gewesen, so wird zugleich mit dem Mitgefühl auch der Charakter des Trump gereinigt. Er selbst dankt Gott, der auf seiner Seite steht. Amen.

Man kann sich ja diplomatisch darauf einstellen, dass er Präsident wird. Aber dann sollte man nicht die Verhandlungsmasse für die Zusammenarbeit jetzt schon durch Unterwürfigkeit aus der Hand geben: oder man stellt sich besser darauf ein, dass Biden sich zurückzieht und eine gute Demokratin antritt – Gründe gäbe es genug.

Wir haben vieles in der Hand. Inclusive der europäischen Politik gegen DREI Atommächte. Siehe letzten Blog. Natürlich verlangt uns das etwas ab. Natürlich werden viele Probleme uns auch Änderungen im Lebensstandard, im Verhalten und in der Freizügigkeit abverlangen, das hat aber nichts mit Trump zu tun oder mit anderen regierenden Gaunern.

Und in einem von Faschismus durchwachsenen Europa sollte man mit Kommentaren zur amerikanischen Binnenwelt vorsichtig und zurückhaltend sein. Nur bei uns in Bagdad….da kann man alles sagen.

(wer „Bagdad“ nicht kennt: der ORF Ort aus den 50er und 60er Jahren war die Satire, wenn man Wien nicht nennen durfte…)

1984. wieso? so oder so.

Besonders langweilige oder vorsichtige Kommentatoren warnen vor Vergleichen. Hitler mit Stalin, Stalin mit Putin, Trump mit Putin, Xi mit Trump….die Liste ist unendlich lang, und jedes Ablehnen von Vergleichen ist eine politisch gefährliche Einschränkung.

Vergleiche müssen sein, sonst kann man die Unterschiede nicht erkennen. Manche Vergleiche sind dumm, andere passen gar nicht, aber keinen sollte man verbieten, bevor er zugänglich ist…nebbich.

Vor 40 Jahren ging 1984 zu Ende. Vor 80 Jahren geschrieben https://de.wikipedia.org/wiki/1984_(Roman).

Das Buch gehört zur Allgemeinbildung. Die Verteidiger der USA werden die Unterschiede des Landes zu China und Russland hervorheben, die Analytiker werden genauer hinschauen, und unsereins wird eher nach Amerika fliehen, wenn die Russen kommen als nach China fliehen, wenn die Amis kommen, oder?

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Die Drei-Mächte-Darstellung von Orwell ist ziemlich wasserfest. Sagen wir einmal, die drei Atommächte teilen sich die Erde. Das hat mich weniger interessiert als das innenpolitische Gefügigmachen der Menschen. Ja, auch in der Diktatur gibt es noch Menschen, die denken und fühlen. Es gibt sozusagen Pausen, in denen die Unterdrückung nicht so drastisch gespürt wird. Scheinbare Freiräume, oder, wie am siegreichen Ende der Diktatur, die ungefährlichen Inseln der intern Abgeschobenen, an denen die Macht schon verübt worden war.

Stehen wir vor einer globalen Dreistaaten-Diktatur, bei der es immer 2:1 steht, bis sich die Fronten zu einem neuen 2:1 verschieben, von einem Tag zum andern? Damals war das eine Metapher, heute ist es vielleicht komplexer, mit mehr intervenierenden Mächten und Variablen, aber so anders ist es auch nicht. Fahrt nur zu Trumps Parteitag und stellt euch auf die Dreireichelehre ein…

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Ach was, sagt der Politiker in Deutschland, wir überstehen auch Trump (vom senilen Biden ist seit drei Tagen nicht mehr die Rede). Ja wir überstehen Trump ein paar Jahre bis zur Klimakatastrophe. Wir überstehen auch die Vernichtung oder Neudiktatur Israels. Wir überstehen alles bis zum Sterben, und den Tod thematisieren wir oberhalb unseres Alltags, außer die Kugel streift uns und es tut weh.

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Mich ärgert die Resignation. Die Dreireichevision ist angesichts des brüchigen Bildungswesens eine leider rapid sich ausbreitende Begleiterscheinung der globalen Rechtsentwicklung. Auch den Faschismus werden wir überstehen. Opfer gibt es immer. In guten Diktaturen gibt es immer Ventile, zB. für das Kabarett oder die Lyrik oder die Musik, da kann man immunisierte Opposition üben, und es bedarf keiner evidenten Gewalt. schon in den Demokratien steigt die Zensur an, auch bei uns, aber das kennen wir, es ist schon eine alte Methode, die man unterlaufen kann. Kann. Selbst in 1984 wird das beschrieben, scheinbar gibt es noch Inseln, Auswege, Verstecke. Über den Schein kann man bei Hegel lesen oder bei Stephen King. Man kann ihn einüben. Aber erst, wenn man auf die Probe gestellt wird, erweist sich, ob die Übung wirkt. Wer gefoltert wird, sagt die Wahrheit. Wer Angst vor der Folter hat, sagt sie vorher. Wer Angst vor der Wahrheit hat, lügt sie herbei und wird enttarnt.

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Kein Ausweg?

Doch, viele Auswege. Alle mühsam, aber begehbar. Oft befestigt man die bessere, zB. demokratische Wirklichkeit, indem man nicht die Verbrecher und Diktatoren dauernd zum Maßstab seiner Kommentare macht, sondern in der Praxis etwas tut, für die Gerechtigkeit, die Umwelt, meinetwegen allgemein den Humanismus. Das unterscheidet dann die Demokraten von denen, die jetzt schon, im Unterbewussten, die Unterwerfung und Anpassung proben.

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Von nichts kommt nichts.

O nein, was anderes!

Innerhalb kürzester Zeit wird das abgeschossene Ohr des Trump zum Thema geheuchelten universalen Humanismus und der merkwürdigsten Kommentare zum Ereignis. Lasst mal.

Kühle Herbstluft weht in den Juli, wir sollen unter der Erderwärmung noch nicht so leiden, wir nicht, wir nordhalbkugelige Klimabewusste. Für einen Augenblick sind die Rasenmäher stumm, keiner bohrt noch mehr Löcher in die Wand, Kleinkinder sind still und Autos fahren auch gerade nicht vorbei. Es ist geradezu idyllisch, Sonntagsruh, wie der Urlaubsort der Stadtbewohner auch heißt. Natürlich habe ich jetzt die Nachrichtensender abgestellt und lese auch nicht das Neueste, zweitwichtigste, alles ist still.

Dann beginnt es im Bewusstsein zu raspeln: Wegschauen gilt nicht, bleib am Ball. Auch auf dich kommt es an, auf uns alle…Hä, wobei? na, bei der weltweiten Positionierung. Ach ja, jetzt wählen ohnedies viele nicht rechts, sondern links. Wo hin schaut man, wenn wegschauen nicht gilt?

Erinnerungen an Sommer vor 60 Jahren, ja, da gab es auch welche. Ich weiß noch, wie unendlich lang die Tage waren, und die Touristen an den Seen in meiner Umgebung, wenn sie mit Sonnenbrand unsere Sonnencremes plünderten, wie sie bis zum Abendlicht eine Art naturnaher Langeweile überbrückten, um dann endlich im Gastgarten doch anzufangen, über Politik zu reden. Ich hörte da oft zu und verstand, was sich an die Nachrichten im Morgenradio und die Tageszeitung anschloss, oder nicht. Nicht: z.B. Namen, die ich nicht kannte, die auch in Nachrichten nicht vorkamen, weil sie auch in Deutschland dritte Reihe vor Ort waren, und wir waren ja in Österreich. Aber das Hinhören war nicht umsonst, Urlaubspolitisieren war eine Lektion im Habitus nicht der Touristen, sondern der Ausländer, und das waren die Deutschen für uns, die Zeit der Einheit war vorbei, außer….natürlich….da gab es schon mehr oder weniger bierfeuchte Erinnerungen, wenn die alten Väter und die Großväter sich ausbreiteten, aber das verstanden wir Jungen oft nicht. Oft. Sprache hat uns quergelegen. Warum hieß der Gemeindetreffpunkt Gefolgschaftshaus? Was war eine Gefolgschaft? Oder man fragte mich auf der Straße, wo der KZ-Friedhof war, und meine Frage, was sie denn dort wollten, wurde mit „nur so“ beantwortet. Dann ging es wieder an den See und die sonnenheißen Wiesen. Politisiert wurde da wie dort in Gesprächen, aber es ging nicht um Politik.

es gibt in diesen Tagen oft Gründe für eine Flucht in die Erinnerung, um sich der Flucht in die nahe Zukunft zu entziehen. Gar nicht daran denken, dass die AfD in drei Ländern und vielen Gemeinde stärkste Kraft wird, dass Trump seinen Wahlsieg befestigt, dass sich der Wahlsieg der Antirechtsbündnisse nicht umsetzen lässt, dass die Kultur zum Verkümmern aufgerufen wird….gar nicht daran denken, ist eine Art Urlaub. Nicht Widerstand.

Ich muss viel fragen oder nachschlagen um zu wissen, wie das heute die Fünfzehnjährigen erleben, Politik, Zeitgeschehen, rund um sich. Die Erinnerung erlaubt wenig Anschlusspunkte, und selbst die Erziehungsergebnisse von Damals sind mit den heutigen wenig zu vergleichen. Und wenn ichs erfahre, dann sind die Analogien frappierend. So langsam ist die Evolution, nur die Namen ändern sich. Aber der Sommer ist bald vorbei.

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Das Ausblenden der Wirklichkeit kann in vielen Fällen politische Taktik sein, vor allem bei den politisch Mächtigen und Aktiven. Die dürfen, weil sie es können, fake news und alternative Realitäten vermarkten. Aber wie reagieren die Empfänger, wenn sie keine Ferien haben?

Ich war schon etwas älter, als ich einmal auf einer hochgelegenen Berghütte zu Mittag dem Radio hinhörte. am 16. Juli 1989 wurde der Tod Herbert von Karajans in den Nachrichten mitgeteilt, und ich sagte, zu laut, freudig „endlich“. Man hat mich nicht gleich erschlagen, aber es musste eine längere Diskussion folgen, nicht mit den Jungen, sondern mit den mittelalten und älteren Bergsteigern, die meine Reaktion verfluchten. Mir wurde schnell klar, dass es nicht um „meine“ Geschichte von Erinnerung und Urteil ging, sondern um „die“ Geschichte im Bewusstsein der Meisten. Und da spielte ein anderer Karajan eine Rolle.

Wo wird man wie über den gestrigen Tag von Trump sprechen und wer legt die Rollen fest?

Ich bin weiter auf die Berge gestiegen, ein wenig verstimmt. Aber es war ein schöner Sommertag und noch gab es Gletscher in der Nähe und herrliche Aussicht. Das Gezänke in der Berghütte hatte sich aber eingegraben in meine Erinnerung, die Gletscher sind längst geschmolzen.

Globales Off-Theater, auch lokal

Der Titel sagt schon alles, ich schreib trotzdem darüber. Man wäre versucht, die Unfähigkeit Deutschlands und Österreichs zur Geheimdienstkontrolle, zur Besteuerung der Suppenreichen, zur Entbürokratisierung, zur Schulreform, zur Einhaltung von Umweltregeln u.v.m als nationale Singularität zu betrachten. Negativer Nationalstolz ? Gleichgültigkeit gegenüber Reform, die Anderen verachten uns sowieso.

Falsch.

Bei den Anderen ist es auch nicht gut. Anders schlecht, könnte man sagen. Und in der Tat sind fast alle Kritikfelder global vernetzt. Das heißt natürlich nicht, dass alles überall gleich ist. Diese Ungleichheiten sind ein Anlass zur Politik.

Die Politik ist dann schwach, sie schwächelt, wenn sie die negativen Ungleichheiten aus ihrem Programm ausspart und sich auf das, was gerade läuft, zurückzieht. Die neoliberalen Hindenburgdamm-Fuzzies zum Beispiel schützen die Superreichen, lassen die Kinder weiter verarmen und verhindern mit der Schuldenbremse, dass das Land sich wirtschaftlich erholt. Geflüchtete bekommen durch Lindner weniger Sprachkurse, weniger Integration. Das ist fremdenfeindliche Absicht nicht nur des Nationalliberalen Lagers. Nun, diese kinderarmen Betuchten regieren mit. Aber auch die anderen demokratischen Parteien haben diese Unwucht, sei es außen- oder innenpolitisch. Sie nationalisieren die Grenzen weiter, noch mehr Grenzbeamte müssen das weitmaschige Netz für Ausländer bewachen (obwohl kluge Eindringlinge nicht über Straßengrenzen eindringen).

Es ist schon sichtbar, dass die Errungenschaften demokratischer Entwicklung national ungleichmäßig eingeschränkt und abgebaut werden, durch Gerichte, Parlamente, Regierungen. Das gilt für alle Länder, überall. In Demokratien weniger als in autoritären Staaten und Diktaturen. Aber auch in Demokratien. Im Kapitalismus ist es logisch, in Diktaturen praktisch.

Die Theorie der Glokalisierung ist nicht ganz neu (Zygmund Bauman hat jahrelang dazu geschrieben,, https://de.wikipedia.org/wiki/Zygmunt_Bauman. kurz: Identity in the globalising world 2001 u.v.a., Glocalism. Journal of culture, politics and innovation. Mailand: Globus et Locus.), aber gerade jetzt nicht im Zentrum der Diskurse.

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Mir geht es um etwas anderes, ganz aktuell: wenn über die mangelnde Einsichtsfähigkeit in die Politik gesprochen wird, dann bedeutet das auch, dass man sich nicht kritisch gegen den Unsinn der machtvoll durchgedrückten Politiken äußern kann, dass der Widerstand oft keine Begriffe findet, und dass man „ohnmächtig“ zurückbleibt – viele driften dann in das Unverständnis ab (rechts) oder in die abstrakte Unverständlichkeit (links), oder beides. Mich ärgert das, weil vieles, sehr vieles rational und zielführend erörtert und politisiert werden kann, also real könnte. Und nicht wird. Dann ziehen sich die Leute entweder auf Ohnmacht zurück, in die AfD, SWS oder die schweigende Mitgliedschaft in der Demokratie. Letztlich ist das auch eine Frage der Bildung und der politischen Einmischung von Jugend an.

Man kann auch sagen, dass uns nichts, was in der Welt geschieht, nichts angeht, auch wenn wir uns nicht zu allem äußern können oder müssen. Aber es ist wichtig, aus der Lokalität auf die Welt hinauszuschauen, sonst bleibt alles kleinklein deutsch und lokal und deshalb scheinbar überlebbar und global unwichtig.

das ist einer der Gründe, warum zur Zeit Umwelt aus der öffentlichen Debatte zurückweicht und andere, eher marginale Themen, nach vorne rücken. Sich politisieren heißt, das genau zu vermeiden: Rückzug von den glokalen Themen, weil „man“ ohnedies „nichts machen“ kann.

Damit begründen die Antidemokraten das Führerprinzip und lehnen die demokratischen Diskurse ab.