Wellenreiter und Wogenglätter

In dieser Woche gehen viele PolitikerInnen in den Urlaub, nicht ohne im Abschiedsschwurbel darauf aufmerksam zu machen, dass ohnehin nichts wichtiges geschieht, bevor sie zurücksind und sie außerdem im Ernstfall jederzeit erreichbar sind (vor allem im Ausland, wo das Internet besser funktioniert). Ich habe euch ja geschrieben, dass ich mich von dieser Kommunikation abmelde und stattdessen im Küstensand meine Fußabdrücke hinterlasse. Befreit geht das vor allem, wenn man sich die Frühmeldungen spart und nicht wissen möchte, was im Vorfeld von Olympia in Paris geschieht (Korruption) und wie die psychischen Profile von Trump und Harris der Kosmischen Strahlung ausgesetzt sind.

Ebbe ist eine gute Zeit um zu sehen, wie sauber oder unrein die Ufer strände sind, und wie klug, besondere Gebiete für Naturschutz und Artenschonung auszuweisen. Wenn es sehr früh ist, dann ist die Ebbe besonders eindrücklich. Und man sieht schon viele Vögel, die keine Möwen sind und auch anders singen. Der Weg zum Strand ist weit, man geht lange durch den Sand, oft gibt es Süßwasserlacken (nach dem heftigen Nachtregen? oder überhaupt?) die dem Hund gefallen. Und dann ist man im Wasser. Ist die Nordsee wirklich so warm, oder ist das ein Beitrag des Klimawandels? egal, ein paar Algen, keine Steine, ein makelloser Strand und viel ruhe im Morgenlicht.

Dieser Teil meines Berichts hat den Vorteil, dass er zu kurz ist, um wirklich zu interessieren und ich zeige auch nicht immer dieselben Fotos. So weit so gut.

Nur lässt sich das Hintergrundflimmern des Bewusstseins natürlich nicht abstellen, und es ist eben nicht Trump oder Scholz, der einen stört, überhaupt nicht die „Politik“. Ich setze die „“, weil sie auch zum Problem gehören. In Zeiten abnehmender Zukunftshoffnung setzt man nicht mehr so leichtfertig auf Politik, wenn es um das Lösen von Problemen geht. Wenn ich hier durch den Strandsand gehe, dann wird mir unfroh, denke ich bloß an die Umweltbedrohung ein paar hundert Meter weiter, im hässlichen Teil der Insel, der von hier nicht zu sehen ist. Zum Beispiel, dass tausende Autos hier mit der Fähre ankommen, nicht um die lächerlichen zehn Kilometer zu fahren, sondern weil man dann seine Koffer und Decken gleich aus dem Kofferraum in die Sommerwohnung bringen kann. Ein ärgerliches Detail, das mir den Tag angesichts größerer Details nicht verdirbt, der aber sofort – siehe oben – die Hintergrund-Denke anwirft, germanoanthropologisch fragt, warum soviele Deutsche mit ihren Autos die Insel beparken und wie dieses Verhalten entsteht? Stellt euch vor, bis auf ein paar Rettungswagen, Feuerwehrautos und Lieferfahrzeuge wäre die Insel autofrei. Der Unterschied zur gegenwärtigen Parklandschaft wäre strukturell enorm, fürs Auge gar nicht so groß, denn die Autos können ohnedies nicht in die Dünen und ans Meer fahren.

Das ist noch nicht einmal eine grüne Überlegung. Aber die Frage geht tiefer, weil sie ja nicht die Mehrzahl der Menschen trifft, die hier mit Fahrrad oder barfuss oder per Bus unterwegs sind und der PKW Hauptstraße ohnedies entfliehen. Und wenn man die Orte hinter sich lässt, ist ja wirklich alles schön. Also quängelt der soziologische Oktopus, sollte man sich den Ursdachen und nicht den Phänomenen widmen. Und es wird nicht wirklich abgemildert, wenn man die deutsche Autogeschichte auf diesen Punkt konzentriert, das kann ich auch in Potsdam am Schreibtisch.

Läuft man lange genug barfuß durch den Sand, ändert sich die Haltung und steigt die Freude, dass man wirklich auf nichts drauftritt, das einen verletzen könnte oder anekelt. Das wäre eine gute touristische Werbebeobachtung. Die sich empirisch weitestgehend bestätigen lässt.

Nach einem solchen Tag, wenn ich jetzt z.B. diesen Blog schreibe, bin ich diesen Eindrücken dankbar, es hängen keine Überreste an mir, die mich noch ärgern. Kommt jetzt die Politik? Nein, sie kommt nicht direkt, aber „Politik“ kommt zu „Umwelt“, weil unvermeidlich ist, sich zu befragen welchen Anteil Bürgerinnen und Bürger an der Umweltpolitik tatsächlich haben und welchen sie haben könnten. Dass die Grünen zur Zeit ins Abseits gleiten, hat nur wenig mit der angeblichen Ferne den wirklichen Bedürfnissen der einfachen Menschen, der Plebs?, zu tun. Sondern damit, dass man sich, auch bei den Grünen, wie bei anderen Parteien auch, immer auf die Demokratie, den Umweltschutz, die sozialen System beruft, die als bedroht erkannt sind, anstatt deren Weiterentwicklung zum Programm und damit zur Änderung des menschlichen Verhaltens in der Gesellschaft als Anlass und Begründung von Politik zu machen. Von Politik, nicht von „Politik“.

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In einem etwas anderen Zusammenhang hat sich Rainer Forst („Die falsche Sicherheit“ ZEIT #31, S. 6). dieses Themas angenommen. Ich greife nur einen Aspekt heraus. Ein Resümee beginnt mit den folgenden Feststellungen: „Progressive Politik muss…die fatale, faschistoide Verbindung zwischen kulturellem und ökonomischen Ressentiment abschneiden“ – den Satz kann man auf die wahrnehmbare Wirklichkeit schon auch hier an- und aufnehmen. Und dann konzentriert sich auf Gerechtigkeit und Wirklichkeit, wie ich in meinen letzten Aussagen auch immer, und – zu meiner Freude – wird dies nicht dauernd der herbeigebeten singulären Wahrheit untergeordnet. Lest seinen kurzen Essay, bitte, und bedenkt, dass der Rückzug aufs Programm nicht erklärt, warum ich diese Überlegung beim Durchqueren der Parkplätze im schäbigen Teil der Insel plötzlich so hautnah spüre.

P.S. Rainer Forst nähert sich der Gerechtigkeit ganz anders als der hier öfter zitierte Omri Boehm, aber der Hinweis auf die fundamentale Bedeutung der Gerechtigkeit führt die Argumente zusammen.

Die Sonne steht noch hoch, starker Wind bläst über den Sand, die Flut kommt herein.

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