Man kommt aus einem kurzen Urlaub zurück, der länger schien als er war, man schaut auf die kommenden Tage der Normalität. Urlaub ist die Ausnahme – vom Arbeitsleben, von den Übergängen der Tätigkeit als Rentner in die Immobilität des Pflegebedürftigen, von der Zukunftsplanung zur beständigen Retrospektive, die dauernd alles umgruppiert, was im eigenen Leben und anderer, die wir ständig im Lebensblick haben, wohl wirklich gewesen war.
Ich komme von einem kurzen Urlaub zurück, ich sage „ich“ und nicht „wir“, weil es zunächst eine Reflexion des eigenen Zustands ist, später werden wir es bereden – oder es kommt von sich aus.
Die freie Zeit, „Freizeit“ ist ein trügerischer Begriff, weil sie gegen die Arbeitszeit in Stellung gebracht wird, obwohl man vielfach im Urlaub mehr Gedankenarbeit, ästhetische und moralische Tätigkeiten, Arbeit an sich selbst und oder min der Natur, den Begleiterinnen und Begleitern, auch dem Hund macht, und während der Arbeitszeit eine Menge Dinge macht, die mit Arbeit wenig zu tun haben. Auch rede ich nicht vom altmodischen Begriff der Lohnarbeit, die zerfällt ja zunehmend. Es ist richtig, man kann sich von anstrengenden Zeiten – wie und warum auch immer sie anstrengend waren – erholen. Oder man muss sich vom Urlaub erholen….den kleinbürgerlichen Zustand bespreche ich mir jetzt nicht.
Ich will nur darauf hinaus, dass die Normalität des Alltags im Urlaub besser nicht mit der des Arbeits- oder Rentneralltags verglichen wird. Unter anderem, weil man sonst an seine normale Unfreiheit, an die Gefangenschaft in einer Normalität erinnert wird, die man gerne nicht als normal empfinden würde. Das gilt nicht nur nur für einen Zustand, merkt ihrs? Auch Urlaubsnormalität kann ein Eingespanntsein in eine Routine der Pflichterfüllung oder des Abarbeitens von dem, was ohnehin schon darauf gewartet hatte, sein.
Wie ich jetzt, einen Tag nach unserer Rückkehr von der Nordsee, darauf komme? Ja, erholt, ja, zufrieden, ja, aber in einem Zustand, den man auch während der Nichturlaubszeit herstellen kann, wenn man man das will. Ausnahmsweise einmal nicht unbedingt an den sozialen Status gebunden, an Reisen von hier nach dort, nach Reflexion des Andersseins dort… Mich beschäftigt eine etwas genauere Betrachtung dieses Andersseins. Stundenlang durch den Sande und die Dünen gehen, ohne Menschen zu begegnen, das hat mir gefallen, prima vista verständlich, aber was hat mir daran gefallen? Das überlege ich nicht nur im Nachhinein. Vor Ort, im Sand, war eine seltsame, körperliche Freiheit, ich kann latschen, wie es sich geht, ich schaue anders, höre anders, assoziiere anders, und, wichtig, frage NICHT dauern, warum dieses anders gerade jetzt stattfindet. Darin ist schon eine Antwort, eine Teilantwort. Ein Teil des Regelwerks für Verhalten, also auferlegte Normalität, ist ausgeklinkt. Mit dem Effekt, dass die Sicherungsmechanismen im Halb- und Unbewussten gelockert sind, und einiges zum Vorschein kommt, was mit meiner Wirklichkeit mehr zu tun hat als mein Verhalten in der Wirklichkeit des normalen Alltags. z.B. dass man nach zwei Kilometer barfuß im Sand seine Muskeln und Gelenke spürt, nicht nur anders, sondern überhaupt, und schon assoziiert man anderes als vorher…da muss man jetzt nicht grübeln. Farben, Geräusche, Gerüche sind anders, wiewohl nicht „neu“. Man macht sich seinen eigenen Impressionismus am Strand.
Einer meiner Eindrücke – ich war das erste Mal an diesem Ort, auf dieser Insel, – war eben dieser Abbau von Reserven gegen die Logik, mit der man, ich, „Urlaub“ analysiert und zwischen objektiven und subjektiven Merkmalen unterscheidet. Aber damit kommt man unweigerlich zur m.E. falschen Trennlinie zwischen Urlaub und dem Rest, den ich oben aufgezählt habe. Das hat schon psychische Folgen.
Um auch deutlich zu sein: ich jedenfalls habe auch viel Zeit mit Lesen verbracht, David Grossmann und Zygmunt Bauman, dazwischen noch einen Roman eines viel älteren Freundes. Soviel Zeit könnte ich mir – kann „man“ sich im Alltag aber auch nehmen, viel Zeit war nicht soviel, wie man im Arbeitsalltag sic h „nach der Arbeit“, vor dem Schlafen nehmen kannsollwill.
Die Rekonstruktion der fünf Tage auf der Insel ist fast eine Verlängerung des Aufenthalts, weil die Zuwächse an Freiheiten in das normale Leben hier herübergebracht wurden. Das halte ich für ganz wichtig, die Rekonstruktion der Gegenwart durch die Erinnerung, und wäre das normal, wäre es besser?!
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Heimgekehrt, wird man natürlich auch von den Nachrichten und Informationen überfallen bzw. beschäftigt. Was man jetzt nicht alles über die Lebensgeschichte der Harris erfährt, das hatte man vorher nur von anderen, von Trump und Biden, erfahren. Gehört das eigentlich zur Bildung eines politischen Bewusstseins, Standpunkts, bezüglich dieser Menschen. Einen Standpunkt aus einer Biographie ableiten? Keine triviale Frage. Hat auch in Deutschland eine Rolle gespielt, zB. bei der anfänglichen Abwertung von Willy Brandt durch die Reaktionäre. Der Clou dieser Tage: die Erfahrung der letzten Woche ist wie ein Filter, das diese Trivialitäten abbremst, ausdünnt. Die Normalität kommt noch früh genug, heute Abend, morgen.