Mehr als ein Gegner?

Es gibt eine christliche Religionsfigur, dass die Guten gegen die Bösen in einem Zweikampf lange verbunden sind, und die Guten siegen müssen. (Katharer zum Beispiel, auch andere….)

Wenn es um Israel geht, funktioniert diese binäre Figur noch weniger als anderswo. Wer gegen die Hamas ist, kann nicht notwendig für Netanjahu sein. Wer die religionsextremen faschistischen Parteien und Regierungsmitglieder verurteilt, kann nicht die Augen vor den ebenso faschistischen Hamas u.a. Bewegungen der Israelfeinde verschließen. Die Welt, also die Politik, ist nicht binär nach einem 0&1 Modus. Wer aber diese Binarität heraufbeschwört, läuft Gefahr, noch mehr endlose Gewalt zu provozieren und zu inszenieren.

Bitte zuerst nachlesen: https://www.deutschlandfunk.de/1995-in-tel-aviv-vor-25-jahren-wurde-jitzchak-rabin-ermordet-100.html und auch die Anmerkungen verfolgen. Und die letzten Sätze des Berichts ernst nehmen:

Die Folgen des Attentats, so der Historiker Rabinowich:

„Es war ein Wendepunkt: die Schleusen waren offen, die Rechten haben die Offensive übernommen und sind jetzt an der Macht. Menschen, die an der Hetze beteiligt waren, sind jetzt in der Regierung, was für viele von uns inakzeptabel ist.“

Ohne es direkt auszusprechen, richtet sich diese Kritik auch gegen den derzeitigen israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Als Oppositionsführer stand er 1995 an der Spitze jener Bewegung, die Rabin als Verräter brandmarkte.

Für viele in Israel ist das nicht akzeptabel, viele sind ausgewandert, viele sind verstummt, viele sind Opfer, nicht nur mit den Geiseln verbunden. Für die Mehrheit offenbar (noch) nicht oder nicht schon wieder.

Mein Hauptpunkt ist zunächst logisch, wir haben hier keinen zweipoligen Konflikt. Wenn man sich a verpflichtet fühlt, bedeutet das nicht automatisch Feindschaft zu b, man kann auch beide ablehnen, oder unterschiedliche Gewichte und Argumente anwenden, und es gibt auch noch c,d,e….Politisch gehört es zum Repertoire sowohl der Religionsextremisten als auch anderer Radikaler, dass sie fast immer mit der Zweipoligkeit argumentieren.

Das spielt gewichtigen Diktatoren wie Erdögan oder Khamenei in die Hände, ganz zu schweigen von den dominierenden Diktatoren. Ruhigreden lässt sich da nichts.

Mein zweiter Punkt ist, dass man auf die ultraorthodoxen Extremisten nicht mehr Rücksicht nehmen darf als auf die Siedler und andere säkulare Extremisten, nur weil sie vorgeben „Religion“ zu repräsentieren. Die ultrareligiösen im Kabinett und in Israel allgemein sind keine zu vernachlässigende Minderheit, sondern nutzen ihre Bildungsfeindschaft und Reproduktionsheftigkeit gegen Demokratie und Menschlichkeit. Ihnen ist es egal, wenn Israel aufhört, der einzige demokratische Staat zu sein, Hauptsache, im Namen eines maskulinen verqueren „Gottes“ zu regieren – Muslimfeindlichkeit als Zugabe ihres eingeschränkten Selbstverständnisses. (Das hat es bei Christen und Muslimen bis heute auch immer wieder gegeben, bei den Juden ist die Wurzel ein wenig anders gelagert, aber im Effekt dasselbe sektiererische voraufgeklärte Retro.

Und mein dritter, eine argumentative Ausnahmestellung Deutschlands in allen Reaktionen auf Israel und den Nahen Osten einzufordern, ist unehrlich bis blasphemisch.

Es wäre schrecklich, wenn Israel an diesem Konflikt zerbräche, also de facto von der Landkarte verschwände. Es wäre nicht viel besser, wenn es von der Landkarte der Demokratien verschwände, bliebe es Land erhalten.

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Ich werde auch weiterhin die einzelnen Ereignisse nicht kommentieren, auch wenn ich es teilweise kann. Ich lese Ha’aretz und die Nachrichten – BBC, Al Jazeera, DLF – aber wenig deutsche Presse. Was mich auch verstummen lässt, ist das Schicksal meiner Freunde in Israel. Was soll man hier dazu sagen, Hier und Dazu sind zwei Welten.

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