Oida, bist du alt oder älter?

Es häufen sich Artikel, Werbung, Diskussion über das richtige Verhalten im Alter, die Zukunft des Alterns und die Bedeutung des Alters für Gesellschaft, Politik, Kultur und Ökonomie. Nichts Neues also?

In Wien sagen 17jährige „oida“ (Alter) zueinander, das ist nicht nur höfliche Anerkennung. In einem Projekt zum intergenerationellen Wohnen bemüht sich unser Team, das Alter nicht mit dem Ruhestand, der Pension oder einer Geburtszahl beginnen zu lassen. Und die Bücherregale sind voll von Altersdiskursen.

Das Thema ist hochpolitisch. Biden, Xi, Trump sind „sehr alt“. Adenauer war sehr alt. Über die Bewertung des Älteren entscheidet nicht sein Alter, sondern Auftreten und Verhalten. Überwiegend Männer…Maggy Thatcher war nicht so alt, als sie regierte…Alter wird ein Diskriminierungsmittel zum Guten wie zum Schlechten. Es geht natürlich beim Verhalten auch, auch! darum, was ein Politiker tut, aber vor allem um sein Verhalten. Weil man („mann“) sich selbst altern sieht. Weil man sein Verhalten vergleicht mit dem, was vielleicht noch kommt.

Neoliberale Deppen lassen ältere AutofahrerInnen ihr Leben früher beenden und das jüngerer Menschen gefährden. Sie zu testen oder gar zu begrenzen, hat für diese Sportwagengeneration keinen Sinn und ihre alten Parteimitglieder sind ohnedies nicht gefragt. Das Beispiel lässt sich unschwer auf andere Gebiete übertragen. In der Politik ist es aber besonders aufgeladen. Erinnert euch an die Diskussionen über den Rücktritt eines unjungen Papstes zugunsten eines Nachfolgers.

Biden und Trump sind zwei Seiten derselben Medaille. Das Alter verbindet zwei unvereinbare Charaktere, aber möglicherweise keine Fehlhandlungen des einen wie des anderen.

Das liegt u.a. daran, dass das Alter normalerweise nicht thematisiert wird, man ist in der Blüte seiner und ihrer Jahre, und danach älter. Wie das mit der Denk-, Hirn-, Sex-, Sprech- und Verhaltensleistung verbunden wird, entscheidet der einzelne Mensch nicht, sondern „man“, und zwar auch über Macht, Geld, Attraktion, Wirkung vermittelt.

Diese Einsicht hilft uns bei Trump und Biden nicht (mehr). Oder doch?

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Ein ganz anderes Thema wäre zu fragen, warum Altsein gut und Älter-Werden problematisch ist, bzw. schlecht oder lebensschön usw. Das hat etwas mit Gesellschaftsgeschichte und dem Bewusstsein der Mächtigen, über den Altersdiskurs Menschen gut steuern zu können. Dagegen können sich Menschen auflehnen, tun es aber nicht immer, und heute wohl häufiger als früher. Das aber werde ich ein andermal diskutieren.

Keine Beruhigung. In diesen Tagen.

Das Aufatmen nach der Wahl in Frankreich ist allgemein, aber verdächtig. Man entkommt der Skylla und fällt der Charybdis zum Opfer (Entschuldigung für die bildungsbürgerliche Ironie, aber manchmal sind die politischen Kommentare auch wirklichkeitsfremd).

In diesen schrecklichen Tagen, wo man den Wolfsgruß in Deutschland verharmlost und duldet, wo Orban die EU in Russland und China verrät, wo der Massenmörder Putin die Ukraine weiter schändet, in diesen Tagen, wo John Biden nicht mehr weiß, wer er ist, und eine faschistische Regierung in Israel das Judentum destruiert. In diesen Tagen mit noch weit mehr Schrecken weltweit und der kaum mehr abzuwehrenden Klimakrise, müssen wir dem Endzeitdenken entkommen, auch wenn es schon Endzeit IST.

Wir können uns nicht beruhigen, nur weil wir nicht mehr wissen, welchen Schrecken wir zuerst aus dem Papierkorb fischen, um ihn zu bearbeiten. Auch wenn die Psychologie und Psychiatrie gut erklären kann, warum so viele Menschen sich von der Wirklichkeit abwenden und in ihren unverständigen mentalen Schrebergärten sich ein letztes Wochenende bereiten – oder den hysterischen Alarmisten auf den Leim gehen, die die schreckliche Situation der Zeit ausnutzen, um von der Demokratie abzulenken und den neuen Führerkulten huldigen. Oi weh, was soll man tun, wenn die Stimme vom Klagen heiser geworden ist?

Wir haben keine breiten Handlungsplätze, vielmehr muss sich der Widerstand in den engen Gassen der Unzugänglichkeit für die Gewaltherrschaft bilden; im Wortsinn „bilden“, wissen, worum es jetzt geht, und organisieren, herausbilden. Amerikaner als volatile Demokratie, Russen, Chinesen und andere autoritäre Staaten haben jeweils versagt, wenn sie mit Macht gegen die befreiende Guerilla angekämpft haben – was im übrigen diese Guerilla nicht gleich zum Modell künftiger Freiheit gemacht hatte.

Sagt mein Freund: spinnst du? jetzt Guerilla fordern, wie denn gegenüber den Trotzburgen empathieloser wieder aufgerüsteter Herrschaften? Nein, ich spinne nicht, denn das Gute an der Guerilla ist, dass man vorher und während ihres Aufbaus natürlich nicht sagen muss, was wir machen und wie. Ob wir den Kulturtext auswendig lernen, wie in Fahrenheit 451 oder ob wir den Lebensstil so verändern, dass er ökologisch tragfähiger wird, allein oder in Gruppen, ob wir…da gibt es genug Pläne und Strategien zur Auswahl. Wir wissen das oder wir können es denen vermitteln, die es nicht wissen. (Es ist die Umkehrung des menschenfeindlichen religiösen Siegeszugs der radikalen Fundamentalisten und Evangelikalen).

Das Schwierige an diesen Argumenten ist nicht, ihnen im Prinzip zuzustimmen, sondern etwas zu tun, das diesen Forderungen entgegenkommt, sie sozusagen in der Alltagspolitik abholt.

Diese Schwierigkeit bedeutet für mich immer in einer gewissen Oppositionshaltung im „eigenen Lager“ zu beharren. So paradox es klingt, es ist der Widerstand gegen die machtvolle Belehrung und die Unterwerfung unter das Lernen von Wirklichkeit.

Dafür gibt es Beispiele genug, auch ich habe etliche, aber zunächst geht es darum zu akzeptieren, dass man die globale Zerstörung nicht allein dadurch aufhalten kann, indem man sie kritisiert. Nicht allein. Etwas tun ohne durchzudrehen, also politisch und praktisch zu handeln. Die „Projektarbeit“ nennt man natürlich nicht Guerilla. Sehr viel mehr können wir zur Zeit nicht, aber wir wollen mehr.

Keine Fluchten. Flüche? Auch nicht.

Nicht nur um der AfD zu schaden, werden im Bundestag die Strafen für unziemliches Verhalten erhöht. Wir wollen ordentlich untergehen.

Die Kommentare weltweit überschlagen sich, die Bidenpleite wird schon wieder überwuchert von der Macronpleite, Orban darf die EU anführen, die Faschisten in Holland beginnen zu regieren und Ronaldo verschießt einen Elfmeter. Endzeiten allenthalben.

Der Spott über das Vogelstraussverhalten ist uralt, aber es endet nicht damit: man muss das alles nicht wahrnehmen, es gäbe ja noch viel mehr Ärgernisse auf der Erdoberfläche. Was aber, wenn man sich eine Alternative einfallen ließe, nicht im virtuellen Raum, sondern real. Verhaltenswiderstand, es wird nicht gegrüßt, geantwortet, kommuniziert. Salzsäulenverhalten…nur, wen grenzen wir nicht aus? Weil natürlich die misstrauische Lebensführung vom Verrat der Nächsten getragen wird, Parteifreunde wie Ehepartner sind da nicht ausgenommen, alles lügt, – ja, man selbst auch.

Gemessen an unserer kurzen Lebensdauer und sehr beschränkten Zukunft wäre ja ein drogengeführtes Leben ohne die Möglichkeiten, die Folgen von irgendetwas zu bedenken und auf sich zu beziehen, ein Ausweg, von dem ich annehme, dass viele ihn ohnedies beschreiten. Ernsthafte philosophische und religiöse Einwände dagegen gibt es nicht, allenfalls praktische, wenn nicht mehr produziert wird, womit wir leben wollen und können. Ich hatte eine Droge früher genannt, Empathielosigkeit, die offenbar Politiker und Mitglieder der wohlhabenden Elite genauso süchtig macht wie die Menschen, die ich Pöbel genannt habe, wofür ich kritisiert wurde, weil es ja un-menschlich ist, zum Pöbel und nicht zur Gesellschaft zu gehören. Okay, dann sind am Rand der Gesellschaft die Empathielosen quer durch alle Klassen und Reviere die schon halb der Zukunft entzogenen, betäubten Zeitgenossen, Vogel Strauß als Crack, Fentanyl und Bocksbier.

Das ist alles eine verwirrende Umschreibung eines Allgemeinplatzes, der nur halb richtig wirkt: Augen auf! Aber was man sieht, hört, wahrnimmt muss nicht Empathie, Solidarität, Aktivität auslösen, – das nehmen wir ja immer wahr. Ob es zunimmt? Ich weiß nicht.

Was gehts mich an? Die Antwort darauf lenkt die offenen Augen oft auch darauf, was auf uns zurückwirkt, gerade wenn es uns scheinbar nichts angeht. Darunter leiden die meisten, die offenen Auges die absteigende Wirklichkeit wahrnehmen, und wenn sie als Reaktion diese Wahrnehmung ablegen, dann kommen nicht nur Orban oder Putin zum Vorschein. Den Vergleich habt ihr nicht erwartet?! Klar, wenn die Empathielosen nicht dauernd bestärkt und gewählt würden, wenn man nicht auswiche dem nächsten Handgriff…mit oder ohne Begründung. Im Wienerischen: Es muaß wos gschehn … kannst eh nix machen.

Handeln, aktiv bleiben angesichts der unbewältigten Vielzahl der Probleme, das gibt es seit Anbeginn unserer Zivilisation, wir haben es bei Ovid, bei Camus, und bei vielen Frauen und Männern bis in die Schulbücher hinein gelernt, aber wenn man eh nichts machen kann, dann lassen wir es halt. Das wird schon in den nächsten Generationen zu ganz anderen Zweifeln an der Wirklichkeit führen als wir begünstigte Generation Europas kennen.

Werte Leserinnen und Leser: wie komme ich zu einer solchen Überlegung, gerade heute? Die Antwort: einmal die Nachrichten bis zum Ende genau anhören. Ich habs heute ausgehalten und mir gedacht, dass man neoliberale Wohlstandsforderungen und den Schrecken der weltweiten Destruktion und Kriege und die Abkehr vom schlechten Benehmen nicht alle in einer Tonart präsentieren darf, wenn man … ja was? wenn man handeln möchte oder wenn man etwas tut?

Seit längerem verfolge ich zwei Prinzipien: das der Gleichzeitigkeit und das der Resilienz gegen bloß reagierende Aufforderungen zur Politik. Es ist das alles gleichzeitig und das schließt meine, unsere Resilienz und unsere Ruhepausen und Aktivitäten ein, und nichts wird beim Aufwachen weniger. Was kein schlechtes Argument gegen die Droge der Empathielosigkeit ist, weil die Wirklichkeit nach jedem Wegschauen ein Stück gewachsen ist und um die Ecke schaut.