Verstehen kann billig sein, aber es heißt nicht billigen

Die demokratischen Parteien und PolitikerInnen sind zunehmend nervös, weil scheinbar alles, was sie tun, nur den faschistischen, faschistoiden oder pöbelhaften und insgesamt destruktiven Parteien hilft. Fast alle Vorsitzenden und SprecherInnen der demokratischen Parteien haben Probleme mit ihren Aussagen, weil sie befürchten, dass alles, was sie öffentlich sagen, den faschistischen, populistischen und jedenfalls demokratiefeindlichen Parteien nütze. Das führt zu einer um sich greifenden Attitüde, man müsse die Distanz zwischen der „Allgemeinheit“, dem so genannten Volk, den einfachen Menschen, und der Politik = den PolitikerInnen verringern, indem man dem Volk etc. genauer zuhört, ihren Problemen nahekommt und sich auf die Bedürfnisse der Menschen einlässt. „Dem Volk aufs Maul schauen“, wie das so idiomatisch, um nicht zu sagen idiotisch, heißt.

Wie immer, ist da ein Körnchen Wahrheit drin, das wird missbraucht, um ziemlich großen Schaden anzurichten, der den Unsinn der Diskursfigur weit übersteigt. Natürlich nützen die faschistischen und demokratiefeindlichen Kräfte Probleme der Kommunikation aus (konkret meine ich hier AfD und BSW), das haben die Faschisten immer so gemacht, nur beherrschen sie die Medien und Podcasts und anderen Multiplikatoren oft besser als die Etablierten. Das ist ein weiteres, echtes Problem der Demokratie, dass viele demokratischen Kräfte eine gewisse zögerliche, fast abwehrende Haltung gegenüber einer Kommunikation einnehmen, die sie gar nicht beherrschen. (So wie in den USA Fox die CNN dominiert, so ähnlich ist es bei uns auch, und die Gefahr besteht, dass man diesen Medien nicht entkommt, gerade auch wenn und weil man sie ablehnt).

Hinter dem Diskurs der Politik gegenüber den einfachen Menschen stehen zwei falsche und gefährliche Figuren. Implizit halten sich die PolitikerInnen, die so denken und handeln, für Bestandteile der Elite; zugleich befestigen Sie das etwas zu einfache Bild, dass der Pöbel nach rechts ausbricht, anderswo auch nach links, wenn die Herrschenden, die Elite, nicht mehr wahrnimmt, was das Volk wirklich will, was es fordert, wie es denkt, wie es verstanden werden will, was seine Prioritäten sind. Etwas sarkastisch meine ich zum ersten Argument, dass Eliten nicht einfach das sind, was man als MinisterIn, PolitikerIn, InfluencerIn etc. aufgrund der Position und zugesprochenen Macht zu sein scheint. Es ist die Masse, die die Abtrennung der Elite dann behauptet, wenn sie Gründe sucht, warum sie sich mit ihren Bedürfnissen und Gründen nicht durchsetzt, ob diese nun gerechtfertigt sind oder nicht. Aber darauf würde es im politischen Diskurs ja ankommen. Nicht, dass ich jetzt die Eliten verteidige oder gar rechtfertige[1]. Es ist mir immer darum gegangen, Eliten zu kritisieren, wenn sie nicht als Avantgarden politisch praktisch wurden. Aber im derzeitigen Diskurs wäre das ziemlich übertrieben. Geht es doch eher darum, dass die etwas unsicheren, und ver-unsicherten, Demokraten den Anschluss an ihre Wirkungsfelder wieder finden wollen, weil sie diese angeblich verloren haben. Die Feinde der Demokratie konstruieren Eliten dort, wo sie die eigenen Unterstützer ins Feld führen können, durch fake-news und politische Trugbilder, die umso wirksamer sind, je weniger die angegriffenen Demokraten sich von der Elite-Ummantelung befreien können.

Damit sage ich nicht, dass sich viele PolitikerInnen nicht elitär verhalten, vor allem, wo sie inhaltlich schwach sind. Aber wenn der Vorwurf lautet, dass sie an den Bedürfnissen und Lebenswelten der Massen „vorbei“ regieren, dann ist dieser Vorwurf doch von unten so konstruiert, dass er niemals widerlegt werden kann, weil Politik ja immer agiert, um Dinge zu entwickeln, die sich nicht aus der bloßen Kommunikation der Massen richtig fügen…

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Viele schlechte Politik hat sich schon immer so entwickelt, dass Entscheidungen entweder mit dem Willen des Volkes gerechtfertigt werden, wenn sie der eigenen Logik von Einsicht oder Herrschaft widersprechen (Man kann auch hochtrabend sagen, wenn Partikularinteressen zum Volkswillen erhoben werden – oder eben verworfen werden, wenn es diesen Interessen nicht passt: ein kleines Beispiel ist die Autobahn- und Sportwagenpolitik der FDP).

Was mich an dieser Unterwerfung gegenüber dem ja gar nicht „wirklichen“, sondern „imaginierten“ Volkswillen so ärgert, wenn sie von DemokratInnen kommt, ist das Versäumnis, die eigene Demokratie weiter zu entwickeln, was immer auch eine Verbesserung der Verständigung und Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgerinnen mit beinhaltet. Auf Bedürfnisse eingehen oder sie mit Gründen zu verwerfen, ist Aufgabe einer Politik, die nicht meint, diese seien an sich berechtigter oder besser gerechtfertigt als die Entscheidungen der Politik. Auch auf Kritik und alternative Vorschläge einzugehen. Aber das heißt doch nicht, sich demütig dem Volk hinunterzubeugen um endlich zu hören und zu verstehen, was „es“ will…das wissen die besseren PolitikerInnen so gut wie wir, die das beobachten und kommentieren, das wissen die besseren Medien, und manchmal auch die Gerichte. Von dort entsteht „Basisdemokratie“ wirkungsvoller als durch das Hinunterbeugen und die Hand an das Ohr zu legen, um zu hören, was die Gegner der Demokratie für forderungswürdig halten. Forderung, nicht Förderung.


[1] Ich habe mich schon früh mit dem Problem auseinandergesetzt, z.B. Mittelmaß tut nicht gut! – Randglossen zur Elitediskussion. In: Fossler u.a. (Hrsg.): Bildung, Welt, Verantwortung. Focus (Giessen) 1998, S.79-94 . Eliten, Gemeinschaften, Aggressionen. In: Vorgaenge 1/2000. S.11-18 (dies besonders zum akademischen Bereich in den USA).

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