„Da schauen wir einmal zur Labour“ Leber…
„Das ist doch de Gaulle“ Galle…
In einem Bundesheerlazarett 1966, wo man mir endlich den Blinddarm entfernte, obwohl ichs an der Galle hatte, wurden die Bemerkungen des Arztes ebenso freundlich wahrgenommen wie der Name der Stationsschwester, Frau Kokodrille (Krokodil…). Ich habs überlebt, gut überstanden. Aber das Lazarett ließ mich damals daran zweifeln, wie denn im Ernstfall unsere Armee mit wirklich Kranken und Verwundeten umgehen würde.
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Auch wenn der Wortwitz nur auf Wienerisch wirklich gezogen hat, hab ich ihn nicht vergessen. Die Beschreibung von Krankheit, Therapie, auch von Rekonvaleszenz und dem vergeblichen Kampf gegen das unvermeidliche Absterben, vor oder nach „der Zeit“ ist ein Thema, das die Textauflagen seit Jahrhunderten steigert und wenn ältere, alte und gelangweilte Menschen nichts besseres zu tun haben, reden sie über Krankheiten, die eigenen oder, alternativ, von Bekannten, am besten solchen, die der Gesprächspartner nicht kennt und durch die morbidologischen Diskurse nahegebracht werden. Der pathologische Literaturkalender ist unendlich, und vom Zauberberg bis zu billigen Illustrierten ist die Krankheit noch attraktiver als Scheidung, Kriminal und unehelich gezeugte Kindesgeburt. Eigentlich nicht mein Thema, sondern die Rückseite der Spielkarte. Gesundheit verdrängt die Krankheit. zB. in der Werbung: 5 Nahrungsmittel, die Sie meiden sollen, um X zu vermeiden, 3 Früchte des Morgens und sie verlängern Ihr Leben, niemals Lammfleisch mit Orchideensalat zugleich dünsten, sonst schadets der Milz usw. Sie kennen das.
Gesundheit als Vermeidung von X, von Krankheit, Siechtum und Sterben. Nicht: Tod. Denn darum gehts der Krankheitswerbung: den Tod, also das, was alle betrifft nur nicht die Sterbenden selbst, zu provozieren und durch Therapie gleich auszublenden. Mir geht es nicht um Vorsorge, Untersuchung, regelmäßige Befunde, und wenn nötig, Therapie. Mir geht es um die Diskurse, die ökonomisch rentable Umgehung der Sterbensgewissheit und der Todesnarrative in allen Farben und Gewichten darstellen. Da ist mir ja der Kitsch der Groschenromane, wo es um Liebe und Jägerlatein geht, noch lieber als die Arztromane auf allen Ebenen.
Lest den Anfang noch einmal. Nachdem ich vom Militär an die Universität gewechselt bin, spielte das Sterben zunächst keine Rolle, der Tod in Literatur und Wissenschaft umso mehr. Spannend wurde es, wenn sich die beiden überkreuzten. Weil ich viel in den USA zu tun hatte, studierend, familiär, erkundend, wurde mir klar, dass es dort zwar den Tod massenhaft gibt, normale Menschen aber bis zum Schluss leben, Sterben ist dann nur ein ausgeblendeter Punkt. Jedenfalls in der Mittelschicht. Das Dahin-Sterben überlässt man den Armen, für die die Todesmetapher eine geringere kulturelle Rolle spielt. (Das ist eine bestreitbare Hypothese, ich weiß, aber verfolgt sie mal). Diese Haltung spielt sich sich allmählich in Europa auch ab.
„Gesundes Misstrauen“ ist so ein Begriff, oder „Öffentlicher Gesundheitsdienst“, und je mehr man sich hineinliest, desto beratender, psychologisierender, unterstützender wird der Begriff. Das kann man ja so machen, aber dann hat man den Eindruck, dass der Begriff etwas korrigiert, das tatsächlich weniger gesund, vielleicht krankhaft oder wirklich krank ist. Und beim gesunden Misstrauen ist es ja nicht ungewöhnlich, dass die gleiche Haltung von anderen als „krankhaftes Misstrauen“ abgewertet wird. Ich mache da keine Sprachschule, auch keine -kritik. Ich könnte das Thema auch in die Sozialpolitik verlagern, in die schichtspezifische Psychologie, in die Ökonomie…dazu fehlt mir die gesunde Härte. Aber der Gesundheitsmarkt nervt mich doch gewaltig. Da wird im TV für einen Dreck geworben, der nicht einmal als Arzneimittel zugelassen wird und schwerwiegende Gesundheitsschäden heilen soll. Und wenn jemand sagt „du siehst gesund aus“, dann fragen wir uns schon, was sagt das eigentlich, wenn der oder die Gleiche von andern als krank erscheinend bezeichnet wird. Ein Wieselwort also.
Der Bahnhof Gesundbrunnen heißt nach einer 1751 entdeckten Heilquelle, damals gab es noch keine verspätete Bahn. Die Menschen widersetzten sich erfolgreich der Umbenennung des Bahnhofs in Nordbahnhof, weil ja die Hoffnung besteht, dass am Gesundbrunnen Züge und Fahrpläne geheilt werden. Sonst müssten die meisten Haltestellen ja Krankfurt, Siechdorf oder Krüppelingen heissen. Das würde aber die Fahrgäste abschrecken, deshalb ist Gesundbrunnen gut. So, wie man ja vielleicht nicht für Therapie zahlen sollte, sondern für Prävention und Gesundbleiben…
Zurück zum Gesunden Misstrauen. Man kann ja auch sagen Krankes Vertrauen. Darüber kann man lange philosophieren, oder einmal praktisch reinfallen. Man sagt aber auch sterbenskrank, da lebt man noch, aber man sagt nicht sterbensgesund, was ja das Hinausschieben des Todes bedeutete…jedenfalls hat Gesundheit wenig mit Krankheit zu tun, das haben mein Arzt und meine letzte Untersuchung gleichermaßen deutlich gemacht.
Ich hatte schon mehrfach über die wichtige Differenz von Tod und Sterben geschrieben. Deshalb setze ich ja das Nachdenken über den Unterschied fort. Damit man auch die Literatur noch mehr genießen kann, z.B. die Weise von Liebe und Tod. Geschrieben 1899, veröffentlicht 1912, und ganz wichtig im und nach dem Ersten Weltkrieg. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Weise_von_Liebe_und_Tod_des_Cornets_Christoph_Rilke
Diese Geschichte endet nicht mit dem Tod, wenn das Sterben eintritt, ist alles zu Ende, und der Tod bleibt als Geschichte den Überlebenden, aber vielleicht nicht gleich den Angehörigen.