Herbstblüte

Nur Einen Sommer gönnt, ihr Gewaltigen!
Und einen Herbst zu reifem Gesange mir,
Daß williger mein Herz, vom süßen
Spiele gesättiget, dann mir sterbe…

… Einmal
Lebt ich, wie Götter, und mehr bedarfs nicht.

Friedrich Hölderlin, An die Parzen, 1799

Ihr könnt mich gerne fragen, warum dies eines meiner liebsten Gedichte von Hölderlin ist, und weil der Herbst, trocken und heiß, mich heimsucht, denke ich an diese Zeilen fast automatisch. Es kann ja die schönste Jahreszeit sein, mit Morgennebel, kühlen Sonnentagen und und zur Abwechslung Herbstregen. Diesmal hat es ja zur Unzeit geregnet und jetzt soll es noch endlos lang trocken und heiß bleiben, jedenfalls hier. Und der „reife Gesang“, das sind bei mir die Texte im Blog, die Zusammen-fassung von Schriften und Archiven und Bildern, alles, was man in seinem eigenen Herbst ja macht, gar nicht melancholisch oder symbolisch, eher praktisch – und dann sind wir ja im Herbst, im Herbst der Demokratie, im Herbst der Wirtschaft, der Kultur, des Friedens…ziemlich absurd, dass wir die Symbolik der Jahreszeiten über die Aufklärung hinweggerettet haben in eine Zeit der Wiederholung von Niedergang und trüben Ausblicken (das wäre übrigens nicht mein Herbst, der hat besonders klare Aussicht). Aber die resignative oder auch verwirrt-wuschelige Haltung politischer Parteien, die immer schon mit dem möglichen, aber nicht notwendigen Sieg der beiden faschistischen Parteien AfD und BSW sich selbst bedrohen, ist ärgerlich. Wir können natürlich alle Befindlichkeiten der nach rechts ausschwenkenden, vor allem aber nicht nur ost-deutschen Gegner der Demokratie erklären. Dazu türmen sich Kommentare, Bücher und Diskussionsbeiträge. Vieles ist richtig, vieles ist nur blöd. Aber um es zu verstehen, ist sehr viel mehr Verstand nötig, den man auch mit dem Abstand dazugewinnt (wie man ja eine gotische Kirche auch nicht begreift, wenn man ihre Mauern berührt). Kommentare spare ich mir überwiegend, weil ich mich weder auf sinnvolle noch auf sinnlose Kritik einstellen möchte. Der Herbst der Demokratie, des solidarischen Zusammenlebens und der Durchsetzung von Regeln muss doch darauf abzielen, nicht im Winter zu erfrieren und zu überstehen, was wir auch wiederbeleben können. Die Demokratie ist ja nicht plötzlich tot – habt ihr das Gewimmere gehört, das gestern im Fernsehen aus Ostdeutschland und Berlin hereingebrochen ist: viele BürgerInnen verstehen gar nicht die notwendige Distanz zwischen Staat, Regierung und einzelnen Menschen, die sich ja als Volk konstruieren, was sie nicht sind. Politiker sollen mit ihnen reden….gut. Worüber?….äh. Banales – oder den Krieg in der Ukraine. Ausgerechnet das, was man schon verstehen kann, wenn man Nachrichten hört und nicht die fake-news der Putin Freunde als Wahrheit verklärt. Nein, der Herbst ist nicht einfach schön warm und sonnig. Er trocknet offenbar das Bewusstsein bei vielen Menschen aus.

Lest die Herbstgedichte von Rilke, vor allem das späte. Und macht euch auf eine kalte Jahreszeit gefasst, wenigstens in der Politik. Weniger Gefühl, und mehr Nachdenken.

P.S. die Nachwirkungen der SED im Osten sind evident. Das heißt nicht, dass die Nachwirkungen des westlichen Wirtschaftswunders der BRD nicht tief säßen, sie sind nur anders verpackt. Kann man vielleicht aufhören, von deutscher Teilung zu quengeln und sich gemeinsam der notwendigen weiteren Entwicklung von Demokratie widmen…

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