Das schöne Land mit Fehlern

Nachdem ich bis spät abends gearbeitet habe, nutze ich heute, Samstag, den Temperaturabfall zu einer morgendlichen Radtour. Von Potsdam aus kann man sehr viel schöne Landschaft in kurzer Zeit erreichen. Zunächst will ich mich aufklären: ein Randgebiet ist in den letzten 15 Jahren nicht einfach ein Stadt-Teil, sondern sozial interessant, wie vielfach „auf der Kippe“. Auf einer Seite ein schöner Außenbezirk, auf der anderen ein wissenschaftliches und Forschungszentrum, dahinter Felder und Natur. Golm kompakt. Viele Straßenstümpfe enden noch in den Feldern, sind aber schon mit Bogenlampen auf künftiges Wachstum ausgerichtet. Schon ein sehr großes Science-Center, Samstag morgens menschenleer, fast.

Ich kenne die Gegend ganz gut, strample mich durch Dörfer und Siedlungen, viel gute Ausblicke. Über eine kleine Brücke, durch einen kurzen dichten Wald, in einen endlosen straßendörflichen Einfamilienhausort, den ich als Ziel mir gesetzt hatte, man will ja seine Umgebung, an der Grenze von Potsdam und dem Umgebungsbezirk, schon immer wieder sehen. Zwischen zwei Flüssen, einem großen und einem kleinen. Man kommt an den großen kaum ran, alles einfamilienhäusig begrenzt. Sehr schön, wenn man vom Bootsableger über den See schaut, den der Fluss macht.  So weit so gut. Wäre nicht der Lärm der Autobahn, die auf hoher Brücke das Land durchsägt, ein schöner Fleck , naja, anders bebauen hätte mans können, aber immerhin. Der erste Schultag zeigt mir ein paar Familien mit den Kindern, schon hier die soziale Spaltung evident.

So ists am Land ein paar Tage vor der Wahl im Bundesland. Auf 10 AfD Plakate kommen 2 CDU und 1 Grünes, noch weniger SPD und Linkspartei.  AfD pflastert den Ort, die brauchen keine Inhalte. den Bewerber kennt „man“? Ich bin verstimmt über den Einbruch der Wirklichkeit in meine Freude an der weitgehend intakten Natur und Landschaft. Beim Zurückradeln fahre im Wald den kleiner Fluss entlang, der ist naturgeschützt und sehr schön. Aber nach wie vor am schönsten die Strecke an einer völlig zugewachsenen ehemalig toxischen Deponie vorbei, so ein Wald und Gehölz wird ja nicht mehr betreten und beerntet. Am Rand des toxischen Sperrgebiets fischen ein paar Menschen. Gallig? Blasig? egal.

Ich kämpfe mich wieder durch die Einfamilienhäuser am Stadtrand und fahre dann durch eine herrliche, sehr alte Allee auf das Neuer Palais und die Universität zu, noch immer kaum Menschen. Ein Biogarten bietet mir  billig Ökotomaten, aber wir dürfen dort nicht mehr Mitglied sein, weil wir nicht Zeit zum Ackern haben…

Bei uns sind die AfD Plakate gesäumt von den demokratischen Werbetexten. Wen da was überzeugt?

*

Ich habe den Ausflug nicht als Entlastung beschrieben. So schön unsere Umgebung wirklich ist, so deprimiert der Anblick, die Durchfahrt im ersten größeren Dorf. Das ist nicht Land vs. Stadt. Das ist das Eindringen der Rechtsradikalen in die längst geräumten Orte. Diese Räumung haben viele von uns kaum mitbekommen, man musste schon lesen, dass wieder x+1 Geschäfte pleite gegangen waren, dass alles, was Menschen zusammengeführt hat, bis zum Umkippen ausgedünnt wurde, und danach war es zu spät. Ich spreche jetzt nicht gleich von der diesbezüglichen Nazierfahrung in Deutschland, sondern von der allgemeinen faschistischen Erfahrung in Ganz Europa, und ihrer Wiederauflage im heutigen Europa. Ich schreibe das vor der morgigen Wahl. Egal, wie die einzelnen Ergebnisse sind, die voranschreitende Dominanz der Faschisten, nicht nur Ungarn, Bulgarien, in der EU macht natürlich nicht halt vor irgendwelchen Bekenntnissen – zur Freiheit…dass die ärmeren Teile der Bevölkerung nicht auflachen. Wer 48% Rente für richtig hält oder gar absenken möchte, wer den Schulbesuch zum Klassenkampf umstilisiert, wer die erreichten Arbeitsrechte einschränkt, … braucht sich nicht wundern. Dass man dabei Nebelkerzen wirft – die Abschiebung von Kriminellen interessiert de facto niemanden, aber das  zu Recht Geflüchteten darf die so genannten Deutschen nicht wirklich mitnehmen zu einer humanitären Außen- und Sicherheitspolitik – natürlich kostet die etwas, aber wollt ihr von Trump abhängig sein? Wollt ihr Putin vor der Haustüre haben und den UhrenklauBischof anbeten? Ja, es wird uns allen schlechter gehen, aber dafür muss man nicht bei Bildung, Kultur und Sozialem sparen, sondern Menschen zur Kasse bitten, die sich zu sicher auf eine Gesetzesauslegung berufen, die ihnen Macht und Privilegien verleiht. DAS, meine werten LeserInnen, ist nicht altbackener Sozialismus, sondern was innerhalb kurzer Zeit legal anfassbar ist – mit allen demokratischen Parteien. Macht es doch?

*

Dann kommt man nach Hause, an den Computer, ist noch im Aufschwung von der schönen Radtour und hat die Wahlplakate bis morgen vergessen. Macht etwas für die Entkrustung von demokratischen Parteien, am besten auch vor Ort. Bildung geht immer, und Menschenhilfe auch.

Hinterlasse einen Kommentar