Es gibt kein zurück. Also…?

Vor den Wahlen in Österreich, nach den Wahlen in drei ostdeutschen Ländern, wetteifern alle möglichen Kommentatoren mit Beschreibungen der Folgen des „Rechtsrucks“. Als ob die Entwicklung in ganz Europa nach rechts nicht seit Jahren absehbar gewesen wäre. Die Deutungen sind oft unerträglich einseitig, falsch oder – brisant. Dumm ist, was konservative und linke Politiker gleichermaßen verkünden: sie müssten eben dem Volk besser aufs Maul schauen – sie sagen: die Wünsche, Ängste, Forderungen derer „da unten“ besser aufnehmen; zuhören, aufmerksam sein etc. Wieso ist das dumm? weil es nicht Aufgabe der Politik ist, dem Volk aufs Maul zu schauen, sondern es ist gerade Aufgabe der Politik, zu regieren, Politik zu machen und nicht Meinungen zu replizieren und als Verstärker für das zu dienen, was gegen die Demokratie vorgebracht wird, um sie zerstören. Ungarn als Beispiel. Oder Söder. Oder…Wenn demokratische Politiker es für richtig halten, die Bedürfnisse, Ängste und Emotionen der Gegner der Demokratie besser zu verstehen, damit sie besser regieren können, ist das ein fataler Trugschluss. Wenn sie das erkennen wollen, um dem Demokratie entgegenzusetzen, sollten sie nicht einfach aufs Maul schauen, sondern gerade nicht übernehmen, was der Pöbel so fordert, vom Heizungseinbau bis zu den Migranten. Ganz zu schweigen von Arbeitslosenhetze, Impfschwurbel, ….und wenn der Pöbel die Todesstrafe fordert, um welches Maul gehts dann?

Was heißt schon „Zufriedenheit mit der Demokratie“? Aber weil ich auf etwas anderes hinauswill, halten wir uns ans Alltagsverständnis: in der Demokratie, in der wir leben, lebt es sich besser als in undemokratischen Umständen. Es lebt sich besser, nicht: die Demokratie an und für sich ist besser. Oder umgekehrt? Dabei wird kaum gesagt, was diese Demokratie gerade hervorhebt oder charakterisiert; häufig wird genau das nur aus der Kritik, was gerade nicht der Fall ist, deutlich. Wenn wir verschiedene Länder vergleichen, dann wundert es schon, wie unzufrieden die meisten Europäer, außer Schweden und Italiener, mit der Demokratie sind (Ulrich Schnabel: Woher kommt die Wut? (ZEIT 40, 19.9.2024). Man muss die Analyse gar nicht teilen, oder nur partiell, aber man sollte sich fragen, ob die Skala wirklich Zufriedenheit-Unzufriedenheit mit der Demokratie bedeutet, als wären die Befragten Auskunftgeber, „Beobachter“ und nicht Elemente der von ihnen bewerteten Gesellschaftsstruktur. Wer in und für eine(r) demokratischen Gesellschaft lebt, lebt nicht nur dort, sondern er oder sie muss notwendig eine Haltung zu dieser Demokratie haben und etwas für oder gegen die jeweilige Realität empfinden und vor allem tun.

Die Zufriedenheitsskala ist eine mediale Falle. Sie verbindet mindestens drei ganz unterschiedliche Wertungen:

  • Man ist mit der Demokratie ganz oder relativ mehr zufrieden als mit nicht-demokratischen Systemen
  • Man ist in der Demokratie zufrieden oder unzufrieden, unabhängig von der Einstellung zum System
  • Man ist zufrieden oder unzufrieden, egal, ob man in der Demokratie oder in einem anderen Sysstem lebt

Mir fielen noch einige Varianten ein. Kommt es auf Zufriedenheit an? Fragt euch bitte einmal ehrlich, wie oft im unpolitischen Bereich ihr aus moralischen oder ästhetischen Gründen, oder auf externen Druck etwas tut, womit ihr nicht zufrieden seid, es aber für sinnvoll und notwendig erachtet. Behaltet die Antwort natürlich bei euch, aber seid vorsichtig im Zufriedenheitsdiskurs.

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Das Anranzen an die Linksfaschisten von der BSW vergrößert nicht die Distanz zur AfD. Fragen sich die Demokraten in Ostdeutschland und den Parteizentralen, wieviel Kooperation mit und Duldung durcvh Faschismus die Demokratie ertragen kann, und wo und wie man von den demokratischen Menschen Kompromisse verlangen kann – nicht wie Faeser Nebelkerzen an den Grenzen zugunsten des Pöbels zu zünden, obwohl jeder weiß, dass man mit der Migration anders umgehen muss, aber was ist für die Dummen schon das Schengen-Abkommen, oder für die EU-Chefin ein italienischer Faschist im Kabinett?

Mit Demokratie kann zufrieden sein, wenn er oder sie in dieser Herrschaftsform den eigenen Platz orten kann und eine ständige Weiterentwicklung absehen und mitgestalten kann. Das kann individuell zu Einbußen materieller Art führen (Viele Demokratien nach dem 2. Weltkrieg…auch DRD-Bürgerinnen (nicht SO viele) nach der Wiedervereinigung…), aber der eigene Wohlstand kann und sollte nicht gegen die eigene Freiheit und die Freiheit aller – ALLER, ihr Weidels und Wagenknechts – ausgespielt werden.

Unzufriedenheit mit und in der Demokratie ist oft auch nur Faulheit oder Bequemlichkeit, meist von Menschen, die NICHT BETROFFEN SIND. Und denen, gerade denen, sollte man nicht aufs Maul schauen, sie sind nicht „das“ Volk. Das ist nicht ganz einfach zu analysieren. Denn die, die sich berechtigt fühlen, die Demokratie zu perforieren und faschisieren, haben ja eine Lebensperspektive, die auch aus dem System, also meist aus unserer Demokratie kommt. Unzufriedenheit aus der geschützten Sphäre hat etwas pubertäres an sich (Junge Rechte, früher auch manche Junge Grüne, jetzt wieder solche Typen) oder es hat etwas retro an sich, das sich nicht an der Planung und Umsetzung von Zukunft orientiert. Deshalb legt man – Von von der Leyen bis zum recht Pöbel und zur rosaroten Sozialrhetorik – die UMWELT wieder beiseite, man erstickt ja selber nicht, und die nächsten Generationen werden es schon erledigen, bevor sie erledigt werden.

Hat jemand gesagt, dass alle und zu jederzeit mit der richtigen Umweltpolitik zufrieden sein müssen?

Oder unzufrieden mit einer Wirtschaftspolitik, in der Widersprüche ja zum gewollten Credo unseres Wirtschaftssystems gehören?

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An dieser Stelle könnte ich eine Perspektive für Erziehung und Schule, für Bildung und Kultur entfalten. Mache ich nicht, das ist ja ein Blog. Aber fragt euch, wohin das marode deutsche Bildungssystem eines der reichsten Länder Europas und der Welt mit hat stürzen lassen, mit, nicht allein, es gibt noch mehr als Schule…und wer knüpft den Zusammenhang? Nicht das Volk mit seinem offenen Maul.

Faschismus und wie weiter?

Natürlich reden nicht nur die deutschen Nazis und Faschisten die AfD und die BSW hoch, auch die verunsicherten DemokratInnen, die glauben, Wahlen seien des entscheidende Merkmal der Differenz. Sie sind ein Ergebnis ebenso wie ein relativer Neustart, aber doch nicht das alleinige Merkmal von Demokratie, von Republikanismus, von Humanität, von Empathie.

Wenn man Söder hört, wo ist denn genau die Differenz zu AfD und BSW. Wenn Nancy Fäser die Grenzen schließt, ist das teurer Unsinn, wer jetzt kommen will, braucht keinen Schlagbaum, und wenn die interviewten Pöbler nur mehr von Deutschen genährt, betreut, therapiert werden wollen, dann werden sie schon sehen, wie sie verkommen. Noch kenne ich keine Wahlprognose.

Und wenn ich sie kenne, werde ich sie nicht gleich kommentieren. So, wie sich der Faschismus in Deutschland und Österreich, in Europa und weltweit ausbreitet, mit einem faschistischen Myzel, bedarf es nicht der Beschreibung wahrgenommener Demokratieschwäche und schon gar nicht das Abfedern sichtbarer Auswirkungen von Faschismus, man muss sich erst einmal über die Bündnisse Klarheit verschaffen. Der österreichische Industriellen Chef (ÖVP) will mit der FPÖ, aber nicht mit den Sozialdemokraten, zusammenarbeiten, die Deutschen sehen im Linksfaschismus der Putinfreundin die harmlosere Variante, obwohl BSW vielleicht die AfD in ein paar Jahren überholt, und man drängt mehr oder weniger offen auf eine Öffnung, Kommunikationsbereitschaft, ja Verständnis, für die Faschisten seitens von uns Demokraten, die wir ja verlernt haben mit dem Volk zu sprechen. Der Quatsch, dass die da oben die da unten nicht verstehen, weil sie sie nicht kennen, kommt woher? von den Demokraten? Und was, bitte ist „oben“, sind wir in der Monarchie? Wer nicht will, dass es in der Demokratie eine Regierung gibt, soll mal zusehen, wer im sogenannten Volk ganz schnell das Sagen an sich reit, das braucht nicht Putin sein, Orban reicht.

Ich werde heute meine Meinung bilden. Aber Meinung ist NICHT POLITIK. Und nur ganz wenige Kommentare aufnehmen. Ein lokaler Wettericht, auch wenn er mich berührt, ist nicht das „Klima“. Die Konstellation in der deutschen Demokratie – Grünenbashing, neoliberale Anwanzung an die Rechten, selbstverkennende Ausdruckprobleme bei der Regierungsführung – schlimm genug. Das wissen wir. Nicht gleich kommentieren, solange man nicht sagen kann, wo die Aufnahme des Kommentars hinführt. Noch mehr Unsicherheit, noch mehr schlechte Unendlichkeit.

Die Wiederholung – mit Variationen und IT – der frühen Dreißiger Jahre sollte uns zu denken geben. Zu denken, nicht zu kommentieren.

Unwetter unwirklich

Es ist schwer möglich, die Verknotung von Katastrophen glatt über die Hirnbahnen zu bringen, alles gleichzeitig zu fassen, zu bewerten und zu ordnen.

Manche fragen, ob das Attentat Trump hilft.

Manche fragen, ob das Hochwasser den Grünen hilft.

Manche fragen, ob die Nominierung von Merz die nächste Wahl scvhon entschieden hat.

,,, Euch fallen sicher noch viele ähnliche Fragen ein. Ich schaue die Nachrichten und denke, dass „Verknotung“ der richtige Begriff für das Geschehen ist, die Ereignisse müssen gar nicht zusammenhängen, sie sind allesamt nicht im Bewusstsein zu trennen, sie bilden ein Szenario des unwirklichen Schreckens. Das Attentat im Libanon kann man gar nicht beschreiben, es rollt die Wirklichkeit von den Folgen her auf, von den Toten, Verwundeten, der Hilfe für die Hizbollah und dem unbändigen Hass gegen Israel – das sich nicht verteidigen kann, schon gar nicht ohne die Menschen außerhalb des Landes (ich sage jetzt gar nicht ohne uns Juden, ohne uns und alle, die die Geschichte des Konflikts einigermaßen wirklich kennen). Aber das ist ja nur ein Element des Knäuels. Das Hochwasser geht langsam zurück, was bleibt, sind schwere Lasten für die nächste Zukunft und schon die alte Frage, ob das mit mit dem Klimawandel zu tun hätte, wobei die Frage den Rechten alle Betroffenen Länder hilft, und wir die Antwort wissen.

Die Umweltleugner laufen denen nach, die über ihr Wohlbefinden ohne kommende Generationen schon zufrieden sind.

Die Ausländerfeinde, jetzt gerade in Deutschland und Österreich und der EU, aber eigentlich überall, können nicht absehen, was geschieht, wenn die Geflüchteten weiterhin kommen werden. Und wenn das Gesindel von AfD BSW und FPÖ nur mehr von Ariern gesundheitlich und kulinarisch bedient wird, also nicht.

Die Antisemiten legen angesichts von Netanjahu die Hände in den Schoß, er macht das schon.

Um all das gehts mir heute gar nicht, wir können es diskutieren und bearbeiten. Aber so, wie die Wirklichkeit sich verknotet zu einer Peitsche, die unsere Bewusstsein prügelt, so müssen wir vorsichtig sein, den Verstand nicht zu verlieren angesichts des Unverständlichen. Das ist ja die Wirklichkeit, keine Horrorvision. Zur Kenntnis nehmen ohne gleich auszurasten und zu verurteilen oder zu korrigieren, ist eine erste Hirnjogaübung. Zur Kenntnis nehmen, das was heute geschehen ist und weiterhin geschieht. Dafür hat es sich gelohnt, wach zu sein.

Rechtes Wetter

Ein paar Tage in Österreich. Auch nicht demokratischer als die BRD. Die Rechten betreiben das Feld, die Industriellenvereinigung verbindet die ÖVP mit der FPÖ und überhaupt ist rechts-außen auch noch neben der FPÖ im Geistesgelände, in der Justiz, in den Medien…Natürlich, wie in Deutschland, NICHT NUR, aber eben schon massiv.

Menschen diskutieren hier wie da, wohin sie denn auswandern wollen und können, wenn die Rechten weiter an Terrain gewinnen. Für uns Juden ist Israel zur Zeit keine Option, ganz im Gegenteil, von dort setzen sich Menschen und auch die Wirtschaft ab, in demokratischere und sicherere Länder. Zurück nach Österreich, zurück aus Deutschland, demnächst nach Italien. Faschismus ist kein Schmäh, auch kein Schmähbegriff. Die meisten wissen nicht einmal, was ihn hauptsächlich von anderen Diktaturen und autoritären Systemen unterscheidet. Mir kommt einerseits die braune Geschichte meiner Heimat hoch, die nur ein anderes Braun als das deutsche hat, aber eben braun, und die Vergleiche des – sagen wir: im Ziel – unterschiedlichen Rot sind auch nicht ermutigend, weder früher noch heute.

Dürfte ich Vergangenheit wählen, dann sofort Wien, aber nicht einfach Österreich. Was ja nicht geht. Aber doch. Auch kosmopolitisch gibt es bessere und weniger gute Gegenden in der Welt.

Der Regen deprimiert, und deshalb sind die Aus- und Einblicke in die hoffnungsvollen Antifaschismen und Zukunftspolitiken auch noch durch Wasserschleier und Nebel getrübt, wenn die einmal weggehen, dann sieht man den Schnee auf tausend Meter Höhe, wenn der schmilzt, steigt des Wasser der Flüsse noch einmal. Zugleich Erinnerungen an frühere Hochwasser, in den Alpen nicht so selten, aber in Extremfällen schon absurd mächtig. Als die Traun und der doch große Traunsee über die Ufer getreten ist, war das schon „etwas“, das man sich wegwünschte, aber in Erinnerung behalten mochte. Absurd. und die Wassermassen betreiben eine politische Phantasie jenseits der düsteren politischen Ausblicke, der Wechsel von rabiater Trockenheit und Hochwasser als Wetteraussicht für die nächste Zukunft ist ja auch nicht gerade ermutigend. Es schneit noch weiter herunter, ich erinnere frühere Bergwanderungen, die durch den Schnee niedriger gehalten wurden, und wenn der Nebel sich auflöste, wenigstens schöne Ausblicke geboten hatten – jetzt nicht zu erwarten. Eher die Frage, ob morgen Züge und Busse fahren können…das war früher kein so belastendes Thema, eher eine Ausnahmesituation, die sich heute als zunehmend „normal“ erweist. Das so genannte „Volk“ läuft vor der Grünen Politik davon in die Hände der Faschisten, weil ihnen unheimlich ist, wie sie ihr so genanntes eigens Leben umstellen müssen, um sich vor der Grünen Politik nicht fürchten zu müssen, sondern sie anzunehmen. Statt Umweltschutz suchen sie Schutz vor Verantwortung, Schutz vor der Umwelt, was zwar ihr Leben und das ihrer Nachkommen beschränkt, aber sie nicht auffordert, selbst zu denken und zu handeln. Jetzt bin ich schon wieder beim Thema, dabei wollte ich ja nur in den Regen hinausschauen, das kann, könnte, ja auch beruhigen. Es gelingt, der Faschismus dringt in die Poren des Alltags. Was übrigens typisch für seine Geschichte ist. Demokratie hat andere Zeitmaße als Faschismen.

Zurück zum Regen. In den Regen. Als wir in einer kurzen Regenpause durch die Vorstadtwiesen gewandert sind, konnte man die Berge gar nicht sehen. Jetzt, im Regen, heben sich die Nebel an den Hängen und man sieht wie tief herunter es schneit. Auch hier Erinnerungen an das Erlebnis erster Schneefälle, im Herbst, man wusste, dieser Schnee bleibt nicht liegen, Erlebnis war, wenn man durch udn durch nass und kalt geworden war und die Aussicht auf wärmende Trockenheit real war – ich erinnere auch Tage und Ereignisse, wo es diese Aussicht nicht gegeben hatte, man kalt und nass geblieben war, aber immerhin: das Vorübergehende war eine Tröstung. Und die fehlt jetzt, heute, beim Wetter und in der Politik. Die Faschisten gehen nicht an uns vorüber, sie wollen uns eher einfangen oder einhegen. Die Geschichte(n) dazu sind zahlreich und genau, sie werden immer nur ergänzend, aber F bleibt flexibel. Das ist besonders schlimme für mich, dass diese Flexibilität für viele, auch die ich kenne, ein Einfalltor des Arrangements mit dem F ist, weil er über lange Inkubationszeit für einen selbst ja „nicht so schlimm“ ist – wie für, ja für wen? für LGBTQ, für MigrantInnen, für Kritik. Das vor allem. Hört auf, alles zu kritisieren, sagen sie und wollen die dunklen Nischen, in denen sie auch schon herrschen, ausblenden aus der Auswahl, die unser Gehirn dauernd vornimmt. Man kann nicht alles zugleich kritisieren“. Ja, so.

Und dann fürchte ich, dass man den Fehler wieder wiederholt, den man bei allen autoritären oder auch nur Fehlgeleiteten macht. Man erklärt sie für dumm. Trump ist ein Verbrecher und Verführer, aber nicht dumm. Putin, Orban, Erdögan…sind nicht dumm. Sie haben Beschränkungen, und bei den kleineren Faschisten verführt uns das zu Leichtfertigkeit in der Kritik und Abwehr. Faschismus braucht keine Konfrontation, um an die Macht zu kommen. Wenn Demokratie sich auf Wahlenreduziert, können echte Menschen den Faschismus sogar wählen, wie in der Türkei, Israel oder Ungarn oder … BEI UNS. schaut nicht nur woanders hin, schaut euch hier um.

Der Regen gibt eine Pause zum Nachdenken. Welchen Weg in diese enge Gasse haben wir zurückgelegt, sie ist noch keine Sackgasse, oder? Der Regen hört nicht auf. Regt euch auf.


Abschaffung der Demokratie –

Werte Leserinnen und Leser! Grauenvolle Warnungen und Übertreibungen in einer Zeit nervöser Zukunftsangst sind im Prinzip falsch. Auch ist es nicht gut, allgemeine Voraussagen auf einzelnen Ereignissen aufzubauen. Aber wenn an die Fundamente der eigenen mehrheitlichen Überzeugungen die Lunte gelegt wird und es eine Kette von möglicherweise unumkehrbaren Ereignissen geben wird, die durch die Luntenleger in Gang gesetzt werden, sollte man das beim Namen nennen.

Zwei Beispiele.

I.

Da bastelt die Ampel ein Flüchtlingskonzept, sagen wir: halb symbolisch, halb praktisch. Wie das pragmatisch gehen wird, darf bezweifelt werden, Grenzkontrollen sind lächerlich, wenn man die grüne Grenze und die Schleierfahndung und den Widerstand von Polen und Österreich und den Personalmangel und die Schwäche der Definition der asylberechtigten Geflüchteten außer Acht lässt, und natürlich Schleuser, Kriminelle und Dubiose nicht einreisen lassen will.

Aber wenn die CDUCSU, Merz, Söder Dobrindt et al. im Wortlaut so faschistoid sich gebärden, wie AfD und BSW faschistisch sind, dann geht es um etwas anderes. Nicht um ein handhasbbares Grenzschutzsystem, sondern um die Wirksamkeit von Fremdenhass und nationalistischer Selbstethik.

Scholz – nicht einer von den Faschisten – sagt heute, wir wollen uns die Asylbewerber, die Geflüchteten selbst aussuchen. Aussuchen, wörtlich. Als man vor Tod und Gefahr nur flüchten würde, wenn Deutschland offene Arme signalisiert. Auch Scholz verfällt in das WIR vs. SIE Schema. WIR – die Deutschen? Wer ist das? Bijan Djir-Sarai ([ˈbi:ʒan ‚d͡ʒi:rza:ʁaɪ̯] , persisch بيژن جیرسرایی, … * 6. Juni 1976 in Teheran, Iran) ist ein deutscher Politiker (FDP), und wie ihn gibt es ca. 15-20 Millionen, auch mit deutschen Namen. Wann ist wer und wessen Familie in das Land gekommen, warum, und wie?

Wenn einige Parteien und Politiker, v.a. die Grünen und Personen wie Ramelow, dem Trend der Faschisierung des Migrationsproblems durch beide, die faschistischen Parteien und die demokratischen Parteien, nicht folgen, so ist das gut. Dass „man“ glücklich ist, die Dolchstoßaffäre zum Kampf gegen Ausländer und Migranten zu verwenden, zeigt nur die Dürftigkeit logischer Verkleidung politischer Handlungen, die allemal a) den Wahlkampf in BRB, b) den angeblichen Volkswillen, c) ein Umsteuern in der Asylpolitik und d) die Verweigerung zu langfristiger Politik, zu unterschiedlich gewichteten Inhalten formen, Hauptsache Abschiebungen. Juden, freut euch, diesmal seid ihr nicht im Zentrum der Verachtung. (Zum Antisemitismus komme ich noch).

Ich lese gerade die im Details ausgeführte Diskussion des frühen Kolonialismus, ob, warum und mit welchen Folgen unterworfene fremde Völker als Menschen eingestuft waren. (Wolfgang Behringer: Globalgeschichte der Neuzeit. München 2023, va. 307ff.). Da kommt das Scholz’sche Argument, dass wir (Wir?) und aussuchen dürfen, wen wir zu uns lassen, ebenso vor wie die manchmal christliche, manchmal vernünftige Kritik an der Unterordnung nichtweißer Menschen. Manches liest sich bitter, weil es ja auch in der deutschen Diskussion selten um Menschen geht, sondern um Migranten, Migrantinnen und Migranten genauer.

Dass wir ohne Einwanderung vertrocknen, verhungern und kränker bleiben als notwendig, zeichnet sich ab. Wenn die AfD, BSW und die demokratieschwachen Begleitpolitiker weiterhin so daherreden, dann kommen viele Geflüchtete einfach nicht mehr „zu uns“. Wohin dann? Das ist wichtig und spannend. Wenn es ein humanitäres gesamteuropäisches Asylrecht für jeden einzelnen Menschen gäbe – Optativ, nicht Konjunktiv – dann könnten die demokratischen Länder der EU eine ganz kluge Politik machen, die sich hauptsächlich auf Sozial- und Wirtschaftspolitik für die Herkunftsländer und das Bestehen auf Demokratie auch dort konzentrieren muss – keine abstrakte Vision, aber so natürlich nicht unmittelbar realistisch. Aber ein strategischer Maßstab. Und immer wird es Länder geben, in denen es Geflüchteten besser geht als bei uns, und noch mehr Länder, wo es ihnen schlechter geht. Aber, wie man heute auf DW auch gehört hat, da geht es nicht nur um Geld, da geht es um Menschenwürde, Kommunikation und Integration. Das Letztere kommt bei den Abschiebungstiraden so gut wie nicht vor.

(Und in der heutigen Megadebatte im Bundestag auch nicht). Es geht aber um Menschen und nicht um Asylbewerber oder handelbare Arbeitskraft.

*

Das zweite Beispiel habe ich hier schon häufiger gebracht. Wäre Israel kein demokratischer jüdischer Staat geworden, warum sollte es dann als der Fluchtort ultima ratio für Jüdinnen und Juden weltweit sich entwickelt haben? Die jetzige Regierung, rassistisch, ultra-orthodox und rechtsradikal, hat nur zwei Optionen, für die sie selbst verantwortlich ist – unabhängig davon, ob und wie und wann Dritte in den Konflikt eingreifen. Die schreckliche Variante wäre ein Angriff aller Feinde Israels zugleich und das Verschwinden des demokratischen jüdischen Staats. Nachträgliche Kondolenz unbenommen. Oder ein Fortbestehen der jetzigen Regierungsideologie unter Netanjahu und seiner Clique,, das wäre zwar ein jüdischer, aber kein demokratischer Staat mehr – und schon wandern Menschen und Betriebe aus. Schon ist das Schulwesen und die Innovationsmacht in Abbruchgefahr, und die Geburtenrate steigt nicht bei den demokratischen Bewohnern, weder bei den Juden noch bei den Nachbarn. Religion als Mittel des Anspruchsverlusts.

Das Verhalten vieler jüdischer ProtagonistInnen in Deutschland – und vieler nicht-jüdischer Israelkritiker – gibt mir wenig Hoffnung auf vernünftige Auseinandersetzung und Visionen.

*

Man kann Analogien und harte Differenzen zwischen den Beispielen ziehen. Man kann versuchen, meine Argumente abzuflachen, gar sie zu widerlegen. Ich plädiere für eine Reform des deutschen nach Jahrzehnten, die beides schafft: Bildung UND Integration. Über lange Zeit war das auch in Israel der Fall, heute bröckelt es, in Deutschland kann es geradezu drängend neu in Angriff genommen werden.

Kritik der kritischen Kritik der Kritik

Man muss nicht Marx und Engels zitieren, man kann den Titel einfach ausweiten. Bei Marx und Engels hieß es auch die „heilige Familie“ (1845), die fehlt in Deutschland mit der so genannten christlichen Partei CDU-CSU auch nicht, scheinheilig sind die schon längst…

In den letzten Tagen ranzen sich fast alle Parteien an die Propaganda der faschistischen Parteien AfD und BSW heran, a) um die nächsten Wahlen nicht wieder zu verlieren und b) um dem deutschen Volk weitere Immigration zu ersparen, sollen die Leute doch verhungern, bevor sie überhaupt Asyl oder Rettung beanspruchen. Deutsche Normalität, fast überall europäische Normalität. Lob den Grünen, die halten die Komplexität des Prtoblems aufrecht, ziemlich 7unbedankt und einsam. Wird sich ändern müssen…

Nun ist es nicht faschistisch, sondern nur pöbelhaft, Argumente, Kritik, Vorschläge unterhalb des Niveaus von Menschenverstand und einer Rationalität vorzubringen, die mehr als zwei Komponenten hat. Zum Pöbeln gehört auch die verbreitete Medienkritik. Weil die Medien so und nicht anders berichten, geht die Podcast Meinung jenseits der Wirklichkeit in die Gemüther der Menschen….naja, so einen Blödsinn kann man auch in gute Worte kleiden, leider.

*

Ich bin da kein Experte, und werde auch keine Ratschläge geben. Aber zur Medienkritik gehört doch auch auch, schmerzende Rezeption nicht zu verdrängen. Und da gibt es einen Bruch: Gute Medien, zB. der DLF, bringen durchgehend „richtige“ Informationen, was schmerzt, ist das, was nicht auch gesagt wird. Wenn die antisemitische Israelhetze zu Recht kritisiert wird, dann muss man dazu die Kritik in Israel an Netanjahu und seiner rechtsradikalen Regierung wenigstens in Bezug setzen. Und immer wieder die Geschichte von Netanjahu und der Hamas vor dem 7. Oktober darstellen, weil man sonst den Konflikt nicht versteht. Immer wieder…das ist auch ein wichtiges Wahrheitsprinzip für Medien, Wiederholung ist nur für Flachköpfe langweilig.

*

Dieses Beispiel gilt für alle wichtigeren News in den Medien, dann wird die ja vorgebrachte, aber vielleicht gar nicht wirkliche, Medieneinseitigkeit der EmpfängerInnen transparenter und vielleicht so gar fruchtbar und animierend. Wahrheiten können sehr schmerzhaft sein. Sie beiseite zu schieben, um nicht Konflikte zu schüren ist riskant, sie können zur Unzeit oder verzerrt wieder auftauchen. Im konkreten Fall macht Kritik an Netanjahu ja die Hamas nicht besser, im Gegenteil.

Wenn nicht Faschisten – was sind sie dann? Teil II

Das Unheil des um sich greifenden Faschismus geht weiter, und der Ersatz des Begriffs durch „Populisten“ bzw. die Gegenüberstellung von F und Pöbel ist verständlich, aber nicht begründbar. Die Nazis waren eine extreme Auswucherung von Faschismus, deshalb können die damaligen und können heutige Faschismen nicht dauernd durch Vergleiche mit den Nazis reduziert oder auch an den Rand gedrängt werden. Das ist ebenso wichtig wie die die angezeigte Kritik an Putin, der nicht einfach in die faschistische Hierarchie oben eingereiht werden kann. Als Kombination von Hitler und Stalin ist er sozusagen auch aus dem Faschismus „herausgewachsen“, d.h. man kann mit ihm die globalen Faschismen nicht mehr erklären, gegebenenfalls aber die Oppositionen gegen ihn.

*

Ich lege auf den Begriff schon deshalb Wert, weil viele, auch kluge Ablehnende des F keine tragfähige Alternative ausgearbeitet anbieten – oder sie gliedern sich in den Populismus als unerfreuliche Alternative zu F ein – auch keine Lösung.

Es gibt einige ganz aktuelle Fragen:

(1) warum laufen die demokratischen Parteien dem faschistischen Ausländerhass einfach nach, relativieren und mildern ihn ab, bieten aber keine echte Politik zu Immigration, Integration und Asyl?

Die Antwort in und für Deutschland ist ernüchternd, wirkt böse. Endlich ist Deutschland „normal“, auch hier fasst der F Fuß wie überall in Europa und weltweit sonst. Deutschland ist keine Ausnahme, der Rekurs auf die eigene Geschichte ist jedenfalls für die herrschenden Eliten fast, also mit Ausnahmen, nicht mehr praktisch und folgen- bzw. erfolgreich. F ist in Europa normal, siehe Italien, Ungarn, Niederlande, und viele F-inkludierende Koalitionen. Vor allem Anti-F ist nicht strukturierend für demokratische Gesellschaften. F hat sich in der NATO ebenso eingenistet wie in der Radikalen Bekämpfung von Grünen und Ökologie. Die Normalität ist bitter, hat immerhin einen Vorteil: man muss vom hohen Ross steigen, um den F zu bekämpfen, die Sonderstellung des Nachkriegsmusterlandes ist endgültig dahin.

Schaut einmal über die Grenzen. Die USA sind eben nicht (mehr) das demokratische Bollwerk gegen die autoritären, ideologischen und eben faschistischen Gesellschaften, in Europa und anderswo. Seit langem wird immer wieder darauf hingewiesen, wie sehr die faschistischen Unterströmungen das stabile demokratische Gebilde der USA gefährden. Zuletzt und ganz aktuell Ben Rhodes: American Descent, NYRB LXXI; S. 27ff., wo zwei wegweisende Linien des amerikanischen Faschismus beschrieben werden: die innere Strukturierung und die Anmutung an autoritäre Diktaturen.

Natürlich gibt es hier wie dort Widerstand gegen F. Aber die verbale Gegenposition nutzt sich ab, wenn sie nicht praktisch, d.h. politisch ist – wie das zB. im Diskurs der Immigration nicht der Fall ist.

(2) Wie kann man Widerstand, aktiven Widerspruch und eine demokratische Praxis als Alternative entwickeln, wenn sich F bereits in den Falten und Geweben fast aller Gesellschaften, v.a. des globalen Nordens, eingenistet hat?

Die Frage schließt hier an, und mit ihr die Antwort: wenn man die deutschen Faschisten, AfD und BSW, von jeder Kommunikation und Aktion mit nicht-deutschen echten Menschen abschneidet, wenn man den Blinddarm des AfD Politikers nicht von ausländischen Ärzten behandeln lässt, wenn man das Abendessen der Faschisten nur mehr von deutschen Köchen zubereiten und von deutschen Kellnern servieren lässt, dann werden diese Typen sicher nicht mehr so großmäulig weiter leben. Sie müssen sich ändern, nicht wir uns ihnen anpassen.

Demokratie besteht auch aus Wahlen, aus Achtsamkeit, Respekt und aufmerksamen Dialogen mit dem Volk. Aber Demokratie heißt nicht, den Wünschen des Volks einfach zu folgen – wenn das Volk die Todesstrafe will, hä?, was macht ihr dann? Darum gibt es ja eine Regierung.

Die Faschisten (alle, r=l) in Deutschland und ihre neoliberalen Steigbügelhalter, bestimmen nicht, wie sich Demokratie weiter entwickeln kann und soll. Man muss nicht mit ihnen reden und sie dauernd in Diskussion verwickeln, bei denen sie sich selbst marginalisieren. Nicht einladen, nicht interviewen, nicht befragen – wir müssen untereinander Wege finden, die Demokratie zu stärken und uns immun gegen die pöbelhaften Kurzschlüsse antihumaner Spaltung in Deutsche und Menschen entwickeln (auch an den Grenzen, Herr Söder, sonst kann niemand mehr aus Bayern ausreisen). Das ist eine der Folgen der Normalität.

Riga

Riga, Latvia, Baltikum, – Zeitenwende?

Vom 2. bis zum 6. September war ich mit einem Freund in Riga. Vor Jahren haben die Stadt für ein paar Stunden auf einer Flugpause besucht, ich war auch ausführlicher mit meiner Frau und einer Arbeitsgruppe in Lettland, in Riga und Lipaja. Wiedersehen und Neuentdeckung. Ein paar Tage mit unverändert stahlblauem Himmel und sehr warm, fast wie zuhause.

  1. Kein Reisebericht

Dies ist keine touristische Ergänzung zu Reiseführern oder subjektiven Podcasts. Auch wenn einiges davon durchaus zu ergänzen wäre. Die Schichten der Reflexion sind mehrteilig und oft nicht auseinander zu halten, historisch politisch, fürs Auge, fürs Ohr, für die Erinnerung und viele Assoziationen. Zur Hälfte unserer Tage in der Stadt waren wir die exklusiv geführten Gäste einer politischen Stadtführerin, die uns Judaica zeigte und erklärte, und dabei Urbanica nicht ausblendete. Wie immer, trifft man sich vor dem Touristenbüro auf dem Platz vor der Schwarzhäupter- und Museumskulisse, da kommt noch was. Aber erstmal die Geschichte der Juden. Natürlich nicht von der politischen und ethnischen und damit europäischen Geschichte zu trennen. Die einzig erhaltene Synagoge wurde von den Nazis verschont, weil die nachbarliche Kirche hätte feuerfangen können. Renoviert und orthodox in Betrieb, blitzblank und irgendwie abstrakt bis auf den Portier, der eben keine Karikatur war, sondern echt. Wir gehen durch das ehemalige jüdische Viertel neben den Markthallen und nahe dem Bahnhof, und dann doch lange durch kleinbürgerliche Stadtviertel, das ist nicht der Westen, und wir stoßen auf die Grundreste einer großen Synagoge, Namenstafeln, wie hier überall, mit hunderten Namen von Opfern, um die Ecke eine jüdische Schule, jetzt privat, eine längere Tramfahrt zum ehemaligen jüdischen Friedhof, erst von den Nazis geschändet und ruiniert, dann von den Sowjets eingeebnet, ein ungarisches Denkmal, die Geschichte, nicht der Anblick entscheidet. Im offiziellen Rigaer Prospekt der Sehenswürdigkeiten fehlt das Holocaustmuseum im Speicherquartier, nicht im Stadtplan. Dieses Museum ist sehr groß und vielfältig, man kann gar nicht alles anschauen, aber der Blick, einmal nicht aus Deutschland auf die Shoah, ist fast befreiend. An der KZ Geschichte kann man auch die baltischen Verdrehungen zwischen NS, UdSSR, nationaler und nationalistischer Entwicklung, Widerstand sehen. Erschöpfend, und erschöpft. Lohnt: Geschichte der Juden in Lettland – Wikipedia, Ghetto Riga – Wikipedia, und man muss, um zu verstehen, auch die russische und polnische Geschichte im Umgang mit Juden nachvollziehen. Die vielfältige und gewaltreiche Geschichte des Baltikums, der „Region“ ist natürlich auch zur Zeit aktuell durch die Angst, die Russen könnten übergreifen, und man kann die NATO schon verstehen, nur – was wird sie, wenn überhaupt, wann tun? Jedenfalls lohnt auch zu lesen: Ludwigs Länderkunde direkt aus der Zeitenwende 1991 (Ludwig 1991), sehr instruktive Ergänzung. Es bleibt viel hängen an einem, wenn man diese Geschichte in die Stadt eingedrückt verfolgt hat. Wir verabschieden uns von der guten Führung und essen substandard in den Markthallen (wo ich am nächsten Tag Proviant für den Ausflug an die Küste bei einem Usbeken kaufe, und wo man die unterste Gewerbeschicht noch sehen, aber nicht bestaunen kann).

Am Vortag hat die Geschichte begonnen, mit einem eloquenten, sehr gebildeten Stadtführer, der uns an vier oder fünf Schlüsselorten die Stadt, ihre Besonderheiten und versteckten Details zeigt, auch er lebt überwiegend von Interesse und Trinkgeld, einschlägig studiert. Danach gehen wir in das Besatzungsmuseum. Ich kannte es von früher, es lässt einen nicht los. Und es bestätigt, was im deutschen Diskurs immer auf Widerspruch stößt: die enge Nähe von NS und Stalin in Handlungen und Unterdrückung, und wie das Baltikum von einer Hölle in die andere kam, und sich kaum adaptieren konnte, und wie schon in den 30er Jahren die gerade aufblühende Demokratie selbst schon defekt wurde, und ein umso leichteres Opfer für Deutschen und für die Russen. Das Museum ist gut und Detailgenau. Mittendrin laufen wir an den lettischen und albanischen Präsidenten vorbei, die eine kaum abgesicherte Führung veranstalten, Riga ist eben auch Peripherie. Nochmals: Deutschland hat kein Monopol auf Opfergestaltung, und der Blick von betroffenen Ländern auf das Geschehen ist manchmal befreiend, wenn Rücksichtnahmen fehlen.

2.

Die erste Schifffahrt, auf der Daugava, 2 km flussabwärts, 5 aufwärts, hinreichend umsichtig. Man sieht die Stadt in ihren Gliederungen und kann sich die alte, ummauerte Zentrale gut vorstellen, ein paar Hochhäuser auf dem Südufer sind auch ok, nur das eine, ganz hohe direkt neben der alten Burg, stört die Silhouette gewaltig. Wir fahren um die lange Insel Zakusala herum, darauf nur der sehr hohe und schöne Sendemast, ein Wohnhochhaus, und das open air Ethnomuseum, das nächste Mal…sonst grün bewachsen, ein paar Badefamilien, ein wenig Donauinsel im Kleinen. Und von überall sieht am in der Stadt den Zuckerbäckernachbau des Moskauer Hochhauses, das auch hier nichts wirklich genützt hat, weshalb es heute die Akademie ist.

3.

Am Abend davor sind wir in der Hauptachse der Stadt bis zum Freiheitsdenkmal gegangen, 10 Minuten vom Hotel. Freiheitsdenkmal (Riga) – Wikipedia (scheusslich wie viele solcher Denkmäler). Aber in der Achse war eine politische Fotoausstellung der Nachkriegsbefreiung mit guten Texten. Davon kommen die Menschen hier zu Recht nicht los. Auch die Koalition mit Litauen und Estland spielt eine Rolle, und ebenso die Menge an russischen MitbewohnerInnen, was natürlich politisch alles sensibler macht, vor allem, wenn es zwei Pässe gibt und man die Loslösungsgeschichte unter Gorbatschow und Jelzin studiert. Die Innenstadt ist schon voll mit billigeren Lokalen, nicht nur für Touristen, ausgesprochene Lokalküche ist selten, dann eher teuer, ich habe den Eindruck, dass die Qualität eher amerikanisiert und verflacht (auch im Vergleich zu früher, aber nicht annähernd so stark wie Prag). Kleine schnelle Speisen eher angenehm, und dunkles Bier. Alles hat einen guten Takt, fast keine Autos in der Innenstadt (viel Verkehr rundherum). An vielen Plätzen mehr oder weniger gute MusikerInnen, vor allem vor dem Touristenbüro.

4.

Aus der Altstadt läuft man über eine gut erhaltene grüne Contrescarpe, wie in Bremen, in ein bürgerliches Viertel, das eine empfohlene Jugendstilsektion hat, die im Vergleich zu anderen eher wenig interessant ist, außer für Architekturhistoriker. Spaziert man zurück , fallen einem die vielen und großen Parks auf, die erstaunlichen zahlreichen öffentlichen WCs, die Sauberkeit der Stadt, die große russische Botschaft und die weniger attraktive, goldglänzende orthodoxe Kathedrale. Und überall außerhalb des Zentrums Holzhäuser (jemand sagte 400…no?), in jedem Zustand, von besten renoviert bis zerfallend. Binnen kurzer Zeit kann man sich die verwinkelte Altstadt einprägen, vieles ist Kulisse. Aber es ist eine lebendige Stadt mit angenehmem Tempo. Und wo immer man an der Oberfläche kratzt, kommt die Geschichte und das Unabhängigkeitsstreben heraus. Das verdirbt einem die Freude an der Stadt nicht, schwingt aber wie basso continuo mit.

5.

Die Kathedrale ist nicht so schön wie St. Peter, beide Kirchen sind keine wirklichen Höhepunkte, aber Rundblick vom Turm schon sehr eindrucksvoll, und das Abendkonzert in St. Peter gut gefüllt und anhörbar. Ins Schloss kommt man nicht hinein. Der Pulverturm ist auch monumental. Bis auf das gewaltig große Kaufhaus (zufällig unserem Hotel gegenüber) sind wenige Bausünden in der Stadt. Ein paar Museen warten aufs nächste Mal.

6.

Dann aber der Donnerstag. Wir gehen an die Anlegestelle, wo ein kleines Passagierboot mit einem Vierstreifenkapitän und einem alten Dieselmotor wartet, 12 Passagiere, tuktuktuk. Die Daugava hinunter, nach der Stadt fast die ganze Strecke Kräne, wenige größere Schiffe, Details früherer und heutiger Betriebsamkeit. Schade, dass das Riesenkreuzfahrtschiff vom Vortag nicht mehr daliegt. Nach 10 km biegen wir in die Lielupe ein, die eine ganz lange Halbinsel vom Meer trennt, ganz schmal, meist bewaldet, schon bewohnt, aber man erfreut sich die meiste Zeit am gewaltigen Schilfgürtel, ab und an ein Schwan und manchmal ein Motorboot. Wir fahren noch einmal über eine Stunde den Fluss hinauf, bis nach Kurmala, einer vielortigen Kurinsel, auch mit teilweise deutscher Prägung aus dem frühen 20. Jahrhundert und vielen Kirchen (!), incl. einer umstrittenen orthodoxen. „Der Ortsteil Bulduri hieß deutsch früher Bilderlingshof und war vor 1914 der bevorzugte Sitz der deutsch-baltischen Intelligenz, des Geld- und Blutadels.“ (Jūrmala – Wikipedia). Die deutsch-baltische Intelligenz hat noch keinen Quotienten…Breiter Sandstrand, ganz flaches Wasser, schöne Villen der ganz Reichen, schöne Holzhäuser, eben Urlaubsort. Das Museum hat etliches an zeitgenössischer Kunst, naja, und im Ort gibt es ein gutes Musikprogramm.  Man könnte mit der Bahn in 30 Minuten zurückfahren, wir aber nehmen wieder das Boot und bedauern es nicht, man sieht anderes anders als bei der Herfahrt. Ein letztes spätes Abendessen, am Freitag geht es um 7 durch die Vororte mit dem Bus zum Flughafen. Ryan Air ist sparsam, fast mager, aber es geht…nur in Berlin läuft man lange vom Terminal zum Zug, was solls. Einige gute Tage. Lettland lohnt.

6.

Ich komme zurück und es bleibt weder Missmut über die falsche Reise noch Nostalgie über das Ende des Ausflugs. Also gut. Dass mich der Tag der jüdischen Geschichte und des lettischen Widerstands und der Vergleiche mit unserer historischen Aufarbeitung verfolgt, ist kein Zufall. Städte haben alle ihre Besonderheiten, die man sich einprägt, und über die man sie miteinander vergleicht. Auch Riga kann ich vielfach vergleichen, das ist aber nicht wichtig. Tiefer eingeprägt hat sich die Art, wie mit der Geschichte umgegangen wird, keineswegs nur „richtig“ oder „vorbildlich“, eher mit dem Hinweis, dass man den Schrecken nie ganz abschreiben kann. Und dass das nicht wirklich hindert, die Stadt schön, wichtig, lebendig zu empfinden.

Ludwig, K. (1991). Das Baltikum: Estland, Lettland, Litauen. München, Beck.

Wenn nicht Faschisten – was sind sie dann?

1.

Meinen politischen Analysen stimmen nicht nur FreundInnen aufmerksam, man nimmt sie wenigstens ernst, und man versteht, warum ich vieles begründet NICHT in die Blogs einsetze. Dazu später. Es kommt auch Kritik, wie ich sie nenne: ungelenk, an meiner Beschreibung des deutschen, europäischen, globalen Faschismus, und der Grundthese, dass man Faschismus nicht als das kleiner Übel gemessen an den Nazis bezeichnen soll, sondern dass die Nazis nach 1933 eine besondere, noch aggressivere Sonderspielart des Faschismus waren. Meine zweite These hat sich bei einem genaueren Studium der Geschichte des Baltikums und teilweise Balkans erhärtet, dass beide – Nazis und Stalinisten – die gleichen Wurzeln und Strukturen, wenn auch verschiedene Ausformungen und Oberflächen haben.

Jetzt kommt die Kritik, und die will nicht, dass man Meloni oder Wilders oder Orban miteinander vergleicht und alle drei und noch einige mehr als faschistisch kennzeichnet. Ich bleibe dabei. Und in Deutschland bestehe ich darauf, dass AfD und BSW zwei Spielarten derselben faschistischen Struktur sind.

Und so schwierig und sperrig Lösungsvorschläge für die Demokratie und ihre ExponentInnen sind, so einfach wäre es – gegenwärtig, übergangsweise – sich nicht von den Faschisten vor sich hertreiben zu lassen und uns abgrenzend von ihnen abzusetzen.

2.

Ein guter Bekannter, konservativer als ich, aber mit genauem Hinblick, fasst nach einer Analyse zusammen: „Der Wahlausgang in der Ex-DDR ist kein Menetekel, sondern ein Weckruf. Dennoch dräut nicht Faschismus 2.0. Wenn aber die Etablierten dem gemeinen Volk nicht «Wir haben euch verstanden» signalisieren, wird der linksrechte Opfermythos weiterwuchern. Der gesegnete Westen wird sich sputen müssen, um das Gespenst zu verjagen.“ (Josef Joffe, 4.9.24, NZZ). Die Analyse ist etwas schärfer als ihre alltäglichen Varianten. Aber eigentlich nicht neu. Spannend ist Joffe, wo er den Faschismus beiseite schiebt, um den Populismus in seiner neuen Variante, voll Abstiegsangst und scheinbarer Elitenablehnung hervorzuheben mit genau den Beschreibungen, die man auf Faschismus auch anwenden kann – und er will uns, ja was? beruhigen, vielleicht nur „erden“, um konkreter von den Vorurteilen oder Missachtungen abzusehen, die zum Aufstieg der Faschisten ja geradezu einladen. Das geht, aber es führt nicht wirklich weiter, weil er die Demokratie nicht in der aktionsbezogenen Struktur beschreibt, die er für die AfD und BSW übrig hat. Aber sich mit dem Opfermythos befassen, das ist richtig bei Joffe angemeldet.

3.

Also: wie geht es weiter? Man könnte sich auf drei Praktiken einigen, die bei allen Differenzen in Programm und Weltanschauung eingehalten und durchgeführt werden:

  1. Überall, wo die Faschisten, also AfD und BSW, Mehrheiten verhindern, bilden ALLE demokratischen Parteien, auch wenn es knirscht und knarrt, Minderheitsregierungen oder, wenn Mehrheiten da sind, dann praktizieren sie sie. Wenn nötig, mit Fachleuten, die nicht aus dem Parteienspektrum kommen, und immer mit einem Anteil der jeweiligen Parteijugenden. Die Konzentration auf die RentnerInnen ist aus vielen Gründen falsch, außer, dass endlich eine Rentenreform von den lächerlichen 48% auf 60% mindestens gehen soll, Vorbild Österreich.
  2. Migration, Asyl, etc. IST KEIN THEMA, sondern eine Praxis, die im Prinzip ALLEN MIGRANTINNEN entweder sofort eine Arbeitsstelle gibt oder berufsausbildende und sprachbildende Programme verbindlich macht.
  3. Statt der Schuldenbremse wird eine innovationsträchtige Investitionspolitik getätigt, hier ganz klar im Sinne der Grünen.

Nun kann man sagen, das ginge mit der FDP nicht – richtig, aber meist ist sie ohnedies verschwunden oder mit dem Sportwagen im Luxus unterwegs, aber, siehe Pkt. 1, man wird sie wohl einfangen müssen, sonst agiert sie wie frühere Liberale (nicht alle, nie alle) als Steigbügelhalter der Faschisten.

Und in den Diskursen: ändert das Gedanken- und Kommunikationsschema. Die Faschisten müssen nicht bei jede4m Thema vorkommen, sie müssen nicht in Talkshows und im Rundfunk präsent sein, es gibt keine Demokratie, die den Faschisten nur deshalb gleiche Rechte mit uns gibt, weil sie noch nicht verboten sind. Hierzu für die Gerichte: auch wenn das Recht und die Rechtsprechung oft konservativ sind, das Recht steht nicht ÜBER der Politik, wie in einigen der letzten Urteile deutlich. Die Wechselwirkung muss sich verbessern, das gehört auch zu den Aufgaben der weiteren Demokratisierung.

Und ein Letztes: Natürlich sind religiös unterfütterte Rechtsradikalismen vor allem auf die drei monotheistischen Religionen, aber eigentlich auf alle zu beziehen. Rücksicht auf Demokratie hat Vorrang vor der Rücksicht auf Glauben und Ritus.

FORTSETZUNG FOLGT IN 2-3 TAGEN

Pause. Bedenken und Erwartungen. Wenig Hoffnung.

Die Kommentare zu den Wahlergebnissen hätte es allesamt nicht geben müssen, noch nicht oder gar nicht. Alles, war zu erwarten gewesen, der Wahlsieg der faschistischen Parteien und das Abstürzen der Demokraten.

Es besteht wenig Hoffnung auf schnelle Einsichten. Eine wäre, das Thema „Migration“ endlich aus den populistischen Anbiederungen an den fremdenfeindlichen Pöbel herauszunehmen und selbstbewusst, selbstkritisch zu politisieren, anstatt es zu verschwiemeln. Wir BRAUCHEN IMMIGRATION und wir müssen alle, die es noch nicht können, bilden und ausbilden. Wenn die AfD und BSW keine Ausländer wollen, lasst sie vertrocknen, verhungern und unbedient altern. Ein zweites Thema sind die Raketen. Weil und wenn man sie nicht will, heißt das leider noch nicht, dass wir sie bekommen müssen, solange wir in der schwachsen Verteidigungsposition Europas und abhängig von den USA sind, und allesamt abhängig von den Diktatoren Putin und Xi, politisch und militärisch vor allem von Putin, wirtschaftlich vor allem von Xi. Das heisst nicht allgemeine Aufrüstung, aber punktuelle, und da kann man mit dem „Volk“ nicht verhandeln, das muss die Regierung durchstehen.

Aber vor allem: nicht dauernd die AfD und BSW analysieren. Die Demokratie muss stärker werden, dann werden die Faschisten schwächer. Das Umgekehrte war schon einmal in Deutschland der Fall, und kurz vor 1933 haben wir alle Varianten, die es jetzt bei uns gibt, schon einmal beobachten können – natürlich nicht 1:1, aber in der Struktur. Und wer meint, BSW sei nicht auch faschistisch, der oder die studiere ein wenig Faschismus. Abgesehen davon ist die breite und freche Politikspur der Wagenknecht Beweismaterial genug.

Ich höre mir das Klagen und die hoffnungslosen Ankündigungen, vieles „ANDERS“ machen zu wollen, einige Zeit nicht an.

Meine Gedanken sind eher in Israel und der Ukraine und Afghanistan. Die Deutschen Deutschen sind ohnedies in der Sackgasse, und bis sie umkehren wollen, ist es hoffentlich nicht spät. Nicht ganz zurück an den Anfang, aber doch ziemlich weit. Demokratie besteht nicht nur aus Wahlen, auch aus Widerstand.